Aus sich hinaus ... Tausend Stecknadeln - Florian Tietgen - E-Book

Aus sich hinaus ... Tausend Stecknadeln E-Book

Florian Tietgen

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Beschreibung

Seit Felix sich für die Bravo nackt fotografieren ließ, spotten seine Klassenkameraden. Nur Gao Xiang fasst Mut, ihn anzusprechen. Er malt und hofft, Felix ist bereit, für ihn Model zu stehen. Aber was passiert, wenn er bereit ist?

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Tausend Stecknadeln

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Impressum

Texte © Copyright by Florian Tietgen, [email protected]

Lektorat Satzklang, http://www.satzklang.de

Bildmaterialien © Copyright by Jacqueline Spieweg, http://jspieweg.de/ unter Verwendung des Bilds "Farbkleckse" von Isabel Meyer, http://www.isabelmeyer.de

Alle Rechte vorbehalten.

 

Die Jungen der Klasse gackern blöde, den Mädchen steht die Schamesröte im Gesicht und ich Idiot habe einen Ständer.

Dabei üben wir doch nur mit Bananen. Als wären Kondome nicht selbst erklärend. So schwer ist es nun wirklich nicht, sie überzuziehen, auch wenn es abtörnt.

Jaja, man kann es in die Zärtlichkeiten einbauen. Das kann ich mir nicht vorstellen, aber ich bin ja auch noch Jungfrau.

Ich weiß, sie sind wichtig, ich würde ja auch nicht ohne …; aber es ist lächerlich, was sie uns hier beibringen wollen. Und der Kopf von Frau Sutter ist genau so rot wie der meiner Klassenkameradinnen.

Die Banane macht mich nicht an. Auch nicht, als Benny langsam mit der Zunge darüberleckt, als wollte er ihr einen blasen, nachdem er sie geschält hat.

Ich stelle mir vor, statt der Banane vor der Klasse zu stehen und allen zu demonstrieren, wie es geht. Nicht nur mit heruntergezogener Hose, sondern nackt.

Es sollen gar nicht alle an mir üben, wie Daniel es laut lachend den Mädchen für sich vorschlägt, während er schon mal an seinem Gürtel spielt.

»Wenn, üben alle an dir – auch die Jungen«, entgegnet Frau Sutter und ihr Kopf wird dabei noch dunkler. So schnell, wie sie sich zur Tafel umdreht, lässt Daniel den Gürtel wieder los. Er wäre bestimmt auch ohne diese Aussicht zu feige gewesen.

»Nee, das ist eher was für Felix. Der lässt sich schließlich gern angaffen.«

Hat ja lange gedauert, bis der erste Kommentar kommt.

Frau Sutters Mundwinkel zucken, während sie einen kurzen Blick zu mir wirft. Erst danach ruft sie die Klasse zur Ordnung. »Ich hatte gehofft, ihr wäret schon reifer.«

Wenn ich rot werde, dann nur, weil ich mich bei meiner Vorstellung ertappt fühle. Denn das Schlimmste an diesen Kommentaren, die seit geraumer Zeit zu fast jeder Gelegenheit fallen, ist: Sie stimmen.

 

*

 

In der Pause steht Gao Xiang vor mir, lächelt freundlich, öffnet den Mund, aber einen Ton bringt er nicht heraus.

»Hallo.« Meine Finger riechen noch nach dem Latex, das ich über eine Banane ziehen musste, damit Frau Sutter beruhigt wusste, ich könnte mich schützen. Geht das? Nur mit einem Kondom?

Gao Xiang lächelt noch immer, und als ich vorbeigehen möchte, hält er mich fest. »Felix, ich habe eine Bitte an dich.«

Sein Vorname ist Xiang. Das ist im Chinesischen so. Trotzdem nenne ich ihn, wenn ich mit ihm spreche, immer Gao Xiang, als redete er mich jedes Mal mit vollem Namen an.

Ich mag seine stille Art. Er fällt wenig auf in der Klasse. Er gehört dazu, obwohl er sich in den Pausen nie zu uns stellt, nie bei den Feten ist, die wir feiern und sich auch im Unterricht nur höchst selten zu Wort meldet. Hat er schon jemals an irgendwen auf dieser Schule eine Bitte gerichtet?

