Oft denke ich an Svea - Florian Tietgen - E-Book

Oft denke ich an Svea E-Book

Florian Tietgen

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Beschreibung

Anfangs möchte die vierzehnjährige Svea während des Bum-Bum-Becker-Booms nur Tennis bei Caroline trainieren. Doch der Spaß an der Provokation und die Verwirrung der Gefühle richten in der Schülerin und in der Trainerin ein nicht mehr zu beherrschendes Chaos an.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Impressum:

Alle Rechte bei Florian [email protected]

Lektorat: SatzklangCover: Jacqueline Spieweg, http://www.jspieweg.de/, unter Verwendung eines Fotos von sabonisr – Fotolia

 

 

Oft denke ich an Svea

 

 

Der Verkehr hat sich gegen mich verschworen. Die Blechlawine steht und ich klappe den Spiegel im Sonnenschutz auf, streiche das Haar zur Seite und kontrolliere den Lippenstift.

Bestimmt staut es sich zufällig ausgerechnet an dieser Stelle. Steht ein roter Citroën in der Nähe? Als führen Sveas Eltern immer noch diesen Wagen. Wenn sie mich sehen, zerren sie mich bestimmt aus dem Auto. Hat Svea überhaupt schon mit ihnen geredet?

 

Lächeln. Vor zwanzig Jahren bin ich oft hier gefahren. Daran habe ich auf meinem täglichen Weg zur Arbeit schon häufiger gedacht und mich gewundert, weil die Wege des Lebens mich auch in einer Großstadt wie Hamburg immer wieder dieselben Stationen passieren lassen. Jeder Weg zur Arbeit eine Erinnerung an Svea. Vor zwanzig Jahren hätte ich nur über die Kreuzung fahren und links in die nächste Seitenstraße einbiegen müssen, um sie abends zu Hause abzusetzen. Immer blieb sie vor der Haustür stehen, um mir noch einmal zuzuwinken, bevor ich hinter dem Häuserblock verschwand.

 

Der Lack meiner Fingernägel schmeckt alkoholisch bitter. Wie lange habe ich nicht an ihnen gekaut?

Ein kleines Stück geht es voran. Wenn ich nur wüsste, was los ist. Der Verkehr staut sich hier doch außerhalb der Rush-Hour nicht ohne Grund. Eine Baustelle ist nicht auszumachen. Und bisher hat auch kein Krankenwagen versucht, sich seinen Weg durch die stehenden Fahrzeuge zu bahnen.

Ohne das Diazepam, das mir der Arzt heute Morgen noch verschrieben hat, stünde ich hier jetzt nicht im Stau. Ich wäre gar nicht arbeitsfähig.

Einmal im Monat telefoniere ich noch mit Svea. Längst arbeitet sie als Auslandskorrespondentin bei einem Fernsehsender. Es ist schwer, sie zu erreichen. Meistens steckt sie in Konferenzen oder im Ausland, wirft sich mit Vorliebe in die Kriegsberichterstattung, reist mit den Truppen, riskiert immer wieder ihr Leben. Darum hatte ich mich gestern auch nicht gewundert, als sie mich bat, ich möchte bitte in fünf Minuten noch einmal anrufen.

 

*

 

Ich war vierundzwanzig und die Hosen waren gelb oder rosa, als ich Svea kennen lernte. Und nicht nur die Mädchen begeisterten sich für einen jungen rothaarigen Mann von siebzehn Jahren, den sie als Klassenkameraden in der Schule wahrscheinlich in der vordersten Reihe hätten sitzen lassen. Er hatte Sommersprossen und viel zu tief in den Höhlen liegende Augen. Er konnte keinen fehlerfreien Satz sagen, aber er gewann in Wimbledon ein Match nach dem anderen.

Gemeinsam hatten wir, dass wir Tennis spielten, Boris Becker, Svea und ich. Und der Einzug des rothaarigen Jungen ins Finale lockte alle aus unserem Klub vor den kleinen Fernseher des Vereinslokals, um Boris die Daumen zu drücken.

