Seelenproviant - Thomas Weiß - E-Book

Seelenproviant E-Book

Thomas Weiss

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Beschreibung

Der Seele etwas Gutes tun!

Thomas Weiß hat in diesem Buch inspirierende Sonntagsgedanken, die um unsere tagtäglichen Erfahrungen kreisen, zusammengestellt und lädt damit die Leser*innen ein, sonn- und alltäglich einmal innezuhalten.

Seine Texte machen sich auf die Suche nach dem, was zufrieden macht, was lohnenswert, sinnvoll und beglückend ist, was die Lebenslust fördert und den Lebensmut stärkt, was tröstet, aufrichtet und befreit. Es ist damit Proviant und Nahrung für Seele und Geist.

Ein Buch zum Selbstlesen, zum Vorlesen und zum Verschenken!

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Seitenzahl: 186

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Um den Lebensweg mit seinen Steigungen und Talgründen zu beschreiten, um gut gelaunt zu gehen oder sich ab und an Meter um Meter nach vorne zu schleppen, braucht es Proviant, »Seelenproviant«. Dann sind Kraftreserven nötig, Erfrischungen, dann darf es an Substanz nicht fehlen.

»Seelenproviant« heißt dieses Büchlein mit kurzen, eingängigen Andachten, weil es genau dies den Leserinnen und Lesern bereiten möchte: einen Happen Ermutigung, ein gutes Stück Trost, einen frischen Schluck Lebensfreude.

Das »Andachtsbuch für unterwegs« hat drei Abteilungen:

Die »Früchte« im ersten Teil machen Lust auf das Leben, durch das Gott mitgeht. Beim »Vollkorn« geht es kernig zu, da gibt es etwas zum Kauen und Nachdenken. Und das Dessert ist »was Süßes« zum Schluss, um den Geschmack von Leben und Lebendigkeit zu erhalten.

Für alle, die zwischendurch oder mittendrin Inspiration und Texte voller Lebensfreude suchen!

Thomas Weiß,geboren1961, Studium der Evangelischen Theologie in Bielefeld und Heidelberg, danach Arbeit in Gemeinden Süd- und Nordbadens und als Erwachsenenbildner in Freiburg. Mitglied der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik, Leipzig, Stipendiat und Mitglied des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg, Stuttgart. Derzeit arbeitet er als Leiter der evangelischen Erwachsenenbildung in der Badischen Landeskirche (Landesstelle für evangelische Erwachsenen- und Familienbildung, Karlsruhe). 2020 wurde er in das PEN-Zentrum Deutschland aufgenommen. Thomas Weiß lebt in Baden-Baden.

www.weissth.de

Thomas Weiß

Seelenproviant

Ermutigungen für alle Tage

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Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber an den aufgeführten Zitaten ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall nicht gelungen sein, bitten wir um Nachricht durch den Rechteinhaber.

Copyright © 2021 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Umschlagmotiv: www.pixabay.com

ISBN 978-3-641-27976-9V001

www.gtvh.de

Den Kolleginnen und Kollegen

in der Evangelischen Erwachsenenbildung

der Badischen Landeskirche,

verbindlich und verbunden.

ecclesia dell’arte

Inhalt

Seelenproviant – Vorwort

Früchte. Gelegenheiten

Der Experte

Alles Gute!

Mitten drin

Alles hat ein Ende

Aufhören!?

Fallen lassen

Gar nicht so klein!

Fankultur

Der Film meines Lebens

Feste Überzeugungen

Ganz normal

Gut behutet

Lebensqualität

Fremd und vertraut

Fürwahr

Hingehört!

Über Mauern

Grenzen und Möglichkeiten

Opium des Volkes

Von Nähe und Distanz

Unwägbar

Gute Nacht auch!

Was umgeht

Sehr befremdlich

Vom Tanzen

Lifestyle

Und damit zurück

Zuviel Geschwätz!

Was ein Mensch braucht

Zielbahnhof

Unsere Namen!

Vollkorn. Zeiten

Immer voraus

Gegenentwürfe

Friedefürst?

