Asiens letzte GEHEIMnisse - Beatrice Sonntag - E-Book

Asiens letzte GEHEIMnisse E-Book

Beatrice Sonntag

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Beschreibung

Beatrice Sonntag liebt die Welt und das Reisen. Auf der Suche nach Asiens letzten Geheimnissen hat sie zwei Staaten besucht, die unterschiedlicher kaum sein könnten. In Nordkorea hat das zuvorkommende Personal des Ministeriums der Weltreisenden die Vorzeigesehenswürdigkeiten gezeigt und ihr die Weltgeschichte aus nordkoreanischer Sicht erklärt. In Bhutan ist Beatrice Sonntag einem freundlichen Reiseleiter durch das glücklichste Land der Welt gefolgt und hat dabei ein behütetes und friedliches Land kennen gelernt, dessen Menschen tatsächlich glücklich wirkten. Dieses Buch ist für alle, die unsere schöne Welt lieben, auch wenn sie nicht mit dem Gedanken spielen, sich in Nordkorea vor den Statuen des Staatsgründers zu verbeugen oder in Bhutan die frische Hochgebirgsluft zu schnuppern. Lassen Sie die Erzählungen aus zwei asiatischen Ländern einfach auf sich wirken.

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Inhaltsverzeichnis

Vor-Vorwort

Vorwort

DPR Korea – Staatlich verordnete Trauer im absurdesten Land der Welt

Bhutan – Glück, Erleuchtung und Chili für alle

Nachwort

Vor-Vorwort

Für die Neuauflage von „Asiens letzte Geheimnisse“ möchte ich rückblickend ein paar Worte schreiben. Ich habe mich weiterentwickelt, viele spannende neue Ziele entdeckt, meine Weltsicht erweitert und mittlerweile 130 Staaten besucht. Meine Nordkorea-Reise ist nun acht Jahre her. Ich war zwischenzeitlich auch endlich mal in Südkorea, einfach weil die koreanische Kultur faszinierend ist.

Dennoch bleiben die beiden Rundreisen durch Nordkorea und durch Bhutan zwei Erlebnisse, die bei mir mit die tiefsten Eindrücke hinterlassen haben. Erschreckenderweise hat sich in Nordkorea nicht das Geringste geändert, zumindest nicht für die Situation der normalen Menschen. Hier mal ein Atomraketentest, da mal eine Militärparade. Säbelrasseln kann Kim Jong Un genauso wie sein Vater sehr gut. Alle Hoffnung, dass sich mit einem jungen Mann an der Spitze etwas ändern würde, ist wohl mittlerweile endgültig verflogen.

Daher bleibt meine Geschichte aktuell und soll auch weiterhin im Handel verfügbar sein. Viel Spaß beim Lesen!

Eure Beatrice!

Vorwort

Schon seit einigen Jahren ist das Reisen meine Lieblingsbeschäftigung. Nachdem ich Rom, Prag, Stockholm und Paris besucht hatte und mich für ausreichend auslandserprobt und abenteuerlustig hielt, buchte ich Reisen nach Jordanien, Usbekistan, Kuba, Laos und Botswana. Ich wurde mutiger oder leichtsinniger und bald betrachtete ich Länder als touristisch interessant, die von anderen Menschen eher als Krisengebiete eingestuft werden. Über die besonders spannenden Reiseziele und meine Erlebnisse in der Fremde habe ich Geschichten geschrieben, die in der Regel sehr heiter waren und meine Begeisterung für alles Fremde und Exotische zu Papier brachten.

Meine Ziele wurden mit der Zeit immer exotischer. Belize ist bei europäischen Touristen wenig bekannt. Armenien und der Kosovo stehen in nur wenigen Katalogen von Reiseveranstaltern zur Auswahl und das ehemalige Burma, heute Myanmar, öffnet sich nur langsam dem Tourismus. Nordkorea ist eigentlich kein touristisches Ziel. Vielleicht hat mich gerade der Gedanke daran, in ein Land zu reisen, das sich vollkommen von der Außenwelt abschirmt und das quasi in einem kleinen Paralleluniversum existiert, gereizt. Sicher zog mich auch die Tatsache an, dass Nordkorea eines der wenigen Länder ist, die noch den Kommunismus als Staatsform haben. Auf jeden Fall weckte das beinahe vollkommene Fehlen von Informationen und die Fülle von Gerüchten, die im Westen kursieren, meine Neugier.

Nach meiner wohlbehaltenen Rückkehr im Sommer 2013 aus dem Reich der Kims schrieb ich meine Geschichte und schnell war klar, dass sie sich in einem essentiellen Punkt von meinen sonstigen Reiseerzählungen unterschied: Sie war nicht heiter. Überhaupt nicht. Gemeinsam mit den beiden größten Fans meiner Schreibkunst und dem Verleger dieses Buches entstand bald die Idee, meine Geschichte aus dem traurigsten Land der Welt (so zumindest habe ich es empfunden) einer Geschichte aus dem vermeintlich glücklichsten Land der Welt gegenüber zu stellen. Unter den glücklichen Ländern fiel uns Bhutan ein, über das ebenfalls viele Gerüchte im Umlauf sind und das sehr wenig bekannt ist. Also machte ich mich im Frühjahr 2014 auf nach Bhutan, dem kleinen Land im Himalaya, in dem das Glück seiner Bewohner sogar im Grundgesetz verankert ist.

