Auch Finsternis ist nicht finster bei dir - Thomas Weiß - E-Book

Auch Finsternis ist nicht finster bei dir E-Book

Thomas Weiss

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Beschreibung

Bewegende Worte – erwachsen aus Begegnungen, ausgesprochen, um Trost zu spenden

- Eine Ermutigung, selbst zu beten, die eigene Stimme ins Trauerspiel zu bringen

Die Gebete, die dieses Buch versammelt, sind verlegene Worte in der Sprachlosigkeit – einer Situation, in der dennoch Worte nötig sind. Viele Gebete sind aus Begegnungen erwachsen, an Kranken- und Sterbebetten, in Trauerhäusern und auf Friedhöfen. Dieses Buches möchte Leser und Leserinnen ermutigen, selbst zu beten, die eigene Stimme ins Trauerspiel zu bringen, die eigenen Worte zu versuchen, so verlegen diese auch sein mögen.

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Seitenzahl: 64

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Copyright © 2011 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Fotos (innen): Gabriele Schneider, Gütersloh
ISBN 978-3-641-06634-5V002
www.gtvh.de www.penguinrandomhouse.de

Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Hospiz Kafarnaum, Baden-Baden

Inhaltsverzeichnis

Aus VerlegenheitIm Himmel geschriebenDie Stimme unseres Kindes ist so klein gebliebenNicht finster bei dirEr hat mich zurückgelassenJa, ich will euch tragenHör doch, wie meine Seele weintAntwortest du nichtHilf mir, das Schweigen auszuhaltenKlug werdenIch lebe von dir herCopyright

Aus Verlegenheit

»Meine Zunge klebt mir am Gaumen« (Psalm 22,16). Wer betet – um Hilfe bittet, Klage führt, das Herz ausschüttet, bittet und bettelt –, befindet sich in Verlegenheit. Er oder sie ist verlegen um Hilfe, um Rat, um Hoffnungszeichen wider den grauen, manchmal grauenvollen Alltag.

Menschen, die trauern, die Abschied haben nehmen (oder werden nehmen) müssen von einem, dessen Abschied bisher nicht denkbar war, sind in allergrößter Verlegenheit. Sie fürchten zu verlieren oder leiden am Verlust; sie müssen aus der Hand geben ... und aus der Hand zu geben bedeutet einen Schmerz, der tief in Herz und Fleisch schneidet, der die Seele verwundet, dass ich mich zusammenkrümme vor Verzweiflung.

Eine meiner seelsorglichen Aufgaben als Pfarrer ist es, Abschiednehmende, Sterbende und Trauernde zu begleiten. Sehr oft ist dabei eine gemeinsame Erfahrung – der Begleiteten und des Begleiters – , dass wir angesichts von Krankheit, Verlust und Tod um Worte verlegen sind. Was soll ich (noch) sagen, wenn der Tod ins Haus steht? Wenn der Schmerz umherschleicht und wartet, dass er sich auf mich werfen kann? Buchstäblich klebt mir da die Zunge am Gaumen, ich kann nur noch lallen und finde keinen Ausdruck für das, was schwer und allzu schwer ist, es sei denn das verzagte Seufzen oder der verzweifelte Schrei. Es ist so: Für die grundstürzende Unsicherheit, die eine Krankheit zum Tode mir in die Seele legt, für die schleppenden Schritte auf dem letzten Weg, für die Last der Leere, die der Verlust des Geliebten mir auferlegt, für die dunkle, atemlose Arbeit des Trauerns gibt es keine angemessenen Worte. Keine Worte, die hilf- und trostreich ausdrücken, was es zu erleiden und zu erhoffen gibt. Es stimmt wohl: Für die tiefgreifenden Situationen, die besonderen Erlebnisse, die umwerfenden Erfahrungen unsres Lebens haben wir keine Worte: für die Liebe nicht und nicht für den Tod, für das Wunder, dass Leben wird, nicht und nicht für den Schmerz, dass Leben vergeht. Dazu reicht unser – bisweilen dürftiger – Wortschatz nicht hin.

Was tu ich aber, wenn mir die Zunge am Gaumen klebt? Dieses Bild stammt aus den Psalmen, dem Gebetbuch der Bibel – und will wohl sagen: Wenn du keine Worte hast, dann bete.

Es ist bemerkenswert, wie viel in den Psalmen vom Lallen und Stammeln, vom Stottern und Stolpern gesprochen wird, von der unfertigen, ungelenken Rede also, vom verlegenen Wort. Ein sehr menschliches Gebetbuch ist der Psalter; diese alten Lieder kennen uns sehr genau – und geben uns Raum. Geben dem Raum, was uns bedrängt, belastet, bewegt, was uns beglückt und tröstet. Sie wissen um Zorn und Klage, um Leidenschaft und Sehnsucht, um verzagte und getroste Hoffnung; sie nehmen kein Blatt vor den Mund.

Ich habe von den Psalmen das Beten gelernt. Habe darin die Erlaubnis gelesen, all meine Verlegenheit Gott vorzutragen, recht und schlecht, wahrhaftig und schlicht, so gut es eben geht. Für die Psalmen ist Gott nicht der Hehre und am Ende Unnahbare, vor dem ich mich erst tief beugen muss, bevor ich die Stimme erheben darf. Er ist der nahe Gott, der mich noch hört, wenn ich schon verstummt bin und nur noch die Not aus meinen Augen und meinen Tränen spricht. Er ist der Gott, der sich zum Partner meines Lebens macht, zum Liebenden auf Augenhöhe, der bereit ist, auszuhalten, was ich zu beklagen habe; der auch meinem Zorn und (viel schwerer noch) meiner Verzweiflung standhält. Gott hört – das ist das Allertröstlichste. Da ist kein Klagewort, kein Schmerzensschrei, kein Trauerseufzen, das ungehört verklingt. »Es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, Gott, nicht schon wüsstest.« (Psalm 139,4)

Die Gebete, die dieses Buch versammelt, nehmen (wenn es eine solche denn braucht) aus den Psalmen ihre Erlaubnis, direkt und offen zu sein, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, in Sehnsucht und Trost gleichermaßen wahrhaftig zu sein. Sie sind verlegene Worte in der Sprachlosigkeit, die ich – selber Trauernder und Verletzter und als Begleiter von Trauernden und Verletzten – schmerzlich empfinden kann und für die ich Worte brauche. Es sind Gebete aus Verlegenheit, die dort noch nach Worten suchen, wo es eigentlich keine Sprache mehr gibt. Gebete kurz vor dem Lallen, der Klage, der Frage, aber auch: Gebete, kurz bevor die Stimme versagt, weil ich getröstet wurde, weil ich mich geborgen weiß.

Viele Gebete dieses Buches habe ich so oder ähnlich selbst gebetet, an Kranken- und Sterbebetten, in Trauerhäusern und auf Friedhöfen, in jedem Fall sind sie aus Begegnungen erwachsen. Aus eigenen Begegnungen mit Trauer und Tod, Angst und Schmerz, und vor allem aus Begegnungen mit Menschen, die mir vertraut haben, die ich begleiten durfte und darf. Gebete sind es also, die in bestimmten Situationen gebetet wurden – situative, exemplarische Gebete. Mit ihnen möchte ich Leserinnen und Leser dieses Buches ermutigen, selbst zu beten, die eigene Stimme ins Trauerspiel zu bringen, die eigenen Worte zu versuchen, so verlegen die auch sein mögen. Ich hoffe, dass meine Worte aus Verlegenheit dem einen und der anderen aus dem Herzen sprechen und sie so Trost finden. Den Trost vor allem, dass nichts von dem, was ich sage, und nichts von dem, für das ich keine Stimme mehr habe, ungehört bleibt.

Die Gebete des Buches mit seinen fünf Teilen beziehen sich auf bestimmte Trauersituationen: auf den Abschied von einem Kind, von einem Menschen, der sich das Leben nahm, auf die Trauer um einen Erwachsenen. Gebete für Menschen, die andere in ihrer Trauer begleiten, sind dabei, und Gebete, die unsere eigene Sterblichkeit im Blick haben. Auch wenn die Gebete auf spezifische Erfahrungen hin formuliert sind (sonst wären sie wohl unzutreffend!), so bieten doch alle Gebete einen Sprachraum, in den sich Leserinnen und Leser hineinbegeben und betend sich selbst finden mögen.

Mit der eigenen, auch versagenden Stimme zu beten, das habe ich nicht allein gelernt. Menschen gab es, die mich ermutigt haben und die mir Anteil gaben am eigenen Schmerz und der eigenen Sehnsucht. Vor allen anderen danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Hospiz Kafarnaum, Baden-Baden, für ihre leidenschaftliche Lebendigkeit und ihre mitfühlende Zuwendung, die verlegenen Worten immer wieder Raum und Ort geben. Ihnen ist dieses Büchlein zugeeignet.

Im Frühjahr 2011, Thomas Weiß

Im Himmel geschrieben

Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.

Lukas 10,20