Grundlagen der Elementarpädagogik - Armin Krenz - E-Book

Grundlagen der Elementarpädagogik E-Book

Armin Krenz

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Beschreibung

Was sind Grundlagen der elementarpädagogischen Arbeit? Grundlegende Fragestellungen und Praxisprobleme treten nicht erst bei der direkten Arbeit mit den Kindern auf, sondern zeigen sich schon beim Prozess der Selbstrefl ektion. Was bedeutet es Erzieher/-in zu sein – in Bezug auf die Kinder, die Eltern und den Träger, was sind die täglichen Aufgaben, welche Werte und welches Bild der pädagogischen Arbeit und der Einrichtung sollen nach außen getragen werden? Armin Krenz gibt auf Fragen nach produktiver Selbstrefl ektion, optimierter Teambildung, effi zienter Öffentlichkeitsarbeit, nach respektvoller und doch zielorientierter Gesprächsführung, sei es mit Fachkollegen oder Eltern, fachlich fundierte und doch leicht verständliche Antworten, die vor allem stets äußerst praxisnah ausfallen und durch leicht zugängliche Beispiele illustriert werden.

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Handbuch für die Praxis

Armin Krenz

Grundlagen der Elementarpädagogik

Unverzichtbare Eckwerte für eine professionell gestaltete Frühpädagogik

© 2014

Burckhardthaus-Laetare, Körner Medien UG, München

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe sowie der Übernahme auf Ton-/Bildträger vorbehalten. Ausgenommen sind fotomechanische Auszüge für den eigenen wissenschaftlichen Bedarf.

Umschlaggestaltung: Patricia Fuchs, AVR, München

Umschlagfoto: Monkey Business/thinkstock.com

Fotos:

Catherin Yeulet/thinkstock.com,

SerhiyKobyakov/thinkstock.com,

sborisov/thinkstock.com

Dejan Ristovski/thinkstock.com,

contrastwerkstatt/fotolia.com,

diego cervo/thinkstock.com,

William Perugini/Thinkstock.com,

Gerhard Giebener/pixelio.de

Produktion: Gernot Körner, Körner Medien UG, München

Digitale Aufbereitung: Alfons Schmid, ISM, München

Satz und Layout: Sigrun Borstelmann, Sibo-Medien, München

www.burckhardthaus-laetare.de

ISBN 978-3-944548-73-9

Vorwort

Am Ende eines anstrengenden Arbeitstages stellen sich viele (elementar-)pädagogische Fachkräfte immer wieder folgende Fragen:

•Wie haben die Kinder den heutigen Tag mit mir erlebt?

•Habe ich die Kinder in ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen verstanden und sie in ihren vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten aktiv unterstützt?

•Habe ich die Kinder ernst genommen, konnte ich ihre wirklichen Anliegen spüren und erkennen?

•Ist es mir gelungen, das Selbstwertgefühl der Kinder zu stärken?

•Habe ich alle Kinder beachtet oder habe ich vielleicht bestimmte Kinder übersehen?

•Konnten die Kinder wirklich zeigen, welche Fähigkeiten in ihnen stecken und war ich ihnen hilfreich, diesen Tag – wie auch die anderen Tage – als ein Geschenk dieser Einrichtung zu erleben?

•War ich den Kindern gegenüber gerecht?

•Habe ich am heutigen Tage etwas Wesentliches übersehen?

•Habe ich die Ziele, die ich mir gesetzt habe, erreicht?

•Entsprachen die Ziele den Bedürfnissen der Kinder?

•Waren meine Kompetenzen ausreichend, um gesetzte Ziele zu erreichen?

•In welchem Bereich muss ich dringend etwas dazulernen, damit ich besser werden kann?

