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Die BEOBACHTUNG ist ein ganz zentraler Schwerpunkt in der Elementarpädagogik. Sie bildet die Grundlage für jede pädagogische Handlung, für die Planung von Themenschwerpunkten oder Projekten, für ein besseres Verstehen kindeigener Ausdrucksweisen, für Gespräche mit Kolleg*innen, um aus deren Einschätzungen die eigenen Sichtweisen zu überprüfen, um mit Eltern über die zurückliegende und gegenwärtige Entwicklung des Kindes zu sprechen und um fachlich abgesicherte ENTWICKLUNGSDOKUMENTATIONEN zu verfassen, diese professionell zu formulieren und somit auch in berufspolitischer Sicht den STELLENWERT DER ELEMENTARPÄDAGOGIK zu sichern bzw. weiter zu verbessern. Dieses praktische Handbuch nennt Grundsätze, Aufgaben und Ziele für eine qualitätsgeprägte Beobachtung, geht auf alltagsorientierte Wahrnehmungs-, Beobachtungs- und Beurteilungsfehler ein, stellt allgemeine sowie besondere Beobachtungsbögen und -protokolle vor und zeigt anhand von Struktur- und Gliederungshilfen, wie professionelle Entwicklungsberichte mit ausführlichen STICHWORTHILFEN verfasst werden können. Eigens für dieses Buch wurde die Website www.beobachten-und-dokumentieren.de eingerichtet, auf der sich die Formulare zum Download befinden. Das Buch richtet sich sowohl an Studierende der Sozial- und Heilpädagogik als auch an Erzieher*innen/Kindheitspädagog*innen, die schon im Beruf stehen.
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Seitenzahl: 190
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© 2025 BurckhardtHaus, Freiburg im Breisgauc/o Körner Medien UG
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe sowie der Übernahme auf alle digitalen Medien, vorbehalten. Ausgenommen sind fotomechanische Auszüge für den eigenen wissenschaftlichen Bedarf.
Umschlaggestaltung: Anja LuschTitelfoto: South_agency/istockphto.comLayout: Ogai Technologies Pvt Ltd, ChennaiDruck: dardedze, Riga
www.bhl-verlag.de
ISBN 978-3-96304-617-9
Die Beobachtungslisten aus diesem Buch finden Sie auf der Website www.beobachten-und-dokumentieren.de im PDF-Format zum freien Download.
Vorwort
1.Grundsätze für eine qualitätsgeprägte Beobachtung
1.1Systematische Beobachtungen als Grundlagenqualität für eine ganzheitliche Elementarpädagogik
1.2Aufgaben, Ziele und Formen einer Verhaltensbeobachtung
1.3Beobachtungsformen
1.4Grundsätzliches zu Beobachtung, Datenerhebung und Auswertung
1.5Wahrnehmungen als Ausgangspunkt einer kindorientierten, professionellen Arbeit
1.6Sehen, erkennen, verringern: Alltägliche Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler
1.7Beziehungen prägen das Verhalten von Kindern entscheidend mit
2.Beobachtung in der praktischen Anwendung
2.1Allgemeine und besondere Beobachtungsbögen und -protokolle
2.2Entwicklungsbogen zur Erfassung kindlicher Ressourcen
2.3Schulfähigkeit: Merkmale einer Schulbereitschaft und deren Erfassung
3.Beobachtungsergebnisse absichern und erweitern
3.1Anamnese und Katamnese
3.2Die Exploration
3.3Testverfahren in der Elementarpädagogik
4.Entwicklungsberichte und Entwicklungsbegleitung gestalten
4.1Konkret und praktisch: Struktur und Gliederungshilfen für Entwicklungsberichte
4.2Stichworthilfen für Entwicklungsberichte
4.3Struktur und Gestaltungsaufbau einer aktiven Entwicklungsbegleitung
4.4Aktive Entwicklungsbegleitung auf der Grundlage von Beobachtungen
Nachwort
5.Begriffsklärungen von Fachbegriffen der Pädagogik, der Pädagogischen Psychologie und der Psychologie: von A – Z
Begriffsklärungen
In der folgenden Übersicht finden Sie noch einmal die Autoren- und vollständigen Literaturangaben, die in diesem Buch zitiert wurden:
6.Literaturhinweise
A) Verstehen von erwartungswidrigem Verhalten
B) Beobachtung & Entwicklungsdokumentation
Literatur des Autors
Der Autor
Karel Capek, ein tschechischer Schriftsteller, äußerte sich einmal wie folgt: ›Es ist unfassbar, wie schlecht die Menschen beobachten‹ und Daniel Mühlemann, ein Naturfotograf, kam zu der Erkenntnis: ›Der Beobachter bedarf klarer Sicht und eines scharfen Blickes‹.
