Axel und Hanjo - Gert Rothberg - E-Book

Axel und Hanjo E-Book

Gert Rothberg

0,0

Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. »Komm, Hanjo, wir fahren zu Susanne!« Das rief Norbert Thomas durch das Zimmer. Mit einem Satz sprang der Collie von der Couch auf den Fußboden. Danach führte er einen Freudentanz um seinen Herrn auf. Norbert Thomas griff nach den Autoschlüsseln und klapperte damit. Seine grauen Augen lachten. »Jawohl, zu Susanne. Und mit dem Auto. Ich weiß, das eine freut dich so sehr wie das andere, du Schlingel. Eines Tages werde ich noch auf dich eifersüchtig werden. Du scheinst verliebter in Susanne zu sein als ich. Aber das ist ja gar nicht möglich.« Norbert Thomas tätschelte den langen schmalen Hundekopf. Dann schloss er sein Zimmer ab und verließ mit Hanjo das Haus. Der Hund bellte wie verrückt, als Norbert seinen Wagen aus der Garage holte. Es sah aus, als habe Hanjo Angst, nun doch noch vergessen zu werden. Norbert öffnete den Schlag, und Hanjo sprang mit einem Satz auf den Beifahrersitz. Hoch aufgerichtet und stolz blickte er auf die Straße hinaus. Sein Kopf stieß beinah an das Wagendach. Alle Collies sind schön, dachte Norbert Thomas, aber mein Hanjo ist der schönste.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 161

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sophienlust Extra – 14 –

Axel und Hanjo

… sind ein unschlagbares Team!

Gert Rothberg

»Komm, Hanjo, wir fahren zu Susanne!« Das rief Norbert Thomas durch das Zimmer.

Mit einem Satz sprang der Collie von der Couch auf den Fußboden. Danach führte er einen Freudentanz um seinen Herrn auf.

Norbert Thomas griff nach den Autoschlüsseln und klapperte damit. Seine grauen Augen lachten. »Jawohl, zu Susanne. Und mit dem Auto. Ich weiß, das eine freut dich so sehr wie das andere, du Schlingel. Eines Tages werde ich noch auf dich eifersüchtig werden. Du scheinst verliebter in Susanne zu sein als ich. Aber das ist ja gar nicht möglich.«

Norbert Thomas tätschelte den langen schmalen Hundekopf. Dann schloss er sein Zimmer ab und verließ mit Hanjo das Haus.

Der Hund bellte wie verrückt, als Norbert seinen Wagen aus der Garage holte. Es sah aus, als habe Hanjo Angst, nun doch noch vergessen zu werden.

Norbert öffnete den Schlag, und Hanjo sprang mit einem Satz auf den Beifahrersitz. Hoch aufgerichtet und stolz blickte er auf die Straße hinaus. Sein Kopf stieß beinah an das Wagendach.

Alle Collies sind schön, dachte Norbert Thomas, aber mein Hanjo ist der schönste.

Man sah dem Hund auch an, dass er gut gepflegt wurde. Das weiß-braune Fell glänzte, der weiße langhaarige Kranz um Hals und Schultern sah wie eine seidige Pelerine aus.

»Jetzt leg dich hin, Hanjo«, sagte Norbert. Der Collie gehorchte sofort. Aber er seufzte sehr hörbar.

Norbert lachte. »Ich habe dich verstanden. Der Platz ist zu klein für dich. Darüber stöhnst du ja bei jeder Fahrt. Doch du wirst dich daran gewöhnen müssen. Ich bin ein kleiner Chemiker und kann mir keinen Cadillac leisten. Hörst du? Wir beide müssen schon mit dem Käfer zufrieden sein. Und das sind wir ja auch. Was, Hanjo?«

Der Hund jaulte leise, als habe er seinen Herrn genau verstanden. Norbert gab ihm dafür schnell einen Klaps. Dann konzentrierte er sich auf das Fahren. Jetzt, um sieben Uhr abends, war zwar hier, in der Stadtmitte von Crailsheim, nicht sonderlich viel Verkehr, aber Norbert Thomas wollte auf kürzestem Weg zu seiner geliebten Susanne kommen.

