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Neugier ist eine unserer wichtigsten Eigenschaften. Neugierige Menschen sind offener für neue Erfahrungen, lernen schneller, arbeiten gewissenhafter, haben originellere Ideen und mehr positive soziale Erlebnisse, sie sind erfolgreicher und leben länger. Neugier wurde bereits 2016 vom World Economic Forum an die Spitze der Liste der Charaktereigenschaften des einundzwanzigsten Jahrhunderts gewählt und aktuell wird an den ersten neugierigen KIs gearbeitet. Sie Neugier taucht aber nicht von selbst im Büro oder Home-Office auf. Sie braucht benötigt einen inneren Antrieb sowie ein . Und sie braucht ein stärkendes Umfeld. Carl Naughton beweist, dass Neugier erlernbar ist, erklärt die Neugierbooster und zeigt, wie man den kontraproduktiven Wunsch, Unsicherheit möglichst schnell loszuwerden, aushebeln kann. Das erste populäre Buch zu einer entscheidenden menschlichen Eigenschaft.
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Das Buch
Worum geht es?
Neugier ist eine unserer wichtigsten Eigenschaften. Neugierige Menschen sind offener für neue Erfahrungen, lernen schneller, arbeiten gewissenhafter, haben mehr positive soziale Erlebnisse, sind erfolgreicher und leben länger. Carl Naughton beschreibt auch Neugierhemmnisse, u.a. den »Need for closure«. So nennt man den Wunsch, Unsicherheit möglichst schnell loszuwerden. Dieser führt dazu, die Suche nach neuen Informationen früh zu beenden und in Stereotypen zu denken. Aber die gute Nachricht lautet: Neugier ist erlernbar.
Was ist besonders?
Das erste populäre Buch zu einer entscheidenden menschlichen Eigenschaft. Mit dem wissenschaftlich erprobten WORCS-Neugier-Test.
Der Autor
Carl Naughton ist ausgebildeter Schauspieler, Vortragsredner und promovierter Linguist. Von 2003 bis 2012 hat er an der Universität Köln geforscht und gelehrt. Seit über 14 Jahren steht er vor der Kamera (u.a. als Sketchpartner von Harald Schmidt) und auf der Bühne.
Carl Naughton
NEUGIER
So schaffen Sie Lust auf Neues und Veränderung
Econ
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ISBN 978-3-8437-1252-1
© 2016 © der deutschsprachigen Ausgabe 2016 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Redaktion: Michael Schickerling, schickerling.cc, München Umschlaggestaltung: FHCM GRAPHICS, Berlin Umschlagfoto: © Raquel Davila Esposito
E-Book: L42 Media Solutions Ltd., Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Sie finden diesen Test auch im Internet unter http://www.carlnaughton.de/stroop/ Graphiken: © Gertrud Kemper, nach einer Graphik von J. Ridley Stroop
Man sollte weniger neugierig auf Menschen sein als auf Ideen. Marie Curie
Interessier mich:
Es geht uns doch eigentlich allen darum, am Ende des Tages die Dinge besser geregelt zu bekommen. Und genau das bekommen neugierige Menschen besser hin. Denn Neugier ist der Drang, Unsicherheit aufzulösen und das Unerwartete zu erklären – und dieser Drang hilft uns: im Alltag, im Business und in unseren Beziehungen.
Neugier ein Phänomen, das sich zu erforschen lohnt. Was man konkret davon hat? Als erste Antwort kann ein geflügeltes Wort herhalten: »Neugier ist der Wunsch, nachher schlauer zu sein als vorher.« Wohingegen Vorsicht die Hoffnung ist, vorher schlauer zu sein als nachher. Alles klar? Etwas gehaltvoller: Die Welt um uns herum mit einem offenen Geist zu betrachten ist etwas, das viele Menschen verlernt haben, obwohl wir alle mit dieser Anlage auf die Welt gekommen sind. Auf den Punkt gebracht hat es der Neugierforscher und Psychologe Silvan Tomkins bereits 1962:
»Die Wichtigkeit von Neugier für das Denken und das Gedächtnis ist so extensiv, dass deren Abwesenheit die intellektuelle Entwicklung nicht weniger als die direkte Zerstörung von Hirngewebe gefährden würde. Es gibt keine menschliche Kompetenz, die erreicht werden kann in der Abwesenheit eines anhaltenden Interesses.«1
Schon seit 1800 untersucht die Forschung diese automatische Update-Funktion in unserem Kopf, jedoch insgesamt etwas schleppend – es gibt also weder besonders viel Literatur noch eine Menge Studien oder Experimente. In den 1960er und 1970er Jahren gab es zwar ein kleines Interessenhoch in der Psychologie, doch erst in den letzten zehn Jahren entstandenwirklich spannende Ergebnisse zu der Frage, was Neugier ist, was sie anrichtet oder ausrichten kann und wie sie funktioniert. Die Ergebnisse können bei näherem Hinschauen einiges in unserem beruflichen und privaten Leben verändern. Diese Beschäftigung lohnt sich, denn selten war es so wichtig zu wissen, wie wir bei uns selbst und bei anderen die Aufmerksamkeit regulieren und dirigieren – vor allem in der Anwesenheit neuer Umgebungsreize. So viel zu meiner Motivation, dieses Buch zu schreiben.
Nun stellen Sie sich natürlich zu Recht die Frage: Wie kommt denn ein pädagogischer Psychologe zur Neugier? Zuerst schreibt er ein Buch über das Arbeitsgedächtnis, den Muskel für das alltägliche Denken, und dann schreibt er über Neugier? Wo ist der Zusammenhang? Die Logik dahinter ist so einfach, wie die Forschungsergebnisse unbekannt sind: Es gibt Studien,2 die einen Zusammenhang zwischen fluider Intelligenz (die bei uns für Fähigkeiten wie Problemlösung, Lernen und Mustererkennung zuständig ist) und unserem Neugierverhalten sehen. Diese zeigen: Personen mit hohen Werten bei einschlägigen Intelligenztests haben die Fähigkeit zu schnellem Denken und schlüssigem Argumentieren, die Fähigkeit, Beziehungen zu sehen und schnell zu evaluieren, und sie können darüber hinaus komplexe Probleme lösen und effizient lernen.3 Darum ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass solche Menschen in Situationen, in denen solche Fähigkeiten gefragt sind, reüssieren. Und mit Neuem und Unbekanntem umzugehen, fordert genau diese Fähigkeiten ein. Nun sind die Daten für solche großen Aussagen recht jung und die Erkenntnisse der Langzeitstudien stehen noch aus, aber der Gedanke einer starken Korrelation ist nicht von der Hand zu weisen. Und da schließt sich der Kreis: Darum ist der Weg meiner persönlichen Interessenlage als Autor vom guten Denken hin zur Neugier ein kurzer.