Mit diesen und vielen weiteren Fragen beginnt der Prozess der Selbstauseinandersetzung und gleichzeitig die Konfrontation mit sich selbst. Ohne Frage bieten sich in diesem Zusammenhang sehr unterschiedliche Möglichkeiten an, Antworten zu finden: Sei es durch Selbstreflexion oder kollegiale Gespräche, durch ein Coaching, durch Einzel-, Gruppen- und Teamsupervision oder durch den Besuch von Fort- und Weiterbildungsseminaren. Das Entscheidende ist dabei immer, dass diese und alle anderen Fragen einer Beantwortung bedürfen, um aus dem Grübeln herauszukommen und Erkenntnisse in Handlungen einfließen zu lassen. Andernfalls wird ein permanent schlechtes Gewissen oder eine vor sich ständig hergeschobene Frage den Blick für die neuen Herausforderungen vernebeln und verstellen. Wie heißt es doch so treffend im Krisenmanagement: „Es gibt keine Probleme – es gibt nur Aufgaben.“

Genau an dieser Stelle möchte das Buch ansetzen. Die unterschiedlichen Beiträge sollen den elementarpädagogischen Fachkräften helfen, das Wesentliche zu erkennen, sich auf das Bedeutsame zu konzentrieren und damit Grundlagen für eine professionelle Arbeitsgestaltung in dem eigenen Arbeitsfeld zu installieren, um qualitätsorientiert und kompetent, zielsicher und fachlich begründet eine Pädagogik zu realisieren, die den heutigen Anforderungen entspricht.

1. Professionalität und Identität pädagogischer Fachkräfte – ein Interview

Das Interview mit extern formulierten Fragestellungen führte Frau Marlies Wagner (MW), Lehrkraft und Supervisorin, Institut für angewandte Psychologie & Pädagogik mit Prof. Dr. Armin Krenz (AK), Wissenschaftsdozent am Institut für angewandte Psychologie & Pädagogik, Kiel

Erzieherinnen und Erziehern wird bekanntermaßen viel abverlangt. Und dies von allen Seiten. Besonders die Anforderungen an die Persönlichkeit der pädagogischen Fachkräfte sind wichtige Voraussetzungen für die Ausübung des Berufs: Kinder brauchen Persönlichkeiten, an denen sie sich orientieren können. Eltern brauchen Erziehungspartner, die ihnen kritisch gegenüberstehen. Kita-Leitungen brauchen standfeste Repräsentanten ihrer Einrichtung. Alle brauchen Erzieherinnen und Erzieher die kritisch, selbstreflexiv und im Sinne der Kinder Schwächen oder Konstruktionsfehler im Bildungssystem, der Gesellschaft und bei den Eltern ausgleichen.

MW: Herr Dr. Krenz, in Ihren Vorträgen, Seminaren und Weiterbildungen der Frühpädagogik erleben Sie eine große Bandbreite von Pädagoginnen und Pädagogen. Politik, Expertinnen und Experten, Eltern und Medien übertragen ihnen die hohe Verantwortung für die (noch beeinflussbare) Zukunft unserer Kinder. Besondere Aufmerksamkeit, so stellen Sie fest, sollte neben der Alltagsroutine mit Vorschulkindern die persönliche Haltung jeder einzelnen und jedes einzelnen zu den eigenen Freiheiten und Grenzen erfahren. Sie plädieren daher für mehr Professionalität und Identität, zwei wichtige Grundvoraussetzungen für den Beruf.

(MW): Was verstehen Sie unter pädagogischer Professionalität und Identität der Fachkräfte und was zeichnet diese heute aus?

(AK): Wir haben es hier mit zwei außergewöhnlich bedeutsamen Begriffen in der Elementarpädagogik zu tun. Professionalität bedeutet nichts anderes als ein fachlich fundiertes, inhaltlich berechtigtes (begründbares) und beruflich qualitätsgeprägtes Handlungsverhalten an den Tag zu legen, um jedem einzelnen Kind die Entwicklungschancen in der Frühpädagogik zu geben, die es braucht, um in bedeutsame und lebenslang wirksame Selbstbildungsprozesse kommen zu können. Damit dies allerdings keine aufgesetzte, kognitiv orientierte und in Einzelfunktionen aufgeschlüsselte Arbeit ist (oder in einer solchen enden wird), lebt jede gute Pädagogik aus der Person heraus. Das heißt, dass eine lebendige, am Kind und seinen Interessen ausgerichtete und beziehungsorientierte Partizipationspädagogik nur möglich und wirksam werden kann, wenn elementarpädagogische Fachkräfte den Inhalten selbst einen hohen Bedeutungswert beimessen und möglichst alle Ziele, die sie für Kinder/Eltern setzen, selbst verinnerlicht haben und mit einer hohen Lebendigkeit im Alltag zeigen. So drücken sich beispielsweise Lerninteresse, Neugierde, Risikofreude, Veränderungsbereitschaft, Konfliktbereitschaft, Zivilcourage, Lernmotivation, Wahrnehmungsoffenheit, Aufgeschlossenheit, Klarheit in den eigenen Aussagen, Differenzierungsfähigkeit in der Unterscheidung von wichtigen und unwichtigen Dingen, Zielorientierung oder Beharrlichkeit als eine „gelebte Haltung“ im Alltag aus.

