Brennende Begierde: Unter Verdacht - Tina Keller - E-Book

Brennende Begierde: Unter Verdacht E-Book

Tina Keller

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Beschreibung

Vanessa Johnson ist eine toughe Anwältin, die ihr Leben unter Kontrolle hat und sich keinen amourösen Gefühlen hingibt – bis sie auf Ethan Summers trifft, einen attraktiven, erfolgreichen Selfmade Millionär. Die sonst so coole Vanessa entflammt vom ersten Moment an mit Haut und Haaren für den geheimnisvollen Ethan. Dabei darf sie ihrem Verlangen unter keinen Umständen nachgeben, denn Ethan ist ihr Mandant, den seine Geliebte wegen sexueller Nötigung angezeigt hat. Doch so sehr sich Vanessa auch dagegen wehrt – sie gerät komplett in Ethans Bann und kann ihrer brennenden Begierde nicht länger widerstehen. Als zwei weitere Frauen Ethan anzeigen, gerät Vanessa in Panik. Hat Ethan Vanessa nur deshalb in die höchste Ekstase katapultiert, damit sie seinen Kopf rettet? Ist er am Ende doch schuldig? Oder sind seine Gefühle echt?

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Kapitel 1 - Vanessa

„Cathy, in welcher Angelegenheit ist Mister Summers hier?“

Ich blicke auf meinen elektronischen Timetable, auf den alle Mitarbeiter unserer Kanzlei Zugriff haben und sehe, dass meine Sekretärin Cathy diesen Termin vor fünf Tagen eingetragen hat. Sonst steht da allerdings nichts.

Ich halte die Taste des Telefons, die mich mit Cathy verbindet, gedrückt.

„Einen Moment, Vanessa, ich schaue nach, ob ich mir etwas dazu notiert habe.“

Ich höre ein Rascheln. Cathy führt zusätzlich einen Papierkalender, in den sie die Infos einträgt, die nicht für die Allgemeinheit bestimmt sind. Wenn jemand mich aufsucht, weil er der Pädophilie beschuldigt wird, muss das nicht der ganze Mitarbeiterstab von Wellington & Partner wissen.

„Tut mir leid, ich habe mir nichts dazu aufgeschrieben“, vernehme ich Cathys Stimme.

„Ich bin mir sicher, dass ich Mister Summers gefragt habe, warum er dich aufsuchen will. Er wollte darüber offenbar keine Auskunft geben.“

„Okay, Cathy, danke“, sage ich knapp und lasse die Taste los.

Das kommt oft vor, denn die Angelegenheiten, wegen der mich die Mandanten aufsuchen, sind in der Regel delikat, und die möchte man nicht mit der Vorzimmerdame besprechen. Dafür habe ich vollstes Verständnis.

Ich unterdrücke ein Gähnen. Seit sieben Uhr morgens bin ich in meinem Büro, jetzt ist es knapp zwölf Stunden später. Ein Ende ist nicht in Sicht, denn ich muss noch einen Schriftsatz für den Gerichtstermin übermorgen fertigmachen. Es wird ein langer Abend und eine kurze Nacht werden. Aber so ist das eben, wenn man Anwältin in einer renommierten New Yorker Kanzlei ist und bald Partnerin werden möchte. Die Chancen dafür stehen ziemlich gut. Aber der Preis ist hoch. Ein Privatleben habe ich so gut wie gar nicht mehr. Ich wohne praktisch in meinem Büro.

Ich stehe auf, ziehe mein blaues Kostüm glatt und angele nach einem Apfel. Zum Essen bin ich heute auch nicht wirklich gekommen. Wenn ich um voraussichtlich 22 Uhr zu Hause eintreffe, werde ich mir etwas vom Lieferdienst bestellen, wie immer. Die nennen mir inzwischen schon die Nummer meines favorisierten Dinners, noch bevor ich das selbst tue.

Ich habe gerade meinen Apfel verspeist, da summt mein Telefon wieder. Ich blicke auf die Uhr. Es ist kurz vor sieben. Das wird Mister Summers sein.

„Ja, Cathy?“, melde ich mich.

„Mister Summers ist hier“, lässt Cathy mich wissen.

„Danke. Du kannst ihn zu mir bringen“, erwidere ich.

