Artussagen - Waldtraut Lewin - E-Book

Artussagen E-Book

Waldtraut Lewin

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Beschreibung

Die Abenteuer des legendären König Artus' und seiner Ritter der Tafelrunde beflügeln seit jeher die Fantasie der Geschichtenerzähler. Schon der Beginn seiner Herrschaft ist wundersam: Mithilfe des ZauberersMerlin gelingt es Artus, ein Schwert aus einem Marmorblock zu ziehen - damit wird er, der unerkannte Königssohn, zum Herrscher Britanniens. Waldtraut Lewin nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Welt der Ritter und Edelfrauen und erzählt spannend und lebendig von Liebe, Verrat und Treue bis in den Tod.

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INHALT

ERSTES BUCH

1 – Wie Artus gezeugt wurde

Artus’ Geburt und Jugend

Das Schwert im Stein

Wie Artus König wurde

Der Kampf um den Thron

Wie König Artus seine Schlachten schlug

Die Lady aus der Dunkelheit

2 – Wie Artus ein Schwert verlor und ein anderes gewann

Eine schwarze Tat

Wie Artus Ryon besiegte

Wie Artus seine Königin fand

Von den Rittern der Tafelrunde

3 – Von Morgan le Fay

Die verhexte Jagd

Die feindlichen Brüder

Das Gottesgericht

Wie Morgan le Fay ihre Pläne fortsetzte

Wie Morgan le Fay Artus ein Geschenk machte

4 – Wie Gawan auf Aventiure zog

Was Gawan in Askalun zustieß

Wie Gawan Orgeluse begegnet

Wie Sir Gawan mit Licheus kämpfte

In Klingsors Reich

Was Sir Gawan auf Schastelmarveil zustieß

Die wunderbare Säule

Wie Sir Gawan Gramoflance entgegentrat

Wie Artus Gawan wiedersah

Die Königin greift ein

Der verhinderte Zweikampf

5 – Wie Lancelot an Artus’ Hof kam

Warum Lancelot auf seine erste Queste zog

Sir Lancelots erste Aventiure

Wie Lancelot unter einem Apfelbaum einschlief und was ihm anschließend begegnete

Sir Lancelot in der Burg der Königinnen

Wie Lancelot entkam

Das rote Zelt

Wie Lancelot Tarquin überwand

Von Rittern und Damen

Lancelot und Sir Kay

Was Sir Lancelot unterwegs geschah

6 – Wie Lancelot an den Hof zurückkehrte

Von der Kühnheit der Lady Ginevra

Wie Lancelot die Schreckensburg befreite

Das Fräulein Elaine

Der Feldzug

Das Zerwürfnis

7 – Die neuen Ritter

Wie die Ritter nach dem Gral auszogen

Wie die Ritter von der Gralssuche heimkehrten

Wie Sir Lancelot Mordred das Leben rettete

Wie einem Einsiedler eine alte Prophezeiung einfiel

Wie Sir Lancelot zurückkehrte

ZWEITES BUCH

8 – Der unglückselige Maitag

Was bei Meliagrance geschah

Wie Lancelot für Ginevra stritt

9 – Wie Galahad nach Camelot kam

Wie Artus vor seinen Vertrauten ein Geständnis ablegte

Die Enthüllung

Wie Ginevra befreit wurde

10 – Wie die Freudenburg ein Ort der Trauer wurde

Die Aussöhnung

Wie Lancelot verbannt wurde

11 – Wie man Lancelot belagerte

Wie Lancelot und Gawan miteinander kämpften

Zwei Briefe

12 – Der einstige und künftige König

Abgesang

NACHBEMERKUNG

ERSTES BUCH

1 Wie Artus gezeugt wurde

Das Römische Reich, zu dem auch Britannien gehört hatte, war zugrunde gegangen. Nun herrschte in England über viele Jahrhunderte allein das Recht des Stärkeren.

Auf der nebelumwallten Insel hatte das Christentum zwar Fuß gefasst, aber der Glaube an die alten keltischen Gottheiten war nie ganz ausgerottet worden. Zauberer und Magierinnen bewohnten das Land unangefochten Seite an Seite mit Mönchen, Nonnen und Priestern.

Im Mittelalter ging das Land im Chaos unter. Ritterliche Landbesitzer behandelten ihre Untertanen mit brutaler Grausamkeit und zerfleischten sich gegenseitig in endlosen Kämpfen. Die Straßen waren unsicher, und jeden Abend schlossen sich die Menschen in ihren Häusern oder Hütten ein und beteten entweder zum Christengott oder zu den Alten Mächten, dass sie diese Nacht heil überstehen würden.

Gewalt war die Sprache, die alle verstanden, Gerechtigkeit und Gemeinsinn waren fern.

Damals herrschte in England ein König namens Uther Pendragon – sein Name bedeutet Drachenhaupt, und der rote Drache auf weißem Grund war sein Feldzeichen. Seine gut befestigte Burg ragte in London am Ufer der Themse drohend gegen den düsteren Himmel. Er regierte mit harter Hand, denn nur so war es möglich, die stets rebellischen und um die Vorherrschaft streitenden Großen seines Reichs in die Schranken zu weisen und selbst nicht die Krone an einen anderen zu verlieren.

Eines Tages kam ihm zu Ohren, dass einer seiner Vasallen, der Herzog von Cornwall, eine Verschwörung gegen ihn plante. Meist fackelte der König in solchen Augenblicken nicht lange und schlug gleich zu. Aber da der Herzog von Cornwall ein sehr einflussreicher Mann in Britannien war und viele Anhänger hatte, hielt es Uther in diesem Fall für klüger, ihn an seinen Hof zu laden und sich mit ihm friedlich zu einigen, indem er ihn mit Zugeständnissen an sich band und ihn zu seinem Verbündeten machte.

Herzog Cornwall selbst war nicht abgeneigt, sich mit Uther zu einigen, falls er dadurch seinen Vorrang gegenüber den anderen Lords und Baronen festigen konnte.

So erschien er bei Hofe – und mit ihm seine Frau, Lady Igraine.

Igraine war zwar bereits die Mutter von drei Töchtern, aber sie war schön wie die Sonne. Ihr weizenblondes Haar leuchtete, als ginge von ihm ein eigenes Licht aus, und sie hielt sich gerade und stolz wie eine Königin.

König Uther hatte keine Frau. Als er die Gemahlin seines geheimen Gegners erblickte, war er wie geblendet. Diese und keine andere begehrte er! Er vergaß all seine politischen Pläne. Statt mit dem Herzog zu verhandeln, ließ er sofort ein rauschendes Hoffest ausrichten.

Der Saal seiner sonst finsteren und kargen Burg wurde mit schönen Teppichen und Vorhängen ausgeschmückt, in den Halterungen an den Säulen brannten große Fackelbündel und hüllten den großen Raum in ein warmes Licht, das sich in all den polierten Harnischen und Helmen brach – Siegestrophäen, die an den Wänden aufgereiht waren. Damastdecken zierten die rohen Holztische, das Geschirr war aus Silber und Gold, und Koch und Kellermeister hatten aufgefahren, was immer es nur an guten Dingen in den Vorratsräumen der Burg gab.

Von der Empore erklang Musik. Uther hatte fahrende Leute herbeigeholt, die zum Fest aufspielen mussten. Er selbst betrat den Saal im Schmuck seiner Königswürde, die Krone auf dem Haupt und den Purpurmantel um die Schultern, und führte an seiner Rechten den Herzog, an seiner Linken dessen Frau herein. Und so setzten sie sich auch nieder auf den hohen Stühlen mit den purpurnen Seidenkissen: rechts der Lord von Cornwall, links Lady Igraine und in der Mitte der König.

Man aß und trank zum Klang der Flöten und Pauken. Dem Herzog wurde immer wieder fleißig eingeschenkt, und so war es kein Wunder, dass er bald alles um sich herum vergaß und in seiner Trunkenheit nicht mehr achthatte auf das, was zu seiner Linken geschah.

Uther Pendragon begann da nämlich, der Lady Igraine ohne große Umschweife zu erklären, dass er sich in sie verliebt habe und mit ihr eine Nacht verbringen wolle.

Mit Mühe gelang es Igraine, den König in Schach zu halten und zu vertrösten, denn sie getraute sich nicht, ihn völlig abzuweisen, aus Angst, damit ihrem Mann zu schaden.

Als das Fest vorüber war, zog sich die Dame mit ihrem Gemahl ins Schlafgemach zurück. Sie gab ihm Wasser zu trinken und öffnete die hölzernen Fensterläden, um die kühle Nachtluft hereinzulassen. So wurde ihr Mann halbwegs wieder nüchtern.