Nur Svea wagte es, zu lästern, wenn er sich auf dem Rasen wälzte, im Hechtsprung nach den Bällen jagte und sich immer wieder den Schweiß von der Stirn wischte.

»Der ist ja eklig«, flüsterte sie mir zu, als die Kamera in Großaufnahme auf seinen entblößten Oberkörper ging, während er das Shirt wechselte.

Das waren die ersten Worte, die sie nur zu mir sprach, vermutlich, weil ich nun einmal zufällig neben ihr saß, denn vorher war sie mir nie aufgefallen. Ich achtete nicht auf die kleinen Mädchen.

»Erfolg macht halt schön«, flüsterte ich zurück, grinste dabei und stieß ihr mit dem Ellenbogen leicht in die Seite.

Sie hatte kurze blonde Haare, fast wie ein Junge. Und unter ihrem hellblauen Poloshirt sah man zarte Andeutungen knospender Brüste. Wenn sie lachte, hatte sie Grübchen in den Wangen und wie Boris hatte sie Sommersprossen, wenn auch nicht so viele.

»Sollen wir nicht besser selbst spielen, als den beiden beim Keuchen zuzuschauen?«, fragte sie. Ich war extra für das Finale gekommen, aber Bewegung tat mir sicherlich gut, auch wenn ich körperlich arbeitete. Und das kecke Grinsen, mit dem sie ihre Frage unterstrich, reizte mich. Also nickte ich, stand auf, hörte ein paar murrende Kommentare und wartete, ob sie mir nach draußen folgte. Gegen so ein junges Ding hatte ich noch nie gespielt. Aber einen besseren Trainingspartner würde ich während des Matchs wohl nicht finden.

»Ich heiße übrigens Caroline«, stellte ich mich vor, als sie nach draußen kam.

»Svea.« Sie hielt sich die Hand vors Gesicht. Die Sonne blendete, vor allem, wenn man aus dem abgedunkelten Clubhaus kam. »Wenn er gegen einen schwarzen Südafrikaner spielen würde, hätte ich wenigstens jemanden, dem ich die Daumen drücken könnte«, fuhr Svea ohne Unterbrechung fort. Ich lachte. »Den wirst du beim Tennis nicht finden. Da muss dein Antiapartheitsherz mit dem Germanen schlagen.«

Ironisch verzog sie das Gesicht. »Oder mit keinem von beiden.

Svea spielte weder gut noch voller Begeisterung. Sie lief den Bällen nicht hinterher und nur selten gelang es ihr, mich ein bisschen an der Grundlinie zu scheuchen. Aber sie hielt zwei Sätze durch. Zwei Sätze, während derer ich überlegte, ob ich ihr den einen oder anderen Punkt überlassen sollte, ob der Kampf nicht unfair war.

»Wie alt bist du?«, fragte ich bei einem Seitenwechsel.

»Vierzehn«, antwortete sie und fügte hinzu: »seit gestern.«

Ich hatte sie jung eingeschätzt, so jung allerdings nicht. Schon ihre Aussage über Südafrika ließ sie mir älter erscheinen, auch wenn natürlich nicht viel Substanz dahinter steckte und sie genau so gut einen Spruch ihrer Eltern nachgeplappert haben konnte.

»Na dann herzlichen Glückwunsch nachträglich.«

Ich mochte sie nicht fragen, ob sie immer so schlecht spielte, vielleicht war sie genau so zum Tennis gekommen wie ich und musste erst für sich entdecken, wie viel Spaß es trotz des elitären Habitus‘ machte, sich in diesem Sport zu verausgaben, jemandem gegenüberzustehen, den man besiegen konnte, bevor man ein Glas Rotwein mit ihm trank.

»Was machen wir jetzt?«, fragte sie, nachdem ich ihr das letzte As serviert hatte.