Ein einziger Stern

Zwischen den Jahren

Finale Stimmung

Lass krachen!

Neu und alt

Im Gegenlicht

Drehungen

Da musst du durch

Licht an!

Zum Davonlaufen

Immer schon!

Von der Faulheit, oder: Fronleichnam

Durchatmen

Gegen das Vergessen

Aber dalli!

Corona – und andere Zeiten

… und was Süßes. Dinge und Gedanken

Die kleinen Köstlichkeiten

Auf Augenhöhe

Früchtchen

In aller Herrgottsfrüh

Bewegung

Ein kleines Lied

Ganz frisch und neu

Ja und?

Süßigkeiten

Fehlerhaft

Kein Geschwätz!

Wärmeverbundsystem

Fragen über Fragen

Mangelhaft

Verbieten und gestatten

Mund- und Nasenschutz

Gott wirbt

Im Auge des Betrachters

Einmalig

Es kommt noch was

Nur Geduld!

Unsere Worte

Unter Verschluss

Lichtsignalanlagen

Fremdsprache

Ganz schön!

Gut gehalten

Keine Lust?

Perfektest

Wenn alle Stricke reißen

Themenregister

Seelenproviant – Vorwort

Mein Ränzchen habe ich schon oft gepackt: für die Wanderung über Berg und Tal, für die lange Zugfahrt in den Norden, die Radtour am breiter werdenden Fluss entlang. Mitgenommen hab ich was gegen den Durst, ein nahrhaftes, belegtes Brot (immer noch gerne: Gouda oder Salami) und einen Apfel für zwischendurch (nicht, weil ich Äpfel besonders liebte, aber sie bringen halt gut über die Runden) – und als kleines Extra gibt’s ein Schokolädchen dazu, oder, wenn es zu warm ist, einen gesunden Riegel. Wenn ich auf Wanderschaft bin – das ist wahr –, lass ich’s mir gut gehen!

Dass unser Leben eine Wanderschaft, eine Pilgerfahrt sei, das ist ein altes, christliches Motiv, das sich gewiss auch aus der Erkenntnis speist, dass Jesus ein Wanderer war, der von Dorf zu Stadt zog, um von Gott zu erzählen, Menschen zu heilen, ihnen mit offenem Ohr und offener Hand zu begegnen. An Jesus, dem Wanderer, wird erlebbar, wie Gott selbst mitgeht: vierzig Jahre durch die Wüste, in der wechselvollen Geschichte seines Volkes, mit jedem und jeder auf seinem und ihrem ganz persönlichen Lebensweg.

Um den zu gehen, den Lebensweg, um die Steigungen zu schaffen, die dunklen Talgründe zu durchschreiten, den Pfad am Abgrund nicht zu fürchten, um gut gelaunt loszuschreiten oder sich ab und an Meter um Meter nach vorne zu schleppen – braucht es Proviant, »Seelenproviant«. Ein gutes Schlückchen, ein nährendes Häppchen, einen schmackhaften Bissen, ein kräftigendes Mahl. Wenn ich vor einer schweren Entscheidung stehe, wenn ich nicht weiß, ob rechts oder links, steil nach oben oder querfeldein, wenn eine Krankheit mich zur unfreiwilligen Rast zwingt – oder ich einfach mal etwas zum Lachen ins Herz und auf die Lippen brauche, wenn ein unverhofftes Glück mir schier den Atem raubt oder mir eine Begegnung zu denken gibt …, dann brauche ich Kraft und die muss genährt sein. Dann sind Reserven nötig, Erfrischungen, dann darf es an Substanz nicht fehlen.

»Seelenproviant« heißt dieses Büchlein mit kurzen, eingängigen Andachten, weil es genau dies den Leserinnen und Lesern bereiten möchte: einen Happen Ermutigung, ein gutes Stück Trost, einen frischen Trunk Lebensfreude. Wenn Sie mögen, nehmen Sie es zur Hand und lassen Sie es sich munden.

Dieses »Andachtsbuch für unterwegs« hat drei Abteilungen: Die »Früchte« im ersten Teil machen Lust auf das Leben, durch das Gott mit uns geht – Alltägliches wird aufgegriffen und auf Gott hin durchsichtig gemacht. Beim »Vollkorn« geht es kernig zu, da haben Sie etwas zum Kauen – hier findet sich Nachgedachtes besonders zum Kirchenjahr. Und das Dessert ist »was Süßes« zum Schluss, da können Sie sich das ein oder andere auf der Zunge zergehen lassen und den Geschmack an Leben und Lebendigkeit behalten. Dieses ganze Menü hat mich zu einem guten Teil in Zeiten beschäftigt, da ich selbst sehr krank und auf der Suche nach Trost und Ermutigung war; da habe ich mich selbst mit Worten und am Wort genährt.

Einige dieser Texte sind als geistliche Kolumnen, als »Gedanken zum Sonntag« im WO, der Sonntagszeitung des Badischen Tagblattes (Baden-Baden), entstanden, andere wurden für die Website der Evangelischen Landeskirche in Baden (www.ekiba.de) und deren Rubrik »Geistlich – Geistreiches« geschrieben; Dr. Heike Gundacker und Monika Hautzinger sei gedankt, dass sie sich der Texte angenommen haben. Die kurzen Gebetszeilen am Ende der Texte sind nachträglich geschrieben worden.

Am Ende des Buches finden Sie ein Anlass- bzw. Themenregister, um Texte für alle Gelegenheiten schnell wiederzufinden.

Die Mitarbeitenden der Evangelischen Erwachsenenbildung in der Badischen Landeskirche bieten für Menschen, die sich aufmachen und ihre Wanderungen antreten, hervorragende Wegzehrung an – ihnen sei dies Büchlein gewidmet.

Und Sie, liebe Leserin, lieber Leser, mögen dies und das kosten davon, es sich schmecken und sich ermutigen lassen!

Baden-Baden, im Frühjahr 2021

Früchte. Gelegenheiten

Der Experte

Und jetzt dachte ich schon, ich hätte ihn gefunden – ihn, der’s versteht, ihn, der’s einfach kann. Mit welchem Gebrechen ich auch komme, er weiß Rat; was immer mich prügelt und plagt, er nimmt’s mir ab. Und da sitzt er leibhaftig vor mir, hat ein breites Lächeln und eine starke Hand: Ernesto (Name geändert, versteht sich), Ernesto, der »Wunderexperte«. So steht es auf seinem Namensschild: »Ernesto …, Pflegefachkraft, Wundexperte«.

Ah, äh, Moment, da ist jetzt was falsch – und leider ist es mein Leseeindruck. Wir lachen, als ich ihn darauf anspreche, und nicht ohne Bedauern sagt der Mann an meinem Krankenbett: »Tut mir leid, Herr Weiß, mit Wundern kann ich nicht dienen.« Schade eigentlich, ich könnte ein Wunder gerade ganz gut brauchen – und wie viele Hundert, Tausend, Millionen warten nicht auch auf ihr ganz persönliches, hilfreiches, erlösendes Wunder. Wo ist er, der Wunderexperte?

Manchmal – gerade in Situationen wie diesen, da der Schmerz groß ist und größer noch die Furcht – möchte ich Gott so sehen und ihn in Anspruch nehmen: »Tu doch was, Wundermann!« Aber er verweigert sich – ich weiß nicht, warum.

Vielleicht, weil er eben kein »Wunderexperte« ist, kein göttlicher Alleskönner, der mit arroganter Heiler-Miene durch die Lebensläufe saust und überheblich oder gnädiglich alles zurechtbringt.

Tatsächlich ist Gott ein »Wundexperte«, einer, der mir liebevoll nahe ist, wenn ich verwundet bin, der um die Wunde weiß, die mich so tief verletzt hat. »Durch seine Wunden sind wir geheilt, auf dass wir Frieden hätten« klingt es uns bisweilen vorweihnachtlich aus Händels Messias und aus dem Jesajabuch herüber. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber ich halte mich daran fest. Ich bin ein Experte in Sehnsucht.

Gott, sieh meine Wunde an, nimm meine Hand und halte mich. Ich brauche deinen Trost, jetzt!

Alles Gute!

Es ist noch nicht lange her, da war ich in arger Verlegenheit. Ich sollte ein Grußwort sprechen – was ich ja sehr gerne mache, aber der, der mich darum bat, gab mir einen ganz bestimmten Auftrag: Ich sollte den Leuten, die sich da versammeln würden (Alte und Junge, Jugendliche und Best-Agers) einfach »alles Gute« wünschen.

Ich bin mit Euphorie an die Sache gegangen, um bald zu merken: Hm, »alles Gute« wünschen, das kann ich doch gar nicht.

Ich weiß ja gar nicht, was »alles Gute« eigentlich ist. Für mich sind Erdbeeren gut, Pfirsiche und Haselnüsse – andere reagieren allergisch. Ich finde den SC Freiburg gut (was hier in der Region um Karlsruhe ja nicht so laut gesagt werden darf) und liebe die Tour de France – andere rümpfen die Nase. Gut sind für mich: Bach (klar!), Mozart, Brahms, Bob Dylan und Leonard Cohen – was andere nicht gerne hören. Also: Mit »Alles Gute«-Wünschen bin ich etwas überfordert. Was weiß ich, was alles für diese Menschen, die ich antreffen werde, was für andere überhaupt gut ist?

Da hilft mir nicht mal die Bibel weiter, wo es sprichwörtlich heißt: »Alles Gute kommt von oben!« – im Jakobusbrief steht das. Naja, Blitz und Donner kommen auch von oben – so richtig gut sind die nicht. Und wenn die Sonne so von oben bruzzelt, wie sie’s wochenlang getan hat, ist das für Mensch und Tier und Pflanze nur gut, wenn es genug Wasser gibt, für den Durst, für’s Eis und im Schwimmbad. Auch der Ziegelstein, der mir einen Scheitel zieht, kommt – wenn’s übel kommt – von oben. Ich war (und bleibe) also in Verlegenheit.

Nicht mal die Blickrichtung »nach oben« kann ich empfehlen, denn wer immer nur »nach oben« schaut, ist ein rechter Hans-Guck-in-die-Luft, der Gefahr läuft, den Weg zu verpassen oder über die kleinsten Steinchen zu stolpern.

Alles Gute kann ich einfach nicht wünschen – aber: Ich kann wünschen, dass der Gute, dass Gott an unserer Seite sei. Das finde ich viel hilfreicher. Denn »alles Gute«, das ist doch etwas pauschal, alles Gute braucht keiner, jede und jeder braucht vielmehr sein ganz eigenes Gutes, das, was für ihn und sie gut ist. Das mag bei jedem und jeder ganz anders aussehen – Gott aber weiß bei jedem und jeder darum; weiß, was dir und mir, was Ihnen und Euch guttut: Das ist das kleine Glück zwischen den Zeilen; das ist die Schönheit, die sich plötzlich auftut; das ist die Herausforderung, die auf dem Weg liegt; das ist der Freund, der die Hand reicht; das ist der Mut, den ich im Herzen trage.

Wie auch immer, den Gott, der es gut mit uns meint, mit jeder und jedem Einzelnen, den Gott kann ich uns an die Seite wünschen. D. h. das muss ich ja nicht einmal, da ist er ja schon, schon immer, und heute und morgen auch.

Also: Ich wünsch nicht »alles Gute« – ich sage einfach: Gott ist da und Gott geht mit. In diesem Sinne: Lassen wir es uns gut gehen!

Was gut ist und was nicht – was gut ist für mich und was nicht, das weiß ich oft selber nicht. Weißt du es, Gott? Ich höre deine Vorschläge!

Mitten drin

Rätselhaft, sehr rätselhaft ist dieses Leben! Wie das Wetter kommende Woche wird? Weiß ich nicht. Ob es klappt mit dem Ausbildungsplatz, der Arbeitsstelle? Alles offen. Und ob die in Berlin mal endlich auf die Reihe kriegen, wozu sie gewählt worden sind? Keine Ahnung.

Für solche Verlegenheiten haben die Badener und Badenerinnen ja eine feine Redewendung, die mich immer neu fasziniert, wenn ich sie höre: Wird’s was mit dem und der oder diesem und jenem? »Ha, do stecksch net drin!« Toll, was? Da steckst du nicht drin.

Dieser kluge Satz gibt ein ganzes Lebensgefühl wieder; denn so kann sich das Leben anfühlen, so: dass ich gar nicht drin und dabei bin, dass es an mir vorüberzieht, und ich schaue nur zu. Die Entscheidungen über Wohl und Wehe werden anderswo getroffen, mein Schicksal liegt nicht in meiner Hand.

Was das Wetter angeht, mag das ja noch in Ordnung sein, da lass ich mich gerne mal überraschen, aber bei den elementaren Fragen: Was gibt meinem Dasein Sinn? Wie bekomme ich Frieden? Was tröstet mich? – da nicht drinzustecken ist alles andere als hilfreich.

Aber gemach! Der urbadische Satz »Do stecksch net drin!« sagt ja nicht, dass nichts und niemand drinsteckt. Er lässt offen, wer da sonst seine Hand im Spiel hat. Das finde ich sehr tröstlich, weil ich glaube: Gott steckt drin. Ganz ähnlich ruhig, quasi auf die badische Art, sagt Jesus einmal: »Fürchtet euch nicht, kein Spatz fällt vom Dach ohne euren Vater – und er zählt eure Haare auf dem Haupt!« Gott ist dabei, und nichts geschieht ohne ihn, er steckt drin, in allem, was uns bewegt, was uns zustößt, was uns anstößt und beglückt.

Zugegeben, das wirft auch Fragen auf: Will Gott das, wenn es mir nicht gut geht? Warum steckt er bloß drin und handelt nicht, damit Frieden werde in der Welt und in meinem Herzen? Das sind ernste Fragen – das gute aber: Sie haben eine Adresse. Wenn Gott drinsteckt, dann kann ich ihn auch ansprechen, zur Verantwortung ziehen, anfragen und anklagen.

Und gibt er dann auch Antwort? »Ha, do stecksch net drin!«, oder doch? Doch, Gott nimmt uns mit hinein, in seine Lebendigkeit, seine Weite und Tiefe. Da sind wir zuhause, mitten drin!

Froh bin ich, mein Gott, dass du nicht nur irgendwie in der Nähe bist oder mir gar vom Himmel aus zuschaust. Du bist an meiner Seite, du bist gegenwärtig, gleich bei welcher Gelegenheit, in jedem Augenblick. Das beruhigt mich!

Alles hat ein Ende

Mit dem Spargel ist jetzt Schluss, heut am Johannistag wurden die Spargelmesser und -kellen weggepackt (und unser häuslicher Spargelschäler auch) – mir leuchtet dieses offensichtlich unverrückbare Datum nicht ganz ein, aber berufenere Geister (und Spargelbauer) müssen’s ja wissen. Auch mit den Erdbeeren hat’s bald ein Ende; wir müssen rasch noch Marmelade kochen. Überhaupt: Es neigt sich vieles dem Ende zu: die Atomkraft (ist zu hoffen), das Stinkeauto mit CO2-Ausstoß (soll jedenfalls), Korallenatolle (die erbleichen!), der Schneeleopard und der Orang Utan (stehen auf der Liste bedrohter Arten), die Karriere von Ronaldo (vielleicht), mein Handy-Vertrag (ganz sicher) … ich selber auch und in ein paar Milliarden Jahren der ganze Planet. Und wenn ich sehe, was politisch für unsere Zukunft und die unserer Kinder getan wird, dann ist eh schon Schluss mit lustig.

Nichts besteht für immer. Was wie die altersweise Einsicht ergrauter Häupter klingt, ist eigentlich ganz schön beängstigend. »Alles hat seine Zeit« – die lapidare, biblische Erkenntnis des lebensklugen König Salomo ist eher nicht so ermutigend. Alles hat ein Ende, »nur die Wurst hat zwei« sang vor dreißig Jahren Stefan Remmler von »Trio«, aber es ist höchstens ein zweifelhaftes, sarkastisches Grinsen, das mir da über die Lippen geht. Wenn der Schluss die Aussicht ist, dann verdirbt mir das doch die Laune.

Aber wissen Sie was? Ich glaube das gar nicht. Ich glaube nicht, dass alles ein Ende hat. Zuerst spricht die Erfahrung dagegen: Spargel gibt es kommendes Jahr auch wieder, und Erdbeeren in Hülle und Fülle. Und dann spricht Gott selber dagegen: In der Bibel ist wohl manchmal vom Tod eines Menschen und vom Ende der Welt die Rede – aber Tod und Ende sind immer nur Übergänge, wie eine Schwelle, die ich überschreite, wie ein Tor, durch das ich trete. Im letzten Buch der Bibel heißt es im vorletzten Kapitel: »Gott wird abwischen alle Tränen und der Tod wird nicht mehr sein.« Das ist eine sehr, sehr weite Perspektive für die Zeit nach dieser Zeit. Das ist unsere Perspektive, für Mensch und Welt, für Sie und mich, für Eisbär und Koralle. Und für Ronaldo genauso, auch wenn der mal in sich gehen könnte …

Ob das stimmt? Wir werden es sehen. Ich betone: Wir werden!

Aller Anfang kommt von dir, Gott, und jedes Ende tut das auch. Vom Anfang bis zum Ende – ich vertraue dir.

Aufhören!?

»Ach, hör doch auf!« – denk ich regelmäßig, wenn ich mich (meist montags) hinsetze, um einen solchen »Gedanken zum Sonntag« zuwege und auf den Weg zu bringen. Manchmal fürchte ich, Ihnen, den Leserinnen und Lesern, könnte es gerade so gehen: Dass sich Ihnen beim Lesen des »Gedankens« ein leises »Ach, hör doch auf!« ins Hirn schleicht …

Ans Aufhören denk ich, weil mich der Zusammenhang erschüttert, in dem der Sonntagsgedanke in der Zeitung abgedruckt ist. Ich weiß natürlich nicht, wie es heute, gerade jetzt aussieht, aber die Lesererfahrung welcher Zeitung auch immer lehrt: Da finden sich Berichte über Erdbeben, Hochwasser, Dürre neben Bildern aus dem Syrienkrieg oder Unfällen auf unseren unsicher gewordenen Straßen; da wird vom Tod eines Kindes erzählt, von Anschlägen irgendwo in unserer europäischen Nachbarschaft oder von Einbrecherbanden. Ganz ehrlich: Mich macht das immer wieder sprachlos. Angesichts all der Not und der politischen und persönlichen Katastrophen kommt mir das, was ich hier schreibe, billig vor, unangemessen, wie ein »Eiapopeia vom Himmel« (wie Heinrich Heine einmal ironisch gedichtet hat). Spucke und Sprache bleiben mir weg – »Ach, hör doch auf!«

Das sollte ich wirklich tun, finde ich. Sollte ich tun, wenn, was ich zu sagen habe, nur auf meinem erbärmlichen Mist gewachsen wäre, wenn da nichts wäre als meine kleine, begrenzte Sicht. Mein Horizont ist eng, da ist zu viel, was ich nicht begreife (und ich gebe mir Mühe, echt!).

Gottes Horizont aber ist weit – und der (Gott mit seinem Horizont) ist der Einzige, der rechtfertigt, dass ich nicht still bin und aufhöre. Gott tritt dafür ein, dass »in der Gefahr« »das Rettende« auch wächst (dichtete Hölderlin) – er hat sein Wort gegeben. Und sein Wort ist es, worauf ich mich verlasse und wovon ich Ihnen erzählen und schreiben kann. Ich höre damit nicht auf, weil Gott nicht aufhört, seine Welt im Blick zu haben, ihr Zukunft zu eröffnen, leise und hilfreich zu wirken: bei uns, in uns, mitten unter uns.

Ans Aufhören werde ich immer mal wieder denken, aber ich glaube, solange Gott uns nicht loslässt, halte ich durch. So im Stillen denke ich ab und zu: »Gott, fang an … uns zu zeigen, wo du wirkst, damit wir mutiger werden!« Wo ich ihn wirken sehe, wirken glaube – davon schreibe ich (fröhlich) weiter. Bis Sie dann doch mal sagen: »Is’ jetzt genug! Hör auf!«

Mein Gott, ich hör nicht auf, dich beim Wort zu nehmen. Hör du nicht auf, dich hörbar zu machen, und zu tun, was du zu tun versprichst!

Fallen lassen

Und ich dachte, damit wäre ich durch. Aber nee! Immerhin, ich bin Ende fünfzig, da sollte der Mensch das Kapitel abgeschlossen haben. Tja, denks’te: Ich muss in meinem hohen Alter wieder laufen lernen. Hätte ich nicht für möglich gehalten, aber es ist so: Nach einer Operation an der Wirbelsäule kann ich meine Schritte nicht mehr setzen, es fehlt an Stabilität in Hüfte, Becken und Beinen, die Füße probieren gegen meinen Willen aus, sich querzustellen, das Gleichgewicht hat beschlossen, zu tanzen. Ich muss wieder gehen lernen.

Und das tu ich, mit Theraband, Barren und Rollator, ein sehr freundlicher Physiotherapeut hilft mir dabei. Der versteht’s zu ermutigen: »Gut machen Sie das, Herr Weiß. Merken Sie’s, die Kraft kommt wieder?!« (Ich merk’s nicht, aber er ist ja der Fachmann).

Vor ein paar Tagen meinte er: »Kriegen Sie hin, haben Sie schon mal gelernt.« Und das ist unabweisbar: Als kleines Kind, da hat es nicht lange gedauert und ich bin umhergesprungen wie ein Kitz. Was damals anders war, wo es mir heute sichtlich Mühe macht, wollte ich wissen. Da sagt mein Therapeut (ganz offensichtlich nicht nur fürs Physische): »Na, Herr Weiß, damals konnten Sie besser fallen.«

Dieser Antwort hat mich begeistert. Wer gehen lernen will, muss sich fallen lassen können, ohne Furcht. Und Furcht zu fallen habe ich oft. Da geht mein Weg durch dunkle Täler und ich habe Angst zu stolpern; da schaue ich in Abgründe und mir wird schwindelig; da werden vom Anstieg die Beine schwach und es nimmt mir den Atem. Sie wissen, wovon ich rede: von all den Umwegen, Holzwegen, den Durststrecken, die das Leben bereithält für uns. Die bewältigen wir, wenn wir uns fallen lassen können. Und können wir es nicht, wenn wir wissen: »Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand, die er zum Heil uns allen barmherzig ausgespannt« (Arno Pötsch)?

Doch, das müsste gehen. Ein Kind bin ich schließlich immer noch, ein Gottes-Kind. Ich will es versuchen.

Mein Gott, ich wage das jetzt: mich fallen zu lassen. Ich vertraue mich dir an – du siehst: Ganz leicht fällt mir das nicht. Aber ich versuche das jetzt – und du lässt mich nicht im Stich!

Gar nicht so klein!

Vielleicht ist Ihnen das schon mal aufgefallen: Wer einen Hund sein Eigen nennt, wird unwillkürlich kleiner! Denn es ist ein »Herrchen«, das dem Pudel zu platzen befiehlt, und ein »Frauchen« wird vom theutschen Teckel durch den Wald geschleift. Seltsam, oder? Aber es sind eine Menge Verkleinerungen im Schwange: Auf schwäbische Mittagstische kommen einfach keine Spatzen, »Spätzle« aber doch, wer ein »Quäntchen Glück« hat, rechnet wohl nicht mit mehr (Wer weiß denn noch, was ein »Quant« ist?), und Kinder werden »Märchen« zugemutet, die kernig-kräftige Mär eher nicht.