Dann tat Lady Igraine so, als wolle sie ihren Mann auf die Probe stellen, und sagte: „Liebster Mann, wie wichtig ist dir die Übereinkunft, die du mit König Drachenhaupt erlangen willst? Ist dir der Vorteil, den du gewinnst, wichtiger als deine Ehre? Dann sag es mir, denn ich kann dir sicher sehr behilflich sein.“

„Wie meinst du das?“, fragte Cornwall verwirrt.

„Nun“, sagte Igraine und richtete sich hoch auf, „ich denke mir, Uther wird dich reich belohnen und vielleicht sogar zum Ersten im Reich machen, wenn ich tue, was er verlangt. Den ganzen Abend hat er nichts weiter getan, als in mich zu dringen, dass ich ihm zu Willen sein und ihm in sein Bett folgen solle. Wäre dir so etwas recht?“

Da erzürnte Cornwall und verfluchte den ehrlosen Herrscher, der ihn, wie er meinte, allein deshalb hierher gelockt hatte, um sich seiner Frau zu bemächtigen. Und er befahl noch in der gleichen Nacht seinen Knechten, die Pferde zu satteln. Im Schutz der Dunkelheit und während alle in der Burg ihren Rausch ausschliefen, verließ er mit seiner Gattin Uthers Hof.

Am nächsten Morgen, als Uther Pendragon erfuhr, dass der Herzog und Igraine geflohen waren, geriet er vor Wut und Liebesverlangen außer sich. Er schickte seine Boten dem Paar hinterher, um es zur Rückkehr zu bewegen. Aber Cornwall wies sie unbeirrt ab und zog weiter. Er beeilte sich, denn ihm schwante, dass Uther weder die Zurückweisung durch seine Frau noch die Flucht auf sich beruhen lassen würde. Daheim begann er, seine mächtigen Burgen mit Proviant zu versehen, und er berief alles an Männern unter Waffen zur Verteidigung herbei, was er nur aufbieten konnte. Er schickte Lady Igraine heimlich auf die Festung Tintagel, die sich auf steilen Klippen über dem Meer erhob, und verschanzte sich selbst auf Terrabil, einer Burg mit mächtigen Mauern und einem tiefen Graben.

Kaum war er mit seinen Vorkehrungen fertig, da erschien auch wirklich schon das Heer des Drachenhauptes vor den Toren der Festung. Man schlug ringsum Zelte auf und begann, die Burg zu belagern. (Der König wusste natürlich nicht, dass sich die Lady auf einer anderen Festung aufhielt.) Bei den Versuchen, Terrabil zu stürmen, und bei den Ausfallkämpfen der Eingeschlossenen kamen viele gute Männer ums Leben.

Als König Uther sah, dass sich der Kampf noch lange hinziehen würde, wurde er vor Ärger und Sehnsucht krank.

Er lag in seinem Zelt und leitete die Kämpfe nicht mehr selbst, und seine Krieger fragten sich, wozu sie eigentlich angetreten waren, wenn der König keinen Mut zum Streit mehr zeigte. Einer seiner engeren Vertrauten, der Ritter Ulfius, begab sich daraufhin zu ihm und fragte: „Sir, sagt mir, was Euch fehlt, damit wir einen kundigen Arzt für Euch suchen können, der Medizin für Euch hat!“

„Mir kann kein Arzt und keine Medizin helfen!“, sagte Uther Pendragon finster von seinem kargen Feldbett her. „Was mich quält, ist Enttäuschung und unerfülltes Liebesverlangen. Ihr sollt wissen, dass es mir weniger darum geht, den Herzog zu bestrafen für seine Flucht vom Hof – ich will seine Frau gewinnen. Ich will und muss Lady Igraine besitzen, sonst werde ich dahinsiechen und sterben.“

Ulfius erwiderte: „Gibt es denn niemanden, der Euch helfen kann?“, und der König sagte seufzend: „Doch, es gibt einen einzigen Menschen, der imstande ist, mir zu helfen, aber der ist fern. Ich meine Merlin.“

Merlin aber war ein mächtiger Magier, der in früherer Zeit dem König hin und wieder mit seiner Zaubermacht und seinen klugen Ratschlägen beigestanden hatte. Geheimnisvolles Dunkel umhüllte diesen Mann. Niemand wusste, wie alt er war, noch woher er stammte, und man erzählte sich, dass er seine Herkunft von den alten Göttern herleitete, die man in Britannien hoch achtete, auch nachdem vor Hunderten von Jahren das Christentum ins Land gekommen war.

Merlin wurde von den einen verehrt und von den anderen gefürchtet. Manche hielten ihn für das mächtigste Wesen Englands, halb Dämon, halb Mensch, andere nannten ihn einen Scharlatan und Hexenmeister. Es hieß, er könne beliebig die Gestalt wechseln und an jedem Ort auftauchen und wieder verschwinden, wie er wollte. Er konnte auch mit den Schutzgeistern von Land, Wasser und Luft, den Wesen der Anderswelt, wie mit seinesgleichen verkehren und redete mit ihnen in einer alten, fast vergessenen Sprache. Trotzdem bekannte er sich zu dem neuen Glauben, und selbst der Erzbischof von Canterbury, das geistige Oberhaupt der Christenheit Englands, ging respektvoll mit ihm um und hörte auf seinen Rat. (Der Erzbischof war ein kluger Mann!)

Merlin kam und ging, wie es ihm gefiel, er ließ sich weder binden noch verpflichten. Oft erschien er in verwandelter Gestalt, wenn man es am wenigsten erwartete, und er konnte wie aus dem Nichts auftauchen und verschwinden, als würde ihn der Wind fortwehen.

Nun sagte König Uther Pendragon zu Ritter Ulfius: „Freund, ich bitte dich, mach dich auf, und versuche, Merlin für mich zu finden! Schon oft hat mich sein Beistand gerettet!“

Ulfius war ein treuer Diener seines Herrn. Er begab sich auf die Suche, denn er hoffte nicht weniger und nicht mehr, als dass der Magier für seinen König irgendein Elixier zusammenbrauen würde, das ihm die Liebe austreiben sollte. (Nicht falsch gedacht, angesichts der Gefahren, die diese Leidenschaft über das Land bringen konnte – denn einen Krieg um der Liebe eines Königs willen zu führen, schien ihm ein unvernünftiges Unterfangen …)

Aber seine Hoffnung sollte sich nicht erfüllen.

Nachdem er schon eine Weile unterwegs war und in Städten und Dörfern, in Burgen und Hütten vergeblich nach der Spur des Zauberers geforscht hatte, machte er sich mutlos auf den Heimweg.

Am Wegesrand, kurz bevor er Uthers Zeltlager wieder erreichte, standen drei Bäume dicht beieinander: eine Eiche, eine Esche und ein Weißdorn. Im Schatten dieser Bäume saß ein zerlumpter Bettler.

Wenn Sir Ulfius mit seinen Gedanken nicht woanders gewesen wäre, hätte es ihn stutzig machen müssen, diese drei Bäume beieinander zu sehen. Denn Eiche, Esche und Weißdorn waren den alten Göttern geweiht und galten in England, wenn sie zusammenstanden, als sicherer Schutz gegen böse Mächte. Wenn jemand unter ihnen saß, sollte man ihm seine Aufmerksamkeit widmen – es konnte nämlich gut sein, das etwas Besonderes an ihm war …

Der Bettler also hielt flehend seine ausgestreckte Hand hin, um ein Almosen zu erlangen, und Sir Ulfius warf ihm, ohne weiter hinzusehen, eine kleine Münze zu. Da sagte der Mann: „Ihr seid auf der Suche nach Merlin, edler Ritter, ist es nicht so?“

Erstaunt zügelte Sir Ulfius sein Pferd und sah auf diese Elendsgestalt herab. Dass es so etwas überhaupt gab: Ein Bettler wagte es, einen Edelmann anzusprechen! Da blitzten ihm unter dem Schlapphut des Alten ein paar furchterregend scharfe Augen spöttisch entgegen. Machte sich dieser Kerl lustig über ihn?

Er holte gerade Luft zu einer scharfen Erwiderung, als der Bettler in bestimmtem Ton sagte: „Ihr habt gefunden, was Ihr sucht. Reitet zurück zu König Uther, und sagt ihm, ich komme nach!“

Dieser Bettler sollte der Zauberer Merlin sein? Sir Ulfius verstand die Welt nicht mehr. Verwirrt machte er sich auf den Rückweg, denn irgendetwas sagte ihm, dass der Alte nicht log.

Aber als er das Zelt seines Königs betrat, staunte er nicht schlecht. Der „Bettler“ war nämlich zu Fuß viel schneller gewesen als er hoch zu Ross und saß bereits im vertraulichen Gespräch mit Uther zusammen. Nun wirkte der Mann nicht mehr wie ein Bettler, und obwohl er noch die gleichen Lumpen wie vorher trug, strahlte er Hoheit und Würde aus.