Während der Fahrt malte er sich aus, wie überrascht sie sein würde, ihn heute schon wiederzusehen. Eigentlich hätte er erst drei Tage später von seiner Dienstreise zurückkommen sollen, aber er war mit seinem Auftrag schneller als erwartet fertig geworden. Zwei Dinge hatten ihn zur Eile getrieben. Er hatte wieder bei Susanne sein und er hatte seinem Chef imponieren wollen. Dieser Chef – Walter Brugger – war immerhin Susannes Vater. Er sollte wissen, dass er einen Schwiegersohn bekommen würde, der ehrgeizig und tüchtig war. Vielleicht zählte das bei dem alten Brugger ebenso viel, wie wenn ihm seine Tochter einen vermögenden Schwiegersohn gebracht hätte.

Geld hatten die Bruggers schließlich selbst genug. Eigentlich zu viel, wie Norbert Thomas jetzt wieder einmal dachte. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn Susanne weniger aus dem Vollen hätte schöpfen können. Sobald sie mit ihm verheiratet sein würde, musste sie sich etwas einschränken. Er rechnete nicht mit Zuschüssen von ihrem Vater. Im Gegenteil, er wollte darauf verzichten. Mit zweiunddreißig Jahren konnten andere Männer ja auch eine Familie erhalten.

Unter solchen Gedanken kam Norbert Thomas vor der großen Villa am Stadtrand an, die jedes Mal einen leichten Albdruck bei ihm auslöste. Für ihn war es unvorstellbar, dass sich Susanne in diesem großräumigen Haus wohlfühlte. Sie bewohnte es nur mit ihrem Vater und den Hausangestellten, denn ihre Mutter war schon vor Jahren gestorben.

Freilich, bevor Norbert Susanne kennengelernt hatte, mochte sie nicht oft in ihrem Elternhaus gewesen sein. Sie war zwar jetzt erst dreiundzwanzig Jahre alt, aber es gab nur wenige Länder auf dieser Erde, die sie noch nicht bereist hatte. Ihr Vater gab ihr jede Freiheit, sich ihr Leben so einzurichten, wie es ihr behagte. Dass sie vor einem Jahr zu einem Betriebsfest gekommen war, mochte einer Marotte entsprungen sein. Oder das Schicksal hatte seine Hand im Spiel gehabt. Denn auf diesem Betriebsfest hatte Susanne ihr Herz verloren.

An mich! jubilierte es in Norbert Thomas, als er jetzt vor der Villa hielt. Kaum hatte er die Wagentür geöffnet, drängte sich Hanjo auch schon ins Freie.

»Du kannst es natürlich am wenigsten erwarten«, meinte Norbert lachend. Sein schmales sonnengebräuntes Gesicht strahlte. Schnell strich er sich noch einmal durch das volle braune Haar, bevor er seinen Finger auf den Klingelknopf neben dem Gartentor drückte.

Gleich darauf kam aus der Sprechanlage eine Stimme. Sie gehörte dem Hausmädchen Erna, das Norbert kannte. Als er nach Susanne fragte, antwortete das Mädchen: »Frau Susanne ist heute Vormittag in die Blockhütte am Eulensee gefahren. Es war ihr hier zu langweilig. Übermorgen will sie wieder zurück sein.«

»Danke.« Norbert Thomas ging zum Wagen zurück. Hanjo folgte ihm mit betrübtem Gesicht und warf sich stöhnend auf den Beifahrersitz.

»Was machen wir jetzt, Hanjo?«, fragte Norbert. »Übermorgen kommt Susanne zurück. Natürlich, sie hat ja nicht damit gerechnet, dass ich heute schon aufkreuze. Das hat man nun von Überraschungen.« Er sah auf die Uhr. Zwei Stunden würde er bis zum Eulensee brauchen. Er kannte die Blockhütte, die den Bruggers gehörte.

Ein zärtliches Lächeln legte sich jetzt um Norberts Lippen. In der Blockhütte am Eulensee hatte er mit Susanne schon sehr glückliche Stunden verlebt. Warum sollte das nicht auch an diesem Tag so sein können? Es war gleichgültig, wann er nach Crailsheim zurückfuhr. Wichtig war nur, dass er morgen um acht Uhr wieder im Werk war.