Ich bin jedes Mal neugierig auf einen neuen Mandanten. Jeder hat seine Geschichte, jeder hat ein besonderes Anliegen, und jeder fühlt sich ungerecht behandelt. Es geht oft hoch her in meinem Büro, wenn die Emotionen Überhand gewinnen und die Klienten sich in Hass und Vorwürfen verlieren. Da ich mich unter anderem auf sexuelle Delikte spezialisiert habe, ist das an der Tagesordnung.

Meine Aufgabe ist es, einen kühlen Kopf zu bewahren und meinen Mandanten ihre rechtlichen Möglichkeiten aufzuzeigen. Und natürlich, diese Möglichkeiten dann auch durchzusetzen. Dafür gebe ich alles. Mein Bestreben ist immer, das Bestmögliche für meine Mandanten herauszuholen, und dafür kämpfe ich bis zum Letzten.

Von der anderen Seite der Tür höre ich Cathys Stimme und Schritte. Dann öffnet sich die Tür – und ich habe das Gefühl, ins Bodenlose zu fallen, so sehr haut mich mein neuer Mandant um.

Ethan Summers ist eindeutig einer der bestaussehendsten Männer, die ich je in meinem Leben getroffen habe. Groß, dunkelhaarig, athletisch, braun gebrannt, markantes Gesicht, stilsicher gekleidet – und er hat eine Aura, die mir die Sinne vernebelt, obwohl ich normalerweise nicht so schnell zu begeistern bin. Die Luft in meinem Büro scheint plötzlich elektrisch aufgeladen zu sein.

Das Irrste an ihm sind seine grünen Augen, die geradezu magisch sind und mit denen er mich mit einer Mischung aus Skepsis und Hoffnung mustert. Dieser Blick geht mir durch und durch. Äußerlich lasse ich mir wie immer keinerlei Gefühlsregung anmerken. Das bringt mein Beruf so mit sich.

„Ethan Summers.“

Seine Stimme ist tief und erotisch, als er mir seine Hand entgegenstreckt. Sein Händedruck ist fest und entschlossen. Ein Mann, der weiß, was er will.

„Guten Abend, Mister Summers. Vanessa Johnson. Sehr angenehm.“

Zum Glück merkt man meiner Stimme nicht an, wie es in mir aussieht. Sie klingt wie immer.

„Ganz meinerseits.“

Ethan nickt mir zu und lässt seinen Blick für einen Sekundenbruchteil über meine Gestalt gleiten. Normalerweise frage ich mich nie, was meine Mandanten beim ersten Check über mich denken. Aber jetzt wüsste ich zu gern, wie das Resultat von Ethans Betrachtung ausfällt. Mag er, was er sieht? Es heißt doch immer, man würde ganz automatisch und unbewusst in den ersten drei Sekunden entscheiden, ob man mit seinem Gegenüber ins Bett gehen würde oder nicht. Also, wie meine Antwort lauten würde, ist mir klar. Und was denkt er?

„Möchten Sie etwas trinken, Mister Summers?“, schaltet sich Cathy von der Tür aus ein. Ich habe überhaupt nicht gemerkt, dass sie immer noch dort steht, so versunken bin ich in Ethans Anblick. Obwohl uns mindestens zwei Meter trennen, habe ich das Gefühl, ich könne seine Körperwärme spüren. Das ist fast unheimlich.

„Ja, sehr gern. Einen Cappuccino, wenn das nicht mit zu viel Mühe verbunden ist“, bestellt er.

Seine Augen lassen mich nicht los, spielen mit mir, liebkosen mich, streicheln mich. Ich habe Schwierigkeiten, mich von seinem Blick zu lösen. Außerdem klopft mein Herz merklich schneller als üblicherweise.

Bilde ich mir das alles nur ein, weil ich völlig überarbeitet bin? Oder ist da tatsächlich von der ersten Sekunde an eine Verbindung zwischen uns, die rational nicht zu erklären ist?

Cathy lächelt. „Nein, natürlich macht ein Cappuccino keine Mühe. Kommt sofort.“

Leise schließt sie die Tür hinter sich.

„Nehmen Sie doch bitte Platz.“

Ich weise mit einer Handbewegung auf einen der schwarzen Ledersessel, die um einen kleinen Glastisch herumstehen.

„Danke.“

Ethan ist Gentleman genug, um zu warten, bis ich ebenfalls Platz genommen habe. Ich schlage meine Beine übereinander und zücke meinen Füllfederhalter.