Die Beobachtung des Kindes ist – über alles andere Bedeutsame hinweg – die zentrale Aufgabe der Pädagogik, die in ihrem Stellenwert nicht hochgenug eingeschätzt werden kann. Beobachtungen führen die Beobachtenden zu einer Erkenntnis, die zum Ausdruck bringt, was ein Kind für eine förderliche Entwicklungsunterstützung braucht, welche Bedingungen einen entwicklungsförderlichen oder auch entwicklungshinderlichen Einfluss auf das Kind haben, welche Kompetenzen auf Seiten der pädagogischen Fachkraft gefragt und gefordert sind, um eine körperliche, kognitive und psychosoziale Sättigung der kindlichen Grundbedürfnisse zu erreichen, welcher pädagogische Ansatz für die Kinder am geeignetsten ist, Entwicklungsprozesse zu unterstützen, welche Themenschwerpunkte angebracht sind, um kindorientierte Projekte mit Kindern zu planen und durchzuführen, welche Schwerpunkte in Elterngesprächen einen besonderen Stellenwert besitzen und welche eigenen Sichtweisen auf das Kind prozessförderlich oder vielleicht auch entwicklungshinderlich sind.
(Peter E. Schuhmacher, Aphorismensammler & Publizist)
Wir alle beobachten Vieles um uns herum – doch ist es tatsächlich ein Beobachten oder eher nur ein kurzes, oberflächliches Wahrnehmen? Beobachtung ist ein zielgerichtetes, aufmerksames, von Ablenkungen befreites Hinschauen und Verweilen, um einen Erkenntnisgewinn zu bekommen. Dabei ist es notwendig, vorhandene, vorschnelle Annahmen (= Hypothesen) bei sich selbst zu entdecken, zu identifizieren und sich von diesen zu lösen, um weitestgehend wahrnehmungsoffen auf das zu schauen, was gerade passiert. Hier geht es nicht in erster Linie um ein Entdecken von so genannten Defiziten oder Schwächen, die ein kindliches Verhalten kennzeichnen, sondern vor allem um vorhandene Stärken, die jedes Kind sein Eigen nennen kann. Achtsamkeit spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle.
(Konfuzius)
Beobachtungen sind im Feld der Pädagogik in erster Linie auf das Kind gerichtet, auf sein Verhalten, seine Interessen, seine Sprache, sein Spiel, sein Umgang mit anderen Kindern und den Erwachsenen sowie den Materialien. Gleichzeitig erfordert eine Beobachtung auch immer eine Selbstbeobachtung – was lösen die beobachteten Merkmale in mir selbst aus, was fällt mir schwer, anzunehmen, was irritiert mich und welche direkten Zusammenhänge kann es geben, dass sich das Kind so verhält, wie es sich gerade ausdrückt. Kann es sein, dass sich das Kind zu einem anderen Tageszeitpunkt, bei einer anderen Kinderkonstellation, bei einer anderen pädagogischen Fachkraft ganz anders verhalten würde? Das Verhalten eines Kindes hat stets mit seiner Vergangenheit, seinen Erlebnissen und Erfahrungen aber auch mit der gegenwärtigen Situation, den Rahmenbedingungen, dem derzeitigen Projekt/ Thema und seinem Bindungsverhalten zur pädagogischen Fachkraft zu tun. Damit ergibt sich ein Beobachtungsergebnis aus einer Fülle von Ereignissen und deren Vernetzungen! Kleinigkeiten, die wir in einer Beobachtungssituation vielleicht für unbedeutsam halten, können einen großen Einfluss auf das Beobachtungsergebnis haben und somit sind immer vielerlei Vernetzungen zu berücksichtigen.
(Johann Wolfgang von Goethe)
Auch wenn professionell geplante und strukturierte Beobachtungen durch eine Beobachtungsabsicht und eine damit verbundene Zielsetzung ausgelöst wurden, ist es notwendig, sich schon im Vorfeld von vorhandenen Annahmen zu lösen und soweit wie möglich zu verabschieden. Ansonsten steht das Beobachtungsergebnis schon vor der durchgeführten Beobachtung unausgesprochen fest. Vorurteile, starre Vorannahmen oder gar so genannte ‚beweisführende Bestätigungsbeobachtungen’ führen immer zu einer Wahrnehmungseinschränkung, bei der abweichende Beobachtungsmöglichkeiten übersehen bzw. als unwichtig angesehen werden. Erst eine wahrnehmungsoffene, eine von starren Mustern geprägte, losgelöste Beobachtung führt zu Erkenntnissen, die im anderen Fall gar nicht entstehen können. Und das bedarf einer immer wiederkehrenden Selbstaufforderung. Dadurch entstehen ›tausend Lichter‹, die zuvor Vieles im Dunkeln gehalten hätten.
(George Savile, 1.st Marques of Halifax, englischer Politiker & Schriftsteller)
(Sören Kierkegaard, dänischer Philosoph, Schriftsteller & Theologe)
Beobachtende fällen mit ihren Beobachtungsergebnissen immer auch ein ›Urteil‹ über das Kind. Sei es, dass es um eine in Aussicht gestellte Bildungs-, Betreuungs- oder Erziehungsaufgabe geht oder um eine anstehende (Nicht)Einschulung, um bestimmte förderpädagogische Maßnahmen ins Auge zu fassen und zu planen oder um Erziehungsberechtigten einen umfassenden Überblick über (nicht) vorhandene Entwicklungsschritte zu geben. Um dabei eigenen Beobachtungsfehlern auf die Spur zu kommen, ist es immer hilfreich, sich selbst von Kolleg*innen beobachten zu lassen, um mit ihnen in einen anschließenden Erfahrungsaustauch zu treten. Solche Auswertungsgespräche fordern und fördern eine Selbstexploration (= eine selbstkritische Betrachtung der eigenen Person, deren Einstellungen, Werte, deren Normverständnis, deren Beobachtungskompetenz), die zu einem professionellen Berufsverständnis unwidersprochen dazugehört.
(Elias Kalischer, deutscher Rabbiner und Schriftsteller)
Natürlich sind bei jeder Beobachtung auch Emotionen vorhanden. Wissenschaftliche Untersuchungen im Bereich der Wahrnehmungspsychologie (Schönhammer, R., 2013 & Goldstein, E. Bruce & Cacciamani, Laura, 2023) haben gezeigt, dass Wahrnehmungen stets mit folgeprovozierten Gefühlen verknüpft sind, so dass diese auch automatisch in Beobachtungen einfließen! Sei es der Stress, der dadurch aufkommt, dass in der Beobachtungszeit die anderen Kinder ohne Begleitung sind, sei es die Freude, endlich die Zeit gefunden zu haben, eine entsprechende Beobachtung in das Alltagsgeschehen einbinden zu können, sei es der Ärger, sich auch noch dieser Aufgabe zuwenden zu müssen oder sei es die Angst, weil bestimmte Beobachtungsstrukturen vielleicht falsch geplant sein können. Vielleicht ist es aber auch die aufkommende Unruhe, wohlwissend, dass nach der Beobachtungssequenz noch ein ausführlicher Entwicklungsbericht angefertigt werden muss und in der Folge sogar ein Elterngespräch ansteht. So ist es einerseits erforderlich, dem Kind (aber nicht nur während der Beobachtung) eine wohlwollende Nähe zu schenken, andererseits aber bei der Verschriftlichung der Beobachtungen sowie der Beobachtungsergebnisse emotionale Bezüge zu minimieren, um eine fachlich-sachliche Wiedergabe zu gewährleisten.
(Günther Schneiderath, niederrheinischer Dichter und Aphoristiker)
Beobachter*innen schauen oftmals, nicht zuletzt durch ihre Rolle als Erwachsene/r, durch ihr Wissen und durch die Aufgabenstellung selbst, auf das Kind (herab), ohne zu erkennen und sich der Situation bewusst zu sein, dass damit eine ›Machtposition‹ besteht, die dazu verleiten kann, erkenntnisbesetzt und schon im Vorfeld ‚besserwisserisch’ an die Beobachtungsaufgabe heranzugehen. Doch stets sind folgende Ausgangssituationen zu beachten: (a) Beide Personen, das Kind und die erwachsene Person, sind Lernende! (b) Beide Personen haben ihre individuellen, besonderen Biographien bis zum Augenblick der Beobachtung hinter sich und sind durch vielfältige Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke in einer bestimmten Denkrichtung geprägt. (c) Beide Personen besitzen bestimmte Formen, Richtungen und Ausprägungen der Sympathie sowie der Antipathie, die wiederum ihre Sicht- und Beurteilungsweisen geprägt haben. Entsprechend ist es notwendig – und hier sei eine Metapher (= ein Bildvergleich) erlaubt – ‚vom hohen Ross (eines vorhandenen Machgefälles) herunterzusteigen’ und sich auf eine zum Kind gleichwertige Ebene zu begeben.