Trotz der recht jungen Forschungslage gehe ich sogar noch einen Schritt weiter, denn ganz aktuelle Untersuchungen scheinen einen »wahnsinnigen« (im Sinn von interessant und wichtig) Weg sichtbar zu machen: Neugier könnte unser grundlegender Motor hinter Intelligenz, Weisheit, Zufriedenheit, Sinnstiftung, Veränderungsbereitschaft und Beziehungsglück sein. Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, aber mir reicht das als Motivation für mehr als ein Buch …
Meine persönliche Neugier wurde entfacht durch einen kuriosen Wissensmangel über die Bedeutung von Neugier im beruflichen und privaten Alltag. Immer wieder gab es in der Literatur den Hinweis darauf, wie wichtig die Neugier ist. Aber eine Evaluierung des Themas oder gar Anregungen und Lösungen für den Alltag? Fehlanzeige! Darum habe ich mich auf die Suche gemacht nach konkreten und nützlichen neugierfördernden Strategien, Interventionen und Lösungen.
Fangen wir mal mit den guten Nachrichten an: Jeder verfügt über Momente, in denen er neugierig ist. Worin sich Menschen unterscheiden, sind die Häufigkeit, die Intensität, die Länge und das Ausmaß dieser Neugiermomente. Und noch mehr gute Nachrichten, damit Sie weiterlesen: Abhängig davon, wie oft Sie Ihre Neugier einsetzen oder zulassen: Wenn sie getriggert wird, kann sie Ihr Leben wandeln: Sie entdecken mehr, finden mehr heraus und wachsen auf eine tiefgreifende Art und Weise, anders als Ihre weniger neugierigen Mitmenschen.4
Studien zeigen: Neugier erleichtert die Anpassung an ein verändertes Umfeld und im so entstandenen Neuland auch das proaktive Verhalten.5 Wenn es um die Einführung neuer Techniken, um Arbeits-Redesign, Strategieveränderungen, Merger und Restrukturierungen geht, also um Dinge, die uns im Alltag begegnen und vielleicht auch Angst machen, zeigt sich sogar eine negative Korrelation zwischen Neugier und persönlicher Verletzbarkeit. Sprich: Neugierige Menschen sind angstfreier, anpassungsfähiger und resilienter.6 Gut belegt ist das zum Beispiel an Expats, also an Menschen, die für ihren Job ins Ausland gehen.7
Wir Menschen sind grundsätzlich neugierige Wesen. Wir widmen einen Großteil unserer Energie, unserer Zeit und unseres Hirnschmalzes den Dingen, die uns interessieren. Und immer dabei kommt die Frage nach der Motivation ins Spiel, etwa von außen durch monetäre Trigger: Wie viel Geld müsste man wohl in die Hand nehmen, um einen Menschen dazu zu bringen, sich die Spielernamen des Fußballvereins SpVgg Greuther Fürth zu merken? Oder eine vierbändige Enzyklopädie über dänische Möbel zu erstellen? Oder das Banjospielen zu lernen? Wenn wir etwas wissen wollen, brauchen wir keine externe Motivation, sondern werden durch unser Interesse angetrieben. Auch dazu gibt es wieder eine Studie, die genau das zeigt: Als Quelle der intrinsischen Motivation spielt Interesse eine starke Rolle im Wachsen von Wissen und Expertise.8
Dieses Buch will neugierig machen. Darauf, wie man sich selbst und andere wieder für Neues begeistert. Denn neugierig zu sein dreht sich um das Erkennen des Neuen, das Wahrnehmen der guten Gelegenheiten und des Sinngehalts. Es geht darum, wie wir zu unseren Gedanken und Gefühlen stehen. Ohne Neugier wären wir unfähig dazu, unsere Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten, würden Risiken meiden wie der Teufel das Weihwasser und es per se und direkt verwerfen, uns in herausfordernde Situationen zu begeben – kurz, wir würden uns unserer intellektuellen Entwicklung weitgehend enthalten. Wir würden auch generell davor zurückscheuen, neue Kompetenzen zu erwerben. In einem Wort: Wir würden stagnieren.
Dieses Buch hilft Ihnen, eine solche Entwicklung zu verhindern. Es lockert Ihre persönlichen Bremsen und lässt den Motor der Neugier zu seiner Höchstleistung auflaufen. Es kann also passieren, dass Sie im Verlauf der Lektüre Dinge machen, die Sie zuvor nie für möglich gehalten hätten. Ihnen werden Gedanken wie »Das will ich auch mal ausprobieren!« oder Gefühle wie »Das ist ja spannend!« kommen. So viel zu den Risiken und Nebenwirkungen der Lektüre.
Neugier hilft uns, Erfahrungen und Bedeutungen zu extrahieren und zu integrieren. Das ist der Kern unseres Neugiersystems: Es will zu unserem bestehenden Wissen neue Fähigkeiten und Kompetenzen hinzufügen. Dabei ist die Neugier nicht so sehr ergebnis-, sondern mehr erlebnisgetrieben. Neugier, so könnte man sagen, ist der Wunsch nach Kompetenz ohne Exzellenz. Das klingt doch sehr gesund und angenehm in den Ohren, vor allem, wenn neben Ihnen mal wieder so ein »Das-Beste-oder-nichts-Typ« sagt, es gebe keine zweiten Plätze, die belohnt werden. »Gähn!«, werden Sie dann in Zukunft denken, denn der Prozess von Erregung und Befriedigung, in dem die Belohnung daher kommt, dass man etwas macht, und weniger vom Ergebnis, hebelt den Leistungsdruck aus. Neugier ist der Wunsch nach Information in der Abwesenheit einer externen Belohnung.