„Was führt Sie zu mir, Mister Summers?“

Ethan Summers nimmt einen tiefen Atemzug, lehnt sich zurück und kneift seine Augen zusammen.

„Es ist eine sehr delikate Angelegenheit. Kann ich mich darauf verlassen, dass nichts davon an die Öffentlichkeit dringen wird?“

„Selbstverständlich, Mister Summers. Anwälte unterliegen der Schweigepflicht. Unsere Angestellten natürlich auch.“

„Gut.“ Ethan räuspert sich. „Ich habe Sie ausgewählt, weil man mir sagte, Sie seien die Beste in diesem Bereich und würden für Ihre Mandanten kämpfen bis zum letzten, und das sehr erfolgreich.“

Ich erlaube mir ein Lächeln.

„Das trifft zu. Ich tue alles in meiner Macht Stehende, um meinen Mandanten zu helfen.“

„Diese Hilfe werde ich brauchen.“

Ethans faszinierende Augen treffen meine und lösen ein Kribbeln in meiner Magengegend aus.

„Wissen Sie, normalerweise habe ich alles im Griff. Es fällt mir schwer, mich mit der jetzigen Situation auseinanderzusetzen.“

Ethan holt tief Luft und ich bin gespannt, was er mir anvertrauen wird. Ich tippe darauf, dass ihn eine Frau wegen sexueller Belästigung angezeigt hat. Das sind – in vielen verschiedenen Variationen – die meisten meiner Fälle.

„Um es kurz zu machen: Eine Frau hat mich wegen sexueller Nötigung angeklagt.“

Bingo.

Sein Blick, mit dem er mich ansieht, drückt heftige Empörung aus.

„Ich muss wohl nicht erst betonen, dass das selbstverständlich nicht den Tatsachen entspricht. Ich habe es nicht nötig, eine Frau zum Sex zu zwingen.“

Auch diesen Satz kenne ich zur Genüge. Manchmal stimmt er, manchmal nicht. Oft verzerren die Männer die Wahrheit, oft lügen aber auch die angeblichen Opfer.

„Da sind Sie nicht allein. Tatsächlich werden viele Männer zu Unrecht eines sexuellen Delikts beschuldigt“, beruhige ich Ethan.

„Experten schätzen die Zahl der Falschaussagen auf etwa sechzig Prozent.“

Ethans Miene hellt sich ein bisschen auf.

„Wirklich? Das hätte ich nicht gedacht. Was sind die Gründe?“

„Die Gründe für die unrichtige Beschuldigung, jemand habe eine Sexualstraftat begangen, sind sehr unterschiedlich“, beginne ich meinen Vortrag und entspanne mich ein wenig. Auf einer rein sachlichen Ebene kann ich mit Ethan sprechen, ohne dass er mich nervös macht. Darum werde ich nun etwas länger reden.

„Nicht selten kommt es vor, dass derartige Beschuldigungen unbewusst unrichtig erhoben werden“, teile ich ihm mit.

„Den vermeintlichen Erinnerungen an die Übergriffe liegen Verzerrungen des Erinnerungsbildes zu Grunde, beispielsweise im Falle von sogenannten Pseudoerinnerungen oder kognitiven Verzerrungen. Auch Suggestionen können dazu beitragen, dass der Vorwurf einer Sexualstraftat zu Unrecht erhoben wird. In diesen Fällen besteht die Besonderheit, dass die die Beschuldigung erhebende Person subjektiv von der Richtigkeit ihrer Angaben überzeugt ist - es handelt sich insofern um eine unbewusst zu Unrecht erhobene Beschuldigung. Gründe hierfür können weiterhin Wahrnehmungsübertragungen oder Projektionen auf eine andere Person sein.“

Ethan runzelt die Stirn.

„Das klingt für mich ehrlich gesagt nur schwer nachvollziehbar. Man weiß doch, ob man Sex wollte oder nicht.“

Ich zucke mit den Achseln. Das dachte ich auch mal, aber nach sieben Jahren Tätigkeit in diesem Bereich musste ich meine Ansicht revidieren.

„Manchmal spielt einem die Erinnerung einen Streich“, erkläre ich. „Im Nachhinein sieht man das Ganze völlig anders als zum Zeitpunkt des Geschehens. In diesem Fall ist das nicht einmal böswillig.“

„Hm.“ Ethan wirkt nicht sehr überzeugt und scheint nachzudenken. Ich rieche den Duft seines After Shaves, der mich sanft umhüllt. Männlich, herb, sinnlich. Er macht es mir schwer, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

„Dem gegenüber stehen die bewusst unrichtig erhobenen Beschuldigungen“, fahre ich fort und bemühe mich, seinen verführerischen Duft zu ignorieren.