Und dies war es, was die beiden beredeten:

„Herr“, sagte Merlin, „ich kenne jeden Winkel Eures Herzens. Ich weiß, dass Ihr Euch nach der schönen Igraine verzehrt. Ihr sollt bekommen, was Ihr wünscht! Merlin wird Euch helfen. Aber dafür fordere ich eine Belohnung. Schwört mir, zu geben, was ich fordere, dann werdet Ihr noch heute Abend in den Armen der Herzogin liegen.“

Da fühlte sich Uther plötzlich genesen. Er wurde froh und sprach: „Ich schwöre dir bei meiner Königswürde, dass du alles von mir verlangen kannst, was du wünschst, wenn ich nur bei Igraine sein kann.“

Merlin sah ihn lange an. „Ich will nicht mehr und nicht weniger als das Kind, das aus dieser Liebesnacht hervorgeht. Es soll mir übergeben werden, und ich werde es aufziehen zum Wohl Britanniens. Seid Ihr damit einverstanden?“

Uther nickte heftig. Was gingen ihn seine ungeborenen Kinder an, wenn er nur zu der begehrten Frau gelangen konnte! „Was du wünschst, sollst du haben!“, erwiderte er.

„Gut, so macht Euch bereit. Ihr sollt unverzüglich zu Lady Igraine gehen. Sir Ulfius und ich werden Euch begleiten. Ihr belagert diese Festung hier völlig umsonst, denn Ihr müsst wissen, dass die Dame sich nicht auf Terrabil befindet, sondern in der Burg Tintagel hoch überm Meer, zehn Meilen von hier entfernt. Lasst uns aufbrechen. Ich werde dafür sorgen, Eure Gestalt unterwegs so zu verändern, dass Igraine Euch für ihren Gemahl halten wird. So erreicht Ihr Euer Ziel.“

Die drei Männer brachen noch zur gleichen Stunde auf.

Während sie auf dem Weg waren, ereignete sich vor Terrabil Entscheidendes. (Hatte Merlin seine Hand im Spiel?)

Die Männer des Herzogs von Cornwall hatten gesehen, dass der Heerführer der Belagerungstruppen weggeritten war. Der Herzog ergriff sofort die Gelegenheit, seine führerlosen Feinde anzugreifen. Es kam zu einem gewaltigen Handgemenge. Cornwall kämpfte tapfer, aber er geriet in einen Hinterhalt, und ehe seine Männer bei ihm waren, fand er den Tod – Stunden, bevor Uther mit seiner Begleitung Tintagel erreicht hatte.

Die drei nun zogen durchs Moor, und seltsame Nebel begleiteten ihren Weg. Uther Pendragon kam es so vor, als würden die trüben Nebel der Sümpfe zu Gestalten werden, die sie umflatterten und mit Händen nach ihm griffen, und als stiegen Stimmen aus der Tiefe auf. Aber er verdrängte seine Ängste vor diesen Erscheinungen. Schließlich war Merlin bei ihm, und er war zu Recht voller Vertrauen. Außerdem war seine Ungeduld, zu der begehrten Frau zu gelangen, nicht mehr zu übertreffen. Er hätte alles getan, um dieses Ziel zu erreichen.

Er fühlte, dass irgendetwas mit ihm geschah, aber er wusste nicht, was. Sein ganzer Körper war wie von flackerndem Feuer durchzogen, und es schien ihm, als würden unsichtbare Mächte an ihm ziehen und zerren. Sein Vertrauter Ulfius sah ihn mehrfach scheu von der Seite an – denn je dichter die Nebel wurden, die sich in Spiralen um sie drehten, umso mehr schien König Uther nicht mehr er selbst zu sein. Seine Gestalt war verwandelt.

Endlich erhellte der Mond den Weg, und Ulfius konnte nicht umhin, Uther anzureden: „Herr, seht Euch an!“ Er hielt dem König seinen blanken Schild vor. Im ungewissen Licht spiegelte sich – das Gesicht des Herzogs von Cornwall!

Uther sagte nichts. Er warf Merlin einen Blick zu und nickte befriedigt. (In welcher Gestalt er Lady Igraine erobern würde, das war ihm völlig gleich …!)

Als sie an das Burgtor von Tintagel gelangten, da wurden sie von der Torwache sofort mit großer Selbstverständlichkeit eingelassen, denn die Wächter waren sicher, ihren Herrn, den Herzog von Cornwall, und seine Begleiter vor sich zu haben.

In den dunklen Gängen der Burg trat ihnen Lady Igraine entgegen, die von der Ankunft ihres Gatten erfahren hatte. Sie hatte sich einen Mantel über ihr Nachtkleid geworfen, und im Licht der Kerze, die sie trug, leuchteten ihre geflochtenen Zöpfe wie reifer Weizen.

„Mein Gemahl, was führt Euch zu mir? Warum habt Ihr Terrabil verlassen? Ist die Belagerung vorbei?“, fragte sie überrascht.

„Heute Nacht kümmert mich die Belagerung nicht“, flüsterte der Ankömmling heiser. „Vor Sehnsucht nach Euch bin ich fast umgekommen. Lasst uns in Euer Gemach gehen.“

So gab die getäuschte Herzogin sich in dieser Nacht König Uther hin. Das Drachenhaupt war am Ziel seiner Wünsche. Noch vor dem Morgengrauen verließ der König sie und zog mit seinen Begleitern wieder davon.

Auf dem Rückweg führte Merlin den König zu einer versteckten Quelle, die noch nie jemand gesehen hatte, und wies ihn an, sich darin zu waschen. Sofort erhielt Uther seine wahre Gestalt zurück. Sir Ulfius aber musste Schweigen geloben.

Merlin jedoch verschwand so schnell, wie er gekommen war – er schien sich gleichsam aufzulösen wie die seltsamen Nebel, die er wohl in der Nacht zuvor beschworen hatte.

Als Uther wieder im Feldlager eintraf, hörte er, dass Cornwall in seiner Abwesenheit gefallen war. Besser konnte es für ihn gar nicht kommen. Durch den Tod des Herzogs von Cornwall war der Krieg nun sinnlos geworden. Uther brach die Belagerung ab und bot Lady Igraine Frieden an.

Die Frau aber erschrak zutiefst, als sie hörte, dass ihr Gemahl in den frühen Stunden jener Nacht gefallen war, in der er angeblich bis zum Morgen mit ihr in Liebe vereint gelegen hatte – vor allem, als sie bemerkte, dass sie schwanger geworden war.

Wer war da bei ihr gewesen, und wessen Samen trug sie in ihrem Leib?

Artus’ Geburt und Jugend

Uther Pendragon war keiner, der lange zögerte. Es war noch kein Mondumlauf vergangen, da schickte er Sir Ulfius zu Lady Igraine. Als Brautwerber! Die unglückliche Frau – zutiefst verstört über ihre rätselhafte Schwangerschaft – verspürte zwar nach wie vor tiefen Widerwillen gegen den König, aber was sollte sie tun? Ohne ihren Gemahl war sie mit ihren drei Töchtern und dem vierten Kind, das sie erwartete, schutzlos. Das Herzogtum Cornwall war der Habgier eroberungslustiger Nachbarn ausgeliefert, und wenn Igraine sich durch eine Weigerung die Ungnade des Drachenhauptes zuzog, so würde er ihr auch keinen Beistand leisten, falls man sie angreifen würde. Wohl oder übel sagte sie Ja zu der Werbung und begab sich mit ihren Töchtern an den Hof ihres künftigen Gemahls.

Die Mädchen aber, die keine Kinder mehr waren, grollten ihrer Mutter, weil sie ohne das übliche Trauerjahr sogleich eine neue Ehe eingehen wollte, noch dazu mit dem Mann, der ihren Vater bekriegt hatte und schuld an seinem Tod war – und entsetzt waren sie, dass das Ungeborene (von dem sie natürlich annahmen, es sei das Kind ihres Vaters) nun als der Spross des Feindes heranwachsen sollte.

König Uther sah, dass er sich mit den jungen Fräulein keine Freundinnen an den Hof holte, und so beschloss er kurzerhand, sie zu vermählen und somit aus den Augen zu schaffen.

