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9 Prinzipien, mit denen Sie Ihre Anpassungsfähigkeit trainieren Anpassungsfähigkeit ist der entscheidende Erfolgsfaktor der Evolution auf unserem Planeten – das wissen wir seit Darwin. Und unsere Anpassungsfähigkeit ist in entscheidendem Maße dafür verantwortlich, dass wir Menschen uns als Spezies zu dem entwickeln konnten, was wir heute sind. Nur leider hat diese wichtige Kompetenz oft ein Imageproblem, denn wir verbinden damit vor allem das unbequeme Loslassen liebgewonnener Gewohnheiten und das Vorantasten in Unbekanntes. Doch die Frage, wie gut ausgeprägt unser AQ – unser Anpassungsquotient – ist, wird darüber bestimmen, wie gut wir uns im New Normal zurechtfinden werden. Die gute Nachricht: Unser AQ ist wie ein Muskel – wir können ihn trainieren. Carl Naughton zeigt uns, wie das geht. Wissenschaftlich fundiert auf der Basis psychologischer Studien liefert er ein so anregendes wie unterhaltsam zu lesendes Praxisbuch, in dem er erklärt, wie wir unsere Anpassungsfähigkeit im Alltag trainieren können. Er gibt verblüffende Einblicke in die Art und Weise, wie wir denken, fühlen und uns verhalten, klärt Zusammenhänge und räumt mit Vorurteilen auf. Und er gibt uns mit den 9 wichtigsten Tipps einen Leitfaden an die Hand, mit dessen Hilfe es uns gelingt, neue Gewohnheiten, Routinen und neues Verhalten in unserem Alltag auszubilden. Dabei geht es weniger um den bloßen Umgang mit Veränderungen, sondern vor allem darum, sich fortwährend neu auszurichten angesichts variabler oder ungewisser Bedingungen und Umstände. Das vorliegende Buch zeigt Wege auf, um das Umdenken und Umlernen selbst zu lernen. So bleiben wir nicht in einer passiven, reaktiven Rolle, sondern gestalten und verändern unser Umfeld selbst proaktiv. Wir werden aktiver Teil der sich verändernden, dynamischen, neuen Normalität, in der wir leben. Denn heute und in Zukunft brauchen wir mehr Anpassungsfähigkeit denn je. Unsere Welt ist komplexer geworden und je komplexer sie wird, desto weniger können wir einem einfachen linearen Denken folgen. Das betrifft in besonderem Maße unsere Arbeitswelt. Laut einer Befragung der Right Management Organisation aus dem Jahr 2014 sagten 91 Prozent der HR-Leiter voraus, dass die Fähigkeit eines Bewerbers, mit ständigen Veränderungen umzugehen, eines der Hauptkriterien für die Einstellung sein wird. Aus dem hässlichen Entlein Anpassungsfähigkeit wird somit die zentrale Kernkompetenz unserer Wissensgesellschaft im post-industriellen Zeitalter.
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CARL NAUGHTON
Warum Anpassungsfähigkeit die wichtigste Zukunftskompetenz ist
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© 2022 GABAL Verlag GmbH, Offenbach
Das E-Book basiert auf dem 2022 erschienenen Buchtitel »AQ: Warum Anpassungsfähigkeit die wichtigste Zukunftskompetenz ist« von Carl Naughton © 2022 GABAL Verlag GmbH, Offenbach.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN Buchausgabe: 978-3-96739-096-4
ISBN epub: 978-3-96740-172-1
Lektorat: Anke Schild, Hamburg
Umschlaggestaltung: Buddelschiff, Stuttgart | www.buddelschiff.de Titelabbildung: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Haeckel_Ctenophorae.jpg?uselang=de
Autorenfotos: Kristina Mehlem
Satz und Layout: Das Herstellungsbüro, Hamburg | www.buch-herstellungsbuero.de
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#1_Alles anders? Big Dislike!
#2_Warum der AQ entscheidend wird
#3_AQ – unser Gestaltungsturbo
Wiederfinden statt neu erfinden
»Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt«
#4_Nachhaltige Nebenwirkungen eines starken AQs
Was wir beruflich vom AQ haben
Was wir persönlich von der Neuorientierung haben
#5_Test: Wie hoch ist mein AQ?
#6_Mehr Erkenntnis-AQ
1. Ent-engte Wahrnehmung: Neue Umfelder und alte Muster
2. Psychologische Distanz: Nah dran und ganz weit weg
3. Mentale Flexibilität: Mehrspurig denken
#7_Mehr Emotions-AQ
4. Anspannungsmanagement: Individuelle Qualitäten wiederfinden
5. Realistischer Optimismus: Unterscheiden zwischen Quellen für Erfolg und Misserfolg
6. Emotionen managen: Besser mit nicht hilfreichen Gefühlen umgehen
#8_Mehr Handlungs-AQ
7. Proaktivität: Initiativ handeln
8. Bewältigungskompetenz: Sich dem Problem zuwenden
9. Motivationaler Fokus
#9_Mit AQ in der Ungewissheit führen
Weniger Ungewissheit dank Ambiguitätstoleranz
Finden von Menschen mit hohem AQ
Führen in der Ungewissheit – 5 Adapt-Techniken
#10_Schneller anders: Neue Gewohnheiten dank AQ
Gewohnheiten: Mythen, Missverständnisse & Merkwürdigkeiten
Bausteine zur Etablierung neuer Gewohnheiten
Next New: Das Zukunftsfazit
#AQ erweitern
Register
Der Autor
If you don’t like change, you’re going to like irrelevance even less. – General Eric Shinseki
Im Bauch der Cap San Diego lässt es sich vorzüglich denken. Kaum einem anderen als Peter Sloterdijk wäre diese Einschätzung als glaubwürdig abzunehmen. Im sanften Auf und Ab des Hamburger Hafenwassers saßen wir mit ihm in einer zum Meetingraum umdekorierten Kajüte. Es war die Vorbereitungsrunde zu seinem Vortrag; er sollte an jenem Abend im Jahr 2016 zu den Themen Globalisierung und Digitalisierung sprechen. In meiner Vorbereitung auf unser Interview las ich u. a. eines seiner Bücher, dessen lange Gedankenketten bis in diese Seiten reichen: Du mußt dein Leben ändern. Vom »Planeten der Übenden« schreibt er dort, von der »Hinaufpflanzungslehre«. Dabei seziert er den Drang des Wandels. Eine Folge dessen ist der übende Mensch, der sich entwickelnde Mensch. Mittendrin in diesem andächtigen Lauschen der Gedanken eines Über-Philosophen wurde mir deutlich, wie sehr wir jeden Tag alle immer wieder üben, Dinge anders zu machen, üben, um mit dem Neuen, dem Anderen zurechtzukommen. Wir üben für das Andere. Und uns beschleicht dabei das Gefühl, dass dieses »Andere« einfach »alles« betrifft. Alles anders.
