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Der Beruf ERZIEHER*IN ist in seinem gesellschaftlichen und sozialpädagogischen Bedeutungswert nicht hoch genug einzuschätzen, ist es doch gerade die Berufsgruppe der Erzieher*innen, die neben den Eltern und anderen erziehungsberechtigten Personen einen sehr großen Einfluss auf das Entwicklungsgeschehen bei Kindern haben. So besuchen von Jahr zu Jahr immer mehr Kinder eine Krippe und eine Kindertagesstätte und verbringen einen Großteil ihres Alltags über einige Jahre hinweg in einer elementarpädagogischen Institution. Ergebnisse aus dem Feld der „Resilienzforschung“, „Erziehungswissenschaft“ und „Neurobiologie“ haben deutlich gemacht, dass neben den Eltern auch familienfremde Personen einen entwicklungsförderlichen als auch einen entwicklungshinderlichen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder haben können. Dieses Buch wendet sich ganz konkret mit folgenden Schwerpunkten dem „Berufsbild der Erzieher*innen“ zu: - Der Beruf der Erzieher*in – herausfordernd, spannend, abwechslungsreich und voller Überraschungen - Das Berufsbild Erzieher*in – anspruchsvoll und ausdruckstark - Empfehlungen für eine nachhaltige Bildung, Erziehung und Betreuung, die sich aus dem Berufsbild ergeben - Professionalität ist ein bedeutsamer Aspekt und zugleich eine permanente Herausforderung an Erzieher*innen - Starke Kinder brauchen starke Erzieher*innen, die ihnen Sicherheit und Entwicklungsmöglichkeiten bieten - Grundsatzgedanken zur Bedeutung der Persönlichkeit von Erzieher*innen für entwicklungsförderliche Selbstbildungsprozesse bei Kindern - Die Persönlichkeit der Erzieherin: Dreh- und Angelpunkt jeder „guten“ Pädagogik Selbstbildung als Herausforderung und Notwendigkeit – Wer bin ich, was kann ich, was bewirke ich? Ziel des Buches ist es einerseits, die wichtigsten berufsspezifischen Grundlagen für eine professionelle Elementarpädagogik zusammenzufassen und andererseits künftige Erzieher*innen bzw. schon tätige Erzieher*innen/Kindheitspädagog*innen auf bedeutsame, basale Herausforderungen aufmerksam zu machen, damit der gesetzlich verankerte Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrag unter Beachtung der jeweils länderspezifischen Bildungsrichtlinien, der UN-Charta „Rechte des Kindes“ sowie der grundlegenden Ausgangsdaten aus den Feldern der Bildungs-/Bindungsforschung und Entwicklungspädagogik auch tatsächlich erfüllt werden kann. Damit füllt diese Publikation mit diesen aufeinander aufbauenden und verzahnten Schwerpunkten eine schon seit langer Zeit bestehende Lücke im pädagogischen Literaturangebot.
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Seitenzahl: 152
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© 2025 BurckhardtHausc/o Körner Medien UG
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe sowie der Übernahme auf alle digitalen Medien, vorbehalten. Ausgenommen sind fotomechanische Auszüge für den eigenen wissenschaftlichen Bedarf.
Covergestaltung: Anja LuschTitelbild: StockPlanets/istockphotoLayout: Ogai Technologies Pvt Ltd, ChennaiDruck: dardedze, Riga
www.bhl-verlag.de
ISBN 978-3-96304-716-9
Vorwort
Der Beruf der Erzieher*in – herausfordernd, spannend, abwechslungsreich und voller Überraschungen
Das Berufsbild „Erzieher*in“ – herausfordernd, verantwortungsvoll, bedeutsam!
Empfehlungen für eine nachhaltige Bildung, Erziehung und Betreuung, die sich aus dem Berufsbild ergeben
Professionalität ist ein bedeutsamer Aspekt und zugleich eine permanente Herausforderung an Erzieher*innen
Starke Kinder brauchen starke Erzieher*innen, die ihnen Sicherheit und Entwicklungsmöglichkeiten bieten
Grundsatzgedanken zur Bedeutung der Persönlichkeit von Erzieher*innen für entwicklungsförderliche Selbstbildungsprozesse bei Kindern
Die Persönlichkeit der Erzieher*in: Dreh- und Angelpunkt jeder „guten“ Pädagogik
Selbstbildung als Herausforderung und Notwendigkeit – Wer bin ich, was kann ich, was bewirke ich?