(MW): Warum ist es für die einzelne Fachkraft wichtig, sich mit der eigenen Professionalität und Identität auseinanderzusetzen?

(AK): Heutzutage kommen in der Elementarpädagogik alle Nase lang „neue Programme mit einem (angeblich) ultimativen Bildungswert für Kinder“ auf den Markt, der inzwischen von Heilsversprechen regelrecht überflutet ist. Gleichzeitig ist die deutsche Elementarpädagogik von einem regelrechten Bildungswahn erfasst, sodass die Berechtigung bestimmter Ansprüche häufig nicht mehr überprüft wird. Und schließlich besteht die Gefahr, dass sich Erzieher/-innen den vielfältigen Erwartungen aus unterschiedlichen Richtungen allzu schnell beugen und sich damit lediglich zu Erfüllungsgehilfen degradieren lassen, ohne es zu merken. Damit verlöre die Elementarpädagogik jegliches eigenständige Profil und würde es z. B. an die Schulpädagogik kritiklos anhängen.

Es gibt in der Erziehungspsychologie viele Grundaussagen, die eine entsprechende Auseinandersetzung nötig machen. Drei dieser Ausgangszitate treffen sicherlich punktgenau Ihre Frage. Zum einen hat der große Arztpädagoge Dr. Janusz Korczak den Satz geprägt: „Du kannst den anderen nur soweit bringen, wie du selbst gekommen bist.“ Zum anderen gibt es die Erkenntnis: „Wer aufhört, besser sein zu wollen, hört auf, gut zu sein.“ Und schließlich hat uns der große Kommunikationspsychologe, Prof. Dr. Paul Watzlawick, mit seinem 1. Axiom darauf aufmerksam gemacht, dass der Mensch nicht nicht kommunizieren kann. Das heißt, dass jede elementarpädagogische Fachkraft durch ihre ganz besondere Kommunikationsgestaltung einen nachdrücklichen Einfluss auf das Verhalten von Kindern hat. Es sind eben nicht nur die Eltern(-teile), die die Persönlichkeit eines Kindes prägen, sondern auch Erzieher/-innen, die Tag für Tag mit Kindern umgehen (vgl.: Resilienzforschung). Insofern besitzen auch elementarpädagogische Fachkräfte einen sogenannten persönlichkeitsbildenden Eindruckswert auf Kinder. Dieser Tatsache müssen sich alle Fachkräfte bewusst sein und folgerichtig ihre Identität reflektieren, ausgerichtet auf die Frage: Inwiefern sind meine Verhaltensweisen, meine eigenen Persönlichkeitsmerkmale entwicklungsförderlich (oder entwicklungshinderlich) für Kinder und was trage ich durch meine Persönlichkeit, mein Verhalten und meine Arbeitsgestaltung konkret dazu bei, dass Kinder nachhaltige(!) persönlichkeitsbildende Verhaltensmerkmale aufbauen/stabilisieren können, die ihnen zur Selbstständigkeit, Autonomie und zu einer sozial verantwortlichen Lebensgestaltung verhelfen. Schon Pestalozzi hat einmal gesagt: „Erziehung ist Liebe und Vorbild. Sonst nichts.“

(MW): Welche Bandbreite an Haltungen bei Pädagoginnen und Pädagogen erleben Sie in der Praxis und in Ihren Fortbildungen?