„Diese werden dadurch charakterisiert, dass die beschuldigende Person sich im Moment der Aussage der Unrichtigkeit ihrer Angaben bewusst ist. Hierbei können die Elemente der bewussten Täuschung variieren; angefangen von der vollständig ausgedachten Vergewaltigungs-Geschichte, bis hin zu bewussten Übertreibungen an den entscheidenden Stellen, indem beispielsweise der Verlauf eines Abends einschließlich des Beginnes des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs wahrheitsgetreu wiedergegeben wird, dann jedoch wahrheitswidrig von der Frau vorgebracht wird, sie habe sich während des laufenden Geschlechtsverkehrs körperlich gewehrt und gesagt, dass sie dies nicht wolle, woraufhin der angebliche Täter den Akt gegen ihren Willen fortgesetzt habe. In der Fachsprache bezeichnet man eine derart strukturierte Falschbeschuldigung als konfabulatorische Anreicherung eines realen Kerns. In der Praxis wird eine vollständig erdachte Täuschung in der Regel unterstützt durch selbstverletzendes Verhalten, um der Fantasiegeschichte den Anschein von Glaubwürdigkeit zu geben.“

„Aha“, macht Ethan und runzelt die Stirn.

Er sieht wirklich anbetungswürdig aus. Und ich kann kaum glauben, dass ich so etwas tatsächlich denke. Anbetungswürdig! Was ist denn das für ein bescheuertes Wort in Bezug auf einen Kerl? Sein Parfüm muss ja wohl völlig meine Sinne vernebelt haben!

„Können Sie mir so weit folgen?“, erkundige ich mich.

Ethan lächelt. Himmel, jetzt sieht er noch verführerischer aus, sofern das überhaupt möglich ist.

„Ja, das kann ich“, bestätigt er und seine Augen funkeln belustigt.

‚Ich bin ja kein Vollpfosten‘, scheint er mir zu sagen und ich lächele zurück. Nein, das ist er ganz sicher nicht. Er ist die seltene Kombination aus atemberaubendem Aussehen und Grips. Die meisten Männer haben entweder das Eine oder das Andere. Ethan hat beides, und das macht ihn ungeheuer attraktiv und anziehend.

Die Tür öffnet sich und Cathy erscheint mit dem Cappuccino, den sie auf dem Tisch abstellt.

„Bitte sehr, Mister Summers.“

„Vielen Dank, Cathy.“

Aha, er hat sich also den Namen meiner Assistentin gemerkt. Die meisten Mandanten können sich auch nach mehrmaligen Besuchen nicht an Cathys Namen erinnern, weil eine Sekretärin für sie so unwichtig ist, dass sie sie sofort wieder vergessen. Ethan ist da anders. Das macht ihn gleich noch sympathischer.

Kapitel 2 - Vanessa

Cathy geht zur Tür und schließt sie leise hinter sich. Ethan greift zur Tasse und trinkt einen Schluck. Selbst das sieht bei ihm sexy aus. Ich bin wie hypnotisiert und mein ganzer Körper kribbelt. Er wirkt so stark und männlich, er sieht so verdammt gut aus und überhaupt … Ich könnte ihm stundenlang dabei zusehen, wie er Kaffee trinkt. Ich bin wirklich verrückt. Wahrscheinlich sieht er sogar erotisch aus, wenn er auf der Toilette sitzt.

Nein, das habe ich jetzt nicht gedacht!

Ethan setzt die Tasse wieder ab.

„Und die Gründe?“, erkundigt er sich. „Was sind die Gründe?“

Ich räuspere mich. Von welchen Gründen spricht er? Gründe wofür? Ich erinnere mich nicht mehr daran, was ich ihm eigentlich gesagt habe. Fragend blicke ich ihn an. Ein feines Lächeln umspielt seine Lippen. Weiß er, was sein Anblick mit mir macht? Ich fürchte, er weiß es ganz genau. Ein Mann wie Ethan Summers weiß, wie er auf Frauen wirkt. Oh mein Gott, ist das peinlich. Er hat eine adäquate Anwältin aufgesucht, die sich als sabbernde, chronisch untervögelte Frau entpuppt und nicht mehr weiß, was sie vor zwei Minuten zu ihm gesagt hat.

