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Reutlingen im 16. Jahrhundert. Der 17-jährige Zimmergeselle Hannes Fritz geht nach seiner Gesellentaufe auf die traditionelle Walz. Seine dreijährige abenteuerliche Wanderschaft führt ihn in die freie Reichsstadt Esslingen, in das Benediktinerkloster Lorch und nach Frankfurt am Main. Er trifft den Humanisten Ulrich von Hutten, gerät zusammen mit einer jüdischen Familie in die Fänge von skrupellosen Räubern und begegnet der Kaufmannstochter Anna, seiner ersten großen Liebe …
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Seitenzahl: 566
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Julian Letsche
Auf der Walz
Historischer Roman
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© 2011 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 07575/2095-0
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2011
Lektorat: Doreen Fröhlich / Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/Korrekturen: Julia Franze / Katja Ernst, Sven Lang
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung des Bildes »Porträt eines jungen Mannes«;
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/
File:Albrecht_Dürer_093.jpg
ISBN 978-3-8392-3640-6
Die lärmende Prozession schob sich durch die enge Gasse. Die Männer wateten durch den knöcheltiefen Morast, der Gestank nach Schweinekot und Urin schien sie nicht sonderlich zu beeindrucken. Den zerlumpten Kindern, die wie wild um sie herumtollten, schenkten sie nicht die geringste Beachtung. Zahlreiche Menschen lehnten sich aus den kleinen Fenstern der Fachwerkhäuser, die sich mit den weit auskragenden Giebeln beinahe zu berühren schienen, und beobachteten den kuriosen Umzug. Vorneweg schritt ein grinsender Mesner, der ein Weihwasserfläschchen schwenkte, ihm folgte in einiger Entfernung ein auffallend hoch gewachsener Pfaffe, dessen breite Schultern den schwarzen Talar zu sprengen drohten und der immer wieder in eine eigentümliche Litanei verfiel.
»In nomine domini! Attamen stramen! Der Blinde schlug den Lahmen um ein Stück Fleisch, dass ihn der Hund nicht beiß!«
»Bei dir würde ich auch gern zur Beichte gehen!«
Mit diesem Zuruf bedachte eine der Zuschauerinnen den seltsamen Geistlichen. Als er nach oben blickte, sah er die Frau des Schusters, deren lockerer Umgang mit dem Ehegelübde stadtbekannt war. »Der treue Diener des Herrn wird sich zu gegebener Zeit um dich kümmern, meine Tochter.«
Dem ungewöhnlichen Priester folgten zwei Männer, wie sie ungleicher nicht sein konnten. Während der linke eher klein gewachsen war und in seinen flinken Bewegungen an ein Wiesel erinnerte, überragte ihn der ungelenke Hüne um Haupteslänge.
»Erwin, lass mich sofort herunter, ich bin alt genug und kann allein gehen!« Der mittelgroße Junge, den der Riese auf seinen gewaltigen Armen trug, zappelte wild und versuchte, sich zu befreien.
»Nun sei aber mal friedlich, lieber Kuhschwanz. Als dein Pate habe ich die freudige Pflicht, dich sicher zu deiner bevorstehenden Taufe zu bringen.«
Da gab Hannes den sinnlosen Widerstand auf, denn er war eigentlich genau darüber im Bilde, was ihn jetzt erwartete. Schon bevor der Morgen graute, war der ganze Trupp ins Haus seiner keineswegs ahnungslosen Eltern eingefallen. Sie hatten ihn aus seinen Träumen gerissen und unsanft von seinem Schlaflager gezerrt. Ehe er wusste, wie ihm geschah, wurde ihm ein nicht mehr ganz weißer, übel riechender Umhang übergeworfen und mit einem Hanfseil die Hände an den Körper gebunden. Die schmutzstarrende Kutte hatte ein kleines Loch, durch das der Kopf des Gefangenen gerade eben hindurchpasste. Während einer der kräftigen Männer den wehrlosen Jungen an den halblangen Haaren zog, flößte ihm ein anderer, der durch eine riesige Narbe verunstaltet war, unentwegt Wein ein. Die Eltern schauten tatenlos dabei zu, wie ihr Sohn schließlich aus dem Haus geschleift wurde, seine Mutter allerdings mit Tränen in den Augen. Das zerfurchte Gesicht seines Vaters zeigte ein leichtes Grinsen.