(AK): Die Bandbreite ist ebenso weit wie in allen anderen Berufen. Es gibt elementarpädagogische Fachkräfte, die sich engagiert, wahrnehmungsoffen, lernfreudig, selbsterfahrungsorientiert und anstrengungsbereit den vielfältigen Aufgaben der Elementarpädagogik zuwenden und immer wieder ihr berufliches Selbstverständnis sowie ihre Arbeit selbstkritisch reflektieren. Dann gibt es Erzieher/-innen, die bei einmal gefundenen „Wahrheiten“ bleiben und starr ihren „Dienst am Kind“ erfüllen. Getreu dem Motto: „Was ich einmal gelernt habe, reicht mir aus.“ Eine solche Haltung ist selbstverständlich kontraproduktiv und widerspricht allen Qualitätsansprüchen. Schließlich gibt es Erzieher/-innen, die ausgebrannt und resigniert ihren Alltag mit Kindern „abreißen“ und ihre Konzentration auf ihr Privatleben ausrichten.

(MW): Welche Vorbilder haben Erzieherinnen und Erzieher, die Sie kennenlernen? Welche Vorbilder haben Sie im Kopf?

(AK): Natürlich ist es schwer, an dieser Stelle Vermutungen zu äußern, welche „Vorbilder“ elementarpädagogische Fachkräfte in ihren Köpfen tragen. Aus vielfältigen Gesprächen kann ich aber sagen, dass es kaum noch „Personen als Vorbilder in der Pädagogik“ gibt – angefangen mit Mollenhauer, Liegle, Flitner oder Adorno, Roth oder Buber, Litt, Makarenko, Diesterweg oder Fichte, Rousseau, Kant, Herder oder Pestalozzi. Das mag mit Sicherheit daran liegen, dass viele große Pädagogen heute nicht mehr in Ausbildungsgängen thematisiert werden. Demgegenüber gibt es aber andere „Vorbilder“ – Bildungspläne, Richtlinien, pädagogische Standardprogramme oder „neue Heilsbringer“ wie Lerntagebücher oder Portfolios, Forschungsprojekte, pädagogische Richtungskonzepte oder bildungspolitische Strömungsdogmata. Für mich gab und gibt es in der Pädagogik hauptsächlich zwei Vorbilder aus der Neuzeit: Dr. Janusz Korczak, den großen polnischen Arztpädagogen, der 1942 mit seinen Waisenhauskindern von den Nazis vergast wurde und Dr. Emmi Pikler. Beide haben immer wieder in wunderbarer Art und Weise verdeutlicht, was es heißt, einen respektvollen, werteorientierten Umgang mit Kindern im Alltag zu pflegen.

(MW): Wie können sich pädagogische Fachkräfte in der Praxis ihrer Professionalität und Identität bewusst werden und diese weiter ausbauen?

(AK): Die drei „Zauberworte“ auf Ihre Frage lauten immer wieder 1.Selbsterfahrung, 2. Reflexion durch Supervision und 3. qualitätsorientierte, personzentrierte Fort- und Weiterbildung. Professio­nalität und Identität wollen ständig überprüft, erweitert, verändert und weiterentwickelt werden. Stillstand bedeutet Rückschritt – gerade in persönlichkeitsorientierten Berufen. Ergebnisse aus den Feldern der Entwicklungspsychologie, der Bildungs-, Bindungs- und Hirnforschung konfrontieren uns immer wieder mit neuen Tatsachen und fordern dadurch auf, die eigenen Sichtweisen und Annahmen zu hinterfragen bzw. bisherige Arbeitsschritte und Vorhaben weiter zu qualifizieren. Es ist die ständige Erweiterung des eigenen Wissens mit aktuellen Erkenntnissen und der ständige Austausch mit anderen Personen, der den Ausbau der Professionalisierung voranbringt und die eigene Identität immer stabiler werden lässt. Elementarpädagogische Fachkräfte brauchen eine rundherum fehlerfreundliche Einstellung zu sich und ihrer Tätigkeit, um die Stärken zu stärken und kontinuierlich die Schwächen Stück für Stück weiter zu schwächen.

(MW): Welchen Beitrag kann die Aus- und Weiterbildung zu einer professionellen, identitätsbewussten Haltung leisten? Was muss in den Fokus von Lernangeboten rücken?