Literaturhinweise zum Berufsbild pädagogischer Fachkräfte
Literaturhinweise zum professionellen Berufsverständnis/ zur professionellen Berufsgestaltung
Literaturempfehlungen zur Selbstexploration und Persönlichkeitsentwicklung – eine Auswahl sehr empfehlenswerter Bücher
Literatur des Autors
Jeder gesellschaftliche Wandel hat auch immer – entsprechend der Stärke der gesellschaftlichen Umbrüche – mehr oder weniger starke Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Menschen, ihre Biographie und damit auch auf ihr persönliches und zugleich berufliches Selbstverständnis. Es scheint so, dass sich vor allem in den vergangenen drei Jahrzehnten dieser gesellschaftliche Wandel in einem Tempo vollzogen hat, wie es – bei einem zeitgeschichtlichen Rückblick – noch nie der Fall war. Sprach man in der Soziologie noch in den Jahren bis ca. 1980 von der ›Generation X‹ und in den 1980er Jahren bis in die Mitte der 1990er Jahre von der >Generation Y‹, so wird heute die >Generation Z‹ ins Gespräch gebracht: eine Generation, die außergewöhnlich stark und intensiv mit dem Medium ›Smartphone‹ sowie dem Phänomen der ›Influencer‹ aufwächst. Sie ist besonders technologieaffin, selbstbezogen, fordernd und erwartungsorientiert, dass Außenstehende ihre Vorstellungen und Wünsche widerspruchslos erfüllen. Andererseits zeichnet sie sich aber auch im Vergleich mit früheren Generationen durch ein verstärktes Umweltbewusstsein sowie einer gesundheitsbewussten Einstellung aus.
Diese gesellschaftlichen Veränderungen gehen damit auch nicht an den Kindern, den Eltern (oder anderen Erziehungsberechtigten) der Kinder und den Erzieher*innen spurlos vorbei. Veränderungen zeigen sich dabei vor allem in der jüngeren Erzieher*innengeneration sowie in den Praktikant*innen (›Generation Z‹), die ihre Praxistage in den Kindertageseinrichtungen absolvieren.
Durch eigene Praxisbeobachtungen, die ich vor allem in den vergangenen drei Jahren während meiner Inhouseseminare und Teamentwicklungsbegleitungen gemacht habe, ergeben sich unter anderem folgende Ergebnisse:
Viele Erzieher*innen und Praktikant*innen – und nicht nur Kolleg*innen, die ausschließlich der so genannten ›Generation Z‹ zugeordnet werden können,
▸zeigen ein deutliches Desinteresse an Fachliteratur (Fachbüchern und Fachzeitschriften) und weisen in Gesprächen darauf hin, dass die Beschäftigung mit Fachpublikationen in ihre Freizeit fallen würde und sie nicht dazu bereit sind, berufliche Angelegenheiten in ihren privaten Bereich aufzunehmen;
▸halten sich bei Fragen, wenn es beispielsweise um notwendige Problemerörterungen bezüglich einer Verbesserung der kollegialen Zusammenarbeit geht, weitestgehend zurück, so dass von ihnen kaum bis keine konstruktiven Lösungsvorschläge eingebracht werden;
▸bleiben bei fachlichen Erörterungen, auch wenn diese mit faktisch belegten Sachaussagen untermauert werden, sehr häufig bei ihren subjektiven Alltagstheorien und wehren neue, notwendige Sichtweisen entweder kategorisch ab oder entziehen sich einer fruchtbaren Diskussion;
▸erleben selbst kleine Anforderungen, die über einen üblichen, bekannten Tagesablauf hinausgehen, als Überforderungen und erfüllen diese entweder widerwillig (maulend – entsprechend einem ›Kindheits-Ich‹) oder sorgen schließlich -notgedrungen- dafür, dass andere Personen im Kollegium diese ‚Zusatzaufgaben’ übernehmen müssen;