»Alles anders? Super!« – Wenn wir jemanden das sagen hören, fragen wir uns im Stillen, was dieser Mensch an illegalen Substanzen zu sich genommen hat. Permanenter Wandel bockt nicht. Er bringt zu viel Ungewissheit. Das gilt für einen Großteil dieser zwangsagilisierten Gesellschaft. Veränderungsbereitschaft ist eben auch nur normalverteilt. Veränderungskompetenz ebenso. Den Gang wechseln, die Richtung ändern und dabei trotzdem Zusammenhalt und Sinn erleben und erzeugen? Kurioserweise mögen wir das nicht wirklich, dieses permanente Sich-neu-Ausrichten zwischen dem Feiern des Gestern – »Machen wir so wie immer« – und dem abgeklärten Globalisierungs-Hangover – »Lass mich, ich hab ›New Normal‹«. Aber wir erzeugen dieses Spannungsfeld in einem solchen Speed, als gäbe es einen Weltpokal zu gewinnen. Mittendrin steckt unser 21st-Century-Anspruch: »Musste dich eben anpassen. Darwin und so. Survival of the fittest.« Ohne es zu merken oder wahrhaben zu wollen, erschaffen wir eine Zukunft, in der der Intelligenzquotient und die emotionale Intelligenz beide viel weniger bedeuten als unsere Fähigkeit zur schnellen Anpassung.
Warum ist das so erwähnenswert? Viel zu oft stecken wir den Kopf in den mentalen Sand und schütten noch ein wenig emotionalen Kies obendrauf, damit wir die Rübe erst recht nicht mehr erheben können, um der Zukunftsungewissheit intelligent ins Gesicht zu lachen. Dieses Buch will das ändern. Es stärkt Menschen in der zentralen Kompetenz des 21. Jahrhunderts, in ihrer Anpassungsfähigkeit, ausgedrückt in dem entsprechenden Quotienten: dem AQ. Denn per Definition soll dieser uns helfen, uns an eine sich verändernde und/oder anspruchsvolle Umwelt anzupassen, und so zu unserem Überleben beitragen. Es gibt nur ein Problem: Die »Anpassung« hat ein Imageproblem, sie klingt nach einem Glücksdefizit. Sie scheint Menschen zu fordern, die sich mit weniger zufriedengeben sollen. Noch unglücklicher im Sprachmarketing steht aktuell wohl nur »Veränderung« da. Die beiden Begriffe sind Bonny und Clyde unserer gesellschaftlichen Fortentwicklung; hassgeliebte Radikalinskis, mentale Unruhestifter, zu denen wir uns tagtäglich positionieren müssen.
Um die Allgegenwärtigkeit unserer Permanent-Positionierung in diesem Spannungsfeld zwischen Anpassung und Beharrung deutlich zu machen, habe ich einmal einen waghalsigen kleinen Kniff konzipiert. Vor einigen Jahren, als ich eine Museumsausstellung entwickeln durfte, habe ich ein wenig forscherischen Schabernack getrieben. Ich erdachte dazu für den Eingang zur Ausstellung das Pendant des bundestaglichen Hammelsprungs. Der Hammelsprung, so wie er im Bundestag praktiziert wird, ist nichts anderes als eine forcierte Entscheidungsmethode. Das wesentliche Instrument sind drei Türen, die mit »Ja«, »Nein« und »Enthaltung« beschildert sind. Der Gang durch eine der drei Türen erzeugt eine Abstimmung. Das wollte ich nun nutzen, um eine spielerische Auseinandersetzung mit der Frage der eigenen Anpassungsfähigkeit zu erzeugen. Denn die Ausstellung drehte sich um die Entwicklung unseres Verhaltens über die Jahrmillionen. Dementsprechend gab es zwei alternative Eingänge. Der eine trug den Titel »Die Welt zwingt den Menschen, sich zu verändern«, der andere die Überschrift »Veränderung ist ein natürlicher Teil des Menschseins«. In dieser Zweiteilung steckt einiges an Sprengstoff. Menschen, die durch Tür eins gehen würden, sähen sich eher als Opfer der Umstände, würden lieber so bleiben, wie sie sind, wenn die böse Welt sie nur lassen würde. Die Folge ist das, was wir Veränderungsresistenz nennen. Menschen, die durch die zweite Tür gehen würden, sähen die Sache etwas gelassener. Sie würden denken, dass Anpassungsfähigkeit in allen von uns angelegt und damit ein Pluspunkt bei permanenter Umweltveränderung ist. Die Folge wäre eine ausgeprägte Offenheit für Veränderung. Wie hätten Sie sich entschieden?
Egal, wie, das Dilemma und die Auseinandersetzung damit sind klar. Es wird sinnfällig, dass wir unser Menschsein auf zwei sehr unterschiedliche Arten verstehen können. Und um genau den Gang durch die eine der Türen geht es jetzt, im 21. Jahrhundert; es ist eine Entscheidung, die jeder für sich trifft. Diese Entscheidung zu einer guten zu machen hat sich dieses Buch zum Ziel gesetzt.
