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Mach dich glücklich!
Dieses Buch ist dein Freund. Es gibt Inspiration für eine Zeit, in der alles neu und besonders ist. Eben war man noch Kind, plötzlich stellen sich ganz neue Fragen: Wer bin ich? Was ist echte Freundschaft? Was Liebe? Wie kann ich mit Konflikten umgehen? Bin ich stark oder schwach, wenn ich meine Gefühle zeige? Das Leben fächert sich in so unglaublich viele Dimensionen auf. Immer wieder trifft man auf neue Menschen und alles scheint möglich. Gleichzeitig fühlt man sich nie gekannten Ängsten und Zweifeln ausgeliefert. Doch welches Problem auch auftaucht, die Lösung ist so einfach wie radikal: Entscheide dich für das Gute! Denn das bist du.
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Seitenzahl: 182
Alexa Hennig von Lange
Marcus Jauer
Breaking Good
Mach dich glücklich!
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1. Auflage 2017
© 2017 cbt Verlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Kathrin Schüler, Berlin
Umschlagmotiv: gettyimages/rolfo
kg · Herstellung: eS
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-20374-0V001
www.cbt-buecher.de
Für Mia.
Inhaltsverzeichnis
LIEBE
Gibt es für mich den einen Menschen, bei dem alles passt? (Alexa)Bin ich schwach, wenn ich Gefühle zeige? (Marcus)Bin ich abhängig? (Alexa)Müssen wir alles zusammen machen, bloß weil wir zusammen sind? (Marcus)Mein Freund will plötzlich alles ohne mich machen. (Alexa)Ist Fremdgehen sehr schlimm? (Marcus)Warum bin ich dauernd von ihm genervt, obwohl wir uns lieben? (Alexa)Ich will Schluss machen, aber niemandem wehtun. Geht das? (Marcus)Soll ich mich trennen, wenn es schwierig wird? (Alexa)Sollten wir wieder zusammenkommen? (Marcus)Muss ich meinen Freund mit seinem besten Freund teilen? (Alexa)Können Jungs und Mädchen überhaupt miteinander befreundet sein? (Marcus)FREUNDSCHAFT
Nach einer Party frage ich mich immer, was die anderen von mir denken, ob ich was Falsches gesagt habe und ob sie mich noch mögen. (Alexa)Habe ich das Zeug zum King? (Marcus)Ist es besser, viele Freunde zu haben – oder echte? (Alexa)Was ist das Tolle an Jungsfreundschaften? (Marcus)Meine beste Freundin spricht nicht mehr mit mir – sagt mir aber nicht, warum. (Alexa)Ich kann nicht über meinen Schatten springen. (Marcus)FAMILIE
Hallo? Ist da jemand? Meine Eltern sind Automaten und hören mir nicht zu. (Alexa)Wie soll ich meinen eigenen Weg finden, ohne meine Eltern zu enttäuschen? (Marcus)Ich bin ja nicht blöd: Meine Eltern passen dauernd auf mich auf und warnen mich vor Gefahren. Nur weil ich ein bisschen jünger bin als sie, habe ich doch mein Leben nicht weniger im Griff – oder? (Alexa)Warum soll ich überhaupt im Haushalt helfen? (Marcus)Die feste Vorstellung meiner Eltern, wie was zu sein hat. (Alexa)SEELE
Ich bin so melancholisch – ist das schlimm? (Marcus)Ich habe Angst, ich mache mir Sorgen, mein Kopf ist voller Gedanken. Wie ich die Stimmen in meinem Kopf beruhige und erkenne, dass sie nicht wahr sind. (Alexa)FSK 18: Ich stehe auf Horror und Killer – stumpft mich das wirklich ab? (Marcus)Ich bin zu groß, zu klein, zu dick, zu dünn: Warum ich nicht mein Körper bin. (Alexa)Wozu sind Bäume gut? Was die Natur uns lehrt. (Marcus)Ich halte das nicht mehr aus: Selbstmordgedanken, Zerstörungswut, Einsamkeit – ist Licht am Ende des Tunnels? Und woher kommt dieser Schmerz überhaupt? (Alexa)Was ist, wenn ich tot bin? (Marcus)Wie gehe ich mit Rückschlägen, Niederlagen und Absagen um? (Alexa)Ich kann mich nicht entscheiden. (Marcus)Bin ich das, was die anderen von mir denken? (Alexa)SCHULE
Ich kann nicht mit Kritik umgehen. (Marcus)Das unglaubliche Geheimnis, wie Schule jedem Spaß macht: Lehrer sind auch Menschen und haben Gefühle (Alexa)Ist Schule wirklich alles? (Marcus)Wie finde ich mein Talent? (Alexa)ZUKUNFT
Was hält dich wirklich davon ab, deinen Traum wahr zu machen? (Marcus)Ich war so dumm: Wie du täglich für die Zukunft lernst. (Alexa)Krieg, Terror, Klimawandel – wird die Welt bald untergehen? (Marcus)Der Sinn des Lebens: Wofür das alles, wenn man am Ende sowieso tot ist? (Alexa)Ich kann die Vergangenheit nicht ruhen lassen. (Marcus)Woher weiß ich, ob das, was ich tue, richtig ist? (Alexa)Woher weiß ich, wer ich bin? (Marcus)LIEBE
1.