Nein, er wollte sich die Freude nicht nehmen lassen, Susanne mit seinem Besuch zu überraschen. Wieder stellte er sich vor, wie glücklich sie sein würde, wenn sie ihn plötzlich sehen würde. Er konnte ohnehin nicht begreifen, dass sie sich nicht fürchtete, wenn sie ganz allein in der einsamen Blockhütte war. Aber Susanne war eben manchmal ein wenig sprunghaft. Von einer Minute zur anderen konnte sie eine Entscheidung treffen. So würde es wohl auch an diesem Tag gewesen sein.

»Wir fahren noch zu Susanne«, sagte Norbert so laut, dass der Collie zusammenschrak. Er hatte gerade ein wenig gedöst. Jetzt sah er seinen Herrn verdrossen an, als wollte er sagen: »Erst mal abwarten, ob du mir nicht wieder zu viel versprichst.«

Hanjo wurde von seinem Herrn auf dieser Fahrt noch oft gestört. Streckenweise pfiff Norbert vergnügt, dann wieder trällerte er eine Melodie. Je näher er seinem Ziel kam, um so mehr freute er sich auf das Wiedersehen mit dem geliebten Mädchen.

Knapp fünfhundert Meter vor dem Eulensee war ein kleiner Parkplatz, auf dem Norbert seinen Wagen stehen lassen musste. Denn man konnte nur zu Fuß an den See herankommen.

Auf dem Parkplatz stand auch Susannes flotter Sportwagen. Daneben standen noch drei Autos, denen Norbert jedoch keine besondere Bedeutung beimaß. Jetzt, mitten im Hochsommer, waren viele Touristen unterwegs. Außerdem standen am Ufer des Eulensees noch andere Wochenendhäuser.

Hanjo war jetzt nicht mehr schläfrig. Auch er kannte den Weg zur Blockhütte und schien nun wieder daran zu glauben, dass es mit dem Wiedersehen mit Susanne doch noch klappen würde.

Einige Male klopfte Norbert dem Hund beruhigend aufs Fell. »Pst, Hanjo, nicht bellen! Keinen Ton, hörst du? Wir wollen Susanne doch überraschen.«

Es war eine helle Nacht. Schon aus einiger Entfernung konnte Norbert die Blockhütte erkennen. Ob Susanne schon schlief? Oder ob sie ihren Plattenspieler wieder bis in die späte Nacht hinein laufen ließ, wie sie es so gern tat?

Die Fensterläden der Blockhütte waren geschlossen, doch durch die Ritzen schimmerte Licht. Norberts Herz klopfte stärker. Trotz seiner Vorfreude auf das Wiedersehen dachte er daran, dass er Susanne nicht erschrecken durfte. Er ging sehr leise an die Hütte heran und überlegte, wie er sich am rücksichtsvollsten bemerkbar machen sollte. Ein Lächeln legte sich um seine Lippen, als er feststellte, dass Susanne Musik hörte. Es war sogar jenes Lied, das sie in verliebter und sentimentaler Stimmung zu ›ihrem‹ Lied erkoren hatten: »Wir wollen niemals auseinandergehen …«

Norbert ging zu einem der Fenster. Hanjo drückte sich an ihn. Plötzlich verstummte das Lied. Es war noch nicht zu Ende gewesen, der Plattenspieler musste also abgestellt worden sein. Und jetzt hörte Norbert Susanne sagen: »Schluss damit. Es gibt schönere Lieder als diesen Kitsch.«

Norberts Hand krallte sich in Hanjos Fell. Wie sollte er das verstehen?

Jetzt erklang eine Männerstimme: »Das finde ich auch, Liebling. Wir beide brauchen überhaupt keine Musik. Heute nicht.«

Norbert Thomas kannte diese Stimme. Er stöhnte auf. Sein Atem kam stoßweise aus der Brust. Er meinte, der Boden schwanke unter seinen Füßen.

Hartmut Ledebur war mit Susanne in der Blockhütte. Hartmut Ledebur, mit dem Susanne mehr als befreundet gewesen war, als er, Norbert, Susanne kennengelernt hatte. Hatte sie damals nicht geschworen, dass sie mit diesem Playboy, dem verwöhnten Sohn des Konzernchefs Ledebur, nicht mehr das Geringste verbinde? Aber jetzt war sie mit diesem Schnösel in der Blockhütte. Zu einer Zeit, da sie hatte sicher sein können, von ihm, Norbert, nicht überrascht zu werden.