„Was sind die Gründe für eine absichtliche Beschuldigung?“, hilft er mir.

Ethan trägt einen Anzug, aber keine Krawatte. Die ersten zwei Knöpfe seines weißen Hemdes sind offen. Ich will das nicht, aber ich stelle mir gerade vor, wie ich die restlichen Knöpfe öffne und über seine offenbar glattrasierte Brust streiche. Hitze steigt in mir auf und überschwemmt meinen Körper. Warum reagiere ich so extrem auf ihn? Das ist wirklich unangemessen und höchst unprofessionell. Ich muss mich endlich zusammenreißen!

„Ich werde Ihnen einige der typischen Motive für eine absichtliche Täuschung nennen“, erwidere ich und bemühe mich, meinen Blick von seiner Brust loszureißen. Was nicht einfach ist.

„Manchmal wollen die angeblichen Opfer Mitleid und Aufmerksamkeit erregen“, erläutere ich.

„Die Falschaussage ist in diesen Fällen ein Ausdruck von Einsamkeit, Verlassenheit, Angst, emotionaler Gleichgültigkeit und Frustration. Hierbei wurzeln die Aussagen in der Regel auf einem Geltungsbedürfnis. Die angeblichen Opfer suchen Mitgefühl, Zuwendung, Aufmerksamkeit und Fürsorge. Häufig werden Falschbeschuldigungen in derartigen Konstellationen gegenüber einem männlichen Familienmitglied erhoben, zu welchem nur flüchtig Kontakt besteht. Beispielsweise gegenüber dem Vater, zu dem das Kind kein gutes Verhältnis mehr hat oder gegenüber einem bereits wieder getrennt lebenden Ex-Freund der Mutter.“

Zum Glück habe ich diesen Vortrag schon x-mal herunter gespult, ich kann ihn in- und auswendig. Ich kann ihn sogar abspulen und dabei Ethans Körper studieren. Schade, dass sein Anzug so viel davon verhüllt. Er hat bestimmt muskulöse Oberarme und ein Sixpack. Selbst unter dem Anzug wirkt er total durchtrainiert. Ich hätte die Heizung anstellen sollen, dann hätte er zumindest seine Jacke ausgezogen.

„Oft machen sich die Falschbeschuldiger zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Gedanken über die strafrechtliche Relevanz ihres Verhaltens und möchten diese selbst auch gar nicht zur Anzeige bringen. Sofern die Strafanzeige dann aber von einem Freund oder Familienmitglied gestellt wird, sind sie in dieser Geschichte gefangen und behaupten sodann gegenüber den Ermittlungsbehörden hartnäckig weiter, vergewaltigt oder sexuell missbraucht worden zu sein.“

Ich halte inne. Ethan hat mir aufmerksam zugehört.

„Ich kann Ihnen immer noch folgen“, sagt er und lehnt sich zurück. „Doch davon trifft bis jetzt nichts auf mich zu.“

Ich nicke. „Konflikte im sozialen Umfeld oder Partnerschaft sind ebenfalls häufig Ursache einer bewussten Falschbeschuldigung“, fahre ich fort.

„So erzählte beispielsweise eine junge Frau, um ihren Exfreund zurückzugewinnen, sie sei überfallen und vergewaltigt worden und erhoffte sich dadurch die fürsorgliche Zuneigung des besorgten Exfreundes. Ebenso möglich ist es, dass der Exfreund aus Eifersucht oder sonstigen Rachemotiven zu Unrecht einer Sexualstraftat bezichtigt wird.“

Ethan nickt. „Ja, das leuchtet ein.“

Mein Herz klopft schneller, als er aufsteht und sich jetzt tatsächlich sein Sakko auszieht. Kann er Gedanken lesen? Und wie ich mir das schon gedacht habe, sind unter seinem Hemd deutlich seine trainierten Oberarme zu erkennen. Wie muss es sich anfühlen, von diesen starken Armen festgehalten zu werden? Zieht er seine Jacke aus, um mich durcheinander zu bringen? Oder ist ihm einfach nur heiß?

Es fällt mir deutlich schwer, weiter zu sprechen, so albern das auch ist. Ethan steht ja schließlich nicht nackt vor mir!

„In einem Fall verliebte sich eine junge Frau in einen Mann und hatte mit ihm einvernehmlichen Geschlechtsverkehr“, sage ich mit trockenem Mund.

„Nach dem Akt offenbarte ihr der Mann, dass er keine tiefergehenden Gefühle für sie hege und nicht mit ihr zusammen sein wolle. Als Reaktion auf diese empfundene Demütigung zeigte sie ihn wegen Vergewaltigung an.“

Das ist ehrlich gesagt das, was ich auch in Ethans Fall vermute.

„Das ist alles sehr interessant, Miss Johnson.“

Ethan nickt mir zu. Offenbar hat er jetzt genug von meinen langweiligen Vorträgen.

„Darf ich Sie fragen, ob Sie eher die Beschuldigten oder die Ankläger vertreten?“, will er wissen und greift wieder zum Cappuccino.

Heißt es nicht, so, wie jemand isst und trinkt, ist er auch im Bett? Ethan genießt den Cappuccino offenbar sehr und schließt sogar kurz die Augen, um den Geschmack voll auszukosten. Er ist sicher in allen Lebenslagen ein Genießer, auch im Bett.

Warum ist es hier plötzlich so unerträglich heiß? Richtig, auch ich trage noch meine Kostümjacke. Ich folge Ethans Beispiel, stehe auf und ziehe sie mir aus. Jetzt haben wir beide schon jeweils ein Kleidungsstück abgelegt. Guter Anfang. Wenn das so weiter geht, stehen wir am Ende womöglich in Unterwäsche da und es kann losgehen!

„Es hat sich so entwickelt, dass meist die Beschuldigten zu mir kommen“, erkläre ich und würde mir am liebsten auch noch die Bluse vom Leib reißen. Und den Rock. Eigentlich alles.

„Je öfter ich diese vertreten habe und umso mehr sich herum gesprochen hat, dass ich dies durchaus mit Erfolg tue, desto mehr Beschuldigte finden den Weg in unsere Kanzlei.“

„Ist das nicht ungewöhnlich?“ Ethan hebt die perfekt geschwungenen Augenbrauen und steht nun ebenfalls auf.

„Ich hätte eher gedacht, dass die vermeintlichen Opfer von Anwältinnen vertreten werden und die männlichen Beschuldigten von Anwälten. Ist das nicht so?“

Ich schüttele den Kopf und gehe einen Schritt auf ihn zu. Wir taxieren uns.

„Nein, ganz und gar nicht. Die Beschuldigten wählen in der Mehrheit eine Anwältin und keinen Anwalt.“

Ich lächele wieder.

„Das haben Sie ja auch getan, Mister Summers.“

„Stimmt.“

Ethan lächelt etwas gequält zurück. Mir ist klar, dass er sich in keiner angenehmen Situation befindet. Darum habe ich ihm auch so viele Fakten aufgezählt. Meist entspannt es die Klienten ein bisschen, wenn sie nicht sofort mit ihrer eigenen Geschichte loslegen müssen. Das kostet einiges an Überwindung. Jeder Mann schämt sich, wenn er der sexuellen Nötigung angezeigt worden ist; egal, ob zu Recht oder zu Unrecht.

„Kommen wir nun zu Ihnen“, beschließe ich und setze mich wieder. Jetzt geht es ans Eingemachte und ich muss mir alles ganz genau aufschreiben. Ethan folgt meinem Beispiel und nimmt ebenfalls wieder Platz.

„Können Sie mir die Fakten nennen? Kennen Sie die Frau, die Sie angezeigt hat?“, will ich wissen.

Ethan nickt. „Sie heißt Debbie Morris und ja, ich kenne sie. Ich hatte eine Affäre mit ihr.“

Ethan fährt sich über seinen Drei-Tage-Bart.

„Sie behauptet, ich hätte sie vergewaltigt. Das ist natürlich Blödsinn. Ich habe keine Ahnung, warum sie so etwas sagt. Sie lügt.“

„An welchem Tag soll das passiert sein?“, frage ich weiter.

„Vor genau zwei Wochen, am 8. August, gegen 22 Uhr“, gibt Ethan Auskunft.

„War Miss Morris zu dieser Zeit tatsächlich bei Ihnen?“, erkundige ich mich.