Bräutigame waren für die beiden älteren schnell gefunden: König Lot, Beherrscher des Landes von Lothian und den Orkney-Inseln, ein mächtiger und eigenwilliger Herr, nahm Morgause, die ältere der beiden. Elaine, die zweite, musste sich mit einem Baron aus dem schottischen Hochland zufriedengeben. Die jüngste aber, Morgan le Fay, war noch zu klein, um einen Mann zu nehmen. Uther sorgte dafür, dass sie zur Erziehung in ein Kloster geschickt wurde. Was er nicht ahnen konnte, war, dass dieses junge Mädchen dort von einer Nonne, die heimlich Zauberei betrieb, in allen Künsten der schwarzen Magie, dem Schadenszauber und der Hexerei unterwiesen wurde. Das sollte grausige Folgen haben …

So war es beschlossene Sache. Nach ihrem Einverständnis wurde natürlich keines der Mädchen gefragt, das war damals in England nicht üblich.

Am gleichen Tag verheiratete man die Mutter und ihre Töchter. Es war ein großes Fest. Das Volk jubelte, denn Freibier floss reichlich, und an jeder Straßenecke Londons wurde ein Ochse am Spieß gedreht. Tags darauf reisten die beiden jungen Damen mit ihren Gatten ab, und ein Wagen brachte die junge Morgan le Fay ins Kloster. Mit Tränen in den Augen nahmen sie von ihrer Mutter Abschied. Ihr noch ungeborenes Geschwisterkind sollten die Frauen erst viele Jahre später sehen. Lady Igraine war nun die Ehefrau König Uthers, und schon bald begann sich ihr Leib zu wölben. Merlins Wunsch ging in Erfüllung!

Königin Igraine aber ängstigte sich vor dem, was da in ihr heranwuchs. Wer war in jener Nacht bei ihr gewesen, wenn ihr Mann schon tot war? War es vielleicht gar ein Dämon?

Den König kümmerte das nicht. Eingedenk des Versprechens, das er Merlin gegeben hatte, überlegte er indessen, wie er seiner Frau beibringen sollte, dass sie das Kind nicht selbst großziehen dürfe.

Eines Nachts, als sie beieinanderlagen, sagte Uther: „Nicht, dass es mich stören würde, dass Ihr die Frucht Eures verstorbenen Mannes in Euch tragt, aber ich weiß nicht, ob es so gut wäre, wenn das Kind an meinem Hof aufwachsen würde – ich denke da an die Nachkommen, die wir beide, so Gott will, noch miteinander haben werden. Daher würde ich Euch nahelegen, den Säugling gleich nach der Geburt fortzugeben zu guten Leuten, die ihn in aller Stille aufziehen, ohne dass er von seiner Abstammung weiß. Seid getrost, Ihr werdet noch so viele Kinder haben können, wie Ihr wollt.“

Igraine schwieg dazu. Der Vorschlag war ihr nicht unwillkommen, denn das heranwachsende Leben in ihr wurde ihr mehr und mehr zur Last. Und sie konnte ja nicht ahnen, dass Uther auf diese Weise plante, das Kind Merlin auszuhändigen, wie er es ihm versprochen hatte.

Kurz bevor die schwere Stunde der Lady Igraine nahte, die Stunde der Geburt ihres Kindes, erschien Merlin bei Uther. Doch diesmal kam er nicht als Bettelmann. Er trug einen Sternenmantel, das Zeichen des Magiers, und dazu den spitzen Hut seiner Zunft auf dem Kopf. Seine Augen flammten, und sein schlohweißer Bart wehte im Wind. In der Hand hielt er einen Stab, von dessen Spitze Funken sprühten.

„Erinnert Ihr Euch an Euer Versprechen, Drachenhaupt?“, fragte er.

„Du musst mich nicht einschüchtern mit deinen Künsten!“, sagte der König und nickte verdrossen. „Was ich versprochen habe, das halte ich auch.“ (Inzwischen war ihm der Gedanke, sein eigen Fleisch und Blut wegzugeben, gar nicht mehr so lieb, und viele Male schon war er drauf und dran gewesen, seiner Frau zu sagen, dass er in jener Nacht auf Burg Tintagel bei ihr gewesen war.)

Nun lächelte Merlin. „Macht Euch keine Sorgen, Herr. Euer Sprössling wird bei mir in guten Händen sein. Ich werde seinen Geist und Verstand bilden, und ich habe unter Euren Vasallen einen wackeren Mann gefunden, der gern bereit ist, ein Pflegekind aufzunehmen und ihm beizubringen, was ein Ritter wissen muss: Sir Ector. Er ist wohlhabend und besitzt weite Ländereien und eine Burg in Wales. Seine Frau wird ebenfalls bald gebären und kann dann zwei kleine Jungen stillen. Und glaubt mir – das alles wird einmal zum Wohl Britanniens sein und Eurem Haus zum Segen gereichen. Vertraut mir, denn ich kenne die Zukunft.“

Was sollte Uther machen? Er hatte sein königliches Wort verpfändet.

Kurz darauf kam Lady Igraine nieder. Die Geburt war mühevoll – aber als sie das Kind schließlich im Arm hielt, sah sie, dass es ein gesunder, blauäugiger Knabe war, der mit kräftiger Stimme schrie, und nichts Dämonisches oder Furchterregendes war an ihm. Sie war glücklich und hoffte im Stillen, ihren Gemahl überreden zu können, das Kind doch zu behalten.

Aber als sie erschöpft eingeschlafen war, befahl Uther sofort, den Säugling in weiche Tücher zu hüllen und, mit einem Beutel Gold als Belohnung für den Ziehvater versehen, zu einer geheimen Pforte zu tragen und dem zu übergeben, der dort wartete.

Als Lady Igraine erwachte und merkte, dass der Säugling bereits fort war, weinte und schrie sie und zerraufte sich das Haar, denn nun, nachdem sie den Knaben gesehen hatte, zerriss es ihr fast das Herz, dass sie von ihm getrennt worden war.

Uther Pendragon sah die Leiden seiner Gemahlin und versuchte, sie abzulenken und zu trösten. Aber alle kostbaren Geschenke, die ihr der König machte, all das Gold, die seidenen Gewänder, die kostbaren Schmuckstücke und die edlen Reitpferde konnten sie nicht froh machen, zumal sie die Fürsorge und Zärtlichkeiten des ungeliebten Mannes ohnehin nur mit Abscheu ertrug.

Und es war, als hafte ein Fluch auf diesem Paar, denn der von Uther erhoffte und versprochene Kindersegen blieb aus: Nach der Geburt dieses Sohnes war der Schoß der Königin verschlossen, sie welkte dahin und alterte rasch, und damit verschwand auch Uthers Leidenschaft für die einst so geliebte Frau. Er begann, sie zu vernachlässigen und besuchte sie nicht mehr. Irgendwann starb sie, vergessen und zurückgezogen auf jener Burg Tintagel, wo sie, ohne es zu wissen, den künftigen König Britanniens empfangen hatte.

Unterdessen wuchs der Knabe, den die beklagenswerte Igraine zur Welt gebracht und außer im Augenblick seiner Geburt niemals mehr gesehen hatte, bei Sir Ector auf, getreu Merlins Versprechen. Der Zauberer hatte das Kind zunächst zu einem Mönch gebracht, einem Eremiten, und es dort auf den Namen Artus taufen lassen. Aber niemand außer ihm selbst wusste, dass dieser Junge der Sohn des Königs von England war.

Sir Ector fragte nicht viel nach der Herkunft seines Zöglings; er hatte schließlich einen Beutel Gold dafür erhalten, dass er ihn großzog. Der kleine Artus wuchs gemeinsam mit Kay, seinem „Milchbruder“ auf. (So nannte man es, wenn zwei Kinder die Milch derselben Frau getrunken hatten, auch wenn sie nicht beide aus ihrem Schoß gekommen waren.) Geschwisterlich spielten und lernten sie zusammen, aber natürlich galt es als ausgemacht, dass Kay einmal ein Ritter sein würde und Artus allerhöchstens sein Schildknappe, denn schließlich war er von „unbekannter Abstammung“ und bestimmt auch nicht von Adel.

Artus war blond, blauäugig und kräftig, er war fröhlich und zu jedermann freundlich. Und wenn sein „Bruder“ Kay, der als Kind bisweilen von heftiger Gemütsart war, jemanden vom Gesinde gekränkt oder beleidigt hatte, dann ging er zu ihm und versuchte es mit besänftigenden Worten wiedergutzumachen. So war er bei allen beliebt.

Die beiden Jungen lernten bei einem Hauslehrer Lesen, Schreiben und Latein, wie es Sitte war, aber vor allem wurden sie in ritterlichen Künsten unterrichtet. Sie übten sich in der Jagd und der Falknerei, im Schwertkampf und Bogenschießen und vor allem in der hohen Kunst des Tjostierens. Das heißt, dass sie die Fertigkeit erwarben, im Turnier einen Gegner mit der Lanze vom Pferd zu holen und sich hinterher mit ihm im Schwertkampf zu messen. Solche Tjoste waren der beliebteste Zeitvertreib der Ritterschaft Englands, und wenn gerade keine größere Veranstaltung angesagt war, lieferte man sich, mangels einer besseren Beschäftigung, einen beliebigen Zweikampf und nahm jede Herausforderung an, die sich nur bot.