Neugier dreht sich auch nicht darum, dass ich einer Sache Aufmerksamkeit schenke, sondern wie ich ihr Aufmerksamkeit schenke. Das gilt für die Wissenschaft, die Technologie, die Arbeit, das Geschäftsleben, die Bildung, die Politik, die Kunst, die Introspektion, die persönliche Entwicklung und für Beziehungen. So, und jetzt sind Sie hoffentlich hinreichend neugierig auf den Rest des Buchs!
Habe ich nun vielleicht Ihre Neugier darauf geweckt, wo die Neugier eigentlich herkommt? Fangen wir vorne an: Aus archäologischer Sicht hat die Neugier einen klaren Startpunkt – und der war vor achthunderttausend Jahren. Plötzlich entdeckte, erfand und entwickelte der Urmensch Dinge, die ihm zuvor egal, verwehrt oder unmöglich waren: etwa den Speer, der selbst bei Olympia im Jahr 2016 noch genau in der Form genutzt werden wird, wie er damals erfunden wurde. Der Urmensch begann, sein Jagdwild zu schlachten, wie es heute noch der Metzger um die Ecke macht, und er zähmte das Feuer – die Mutter aller Erfindungen. Ohne Feuer kein Kochen, ohne Kochen keine haltbaren Speisen, ohne haltbare Speisen kein Fortkommen. Sie lesen dieses Buch doch auch in einem gemütlichen Zimmer und nicht in einer Höhle?
Mit etwas Weitblick könnte man die steile These wagen, dass damals etwas in die Welt kam, das für Menschen im 21. Jahrhundert, dem Zeitalter der Kopfarbeiter, zu den grundlegenden Erfolgsfaktoren zählt: der Drang nach neuem Wissen und Können. Die Lust auf Neues und Veränderung. Die Neugier. Bezogen auf unsere Arbeitswelt sprechen Personalpsychologen von einem »motivationalen Effekt«.9
Der Harvard Business Manager schrieb 2012,10 dass mehr als 70 Prozent aller Veränderungsinitiativen scheitern. Einer der Hauptgründe: Die Menschen interessieren sich nicht dafür, sie anzuschieben oder durchzusetzen. Evolution, Wandel, Change – nennen Sie es, wie Sie wollen: Veränderungen rangieren in der Beliebtheitsskala bei den meisten Menschen noch hinter Kopfläusen. Wenn Sie Wandel auch nur erwähnen, beschlägt den Leuten schon die Brille.
Dabei ist unser Gehirn eigentlich auf Neues programmiert und die Neugier tief in allen Lebewesen verankert. Selbst Vögel haben ein Neugier-Gen,11 das beispielsweise zuständig ist für die Erschaffung von Dopamin-Rezeptoren. Vögel mit einer spezifischen Variante des Dopamin-Rezeptors D4 legen ein stärkeres Erkundungsverhalten an den Tag, suchen häufiger neue Gegenden auf und schauen sich unbekannte Gegenstände in ihrem Käfig ziemlich genau an. Aber okay, das ist Federvieh. Und einen Vogel haben hin oder ein Vogel sein her: Gilt das vielleicht auch noch für weitere Spezies? Ja, es gilt zum Beispiel auch für Schweine. Der Lernpsychologe Werner Stangl fasst es wie folgt zusammen:
»Junge Hausschweine bevorzugten den Auslaufstall, in dem immer ein neues Objekt lag, und betraten später den anderen Stall, wo immer dasselbe Objekt lag, nicht mehr. Offensichtlich findet eine Sättigung statt. Erst durch eine Veränderung oder durch eine Konfrontation nach einer Pause erlangt das Objekt der Neugierde wieder seine Neuheit zurück.«12
Und Affen können das auch. Aber: Sieht etwa ein Affenhirn einen Gegenstand zum ersten Mal, werden zunächst Neuronen aktiv, die hemmend wirken. Wie jetzt? Wenn ein Affenhirn etwas Neues sieht, zieht es die Handbremse? Ja, es feuern nämlich in so einer Situation zunächst hemmende Neuronen. Bei bekannten Infos oder Bildern etwa geht es jedoch auf Tempo – dann feuern die aktivierenden Neuronen.
Das scheint nun völlig kontra-intuitiv, allerdings nur auf den ersten Blick. Denn Luke Woloszyn und David Sheinberg von der Brown University in Providence13 haben dafür eine gute Erklärung parat: Dieses Zurückschalten ins langsamere Tempo (»Inhibition« oder »Hemmung« nennen es die Kollegen) scheint den Lernprozess einzuleiten – also erst betrachten, dann erforschen. Und so reagieren die Hirne der Makakenaffen im Versuch immer wieder gleich: Wenn eines der 125 Bilder, die sie zu sehen bekamen, neu war, bremste das Hirn; wenn das Bild bekannt war, nahm es sein »normales« Tempo wieder auf. Die Tatsache, dass wir viel mit den Primaten teilen, ist nicht wirklich neu. Und so haut es einen nicht vom Hocker, wenn die Parallele greift und dieses Prinzip »Erst mal stopp! Das ist neu!« auch für das menschliche Hirn gilt.
»Neugier ist Opium in den Augen«, hieß es im American Scientist 200614 in Anlehnung an Karl Marx. Aber wenn der Fokus auf das Neue so fest verdrahtet ist, warum gilt dann doch ein wenig überraschend die Erkenntnis vom Kapitelanfang, dass wir uns anscheinend mit der Veränderung so schwertun? Dieser Frage werden wir in Kapitel 5 nachgehen. Häufig haben wir es nämlich mit veritablen Neugierhemmern und -bremsen zu tun, die uns daran hindern, unseren »Neugiertrieb« auszuleben – und das, obwohl Neugier einer der fundamentalen Mechanismen des biologisch basierten Belohnungssystems und der intrinsischen Motivation ist.15 Das steckt ja schon im Wort selbst drin. Die »Gier« – zugegeben wirklich ein Wort mit einem schlechten Marketing – drückt es eigentlich recht adäquat aus: Unserem Gehirn gelüstet es nach Neuem.