Natürlich ist der in diesen Zeilen mitschwingende darwinsche Selektionsvorteil eher metaphorisch. Auch diejenigen unter uns mit weniger Anpassungsfähigkeit siechen nicht dahin. Sie kommen gut über die Runden. Aber die anpassungsfähigen Menschen wie auch Unternehmen kommen eben besser zurecht. Nun ist diese Art von AQ aber ein Zustand und nicht per se ein Kontinuum. Wir sind angepasst an eine bestimmte Umwelt. Wenn die sich ändert, ändern sich die Anpassungsanforderungen. Der AQ beschreibt daher eine dynamische Eigenschaft von Menschen, die sich an immer wieder ändernde Umstände und Gegebenheiten anpassen können. Eigentlich ist das also so eine Art Flex-Fit.
Aber das klingt ein wenig zu sehr nach Gesundheitsschuhen oder elastischem Hosenbund. In der Arbeit in meinem Open Mind Lab gehe ich der Sache mit geschätzten Kollegen wie Achim Wortmann, Professor für Wirtschaftspsychologie, etwas subtiler nach. Wir fragen uns: Welche einzelnen veränderbaren Fähigkeiten hat ein Mensch, die seinen AQ erhöhen? Welche Merkmale müssen diese Menschen mitbringen? Wie können diese Merkmale sichtbar und messbar werden? Wie finden und entwickeln Unternehmen diese Menschen, die ihre Zukunftsfitness sicherstellen?
Das Thema drängt sich so sehr auf, dass es alles andere vor sich her zu schubsen scheint. Und es ist nicht einmal neu. Karl-Heinz Oehler (2015) formulierte schon vor einigen Jahren: »Die seltensten Persönlichkeitseigenschaften in der ganzen Welt sind Robustheit, intellektuelle Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit – mit anderen Worten, die Fähigkeit, mit einer sich verändernden Situation umzugehen und dadurch nicht gelähmt zu werden.«1 Da war von beschleunigten Entwicklungen aufgrund von Pandemien noch keine Rede, regierungsbeglückte Homeoffice-Regulatorien in weiter Ferne, »New Normal« kein Schimpfwort, sondern ein soziologischer Nischenbegriff.
Dann das. Virus hält Welt im Griff. Alles anders. Jetzt. Jetzt war März 2020. Seitdem scheint immer »jetzt« zu sein. Schulen zu, auf, zu, Restaurants, Theater, Kinos auf, zu, zu, zu. Büros auf, zu, leer, zu einem Viertel voll, ungewollt und von manchen heiß ersehnt, aber nicht ohne Test betretbar. Knapp sechs Monate später, am 1.9.2020, kommt die Süddeutsche Zeitung mit direktem Bezug zu den coronabedingten Umbrüchen zu dem Schluss: Der Grund, warum Digitalisierung funktioniert, ist nicht nur eine Frage der Technik, sondern vor allem eine Frage der Anpassungsfähigkeit der Menschen.2 Diese Anpassungsfähigkeit zahlt dabei auf drei Konten ein:
Anpassungsfähigkeit ist eine Voraussetzung. Im Wechselspiel von Stabilität und Wandel sind Menschen mit mehr Anpassungsfähigkeit offener und weniger resistent dem Wandel gegenüber. Sie tragen mehr zur Umsetzung der Veränderung bei. Und sie fokussieren stärker auf die neue Situation. Der AQ ist also ein individuelles Merkmal, das die Basis für die Reaktionen von Mitarbeitern auf dynamische Arbeitsumfelder bildet.
Anpassungsfähigkeit ist ein Bindeglied. Sie wirkt darauf, wie Menschen den Impact einer Veränderung aufnehmen. Dabei hat sie eine proaktive und eine reaktive Komponente. Es geht also sowohl darum, wie Menschen sich neu ausrichten, als auch darum, wie sie ihr Umfeld, ihren Arbeitsplatz und dessen Abläufe an Anforderungen anpassen, und um alle sich daraus ergebenden Mischformen.
Anpassungsfähigkeit ist, wie der Begriff schon sagt, eine Fähigkeit. Zentral ist hier unser Vermögen, mit Veränderung umzugehen und sie zu gestalten. Das verändert sich natürlich im Laufe der Zeit. Erlebnisse aus unserem privaten und beruflichen Umfeld haben darauf ebenso Einfluss wie Trainings und Coachings. Diese Veränderlichkeit macht es möglich, dass wir unter sich permanent verändernden Bedingungen wirksam handeln. Die Forschung zu diesem Thema ist taufrisch und bisher weitgehend in Fachartikeln vergraben. Jeder von uns hat jedenfalls die Fähigkeit, anpassungsfähiger zu werden. Anpassungsfähigkeit ist wie ein Muskel.
1 Das Originalzitat lautet: »The rarest personality traits throughout the world are resilience, adaptability, intellectual agility, versatility – in other words, the ability to deal with a changing situation and not get paralyzed by it.«
2 Vgl. https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/arbeitswelt-die-menschen-waren-s-1.5017056.
Instead of constantly adapting to change, why not change to be adaptive? – Fred Emery
Natalie Fretto ging 2019 jede Menge Zukunftswetten ein; 273 Zukunftswetten hätten es werden können, denn so viele Investitionsanfragen für Start-up-Ideen hat sie in jenem Jahr erhalten. Der Einsatz der Technologieinvestorin und Risikokapitalgeberin ist in der Regel recht hoch, und die Chancen sind, na ja, nicht ganz so schlecht wie beim Wetten, aber eben doch abhängig von Zufällen. Wenn sie eine solche Zukunftswette eingeht, schaut sie dementsprechend sehr genau hin, um den Zufall möglichst zu minimieren. Das ist jetzt nicht so überraschend. Was allerdings erstaunt, ist, worauf sie schaut. Es ist die Anpassungsfähigkeit der Gründer. Mit drei Techniken versucht sie, den AQ dieser Menschen einzuschätzen. Denn für sie ist dieser AQ das aussagestärkste Maß, um die Erfolgschancen der Gründer vorauszusagen. Er schlägt in ihren Augen den IQ, also unseren Intelligenzquotienten, wie auch den EQ, also unsere emotionale Intelligenz. Ihre Techniken sind ein Wunder an Praxisnähe. So sehen sie aus: Zuerst stellt Natalie Fretto den Kandidaten eine sog. 3-W-Frage, »Was wäre, wenn …«, zum Beispiel »Was wäre, wenn eine Hitzewelle sämtliche Kunden davon abhält, Ihren Laden zu besuchen?«. Warum gerade eine solche Simulationsfrage? Aus Frettos Sicht zwingt sie das Gehirn, sich multiple Versionen der Zukunft vorzustellen. Die Stärke dieser Vision und die Anzahl unterschiedlicher Ideen einer Person sagen ihr viel. Nach dieser Fragerunde macht sie sich auf die Suche nach dem »Verlernen«. In ihren Augen versuchen aktive Verlerner, das Bekannte infrage zu stellen und stattdessen mit neuen Infos zu überschreiben. Fast so wie ein Computer, der sich neu formatiert. Es geht ihr daher nicht so sehr um die Frage »Was haben Sie Neues gelernt?«, sondern eher um die Frage »Bei welcher Fähigkeit haben Sie umgelernt?«. Schließlich stellt sie Menschen vor die »Exploit-versus-explore«-Situation. Es ist die Entscheidung, ob wir lieber eine bestehende Lösung weiter nutzen oder uns auf die Suche nach anderen Lösungen machen wollen. Dieses letztgenannte Denken in Alternativen fordert uns permanent heraus. Es zwingt uns zum Experimentieren und Herumlavieren. Das ist es, was uns in Frettos Augen so anpassungsfähig macht: selbst Auslöser von Veränderung zu sein. Der AQ ist also der »hot shit« bei den Venture-Capitalists. Aber wie sieht es der Rest der Welt?
Anpassungsfähigkeit ist eine Superkompetenz. Das theoretische Modell des AQs fing, wie so viele spannende Erkenntnisse rund um unsere Persönlichkeit, ganz klein an. Am Beginn stand die Frage, welche Fähigkeiten und Eigenschaften einen Menschen beschreiben, der ausgenommen gut mit schneller Veränderung zurechtkommt und sich sogar proaktiv auf sie vorbereitet. So ein Modell ist aber eben nur das: eine theoretische Verbindung von Erklärungen. Darum muss die Psychologie solche Modelle empirisch testen. Dafür werden Fragebögen entwickelt und vielen, vielen Menschen vorgelegt. Diese ausgefüllten Assessments werden statistisch ausgewertet, und dann zeigt sich, ob das theoretische Modell auch die Wirklichkeit abbildet. Das alles ist bereits geschehen. Und voilà, die holländische Kollegin Karen van Dam und Michel Meulders (2021) haben die empirische Bestätigung dafür vorgelegt, dass wir den AQ bei Menschen messen können. Einziges Dilemma: Die Skala ist in englischer Sprache verfasst. Also haben Achim Wortmann, Leon Vahlkamp und ich die deutsche Version im Jahr 2021 formuliert, sie ebenfalls empirisch geprüft, und, wieder voilà, sie befindet sich in diesem Buch (Kap. 5). Natürlich sind wir nicht stehen geblieben. Wir haben auch herausgearbeitet, was alles von dieser Anpassungsfähigkeit beeinflusst wird.
Der Karriereforscher Douglas T. Hall bezeichnete Anpassungsfähigkeit bereits 2002 als eine Karriere-Metakompetenz. Der Grund für diese Krönung ist, dass der AQ das Ausmaß wiedergibt, in dem wir uns verändern können. David O’Connell et al. (2008) haben auf den Punkt gebracht, was ihn so begehrenswert macht: Er setzt sich zusammen aus unserer Kompetenz und unserer Motivation, diese Veränderung auch in die Tat umzusetzen. Und das gilt für unser Reagieren auf und unser Schaffen von Veränderungen. Reaktiv sind wir, wenn wir auf eine bereits eingetretene Veränderung reagieren, wenn wir unser Verhalten und unsere Kompetenzen modifizieren können. Proaktiv sind wir, wenn wir uns bereits für eine sich erst abzeichnende anbahnende Veränderung im Vorfeld rüsten.
Der AQ meint also weit mehr als ein bloßes Zurechtkommen mit der Welt. Er umfasst sowohl stabile als auch formbare Eigenschaften unserer Persönlichkeit. Training, Alltagserfahrungen, Impulse anderer Menschen, all das kann sich messbar auf unsere Anpassungsfähigkeit auswirken. Bereits 2005 zeigten Rose Mueller-Hanson et al. von den Personnel Decisions Research Institutes auf, dass die Fähigkeiten des »adaptable leader« trainiert werden können. David O’Connell et al. (2008) beobachteten, wie eng der AQ mit dem Leisten-Können und dem Leisten-Wollen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verwoben ist.
Wie genau das vor sich geht und was im Einzelnen passiert, zeigen die kommenden Kapitel. Sie sind dabei immer eine Mischung aus Anekdoten aus dem Unternehmensalltag und aus wissenschaftlicher Erkenntnis, die diesen Anekdoten eine Fundierung gibt und sie nicht als bloße nette Geschichten in der Luft hängen lässt. Die Story macht den Kern der Sache greifbar. Die Wissenschaft gibt uns die Chance, Erlebnisse und Ergebnisse zu vergleichen. In den letzten Jahren, in denen ich mich mit dem AQ beschäftigt habe, habe ich dessen Auswirkungen auf mich und andere hautnah erlebt. Daher gibt es aus meiner Sicht aus beiden Bereichen Interessantes zu berichten. Das heißt, es wird jede Menge Material zu finden sein, das das Leben im 21. Jahrhundert nicht nur nachhaltig, sondern auch nachweislich angenehmer, erfolgreicher und lebenswerter macht. Es sei denn, Sie leben allein auf einer einsamen Insel; in diesem Fall können Sie versuchen, mithilfe dieses Buches ein Feuer anzuzünden.
Auch in Organisationen wird Anpassungsfähigkeit der heiße Scheiß. Im Flux Report, einer Befragung der Right-Management-Organisation aus dem Jahr 2014, sagen 91 % der HR-Leiter voraus, dass die Fähigkeit eines Bewerbers, mit ständigen Veränderungen umzugehen, eines der Hauptkriterien für die Einstellung sein wird.