»Okay.«

Gao Xiang blickt lächelnd über den Schulflur, verweist auf die vielen Schüler, die dort lärmen, als fürchte er, irgendwer könnte ausgerechnet in diesem Moment anfangen, sich dafür zu interessieren, worüber wir reden. »Nicht hier.«

Wir gehen schweigend nebeneinander nach draußen. Wo will er in der Pause einen Platz finden, an dem er sich sicher fühlt? Überall wimmelt es von Schülern.

»Was gibt´s?«, versuche ich es erneut. Gao Xiang holt tief Luft, schaut mich an, sieht über den Schulhof, dann wieder auf mich. Umständlich zerrt er das T-Shirt aus der Hose und eine kleine Din-A-5-Mappe darunter hervor, die er umklammert, als wolle er verhindern, dass ich auch nur einen kleinen Blick hineinwerfe. Er hat eine Bitte an mich, die ich ihm anscheinend aus dem Mund ziehen muss, wie einem Baby den Schnuller.

»Ich würde dich gern einmal malen.«

»Dafür druckst du so herum? Warum sollte ich etwas dagegen haben? Auch, wenn es bestimmt lohnenswertere Objekte gibt.«

Wieder schaut er über den Schulhof, zuckt zusammen, als ein Tennisball in unserer Nähe vorbeitrudelt, verfolgt von einem vielleicht dreizehnjährigen Jungen, der nur Augen für das gelbe Filzobjekt hat.

»Ich …«, beginnt er, dann schiebt er mir die Mappe in die Hand, als gäbe er mir ein Päckchen Marihuana. »Ich würde dich gerne …«, wartet, bis ich mir die erste Seite der Mappe angesehen habe, eine Zeichnung – ein nackter Junge, der auf einem Sockel steht - »… so malen.«

Hatte er während des Unterrichts meine Gedanken gelesen? Nein, dann hätte er ja nicht zufällig die Mappe dabei gehabt. Weshalb kommt er gerade jetzt mit der Frage. Auch wenn er es nicht ausgesprochen hat. Es ist klar, was er meint. Er reißt mir die Mappe aus der Hand, schaut erneut ängstlich über den Platz, bevor er sie wieder auf unter dem T-Shirt versteckt.

»Du hast doch mal diese Fotos machen lassen …«

 

*

 

Daniel war es, der am lautesten geschrien hat, als sie die Fotos von mir in der ›Bravo‹ fanden.

»Du bist echt pervers, Felix«, motzte er. »Hast du es so nötig?« Dabei sah er an mir herab, als wollte er mich auffordern, gleich vor ihm einen Striptease hinzulegen, reichte das Heft überall herum, während er mit dem Finger auf mich zeigte. Es überhaupt zu lesen, war ihm nicht peinlich gewesen. Obwohl die anderen auch darüber lästerten.

 

Ich habe die Bilder nicht machen lassen, weil ich mich umwerfend schön fände. Ich bin viel zu klein für mein Alter von sechzehn, man kann meine Rippen zählen und meine Haare sind viel zu dünn. Ich bin nicht der Typ, den die Mädchen von Weitem anschmachten, von dem sie träumen oder bei dem sie sich wünschen, ihn mal ohne T-Shirt zu sehen.

Ich fand es spannend. Schon als ich mich für die Bilder beworben hatte, hielt ich es kaum aus, schaute ständig in den Briefkasten, ob Post vom Verlag darin wäre. Als es geklappt hatte, ich dort stand und den Fotografen und den Redakteur begrüßte, waren meine Hände klatschnass. Mich Stück für Stück meiner Kleidung zu entledigen war, als tauchte ich in eine neue Welt ein.

Und doch fand die Erregung nur in der Fantasie statt, in der mentalen Vorbereitung, in den Gedanken, die ich dazu hatte. Nackt vor dem Stab stehend, waren die Anweisungen schlichte Routine. Die Geilheit, die in den Nächten vor lauter Freude auf den Termin in die Papiertaschentücher getropft war, blieb vor der Studiotür. Keine Erektion – zum Glück.

 

Die Fantasie blieb mir erhalten, trotz der erlebten Erfahrung und des besseren Wissens, dass man gar nichts spürt, sobald man den Blicken und Objektiven erst ausgeliefert ist. Die Vorstellung dieser Stecknadeln auf der Haut, wenn alle Augen auf dich gerichtet sind, ist warm und angenehm, viel wärmer als die Luft im Studio.