Zusammenfassung: Überall, ob es sich dabei um die Institution Krippe, Kindergarten, Kindertagesstätte, Hort oder Familienzentrum handelt, sind elementarpädagogische Fachkräfte aufgefordert, Beobachtungen vorzunehmen, diese auszuwerten und für die praktische Tätigkeit zu nutzen.
Nur so ist es möglich,
▸den Bildungsrichtlinien aller 16 Bundesländer gerecht zu werden, da in allen Ausführungen der besondere Stellenwert von Beobachtungen herausgestellt wird;
▸dem Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag, wie im Kinder- und Jugendhilfegesetz in allgemeinen Formulierungen benannt (damit verbunden ist vor allem die Förderung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, die Unterstützung von Eltern, der Schutz vor Gewalt, die Unterstützung der Selbstständigkeit der Kinder, ein entwicklungsförderliches Beziehungsangebot, eine individuelle Unterstützung von Bildungsprozessen) gerecht zu werden,
▸die Aussagen der in der UN-Charta ‚Rechte des Kindes' aufgeführten Artikel zu berücksichtigen und in die praktische Arbeit in den Einrichtungen zur Realität werden zu lassen, z.B. (a) das Wohl des Kindes in allen Vorhaben zu berücksichtigen (Artikel 3), (b) Kindern ein aktives Mitspracherecht bei allen wichtigen Entscheidungen einzuräumen und zu berücksichtigen (Artikel 12), (c) Kinder vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen gegenüber seiner Ehre und seines Rufes zu schützen (Artikel 16), (d) Kindern das Recht auf Freizeit, Erholung und Spiel zuzugestehen (Artikel 31). Hier dienen Beobachtungen ganz konkret dazu, mögliche Widersprüche zu den geforderten – und auch durch den Bundestag ratifizierten – Rechten zu entdecken und für eine Einhaltung der Rechte konsequent und offensiv zu sorgen. [Anmerkung: Diese UN-Kinderkonvention wurde am 26.01.1990 von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet und am 17.02.1992 mit Zustimmung vom Bundestag und Bundesrat durch Gesetz verabschiedet. Am 06.03.1992 wurde die Ratifizierungsurkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt und trat am 05.04.1992 für Deutschland in Kraft.]
▸den bedeutsamen Aussagen im ‚Berufsbild der Erzieher*in’ nachzukommen. Dort heißt es unter anderem, dass sich Erzieher*innen
(a),in erster Linie als Partner*innen der Kinder verstehen. Hier helfen Beobachtungen, diese Forderung zu überprüfen;
(b),als Anwält*innen für Kinder überall dort einsetzen, wo kindeigene Bedürfnisse unberücksichtigt bleiben;
(c),in ihrem Arbeitsverständnis, ihrer Kommunikations- und Umgangskultur kritisch hinterfragen, ob sie ihre Arbeit auf der Grundlage einer kritischen Auseinandersetzung sowohl mit den pädagogischen Traditionen als auch mit neuen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und bildungspolitischen Strömungen gestalten,
(d)der Entwicklungsunterstützung der Gesamtpersönlichkeit verpflichtet fühlen, was mit einer Teilleistungsförderung (z.B. durch teilisolierte Förderprogramme) unvereinbar ist.
▸alle bedeutsamen Erkenntnisse aus den Wissenschaftszweigen der Erziehungswissenschaft, der Pädagogischen Psychologie, der Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie, der Bildungs- und Bindungsforschung sowie der Neurobiologie in die praktische Arbeit einfließen zu lassen, wenn es darum geht, was Kinder für eine förderliche Entwicklung brauchen. Diese Notwendigkeit lässt sich nur durch professionelle Beobachtungen ganz konkret erfassen.
▸dass Erzieher*innen sich der alltäglichen Herausforderung stellen, die aktuellen Kindheiten – also ihre konkreten Lebenssituationen der Kinder, die ihnen in der Einrichtung anvertraut wurden – zu konstatieren (= festzustellen), um die Gegenwart der Kinder zu sehen und zu verstehen, um dann aus durchgeführten Beobachtungen professionelle Handlungsvorhaben abzuleiten.