Gibt es für mich den einen Menschen, bei dem alles passt? (Alexa)
Meine Eltern hatten einigermaßen präzise Vorstellungen, was die Eigenschaften meines ersten Freundes anbelangte: Er sollte genau so sein wie wir. So, als sei er bereits Teil unserer Familie. Allerdings schien es mir ziemlich schwierig bis aussichtslos, jemanden zu finden, der den Anforderungen meiner Eltern genügte, andererseits wollte ich meine Eltern auf keinen Fall enttäuschen oder mit dem »falschen« Jungen zusammen sein.
Ich erinnere mich noch, wie ich mit sechzehn Jahren auf meiner ersten richtigen Party war. Und zwar auf der von meiner Chorfreundin Tessi. Es war Sommer. Ich hatte ein neues T-Shirt an und dachte: »Ich fasse es nicht, wie abgefahren das Leben sein kann!« Langhaarige Jungs von Tessis Schule schleppten ein Schlagzeug ins Wohnzimmer ihrer Eltern und bauten es direkt vor dem riesigen Aquarium auf. Dann kamen noch Typen mit Verstärkern, E-Gitarren und Mikrofonständern herein. Die Rollos vor den Fenstern wurden heruntergezogen und das Büfett in der Küche eröffnet. Inzwischen war es in der Wohnung gerammelt voll und die Schülerband legte los. Aber so richtig! Sie schleuderten ihre Köpfe, ihre Haare flogen, der Sänger kreischte ins Mikrofon: »You’re in the Jungle, Baby!« Und ich drehte durch. Zwischen dem Sofa und den Sesseln tanzte ich mir mit den anderen Chormädchen die Seele aus dem Leib. Ich dachte: »Okay, gerade wird meine DNA umgeschrieben.« Ich wurde wiedergeboren, als total neuer Mensch. Dieses Erlebnis war berauschend. Hemmungslos. Wild. So etwas hatte ich noch nie erlebt.
Nachdem die Band fertig gespielt hatte, war ich wie im Rausch. Ich torkelte und kicherte, war betrunken von meinem eigenen Glück, bis mich ein paar Mädchen zur Beruhigung auf einen Stuhl neben dem Geschirrschrank setzten. Da saß aber schon jemand. Der Schlagzeuger von der Band. Es war dunkel, genau erkannte ich nicht, wie er aussah, aber trotzdem knutschten wir ein bisschen. Weil ja bereits alles so wild und ungestüm war. Später saßen wir vor dem Haus auf dem Bordstein und warteten, dass mein Vater mich mit dem Auto abholen kam. Über uns wogten die Baumkronen im nächtlichen Schimmer, der Junge sah mich verzaubert an und ich führte mein erstes offizielles Casting-Gespräch. Unauffällig fragte ich die Checkliste meiner Eltern ab: »Wanderst du gerne? Hast du Geschwister? Auf welche Schule gehst du eigentlich? Was willst du später mal werden? Wo wohnst du? Was machen deine Eltern beruflich? Habt ihr ein Haustier? Willst du studieren? Wie wichtig sind dir Tischmanieren? Kannst du einen Nagel in die Wand schlagen?«
Der Junge beantwortete alle Fragen zu meiner Zufriedenheit. Seine Eltern hatten sogar – Überraschung! – zusammen mit meinen Eltern studiert! Wenn das kein Zeichen war! Kurz bevor mein Vater mit dem Auto vorfuhr, lächelte ich den Jungen daher freundlich an und sagte: »Dann sind wir jetzt wohl zusammen.«
Vermutlich läuft fast jeder mit solch einer elterlichen Liste durchs Leben und checkt potenzielle Partner daraufhin ab. Und wenn sich herausstellt, dass der andere nicht komplett dieser einmaligen Checkliste entspricht, kann es für uns und unseren neuen Partner schnell mal problematisch werden, weil wir im Hinterstübchen dieses ungute Gefühl nicht so richtig loswerden, dass wir womöglich doch nicht die uns entsprechende Wahl getroffen haben.