▸übersehen häufig Aufgaben (z.B. Beseitigung von Unrat auf dem Außenspielgelände, das Aufräumen/Zurücklegen benutzter Gegenstände nach einem Gebrauch…), die sich ‚logischerweise’ ergeben;
▸lassen sich selbst bei sehr niederschwelligen, möglicherweise aufkommenden Krankheitssymtomen sofort krankschreiben und das in Ausblendung einer sozialen Sichtweise, dass auf anwesende Kolleg*innen damit eine zusätzliche Arbeit zukommt;
▸nutzen auch während ihrer Dienstzeit ihr Smartphone, auch wenn der Gebrauch in der Kita ausdrücklich für Eltern und Mitarbeiter*innen untersagt ist;
▸wenden in der pädagogischen Arbeit hauptsächlich funktionsorientierte und teilisolierte ‚Förderangebote’ als eine Art ›Spotbelehrung‹ an;
▸verstehen ihre Rolle in den Spielzeiten der Kinder eher als ‚Zuschauer*in', indem sie sich als mögliche, aktive und interagierende Mitspieler*in heraushalten;
▸reagieren bei einem ‚Störverhalten’ der Kinder mit disziplinorientierten Appellen anstatt sich selbst die Frage zu stellen, welche Bedingungen, aktuelle Situationen oder auch eigene Verhaltensmerkmale dazu beigetragen haben, dass das Verhalten der Kinder eine Form des „Problemlöseversuches” darstellt;
▸haben kaum ein Bewusstsein für die Tatsache, dass ›Bildung und Bindung‹ untrennbar miteinander verknüpft sind – entsprechend werden den Kindern nur punktuell tragfähige Beziehungsanbebote unterbreitet.
An dieser Stelle könnten viele, weitere Praxisbeispiele genannt werden.
Wer ‚a’ sagt, der muss nicht ‚b’ sagen.
Er kann auch erkennen, dass ‚a’ falsch war.
(Bertolt Brecht)
Gleichzeitig muss aber selbstverständlich auch darauf hingewiesen werden, dass es mit diesen Beispielen nicht um eine allumfassende ‚Verurteilung’ der sogenannten ›Generation Z‹ oder des gesamten Berufsstandes geht! Vielmehr ergeben sich die zuvor genannten Beispiele aus Praxisbeobachtungen, die eine entsprechende Signifikanz aufweisen.
Unter diesem Aspekt sei gleich zu Anfang des Buches auf folgende Ausgangssituation hingewiesen: eine nachhaltige pädagogische Arbeit mit vielen entwicklungsförderlichen Impulsen, die Erzieher*innen zu leisten haben, ergibt sich bekannterweise aus Erkenntnissen und Ergebnissen, die uns aus den folgenden Grundlagen vorgegeben sind:
▸aus den Erkenntnissen und Ergebnissen der Entwicklungspsychologie (hier sei vor allem auf ‚entwicklungspsychologische Gesetzmäßigkeiten hingewiesen), der Bildungswissenschaft (Stichwort: Bildung aus I. Hand versus Bildung aus II. Hand), der Bindungsforschung (Stichwort: Bildung durch Bindung), der Neurobiologie (Stichwort: Die Macht der inneren Bilder), der Erziehungswissenschaften (Stichwort: Erziehungsstile) sowie der Entwicklungspädagogik (Stichwort: Grundbedürfnisse des Kindes);
▸aus dem gesetzlich verankerten Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrag;
▸aus den sehr bedeutsamen Artikeln der UN-Charta ›Rechte des Kindes‹;
▸aus den Ausführungen der länderspezifischen Bildungsrichtlinien mit ihren umfassend beschriebenen Schwerpunkten, Zielsetzungen und Praxishinweisen und
▸aus der gesellschaftlichen/sozialpolitischen sowie einer ethischen Notwendigkeit, immer wieder die Begriffe ›Partizipation‹ und ›Inklusion‹ zur Praxis werden zu lassen.
Insofern kann und darf die pädagogische Arbeit keinem individualistisch-persönlich geprägten und subjektiv ausgeformten Vorstellungskanon entsprechen, sondern hat sich bestimmten, festgelegten und erkenntnisorientierten Grundlagen zu beugen.
Man kann sein Leben damit verschwenden,
Grenzen zu ziehen.