Eifersucht und ohnmächtiger Zorn stiegen in Norbert hoch. Er war Susannes Liebe so sicher gewesen – obwohl er nur ein bescheidener Chemiker war, Angestellter ihres Vaters.

In Norberts Ohren dröhnte es. Trotzdem konnte er hören, dass jetzt in der Blockhütte wieder gesprochen wurde. Wieder erklang Hartmut Ledeburs Stimme. »Ich werde dir diese alberne Episode mit dem kleinkarierten Norbert nicht mehr vorwerfen, aber jetzt wäre es an der Zeit, dass du sie beendetest.«

Nun sprach Susanne. »Das hätte ich ja schon längst getan, Hartmut, aber ich werde diesen Menschen einfach nicht los. Ich muss ja Angst haben, dass er sich etwas antut, so versessen ist er auf mich. Er merkt nicht einmal, dass mein Vater nur für einige Zeit bereit war, beide Augen zuzudrücken und so zu tun, als sei er ihm als Schwiegersohn willkommen. Ich glaube, Norbert würde seine Stelle aufgeben und mir durch die ganze Welt folgen, wenn ich versuchen würde, vor ihm auszureißen. Konnte ich voraussehen, dass er sich so in mich verknallen würde? Oder gar, dass er so vermessen sein würde, mich heiraten zu wollen? Manchmal könnte ich laut lachen, wenn er mir ausmalt, wie er mit mir leben will – so nach der Devise ›Trautes Heim, Glück allein‹. Liebster, du musst mir helfen, einen Weg zu finden, wie ich Norbert kurz und schmerzlos abservieren kann.«

»Mach ich, mein Schatz. Aber nicht heute. Morgen vielleicht. Diese Nacht gehört nur unserer Liebe. Ich lasse sie mir nicht von einem windigen kleinen Angestellten deines Vaters kaputtmachen.«

Norbert Thomas taumelte von der Blockhütte weg. Hanjo folgte ihm mit hängendem Kopf. Als die beiden am Rand des Sees standen, zupfte der Hund seinen Herrn am Jackett. Dann sprang er ein paar Schritte auf dem Parkplatz weiter und kam wieder zurück.

Hanjo hatte begriffen, dass sie in der Blockhütte unerwünscht waren. Er wollte zum Wagen zurück. Aber er musste lange warten, bis auch sein Herr diese Absicht hatte. Obwohl der Fußpfad schmal war, blieb Hanjo neben Norbert und stupste ihn immer wieder mit der Nase an. Das war die einzige Möglichkeit für den Hund, seinem Herrn zu sagen: Sei doch nicht so verzweifelt. Du bist doch nicht allein. Noch hast du mich, deinen besten Freund.

Auf dem Parkplatz machte Norbert einen Bogen um Susannes Wagen. Einer der anderen hier parkenden Wagen würde Hartmut Ledebur gehören. Oder war dieser vielleicht in Susannes Wagen zum Eulensee gefahren?

Norbert Thomas presste die Hände an den Kopf. Welche Rolle spielte es jetzt für ihn, wie Hartmut Ledebur zur Blockhütte gekommen war? Er hatte sich mit Susanne getroffen. Nur deshalb war sie zum Eulensee gefahren. Sie gehörte diesem Mann, der sich über ihn lustig gemacht hatte.

Susanne, meine geliebte Susanne!, hämmerte es in Norbert, so dass er meinte, unter diesen Schlägen zusammenbrechen zu müssen. Nein, nicht mehr seine Susanne. Sie hatte ihm nie gehört. Es war ihr nur geglückt, ihm Liebe vorzugaukeln, eine Episode mit ihm zu erleben, wie Hartmut Ledebur sie eben genannt hatte. Und nun fand sie keinen Weg, ihm die Wahrheit zu sagen.

Norbert warf sich in seinen Wagen. Hanjo folgte ihm sofort. Diesmal legte er sich nicht zum Schlafen hin. Er blieb sitzen und ließ seinen Herrn nicht aus den Augen.

Als Norbert die Arme auf das Lenkrad warf und den Kopf darauflegte, drückte sich Hanjo an ihn und winselte.

Wieder musste der Hund lange warten. Als sein Herr den Wagen endlich startete, sah er ihn misstrauisch an. Aber Hanjo konnte nicht fragen: Warum wendest du nicht, warum fährst du nicht zurück? Warum fährst du in die falsche Richtung?

Für Norbert Thomas gab es jetzt keine Richtung, die nach Hause führte. Sein Zuhause, das Glück seines jungen Lebens, war Susanne gewesen. Jeder Weg, den er einschlug, führte von ihr fort. Also war ihm die Richtung, in die er fuhr, gleichgültig. Ebenso das Tempo, das er einmal drosselte und dann wieder erhöhte.

Erst als ein See neben der Straße im hellen Mondlicht glitzerte, erwachte Norbert Thomas aus seiner Erstarrung. An ihre Stelle trat jetzt ein Aufbäumen gegen das Schicksal. Seine Gedanken wurden unklar. Er hatte an den Eulensee zu Susanne gewollt, überlegte er. Vielleicht war es nur ein böser Traum gewesen, dass er schon an der Blockhütte gestanden hatte? Hier neben ihm war doch ein See. Sollte er halten?

Noch bevor Norbert sich darauf eine Antwort geben konnte, trat er schon auf die Bremse. So hart, dass der Wagen schleuderte und auf der gegenüberliegenden Straßenseite an einen Baum prallte. Ein Krachen, Splittern und Bersten durchbrach die Stille der Nacht. Für Sekunden nur. Dann war wieder alles ruhig.

Der erste Laut nach einiger Zeit war Hanjos Winseln. Der Hund war eingeklemmt. Immer wieder versuchte er, seinen Herrn zu erreichen. Erst nach Minuten stieß er bis zu ihm und konnte seine Hand lecken. Es war eine leblos wirkende Hand.

Unter Klagen und zeitweisem lautem Aufheulen gelang es Hanjo, sich zu befreien. Er kroch aus dem Autowrack, blieb aber zunächst im Gras liegen und leckte sich das Blut von den Pfoten und aus den langen Haaren. Aber bald gab er das auf. Noch einmal versuchte er, mit den Vorderpfoten auf den Rahmen des zertrümmerten Wagenfensters zu steigen, durch das er sich ins Freie gerettet hatte, aber es gelang ihm nicht. Er sackte wieder zusammen.

Erst nach geraumer Zeit fand Hanjo neue Kraft. Nun schleppte er sich auf die Straße. Dort blieb er einige Minuten sitzen und sah sich um. Was sollte er tun?

Aus nicht allzu weiter Entfernung war Hundegekläff zu hören. Das mochte für Hanjo den Ausschlag geben, dass er sich in dieser Richtung weiterbewegte. Mal auf den Pfoten taumelnd, dann wieder fast auf dem Bauch rutschend.

Im Gasthof »Zum grünen Krug« in Wildmoos waren die letzten Lichter verlöscht. Auch die in den wenigen Fremdenzimmern.

Aber noch nicht alle Bewohner des Hauses schliefen. Der sechsjährige Axel Hollander wälzte sich in seinem Bett hin und her. Er hatte den ganzen Tag Langeweile gehabt und war noch gar nicht müde. Seine Gedanken kreisten um die Frau im Nebenzimmer. Um Helma Sanders, seine Erzieherin. Axel ärgerte sich über sie und überlegte angestrengt, wie er es anstellen sollte, dass er sie morgen überlisten konnte.

Seit Tagen schon bat er sie, mit ihm das Kinderheim Sophienlust zu besuchen. Dort spielten im Park immer so viele Kinder. Sie waren übermütig, lachten und tobten. Und einige von ihnen hatten ihn, wenn er mit Frau Sanders am Zaun entlanggegangen und immer wieder stehen geblieben war, schon zu einem Besuch eingeladen. Aber Frau Sanders hatte ihn jedes Mal weitergezerrt und seinen Bitten kein Gehör geschenkt. Sie hatte stets behauptet, er solle sich hier in Wildmoos erholen und nicht herumtoben.

Dabei war er doch weder krank noch schwach. Er konnte genauso laufen und springen wie die Kinder von Sophienlust. Nur seine Mutti war sehr krank und lag schon seit Monaten in einer Klinik in Heidelberg. Sie hatte nicht mehr in dem schönen weißen Haus am Nekkar bleiben können.

Der kleine Axel erhob sich und schlich auf den Zehenspitzen zum Fenster. Draußen war es so hell, dass er das Dach von Sophienlust sehen konnte. Ob dort alle Kinder schon schliefen? Oder ob einige vielleicht noch miteinander tuschelten und sich Geheimnisse erzählten? So, wie er selbst es gern getan hätte?

In den blauen Augen des Jungen lag ein trauriger und sehnsüchtiger Glanz. Warum durfte er keine Freunde haben? Warum war sein Vati gestorben und seine Mutti nun so schwerkrank? Und warum musste er eine Erzieherin haben? Die Kinder von Sophienlust hatten gar keine Eltern mehr, aber sie waren trotzdem so fröhlich. Und sie durften Tiere haben. In Sophienlust und im Tierheim »Waldi & Co«.

Der Wirt des Gasthofes hatte schon oft zu Frau Sanders gesagt, sie solle mit ihm, Axel, doch einmal dieses Tierheim besuchen. Aber auch das tat die Erzieherin nicht. Dabei erzählten die Leute so begeistert, wie viele Tiere der Tierarzt Dr. von Lehn und seine Frau pflegten.

Axel öffnete das Fenster leise. Dann stützte er die Ellenbogen auf die Fensterbank und zerstruwwelte mit den Fingern sein kurz geschnittenes rostrotes Haar. So, als könnte er dann besser grübeln. Immer wieder über dasselbe: wie er es wohl am nächsten Tag schaffen könnte, Frau Sanders durchzubrennen.

Nach einiger Zeit forderte die Natur doch ihr Recht. Axel fielen die Augen zu. Später sank sein Kopf nach vorn, das Kinn schlug auf die Fensterbank. Doch dadurch riss er wieder die Augen auf und sah sich schlaftrunken um. Wieso stand er hier am offenen Fenster, und wieso hörte er das Jaulen eines Hundes?

Axel richtete sich auf. Ja, da jaulte wirklich ein Hund. Er musste vor dem Eingang des Gasthofes sein.

Axel beugte sich so waghalsig weit aus dem Fenster, dass sich seine Füße vom Fußboden abhoben. Doch jetzt stieß er einen unterdrückten Schrei aus. Im Schein der Hausbeleuchtung hatte er einen Hund gesehen. Einen Collie. Sein braun-weißes Fell und der lange schmale Kopf waren deutlich zu erkennen gewesen. Der Hund hatte sich nicht bewegt, aber in kurzen Abständen erklang immer wieder sein Winseln und Klagen.

Axel gab sich einen Ruck, sodass er wieder auf dem Boden stand. Er sah sich im Zimmer um. Dann riss er seine Hose und sein Hemd von der Stuhllehne, schlüpfte aus dem Pyjama und zog sich an. Das ging alles so schnell, wie er es am Morgen noch nie geschafft hatte.

Schon schlich Axel aus dem Zimmer hinaus auf den Flur. Aber hier war es dunkel, weil es kein Fenster gab, durch das das Mondlicht hereinfallen konnte. Axel wußte zwar, wo der Lichtschalter war, aber er wollte das Licht nicht anknipsen, aus Angst, es könnte ihn dabei jemand hören und dann davon abhalten, zu dem Hund vor dem Haus zu gehen.

Im Dunkeln tappte Axel die Treppe hinunter, immer darauf bedacht, keine Geräusche zu verursachen. Bei der Haustür angekommen, erschrak er. Die Tür war verschlossen. Und draußen jaulte weiter der Hund.

Ich muss durch die Seitentür gehen, die zum Stall führt, durchzuckte es Axel. Ja, das würde der richtige Weg sein. Vielleicht war die Seitentür nicht verschlossen.

Axel hatte Glück, denn in dieser Tür steckte innen der Schlüssel. Axel brauchte ihn nur im Schloss herumzudrehen, und schon war er im Stall. Die Stalltür war von innen nur verriegelt. Mit aller Kraft schob Axel den Riegel hoch und stand nun auf dem Hof. Hier war es wieder hell, denn der Mond schien ja.

Axel schlich sich vor die Haustür. Nun hatte er alle Angst vergessen, entdeckt zu werden. Er kauerte sich vor den Collie hin, streichelte ihn und flüsterte: »Was hast du? Bist du krank?«