Ohne schon zu viel vorzugreifen, kann ich behaupten, dass ich zwischen den beiden Ländern, die unterschiedlicher nicht sein könnten, einige wenige Gemeinsamkeiten gefunden habe: Sie sind beide sehr verschlossen und skeptisch gegenüber dem Rest der Welt, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Sie verehren beide ihren Herrscher beinahe gottgleich, auch aus sehr verschiedenen Motiven. Beide Staaten haben je nur einen internationalen Flughafen und eine eigene Fluggesellschaft, die exklusiv diese Flugplätze ansteuert. Sie liegen beide in Asien. Darauf beschränken sich die Gemeinsamkeiten grob.

Die Unterschiede zwischen Nordkorea und Bhutan sind so frappierend, dass ich im Grunde den Eindruck hatte, mich in zwei verschiedenen Welten zu befinden. Am eindrücklichsten wurde mir die Verschiedenheit der Länder dadurch bewusst, wie ich mich im Laufe der jeweiligen Reise fühlte. Während ich in Nordkorea stets darauf bedacht war, nichts Falsches zu sagen oder zu tun und mich unentwegt beobachtet fühlte (was ich auch war), war meine Reise durch die Berge und Dörfer von Bhutan geprägt von einem Gefühl der Freiheit, des Friedens und der Gelassenheit. Außer meinen Reisebegleiterinnen und einigen Touristenführern habe ich in Nordkorea keinen Menschen lächeln sehen. Alle gingen verbissen, ernst und irgendwie ängstlich ihren Aufgaben nach. Bhutan ist hingegen ein Land, das vom Lachen und Lächeln geradezu erfüllt ist.

Beim Schreiben wurde mir schnell klar, dass ich meinen Vorsatz, nicht zu urteilen und ganz objektiv zu beschreiben, was ich erlebt habe, nicht einhalten konnte. Zu sehr haben mich positive und negative Eindrücke beeinflusst. Also lasst Euch von mir auf eine Reise in zwei sehr unterschiedliche Länder Asiens entführen und kommt mit mir auf die Suche nach Asiens letzten Geheimnissen. Ihr müsst mir nicht alles glauben und selbstverständlich müsst Ihr meine Ansichten nicht teilen. Letztendlich gehören beide Reisen zu den interessantesten und außergewöhnlichsten Unternehmungen meines bisherigen Lebens und ich habe wie immer viel zu erzählen…

Eure Beatrice!

DPR Korea – Staatlich verordnete Trauer im absurdesten Land der Welt

Meine Pläne, nach Nordkorea zu reisen, brachten bereits im Vorfeld der Reise viele Köpfe zum Schütteln. Zuerst tun dies alle meine Bekannten und Familienmitglieder, teils aus Unverständnis, teils aus Sorge, teils aus der Gewissheit heraus, dass es ja wahrscheinlich einfach irgendwann soweit kommen musste, dass mir die salonfähigen und moralisch vertretbaren Reiseziele ausgehen.

Ich muss betonen, dass es nicht an einem Mangel an Reisezielen lag, sondern einfach an meiner Neugier. Nachdem der neue und mittlerweile dritte Diktator Kim in seiner begeisterten Amtsantrittsrede von Öffnung und von einem besseren Leben für seine Untertanen gesprochen hat, reifte in mir der Wunsch, das verschlossene und weltfremde letzte Beispiel für einen grausamen Kommunismus zu besuchen, bevor sich hier alles zum Besseren wendet und die Menschen in den Genuss von Freiheit, Nahrungsmitteln und Literatur kommen.

Während der Planungen für die Reise wird mir zunehmend klar, dass Diktator Nummer drei keineswegs irgendwelche Reformen oder Verbesserungen für seine Landsleute im Sinne hat und dass er lieber der Tradition seines Vaters und seines Großvaters folgt, alle paar Jahre mit einem Atomkrieg zu drohen und seinen totalitären Staat weiter zu hegen und zu pflegen. Ich habe in der Zwischenzeit aber schon eine schwedische Agentur gefunden, die meine Reisepläne umsetzen kann und die Vorbereitungen sind in vollem Gange. Nun beginnt die Phase, in der mein Kopf geschüttelt wird. Ich schüttele ihn, als eine Anzahlung verlangt wird mit dem Vermerk, dass auf dem Überweisungsträger der Verwendungszweck nicht genannt werden soll. Ich schüttele ihn weiter, als ich meinen Chef um eine unterschriebene Bescheinigung bitten muss, dass ich für ihn in Vollzeit als Projektmanagerin tätig bin. Diese wird für die Beantragung des Visums verlangt. Ich schüttele weiter den Kopf, als ich von meiner schwedischen Agentur die mehrere Seiten umfassende Informationsbroschüre erhalte. Darin sind einige wichtige Verhaltensregeln erklärt und ich erfahre, was mich als Tourist in der Demokratischen Volksrepublik Korea erwartet. Einige Beispiele führen mir vor Augen, wie leicht man als unbedarfter Tourist in ernsthafte Bedrängnis geraten kann. So hat zum Beispiel ein österreichischer Besucher in seinem Hotelzimmer geraucht und seine Zigarette mangels Aschenbecher oder einfach aus Faulheit auf einer Zeitung ausgedrückt, die auf seinem Nachttisch lag. Ihm muss dabei entgangen sein, dass der so entstandene Brandfleck sich auf dem Bild eines der Kims befand. Ein Zimmermädchen hat – und das ist das eigentlich Schockierende an dieser Geschichte – den Brandfleck auf der Zeitung gesehen und die Polizei gerufen. Der Österreicher wurde nach einem langen und bestimmt sehr unangenehmen Verhör auf direktem Weg des Landes verwiesen, womit er wahrscheinlich noch Glück hatte.