Oder man kann sein Leben damit verbringen,
sie zu überschreiten.
(Shonda Rhimes)
Ausgehend von den zuvor genannten Grundlagen ergeben sich folgerichtig spezifische Anforderungen für das Berufsverständnis und damit für das Berufsbild von Erzieher*innen – und exakt darum geht es in diesem Buch, das sich sowohl an bereits berufstätige Erzieher*innen, an Fachschüler*innen in Ausbildungsstätten und auch an Kindheitspädagog*innen wendet. Gleichzeitig können auch so genannte Quereinsteiger*innen ihr neu zu entwickelndes, berufliches Selbstverständnis mit den eigenen Arbeitsvorstellungen in Beziehung setzen, um weiterführende Gedanken aufzugreifen und als Zielsetzungen für ihr pädagogisches Handeln festzulegen.
Nicht zuletzt ist diese Publikation sicherlich auch eine gute, grundlagenorientierte Informationsquelle für die Träger von Kindertageseinrichtungen, um sich mit dem Berufsbild der Erzieher*innen auseinanderzusetzen und dafür Sorge zu tragen, dass einerseits der Anspruch und die damit verbundene Professionalität dieser Berufsgruppe in den Einrichtungen praktiziert wird und gleichzeitig die Voraussetzungen dafür existieren, diese auch umsetzen zu können.
Last but not least ist diese Veröffentlichung auch ein Grundlagenwerk für Fachberater*innen, um die vielfältigen Ansprüche im Hinblick auf eine qualitätsorientierte Elementarpädagogik auf einen Grund legenden Boden zu stellen, damit die basisbildenden Eckwerte gerade dann zum Tragen kommen, wenn immer wieder neuentwickelte Programme sowie besonders effiziente Fördermaßnahmen den pädagogischen ‚Markt der Möglichkeiten’ überschwemmen. Dadurch droht die Elementarpädagogik in ein Fahrwasser zu driften, in dem basale Grundlagen schnell verloren gehen können.
Für uns alle gibt es soviel auf der Welt,
wenn wir nur die Augen haben, um es zu sehen
und das Herz, um es zu lieben
und die Hand, um es zu ergreifen.
(Lucy Maud Montgomery)
Auf der einen Seite ist der Beruf Erzieher*in für viele Frauen und einige Männer in diesem deutlich frauendominierten Beruf ein wahres Geschenk und scheint die Erfüllung der beruflichen Vorstellung zu sein. Auf der anderen Seite werden die vielfältigen Klagen über zurückliegende und gegenwärtige Einschränkungen und immer wieder neue Herausforderungen im alltäglichen Arbeitsfeld nicht geringer, sondern scheinen sogar eher sehr deutlich zuzunehmen. Insofern verleitet die Beurteilung, ob die Entscheidung, Erzieher*in zu werden und zu sein und ob diese sozialpädagogische Tätigkeit eine lohnenswerte, glücklich machende, mit Zufriedenheit angefüllte Berufstätigkeit darstellt, nahezu immer mit einer gleichzeitig gegensätzlichen Aussage in Verbindung zu stehen. Die Antworten vieler Erzieher*innen, ob sie heute noch einmal diesen Beruf ergreifen würden, beginnen in vielen Fällen mit einem „Grundsätzlich schon, aber…“ bzw. „Selbstverständlich, dennoch…“ Der Traumberuf ist für die überwiegende Mehrzahl der Erzieher*innen (noch?) nicht zu einem Alptraum (mit einem hohen Resignationsfaktor) geworden – trotz vielfältiger Herausforderungen, ständig neuer und erweiterter Anforderungen, großer Erwartungen von außen und mehr oder weniger starken, eigenen Ansprüchen. Die Bipolarität der Einschätzung (einerseits, andererseits) ist überall herauszuhören, doch gleichzeitig bleiben die mit Abstand meisten Erzieher*innen bei ihrem Beruf bzw. ihrer Berufsentscheidung und kämpfen sich regelrecht durch den Alltag. Eine wahrhaft bewundernswerte Haltung, die zu allererst höchste Achtung und Wertschätzung verdient.
Wenn es dich nicht gäbe…
Wenn es dich nicht gäbe, wäre Vieles anders.