(Anmerkung: In diesem Buch finden sich teilweise Bezugsquellen zu älterer Fachliteratur, die schon vor Jahren so basisorientiert waren, dass sie auch heute noch eine hohe fachliche Gültigkeit besitzen und daher als Hintergrundinformationen dienlich sind und keine fachlichen Widersprüche zu aktuellen Untersuchungsergebnissen aufweisen.
Zur Arbeitserleichterung haben wir mit www.beobachten-und-dokumentieren.de eine Website für Sie eingerichtet, auf der Sie die Arbeitsblätter im PDF-Dateiformat zum freien Download finden.)
Um jedes Kind dort abzuholen, wo es entwicklungspsychologisch steht, bedarf es einer systematischen Beobachtung. Sie bildet die Grundlage für eine qualitätsgeprägte Pädagogik, die sich ganz auf entsprechende Entwicklungshilfen für die Kinder konzentriert. So vielfältig dabei der Bedarf an Entwicklungsunterstützung ist, so unterschiedliche Beobachtungshilfen müssen zur Verfügung stehen. Dabei gilt es Grundsätze zu beachten, damit eine allgemeine Beobachtung zu einer qualitativ hochwertigen, systematisch aufgebauten Beobachtung wird. Um dabei keine subjektiven Eindrücke (mit ihren unbewussten Zielorientierungen) in den Vordergrund zu rücken, müssen Wahrnehmungsaspekte gesteuert werden. Nur so ist es möglich, zu objektiven Beobachtungsergebnissen und Handlungsperspektiven zu gelangen.
„Was tun Sie”, wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?” „Ich mache mir einen Entwurf von ihm”sagte Herr K., „und sorge, dass er ihm ähnlich wird.” „Wer, der Entwurf?”„Nein” sagte Herr K., „der Mensch.”
(Bertolt Brecht)
Beobachtungen bilden für Fachkräfte eine Datenbasis, die verlässliche Grundtatsachen liefert und Erkenntnisse für das weitere Arbeitsvorgehen ermöglicht. Beobachtungen lassen beispielsweise Hintergründe für Ereignisse erkennen und bringen Sinnzusammenhänge auf den Punkt. Werden notwendige Beobachtungen außer Acht gelassen, bleiben Fachkräften viele Erkenntnisse verschlossen, was eine professionelle, qualitätsgeprägte Arbeit zunichte macht. Beobachtungen sind ein überaus hilfreiches Instrumentarium, um Einzelsituationen genauer als zufällige Wahrnehmungen zu erfassen und Zusammenhänge zu erkennen.
Erfassung von
▸eigenen Verhaltensweisen, die sich förderlich oder hinderlich auf die Entwicklung von Kindern auswirken;
▸eigenen Verhaltensmerkmalen, die eine fördernde oder hemmende Wirkung auf die Entwicklung einer kollegialen Zusammenarbeit haben;
▸eigenen, typischen Ausdrucksformen, die als eine Folge biografischer Einflüsse zu verstehen sind;
▸methodisch-didaktischen Arbeitsschritten und ihrer Wirkweise auf die Entwicklung von Kindern;
▸spezifischen Verhaltensweisen der Kinder in Abhängigkeit von auslösenden oder verursachenden Situationen und (un)mittelbaren Folgen auf das von Kindern gezeigte Verhalten;
▸elterlichen Verhaltensweisen und kindeigenen Reaktionsverläufen;
▸spezifischen Verhaltensweisen einzelner Kinder in Abhängigkeit von räumlichen Bedingungen (Enge, Weite, Größe eines Raumes), materiellen Gegebenheiten (attraktive/ unattraktive Raumgestaltung, Überangebot oder Mangel an Materialien), der Kindergruppe (zu viele Kinder im Raum, Häufung, keine Häufung von Kindern mit problematischen Verhaltensweisen), strukturellen Bedingungen (attraktive/unattraktive Angebote, freiwillige/zwangsbedingte Annahme von Angeboten, eng oder weit strukturierter Tagesablauf, Regelübermaß oder Regellosigkeit in der Gruppe ...);
▸spezifischen Verhaltensweisen der Kinder in Abhängigkeit von der aktuellen Qualität der kollegialen Zusammenarbeit (Teamatmosphäre);
▸Verhaltensweisen einzelner Kinder, ausgelöst durch spezifische Verhaltensweisen anderer Personen (Hinweis: Rollen in Gruppen, Gruppensoziogramm);
▸Kompensationsmöglichkeiten für Kinder, um ihnen alternative Erlebnisse und Verhaltensmöglichkeiten anzubieten;
▸Wirkweisen bestimmter Projekte auf besondere Verhaltensweisen einzelner Kinder;
▸spezifischen Fähigkeiten und Fertigkeiten von Kindern im Hinblick auf zu planende Projekte und besondere Aktivitäten.