Was aber viel ausschlaggebender ist und auch erklärt, warum es in den eigenen vier Veränderungswänden im Vergleich zum Büro so anders aussieht: Veränderung gelingt, wenn drei Dimensionen zusammenspielen. Marie Hennecke et al. (2014) nennen sie: Wollen, Können und Gewöhnung. Diese Trias findet sich in diesem Buch wieder: Das Wollen und Können wird durch den AQ abgebildet. Das Thema Gewöhnung schließlich findet sich im Schlusskapitel rund um die nachweislich erfolgreichen Wege, neue Gewohnheiten, Routinen und Verhaltensweisen zu entwickeln.
Alle wollen die Welt verändern, aber keiner sich selbst. – Leo Tolstoi
Flexibilität, Unvoreingenommenheit und die Bereitschaft, sich aktiv auf neue, unbeständige oder mehrdeutige Arbeitsumgebungen einzulassen, das macht Anpassungsfähigkeit aus. Beim AQ müssen wir zwei Modi unterscheiden. Der reaktive Teil des AQs bezieht sich darauf, dass wir uns selbst verändern, um eine Anpassung an die Arbeitsumgebung zu erreichen, zum Beispiel indem wir lernen. Das Ergebnis ist eine Art rekonfigurierbares Ich. Dieses wird aktiv, wenn wir uns an bereits geschehene Veränderungen anpassen (wir passen unser Verhalten an neue Konventionen und Regeln an), aber auch wenn wir uns an kommende Veränderungen anpassen (wir ändern unser Verhalten, um eher befördert zu werden).
Der proaktive Teil bezieht sich auf die Veränderung der Umgebung, um die Fehlanpassung zwischen dem Individuum und der Umgebung zu reduzieren, etwa durch Rolleninnovation. Wenn wir eine gute Passung zwischen uns und der Umgebung hinbekommen, führt das zu einer erhöhten Zufriedenheit und Leistung – und dazu, dass wir den Job schlicht mehr mögen und so länger bleiben. AQ zahlt sich also auch direkt für das Unternehmen aus. Bei diesem individuellen Umweltdesign verändern wir also unser Umfeld; wir gestalten die Abläufe in unserer Arbeit aktiv und individuell.
Different day, same shit. In der Vergangenheit hat diese Beständigkeit uns zu einem replizierenden Denken erzogen; oberstes Ziel war die Aufrechterhaltung von Routinen. Die Anforderungen blieben konstant, wurden höchstens nach oben geschraubt. Führen in solchen stabilen Zeiten war ebenso wie leisten wie ein überschaubarer Regelkreis. Wir kannten die Parameter, wir kannten die Mitarbeiter, Kollegen und Vorgesetzten. Wir fanden uns wunderbar zurecht. Dass in der Folge ein immer weiter fortschreitendes Navigieren zwischen Stabilität und Instabilität auf uns zukam, bemerkten wir seit der Jahrtausendwende. Heute? New day, different shit. Every day. Instabil ist das »Neue Normal«. Das Problem ist: Es funktioniert nicht. Warum?
Die Forderung nach der Ausbildung agilen Denkens und Handelns clasht mit der Ausstattung unserer Persönlichkeit. Denn die Fähigkeiten zum Umdenken, Anders-Denken und Neu-Denken sind eng mit einigen unserer zentralen, stabilen Persönlichkeitseigenschaften verbunden. Und die müssen sich verändern, damit wir uns verändern. Kein kleines Projekt für ein Unternehmen oder eine Führungskraft: Personality-Change.
Die Kernfrage lautet: Welche Anteile der Persönlichkeit, die mit unserer Anpassungsfähigkeit zu tun haben, sind veränderbar? Eines der Modelle dazu ist das OCEAN-Modell. Das Akronym steht für unsere fünf grundlegenden Persönlichkeitseigenschaften. Sie lauten: Offenheit (Openness), Gewissenhaftigkeit (Conscientiousness), Extraversion (Extraversion), Verträglichkeit (Agreeableness) und emotionale Stabilität (Neurotizism). Zu fragen ist dann: Welche dieser Eigenschaften hängen eigentlich mit unserer Anpassungsfähigkeit zusammen? Jedes Mal wenn ich diese Frage in Workshops stelle, ist die recht einhellige Antwort »Offenheit«. Liegt ja auf der Hand. Wer offen für Neues ist, ist auch offen für Veränderung. Das ist stringent. Das ist aber auch falsch. Tatsächlich zeigen Analysen des Persönlichkeitspsychologen Jason Huang et al. (2014), dass Offenheit gar keinen messbaren Einfluss auf unsere Anpassungsfähigkeit hat.
Wenn es aber nicht um die Offenheit für das Neue geht, worum geht es denn dann? Wenn wir auf Veränderung reagieren, ist emotionale Stabilität gefordert; wenn wir proaktiv auf Veränderung zugehen, sie sogar selbst erzeugen, wird diese durch unsere Extraversion befeuert. Die Krux ist, dass diese Persönlichkeitseigenschaften äußerst stabil sind. Sie lassen sich nicht formen wie Sand auf dem Spielplatz. Wenn überhaupt, wandeln sie sich eher mit der Geschmeidigkeit von Kontinentalplatten.
Die Medizinerin Mitzy Kennis et al. (2013) haben unsere Persönlichkeitseigenschaften u. a. im ventralen und dorsalen Striatum (Teil der Basalganglien, die zum Großhirn gehören) und im ventralen präfrontalen Kortex (PFC) verortet. Der zuerst genannte Bereich organisiert grob gesagt das Zusammenwirken von Motivation, Gefühlen sowie Wahrnehmungs- und Denkprozessen. Der ventrale PFC wiederum wird mit Regellernen, Inhibition und Bewertungsprozessen in Verbindung gebracht. In all diesen Bereichen ist inzwischen unter bestimmten Umständen das Neuwachsen von Nervenzellen nachgewiesen, beispielsweise im Rahmen einer Depression bzw. der medikamentösen Behandlung selbiger. Es kann sich also etwas tun, aber eher weniger im Gehirn eines gesunden Menschen.