Ich wäre nicht so fröhlich. Ich wäre nicht so mutig.
Ich wäre nicht so hoffnungsvoll.
Wenn es dich nicht gäbe, wäre Vieles anders.
Die Sonne wäre nicht so hell.
Der Mond wäre nicht so nah.
Der Himmel wäre nicht so blau.
Wenn es dich nicht gäbe, wäre Vieles anders.
Mein Leben wäre nicht so bunt. Mein Leben wäre nicht so interessant.
Mein Leben wäre nicht mein Leben.
(Diego Armando)
Der Beruf Erzieher*in hat unbestrittene Vorteile und Vorzüge gegenüber vielen anderen Berufen. Zunächst steht das gemeinsame Leben mit kleinen Menschenkindern und ein respektvoller Umgang mit deren Eltern ebenso im Vordergrund wie die enge Zusammenarbeit mit einem Kollegium, das zumindest nach außen die gleichen Ziele verfolgt, eine gleiche/ähnliche/berufsverwandte Ausbildung hat (hier fallen die so genannten Quereinsteiger*innen erst einmal heraus) und mit Bemühen die gestellten Aufgaben umzusetzen versucht. Gleichwohl sind diese Ähnlichkeiten durch das aktuelle Erzieher*innendefizit in allen Bundesländern bei geschätzten 290.000 fehlenden Fachkräften in Kindertageseinrichtungen im Wandel, weil die Gruppe der Quereinsteiger*innen (Personen aus artfremden Berufen) permanent zunimmt und auch die so genannte ›Generation Z‹ durch besondere Ansprüche, persönlich priorierte Zielsetzungen und individualistisch ausgedrückte Verhaltensweisen neue Herausforderungen bedingen, die in vielen Kindertagesstätten zum Ausdruck kommen. Darüber hinaus ist der Alltag außergewöhnlich abwechslungsreich (und zumeist der genaue Ablauf nicht vorhersehbar und exakt planbar), der Arbeitsort ist mit vielen Abwechslungen verbunden (drinnen und draußen, projektbezogene Außenaktivitäten, Naturerkundungen, Gemeinwesenorientierung) und von Langeweile oder stupiden Arbeitsabläufen kann (darf!) an keiner Stelle die Rede sein.
Gefordert sind dabei immer wieder Flexibilität, Wahrnehmungsoffenheit, Engagement, Neugierde, Selbstaktivität, Lernfreude – und das Ganze ist immer wieder in beziehungsorientierten Verbindungen zu unterschiedlichen Menschen (Kindern, Eltern, Kolleg*innen) eingebettet. Hier geht es nicht um starre Arbeitsabläufe oder stupide Vorhaben, sondern vielmehr um situationsgerechte Einschätzungen und Entscheidungen, die den ganzen Menschen fordern.
Wir können nicht werden, was wir sein müssen,
wenn wir bleiben, was wir sind.
(Oprah Winfrey)
Doch gleichzeitig wirken auch immer wieder massive Kräfte und Einflüsse gegen eine freie Entscheidungsmöglichkeit, den Arbeitstag nach eigenen Vorstellungen zu strukturieren und zu gestalten. Da gibt es beispielsweise die länderspezifischen Bildungsrichtlinien mit ihren teilweise rigide formulierten Zielen und eine kaum überschaubare Menge von Programmen, von denen jedes von sich behauptet, das „non plus Ultra“ im Bildungskanon zu sein. Ferner gilt es, die teilweise völlig überhöhten Erwartungen vieler Eltern zu erfüllen, die Erwartungen der Grundschule im Auge zu haben und eine geforderte Verschulung der Kindertagesstätte fachkompetent abzuwehren, sowie die trägerspezifischen Ansprüche kritisch zu bewerten und nicht aus dem Auge zu verlieren. „Nebenbei“ müssen die Qualitätsstandards – entsprechend dem vor Ort gültigen Qualitätsverfahren – erfüllt/umgesetzt, Lerntagebücher der Kinder geführt, Portfolios mit den Kindern gefüllt, das pädagogische Tagebuch geschrieben und die Konzeption überarbeitet, Praktikant*innen angeleitet und begleitet sowie regelmäßige Entwicklungsgespräche über die Kinder mit den Eltern geführt werden. Doch damit immer noch nicht genug: Teamberatungen erfordern eine gute Vorbereitung, regelmäßige Elternabende und Elternaktionen kommen dazu, aktuell bedeutsame und auf dem Büchermarkt neu erschienene Fachliteratur (Bücher und Zeitschriften) soll(te) mit Interesse zur Kenntnis aufgenommen sowie gelesen werden, um fachlich möglichst „up to date“ zu sein und schließlich (über)rollen gänzlich neue Anforderungen das ohnehin schon volle Tages- und Wochenprogramm: Inklusion (statt Integration) oder die Öffnung der Kita zum „Familienzentrum“ stellen gravierend neue Herausforderungen (mit neuen Kompetenzanforderungen) dar. Und das bei einer oftmals ungenügenden Fachschulausbildung mit praxisfernen Lehrkräften, wenig aktueller Grundlagenliteratur, einem immer noch fächerspezifischen, funktionalisierten Fächerkanon sowie einem überholten Notengebungsverfahren, das Kreativität und ein selbstständiges Lernen, eine partizipatorisch konzipierte Kommunikation und Interaktion sowie eine lebendige Konfliktkultur zunichtemachen.
Es ist erstaunlich, was man alles lernen kann, wenn man will.
Jede Gewohnheit lässt sich ändern.
(Salman Rushdie)
Wer an dieser Stelle meint, damit seien die Alltagsanforderungen an elementarpädagogische Fachkräfte vollständig benannt, irrt gewaltig. Bei einer gleichzeitigen – in vielen Kita-Gesetzen geforderten – Verpflichtung zur Weiterbildung sollen Fortbildungsseminare besucht, Supervisionssitzungen (falls ermöglicht und angeboten), ein periodisches Coaching oder Fachtagungsbesuche wahrgenommen werden und diese bringen Erzieher*innen nebenbei besonders dann in Schwierigkeiten, wenn wieder einmal krankheitsbedingte Personalausfälle die Personalbesetzung in tief rote Zahlen bringen. Diese Anforderungen – und noch viel mehr – sollen/wollen Erzieher*innen im Sinne einer „guten Pädagogik“ leisten, weil es von ihnen erwartet wird bzw. weil Erzieher*innen selbst diese Ansprüche und Erwartungen auch erfüllen wollen. Ihr Anspruch, dabei jedem Kind gerecht zu werden, ist nicht erfüllbar – so hart es klingen mag: es ist eine irreale Utopie! (Nebenbei müssen bei kleineren Kindern die Windeln gewechselt, traurige Kinder wollen getröstet werden und die Zunahme an verhaltensoriginellen Kindern erfordert eine vertiefte Aufmerksamkeit und eine besonders zeitintensive Hinwendung zum Kind.) Erzieher*innen benötigen für all’ diese Herausforderungen eine Belastbarkeit wie die eines 40-Tonner-LKW. Diese gilt es daher immerzu, sehr sorgsam und sehr differenziert zu betrachten, Prioritäten zu setzen und sich von überflüssigem Ballast und fachlich unberechtigten Ansprüchen zu entledigen, sich dabei dann zielgerichtet nur auf die Aufgaben zu konzentrieren, die eine fachliche Berechtigung besitzen.
Die zehn Gebote Gottes
enthalten 279 Wörter.
Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung
300 Wörter.
Die Verordnung der europäischen Gemeinschaft über den Import von Karamellbonbons aber exakt
25.911 Wörter.
Ein Blick auf die Rahmeneckwerte der meisten Kindertageseinrichtungen lässt praxisbezogene (!) Fachleute aus Wissenschaft und Forschung sowie der Praxis selbst zusammenzucken: angefangen von dem nicht vertretbaren Personalschlüssel über die viel zu große Zahl der Kinder in den Gruppen, den häufig unverschämt kleinen Weiterbildungsetat für die Mitarbeiter*innen, die dringend angezeigten und gleichzeitig nicht genehmigten Inhouse-Seminare oder Supervisionssitzungen für Mitarbeiter*innen bis hin zu der mancherorts recht autoritären Träger- oder Fachberater*innenvorgabe, welcher pädagogische Ansatz umgesetzt werden soll, welche Angebote in den pädagogischen Alltag aufzunehmen sind, welche Fortbildungsseminare besucht werden dürfen und welche nicht. Dazu kommen vielerorts die eingeschränkten Räumlichkeiten in vielen Kitas, der spielraumeingeschränkte Etat zur Anschaffung von Materialien, die oftmals wenig schmackhafte „Speiseversorgung von außen“ bis hin zu einem stundenreduzierten Angestelltenverhältnis bzw. einem sehr geringen Gehalt (etwa im Vergleich zu Lehrkräften). All das verlangt von Erzieher*innen eine überaus große Toleranzbreite, die in zunehmendem Maße zu Überforderungen, Unzufriedenheiten und inneren Kündigungen führen! Und hier wird der Widerspruch am deutlichsten: Auf der einen Seite steigen die Erwartungen an diese für die Gesellschaft höchst bedeutsame Berufsgruppe ins nahezu Unermessliche, auf der anderen Seite sprechen viele Rahmeneckwerte signifikant dagegen, dass diese Erwartungen im Gesamtpaket erfüllt werden können. Und dennoch bleiben nahezu alle Erzieher*innen in ihrem Beruf. Insoweit darf die Frage gestellt werden: warum eigentlich?
Ohne Begeisterung
ist noch nie etwas Großes erreicht worden.
(Ralph Waldo Emerson)
Viel besser, eindringlicher und lebendiger als alle akademischen Betrachtungen zum Erzieher*innenberuf ist sicherlich eine Kurzbetrachtung einer engagierten, selbstreflektierten Kindheitspädagogin zur Fragestellung, was den Beruf so wunderbar macht. Dazu sei an dieser Stelle die Aussage einer Kindheitspädagogin vorgestellt:
(Kathrin Nürge, Kindheitspädagogin in Niedersachsen, die nach dem Aufbau einer Kindertagesstätte und der Übernahme einer Leitungsstelle anschließend viele Jahre als Lehrkraft an einer Fachschule und danach als Bildungsreferentin gearbeitet hat, um schließlich wieder in einem Waldkindergarten mit KINDERN eine spannende Zeit zu erleben)
Wähle einen Beruf, den Du liebst
und Du brauchst niemals in Deinem Leben arbeiten.
(Konfuzius)
▸Ich mag das pure Leben. Lebendigkeit – Bewegung – Inne halten: sich wohlfühlen und genießen können – zu werden, wer man ist. Berührt sein und berührt werden mit allen Sinnen. Leben, Lieben, Lachen!
▸Ich mag das Zusammensein mit Menschen und ganz besonders mit Kindern. Kinder sind einzigartig, voller Wunder und sie faszinieren mich in ihrem bedingungslosen und wahrhaftigen Sein. Sie erinnern mich an meine eigene Kindheit und an das Kind, dass ich einmal war und das schafft eine tiefe Verbundenheit mit ihnen. Es erzeugt jeden Tag aufs Neue eine große Dankbarkeit in mir, viel Zeit mit Kindern im gemeinsamen Miteinander teilen zu können: mit ihnen zu spielen und kreativ zu sein, gemeinsam Projekte zu gestalten und mit allen Sinnen die Welt zu entdecken, sich zu bewegen und auch die ruhigen Augenblicke des Alltags genießen zu können, beobachten, sehen, hören, staunen, miteinander zu reden und zu philosophieren, zu streiten und sich auseinanderzusetzen, drinnen und draußen, gefühlsbetont gemeinsam den Alltag zu gestalten, mit allem was dazu gehört. Entwicklungsbegleiterin und Bündnispartnerin für ihre Interessen und Bedürfnisse zu sein, damit sie Fähigkeiten und Ressourcen aufbauen können, um nachhaltig ihr Leben gestalten zu können.
▸Ich mag es, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen, die für das Wohl von Kindern sorgen und Kindern einen Raum schenken, in dem sie Kindsein können und in dem Entwicklung stattfindet. Ich mag es, durch meinen Beruf einen wichtigen Teil im großen Ganzen zu übernehmen und sehe darin eine bedeutsame Aufgabe für die Entwicklung in der Gesellschaft.
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