Erfassung von
▸eigenen Verhaltensmerkmalen, die sich förderlich oder hinderlich auf die eigene Weiterentwicklung (privat wie beruflich) auswirken;
▸spezifischen Merkmalen, die sich in der Entwicklung von Kindern aufbauen, manifestieren, stabilisieren oder abbauen;
▸eigenen Verhaltensmerkmalen, die in ihrer Wirkung entlastend oder belastend sind, die für Zufriedenheit oder Unzufriedenheit sorgen oder die eine weitere Entwicklung ermöglichen oder unterbinden.
Diese wenigen Beispiele machen deutlich, dass Situationsergebnisse oder zu beobachtende Verhaltensweisen – von Kindern und Erwachsenen – in der Mehrzahl das Ergebnis von zusammenhängenden Ereignissen sind! Diese Erkenntnis ist vor allem deshalb von großer Bedeutung für die (Sozial)Pädagogik, weil kindeigene Ausdrucksweisen in keinem Fall als isolierte Personkonstanten (= individuelle und gleichzeitig feststehende Persönlichkeitsmerkmale) eingestuft und als solche betrachtet werden sollen. Jedes Beobachtungsergebnis ergibt sich aus einer Fülle von unterschiedlichen Einflussgrößen und ist damit das Resultat eines Bedingungsgefüges.
So hat die Aussage „Nicht das Kind ist gestört, sondern die Umgebung, in der das Kind sein besonderes Ausdrucksverhalten zeigt” durchaus ihren Sinn. Würde nur allein das irritierende Verhalten von Kindern isoliert beobachtet und ebenso isoliert gedeutet werden, wären einer aus dem Sinnzusammenhang herausgelösten Bewertung Tür und Tor geöffnet. So gibt es eine ganze Reihe von Bedingungsfaktoren, die das besondere Verhalten von Kindern in einer speziell von ihnen so erlebten Situation auslösen, verursachen, verstärken oder unterdrücken. Eine genauere Analyse problematischer Entwicklungen macht schnell deutlich, dass es immer wieder besondere Einflussfaktoren sind, die auf Kinder und ihre Ausdrucksweisen wirken.
Hier sind vor allem folgende Merkmale zu nennen, die (in)direkt mit der elementarpädagogischen Fachkraft zu tun haben.
▸die „Persönlichkeitsstruktur” von Erzieher*innen und die damit verbundenen Persönlichkeitsmerkmale;
▸die berufliche Erfahrung oder Unerfahrenheit der Fachkräfte;
▸die bewussten und unterbewussten Erwartungen an das einzelne Kind/ die Kinder/ die ganze Gruppe;
▸die individuelle, persönlich und beziehungsorientiert geprägte Einstellung zum Kind, das beobachtet werden soll;
▸die individuell bewertete Erfahrung, die die Fachkraft bisher mit dem Kind gemacht hat;
▸die möglicherweise (un)professionellen Handlungsstrategien, mit denen bisher die pädagogische Arbeit gestaltet wurde;
▸die grundsätzlichen und subjektiven Einstellungen der Fachkraft zum Beruf (ihre Zufriedenheit oder Unzufriedenheit, die erlebte Berufsbelastung)
▸das Werte- und Normensystem, das den eigenen Verhaltensweisen und Erwartungen zugrunde liegt
▸die konzeptionelle Grundlage für die Ausrichtung/Gestaltung der pädagogischen Arbeit;
▸die ideologische Gestaltung der Pädagogik, die sich in der Arbeitsphilosophie zeigt;
▸der einrichtungsspezifische Ansatz und seine Gestaltungsweise;
▸die methodisch-didaktische Arbeitsgestaltung;
▸der besondere Tagesablauf, dem die Kinder unterworfen sind und in der Regel von den Fachkräften, ohne Beteiligung der Kinder, festgelegt wurden;
▸die örtliche Lage der Einrichtung mit großen oder kleinen Innenräumen oder Außenflächen und ihre Gestaltung.