(AK): Einen durchaus hohen Beitrag! Allerdings nur unter der Prämisse, wenn Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote drei Grundsatzmerkmale erfüllen. Zum einen geht es um die Aktualität der Informationen aus den Bereichen der Neurobiologie, der Bildungs- und Bindungsforschung sowie den vielfältigen Aspekten der Entwicklungspsychologie. Zum anderen geht es immer stärker um eine vernetzte Betrachtung von Ergebnissen, wobei keine Disziplin auf ihrem „Alleinvertretungsrecht“ beharren darf. Interdisziplinäre Betrachtungen sind angesagt und sorgen letztlich auch nur für eine vielzitierte „ganzheitliche Sichtweise“ der Dinge. Und schließlich muss das „Thema“ mit der lernenden Person in einer sehr engen Beziehung stehen, weil Themen nie personunabhängig/funktional wirksam werden können. Es ist ein dringendes Erfordernis, dass Aus-, Fort-, und Weiterbildungsangebote/-träger den Faktor der „Persönlichkeitsentwicklung“ in den Fokus setzen und zu allen Inhalten(!) entsprechende Vernetzungen auf-/einbauen.

(MW): Wie beurteilen Sie die Forderung nach Akademisierung der frühpädagogischen Berufe in Hinsicht auf Professionalität und Identität?

(AK): Dies ist ja inzwischen – Gott sei Dank – nicht nur eine Forderung, sondern eine schon vielfach umgesetzte Realität. Wenn sich die Elementarpädagogik als eigenständige Forschungsdisziplin durchsetzen und behaupten will und muss, dann kommt sie auch nicht um eine Akademisierung herum. Warum sollte sie auch? In einigen europäischen Ländern – beispielsweise Italien, Finnland, Schweden, den Niederlanden … – ist die Akademisierung der frühpädagogischen Berufe schon seit Jahren eine Realität. Da gerade die Frühpädagogik eine nicht zu unterschätzende Auswirkung auf die nachhaltige Entwicklung des Menschen besitzt, ergibt sich von selbst die Forderung, dass alles nur mögliche unternommen werden muss, um elementarpädagogische Fachkräfte optimal aus- und fortzubilden. Und dazu trägt die Akademisierung entscheidend bei. Allerdings auch nur dann, wenn neben einer akademisch hochwertigen Aus- und Fortbildung auch gleichzeitig der Persönlichkeitsbildung Rechnung getragen wird. Das eine ohne das andere hat in der Pädagogik keinen Wert. Im Gegenteil – würde der 2. Aspekt (Identitätsentwicklung durch Persönlichkeitsbildung) außer acht gelassen werden, würde die aber u. U. nicht in der Lage wären, den Kindern, Eltern und künftigen Kollegen und Kolleginnen beziehungsstarke Bindungs- bzw. entwicklungsförderliche Kommunikationsangebote zu machen.

(MW): Welche Rolle spielen geschlechtliche Unterschiede bei der Professionalität und Identität, wenn zum Beispiel gefordert wird, mehr Männer in Kitas zu holen?

(AK): Ohne Frage brauchen Kinder – auch in der Pädagogik – Männer und Frauen, um unterschiedliche Erfahrungen zu sammeln, andere Perspektiven einnehmen zu können und gleichzeitig den eigenen Handlungsspielraum gedanklich sowie motorisch zu erweitern. Ethnologische Untersuchungsergebnisse und Betrachtungen weisen uns auf Unterschiede hin – diese zu leugnen oder gar dogmatisch zu negieren würde jeder Sachauseinandersetzung fremd sein. Es müssen mehr Männer in die Kitas – ebenso in die Grundschulen, damit gerade Jungen in einer zunehmenden, immer stärker werdenden „weiblichen Pädagogik“ Alternativen kennenlernen können.

(MW): Sollten Ihrer Meinung nach gar Eignungstests als Zugangsvoraussetzung für die Aufnahme in eine frühpädagogische Ausbildung oder den Beruf durchgeführt werden? Anders gefragt: Welche Fragen sollte sich jemand stellen, der sich für den Beruf der pädagogischen Fachkraft entscheidet?