Kay war sehr froh darüber, dass er in Artus einen gleichaltrigen Partner hatte, an dem er seine Künste vervollkommnen konnte. Er betrachtete ihn einfach als jemanden zum Üben. Keinem der beiden Knaben kam es in den Sinn, dass Artus auch einmal zu einem Turnier reiten oder seine Klinge mit einem anderen, ritterlichen Gegner kreuzen würde. Aber Artus war in allem, was ihnen beigebracht wurde, geschickter, schneller und besser als sein adliger Milchbruder – was jedoch von den Lehrern genauso wie von Sir Ector selbst schlicht „übersehen“ wurde, wenn er die Fortschritte der Kinder begutachten sollte. Ein Knabe wie er, beinah so etwas wie ein Findelkind, durfte auf keinen Fall besser sein als der Sohn des Barons – und es konnte auch vorkommen, dass Kay etwas Unrechtes getan hatte und Artus dafür die Schläge bekam …

Einmal in der Woche allerdings gab es für Artus etwas anderes zu tun als für Kay: Dann ging er hinaus in den Wald, um sich mit dem Mann zu treffen, den Sir Ector als seinen Paten bezeichnete. Natürlich war das niemand anderer als Merlin. Der hatte mit dem Pflegevater von Artus vereinbart, dass er sich um die „geistige Entwicklung“ des Jungen kümmern dürfe.

Was sollte sich ein Mann wie Sir Ector darunter vorstellen? Er nahm wohl an, dass Merlin aus dem Kleinen später einmal einen Mönch machen wollte – und dagegen war nichts einzuwenden. Kay, der schon den Unterricht in Lesen, Schreiben und Latein sterbenslangweilig fand und bei jeder Messe, die in der kleinen Burgkapelle gelesen wurde, fast einschlief, zeigte keinerlei Neugier auf die Sonderdinge seines Milchbruders.

So zog der kleine Artus in jeder Woche für vierundzwanzig Stunden in den Wald und suchte dort den Magier auf. Mit nichts bewaffnet als seinem Bogen zum Schutz vor wilden Tieren, stapfte er drauflos. Aber er fürchtete sich nicht, und die Mühe des langen Weges wurde aufgewogen durch die Vorfreude auf den Unterricht, den er erhielt.

Darüber hinaus hatte er den Mann mit den silberweißen Haaren und den buschigen Brauen über leuchtenden Augen lieb – lieber als alle auf Sir Ectors Burg, seine immer ein bisschen mürrische Ziehmutter und seinen rechthaberischen Spielgefährten Kay mit eingeschlossen.

Was auf Sir Ectors Burg niemand wusste: Inmitten des rauen Waldes zwischen Klippen und brausenden Wasserfällen, befand sich eine liebliche Lichtung. Fast versunken im Boden, gab es da einen Kreis aus aufrecht stehenden Steinen, und neben Eiche und Esche und Weißdorn erhob sich ein Turm: Merlins Behausung. (Sicher konnte er ihn beliebig verschwinden lassen und wieder herbeizaubern, wenn ihm der Sinn danach stand.)

In diesem Turm lernte der Junge Dinge, wie sie einem Herrscher von Nutzen waren und einen Mann von Klugheit und Weitblick aus ihm machen sollten: Er erfuhr, wie man Heere führte, Befehle gab und Recht sprach, er hörte die Worte der Philosophen, vernahm ihre Weltweisheit, lernte, wie man Gut und Böse unterscheiden kann, begriff, was Moral ist – und betrachtete in der Nacht von der Plattform des Turms aus den Gang der Gestirne.

Als das „Niemandskind“, das er war, hatte Artus auf Sir Ectors Burg nicht nur Umgang mit der Adelsfamilie und den Lehrern seines Milchbruders. Er wurde auch schon einmal mit auf die Wiese zum Heumachen geschickt, wenn eine Hand mehr gebraucht wurde, oder arbeitete zusammen mit dem Hundejungen und dem Falkner im Vogelhaus. Er war zur Küchenmagd genauso nett wie zum Hütejungen und half dem Waffenmeister, eine Bogensehne aufzuziehen oder dem Schmied beim Beschlagen der Pferde, wozu sich Kay nicht im Traum herabgelassen hätte.

Merlin sah das mit Genugtuung. „Ich wollte immer“, sagte er, „dass du verstehst, worauf es ankommt. Diese Leute sind das Brot und Salz des Landes. Lords und Barone aber sind nur die Beigaben. Verachtest du Salz und Brot, wirst du hungrig vom Tisch aufstehen.“

Manche Dinge, die der alte Magier ihm beibrachte, waren so schwierig und für einen Knaben so wenig zu durchschauen, dass Merlin bisweilen zu einem Trick seine Zuflucht nahm. „Ich werde etwas in dein Gedächtnis einpflanzen, was du erst später hervorholen kannst. Komm, es ist ganz einfach. Bei Eiche und Esche und Dorn!“ Und mit diesen Worten gab er seinem Zögling die Blätter der drei Bäume in die Hand und drückte sie fest zu. Im Nu hatte Artus ein um das andere Mal alles „vergessen“, was Merlin ihm mit seinen Künsten in den Kopf „gezaubert“ hatte, und er bewahrte es für später in seinem Gedächtnis auf.

„Was hat es auf sich mit den drei Bäumen?“, fragte er seinen Lehrer einmal.

„Ach“, sagte Merlin und sah beiseite, als wäre er verlegen, „das ist einfach so. Sagen wir: Die Eiche ist unsere Festigkeit, wie Wall und Schwert, die Esche unsere Biegsamkeit, wie der lange Bogen und die Gerte, und der Weißdorn unsere Fröhlichkeit und Liebe. Und alles zusammen macht England aus. Sei nicht böse, wenn das zu schwierig für dich ist. Glaub es einfach.“

Auch andere Antworten, die der alte Zauberer gab, waren schwer zu verstehen für den Knaben – viel später erst begriff er ihren Sinn.

„Was ist mit ihnen?“, fragte er einmal und deutete auf den Steinkreis auf der Lichtung. „Manchmal ist ein Nebel um sie, auch wenn ringsum die Luft klar ist und die Sonne strahlt.“

Merlin fuhr sich mit den Fingern durch den Bart. „Das ist etwas Magisches“, erwiderte er, und es war ihm anzusehen, dass er nicht gern darüber Auskunft geben wollte. „Es gehört zu den Alten Mächten. Wenn der Nebel da ist, dann wird die Wand dünn zwischen dem Hier und dem Dort. Dann kann man hindurchgehen.“

Der Junge starrte ihn mit offenem Mund an. „Hier? Dort?“, wiederholte er. „Was meinst du?“

„Lassen wir’s dabei bewenden!“, entgegnete der Zauberer schnell. „Kümmere dich lieber um das hier. Ein Handbuch des Römischen Rechts.“

Artus hatte keine Ahnung, aus welchem Grund ihm das Recht der Römer beigebracht wurde. Er hielt es für eine Marotte seines weisen „Paten“ Merlin, und da er wissbegierig und leicht zu begeistern war, saugte er auch diese Kenntnisse in sich ein wie die Biene den Honig.

Und wenn er einmal fragte, warum er all das lernte und nicht etwa sein Milchbruder Kay, der doch viel „edler“ war als er, brummte Merlin: „Mit dir haben wir etwas vor, Junge.“ Und er lächelte.

Wer dieses „wir“ war, das blieb offen.

Merlin hatte ihm nicht verboten, auf der Burg von dem zu erzählen, was er während dieser vierundzwanzig Stunden im Wald tat, aber sobald er davon zu Sir Ector oder Kay reden wollte, winkten sie ab. Das war ihnen zu hoch. Artus ging eben in den Wald zu Merlin, der da ihrer Meinung nach eine kleine Hütte bewohnte … Weiter machten sie sich keine Gedanken.

So gingen die Jahre ins Land. Artus war zu einem Jüngling herangewachsen. Eines Tages erreichte Sir Ectors Burg die Nachricht, dass im fernen London König Uther Pendragon gestorben war. Eindringlinge aus Frankreich waren ins Land eingefallen. Uther hatte sich, wie stets, an die Spitze seiner Truppen gesetzt und die Fremden erfolgreich vertrieben. Aber er war schwer verwundet worden, und am Ende des Feldzugs war er den Verletzungen erlegen. Er hinterließ keinen Thronerben. Das Land war ohne Herrscher.

Das Schwert im Stein

Nun, Sir Ector kümmerte das wenig. Er war ein friedlicher Landedelmann, der es liebte, auf die Jagd zu gehen und seine Nachbarn zu ausgedehnten Trinkgelagen zu begrüßen; die Dinge der großen Politik lagen ihm fern, und er hatte keinen Ehrgeiz, sich einzumischen. Das Wichtigste schien ihm im Moment, die Schwertleite, also die Ritterweihe seines Sohns Kay, vorzubereiten, der gerade fünfzehn Jahre alt geworden war. Das war eine wichtige Angelegenheit im Leben eines jungen Adligen, die mit einem rauschenden Fest gekrönt wurde, zu dem die halbe Welt (im Umkreis von zehn Meilen!) zu Gast kam.

Ganz anders aber sah es außerhalb der Grenzen von Sir Ectors Besitztum aus!

All die gewalttätigen und herrschsüchtigen Barone, die Pendragons starker Arm bisher niedergehalten hatte, reckten nun wieder ihre geduckten Häupter empor. Sie raubten und mordeten, brandschatzten und plünderten die Dörfer und Städte und zogen gegen die Burgen ihrer Nachbarn zu Felde, um sich deren Besitz anzueignen, und es gab kein Gesetz, das sie nicht brachen. Die ehrgeizigsten unter den großen Herren jedoch scharten Bewaffnete um sich und machten sich bereit zum Kampf aller gegen alle um die Königswürde, denn jeder glaubte sich dazu berufen, über die anderen zu regieren.

Im Ausland sah man mit Befriedigung, wie Britannien immer mehr im Chaos versank. Die Feinde im kalten Norden, in Schottland, und jenseits des Meeres, im Süden, die Normannen auf dem Festland, warteten nur darauf, in das geschwächte Reich einzufallen.

Merlin sah mit Sorge, wie das Land, zu dessen Hüter er sich seit alters her bestellt fühlte, am Rand des Abgrunds dahintrieb. Er begab sich deshalb nach London und stattete dem höchsten christlichen Würdenträger, dem Erzbischof von Canterbury, einen Besuch ab.

Zu jenen Zeiten war, wie gesagt, das Christentum noch nicht die alles beherrschende Religion in England; noch immer verehrte man die Wesen, die in Bäumen, Quellen und Steinen wohnten, und mit Magiern und Zauberinnen ging man allgemein respektvoll um, denn sie konnten einem ebenso schaden wie nützen. Der Erzbischof kannte und schätzte Merlin als einen Wissenden, einen Nachfahren der alten Götter, und er war stets bereit, ihn anzuhören.

Merlin betrat eines Abends den bischöflichen Wohnsitz – wie üblich, ohne angemeldet zu sein. Der Erzbischof erschrak zunächst und hielt dem unangemeldeten Gast, der wie aus der Luft vor ihm erschien, das Kruzifix entgegen. In den Augen Merlins leuchtete es spöttisch auf. Mit großer Selbstverständlichkeit bekreuzigte er sich, als wenn er es alle Tage täte, und beugte sich sogar zum Kuss über die Hand des kirchlichen Würdenträgers.

Das beruhigte den Erzbischof, und so sprach Merlin schließlich: „Hochwürdiger Herr, wir beide sehen das Elend des Landes. Britannien wird im Bürgerkrieg versinken und Opfer der äußeren Feinde werden, wenn wir nicht bald einen neuen Herrscher haben. Daher lautet mein Rat: Beruft zum Weihnachtsfest alle Lords und Ritter nach London. Haltet dann einen Gottesdienst ab, und ruft die Herren dringlich dazu auf, Frieden zu halten. Führt ihnen vor Augen, dass die unseligen Kämpfe untereinander die Herrscher außerhalb Britanniens auf den Plan rufen, dass ihr Zwist nur dazu führen wird, die Normannen und die Schotten herbeizulocken. Und damit wirklich alle erscheinen, wäre es sinnvoll, wenn Ihr zugleich bekannt machen würdet, dass am Neujahrstag ein großes Turnier stattfinden soll. Eine Gelegenheit, sich zu raufen, nehmen sie immer wahr. Ich indessen“, so schloss er seine Rede, „will dafür sorgen, dass sich alles zum Guten wendet.“

Die letzten Worte des Zauberers wusste der Erzbischof nicht zu deuten, und nachfragen konnte er nicht, denn Merlin war schon wieder verschwunden, wie es seine Art war – ehe man sich’s versah, schien er sich in Nebel aufgelöst zu haben. Der Gottesmann bekreuzigte sich – und beschloss, dem Rat Merlins zu folgen.

Tatsächlich strömten nun die Lords aus allen Teilen des Reiches nach London, und bald war die Stadt bis zum Bersten gefüllt mit vornehmen Herren zu Ross, im Schmuck ihrer Rüstungen und bunten Wappenröcke. Sie trugen Helme mit gewaltigen Federbüscheln auf dem Kopf, waren bis an die Zähne bewaffnet und offenbar alles andere als friedfertig gestimmt. Für sie und ihr beträchtliches Gefolge musste Quartier geschaffen werden, und sei’s auch nur eine Scheune oder ein Pferdestall. Schon gab es die ersten Streitigkeiten, wurden Streitäxte und Schwerter gegeneinander geschwungen, was den Wundärzten zu Lohn und Brot verhalf. Die Londoner Gastwirte rieben sich die Hände, und Bäcker und Braumeister, Hufschmiede und Schwertfeger, Schuster und Schneider verdienten in den Tagen zwischen Weihnachten und Silvester mehr als sonst während eines ganzen Jahres.

Am Weihnachtstag hielt der Erzbischof das feierliche Hochamt ab.

Doch danach sollte sich etwas Merkwürdiges ereignen. Als der Priester sein „Ite, missa est“ („Geht heim, die Messe ist vorüber“) gesprochen und die Gläubigen aus dem Gottesdienst entlassen hatte, als die Menge unterm Geläut der Glocken aus der weihrauchduftenden Kathedrale ins Freie drängte: Siehe, da stand auf dem Kirchhof urplötzlich ein riesiger schwarzer Felsblock, den es vorher noch nicht gegeben hatte. Auf dem Stein befand sich ein stählerner Amboss, und in dem Amboss, bis tief in den Stein hineingetrieben, steckte ein prachtvolles Schwert.

Mit großen Augen und offenem Mund umringte die Menge staunend diesen Stein, und einige riefen schließlich: „Ein Wunder! Ein Wunder ist geschehen! Holt den Erzbischof, damit er dies hier betrachte und uns erkläre, was es bedeutet!“

Der geistliche Herr kam herbei, und als vorsichtiger Mann besprengte er das Ding zunächst einmal mit Weihwasser, um festzustellen, ob es sich nicht etwa um Teufelszeug handele. Aber den Stein „beeindruckte“ das nicht, und er stand weiterhin ungerührt an seinem Platz. Da erinnerte der Erzbischof sich an die Worte Merlins: Ich werde dafür sorgen, dass sich alles zum Guten wendet … Dies konnte nur ein Werk des Magiers sein. Aber was hatte es zu bedeuten?

Er trat näher heran und sah, dass auf dem Schwertknauf Worte geschrieben waren. Zuerst las er stumm für sich. Dann verkündete er mit lauter Stimme: „So steht es hier geschrieben: ‚Der, welcher dieses Schwert aus Stein und Amboss zieht, ist rechtmäßiger König von Britannien.‘“

Es erhob sich darauf ein großes Gemurmel, das bald zu einem Geschrei anschwoll, und schon drängten die ersten Lords herbei, um mit starkem Arm zu beweisen, dass ihnen die Krone gebührte, indem sie die Klinge aus dem Stein zögen. Aber keinem Einzigen von ihnen gelang es, das Schwert auch nur um Haaresbreite zu bewegen.

Da sagte der Erzbischof: „Offenbar ist der Mann, auf den diese Worte gemünzt sind, heute nicht anwesend. Aber Gott wird ihn uns zur rechten Zeit offenbaren. Ihr Herren, geduldet Euch. Wartet das Turnier am Neujahrstag ab, zu dem wir noch weitere Edelleute erwarten. Vielleicht ist der verheißene König unter ihnen.“

Nun war es die Pflicht eines jeden jungen Mannes, den man neu zum Ritter geschlagen hatte, so bald als möglich an einem Turnier teilzunehmen, um seine Kampfkünste unter Beweis zu stellen. Natürlich war die Kunde von dem großen Tjost in London auch bis zu Sir Ectors Landsitz gedrungen. Sir Kay, wie der frischgebackene Ritter sich nun nennen durfte, brannte darauf, daran teilzunehmen und drängte seinen Vater, mit ihm nach London zu reiten. Also rüstete man sich zur Reise, Sir Ector, sein Sohn und natürlich Artus, der als Knappe seines Milchbruders dessen Schild und den langen Turnierspeer zu schleppen hatte.

Ein Dutzend schwer bewaffneter Reitknechte eskortierte die drei. In diesen unsicheren Zeiten bedeutete so eine Reise ein großes Wagnis. Die besseren Straßen waren zwar zu beiden Seiten auf Pfeilschussweite von Gestrüpp und Unterholz befreit (ein Befehl des vorigen Königs Uther Pendragon!), sodass ein unvorhergesehener Überfall kaum möglich war, aber trotzdem konnten auf jeder Brücke, hinter jedem Hügel Bewaffnete im Hinterhalt liegen und auf diejenigen warten, die des Weges kamen. Und oft genug verengte sich die Straße zu einem schmalen Pfad, der sich zwischen Dünenkuppen und durch vereiste Moore hinzog, vorbei an weiten Riedgrassteppen, in denen Schwärme von Enten hausten, und durch dicht verschneite winterliche Wälder, vor denen man sich am meisten fürchtete – denn die berüchtigten Vogelfreien, gesetzlose Räuber, trieben dort ihr Unwesen und hatten es auf vornehme Reisende abgesehen.

Aber die drei hatten Glück und ihnen stieß nichts zu. Sie übernachteten zweimal in kleineren Städten und gelangten unbeschadet nach London, wo Sir Ector einen guten Bekannten hatte, bei dem man absteigen konnte – sonst wäre es wohl schwer gewesen, ein Quartier zu finden in der überfüllten Stadt.

Man war gerade noch rechtzeitig angelangt. Der große Tjost fand am nächsten Tag statt.

Sir Kay konnte die ganze Nacht vor Aufregung nicht schlafen. Sein erstes Turnier! Er malte sich immer wieder aus, wie er die besten Barone Englands aus dem Sattel heben würde. Zum Frühstücken war er viel zu aufgeregt und brachte es fertig, seinen Vater und seinen Knappen schon eine Stunde vor dem Beginn zum Turnierplatz, dem Feld, zu scheuchen.

Noch waren die Ritter nicht erschienen, aber der riesige Kampfplatz beeindruckte die drei „vom Lande“ auch ohne Akteure: Der Rasen schimmerte grün trotz des Wintertags – man hatte den Schnee weggefegt und über Nacht Stroh daraufgelegt, um das Grün frisch zu halten. Die Tribünen und die Absperrungen leuchteten in Weiß und Purpurrot, und für die ganz Vornehmen waren seidene Zelte in allen Farben des Regenbogens aufgeschlagen. Flaggen mit den Wappen des englischen Hochadels flatterten knarrend im Winterwind, und man konnte sich gut vorstellen, wie die Plätze sich bald mit schön geschmückten und goldgezierten Damen füllen würden, wie die Rüstungen der Kämpfer im Licht der Wintersonne gleißen und blitzen würden und mit dem Metall der Trompeten an Glanz wetteifern …

Sir Kay sah sich um, griff an seine Seite, um sich zu vergewissern, dass die Rüstung korrekt fest geschlossen war – und ließ die Hand sinken. „Großer Gott!“, rief er, bleich vor Schreck. „Mein Schwert! Ich habe es in unserem Zimmer vergessen!“

Sein Vater sah ihn unwillig an und schüttelte den Kopf. „Ohne Schwert kannst du nicht tjostieren, Junge. Das verstößt gegen alle Regeln. Aber zum Glück ist ja noch Zeit, es zu holen.“

„Das ist ein Auftrag für meinen Knappen!“, sagte Kay. „Schnell, Artus, lauf zu unserem Quartier, und hol das Schwert. Wenn du es rechtzeitig schaffst, werde ich dich belohnen.“

Artus war zwar einiges gewohnt von seinem hochfahrenden Milchbruder, aber diesmal wurde er ärgerlich. Natürlich, er war nur der Knappe. Aber er hätte um sein Leben gern den Anfang dieses Turniers mit angesehen. Das würde er nun wohl verpassen. Trotzdem sagte er: „Es soll geschehen, wie Ihr gebietet, Sir Kay!“, drehte sich um und strebte gegen den Strom der langsam herbeikommenden Menschenmassen zurück zu dem Haus, wo sie übernachtet hatten.

Aber als er ankam, fand er die Türen verriegelt und die Fenster mit dicken Holzbalken verbarrikadiert. Alle, vom Hausherrn bis zum Gesinde, waren zu dem bevorstehenden Kampf unterwegs, und natürlich ließ man in diesen zügellosen Zeiten sein Haus nicht unverschlossen, wenn man wegging.

Wo sollte Artus nun ein Schwert für Kay herbekommen? Er überlegte, ob er vielleicht noch irgendeinen Waffenschmied finden könnte, der in seiner Werkstatt war – aber er kannte sich ja nicht aus in London.

Unversehens hatten ihn seine Füße vor eine große Kirche getragen, und da auf dem Kirchhof entdeckte er etwas.

In einem Amboss über einem Stein steckte ein glänzendes Schwert. An seinem Knauf funkelten Juwelen und ein paar kleine goldene Buchstaben, auf die der Junge nicht weiter achtete.

Artus war froh über seine Entdeckung. Er blickte sich um, aber da war niemand, dem die Waffe zu gehören schien.

Nun konnte er seinen Auftrag ausführen. Mit diesem Schwert würde er zu Sir Kay gehen, damit der sein erstes Turnier bestreiten konnte.

Er fasste das Schwert am Griff.

Auf einmal war ihm, als würde das Licht auf dem Kirchhof leuchtender, und er sah alle Dinge viel klarer als zuvor. Waren da Klänge in der Luft? Hörte er Musik – oder war es das Rauschen von Bäumen? Eiche und Esche und Weißdorn …

„Merlin?“, fragte er mit erhobenem Haupt und lauschte ins Blaue hinein. „Bist du hier?“

Aber da kam keine Antwort.

Für einen Augenblick ließ Artus den Schwertknauf los. Und sogleich war alles, wie es immer gewesen war. Keine Klänge, keine leuchtende Klarheit, kein Baumrauschen. Gar nichts.

Artus schauderte. Aber dann nahm er sich zusammen. Schließlich brauchte Kay ein Schwert …

Er packte wieder zu. Mit lockerer Hand zog er daran, und das Schwert glitt heraus, so leicht, als habe es in einer Scheide gesteckt.

Wie Artus König wurde

Um den Turnierplatz herum herrschte ein Lärm wie auf einem Jahrmarkt. Die Zuschauer grölten und schrien, feuerten die Kämpfer mit rhythmischen Zurufen und Händeklatschen an, pfiffen, wenn einer etwas tat, was gegen das strenge Turnierreglement verstieß, brüllten vor Begeisterung, wenn jemand aus dem Sattel gehoben wurde und in hohem Bogen durch die Luft flog, und spendeten dem Sieger wie wild Beifall. Mit Mühe bahnte sich Artus, das großartige Schwert in der Hand, seinen Weg durch die Menge, zu der Stelle, wo er seinen Pflegevater und dessen Sohn verlassen hatte.

Sir Kay hatte bis jetzt dem Lanzenstechen zugesehen und wartete bereits aufgeregt auf Artus, denn er sollte bald an die Reihe kommen. „Wo bist du so lange gewesen?“, rief er seinem Knappen entgegen.

„Entschuldigt, aber das Haus war verschlossen. Ich musste ein anderes Schwert für Euch besorgen“, erwiderte Artus und hielt ihm die Waffe mit dem funkelnden Knauf entgegen.

„Wo hast du das her?“, fragte der junge Ritter misstrauisch.

„Vor einer Kirche hat es in einem Amboss gesteckt“, sagte Artus. „Ich habe es herausgezogen. Wir können es ja nach dem Turnier wieder dorthin zurückbringen.“

Sir Kay bekam Riesenaugen. Im Gegensatz zu seinem Milchbruder hatten nämlich er und sein Vater während der Zeit, die sie auf dem Platz gewartet hatten, reichlich Gelegenheit gehabt, das Gerücht von dem Schwert im Stein zu hören. Er las die Worte, die auf dem Schwertgriff geschrieben standen. Dann wandte er sich an Sir Ector und sagte: „Vater, ich habe das Schwert aus dem Stein. Nun muss ich König von England werden.“

Doch Sir Ector wiegte den Kopf. Er war ein bedächtiger und verständiger Mann. Er sah von einem zum anderen. Dann sagte er: „Kommt, ihr beide. Kay, wir verlassen das Turnier. Es gibt Wichtigeres zu tun.“

Kay wollte widersprechen – schließlich ging es um seinen ersten Kampf! –, doch die Miene seines Vaters war zu ernst. Er fügte sich.