»Ich hatte gehofft, dass sie während deiner harten Lehrzeit einen Mann aus dir gemacht haben, Hannes! Also benimm dich wie einer und mach mir keine Schande!«
Hannes wollte etwas erwidern, als er von seinen Peinigern gepackt und fortgetragen wurde.
So zogen sie nun seit geraumer Zeit durch die Gassen der alten Reichsstadt, wobei sich ihnen immer mehr Volk anschloss. Unter ihnen befand sich ein hagerer, pferdegesichtiger Mann mit einer schwarzen Kappe, der eine irdene Kanne mit süffigem Wein trug, die er reihum seinen durstigen Kumpanen an den geöffneten Mund hielt. In den umliegenden Schenken füllte er sie immer wieder auf. Den festlichen Abschluss der eigenwilligen Prozession bildeten Männer in Festtagstracht mit schwarzen Kniehosen, schwarzen Filzkappen, blauem Wams und weißen Strümpfen. Auf ihren rechten Schultern ruhten blitzende Äxte und in jedem Gürtel steckte ein schmaler Dolch.
»Hier, mein lieber Kuhschwanz, trink von dem herrlichen Wein!« Der Pferdegesichtige hielt Hannes die gefüllte Kanne zum wiederholten Male hin, dabei hatte der sich schon mehrfach in den Rinnstein erbrochen. Endlich erreichten sie den Marktplatz mit seinen schönen Bürgerhäusern, auf dem ein geschäftiges Gedränge herrschte und kleine Garküchen verlockende Gerüche verströmten.
»Habt Erbarmen, ihr edlen Leute, mit einem alten Kämpfer des Kaisers!«, rief ein gebeugter Mann in einer abgerissenen Landknechtsuniform. Der rechte Ärmel seines geflickten Wamses hing leer an der Seite herunter, die ehemals aufrecht stehenden Federn an seinem Hut waren abgeknickt, und im Bemühen, die vorbeieilenden Leute zum Spenden zu bewegen, hielt er ihnen seinen nackten Armstumpf entgegen. Unterdessen war der lärmende Zug der Taufzeremonie ins Stocken geraten.
»Macht Platz, ihr Leut, macht Platz für Hannes, den edlen Täufling, und sein Gefolge!« Die durchdringende Stimme des Mesners und die breiten Schultern des Pfaffen sorgten letztendlich für ein Durchkommen. Vor dem steinernen Marktbrunnen machte der gesamte Tross Halt.
»So wollen wir dich nun mit diesem geweihten Wasser taufen, mein Sohn!« Der salbungsvoll redende Pfaffe gab dem bereitstehenden Paten ein knappes Zeichen, worauf dieser den Jungen recht unsanft in den runden Brunnen warf.
Der stinkende Umhang und die Fesseln behinderten Hannes stark, sodass er die größte Mühe hatte, wieder aufzutauchen. Ehe er aber prustend und schnaubend nach Luft schnappen konnte, drückten ihn ein Paar kräftige Hände erneut unter die Wasseroberfläche. Als diese schmerzliche Prozedur mehrfach vollzogen war, meldete sich der befehlsgewohnte Pfaffe wieder zu Wort.
»Haltet ein, bevor ihr ihn ersäuft wie eine räudige Katze!« Er legte Hannes die Hand aufs nasse Haupt und sprach andächtig: »Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes auf den Namen Krummnagel!«
Bei diesen Worten erinnerte sich Hannes an die ersten, sehr harten Wochen seiner Lehrzeit, als er zum Leidwesen seines Meisters die wertvollen Nägel dutzendweise verbogen hatte. Diesen Namen würde er erst wieder loswerden, wenn er die gesamte Zeche des heutigen Tages beglich.
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