Neue Erfahrungen erzeugen regelrecht Hochstimmung im Hirn. Ein Rätsel erfolgreich zu lösen erzeugt ein ähnliches Neuronenfeuer wie Schokolade oder Sex. Das belegt Irving Biedermann von der Southern-California-Universität. Und das unsittliche Verhalten im Oberstübchen geht sogar weiter: 2006 schrieb der Forscher im erwähnten Artikel im American Scientist, dass es im Auge ganz besondere »Neuheitsdetektoren« gibt. Das sind Nervenzellen, die körpereigene Opiate herstellen. Und das regt wiederum die Nervenzellen weiter hinten im Hirn an, die mit dem Lernen verbunden sind. Bei bekannten visuellen Informationen verhalten die sich dann also eher still.
Diese Reaktionsweise ist recht universell. Bei bekannten Objekten zeigen alle Lebewesen ein Nachlassen der Neugier. Bekanntes erzeugt weniger Aufmerksamkeit. Unser Hirn will etwas rausfinden, um mentale Strukturen aufbauen zu können. Und diese brauchen wir zum erfolgreichen Handeln. Neugier ist ein Motivationssystem, das originär und biogen, also vom Ursprung her, in uns angelegt ist.
Das liegt auch daran, dass wir Menschen zu den flexibel lebenden Wesen gehören. Wir existieren nicht in einer kleinen Nische, wir sind wenig an die Umwelt angepasst. Ohne Kleidung würden wir erfrieren, ohne Werkzeuge können wir unsere Umwelt nicht manipulieren, ohne Feuer könnten wir nachts nicht sehen. Solche Lebewesen müssen neugierig sein. Der Grund liegt auf der Hand: Nur so kann eine Spezies rausfinden, was ein Vorteil und was eine Gefahr ist. Und je höher die kognitiven Funktionen der Spezies entwickelt sind, umso mehr Neugierverhalten ist drin im Oberstübchen.
Dies hat sich nachhaltig in unseren Neuronen niedergeschlagen. Michael Cohen und Bernd Weber16 von der Universität Bonn legten einige Vertreter unserer Spezies in einen Magnetresonanztomographen (MRT), um diesen Zusammenhang zu erforschen. Die Teilnehmer der Studie waren neugierige Menschen, also solche, die aus irgendwelchen Gründen öfter ein neues Telefon haben wollten, oder solche, die tatsächlich aus Langeweile den Beruf wechselten. Sie fanden heraus, dass es bei diesen Menschen durch die Bank eine gute Verbindung zwischen ventralem Striatum und Hippocampus zu geben scheint. Das ventrale Striatum ist ein Verbund aus Nucleus accumbens, Nucleus caudatus und Putamen und der Sitz eines Teils unseres Belohnungszentrums. Der Hippocampus wiederum ist für unser Gedächtnis mit zuständig. Bei Neugierigen ist also die Kommunikation zwischen Belohnung und Lernen irgendwie intensiver – die verantwortlichen Regionen im Gehirn sind besonders gut miteinander verbunden.
Das als Hintergrundinformation, denn über den Aufbau unseres Gehirns wurden schon so viele Blätter Papier beschrieben, dass eigentlich jeder gesunde Baum den Lebensmut verlieren müsste. Deswegen soll an dieser Stelle unser Fokus nun zur Praxis und zum praktischen Nutzen der Neugier wechseln.
Die Hirnforschung wird oft bestaunt und bemitleidet zugleich. Jeder staunt über die Bilder, die den Blick ins arbeitende Gehirn erlauben. Schwer wird es immer dann, wenn es um den Transfer dieser Bilder und um ihre Bedeutung für den Alltag geht: Was will uns der Scanner mit diesen Bildern bloß sagen? Eine schwierige Frage – und doch gibt es Hirnforscher, die diesen Bogen gekonnt schlagen.
Ein schönes Beispiel für den Praxis-Transfer der Hirnforschung in unseren Alltag ist die 3E-Regel, von der zum Beispiel Ernst Pöppel 2008 auf einem Vortrag im Rahmen des Neuromarketing-Kongresses in München berichtet hat. Diese Regel steht für die Lieblingsarbeitsweise unseres Gehirns. Michaela Blaha17 etwa hat diese in einem Versuch mit ihrem Team aus Germanisten der Uni Bochum sehr gründlich untersucht. Hier als Beispiel zuerst ein Text, der vollends gegen die 3E-Regel verstößt:
»Nach der neuen Hessischen Bauordnung (HBO 2002) handelt es sich entsprechend der Anlage 2 über baugenehmigungsfreie Vorhaben nach § 55 HBO Ziffer 1.16 bei Dachaufbauten auf bestehenden Gebäuden um baugenehmigungsfreie Bauvorhaben, die allerdings den Vorbehalten des Abschnitts V Nr. 1 und 3 unterliegen.«18
Was löst das bei Ihnen aus? Sie haben kein gutes Gefühl? Und nichts verstanden, geschweige denn eine Ahnung, was zu tun ist? Tja, willkommen im Klub! Blaha und ihr Team machten sich die Sprachentrümpelung zur Aufgabe. Der identische Inhalt des Textes, getunt und gepimpt für eine optimale 3E-Verarbeitung im Gehirn, sieht so aus:
»Sehr geehrte Frau X, Sie sind Eigentümerin des Grundstücks Y. Auf dem Dach Ihres Gebäudes haben Sie eine Gaube errichtet. Dafür benötigen Sie zwar keine Baugenehmigung. Allerdings hätten Sie uns die Baumaßnahme trotzdem ankündigen müssen. Wir müssen solche Maßnahmen prüfen (HBO 2002, § 55 1.16, Abschnitt 1 und 3).«
Aha! Jetzt verstehen Sie sicher mehr, oder? Klar, der Text ist noch nicht sexy im klassischen Sinne, aber gibt dem Leser doch ein viel besseres Gefühl, ist im Vergleich zum ersten deutlich einfacher zu verarbeiten, und jeder weiß, was zu tun ist. Das ist Informationsfluss nach der 3E-Regel. Überraschenderweise sehen das sogar die Ämter inzwischen so. Damals, nach dem Versuch, bestätigte nämlich das Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Speyer, dass aufgrund der getunten Schreiben die Zahl an Rückfragen restlos verwirrter Bürger deutlich zurückgegangen war. Was also ist das Geheimnis der drei E?
–E wie »easy access«: Was einfach zu bekommen ist, wird vom Gehirn bevorzugt. Informationen, die schwer zu bekommen sind, deren Erhalt mit mentaler Arbeit verbunden ist, finden unsere grauen Zellen nicht ganz so prickelnd.
–E wie »effortless processing«: Der Zugriff sollte ebenso einfach wie die Verarbeitung sein. Pöppel sagte sinngemäß: Je einfacher eine Information zu verarbeiten ist, desto eher verarbeitet das Gehirn sie. Anstrengungslosigkeit ist der Wunschzustand unseres Hirns. Das bekommen wir so natürlich nicht mit. Was wir über die Sinneskanäle aufgenommen haben, vergleicht unser Arbeitsgedächtnis mit Informationen, die wir bereits im Kopf haben. Dabei bewertet es diese permanent. Unsere Aufmerksamkeit fokussiert dann auf das, was wichtig ist. Alles andere wird als bedeutungslos gekennzeichnet und zurückgehalten. Nur was so als interessant gekennzeichnet wurde, wird überhaupt weiterverarbeitet.
–E wie »efficient action«: Alle Lebewesen, so auch wir, sind im Laufe der Evolution darauf programmiert worden, effizient zu handeln. Unser Gehirn ermöglicht das durch die Informationsaufnahme und -verarbeitung. Das ist die Basis für unser Handeln. Das Ziel unserer Handlungen wiederum ist einfach gesagt das Erreichen von Zielen oder, anders ausgedrückt, Bedürfnisbefriedigung. Das ist das Ende. Danach wird eine Aufgabe im Hirn als abgeschlossen betrachtet.
Mit dieser Erkenntnis hat sich zum Beispiel Apple auseinandergesetzt. Die Computerliebhaber aus Cupertino kennen die 3E-Regel sogar so gut, dass sie sie manchmal gezielt nicht einsetzen. Denn was sie in ihrem Design sehr hochhalten – nie mehr als nötig –, nutzen sie beispielsweise nicht in ihren Geschäftsbedingungen. Apples »Terms of Service« umfassten 2010 viel mehr Wörter als erforderlich, genauer gesagt 4.137. Die meisten von uns wissen das allein schon vom Weggucken – also nicht die genaue Zahl, aber dass es deutlich zu viele sind. Wir schauen nämlich automatisch weg, wenn wir mit einem solchen Text konfrontiert sind – und der Grund dafür ist der Verstoß gegen die 3E-Regel.
Weil wahrscheinlich viele Menschen einfach nur wegschauten, sah Apple etwas später wohl das Licht – und Gregg Bernstein von der Georgia State University in Atlanta bekam den Auftrag, sich der Sache anzunehmen. Der Forscher verschlankte die Inhalte in den Geschäftsbedingungen auf nur 381 Wörter. Wow! Er zog sogar einen Juraprofessor zu Rate, um sicherzustellen, dass durch die Verkürzung nichts verlorenginge oder rechtlich angreifbar würde. Und wie reagierte Apple? Nun, schauen Sie selbst – die Zahl der Wörter beträgt heute im Jahr 2016 genau 14.949.19 Quel dommage! Apple kennt die Regel und wendet sie gezielt nicht an.
Interessant ist Apples Nutzung der 3E-Regel auch, wenn es um die Werbung des Konzerns geht. Nicht nur, dass Apple dort (manchmal) die 3E-Regel perfekt umsetzt; das Unternehmen fügt ihr mitunter sogar eine vierte Regel hinzu, die aus dem effektiven Umgang mit Information eine Neugierintervention erster Klasse macht.
Eine Neugierintervention mit Werbung? Wie könnte die denn aussehen? Nun, am besten gelang das Apple Ende des 20. Jahrhunderts, also in der Prä-Smartphone-Ära, mit einer bestimmten Kampagne. Die Werbung begann mit der Frage: »Was sagt mein Computer über die Person aus, die ich bin?« Das war damals noch keine so geläufige Frage, weil wir uns zu der Zeit noch nicht so stark über unsere mobilen und smarten Endgeräte definierten. Wie also lautete die Antwort auf Apples Frage? Was sagt der Rechner über mich aus: dass ich intelligent bin, kreativ, verspielt? Der Auftakt war schon ein klarer Verstoß gegen die 3E-Regel – weil Menschen plötzlich über eine Frage nachdenken sollten, bevor sie überhaupt wussten, dass diese Frage für sie wichtig war.
In der Kampagne folgte dann der zweite Schritt: Auf Plakaten tauchten Portraits von Personen auf. Die meisten waren recht bekannt, etwa Picasso oder der Dalai Lama. Dazwischen ein paar Gesichter, die einem bekannt vorkamen, deren Namen man aber nicht gerade auf der Zunge hatte, zum Beispiel Emilia Earhardt. Und dann waren da noch welche, die kaum jemand kannte, die aber bekannt sein müssten, so wie die anderen kreativen Genies, so dachte der Betrachter. Und ausgerechnet bei diesen hatten die Schlauköpfe von Apple einfach die Namen weggelassen. Gemein, oder? Ein erneuter Verstoß gegen die drei E (definitiv kein »easy access«) – und trotzdem lungerte die Frage im Kopf herum: Wer könnte das wohl sein?
(1) Beispiel aus der Apple-Kampagne März 1998, Los Angeles
Schließlich der Effekt: Wenn Menschen nun versuchten herauszufinden, wer denn auf dem Plakat zu sehen war, blieb diese Aktivität verbunden mit dem Gedanken an Apple. Und da die »action«, also die Recherche durch mangelnde Hilfestellung gar nicht so »effortless« war, konnte sie auch Zeit kosten – und der Gedanke an Apple blieb schön lange präsent. Außerdem, als zusätzlicher Benefit dieses Werbungskonstrukts, entstand im Gehirn die Koppelung: kreative Genies und Apple. Und immer noch: keinerlei Information zu den Produkten. Nirgends. Eine Schnitzeljagd mit Subtext. Das störte im ersten Moment eine weitere Facette des dritten E, die »effortless action« im Kaufkontext – aber nicht lange, wie der folgende Run auf die Produkte bewies. Inzwischen sind Apple-Spots (leider) völlig anders. Sie schüren weniger die Neugier als vielmehr das Verlangen.20
Wer der 3E-Regel nun vorne ein I hinzufügt, hat die Formel für Neugier: »IEEE«. Sprich: Irritation beim einfachen Auffinden, beim einfachen Verarbeiten und ein wenig noch beim Handeln. Das war der Apple-Trick.