Die drei begaben sich zu der Kirche, wo Stein und Amboss nun ohne die Waffe standen. Sir Ector sagte zu seinem Sohn: „Nun steck das Schwert wieder in den Amboss, Kay, und dann zieh es heraus.“

Kay tat, wie ihm sein Vater geheißen hatte, und steckte die Klinge in den Schlitz im Amboss – aber sosehr er sich auch mühte, es gelang ihm nicht, sie wieder herauszuziehen. Auch Sir Ector versuchte es. Ebenfalls vergeblich.

„Nun du, Artus!“, sagte der alte Mann. Und Artus trat hinzu und zog das Schwert so glatt heraus, als steckte es in Butter.

Sie versuchten es mehrmals, aber einzig Artus war imstande, die Klinge zu bewegen.

Und dann sah er, dass sein Pflegevater vor ihm in die Knie ging und auch seinen Sohn Kay herunterzog.

„Was soll das, Sir Ector?“, rief er erschrocken. „Warum kniet Ihr vor mir?“

„Mein Herr und Gebieter“, sagte Sir Ector, „habt Ihr nicht gelesen, was auf dem Knauf dieser Waffe steht? Jeder hier in London weiß es: Der, welcher dieses Schwert aus Stein und Amboss zieht, ist rechtmäßiger König von Britannien. Ihr, mein Pflegekind, werdet unser Herrscher sein – Ihr seid offenbar von edlerem Blut, als ich es bin, und sicher wird Merlin das Geheimnis Eurer Herkunft bald lüften. Ich bitte Euch nun um eins, Majestät: Seid mir und meinem Sohn ein guter und mildtätiger Herrscher, und nehmt Kay mit auf den Weg, der Euch nun bevorsteht.“

Der Kampf um den Thron

Artus stand da, das Schwert in der Hand, und sah auf die Knienden herab. Er, das Pflegekind, der Niemand – und nun nannten ihn diese Edelleute plötzlich Majestät?

„Bitte steht doch auf, Sir Ector, Sir Kay – ich … das kann ich nicht dulden!“, sagte er.

Und dann wanderte sein Blick über die beiden hinweg in die Ferne, und ihm war, als sähe er Merlins Turm auf der Lichtung unter den drei Bäumen Britanniens stehen. Auf einmal fügte sich alles zusammen. Er begriff, wozu ihn der Zauberer erzogen hatte und warum er ihn in Dinge eingeweiht hatte, deren Sinn er damals noch gar nicht verstand. All das, was er, die drei Blätter der heiligen Bäume in der Hand, damals „vergessen“ hatte, strömte nun in seinen Kopf zurück. Und für einen Augenblick senkte sich die ganze Bürde seiner künftigen Pflichten wie ein bleierner Mantel auf seine Schultern.

Aber dann straffte er sich, und seine Augen leuchteten. Ja. Es hatte wohl alles seine Richtigkeit. Dazu hatte ihn Merlin erzogen.

„Lasst uns zum Erzbischof gehen“, sagte er. „Gewiss ist er weise genug, zu verstehen, was hier passiert ist.“

Nun versammelte das geistliche Oberhaupt des Landes die Großen des Reichs ein zweites Mal in der Kirche und verkündete, dass dank der Gnade Gottes ein Wunder geschehen war: „Ihr Herren und Volk von London!“, rief er mit tönender Stimme. „Es ist entschieden. Einem fünfzehnjährigen Knaben, einem jungen Mann ohne Titel und von unbekannter Herkunft, ist es gelungen, das Schwert der Verheißung aus dem Stein zu ziehen. Er gewann, ohne zu wissen, wie, ein Königreich.“ Und er nahm Artus an die Hand und führte ihn vor die Stufen des Hochaltars, rufend: „Hier, ihr Herren, steht euer neuer König!“

Artus stand da, ein blonder Junge, das große Schwert in der Hand, und aus seinem freundlichen treuherzigen Gesicht leuchteten die blauen Augen voller Verwunderung und ernster Freude.

Nach ein paar Momenten der Stille erhob sich in der Kathedrale ein unbeschreiblicher Tumult. Während die paar einfachen Leute, die sich hinten im Kirchenschiff zusammengedrängt hatten, in lauten Jubel ausbrachen und den neuen König begrüßten, der der Willkür im Lande ein Ende setzen würde, begannen die Lords zu fluchen und zu toben.

„Wie denn? Soll jetzt Britannien von einem bartlosen Knaben regiert werden, einem Kind, von dem man nicht einmal weiß, wessen Sohn er ist? Das lassen wir nie und nimmer zu! Wir wollen die Probe noch einmal machen – vielleicht ist ja der Zauber erloschen und jeder Beliebige kann nun das Schwert aus Amboss und Stein ziehen!“

Der Erzbischof konnte sich ihrem Drängen nicht entziehen. Er befahl, die Klinge wieder an ihren Platz zurückzubringen.

Und dann probierten einen ganzen Tag lang die Lords und Barone Englands ihre Kräfte an diesem Schwert aus – vergeblich. Nur Artus konnte es jedes Mal ohne Anstrengung bewegen.

Die Großen des Landes gaben aber noch nicht auf. „Lasst uns die Entscheidung vertagen, hochwürdiger Herr! Vielleicht gibt es irgendwo ja noch einen Ritter, der nicht von diesem Ding gehört hat und dessen Bestimmung es ist, das Wunder zu vollbringen!“, forderten sie.

(Natürlich war das nur eine Ausflucht, denn keiner von ihnen gönnte dem anderen die Königswürde, ganz gleich, wie berühmt und mächtig er war.)

Schließlich sagte der Erzbischof: „Nun gut. Wir wollen uns alle zu Mariä Lichtmess wieder versammeln zu einer erneuten Probe!“ Das war Anfang Februar.

So geschah es, und wieder war das Ergebnis das gleiche. Doch die aufgebrachten Barone erzwangen noch eine zweite und dritte Verschiebung: bis Ostern zuerst, dann bis Pfingsten. Es wollte nicht in ihre hochmütigen Köpfe, dass sie sich von einem „Dahergelaufenen“ beherrschen lassen sollten. Schließlich versammelten sich ein letztes Mal zur Probe alle um Stein, Schwert und Amboss.

Inzwischen hatten sie eine solche Wut auf den jungen Artus, dass man um sein Leben fürchten musste. Sir Ector und sein Sohn Kay sowie einige der alten Vertrauten des Königsgeschlechts, aus dem König Uther stammte, wie Sir Ulfius und andere, bewachten den jungen Mann bei Tag und Nacht. Keinen Moment ließen sie ihn aus den Augen, denn gern ging er aus dem Haus und wanderte durch die Straßen Londons, wo er von den einfachen Leuten überall mit Freude und Hochachtung begrüßt wurde. „Liebe Majestät“, riefen sie dann, „Gott segne dein blondes Haar und deine Jugend und deine Kraft und deine treuen Augen! Du wirst uns zu unserem Recht verhelfen, das wissen wir! Unter dir werden wir sicher und in Frieden leben können!“ Das hörte Artus, und er gelobte sich in seinem Herzen, die Erwartungen der Menschen nicht zu enttäuschen.

Die großen Herren des Landes also versuchten sich noch einmal am Schwert im Stein, und wieder zeigte sich, dass keiner von ihnen imstande war, die magische Waffe herauszuziehen. Da versammelten sie sich, ungeachtet der Heiligkeit des Orts, unter Lärmen und Toben in der Kirche. Sie gaben wiederum ihre Meinung kund, dass sie – Schwertprobe hin oder her – nicht bereit seien, sich diesem hergelaufenen Niemand zu unterwerfen. Der Erzbischof besaß keine Macht über sie.

Da erschien auf einmal Merlin inmitten der Versammlung, und in seiner Hand trug er ein weißes Banner mit einem blutroten Drachen, der wie lebendig wirkte, wenn sich die Seide bewegte.

„Ihr Herren!“, rief er. „Hört mich an. Erkennt ihr dieses Zeichen? Es ist die Fahne, unter der König Uther Pendragon, das Drachenhaupt, zu Felde zog und Ungehorsame niederzwang, wie ihr wohl wisst. Und so wahr ich des großen Königs Vertrauter gewesen bin, so gewiss ist es, dass dieser Knabe Uthers Sohn ist. Ich selbst habe den Herrscher heimlich zu Lady Igraine geführt, während der Zeit, als er die Burg von Terrabil belagerte, und aus dieser Verbindung ist Artus hervorgegangen. Und ich habe dann das Kind zu Sir Ector gebracht, damit ich es in aller Ruhe, unbehelligt von den heimtückischen Plänen machthungriger Barone, zu dem erziehen konnte, was er einmal sein wird: Britanniens großer Herrscher. The once and future King – der einstige und künftige König.“