Allerdings ist es bei gesunden Probanden auch sehr schwer, eine solche Veränderung zu messen. Denn dafür bräuchten die Kollegen aus der Neuropsychologie zwei Gruppen, die einander zu Beginn absolut ähnlich sind. Menschen, die dieser Definition gerecht werden, sind eineiige Zwillinge. Und tatsächlich gibt es solche Zwillingsstudien; auch mit Bezug zur Entwicklung der Persönlichkeit. Aber es gibt einfach keine Studien dazu, wie sich die Mitglieder einer größeren Gruppe an eineiigen Zwillingen, von denen jeweils einer ein Persönlichkeitstraining durchläuft und der andere so bleiben will, wie er ist, unterschiedlich entwickeln. Allein in der Therapie gibt es Zahlen, die Veränderungen in der Persönlichkeit aufgrund von psychotherapeutischen Interventionen nachweisen können. Richtungsweisender ist etwas, das der Persönlichkeitspsychologe Nathan Hudson »Volitional Personality Change« nennt, unsere willentliche Persönlichkeitsänderung. Die zugehörigen Studien zeigen tendenziell, dass wir in einem überschaubaren Rahmen und langsam in der Lage sind, unsere stabilen Persönlichkeitseigenschaften in die gewünschte Richtung zu ändern. Zumindest für eine kurze Zeit. Aber aus einem Dracula wird eben kein Gutmensch, nur weil er – oder seine Umwelt – es will. Joshua Jackson et al. (2012) berichten: Es lässt sich etwas an der eigenen Persönlichkeit drehen. Wie lange das anhält? Nicht ewig, wenn die Menschen nicht dranbleiben. Das belegen Julia Sander et al. (2017). Zwei Jahre nach einem erfolgreichen Persönlichkeitstraining waren die Veränderungen wieder verschwunden. Generell, so scheint es, ist Veränderung zwar möglich, aber praktisch schwierig. In unseren stabilen Persönlichkeitseigenschaften lauert also wenig Potenzial zur Erhöhung des AQs. Allerdings bestehen wir nicht nur aus stabilen Persönlichkeitseigenschaften, sondern auch aus weniger stabilen, die sich sehr deutlich beeinflussen lassen.
Psychologen unterscheiden hier zwei Begriffe: States (Zustände) und Traits (Eigenschaften). Traits sind über verschiedene Situationen stabil. Wir verhalten uns in unterschiedlichen Situationen recht ähnlich. Nicht immer, aber häufig. Traits sind mithin Eigenschaften unserer Persönlichkeit, die zu großen Teilen genetisch festgelegt sind, und darum lässt sich an ihnen nicht viel rütteln. Menschen können nicht durch ein Wochenendseminar ihre Augenfarbe oder ihre Größe beeinflussen. Auch die Intelligenz wurde bisher hier einsortiert. Doch heute ist sich die Forschung da nicht mehr so sicher – aber diese Überlegungen stehen schon in anderen Publikationen, u. a. auch in meinem Buch Denken lernen, und sollen daher hier nicht weiter ausgeführt werden. Traits prägen über viele Situationen unser Verhalten: Menschen haben im Januar meist die gleiche Augenfarbe wie an einem beliebigen Tag im Oktober; sie sind auch im Januar meist so herzlich zugewandt und gewissenhaft wie im Oktober.
Dann aber gibt es noch Persönlichkeitseigenschaften, die erst durch eine bestimmte Situation hervorgerufen werden. Sie bilden das Gegenteil der Traits und sind situativ stark veränderbar. Wir nennen sie States, Zustände. Unsere Stimmung nach dem Lottogewinn ist ganz anders als unsere Gestimmtheit bei einem platten Reifen auf dem Weg zur Lottoannahmestelle. Stimmungen, Gefühle, Gelüste, all dies kann sich schnell ändern. Es sind daher auch keine Eigenschaften, sondern eben Zustände.
Nun ist jedoch nichts in der Psychologie schwarz-weiß. Es gibt nicht entweder »stabile Eigenschaft« oder »situative Eigenschaft«. Vielmehr gibt es noch zwei Stufen dazwischen. Und das ist gut so. Wenn wir von Eigenschaften sprechen, die stabil, aber eben nicht so in Stein gemeißelt sind wie Größe und Augenfarbe, dann sprechen wir von »trait-like«. Diese Eigenschaften sind aber auch nicht so schwankend wie States, sondern noch recht stabil. In diese Kategorie fallen zum Beispiel unsere Fähigkeiten zum problemlösenden Denken oder unser Drang, Informationen zu verstehen und zu durchdringen.
Auf der »state-like«-Seite dieses Kontinuums tummeln sich diejenigen unserer Eigenschaften, die nicht so flüchtig sind wie eine Stimmung, die sich aber deutlich verändern lassen. Die Neugier ist eine solche Eigenschaft und eben auch die Anpassungsfähigkeit. Meine holländische Kollegin Karen van Dam, eine der führenden Adaptability-Forscherinnen, und Michel Meulders (2021) schreiben, dass unsere Anpassungsfähigkeit eine solche »state-like«-Fähigkeit ist, mit der wir auf Veränderung reagieren, und dass diese selbst sich sichtbar verändern, sogar nachweislich durch Erlebnisse im Beruf und im Rahmen von Trainings und Coachings verändert werden kann. Wir müssen uns also in dieser neuen Normalität nicht neu erfinden, wir müssen uns wiederfinden, und zwar genau die »state-like«-Persönlichkeitseigenschaften, die uns helfen, in dieser Welt mit Freude und Gelassenheit zu bestehen.
Gründe, das eigene Leben zu redesignen, gibt es gerade jede Menge. Das merkte auch eine Mitarbeiterin eines der größten Versicherer Deutschlands. Mitten in der Pandemie kam sie nach Frankfurt. Das Apartment war natürlich unmöbliert, gut, ein Bett stand schon drin. Aber von ihrer letzten Station im östlichen Teil dieser Welt hatte sie weder Tisch noch Stuhl mitgebracht. Und nun war ja nix mit Office. Bei ihr jedoch war eben auch nix mit Homeoffice. War ja alles geschlossen. Und so arbeitete sie vom Bett aus, bis der Rücken nicht mehr mitmachte. Das Leiden konnte sie nicht mehr verbergen, und so kam es, dass ein beherzter Kollege anrückte und ihr Tisch und Stuhl in das leere Apartment stellte. Proaktive Arbeitsplatzgestaltung in einer besonderen Situation ist eben nicht so selbstverständlich.