Der funktionierte aber nicht nur bei Apple, sondern zum Beispiel auch bei Opel in Rüsselsheim. Dort trat die Marketingleiterin Tina Müller an, um mit Hilfe von Werbung etwas zu erreichen, was zu den schwierigsten Operationen im Oberstübchen gehört: die Re-Positionierung einer Marke, ein Umparken im Kopf. Und so war die Kampagne auch betitelt.
Das ist noch nicht lange her. Wer die Plakate noch vor dem inneren Auge sieht und die IEEE-Formel kennt, weiß genau, warum die Kampagne (zunächst) funktionierte: Sie war geprägt von 3E-Parametern und leicht zugänglichen Informationen – dank klarem Aufbau und übersichtlichem Layout. Die Informationen waren leicht zu verarbeiten, weil es nur wenige waren. Und sie war auf Irritation ausgerichtet, weil Fragen im Kopf übrigblieben – Daten in der Wirtschaftswoche vom 2. Juni 2014 veröffentlichten Zahlen des Markenmonitors BrandIndex des Marktforschungsinstituts YouGov belegten das:21 Nach dem Start der Kampagne im März 2014 hatte schon im April jeder dritte Befragte die Kampagne wahrgenommen. Unterm Strich war Opel damit stärker im Wahrnehmungsgedächtnis vertreten als Volkswagen.
Aber was war nun der Effekt? Die bis Dreißigjährigen hatten tatsächlich ein positiveres Bild der Marke Opel bekommen. Doch es gab einen Pferdefuß: Die Meinungsänderung war nicht von Dauer – die Einschätzung ging schnell wieder zurück auf die Werte wie vor Beginn der Kampagne. Die Kaufabsicht hatte sich nicht geändert, und sie war laut Markenmonitor sogar gesunken – eine Kausalität zwischen diesen beiden Fakten ist allerdings eher unwahrscheinlich.
(2) Umparken im Kopf
Fazit: Das Umparken im Kopf hat funktioniert – aber nur kurzzeitig. Das bedeutet weiterhin, dass Neugier der Werbung nutzt – aber ebenfalls nur kurzfristig. Zur Verankerung des Effekts und zur Stärkung der Kaufabsicht sind eben nachhaltige Maßnahmen über die Erweckung von Neugier hinaus nötig.
In dieses Buch gehört – wie in fast jedes im 21. Jahrhundert – mindestens dreimal das Wort »Google«. Hier soll es darum gehen, wie Google sich mit seinem Suchalgorithmus und der Präsentation der Suchergebnisse an die klassischen drei E hält – und damit unsere Neugier leider nahezu killt. Chris Wire, der Chef von Real Art, einer digitalen Werbeagentur, hat es auf den Punkt gebracht, indem er das Google-Versprechen ein wenig verballhornte. Im ersten Schritt bediente er sich einer Abwandlung eines Zitats des amerikanischen Journalisten und Zynikers Henry Louis Mencken: »For every question Google has an answer that is clear, simple and wrong.« Wire formulierte das so: »For every question Google has an answer, that is … clear, simple and unimaginative.«
Weil Suchmaschinen generell diese drei E so perfekt bedienen, fällt das I eben meistens unter den Tisch. Wir werden nicht mehr zum Suchen angespornt, sondern mit dem Finden abgespeist. Auch ich habe während meiner Vorträge schon erlebt, dass Menschen die Dinge im Smartphone nachschlugen, über die ich gerade berichtete. Na ja, das kann einen Vortragenden frustrieren, wenn die Zuhörer abdriften, aber zumindest machen sie nicht das, was schon unsere Studenten an der Uni Köln mit ihrem Smartphone machten: facebooken oder Schuhe kaufen. Nachdem wir allerdings unsere Unterrichtseinheiten auf IEEE umgestellt hatten, ließ dieses Verhalten in atemberaubender Geschwindigkeit nach.
Das Prinzip IEEE wird uns immer wieder begegnen, wenn es um das gezielte Erzeugen von Neugier geht. Nicht nur in der Werbung, auch in der Bildung zeigen die Beispiele, wie diese Formel Hirnen Hunger auf Neues macht. Mehr noch: Man kann Hirne und deren Besitzer daraufhin trainieren, diese Formel instinktiv auf die eigene Umwelt anzuwenden – man kann also lernen, sich selbst neugieriger zu machen, indem man die Irritationen entdeckt. Denn:
»Wer nicht neugierig ist, erfährt nichts« – das sagte einst ein schöpferischer Frankfurter.22 Doch warum sollten Sie nicht den gleichen Satz formulieren dürfen? Ist Neugier ein Vorrecht der Goethes oder Einsteins dieser Welt? Haben die Wissenschaftler sie gepachtet, die Kinder sie geraubt – oder hat der Biss in den Apfel, dem ja bekanntlich die Vertreibung aus dem Paradies folgte, ihr das Image ramponiert? Bevor wir uns der Frage stellen, wer die Neugier hat und wo sie inzwischen hin ist, sollten wir uns vielleicht die Frage stellen: Wo kommt sie eigentlich her, diese menschliche Neugier? Was meinen Sie?
A: Sie tauchte vor 1,5 Millionen Jahren plötzlich auf.
B: Sie stammt von Adam und Eva.
C: Sie ist ein Persönlichkeitsmerkmal.
D: Das interessiert mich nicht.
Sie haben angegeben, es interessiere Sie nicht? Dann sind Sie in guter Gesellschaft. Am besten, Sie blättern gleich zu Kapitel 7 – das ist extra für Nicht-Neugierige geschrieben.
Was uns, bei ehrlicher Prüfung der Optionen, zu Antwort C bringt. Und die führt uns direkt zur nächsten Frage: Kann es das überhaupt geben – einen völlig unneugierigen Menschen? Oder ist Neugier ein fester Persönlichkeitsanteil, den wir allerdings mit dem Diplom an den Nagel hängen und der uns durch die Sprüche rund um das lebenslange Lernen immer mehr vergällt wird? Die Psychologen sind sich beeindruckend uneinig. Manche sagen, Neugier sei in uns, ein festes Merkmal, ein sogenannter »Trait«. Andere sind fest davon überzeugt, dass Neugier nur durch bestimmte Situationen ausgelöst wird. Sich in diese Diskussion zu begeben, scheint so frugal wie fruchtlos, denn sie beantwortet unsere Frage nicht.
Zu These B: Auftritt des Traumpaars aus dem Paradies. Meiner Meinung nach eine These mit begrenzter Haltbarkeit – nicht etwa, weil sie nicht be- oder widerlegt werden kann, sondern weil sie nur systemimmanent, also innerhalb des Christentums, gültig ist. Will sagen: Wer an Adam und Eva glaubt, der kann selbstverständlich nur Ja sagen zur Metapher vom Biss in die Frucht vom »Baume der Erkenntnis«. Aber versuchen Sie das mal mit Gottes loyaler Opposition zu diskutieren: Ein Nicht-Christ wird einem da keine Chance geben.
Auch der Alltag im 21. Jahrhundert ist die Erkenntnis das Gebot der Stunde. Es klingt nur anders: Wir sprechen von globalen wirtschaftlichen Veränderungen oder technologischen Umwälzungen. Evolutionen und Revolutionen sind im Geschäftsleben strategischer Alltag, das ist die Natur unserer Arbeit. Multiplizieren Sie das noch mit der Auflösung Ihres Büros in einen mobilen, teilweise virtuellen Raum, und Sie haben das, was wir Job nennen. Nichts bleibt gleich, Inhalte wechseln ständig, Kompetenzen wollen erlangt und jährlich erweitert werden. Ohne Offenheit für Neues sind wir da ziemlich schnell geliefert.
Der Psychologe Todd Kashdan hat eine eingängige Kausalkette formuliert, die zeigt, wie nachhaltig Neugier in die Qualität unseres Alltags eingreift:
»Wenn wir neugierig sind, erforschen wir. Wenn wir erforschen, entdecken wir. Wenn das Spaß macht, machen wir es weiter. Weiterzumachen führt zu Kompetenz und Meisterschaft. Kompetenz und Meisterschaft zu entwickeln, lässt unsere Fähigkeiten und unser Wissen wachsen. Wenn Wissen und Fähigkeiten wachsen, erweitern wir unser Selbst und unser Leben. Wenn wir mit Neuheit umgehen, werden wir erfahrener und intelligenter und durchtränken unser Leben mit Sinn.«23
Neugier hat also in dieser Kausalkette und ihren Argumenten schon imposante Fürsprecher. Doch was macht sie so grundsätzlich wichtig für unser Leben?
–Neugier macht den Kopf aktiv. Die Neugierigen sind die Fragesteller. Sie geben sich nicht so schnell zufrieden. Sie wollen wissen: was, wie, warum? Dazu braucht es auch einen Verstand, der die so ergatterten Informationen verarbeitet. Und je mehr der Kopf arbeitet, desto besser wird er. Neugier ist also eine Art Selbstbestäubung für geistiges Wachstum.
–Neugier macht den Kopfbesitzer aufmerksamer. Die Neugierigen laufen mit offeneren Augen durch die Welt. Nur so bekommen sie die Antworten, die sie wollen, und finden die Dinge, nach denen sie fragen. Neugier ist ein Ideendetektor.
–Neugier schafft Alternativen. Neugier verhindert den verfrühten Torschluss im Kopf. Sie sucht nach dem Nicht-sofort-Sichtbaren. Sie schaut hinter die Kulissen, will die verborgenen Wirkweisen erkennen.
–Neugier schafft Freude. Es ist kaum anzunehmen, dass ein neugieriger Mensch zu irgendeinem Zeitpunkt Gefahr läuft, an Langeweile zu krepieren. Niemand hat je sein Hobby gehasst und es trotzdem in jahrelanger Selbstkasteiung beibehalten. Neugier ist ihr eigenes Navigationsinstrument.
Klingt verlockend. Was also ist drin für einen, der neugieriger werden will, der beruflich oder privat gesteigertes Interesse an den Tag legen mag?
1.Affect Imagery Consciousness 1, The positive Affects.
2. Mutafi, Furnham und Crump, 2006.
3. Brody, 1992.
4. Kashdan, 2009.
5. Griffin, Neal und Parker, 2007, S. 327–347.
6. Mussel, S. 458; Mussel, Spengler, Litmann und Schuler, 2012.
7. Kets de Vries und Mead, 1991; van der Zee und van Oudenhoven, 2000.
8. Kashdan, 2004; Sansone und Thoman, 2005.
9. Zum Beispiel Patrick Mussel, S. 443.
10. Ashkenas, 2012.
11. Bart Kampenaers am Max-Planck-Institut für Ornithologie, http://www.mpg.de/551300/pressRelease20070427. M. J. Kang von der Division of Humanities and Social Sciences, California Institute of Technology, Pasadena, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19619181.
12.http://lexikon.stangl.eu/6269/neugiermotiv.
13. Woloszyn und Sheinberg, 2009, S. 5494–5507.
14. Biederman und Vessel, 2006, S. 249–255.
15. Ryan und Deci, 2000.
16. Cohen, Schoene-Bake, Elger und Weber, 2008, S. 32–34.
17. Blaha, Fluck, Förster und Händel, 2001, S. 289–301.
18. Reissmann, 2008, S. 156–157.
19. Webcheck, 28.5.2015.
20. Menon und Soman zeigten 2002, wie sehr das gezielte Erzeugen von Neugier Aufmerksamkeit bündelt, intensivere Beschäftigung erzeugt und damit zu gesteigerter Erinnerung führt.
21.http://www.wiwo.de/unternehmen/auto/brandindex-was-brachte-die-opel-kampagne-umparken-im-kopf/9971036.html.
22. Johann Wolfgang von Goethe.
23. Kashdan, Todd, 2009, Curious, S. 19 ‒21.
Die Liebe besteht zu drei Vierteln aus Neugier. Giacomo Casanova
Interessier mich:
Sinn aus Erfahrungen zu extrahieren und in unser Selbst zu integrieren, das gelingt nur mit Hilfe der Neugier. Und das ist dementsprechend auch ihr ultimatives Ziel: unser bestehendes Wissen und Können zu erweitern. Das Hinzugewonnene hilft uns wiederum, uns und die Welt um uns zu verstehen, die Alltagsherausforderungen besser zu meistern und unsere Fähigkeit zu verbessern, mit dem Durcheinander der Welt umzugehen.
Der amerikanische Psychologe Todd Kashdan von der George-Mason-Universität in Virginia unterscheidet zwei Wege, wie Neugier in uns entsteht: entweder durch einen Top-down- oder durch einen Bottom-up-Prozess. Solche Prozessbeschreibungen finden sich in vielen Wissenschaftszweigen – von der Managementtheorie über die Informatik bis hin zur Nanotechnologie. Dabei gilt immer der Grundsatz, dass top-down vom Abstrakten, Allgemeinen oder Übergeordneten schrittweise hin zum Konkreten, Speziellen oder Untergeordneten geht – bottom-up dagegen bezeichnet die umgekehrte Richtung. Es handelt sich also um zwei grundsätzlich verschiedene Denkrichtungen, mit deren Hilfe sich komplexe Sachverhalte verstehen, beschreiben und darstellen lassen.
Wie Neugier durch einen Bottom-up-Prozess entstehen kann, illustriert folgende Geschichte: Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf einer Party und jemand kommt mit einem Aye-Aye auf dem Arm herein. Womit? Mit einem Aye-Aye. Das ist ein Tier und stammt aus Madagaskar. Genauer gesagt ist das Fingertier (Aye-Aye oder Daubentonia madagascariensis) eine Primatenart aus der Gruppe der Lemuren. Charakteristisch und verantwortlich für seinen Namen sind seine Finger, die gruselig geformt sind und von denen der dritte besonders lang ist. Und auch sein Gebiss ist zum Fürchten mit den enorm großen Schneidezähnen, die man sonst nur bei Nagetieren sieht.1
Der stolze Haustierbesitzer mischt nun die Party auf, indem er sein Schoßtier auf ein frisches Stück Holz ansetzt: Die folgende Performance ist faszinierend und abstoßend zugleich: Das putzige Tierchen klopft mit seinem langen Mittelfinger auf den Stamm, um zu sehen, ob da eventuell Raupen oder andere Insekten drin sind, reißt die Rinde auf und isst alles, was es findet. Das ist hässlich, das ist seltsam, und das ist ungewöhnlich. Sie denken: Den will ich nicht mit der Haut meiner Unterarme herumspielen lassen!
In solch einer Situation muss Ihnen keiner zurufen: »Sei neugierig!« Wenn jemand so ein Tierchen mit sich herumträgt, werden Sie garantiert von selbst neugierig – konkreter und spezieller geht es ja kaum. Das ist also der Kern der Bottom-up-Neugier: Kleine oder überschaubare Dinge oder Zusammenhänge erhaschen unsere Aufmerksamkeit, weil sie hervorstechen und ungewöhnlich sind.
Richtig spannend allerdings wird es erst bei der Top-down-Neugier. Die ist wie ein Laser, mit dem Sie das Neue aus dem noch Unbekannten herausschneiden, also gewissermaßen die Spreu vom Weizen Ihrer Eindrücke trennen können. Und sie wird auch nicht durch einzelne Erlebnisse von außen getriggert, sondern ist in einem gewissen Maße in uns angelegt und versieht uns mit einer »Neugierbrille«, die bestimmt, wie wir an die Dinge herangehen, wie wir sie sehen und wie leicht wir Neues im Alten entdecken. Wenn Sie diese Brille per se schon tragen, dürfen Sie sich glücklich schätzen – und erfahren im Folgenden, welche Vorteile sie Ihnen bringt.
Wir starten mit dem ersten Vorteil: Neugierige haben die intensiveren und erfüllenderen Sozialkontakte. Das liegt unter anderem daran, dass ihre Partner sie als interessierter und als zugänglicher beschreiben.2 Der Umgang mit Neugierigen ist also angenehm.
Neugierige berichten auch selbst von mehr und von befriedigenderen Beziehungen und tendieren viel eher dazu, neue und bleibende Kontakte mit Unbekannten zu entwickeln. Interessiert und zugänglich zu sein, wenn Partner zum Beispiel positive Erlebnisse und glückliche Begebenheiten aus dem eigenen Leben teilen – das verheißt außerdem größere Zufriedenheit in einer Beziehung, spiegelt größeres Engagement und verursacht weniger Konflikte.3
Und diese Beliebtheit entsteht sogar noch ruck, zuck im Kopf der beeindruckten Mitmenschen: Ein positives Urteil über Neugierige können Menschen oft bereits nach fünf Minuten fällen!4 Dabei spiegeln Aussagen wie: »Die Person ist enthusiastischer und energiereicher, ist gesprächiger und interessiert an dem, was ich sage und tue«, die weite Spanne der Interessensgebiete von Neugierigen sowie die positive Wahrnehmung des Gegenübers wider.
Das sind sie also, die Neugierigen! Ihre Interessen und die sich daraus ergebenden Fragen an den anderen lassen sie selbstsicher, zuversichtlich, humorvoll, ausdrucksstark und gesellschaftlich versiert erscheinen. Und das sind eben alles Eigenschaften, die ein positives Urteil der Menschen geradezu herausfordern.
Neugierige stellen genau die Fragen, die dazu beitragen, dass Menschen sich wichtig fühlen. Sie sind interessiert daran, Dinge über ihren Partner herauszufinden und halten Interaktionen auf diese Weise interessant und spielerisch. Das wiederum trägt dazu bei, Kontakte zufriedenstellend und bedeutungsvoll zu gestalten – und so entstehen Beziehungen! Wer möchte nicht mit einem solchen Mitmenschen plaudern oder gar befreundet sein? Beruhigend für ein Gegenüber ist zudem, dass neugierige Menschen oft den Eindruck vermitteln, ganz gut zu wissen, was sie tun. Befragungen belegen dabei einen beeindruckenden Grad an Deckungsgleichheit zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, also zwischen den Eindrücken der Außenwelt und dem, wie neugierige Menschen sich selbst sehen. Neugierige Menschen sind anscheinend genuin und authentisch – und werden auch so wahrgenommen.5
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