(AK): Eignungstests könnten ein Lösungsschritt (aber nur neben anderen!) sein, um anhand bestimmter Qualitätskriterien von Anfang an sicher zu stellen, dass die Elementarpädagogik Persönlichkeiten braucht und findet, die entwicklungsfreudig, lernaktiv, belastbar, anstrengungsbereit, neugierig, vom Grundsatz her selbstbewusst, innovativ denkend, fantasievoll oder quer denkend, zivilcouragiert und selbstreflexiv sind. Darüber hinaus müssten Vorpraktika – unter Supervision – abgeleistet werden, um bereits vor einer Ausbildung oder einer längerfristigen Weiterbildung den künftigen Studierenden die Möglichkeit zu geben, ihr künftiges Berufsfeld etwas kennenzulernen und gleichzeitig erste Erfahrungen mit notwendigen Anforderungen zu machen. Künftige Fachkräfte sollten sich beispielsweise folgende Fragen stellen: Bin ich bereit,

•mich immer wieder als Lernende(r) zu verstehen, meine eigene Biografie kritisch zu betrachten und Persönlichkeitsentwicklung auf mich zu nehmen?

•mich engagiert und neugierig, lernfreudig und innovativ auf einen Beruf einzulassen, in dem es darum geht, persönliche Haltungen, Sichtweisen und Lebensgrundsätze zu hinterfragen?

•neben einem sehr anstrengenden Arbeitsalltag Fort- und Weiterbildungsangebote wahrzunehmen und mein Wissen durch das permanente Lesen von Fachliteratur immer wieder auf einen aktuellen Stand zu bringen?

•Belastungen auf mich zu nehmen, indem ich mich beispielsweise mit unterschiedlichen Erwartungen von außen aus­einandersetze, und an einem eigenständigen, unverwechselbaren Persönlichkeits- und Arbeitsprofil zu arbeiten?

•die Elementarpädagogik durch persönliches Engagement und fachlich abgesicherte Arbeitsvorhaben nach vorn zu bringen und daran mitzuarbeiten, dass die Elementarpädagogik immer stärker ein eigenes Profil – in Abgrenzung von anderen pädagogischen Disziplinen – entwickeln wird?

2.Das Berufsbild „Erzieher/-in“ – anspruchsvoll und ausdrucksstark

Vorwort

Jeder Beruf, der in Deutschland staatlich anerkannt ist, besitzt bekannterweise eine sogenannte Berufsrolle. In ihr wird die Berufsbezeichnung erläutert und das Arbeitsfeld umrissen, sodass die berufliche Tätigkeit – bildlich ausgedrückt – ein Gesicht erhält. Fachlich gesprochen könnte man sagen: Der Beruf erhält in seiner Einmaligkeit ein unverwechselbares Profil. In diesem Zusammenhang ist es sehr hilfreich und zugleich sehr aufschlussreich, sich auch einmal mit dem „Berufsbild der Erzieher/-innen“ zu befassen. Es ist verwunderlich, dass viele Erzieher/-innen ihr eigenes Berufsbild nicht kennen!

Ausgangspunkt: Berufsbild

Vor über einem Vierteljahrhundert hat schon der „Bundesverband Evangelischer Erzieher/-innen und Sozialpädagogen/Sozialpädagoginnen e.V.“ ( Erstfassung1980; leicht veränderte Fassung 1994) erstmals ein professionell verfasstes „Berufsbild Erzieher/-in“ erstellt, das nicht nur seiner damaligen Zeit weit voraus war, sondern auch noch in den heutigen Jahren als eine bedeutsame Grundlage für ein professionelles Berufsverständnis angesehen werden kann bzw. betrachtet werden muss. Es besitzt bis in die heutige Zeit eine uneingeschränkte Gültigkeit und wurde auch von anderen Bundesverbänden als Leitbild akzeptiert. Dabei darf und sollte es keine Rolle spielen, dass das „Berufsbild Erzieher/-in“ von einem kirchlich geprägten Bundesverband erstellt wurde und nicht von einer religionsunabhängigen Vereinigung erarbeitet worden ist, weil die inhaltlichen Aussagen „punktgenau den Nagel auf den Kopf“ treffen. So heißt es im ersten Teil der „allgemeinen Merkmale des Erzieher/-innenberufs“ unter den Stichworten „Erwartungen“ und „Erziehungsauftrag“:

„Das pädagogische Handeln (1) der Erzieher/-innen geschieht im Spannungsfeld (2) vielfältiger, oft widersprüchlicher Erwartungen (3), die von Kindern, Eltern, Träger und der Allgemeinheit an Erzieher/-innen herangetragen werden. Erzieher/-innen verstehen sich dabei in erster Linie als Partner/-innen des Kindes und Jugendlichen (4) und Anwalt ihrer Interessen (5). Erzieher/-innen treten insbesondere für die Erhaltung und Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen (6) aller Schichten, Nationen und Religionen ein (7). Von diesem Standpunkt aus müssen sie ständig neu die Berechtigung der Ansprüche prüfen (8), die an sie gestellt werden. Erzieher/-innen treffen ihre Entscheidungen (9) für ihr erzieherisches Handeln (10) auf der Grundlage einer kritischen Auseinandersetzung (11) sowohl mit den pädagogischen Traditionen (12) als auch mit neuen, wissenschaftlichen Erkenntnissen (13) und bildungspolitischen Strömungen (14). Das pädagogische Handeln der Erzieher/-innen hat die Förderung der Gesamtpersönlichkeit des Kindes und Jugendlichen zum Ziel (15) und geht damit über eine bloße Bewahrung oder die Schulung einzelner Fertigkeiten hinaus (16). Erzieher/-innen berücksichtigen die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen (17), ihre Lebenssituation (18) und die Entwicklungsaufgaben der jeweiligen Altersstufe (19/…/).“

(Anmerkung: Die Nummerierung hinter den einzelnen Satzteilen stammt vom Autor dieses Beitrages und wurde zur zielgerichteten Betrachtung im folgenden Teil eingesetzt.)

Pädagogik verlangt ein pädagogisches Alltagshandeln

zu 1) Wenn in diesem Berufsbild grundsätzlich von einem „pädagogischen Handeln“ in der Praxis die Rede ist, wird deutlich, dass es zuallererst um eine qualitätsgeprägte Arbeit in (sozial-)pädagogischen Einrichtungen geht. Pädagogisches Handeln umfasst weitaus mehr als nur die Begriffe wie beispielsweise „Vermittlung von Nähe und Zuneigung“, „Entgegenbringen von Aufmerksamkeit für das einzelne Kind“, „Dasein für das Kind, wenn es mich braucht“ oder „persönliche Schwerpunktsetzung in der Arbeit“. Ohne Frage sind humane Verhaltensweisen wie „Wertschätzung, Achtung, Respekt, Nähe, Vertrauen und Liebe“ für eine gute Bindung zwischen Erzieher/-innen und Kindern/Jugendlichen unverzichtbar, lassen sie doch letztendlich erst eine beziehungsorientierte Pädagogik zu. Gleichzeitig müssen aber auch die (sozial-)pädagogischen Fachkräfte wissen, dass es nicht darum geht, eine „Pädagogik aus dem Bauch heraus“ zu gestalten, eigene Vorlieben zum Ausgangspunkt der Arbeit zu erklären oder persönliche Abneigungen z. B. in einer didaktischen Schwerpunktsetzung zu pflegen. Das gesamte Handeln hat sich damit einer pädagogischen Zielsetzung, Begründung, Planung, Durchführung und Auswertung unterzuordnen.

Pädagogik ist immer ein Spannungsfeld

zu 2) Wenn im Berufsbild gleich zu Anfang von einem „Spannungsfeld“ gesprochen wird, so ist dies zunächst eine elementare Aussage. Pädagogik ist per se ein Knotenpunkt vielfältiger Interessen und lebt(-e) schon immer aus Widersprüchen, Ungereimtheiten, unterschiedlichen „Wahrheiten“, gegensätzlichen pädagogischen Ansätzen und konträr zueinander stehenden Anforderungen. Insofern ist der Wunsch nach „Ruhe in der Arbeit und allseitigem Verständnis für die geleistete Tätigkeit“ eine irreale Traumvorstellung. Wer sich auf das weite „Erfahrungsfeld Pädagogik“ als Erzieher/-in einlässt, hat deutlich und ständig damit zu rechnen, dass die realisierte Pädagogik hinterfragt und kritisiert wird bzw. durch entsprechende Erwartungen von Eltern, dem Träger, der Landes- oder Bundespolitik, den Fachberater/-innen, der Grundschule oder anderen Institutionen verändert werden soll. Dadurch, dass das „Spannungsfeld Pädagogik“ eine unumstößliche Realität ist, ergeben sich vor allem zwei Konsequenzen. Zum einen wäre es per se müßig und überflüssig, über den „Stress“ in der pädagogischen Einrichtung zu klagen, zum anderen kann gemutmaßt werden, dass dort, wo es keine Spannungen zu geben scheint, wahrscheinlich der Qualitätsanspruch entweder gar keine Beachtung findet oder nur sehr oberflächlich wahrgenommen und umgesetzt wird.