Ein Schwede soll während eines Seminars auf seinem Exemplar der aktuellen Propagandabroschüre einige Notizen aufgeschrieben haben. Dies ist ihm als Majestätsbeleidigung ausgelegt worden oder wie auch immer der Tatbestand der Verunglimpfung eines der gottgleichen Kims offiziell heißt. Es folgte ein schwerer Verweis. Wer sich zu ernsthaften Beleidigungen oder kritischen Bemerkungen über Kim Il Sung oder Kim Jong Il hinreißen lässt, dem droht die Haft in einem Arbeitslager oder im schlimmsten Fall die Todesstrafe. Gleichzeitig lese ich in der Broschüre den sehr beruhigenden und kategorischen Satz: „Kriminalität gegen Ausländer kommt nicht vor.“ So einfach ist das. Es ist noch nie einem Touristen auch nur ein Kugelschreiber gestohlen worden. Niemand traut sich, mit einem Ausländer zu sprechen, geschweige denn, einen zu berühren oder gar etwas von ihm entgegen zu nehmen. Zudem erfahre ich noch immer kopfschüttelnd, dass ich mich nicht frei bewegen darf.

Wie auch immer, wer die ganze Welt sehen will, der muss wohl auch einige Unannehmlichkeiten oder in diesem Fall Absurditäten auf sich nehmen. Die Reise kann beginnen!

Tatsächlich geht es dann nach einigen Monaten des Bangens, ob dem Visumsantrag am Ende tatsächlich stattgegeben wird, los. Ich habe einen dicken Stapel an teilweise merkwürdigen Instruktionen, die schlechte Kopie eines Flugtickets und meine Liste der Dinge, die in Nordkorea verboten sind, bei mir und warte in Peking in einem eleganten Hotel auf Herrn Pak Chong Hul, der mir mein Zugticket übergeben soll. Tatsächlich taucht fast pünktlich ein asiatisch aussehender Mann auf, der in Peking unter den anderen Millionen von asiatisch aussehenden Männern nicht weiter auffällt. Er fragt nach meinem Namen und ob ich hier auf ein Zugticket warte. Ich bejahe. Er drückt mir einen Zettel in die Hand, murmelt etwas, das ich als „einen Augenblick, ich bin gleich zurück“ interpretiere und verschwindet dann. Als er nach fünfzehn Minuten noch immer nicht zurückkommt, dämmert mir, dass diese kurze und unauffällige Übergabe der Papiere vielleicht alles war, was ich zu erwarten habe. Mir ist etwas unwohl bei dem Gedanken, alleine mit diesem Zettel in den riesigen Pekinger Hauptbahnhof zu gehen und dort auf gut Glück nach dem richtigen Zug zu suchen. Aber da mir langsam die Zeit davon läuft, mache ich mich auf den Weg.

Ich brauche nur etwa zwanzig Minuten, um die Dame am Informationsschalter auf mich aufmerksam zu machen und sie zu einer Auskunft darüber zu bewegen, wo sich mein Zug befindet. Mindestens acht Mal drängelt sich ein unhöflicher Chinese nach dem anderen vor und boxt oder schiebt mich zur Seite. Schließlich finde ich das richtige Gleis und werde in einen der zwei letzten Waggons geschickt. Diese beiden Waggons unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von den 16 normalen Eisenbahnwagen. Zunächst einmal sind sie etwas komfortabler eingerichtet. Dann haben sie keinen Zugang zu den normalen Wagen, die bis zum Bersten voll mit lärmenden Chinesen und deren Bergen von Verpflegung stecken. Und die Menschen, die sich in den Waggons befinden, die nach Nordkorea fahren, dürfen nicht in den Speisewagen hinein. Darüber hat mich mein umfangreiches Warnungsheftchen informiert und ich bin mit chinesischer Tütensuppe, Kartoffelchips und Trockenpflaumen für die mehr als 24-stündige Zugfahrt eingedeckt.

Auf chinesischer Seite hält der Zug mehrfach an großen und geschäftigen Bahnhöfen, wobei in die beiden Korea-Abteile niemand zusteigt. Es wird langsam dunkel; lärmende Chinesen verlassen den Zug, andere steigen ein. Ich esse eine Tütensuppe und unterhalte mich kurz mit einer holländischen Reisegruppe, die mir den wertvollen Tipp gibt, vor der Grenzkontrolle die Toilette aufzusuchen, weil die Fahrgäste während der Kontrollen durch die koreanischen Beamten ihr Abteil nicht verlassen dürfen. Am Morgen erreichen wir Dandong, die letzte Stadt auf chinesischer Seite. Ich gehe viermal zur Toilette, weil ich keine Ahnung habe, wann die Kontrollen wohl beginnen werden. Unglücklicherweise hat sich der Zustand der Toilette seit unserer Abfahrt am vorherigen Nachmittag kontinuierlich verschlechtert. Mittlerweile hat sogar jemand ein Gericht aus schwarzen Bohnen, Hähnchen mit viel Sauce vor der Toilettentür im Gang fallen lassen, was die Situation noch verschärft.

Die chinesischen Grenzbeamten verschwinden eine Weile mit meinem Pass, bringen ihn aber bald zurück. In mein Abteil kommen zwei Mitreisende, ein Mann mit seiner etwa zwanzig Jahre alten Tochter. Sie nehmen Platz, der Zug rangiert viermal hin und her. Uns werden Formulare ausgeteilt, die wir ausfüllen sollen. Die Anwesenheit der jungen Dame erweist sich als ein Segen, denn das Formular ist zweisprachig: chinesisch und koreanisch. Sie übersetzt mir langsam, aber relativ zielsicher, was ich in die einzelnen Kästchen eintragen soll. Name, Geburtsdatum, Passnummer und so weiter. Habe ich Drogen, Waffen, horrende Geldbeträge, Krankheitserreger, frisches Obst, rohes Fleisch oder Publikationen irgendwelcher Art bei mir? Die Vorschriften sind schon deutlich gelockert. Während es bis vor wenigen Monaten noch vollkommen untersagt war, Bücher einzuführen, die sich mit der westlichen Lebensweise oder mit Korea, egal ob Norden oder Süden, befassen, so sind mittlerweile nur noch solche Bücher verboten, die eindeutige westliche Propaganda verbreiten. Darunter fallen zum Beispiel auch die einschlägigen Reiseführer über Nord- oder Südkorea, in denen solch infame Lügen stehen wie zum Beispiel Angaben zum Bruttoinlandsprodukt. Mittlerweile dürfen Touristen sogar ihre Mobiltelefone mit ins Land bringen. Vor einigen Monaten noch wurden diese einkassiert und am Ende der Reise wieder zurückgegeben. Tatsächlich nützen die Geräte ohnehin nichts, weil kein ausländischer Anbieter das nordkoreanische Netz benutzen kann. Abgesehen davon, ist das Netz ohnehin nur sporadisch ausgebaut.

Dann endlich überqueren wir die Grenze. Der Zug fährt über eine baufällige Brücke mit dicken Metallträgern, in denen ich hunderte Einschusslöcher zu erkennen glaube. Neben dem einzigen Strang Gleise, der über diese Brücke führt, gibt es eine einspurige, vor sehr langer Zeit asphaltierte Straße, auf der uns ein Lastwagen entgegen kommt. Die Brücke verbindet Dandong auf der chinesischen mit Sinuiju auf der koreanischen Seite. Wenn ich aus dem Fenster schaue und die eindrucksvollen modernen Hochhäuser Dandongs sehe, die sich am Flussufer dicht aneinander reihen, habe ich fast den Eindruck, dass sie auf die schäbigen kleinen Bauten auf der koreanischen Seite herab lächeln. Bei Dunkelheit muss das beleuchtete Häusermeer Dadongs die Koreaner am anderen Ufer doch nachdenklich stimmen, denke ich mir. Dann erblicke ich eine weitere Brücke, die jedoch nur von der chinesischen Seite bis zur Mitte des Flusses führt und dann abrupt endet.

Die koreanischen Grenzbeamten betreten und durchkämmen den Zug. Sie lassen sich von der jungen Dame einige Teile dessen übersetzen, was ich in mein Formular geschrieben habe, notieren meinen Namen und mein Geburtsdatum sowie die Marke meines Mobiltelefons in koreanischer Schrift auf dem Formular und wenden sich dann der Flasche Schnaps zu, die der Vater der jungen Frau dabei hat. Er scheint irgendein hohes Tier zu sein, denn die Beamten sind sehr nett zu ihm. Mich lassen sie weitestgehend unbeachtet, was mich fast enttäuscht, nachdem ich mich auf eine scharfe und sorgfältige Kontrolle eingestellt hatte.

Trotzdem stehen wir fast drei Stunden auf der koreanischen Seite der Grenze. Ich sehe aus dem Fenster und erblicke hohe Mauern, einige Gleise und im Hintergrund mehrstöckige hässliche Plattenbauten. Zwischen den Gleisen liegen die Trümmer von etwas, das einmal ein Bahnsteig oder eine Art Plattform aus Beton gewesen sein mag. Ich beobachte zwei Männer dabei, wie sie die Armierung aus dem zertrümmerten Beton heraus ziehen. Beide sind barfuß unterwegs und sehr dünn. Einer der beiden trägt kein T-Shirt und sieht aus wie Bruce Lee zu seiner besten Zeit. Braungebrannt und muskelbepackt stemmt der kleine Mann die schweren Metallstangen, wirft sie über die mindestens drei Meter hohe Mauer und klettert dann hinterher.

Ich beobachte mehrere Kinder, die an den Gleisen entlang laufen und dem Zug der chinesischen Bahn nur verstohlene Blicke zuwerfen. Manche tragen etwas, andere scheinen ziellos unterwegs zu sein. Ich bemerke zahlreiche Menschen in Uniformen, die ausnahmslos schlecht sitzen, zu klein oder zu groß oder nicht vollständig sind. Dem einen fehlt die Mütze, den meisten fehlen passende Schuhe, wieder andere haben Hochwasser in den Hosen oder die Jacken schlackern ihnen um die mageren Körper. Auffallend ist jedoch schon nach kurzer Zeit, dass das Verhältnis von Militärs in schäbigen Uniformen zu Bürgern in zerschlissenen zivilen Kleidern außergewöhnlich hoch ist. Was ich in diesem Moment noch auf die Grenznähe schiebe, wird in den nächsten Tagen zu einer Gewissheit: mindestens jeder zehnte Koreaner trägt eine Uniform.

Endlich erhalten wir unsere Pässe zurück und der Zug setzt sich in Bewegung. Bis zum späten Nachmittag schiebt er sich langsam aber beständig auf den maroden Gleisen in Richtung Pjöngjang. Er hält dabei nicht mehr an, kommt aber an einigen Bahnhofsgebäuden vorbei, die man daran erkennt, dass sie alle gleich aussehen und dass die Gesichter der beiden Kims an ihren Fassaden prangen. An jedem Bahnhof und Bahnübergang heben zwei uniformierte Beamte eine kleine Fahne in die Luft, als wollten sie den Zug begrüßen. Ich sehe Feldwege, auf denen viele Fußgänger, wenige Fahrräder und noch viel weniger motorisierte Fahrzeuge unterwegs sind. Ich erkenne Dörfer mit traditionellen asiatischen Dächern, die von Reis- und Maisfeldern umgeben sind. Wenn meine junge Mitreisende schläft, mache ich unerlaubte Fotos aus dem fahrenden Zug heraus. Nach einem kurzen Regenschauer sehe ich in einem Dorf sechs Damen in orangefarbenen Westen, die mit Reisigbesen das Wasser aus den Schlaglöchern auf der Hauptstraße kehren. Entlang der gesamten Strecke werden die etwa einen halben Meter breiten Streifen zu beiden Seiten der Gleise als Fußweg genutzt. Himmel und Menschen sind auf den Bahngleisen unterwegs, was vielleicht daran liegen mag, dass die nächste Straße so weit entfernt liegt.

Mit meiner Abteilgenossin unterhalte ich mich etwas mühsam auf Englisch. Sie sucht oft nach Worten. Aber ich bin trotzdem begeistert, dass sie überhaupt so gut englisch spricht. Immerhin ist sie Koreanerin und in einem Land eingeschlossen, aus dem kaum jemand jemals heraus gekommen ist. Sie studiert chinesisch und spricht damit schon zwei Sprachen, die mir ein absolutes Rätsel sind. Wir unterhalten uns mangels Vokabular und mangels gemeinsamer Erlebnisse übers Essen. Wie wahrscheinlich alle Koreaner ist sie begeistert von der chinesischen Kochkunst. Schon haben wir etwas gemeinsam: Wir lieben die chinesische Küche. Leider teilt sie meine Leidenschaft fürs Reisen nicht und schon die Fahrt nach Peking und zurück hat sie offenbar erschöpft. Wahrscheinlich hält sie mich für ein wenig übergeschnappt, weil ich die weite Reise auf mich genommen habe, um mir Nordkorea anzusehen. Na, wenn sie wüsste, dass meine Oma genau dasselbe denkt…

Die Häuser, die nah an den Gleisen stehen, kann ich gut erkennen. Die meisten sind eingeschossig. In vielen der Dörfer gibt es jedoch auch so etwas wie Geschosswohnungsbau. Diese Gebäude wirken besonders schäbig und keines von ihnen ist mit einem Putz versehen. Sie sind zwar mit Farbe angestrichen, aber es ist deutlich zu erkennen, dass der Beton feucht ist. Oft fehlen Fensterscheiben. Teilweise kann ich nicht sagen, ob diese Bauten überhaupt jemals fertig gestellt wurden oder ob die Scheiben irgendwann zerbrochen sind.

Einen schönen Anblick bieten die traditionellen kleinen Dörfer, die von sattgrünen Reisfeldern umgeben sind. Aber auch in diesen fast idyllischen und wohl sehr armen Dörfern sind die höchsten, die teuersten und die auffallendsten Bauten entweder Säulen mit roten Propagandaschriften oder Bilder von Kim Il Sung. Von jedem Bahnhofsgebäude, das entlang der Strecke liegt, strahlt mir das Lächeln der beiden ehemaligen Präsidenten Nordkoreas entgegen.

Hin und wieder sehe ich Kinder, die in einem Fluss baden oder die eine Ziege hüten. Wenn meine Abteilgenossin wach ist, erzählt sie mir etwas. Ich erfahre, dass sie in China studiert und dass dies ein großes Privileg ist. Sie lebt in Pjöngjang und kehrt für die Sommerferien nach Hause zurück. Ihr Vater hat sie in Peking abgeholt, was wohl ebenfalls nur privilegierten Koreanern gestattet ist. Wir unterhalten uns eine Weile lang über chinesische Nudelsuppen und koreanisches Essen, weil ich merke, dass mein Lieblingsthema, das Reisen in fremde Länder, ihr nicht viel sagt oder sagen darf. Auf ihrer Brust prangt eine Anstecknadel mit dem Konterfei von Kim Il Sung.

Bald macht mich meine Mitreisende darauf aufmerksam, dass wir die Vororte von Pjöngjang erreichen. Tatsächlich wird die Bebauung vor dem Zugfenster etwas dichter und wir nähern uns städtischeren Strukturen.

Am Bahnhof empfängt mich meine Reiseleiterin Sun Im mit ihrer Gehilfin Hyun Jae. Beide erkundigen sich mehrfach nach meinem Befinden und geleiten mich höflich lächelnd durch das große Bahnhofsgebäude an den mehrfachen Kontrollen durch Militärangehörige vorbei. Ihr Ausweis, der sie als Touristenbegleiterinnen zu erkennen gibt, scheint ihnen alle Tore zu öffnen. Die Bahnsteige wie auch die Eingangshalle des Bahnhofs werden über Lautsprecher mit militärisch anmutender Musik beschallt.

Wir fahren zum Yanggakdo Hotel. Dieses liegt auf der Yanggak Insel im Taedong Fluss. Es hat 47 Stockwerke. Im obersten Stock befindet sich ein sich drehendes Restaurant, im Erdgeschoss gibt es mehrere Restaurants und in der eindrucksvollen marmornen Eingangshalle sind riesige Aquarien untergebracht, in denen sogar eine Meeresschildkröte traurig vor sich hin schwimmt. Wir durchqueren die elegante Halle; Sun Im erledigt die Formalitäten und erklärt mir, wie der Rest des Abends verlaufen wird.

Wir treffen uns nach einer wohlverdienten Dusche im Restaurant. Tatsächlich tut mir die Dusche im 35. Stockwerk gut. Als ich nach dem Verlassen des Badezimmers das Fenster öffne, um den Wasserdampf aus dem Zimmer zu vertreiben, kommt mir von außen ein ganz ähnlicher Dampf entgegen. Wegen der enormen Luftfeuchtigkeit und der 35 Grad, die in Pjöngjang heute herrschen, läuft die Scheibe innerhalb von Sekunden von beiden Seiten an. Ich schaue auf den schlammigen Taedong Fluss hinab und wundere mich ein wenig, wie beinahe normal die Stadt doch von hier oben aus wirkt. Das einzig Seltsame ist, dass auf dem riesigen Gewässer nur vier Boote unterwegs sind; und diese sind auch nicht in dem Sinne unterwegs, sie graben nur Schlamm aus dem Flussbett.

Das Abendessen wird von livrierten Kellnern serviert, die nicht lächeln. Es gibt Kimchi, dann sechs weitere Vorspeisen in kleinen Schälchen und schließlich ein Gericht aus Glasnudeln und Fisch. Ich lerne beim Abendessen den Rest meiner Reisegruppe kennen. Unser bunter Haufen, der sich mangels Alternative an die schwedische Reiseagentur gewendet hat, besteht aus einem Franzosen, der sich gerade von seiner Freundin getrennt hat und das Abenteuer sucht, zwei Norwegern, die im Wechsel jeweils vier Wochen auf einer Ölbohrinsel arbeiten und vier Wochen verreisen und denen wohl auch langsam die Ziele ausgehen, einem schwedischen Pärchen, das Medizin studiert, einem Ingenieur aus Dubai, zwei deutschen Managern, die es genießen, im Urlaub keine Krawatte zu tragen und einem redseligen Deutschen, der sich ausschließlich für Lastkraftwagen zu interessieren scheint. Ich nehme mir fest vor, Erkundigungen über Jobmöglichkeiten auf Ölbohrinseln einzuholen.

Zur musikalischen Untermalung des Abendessens läuft im Fernsehen die Sendung, die der einzige Fernsehsender der DPRK, der Democratic People‘s Republic of Korea, ausstrahlt. Es handelt sich um das Neujahrskonzert, bei dem eine Menge Parteibonzen einer Gruppe von schlanken und identisch gekleideten Musikerinnen auf der Bühne zuhören. Die koreanische Musik ist nicht ganz so gewöhnungsbedürftig wie eine chinesische Oper, kommt dem aber gefährlich nahe. Das eigentlich Verstörende an dem Neujahrskonzert ist, dass hinter den jungen Damen, die auf der Bühne Geige und Klavier spielen oder singen, auf einer riesigen Leinwand Filme von Panzern und marschierenden Soldaten ablaufen. Vor der Bühne sitzen ausschließlich Männer in dunklen Anzügen oder Uniformen.

Auf dem Weg vom Restaurant zu einem der acht Aufzüge komme ich an einer Wand vorbei, die mit einem gläsernen Schaukasten versehen ist. Darin sind auf DIN A4-Format gedruckte Texte und Fotografien von den verschiedenen Kims zu sehen. Im Yanggakdo Hotel liegt der Schwerpunkt dieser politischen Schautafel auf Kim Il Sungs Jugend und auf den Heldentaten seines Enkels Kim Jong Un. Ich erkenne den jugendlichen Kim Il Sung im Dschungel, wie er wohl gerade dabei ist, Korea von den Japanern zu befreien. Sein breites Lächeln wirkt gewinnend und selbstsicher. Daneben sehe ich Kim Jong Un, wie er den Amerikanern entschlossen mit einem Atomkrieg droht, wie er einen Piloten umarmt und wie er zwischen einer Horde von Schulkindern gönnerhaft lächelt.

Auf einem der Hochglanzfotos ist Kim Jong Un zu erkennen, der in einem dunklen Anzug vor einer kleinen Gruppe von Parteifunktionären eine gestenreiche Rede hält. Sie befinden sich, wie ich es der Bildunterschrift in koreanischer und englischer Sprache entnehmen kann, in einem neu erbauten Zentrum für die Erforschung von Brustkrebs. Kim Enkel wirkt dabei sehr weltgewandt und es sieht so aus, als würde er den Funktionären und wahrscheinlich auch gleich den Ärzten erklären, wie sie am besten ihren Job machen. Auf einer weiteren Fotografie ist die neu zusammengestellte Moranbong Band zu erkennen, die „mit ihren unverwechselbaren Darbietungen die nordkoreanische Armee und das nordkoreanische Volk im Erbauen einer blühenden Gesellschaft unterstützt“. Die Tatsache, dass die Band neu zusammengestellt wurde, entspricht wohl der Wahrheit. Es wird nicht erwähnt, dass einige der ehemaligen Mitglieder standrechtlich erschossen oder in Arbeitslager abtransportiert wurden, nachdem man ihnen fadenscheinige Verbrechen angedichtet hat. Zumindest wurde das in der europäischen Presse so berichtet, die ja bei der Berichterstattung aus Nordkorea oft auf Spekulationen angewiesen ist.

Am seltsamsten erscheinen mir die Fotografien von Soldaten mit Granatwerfern und Panzern, die die „heroische und unbezwingbare Armee der DPRK, welche bestens dazu ausgebildet ist, alle Aggressoren zu vernichten“, in Aktion zeigen. Es wird tatsächlich das Wort ‚unbezwingbar‘ verwendet. Diese Aufnahmen sind über die gesamte Wand verteilt und lockern die politischen Szenen auf.

Im Shop des Hotels gibt es ein Paket Zigaretten für weniger als einen Euro, Snickers für genau einen Euro und Gebäck der Hausmarke der Supermarktkette Edeka. Zudem werden verschiedene Ginsengprodukte, Spirituosen und unansehnliche getrocknete Pilze angeboten. Alle Waren sind in koreanischen Won ausgezeichnet, aber die Touristen dürfen nur in US Dollar, Yen, Yuan oder Euro bezahlen. Mit der einheimischen Währung werden Ausländer nicht in Kontakt gebracht.

In meinem Hotelzimmer hängt ein Kalender, der mich über alle wichtigen Feiertage in der DPRK informiert. Dazu zählen der Gründungstag der einzigen nordkoreanischen Partei, die Geburts- und Todestage von Kim Großvater, Kim Vater und Kim Sohn, die Tage, an denen die diversen Kims ihre verschiedenen Ämter in Armee und Staat erhalten haben, Geburts- und Todestage berühmter revolutionärer Helden und natürlich allen voran der Tag der Befreiung von der japanischen Besatzungsmacht. Alle diese Daten sind in der koreanischen Zeitrechnung angegeben. Das Jahr Juche 1 ist das Geburtsjahr des ewigen Präsidenten Kim Il Sung. 2013 ist demnach das Jahr 102. Neben meinem Bett ist in den Nachttisch ein Radio eingebaut. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein handelsübliches Radio. Ich kann es einschalten und empfange recht deutlich einen Sender. Es wird koreanisch gesprochen, was nur logisch ist. Dann aber fällt mir bei genauerem Hinsehen auf, dass ich zwar die Lautstärke verändern kann, dass es aber keinen Knopf an dem Radio gibt, mit dem ich den Sender wechseln könnte. Zuerst muss ich lachen. Dann wird mir bewusst, was das bedeutet: es gibt nur einen Sender, der pausenlos die Propaganda der Kims verbreitet. Mit der Konstruktion solcher Empfänger wird verhindert, dass die Menschen auf die Idee kommen, sich Sender aus Südkorea anzuhören, die ja auch auf Koreanisch senden. Immerhin gibt es einen Knopf, um das Radio wieder auszuschalten. Ich verstehe ja ohnehin kein Wort.

Zum Frühstück wird ein ähnliches Konzert wie am Vorabend gezeigt; dieses ist jedoch mit Bildern von Kim Il Sung und Kim Jong Il in verschiedenen heroischen Posen hinterlegt und es erscheinen immer wieder verstörende Bilder von Frauen, die mit verklärtem Blick auf einer Wiese tanzen.

Gleich nach dem Frühstück, das aus Kohlgemüse, Fisch, Chilischoten und Gurken besteht, machen wir uns auf den Weg. Da wir uns bereits mitten in der Stadt befinden, fahren wir nicht lange. Sun Im weist uns auf die Rush Hour hin. Wir staunen nicht schlecht, als wir an einer der gigantischen Straßenkreuzungen gleich sechs Fahrzeuge auf einmal sehen, die darauf warten, dass die in eine elegante weiße Uniform gekleidete Verkehrspolizistin ihnen das Zeichen zum Weiterfahren gibt. Die eigentliche Rush Hour spielt sich nicht auf den maßlos überdimensionierten Straßen ab, die sechsspurig sind, aber kaum genutzt werden, sondern auf den Bürgersteigen. Hier sind tatsächlich viele Menschen unterwegs. An manchen Bushaltestellen tummeln sich Hunderte von Menschen. Aus den U-Bahn-Stationen strömen regelrechte Menschenmassen. Alle bewegen sich schnellen Schrittes. Niemand lächelt, kaum jemand scheint zu sprechen. Alle laufen wie Roboter schnurstracks ihrem jeweiligen Ziel entgegen.

Auf einem der größeren Plätze halten wir an, um eine Blume zu kaufen. Wir nutzen die Gelegenheit, um Fotos zu machen. Auf dem Platz sind wir umgeben von einem Springbrunnen, einem Denkmal mit weißen Engelsfiguren, von mehreren Regierungsgebäuden und von einer riesigen Wand, an der Mosaike die lachenden Gesichter von Kim Il Sung und Kim Jong Il zeigen. Auch hier plärrt Propagandamusik aus unsichtbaren Lautsprechern. Sun Im erklärt uns, dass es in Korea Sitte ist, jeden wichtigen Tag mit der Niederlegung von Blumen vor dem Mansudae Monument zu beginnen. Wir kaufen also bei einer Dame in traditioneller koreanischer Tracht einen Strauß scheußlicher Plastikblumen für vier Euro und machen uns dann auf den Weg zum Mansudae.

Der Reiseführer, den ich nicht mit ins Land bringen durfte, übertreibt nicht, indem er die Figuren, die ich schon von weitem erkenne, als riesenhaft und eindrucksvoll beschreibt. Wir treffen einige Gruppen von Menschen, die ihre Blumen offenbar schon niedergelegt haben. Andere folgen uns in Reih und Glied mit Blumen.

Sun Im erklärt, dass jeder an seinem Hochzeitstag, am Tag eines Firmenjubiläums, an Geburtstagen oder einfach, wenn irgendetwas im Leben passiert, zunächst einmal morgens mit Blümchen zum Mansudae kommt, um Kim Il Sung und Kim Jong Il zu ehren. Sie bittet uns, ihr zu folgen und ihr alles nachzumachen. Dabei betont sie mehrfach, dass es halt in Korea so Sitte sei und dass von uns als Besucher so viel Respekt vor den herrschenden Sitten erwartet wird, dass wir die Rituale unauffällig mitmachen. Im Angesicht der politischen Lage, der Existenz von Umerziehungslagern, aus Neugierde und nicht zuletzt aus Respekt und Zuneigung zu unserer reizenden Reiseleiterin sind wir alle sehr brav und machen ohne dumme Fragen zu stellen einfach mit. Einer der Manager legt die Blümchen vor Kim Il Sungs riesigen bronzenen Füßen nieder und dann verbeugen wir uns kollektiv. Sun Im verbeugt sich mehrfach vor uns allen, dankt uns für den Respekt und scheucht uns dann höflich, aber bestimmt zurück zum Bus. Natürlich dürfen wir von den 20 Meter hohen Figuren der beiden verstorbenen Diktatoren Fotos machen. Das Fotografieren ist hier sogar ausdrücklich erwünscht. Sie sind eingerahmt von zwei Gruppen revolutionärer sozialistischer Figuren, die das vom Kommunismus begeisterte Volk zeigen. Links ist der Befreiungskampf gegen die Japaner dargestellt, rechts der Aufbau der sozialistischen Gesellschaft. Das ganze Ensemble wirkt mehr als übertrieben. Kim Il Sung steht hier schon seit 1972. Er lächelt und sein rechter Arm ist wie sein Blick weltmännisch in die Ferne gerichtet. Seit 2012 steht neben ihm sein Sohn Kim Jong Il, der lustiger weise in seinem albernen Anorak für die Ewigkeit in Bronze gegossen wurde. Auch er lächelt. Es ist nicht zu erkennen, dass eine der beiden gigantischen Statuen 40 Jahre älter ist als die andere. Sie bilden das perfekte bizarre Ensemble.

Wir sehen mehrere Gruppen von Menschen, die sich verbeugen und Blumen aufhäufen. Jemand ist offenbar fest angestellt, um die Blumen zu ordnen und die ganze Szenerie im Auge zu behalten. Er arrangiert Blumen um und geht mit einem Metalldetektor immer wieder an der Reihe von Gaben entlang. Wir machen ein paar Fotos und achten dabei streng darauf, keines der Körperteile der Kims auf den Fotos abzuschneiden. Das ist nämlich unter Androhung von kreativen Strafen verboten.

Nachdem das erledigt ist, können wir getrost unsere Reise durch Pjöngjang beginnen. Zunächst besuchen wir einen Bookshop, einen Bücher- und Souvenirladen, der eigens für Touristen eingerichtet wurde. Selbstverständlich haben normale Bürger Nordkoreas hier keinen Zutritt und es werden nur Devisen angenommen. In dem kleinen Geschäft gibt es tatsächlich eine große Auswahl an Büchern, wobei der Schwerpunkt auf Propagandaliteratur liegt. Die einzigen Ausnahmen bilden einige Werke über den Nationalsport Taekwondo, ein paar Bildbände über historische Kunst und einige Märchenbücher, die aber wahrscheinlich auch voller Märchen über Kim Il Sung stecken. Der Rest der Bücher und Zeitschriften beschäftigt sich grob zusammengefasst mit der Tatsache, dass Kim Il Sung und Kim Jong Il die intelligentesten, genialsten und überhaupt besten Menschen der Welt sind. Es sind Biographien zu haben, eine ganze Reihe an Werken, die die beiden Kims selbst verfasst haben und zahlreiche wissenschaftliche Erörterungen zur Juche Idee. Ich kaufe aus Neugierde und Freude am Kuriosen die aktuelle Ausgabe der Propagandazeitschrift in englischer Sprache, ein Märchenbuch in französischer Sprache, ein Kochbuch und eine Sammlung der Weisheiten, die Präsident Kim Il Sung von sich gegeben haben soll, ebenfalls in englischer Sprache. Den Ratgeber „Über die Aufgaben der Jugend beim Aufbau des Sozialismus“ gibt es sogar auf Deutsch.

Dieses Werk wurde 1991 herausgegeben. Es basiert auf einer Rede, die Kim Il Sung 1958 beim Republiktreffen der jungen Erbauer des Sozialismus gehalten hat. Ich blättere ein wenig darin. Zunächst wird lobend erwähnt, dass im „erbitterten Vaterländischen Befreiungskrieg gegen den bewaffneten Überfall des USA-Imperialismus“ die „besten Jugendlichen beispiellosen Heroismus und Tapferkeit an den Tag gelegt“ haben.

Dann geht Kim Il Sung auf das hehre Ziel ein, „die koloniale Rückständigkeit in der Wirtschaft“ zu überwinden. Obwohl die Rede vor mehr als fünfzig Jahren gehalten wurde, ist das Thema der Rückständigkeit nach wie vor sehr aktuell. Anschließend geht die Schrift nahtlos zum motivierenden Abschnitt über, der den Großteil des 18-seitigen Werkes ausmacht. „Die jungen Menschen sollen sich immer und bei jeder Arbeit furchtlos in die ersten Reihen stellen“, schreibt Kim Il Sung und er betont: „Es gibt keine größere Ehre, als Erbauer des Sozialismus zu sein“.

Es ist von Fünfjahresplänen die Rede, von Getreideproduktion und überdurchschnittlich oft von Ehre und Tapferkeit. Im Grunde geht es aber nur darum, die Jugend davon zu überzeugen, bis zum Umfallen zu arbeiten und sich dabei möglichst geehrt zu fühlen und sich nicht zu beklagen. Interessanterweise wird mehrfach darauf hingewiesen, dass „alle Formen der Ausbeutung ein für alle Mal beseitigt werden“ sollen. Ich entscheide mich schweren Herzens gegen den Erwerb dieser Broschüre.