Und bei Ihnen? Ping. Eine neue Mail. Ping. Die Kurznachricht, mit der derselbe Absender nachfragt, ob ich die Mail schon gelesen habe. Ping. Die Voicemail, die schon auf meine noch nicht einmal gedachte Antwort reagiert. Ping. Der Terminreminder. Ping. Der LinkedIn-Kontakt. Ping. Ping. Ping am Arsch. Die Arbeitszufriedenheit befindet sich übrigens auch dort. Was setzt die Organisationspsychologie der Freudlosigkeit entgegen? Das sog. Job-Crafting. Die Idee dahinter ist, dass wir unsere Arbeit ein wenig »formen« können, wodurch die nervigen Dinge weniger groß und die lustigen Dinge größer werden. Das ist allerdings kein Entertainment-Paket, vielmehr geht es darum, dass wir aktiv gestalten, wie wir die Arbeit, die zu tun ist, tun.
Als mir im Jahr 2019 mein beruflicher Tagesablauf nicht mehr gefiel, habe ich ihn umgestellt und feste Zeiten für kreative und wissenschaftliche Arbeiten auf Basis meiner eigenen Energielevel erstellt. Als im März 2020 alles digital wurde, habe ich meinen Arbeitsplatz verändert: vom Biedermeiersekretär zu einem höhenverstellbaren Schreibtisch mit drei LCD-Bildschirmen. Da habe ich mal kurzerhand auch Job-Crafting gemacht. Eigentlich machen wir das alle, wenn wir proaktiv die Aufgaben- und Beziehungsgrenzen unserer Arbeitsplätze verändern. Wir gestalten unsere Arbeitssituation nämlich ganz besonders dann um, wenn wir aufgrund von Veränderungen eine verminderte Passung zwischen uns und unserem Arbeitsplatz wahrnehmen. Für Selbstständige ist es fast selbstverständlich, sich den Job so zu formen, wie es ihnen gefällt, und so mit mehr Freude und Leistungsbereitschaft an die Sache ranzugehen. Aber für Angestellte? Kaum möglich, oder? Frech ins Gesicht des scheinbar Unmöglichen lacht zum Beispiel Candice Walker, ihres Zeichens Hauswirtschafterin in einer amerikanischen Universitätsklinik. Die Psychologinnen Jane Dutton und Amy Wrzesniewski (2020) haben sie begleitet – beide forschen seit vielen Jahren zum Job-Crafting – und nachverfolgt, wie sie ihren Job so macht, dass er genau dieses Plus an Sinn und Erfüllung mit sich bringt. Für Candice besteht ihr Job nämlich nicht nur aus »aufräumen, putzen, nach dem Rechten sehen«. Stattdessen sieht sie ihre Arbeit in einem »Haus der Hoffnung« als Beitrag zur Gesundung der Menschen, sie versteht sich in einem gewissen Sinne weniger als Putzfrau und mehr als Heilpraktikerin. Durch diese andere Sichtweise hat sie beispielsweise dafür gesorgt, dass Dinge, die zur Neige gingen, schnell aufgefüllt oder ersetzt wurden, damit die Patienten das Gefühl hatten: »Hier ist alles unter Kontrolle« – und so entspannter und schneller genesen konnten. Auch den Menschen ließ sie so mehr Aufmerksamkeit zukommen. Sie sprach mit ihnen, besonders dann, wenn sie merkte, dass Schmerz, Angst oder Einsamkeit aufkamen. Und genau so funktioniert es, dieses »Ich-mach-mir-die-Welt-wie-sie-mir-gefällt«-Prinzip.
Wie funktioniert es im Alltag? Sie schauen sich eine für Sie typische Arbeitswoche an: Was sind da Ihre Aufgaben? Listen Sie diese spezifisch auf, und notieren Sie auch, was wie lange gedauert hat. Dann schreiben Sie hinter die Tätigkeit ein Minuszeichen, wenn sie Ihnen Energie genommen hat, und ein Pluszeichen, wenn sie Ihnen Energie gegeben hat. Nun kommt die Bilanz: mehr Plus als Minus? Haben Sie ein Stimmungsguthaben? Welche Energiekiller möchten Sie minimieren, welche Energiegeber möchten Sie verstärken?
Und nun geht es ans Crafting. In dessen Anwendungskern stehen vier Fragen: Was können Sie anpassen, mehr oder weniger tun? Was können Sie ändern, indem Sie es mit anderen gemeinsam machen? Was können Sie anders sehen, zum Beispiel indem Sie darauf blicken, welchen Wert diese Tätigkeit für das Team, die Abteilung oder die Firma hat? Was können Sie tun, damit die Umgebung die Ausführung einer weniger energiegebenden Tätigkeit angenehmer macht?
Mit diesen Crafting-Fragen fangen Sie an, Ihr Arbeitsumfeld und Ihre Arbeitsaufgaben zu gestalten, zu »craften«. Fokussieren Sie zunächst ein oder zwei Sachen, die entweder eine schnelle, deutliche Veränderung mit sich bringen oder die einfach zu ändern sind. Dieses Anpassen der äußeren Umstände an die eigenen Bedürfnisse ist einer der stärksten Treiber unserer Arbeitszufriedenheit. Umgestaltung for fun sozusagen. Aber es ist nicht nur Fun allein. Veröffentlichungen aus den letzten 20 Jahren zeigen, wie sehr dieses gezielte Anpassen unseres Umfeldes an unsere Bedürfnisse unser Leben und Wirken positiv beeinflusst.
All failure is failure to adapt. – Max McKeown
Stephen Hawking meint, »Intelligenz ist die Fähigkeit, sich an Veränderungen anzupassen«. Der AQ ist ein Schlüsselelement, um in unserer dynamischen, sich ständig verändernden Welt zurechtzukommen bzw. erfolgreich zu sein, und als solches ist Anpassungsfähigkeit im Leben eines jeden wichtig, sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld. Wie also sieht es mit dem beruflichen und privaten AQ aus?
Berufliche Anpassungsfähigkeit beruht auf drei Teilelementen: Sie betrifft den kognitiven, den affektiven und den verhaltensbezogenen Bereich. Mit diesen stellen wir uns im Beruf effektiv aufgabenbezogenen und umweltbedingten Anforderungen. Ja, richtig geahnt, diese Definition trifft auf eine ganze Menge an Situationen im Beruf zu. Wenn die Organisation (mal wieder) umstrukturiert wird, wenn wir in ein neues Unternehmen eintreten oder wenn wir die Karriereleiter weiter erklimmen. Die Chancen stehen gut, dass jeder von uns gerade mindestens eine dieser drei Situationen erlebt oder am Horizont auftauchen sieht.
Firmen wünschen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Lust auf Leistung mitbringen. Wenn sie solche Menschen finden, möchten sie ihnen natürlich nach Möglichkeit die optimale Stelle im Unternehmen zugänglich zu machen. Das nennt sich Person-Job-Fit. Was bringen wir als mögliche Kandidaten mit? Unser Können, unsere Kompetenzen und unser Wissen. Das steht in der Vita, danach werden wir im Vorstellungsgespräch gefragt. Aber, Hand aufs Herz, wer von uns wurde jemals gefragt: »Für wie selbstwirksam halten Sie sich eigentlich?« Oder etwas indirekter: »Wie sehr trifft folgender Satz auf Sie zu: Schwierigkeiten sehe ich gelassen entgegen, weil ich mich immer auf meine Fähigkeiten verlassen kann‹ oder ›In unerwarteten Situationen weiß ich immer, wie ich mich verhalten soll‹, sagen wir auf einer Skala von 1 bis 7?« Eher nicht?! Keine Bange, das ist die Realität. Die Recruiter in Unternehmen suchen Humankapital, weil sie das so gelernt haben. Keiner sucht nach AQ; weil kaum einer sie kennt und weiß, wie wichtig sie gerade wird.
Ein Beispiel: Ein Unternehmen der Produktionsbranche hat sich die Aufgabe gestellt, ein »resilientes Unternehmen« zu werden, also ein wenig provokant formuliert: Alles wird noch schneller anders, aber das Unternehmen wird so gepimpt, dass es das hinbekommt. Daher werden neue Methoden eingeführt, die schnellere Entwicklungszeiten oder kundennähere Entwicklungsprozesse enthalten. Und die Suche richtet sich dann auf Mitarbeitende, die Scrum kennen und »agil« können. Wenn sie das nicht können, wird es ihnen halt beigebracht. Aber von einer Art der Leistung, die diese Menschen über Jahre erbracht haben und für die sie ausgebildet wurden und für die sie die mentalen Ressourcen mitbringen, zu einer anderen zu wechseln, die zum Teil gegenteilige geistige Fähigkeiten verlangt, das macht etwas mit den Menschen. Was? Wenn das Scrum-Team-Mitglied am Morgen die gestern hart erarbeiteten Ergebnisse in die Tonne kloppen muss und mit den Worten »Ist ja nur Prototyping für das Minimum Viable Product« fröhlich wieder von vorne anfangen soll, obwohl er oder sie eigentlich in der Stimmung ist, auszuprobieren, ob der Scrum-Master mit seinem Kopf den Locher auffangen kann, dann spätestens taucht die Frage auf: Welche mentalen Ausgleichsgewichte benötigen wir, damit uns das eben nicht passiert und wir in Unternehmen auch im 21. Jahrhundert leistungsbereit und -fähig sind?
Außerdem kann ich hier auch spannende Ergebnisse zu den privaten Auswirkungen der Anpassungsfähigkeit berichten. Das ist auch alles andere als verwunderlich. Warum sollten wir Fähigkeiten und Eigenschaften, die wir im Büro individuell nutzen und mit denen wir erfolgreich sind, verlieren, sobald wir auf unsere Familie und Freunde treffen? Diese Überlegung haben übrigens nicht nur wir gehabt und daher gibt es auch hier ein paar lesens- und bedenkenswerte Ergebnisse zu berichten.
Unsere Anpassungsfähigkeit zeigt sich u. a. in unserer Neigung, Probleme kreativ zu lösen und mit Situationen durch innovative Mittel umzugehen. Kreativität ist Anpassungsfähigkeit in Reinform. Es ist unsere Anpassungsreaktion, mit deren Hilfe wir Lösungen ersinnen. Und obwohl Persönlichkeitspsychologen sich schon immer und immer wieder gefragt haben, was eine kreative Persönlichkeit ausmacht, werden erst jetzt wirklich belastbare Ergebnisse zutage gefördert. Neben der Offenheit für neue Erfahrungen beobachteten J. Craig Wallace et al. (2016), dass der sog. regulatorische Fokus eine entscheidende Rolle spielt. Das ist die Art und Weise, wie wir Menschen uns einer Lösung nähern. Wir können das entweder mit Vollgas und dem Mindset »Wo gehobelt wird, fallen Späne« machen, das ist der Promotionsfokus, oder aber mit dem Mindset »Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste«, das ist der Präventionsfokus. Der Unterschied besteht in der Bereitschaft, Risiken einzugehen. Diese wiederum ist zentral für den AQ. Um das genauer zu betrachten, luden Forscher 346 Mitarbeiter zweier Unternehmen aus der Elektro- und Klempnerbranche ein. Diese wurden in 75 Arbeitsgruppen mit 75 verschiedenen Vorgesetzten aufgeteilt. Obwohl der Innovationsbedarf bei dieser Art von Arbeit vielleicht nicht offensichtlich ist, sucht die Branche routinemäßig nach effizienteren wie auch nach »grüneren« Methoden. Über drei Monate begleiteten die Forscher diese Teams, die von kleinen Zwei-Personen-Teams bis hin zu 18-köpfigen Gruppen reichten. Die Ergebnisse waren sichtbare Zusammenhänge zwischen dem Promotionsfokus, also dem risikobereiten Auf-das-Ziel-Zuarbeiten, und den kreativen Ergebnissen. Einfach gesagt: Je mehr AQ, desto mehr Kreativität. Aber es bleibt nicht bei der Ideensammlung allein.