Pädagogik steckt in vielfältigen Erwartungen

zu 3) Die Erwartungen und Ansprüche – gerade und vor allem an die Elementarpädagogik – sind tatsächlich vielfältig und bei genauerer Betrachtung auch sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite gibt es Eltern, die voller Ungeduld darauf warten, dass ihr Kind möglichst frühzeitig auf die Schulzeit vorbereitet wird, auf der anderen Seite gibt es Eltern, die vehement dafür eintreten, dass ihr Kind ausgiebig und viel spielen kann. Auf der einen Seite gibt es Eltern, die dafür plädieren, dass der eigenständige Entwicklungszeitraum „Kindheit“ wertgeschätzt wird, auf der anderen Seite sind bestimmte Eltern nur dann mit der Kindergartenarbeit zufrieden, wenn ihr Kind möglichst jeden Tag ein nahezu perfektes Produkt aus dem Kindergarten mit nach Hause bringt. Auf der einen Seite wollen viele Eltern möglichst regelmäßig und umfassend über die Entwicklungsschritte ihres Kindes informiert werden, auf der anderen Seite gibt es Eltern, die froh darüber sind, wenn sie möglichst weder zur Mitarbeit im Kindergarten gebeten noch auf Informations- oder Elternabende angesprochen werden. Dann gibt es die Erwartungen des Trägers, dass der Kindergarten „gut laufen“ soll, Eltern möglichst keinen Grund für Beschwerden haben, die Arbeit selbst möglichst kostenneutral gestaltet werden soll, Mitarbeiter/-innen verstärkt im Gemeindeleben oder in der Stadtteilarbeit aktiv werden könnten, offensive, berufspolitische Aktivitäten zu unterlassen seien, der Kindergarten auch nach außen hin ein „gutes Bild“ abzugeben habe, die Mitarbeiter/-innen Loyalität gegenüber dem Träger zu zeigen haben und sie gleichzeitig Verständnis für die finanziellen Einschneidungen und ungeliebten Personalkürzungen zeigen sollten. Schließlich folgen Ansprüche aus dem Qualitätsmanagement, den Bildungsrichtlinien, neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen (Beispiele: Resilienz und Bindungsforschung), die sich mit weiteren Erwartungen der Kinder und des Kollegiums zu einem nahezu unüberschaubaren Erwartungsgeflecht aufbauen.

Erzieher/-innen sind primär Bündnispartner/-innen der Kinder

zu 4) Erzieher/-innen verstehen sich in erster Linie als „Partner/-innen von Kindern und Jugendlichen“ – welch eine gewichtige Aussage. Kinder hatten und haben in der Realität dieser Gesellschaft nur eine bedingt existente Lobby, die es vermag, z.B. die in der UN-Charta „Rechte des Kindes“ verbrieften und von der Bundesregierung ratifizierten Kinderrechte zur Praxis werden zu lassen. Auch wenn es einen „Deutschen Kinderrat“, die „Kinderkommission im Deutschen Bundestag“, die „Rechte des Kindes nach der Charta der Vereinten Nationen“ oder „Kinderbeauftragte“ in manchen Bundesländern, Kommunen und Städten gibt. Partner/-innen von Kindern fühlen sich sowohl diesen Kinderrechten als auch den bedeutsamen Erkenntnissen aus dem weiten Feld der Entwicklungspsychologie verpflichtet, damit Kinder und Jugendliche zu ihren Entwicklungsrechten kommen.

Erzieher/-innen haben kinderanwaltliche Aufgaben

zu 5) Anwälte von Kindern, die deren Interessen vertreten, haben eine Reihe unterschiedlicher Aufgaben: