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Sketchs
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Seitenzahl: 66
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Friedrich Wolf
Bittere Feldpost
Sketchs
ISBN 978-3-68912-206-5 (E–Book)
Die Sketchs sind 1942 bis 1944 entstanden.
Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.
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Vater Schröder mit der Mutter Schröder, die über einem Brief sitzt …
VATER SCHRÖDER: Was hast du denn an unsern Kurt geschrieben, Mutter?
MUTTER: Bin noch dabei, Vater.
VATER: Mach schnell! Die Erna soll den Brief gleich zur Post bringen! Der Junge wartet gewiss genauso auf unsere Briefe wie wir auf seine. Jetzt ist er schon sechs Wochen in Russland und hat uns erst einmal geschrieben. Mach schnell, Mutter!
MUTTER: Ich muss immer so zittern, wenn ich an den Kurt schreibe. Die Erna soll anfangen; dann schreib ich den Schluss. – Erna! Erna!
ERNA hinzu: Hast du gerufen, Mutter?
MUTTER: Setz dich, Kind, du bist flinker im Schreiben als ich; der Brief hier an unsern Kurtel soll gleich fort, also schreib … wart mal … was schreibt denn da Vater zuletzt?
ERNA vorlesend: „… und dann, mein lieber Junge, wenn Du vorne bist, Du musst da keine Husarenstreiche machen und immer der Erste sein wollen. Nein, immer vorsichtig, mein Kurtel! Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Und schau Dir die Leute an, die Dich ins Feuer schicken! Du weißt ja, was Dein Vater, der Dein bester Freund ist, Dir beim Weggehen sagte: Trau, schau, wem! Mein Kurtel, mein liebster Junge, Deine Mutter und Dein Vater sind schon alt; wir haben außer der Erna auf der Welt nur noch Dich …“
MUTTER: Vater, weshalb machst du dem Jungen das Herz so schwer?
VATER: Das hat seinen Grund, Mutter, das ist nicht zum Spaß. Siehst du, ich kenne doch unsern Kurtel, der will immer der Erste sein, der hat so einen Drang in sich zum Arbeiten, zum Vorwärtsstürmen und zum Draufgehn … die packt es immer am ersten.
MUTTER: Ach, Vater, hör schon auf!
ERNA: Ja, Vater, du sollst nicht so zur Mutter reden! Ich habe doch meine Halbschuhe und eine Bluse eingetauscht bei den Bauern für Mehl; die Mutter und ich, wir haben ihm Plätzchen gebacken und schon dreimal geschickt; die müssen doch ankommen.
VATER: Wenn der Kurtel klug ist und steckt nicht den Kopf so weit vor …
MUTTER: Also, weiter, Erna, was schreibt der Vater noch?
VATER: Gib schon her! liest. „Ich war doch selbst im ersten Weltkrieg, Kurtel, und kenne von Kaiser Wilhelm den Schwindel so ein bisschen; deshalb hör auf Deinen Vater, mein Junge: wenn man krank ist oder sonst ein Leiden hat, dann geht man ins Lazarett und von da in die Heimat. Die Mutter sagt immer: Wenn dem Kurtel was passiert, das überleb ich nicht!“
MUTTER: Weshalb schreibst du bloß das alles dem Jungen, Vater?
VATER: Er wird sich wohl erinnern, was ich ihm sagte, als er fortging: „Denk auch daran, Kurtel, auch die Russen sind Menschen, und wenn sie euch mal überrumpeln sollten, mach mir keine Dummheiten. Du kannst ruhig deine Adresse mal wechseln; die Hauptsache, du bleibst uns am Leben!“
MUTTER: Vater, wenn dem Jungen bloß nichts passiert ist, Erna, schreib, schreib schnell … „Mein Kurtel, mein einziger Junge! Weshalb hast Du auf unsere drei Päckchen nicht geschrieben? Du weißt, wie schwer alles zu bekommen ist; aber wir schicken Dir’s gern, von ganzem Herzen. Unser lieber Junge soll die Plätzchen essen und an seine Mutter denken, die nur einen Wunsch hat: dass Du wieder heimkommst! Alles andere ist nicht wichtig, Kurtel! Komm wieder heim, mein Kurtel! Es gibt Dir einen Kuss …“ Lass mich das selbst schreiben, Erna!
ERNA: Und schnell noch mein Briefchen! Ich hab zwei Zigaretten dazwischengelegt und unten ’nen Kuss auf den Brief gedrückt.
VATER: Bist doch nicht seine Braut, Erna!
ERNA: Meinst du, Vater, er nimmt von seiner Schwester keinen Kuss an? – Du, Vater, da hat’s doch geklingelt?
MUTTER: Der Briefträger, Erna! Vielleicht ein Brief von Kurt?
VATER: Ich werd mal nachsehen.
ERNA: Lass mich, Vater, lass mich! Rennt hinaus.
VATER: Na siehst du, Mutter, da ist bestimmt was von dem Jungen.
MUTTER: Wenn er bloß alles von uns bekommen hat!
ERNA herein: Ein Feldpostbrief …
VATER: Her damit, Mädel! Hab ich’s nicht gesagt! Was machst du denn für ein Gesicht, Erna?
ERNA: Da steht ein anderer Absender auf dem Brief.
MUTTER: Mein Gott, mein Gott …
VATER: Ruhig, Mutter! Da liegt ja noch ein Brief von uns darin …
MUTTER: Was helfen da alle Briefe! Kurtel! Kurtel!
VATER: Und hier ein Zettel seines Kameraden. Liest.
„Werter Herr Schröder! Vor zwei Wochen war Kurt auf Spähtrupp und kam nicht wieder zurück: Wir glaubten schon, er ist tot; aber diese Nacht rief Kurt mit Lautsprecher über die Linie, dass er von den Russen gefangen genommen wurde, dass es ihm gut geht und dass wir Ihnen das mitteilen sollen; auch Ihre Adresse rief er uns herüber …“
MUTTER: Er lebt, Vater, er lebt?
ERNA: Die Russen haben ihn also nicht erschossen, sondern ihm erlaubt, uns ’nen Gruß zu senden?
MUTTER: O Gott, er lebt, mein Kurtel!
VATER: Ja, ja, der Kurt hat bloß die Adresse gewechselt, Mutter, er hat seinen Alten richtig verstanden.
Sprechzimmer des Dr. Barth. – Frau Höppner, eine junge Frau mit ihrem Töchterchen Gretl, und ihr Mann, ein Kriegsblinder
Dr. BARTH: Also vor Smolensk haben Sie Ihren Kopfschuss bekommen, Herr Höppner? Rechts herein und links heraus, da haben Sie ja noch mächtig Dusel gehabt!
HÖPPNER schweigt.
Dr. BARTH: Und das Eiserne Kreuz haben Sie auch, alle Achtung! Wie war’s denn so vor Moskau? Erzählen Sie doch mal ’n bisschen, Höppner!
HÖPPNER: Ich habe nichts von Moskau gesehen, Herr Doktor; mir verging da Hören und Sehen.
Dr. BARTH: Na, so hab ich’s ja nicht gemeint, Höppner. Sie wissen ja, für Kriegsblinde und deren Angehörige wird besonders gesorgt.
HÖPPNER: Deshalb bin ich auch mitgekommen mit meiner Gretl. Sie sagen, Herr Doktor, die Kleine hat’s auf der Lunge?
Dr. BARTH: Na ja, so ein bisschen, wenn man genau hinhört, ein kleiner trockner Katarrh.
FRAU HÖPPNER: Aber den hat sie jetzt schon vom Herbst an, Herr Doktor.
Dr. BARTH: Etwas chronisch ist er geworden, das stimmt; aber man muss auch nicht auf jedes kleine Hüstchen achten.
FRAU HÖPPNER: Bei meiner Nachbarin ihrer kleinen Elfriede hat man auch nicht darauf geachtet, erst so ein Hüstchen und immer heiße Händchen, dann lag die kleine Göre zwei Monate und hat Blut gespuckt, und dann hat man sie in einem Holzkistchen weggeschafft! Verzweifelt. Herr Doktor, so soll’s der Gretl nicht gehn!
Dr. BARTH: Na, na, Frau Höppner, so weit sind wir noch lange nicht. Komm mal her zu mir, Gretl, so, siehst du … na, bisschen mager ist schon das kleine Haserl, da kann man ja alle Rippen zählen … hm, das faucht ja nicht schlecht in dem kleinen Blasebalg, müssen doch mal was aufschreiben. Nimmt seinen Rezeptblock und schreibt.
HÖPPNER: Was schreiben Sie da, Herr Doktor?
Dr. BARTH: Etwas gegen den Husten.
HÖPPNER: Und was, bitte?
Dr. BARTH: Ipecacuanha-infus mit etwas Dionin; aber das verstehen Sie ja doch nicht, Höppner.
HÖPPNER mit Nerven: Stimmt, Herr Doktor, das verstehe ich nicht, weil das nämlich ein falsches Rezept ist.
Dr. BARTH: Na, erlauben Sie mal! Schließlich bin ich der Arzt!
HÖPPNER: Sie sind ein Arzt, Herr Doktor, und doch kein Arzt.
Dr. BARTH: Hören Sie mal, Höppner, wenn Sie unverschämt werden! Glauben Sie, weil Sie Kriegsblinder sind …
HÖPPNER: Weil ich der Vater meines kleinen Mädels bin und weil ich als Blinder mein Kind zwar nicht mehr sehen kann, dafür aber ist mein Ohr um so feiner geworden, und da hörte ich in den Lazaretten Tag und Nacht immer das Stöhnen und Ächzen der Verwundeten, da wusste ich genau an jedem Geräusch, das aus einer Menschenbrust kam, wie es um den Menschen steht – Übung, Herr Doktor! Wie habe ich mich fortgesehnt, weit weg von diesen Geräuschen, in mein ruhiges Zimmer zu meinem Weib und meinem Kind! Und jetzt höre ich auch hier die Geräusche, immer diese Geräusche, auch bei der Gretl!
Dr. BARTH: Nerven, Höppner, nehmen Sie sich zusammen! Ein Mann mit dem Eisernen Kreuz …
HÖPPNER: Wollen Sie es haben, Herr Doktor? Hier … Er reißt es herunter; nehmen Sie es als Honorar für ein richtiges Rezept! Schreiben Sie ein richtiges Rezept für das Kind, Herr Doktor!
Dr. BARTH: Und was soll ich denn da schreiben?