Wenn wir aber erleichtert feststellen, dass wir relativ viele Übereinstimmungen haben, denken wir: »Fantastisch! Wir wurden füreinander gemacht!« So ging es mir auch mit diesem hübschen Jungen, der neben mir auf dem Bürgersteig saß. Er konnte einen Nagel in die Wand schlagen! Er wanderte gern! Seine Eltern hatten das Gleiche wie meine studiert! Und er spielte ein Instrument! Ich dachte wirklich: »Wir werden heiraten.«
Das Dumme war nur, dass mein neuer Freund bereits ab unserem dritten Treffen so tat, als sei er Bart Simpson. Ununterbrochen sprach er mich mit verstellter Stimme an – so, als sei ich seine gelbe Comic-Mutti. »He Marge, was hast du heute vor? Wollen wir uns treffen?« Oder: »He, Marge! Weißt du, dass ich echt ziemlich in dich verliebt bin?« Zuerst war das noch witzig, aber als ich merkte, dass er diesen Tick nicht abstellen konnte, wurde es irgendwie schräg. Besonders, als er mich zum ersten Mal fragte, ob er bei mir übernachten kann, weil meine Eltern ausnahmsweise mal übers Wochenende weg waren: »He, Marge, alte Granate. Was dagegen, wenn der gute Bart bei dir am Kissen horcht?«
Wir waren fünf Monate zusammen und in diesen fünf Monaten habe ich vielleicht vier Mal mit meinem »echten« Freund gesprochen. Also wusste ich eigentlich immer noch nicht, wer er wirklich war. Bei diesem Problem haben all die Übereinstimmungen unserer Checklisten nichts gebracht. Denn: Diese Checklisten sagen nicht zwangsläufig etwas über den Menschen, seine Ängste und diversen Schutz- und Abwehrmechanismen aus, sondern nur etwas über seine oberflächliche Ausstattung. Klar ist es hilfreich und toll, viele formale Übereinstimmungen zu haben und sich für die gleichen Dinge zu interessieren. Aber das, was einer Beziehung überhaupt eine gewisse Tiefe, Vertrauen und Verbundenheit verleiht, ist, sich dem anderen zu öffnen, sich so zu zeigen, wie man ist, und sich nicht in einen fiktiven Charakter hineinzusteigern und großes Kino vorzuspielen, um ja nicht verletzt zu werden. Egal, ob man so tut, als sei man Bart Simpson, einer von »Fast and Furious« oder eine andere bedeutende Persönlichkeit.
In diesem speziellen Fall konnte ich nicht zum Herzen von meinem ersten Freund vordringen. Bart Simpson war härter als ich. Schützend hat er sich vor das Herz meines Freundes gestellt. Damit ich es keinesfalls brechen kann. Nur genau das ist am Ende passiert. Dabei hätten wir vielleicht wirklich gut zusammengepasst!
2.
Bin ich schwach, wenn ich Gefühle zeige? (Marcus)
Als ich ein kleiner Junge war, hat mein Vater manchmal zu mir gesagt: »In dir kann man lesen wie in einem Buch.«
Wenn ich mit den Jungs aus unserem Dorf eine Fahrradbande gründete, sie mich aber nicht zum Anführer wählten.
Wenn ich mit lauter fremden Kindern ins Ferienlager fuhr und nicht wusste, neben wen ich mich im Bus setzen sollte.
Wenn ich meinem Vater am See zeigen wollte, wie weit ich mit meiner neuen Angel auswerfen kann, und so aufgeregt war, dass sich die Schnur verhedderte.
Wenn ich wegen irgendetwas verunsichert, enttäuscht oder verletzt war und ich vor lauter Peinlichkeit nicht darüber reden wollte, knuffte er mich an der Schulter und sagte: »In dir kann man lesen wie in einem Buch.«
Es bedeutete, dass er mir ansehen konnte, wie es mir ging, und dass er mich verstand, weil es ihm irgendwann auch schon einmal so gegangen war. Er erkannte sich in mir, aber indem er das zu mir sagte, konnte ich mich auch in ihm erkennen. Er war dann nicht der Vater, der mich erzog und den es freute, wenn ich ehrgeizig, beliebt oder selbstsicher war, sondern der Mensch, dem ich mich nahe fühlte, wenn nichts davon klappte. Das waren eigentlich immer die schönsten Momente zwischen uns.