Drittens haben auch die Erwartungen der Eltern an das Kind, die Einrichtung und die Fachkräfte einen Einfluss auf die Beobachtung und Beobachtungsrichtung. Eine weitere Rolle spielen die Erwartungen des Trägers an das Bild, das die Institution nach außen vermitteln soll. Hier wiederum wird von den Fachkräften einiges erwartet – beispielsweise, ob und wie stark auf Elternwünsche eingegangen werden soll.
Diese Aussagen machen noch einmal deutlich, dass jede Form der Beobachtung ihren besonderen Stellenwert sowie ihre ganz spezifische Aufgaben-/ Zielstellung besitzt und daher immer …
▸gut vorbereitet sein will,
▸eine klare Zielsetzung haben muss, die am besten schriftlich formuliert wird,
▸so zu machen ist, dass Nebensächlichkeiten zwar registriert werden, aber nicht vom Beobachtungsziel ablenken dürfen,
▸eine differenzierte Beschreibung der Zielpunkte möglich macht und damit jede Form einer frühzeitigen Bewertung ausschließt,
▸möglichst schriftlich festzuhalten ist, um Beobachtungsverfälschungen durch subjektive Gedanken auszuschließen,
▸Sinnzusammenhänge erfassen muss, um mögliche Hintergründe erfassen zu können,
▸nur dann sinnvoll ist, wenn aus den Auswertungen praktische Konsequenzen gezogen werden, die zu konkreten Handlungsvorhaben führen.
Eine Situation, ein Umstand oder eine Person kann nur dann umfassend und exakt beschrieben und beurteilt werden, wenn sorgsam zusammengetragene Fakten zur Verfügung stehen und das Material ausreichend ist, um eine fachlich begründete Aussage zu treffen. Wichtig sind qualitativ brauchbare und quantitativ umfassende Erhebungsgrundlagen.
Neben der Beobachtung gibt es weitere Datenbeschaffungstechniken, die je nach Fragestellung ihren ganz besonderen Wert haben. Folgende Grundsätze gelten für eine Datenerhebung:
▸ein sachlich-beschreibendes Erfassen der benötigten Daten möglich machen,
▸hilfreich sein für das weitere Vorgehen, um Zielsetzungen zu erreichen,
▸Rückschlüsse ermöglichen, um Hintergründe zu verstehen,
▸die ausschlaggebende Fragestellung möglichst exakt beantworten,
▸die Fachkraft dazu veranlassen, ihre (schon im Voraus gefassten) Annahmen immer wieder neu zu überdenken, um Vorurteile verwerfen zu können und sich allein auf die gefundenen Ergebnisse zu verlassen.
1.Nehmen Sie eine Bestandsaufnahme Ihrer bisherigen Beobachtungspraxis vor und prüfen Sie, inwieweit Ihre Beobachtungen einer fachlichen Systematik entsprechen.
2.Prüfen Sie, bei welchen Aufgabenstellungen bisher systematische Beobachtungen eingesetzt wurden und bei welchen Aufgabenstellungen zielgerichtete Beobachtungen zu kurz gekommen sind.
3.Gehen Sie der Frage nach, welche Hintergründe es geben könnte, dass nicht in allen bedeutsamen Zusammenhängen entsprechende Beobachtungen eingesetzt wurden.
Im Gegensatz zu einem passiven Auf-sich-einwirken-Lassen von Reizen oder einer spontanen Wahrnehmung ist Beobachtung eine aktive, planmäßige, methodisch auf ein Ziel gerichtete Registrierung von Ereignissen oder Verhaltensweisen. Diese müssen allerdings immer in ihrer Abhängigkeit von Einflüssen, situativen Bedingungen oder Rahmenstrukturen gesehen werden. Verhaltensbeobachtungen können nicht nebenbei gemacht werden, weil dann beispielsweise nur das „störende” Verhalten des Kindes oder die unangenehme Situation auffällt.
▸Sie nutzt die Beschreibung einer Person, die in besonderer Weise und aufgrund einer bestimmten Fragestellung differenziert(er) erfasst und betrachtet werden soll.
▸Sie bietet vielfältige Möglichkeiten an, um Entwicklungen und Entwicklungsprozesse zu erfassen.
▸Sie hilft der beobachtenden Person, eine bezüglich der Aufgabenstellung bestehende Frage zu beantworten und eine Erkenntnis zu erhalten.
▸Sie ermöglicht durch eine sorgsame Auswertung Hinweise für notwendige Planungs- und Handlungsschritte.
