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In der fesselnden Erzählung aus dem Jahr 1928 wird ein außergewöhnliches Experiment in den Fokus gerückt, das die Grenzen von Menschlichkeit und Wissenschaft auslotet. Der zum Tode verurteilte Verbrecher Z. erhält eine letzte Chance auf Leben – unter der Bedingung, sich mit Lepra impfen zu lassen. In der düsteren Kulisse des Rigaer Zuchthauses entfaltet sich eine packende Geschichte über Verzweiflung, Hoffnung und die grausame Realität medizinischer Experimente. Wolf wirft mit seiner Erzählung drängende ethische Fragen auf, die auch heute nichts an ihrer Brisanz verloren haben. Ein literarisches Meisterwerk, das zum Nachdenken anregt und den Leser bis zur letzten Seite in Atem hält.
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Seitenzahl: 19
Friedrich Wolf
Begnadigt - letzte Chance: Lepra
ISBN 978-3-68912-164-8 (E–Book)
Die Erzählung ist 1928 entstanden.
Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.
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In Riga hat der Arzt und Lepraforscher Sniker vom lettländischen Staatspräsidenten die Begnadigung eines zum Tode verurteilten Verbrechers erbeten und erhalten unter der Bedingung, dass sich der Begnadigte mit Lepra impfen lässt.
(Zeitungsmeldung)
Der zum Tode verurteilte Verbrecher Z. liegt auf der Pritsche einer Einzelzelle des Rigaer Zuchthauses. Sein Gnadengesuch ist verworfen. Ungewissheit ist somit behoben. Einzig die Zweifel über Tag und Stunde der Hinrichtung sind noch wegzuräumen.
Z. ist vierundzwanzig Jahre, ein Baum im Saft. Kerngesund. Er streckt sich auf der Pritsche, stößt sich in einer Luftkippe ab, dass er auf den Beinen steht. Den schweren Schemel, mit dem er täglich hier übte, hat man ihm genommen. Jetzt macht er seine Morgengymnastik: Schattenhiebe und Marsch um die Zelle, drei Schritte längs, zwei Schritte quer. Im Schlusssprung setzt er von der Tür auf die Pritsche.
Und liegt.
Eine halbe Stunde ruht er so in der grauen Helle und versinkt im Nichts der Zwecklosigkeit, eine Stunde, zwei Stunden …, was ist ihm die Zeit. Er ist ja schon gestrichen, ausradiert. Da klirrt die Klappe an der Tür. Der Wärter Sabdill steht draußen. Z. kennt ihn am Schlurfen der Strohpantinen und am gurgelnden Asthma. Mag er.
Doch jetzt öffnet sich die Tür; herein treten drei Menschen: Sabdill wie ein lahmer alter Tanzbär, dann der Inspektor mit äugendem Vogelgesicht – Z. ist von seiner Pritsche hochgesprungen und nimmt Stellung – und schließlich ein großer, etwa sechzigjähriger Herr mit einer grauen Matratze von Bart wie ein Niklaus und einer in den Nacken wallenden sokratischen Denkerstirn. Dieser väterliche alte Herr blättert unentwegt in einer Akte, sendet vergleichende Blicke auf den Delinquenten und debattiert mit sich selbst in Kurzsätzen wie: „Wird sich schon ergeben!“ oder: „Neue Wege müssen beschritten werden!“
Es ist der namhafte Arzt und Leprologe Uexkyll.
Der Inspektor stellt mit einem Blick fest, dass der Schemel fehlt. „Haben Sie sich beruhigt?“, fragt er Z.
„Jawohl, Herr Inspektor!“ Z. reißt sich zusammen und freut sich seiner errungenen Disziplin.