Aber die Welt besteht nicht nur aus der Familie, aus Menschen, die einen von Geburt an kennen, von denen man gehalten wird, mit denen man für immer verbunden ist und deren Liebe man sich sicher sein kann, egal, was kommt. Sie besteht auch aus Menschen, die man erst kennenlernt und vor denen ich nicht nackt und ungeschützt dastehen wollte, weil ich nicht sicher war, ob sie mich noch mochten, wenn ich war, wie ich war. Oder mich ablehnten, stehen ließen, über mich lästerten.
Davor hatte ich Angst.
Ich sah doch jeden Tag – im Kindergarten, in der Schule, im Fußballverein –, wie Jungs mit denjenigen umgingen, die leicht zu treffen waren, die losweinten, wenn man sie beleidigte, die verstummten oder abhauten, wenn sie sich zurückgesetzt fühlten. Ich kannte auch die Sätze, die dann gesagt wurden, die Häme, die Schadenfreude, aber auch das erhebende Gefühl, zu denen zu gehören, die hart genug waren und sich nichts anmerken ließen. Dabei traf es mich in Wahrheit schon, wenn man mich statt mit Vornamen nur mit Nachnamen ansprach, wie das unter den Jungs in meinem Dorf üblich war.
Aus dem Grund wollte ich nicht mehr, dass jeder sehen konnte, wie es mir ging. Ich hielt das für eine Schwäche, eigentlich hielt ich Gefühle für eine Schwäche. Sie machten einen nur angreifbar und brachten keinerlei Vorteil. Also übte ich vor dem Badezimmerspiegel tagelang ein Gesicht ein, das nicht erkennen ließ, was in mir vorging. Eine Maske sozusagen. Und diese Maske setzte ich auf, wann immer ich in Situationen kam, die ich nicht kannte und in denen ich unsicher wurde.
Oh, wie ich mich dafür hasste, unsicher zu sein!
Und wie hart ich daran arbeitete, dass es keiner erfuhr!
Irgendwann war ich so gut darin, meine Gefühle zu verstecken, dass ich merkte, wie andere versuchten herauszufinden, ob ich überhaupt welche hatte. Sie waren irritiert darüber, dass ich die Offenheit und die Zuneigung, die sie mir zeigten, bloß kühl entgegennahm, ohne näher darauf einzugehen. Das verunsicherte sie. Sie wollten endlich erfahren, ob ich sie auch so mag wie sie mich.
»Bei dir weiß man nie, was du denkst«, sagte das Mädchen mit den Sommersprossen, als es sich auf der Kellerparty eines Schulfreundes neben mich setzte. Ich hielt das für ein Kompliment. Vor allem, weil ich das Mädchen toll fand, seitdem ich es in der Tanzstunde zum ersten Mal gesehen hatte. Sie wirkte so leicht und frei, wenn sie mit ihren Freundinnen zusammenstand. Das bewunderte ich. Aber selbstverständlich hatte ich ihr das nie gezeigt, und ich zeigte es ihr auch jetzt nicht, als sie mich an der Hand nahm und ins Treppenhaus führte. Spätestens da hätte ich meine Maske gefahrlos ablegen können. Ich wusste ja nun, dass sie mich auch gut fand.
Warum sollte sie mich sonst an der Hand nehmen?
Stattdessen kam ich mir auf einmal wie ein Sieger vor.
Aus jemandem, der sich vor anderen nicht verletzbar machen wollte, war ich zu jemandem geworden, der andere dazu bringen konnte, sich vor mir verletzbar zu machen. Das gab mir ein Gefühl von Macht und Sicherheit, sodass ich einfach nicht aufhören konnte, meine Maske zu tragen. Ich stand da, den Rücken an die Wand gelehnt, und während das Mädchen, das ich schon so lange toll fand, versuchte, mich zu küssen, waren mein Gesicht, mein ganzer Körper wie aus Holz.
Irgendwann war sie so verunsichert, was das alles sollte, dass sie allein und irgendwie ratlos zurück zur Party ging.
Da kam ich mir dann nicht mehr wie ein Sieger vor.
Gefühle nicht zu zeigen, heißt nicht, keine Gefühle zu haben. Sie entstehen so natürlich wie unser Atem und lassen sich durch Denken oder Wünschen nicht abschalten. Das gilt für jeden von uns – trotzdem sind wir umgeben von Menschen, die ständig damit beschäftigt sind, ihre Empfindungen zu kontrollieren oder wenigstens zu verschleiern. Sie geben nicht zu erkennen, was sie fühlen, und deshalb ist es schwer zu erkennen, was sie sich wünschen. Aber wer nicht zeigt, dass er verliebt ist, wird vermutlich nie erfahren, ob er nicht vielleicht doch eine Chance hätte. Wer nie zeigt, dass er traurig ist, wird nie getröstet werden. Wer nie zeigt, dass er sich gerade klein und mickrig fühlt, wird nie hören, dass er dazu keinen Grund hat. Er versteckt sich und bleibt mit seinen Gefühlen allein.
3.
Bin ich abhängig? (Alexa)
Als ich kurz nach meinem siebzehnten Geburtstag mit meinem ersten, so richtig »ernsthaften« Freund zusammenkam, hätte ich am liebsten jede Sekunde mit ihm verbracht. Was natürlich unmöglich war, da Moritz und ich ja noch zur Schule gingen. Außerdem töpferte ich leidenschaftlich. Schließlich hatte ich gerade die dramatische Kurzbiografie von der bedeutenden Bildhauerin Camille Claudel[1] gelesen und dachte, es sei passend, eine mindestens ebenso dramatische Bildhauerin zu werden. Mein neuer Freund war wiederum Gitarrist in unserer Schülerband und eiferte irgendeiner weltberühmten Gitarristen-Legende nach, deren Namen ich zuvor noch nie gehört hatte. Die restliche Woche verlebten wir allerdings intensiv zusammen. Am Freitag- und Samstagabend waren dann noch seine und meine besten Freunde dabei, um gemeinsam mit uns ein paar Geburtstagspartys zu crashen, von denen wir durch Zufall auf dem Pausenhof gehört hatten.
Manche von unseren Freunden, die uns bisher nur als absolut selbstständige Individuen erlebt hatten, meinten ehrlich besorgt: »Seid ihr jetzt irgendwie voneinander abhängig?« Diese Frage fand ich extrem merkwürdig. Bevor ich mit Moritz zusammengekommen war und ziemlich viel Zeit mit meinen drei besten Freundinnen verbracht hatte, hatte mich ja auch nie jemand gefragt: »Seid ihr irgendwie voneinander abhängig?«
Aber jetzt bekam ich dauernd diesen Tipp: »Mach dich nicht abhängig.« Was sollte das? Schließlich war ich total verliebt! Moritz und ich hatten uns viel zu erzählen. Wir saßen in seinem Zimmer auf seiner Matratze, und er spielte mir seine Lieblingsmusik vor, oder wir töpferten krasse Ton-Skulpturen à la Camille Claudel und Auguste Rodin. Bei Platzregen rannten wir durch den Stadtwald, taten im Café so, als würden wir uns heftig streiten, unternahmen zusammen Radtouren oder besuchten seine Oma. Durch Moritz wurden mir überhaupt die seltsamsten Charaktereigenschaften von mir klar, die mir vorher gar nicht so bewusst gewesen waren. Ich habe viel über mich gelernt. Zum Beispiel, wie ich auf verschiedene Situationen und Stimmungen reagiere, wovor ich Angst habe, was mir Sorgen bereitet, wie unsicher ich manchmal bin. Und dass ich die Nerven verliere, wenn ich plötzlich das Gefühl habe, ich werde nicht mehr geliebt. Diese emotionalen Achterbahnfahrten, zu denen ich fähig war, kannte ich vorher noch nicht von mir.
Was also spricht dagegen, mit dem Menschen, den man besonders gerne hat, eine Menge Zeit zu verbringen und auf diese Weise viel über sich, seine Stärken und auch Schwächen zu erfahren? Wenn ich tatsächlich feststelle, dass ich »abhängig« bin, löse ich das Problem auch nicht dadurch, dass ich mich zwinge, etwas alleine zu unternehmen und tapfer so zu tun, als sei ich total unabhängig. Ganz ehrlich: Innerlich unabhängig sind die wenigsten. Viele Menschen tun nur so.
Schön ist doch, sich selbst und den anderen immer besser verstehen zu können und auf diese Weise miteinander verbundener und dadurch unabhängiger zu werden. Das ist gar kein Widerspruch. »Innerlich unabhängig« bedeutet für mich, dass ich in Frieden bin, dass mein Glück, meine Fröhlichkeit nicht mehr so sehr davon abhängen, ob alles genauso läuft, wie ich es geplant habe. »Innerlich unabhängig« bedeutet, dass ich es immer besser schaffe, mich dem Leben anzuvertrauen, ohne alles kontrollieren zu müssen. John Lennon[2] hat mal gesagt: »Leben ist das, was passiert, wenn du bereits andere Pläne gemacht hast.« Das heißt, alles, was nicht direkt nach Plan läuft, ist das Leben!
Es ist ein ziemlich langer Weg bis zu dieser »Inneren Unabhängigkeit«. Dafür braucht es viel Übung im Alltag und in der Partnerschaft. Mal klappt es besser, mal klappt es schlechter. Und dann passiert auch schon die nächste unkontrollierbare Sache, an der jeder von uns seine ganz persönliche »Innere Unabhängigkeit« üben kann.
Anmerkungen
[1] Camille Claudel war eine begnadete französische Bildhauerin (1864–1943), Schülerin und Geliebte des großen französischen Bildhauers Auguste Rodin. Sie führten eine leidenschaftliche und selbstzerstörerische Beziehung, schufen aber auch einzigartige Werke. Nach dem Tod ihres Vaters wurde Camille Claudel von ihrer Mutter in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, in der sie dreißig Jahre später an einem Schlaganfall starb.
[2] John Lennon wurde in Liverpool / England geboren (1940–1980). Er war Sänger, Songschreiber und Friedensaktivist und Mitbegründer der legendären Beatles. Am Abend des 8. Dezember 1980 wurde er von einem verwirrten Fan in Manhattan / New York erschossen, dem er kurz zuvor noch ein Autogramm gegeben hatte.
4.
Müssen wir alles zusammen machen, bloß weil wir zusammen sind? (Marcus)
Mit fünfzehn wollte ich unbedingt eine Freundin haben. Fast alle meine Freunde hatten eine Freundin und nahmen sie mit, wenn wir mit unseren Mopeds am Wochenende über die Dörfer fuhren.
Mal trafen wir uns an einer Tankstelle, mal zum Crossen in der Kiesgrube, mal an der Eisdiele, vor der am Sonntag gern Rentner und junge Familien in der Sonne saßen. Und dann kamen wir – sechs, sieben, acht Jungs mit ihren Mädchen. Nur auf meiner Rückbank saß niemand.
Als sogar meine Oma fragte, wann ich denn endlich mal eine Freundin mit nach Hause bringe, sprach ich das Mädchen aus meiner Parallelklasse an, das neu in die Schule gekommen war. Sie war eins dieser Mädchen, zu denen jeder sofort eine Meinung hat, so oder so. Mich zog das irgendwie an. Im Sportunterricht hatte ich einen Blick von ihr aufgefangen, der mir sagte, dass ich kein Risiko einging, wenn ich sie fragte, ob wir uns nicht mal außerhalb der Schule treffen wollen.
Ich ging mit ihr Eis essen, hielt mit ihr Händchen auf einer Schulparty, küsste sie vor ihrer Tür, nachdem ich sie nach Hause gebracht hatte, und ohne, dass einer von uns beiden das aussprechen musste, waren wir auf einmal zusammen. Danach veränderte sich mein ganzes Leben.
In den Pausen konnte ich nicht mehr zu meinen Freunden gehen, weil meine Freundin lieber mit mir allein auf dem Schulhof stehen wollte. Am Wochenende konnte ich nicht mehr Moped fahren, weil meine Freundin lieber in ihrem Zimmer sitzen und mit mir reden wollte. Ich konnte spüren, wie sehr sie sich darauf freute, und freitags in der Schule steckte sie mir immer schon kleine Zettel zu. Anfangs fragten meine Freunde noch, ob ich nicht mitkommen wolle, wenn sie unterwegs waren. Aber ich wusste, dass meine Freundin das nicht gut fand, also blieb ich bei ihr. Dabei wäre ich ab und zu gern mal wieder mit den Jungs mitgefahren. Andererseits wollte ich meine Freundin nicht verletzen. Es war eine echte Zwickmühle.
Auf einmal war ich wütend auf mich selbst.
Genau aus diesem Grund, sagte ich mir, hatte ich eigentlich keine Freundin haben wollen. Weil ich mich ihr dann verpflichtet fühlte und nicht mehr frei war zu sagen, was ich wollte. Ich hatte es schon vorher geahnt.