▸Sie gibt Hinweise auf Hintergründe und Vernetzungen, die mit der Beobachtungsaufgabe in einem Zusammenhang stehen.
Aus diesen Gründen und in bewusster Kenntnis, dass das kindliche Verhalten durch unendlich viele Faktoren beeinflusst ist, müssen bei jeder (Verhaltens)Beobachtung vor der Beobachtungsaktivität folgende W-Fragen sorgsam beantwortet werden:
1.Warum will ich beobachten?
Um typische Kommunikations- oder Interaktionsmuster zwischen mir und dem Kind zu entdecken? Um die (Un)Wirksamkeit bisheriger pädagogischer Anstrengungen zu überprüfen? Um eine Bestandsaufnahme der Fähigkeiten oder Fertigkeiten bestimmter Kinder mit Blick auf die Beurteilung ihrer Schulfähigkeit vorzunehmen?
2.Wen will ich beobachten?
Zum Beispiel ein bestimmtes Kind in einer Spielsituation mit einem anderen Kind; die Gesamtgruppe, um die derzeitige Rollenstruktur in der Gruppe zu erfassen; eine Teilgruppe von Kindern, um ihr Kommunikationsverhalten mit dem Verhalten einer anderen Teilgruppe zu vergleichen; um mich selbst in Spielkontakten mit bestimmten Kindern reflektieren zu können; um Gemeinsamkeiten und Unterschiede im eigenen Verhalten abhängig von den Kindern zu konstatieren; um konstruktive oder destruktive Verhaltensweisen der Kolleg*innen während einer kollegialen Beratung zu erfassen, ...
3.Was will ich genau beobachten?
Zum Beispiel, welches Kind welche Spielform bevorzugt oder ablehnt; welche Fähigkeiten und Fertigkeiten bestimmte Kinder in welchen Situationen zum Ausdruck bringen; Zusammenhänge zwischen der aktuellen Teamsituation und den möglichen Auswirkungen auf das Verhalten der Kinder; Entwicklungsfortschritte bei bestimmten Kindern im Anschluss an ein bestimmtes Projekt; Kommunikations- und Umgangskultur zwischen Mitarbreiter*innen und Kindern; Konfliktauslöser in der Kindergruppe und das gezeigte Konflikt(löse)verhalten einzelner Kinder, ...
4.Wann will ich beobachten?
Zum Beispiel unmittelbar nach dem Bringen der Kinder; in der Zeit, bevor die Kinder abgeholt werden; während bestimmter Spielphasen; vor, während oder nach dem Frühstück/Mittagessen; in der Zeitphase einer gezielten Aufgabenstellung, ...
5.Wie lange will ich beobachten?
Zum Beispiel in einer fest umgrenzten Zeitspanne von 5, 10, 15, 30 oder 60 Minuten; einen ganzen Vormittag/Nachmittag lang, bei dem eine Kollegin/ein Kollege Dienst in der Gruppe übernimmt, ...
6.Wo soll die Beobachtung stattfinden?
Zum Beispiel während die Kinder im Gruppenraum sind; wenn sich das Kind im Außenspielgelände aufhält oder seine Freunde in einer anderen Gruppe besucht; bei Exkursionen außerhalb des Kindergartengeländes; beim gemeinsamen Einkauf auf dem Markt; bei einem Museumsbesuch; bei einem angemeldeten Hausbesuch, ...
7.Wie will ich beobachten?
Zum Beispiel mit einem Handy bzw. Tablet, anderen audiovisuellen Möglichkeiten oder einem Beobachtungsbogen; mit welchem Bogen; offen oder verdeckt, beschreibend oder registrierend; als Gelegenheitsbeobachter; wenn das Kind eine bestimmte Verhaltensweise zeigt; als Mitspieler während einer Aktion; als jemand, der sich gezielt teilnahmslos in eine Ecke zurückgezogen hat, ...
8.Wer soll und kann beobachten?
Ist es günstig, selbst als Beobachter zu fungieren, oder wäre es besser, wenn jemand aus dem Kollegium beobachten würde? Sollte der Sachlichkeit halber ein zweiter Beobachter gleichzeitig (oder in einem versetzten Zeitraum) beobachten?
Ausgehend von diesen acht Grundsatzfragen ergeben sich deutliche Hinweise auf die auszuwählende Beobachtungsform.
Zunächst einmal wird zwischen der Selbst- und der Fremdbeobachtung unterschieden. Selbstbeobachtung