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Der eine bleibt auf einer Auffahrt stehen, weil er einen geliebten Menschen wiederzuerkennen glaubt, ein anderer fährt jeden Tag zum Hafen, um ein Foto von einem Fischer zu machen, ein Dritter hält ein Schild in die Luft wie bei einer Demonstration: "Ich liebe dich.“
Das haben sie alle gemeinsam, die Menschen in diesem Buch. Sie lieben. Tief und sehnsuchtsvoll.
Doch gibt es für die Liebe ein Ziel?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 47
Veröffentlichungsjahr: 2020
Qindie steht für qualitativ hochwertige Indie-Publikationen.
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Copyright © 2014 Florian Tietgen
Covergestaltung: Jacqueline Spieweg unter Verwendung eines Fotos von Andrea Obzerova, (c) www.abo-photography.com 2014
Lektorat: Satzklang
Kontakt: [email protected]
Florian Tietgen, Jahrgang 1959, hat seit 2003 mehrere Kurzgeschichten und 2007 seinen ersten Roman veröffentlicht. Er veröffentlicht sowohl als Verlagsautor als auch im Selfpublishing und unterstützt das Autorennetzwerk Qindie. Seine Themen sind Jugend und Gesellschaft.
Kann man in Gehwegplatten Wurzeln schlagen? Ist es möglich, so gebannt auf einen alltäglichen Vorgang zu schauen, dass man das Hupen der Autos nur nebenbei bemerkt und lediglich aus dem Unterbewusstsein einen Schritt zur Seite macht, damit der Verkehr wieder fließen kann?
Wäre es nicht so albern, würde ich die Kiste Mineralwasser auf den Boden stellen, mich darauf setzen und vielleicht das Croissant aus dem Rucksack mit den Einkäufen holen und essen.
Ist es weniger albern, schwer bepackt allen im Weg zu stehen und auf die Warenannahme zu starren, als entstünde dort gerade die Erde? Dort ist doch nichts zu sehen, als Menschen, die mit der Ameise Paletten mit vollen Getränkekisten aus einem Laster fahren und welche mit leeren wieder hinein. Dort ist nichts zu hören, als das klirrende Knallen der Flaschen, die sich beim Absetzen der Paletten wieder ihre Position suchen. Ein paar Wortfetzen dringen zu mir herüber, welche die hohen Gehaltsabzüge nach den ganzen Reformen und die Kurzsichtigkeit der Politiker anprangern, eigentlich aber nur die Last der körperlichen Arbeit erleichtern. Jeder Hub ein Fluch.
Zu Hause warten duftender Kaffee und Berge von Wäsche und schmutzigem Geschirr auf mich, aber ich kann mich nicht lösen von dem leutseligen Lächeln Marcels.
Ist er es überhaupt oder spielt mir mein Verlangen einen Streich? Ich kann ihn meistens nur von hinten sehen, lediglich kurzzeitig dreht er sich um, dann, wenn er das Leergut in den Wagen schiebt.
Wir haben uns geschworen, in Kontakt zu bleiben, auch wenn ich ihn nicht halten konnte.
»Ich muss meine Träume leben«, hat er gesagt und dabei mit seinen Tränen meine heraufbeschworen.
»Ich weiß.« Was sollte ich anderes sagen? Was hätte ich tun können, als ihm die Wege zu ebnen, ihm das Geld für den Flug zu geben und mit ihm nach Berlin zu fahren, um ein Visum zu besorgen? »Ich glaube an dich.«
Und wieder hat er geweint, da der Abschied so schwer war und er es nicht kannte, dass man ihn aus Liebe von sich jagte, hinaus in seine Hoffnungen und Wünsche an das Leben.
»Ich glaube an dich«, habe ich ihm immer wieder gesagt, auch in der letzten Nacht, in der er besonders salzig schmeckte, vor allem sein Gesicht, wenn ich seine Wangen küsste. Ich war bestimmt auch salziger als sonst. Wir haben unsere Trauer und seine Träume über unsere Körper verteilt, ein letztes Mal die Liebe füreinander in unsere Mitten gespritzt und gewünscht, ich könnte mit ihm gehen. Aber meine Träume waren andere gewesen. Eine letzte Umarmung am Flughafen, ein letzter Kuss für die Ewigkeit und für sein Vertrauen. Danach ging er seinen Weg in die Zukunft, ich meinen. Kamen wir an?
Warum stelle ich nicht wenigstens die Kiste Mineralwasser ab? Zieht sie mich nach unten oder der Gedanke, Marcel könnte zurückgekehrt sein, ohne sich zu melden? Starre ich so auf die Empore, weil ich einen Beweis möchte, der mir wehtut? Es muss ja nicht Marcel sein. Es kann ein junger Mann sein, der ihm ähnlich sieht, die gleichen Grübchen in den Wangen hat, in denen Tränen so schön liegen bleiben, ein totes Meer, mitten im Gesicht, immer, wenn er weint.
Wenn er einmal in meine Richtung schaute, hätte ich bestimmt Gewissheit. Was wird er tun, wenn er mich erkennt? Oder hat er mich längst erkannt und schaut deshalb nie her?
Wie sehr war mein Weg an seinen gebunden? Hatte ich wirklich einen anderen Traum? Wir sind beide Schauspieler.