Ethan nickt. „Ja, das war sie. Wir waren in einem Hotel, dem Heaven’s Gate. Und wir hatten auch Sex, allerdings nicht in der Art und Weise, wie sie das beschreibt.“

„Was für einen Grund könnte sie haben, Sie zu beschuldigen? Möchte sie vielleicht etwas von Ihnen, das Sie nicht wollen? Eine feste Beziehung zum Beispiel?“, forsche ich weiter.

Das ist unbestritten der Klassiker. Eine enttäuschte Liebe gipfelt oft in einer Anzeige, um dem Mann die Verletzung zurückzugeben, die die Frau ihres Empfindens nach selbst erlitten hat. Wenn sie ihn schon nicht haben kann, dann soll er dafür wenigstens büßen.

Ethan schüttelt den Kopf.

„Nein. Wir sind uns einig, dass wir es bei gelegentlichen Treffen belassen. Ich habe nicht den Eindruck, dass sie verliebt in mich ist. Es ist keine Racheaktion wegen verletzter Gefühle, falls Sie das meinen.“

Tja, das glauben die Männer oft. Und doch ist es oft genau das.

„Und was meinen Sie?“, hake ich nach. „Können Sie sich irgendeinen Grund vorstellen?“

Ethan stöhnt auf und sieht plötzlich ganz verzweifelt aus.

„Nein, das kann ich eben nicht. Und ich kann sie schlecht fragen, sonst würde sie mir sicher noch eine zweite Anzeige anhängen. Warum kann ich die Anzeige eigentlich nicht sehen? Ich muss doch wissen, was genau mir vorgeworfen wird. Ich meine, im Detail.“

„Zunächst mal haben Sie sicher eine Vorladung zur polizeilichen Beschuldigtenvernehmung erhalten“, erkläre ich Ethan.

„Sie werden damit aufgefordert, bei der Polizei zur Vernehmung zu erscheinen und Angaben zu den Tatvorwürfen zu machen. Sobald Sie mich mit der Wahrnehmung Ihrer Interessen beauftragt haben, melde ich mich für Sie bei der Polizei und sage den Vernehmungstermin ab. Ab diesem Moment weiß auch die Staatsanwaltschaft, dass Sie anwaltlich vertreten werden. Gleichzeitig beantrage ich, Einsicht in die Ermittlungsakte zu erhalten. Diese wird mir nach etwa sechs bis acht Wochen zugesandt.“

„Was? So lange dauert das?“, ruft Ethan, dem das Entsetzen ins Gesicht geschrieben ist.

„So lange gelte ich als schuldig? So lange muss ich damit herumlaufen? Geht das denn nicht schneller?“

„Leider nicht“, bedauere ich. „Darauf habe ich leider keinen Einfluss. Sie müssen sich in Geduld fassen, so schwer es auch fällt. Aber Sie gelten bis dahin natürlich nicht als schuldig. Es heißt nicht umsonst ‚Im Zweifel für den Angeklagten‘.“

Ethan stöhnt auf und rollt mit den Augen. Das ist die übliche Reaktion meiner Klienten, wenn ich ihnen den zeitlichen Ablauf erkläre. Ich kann es verstehen, aber die Mühlen der Justiz mahlen nun einmal sehr langsam, daran kann ich nichts ändern.

„Die Ermittlungsakte enthält die bisherigen Ergebnisse sowie die Aussagen des mutmaßlichen Opfers“, teile ich Ethan mit.

„Ich scanne daraufhin die Akte ein und leite sie Ihnen zur Kenntnisnahme weiter. Dann sehen wir uns die Ermittlungsakte genau an. Hierbei analysiere ich die Akte nach eventuellen Unstimmigkeiten unter aussagepsychologischen Gesichtspunkten. Auch Sie müssen die Ermittlungsakte aufmerksam lesen und diese nach Widersprüchen in tatsächlicher Hinsicht durchsehen. In Einzelfällen kann es sich anbieten, eine Art Gegendarstellung des Geschehens abzugeben. Treten in rechtlicher Hinsicht Unklarheiten auf, werden diese herausgearbeitet. Nach eingehender Analyse und Auseinandersetzung mit den Inhalten wird es uns hoffentlich schnell gelingen, das Ermittlungsverfahren außergerichtlich einzustellen. In den allermeisten meiner Fälle klappt das.“

„Ich kann nicht sechs bis acht Wochen warten“, sagt Ethan finster und zieht seine Augenbrauen zusammen.

„Das ist eine Tortur. Sie müssen das früher klären. So lange kann ich mit dieser Anklage nicht herumlaufen.“

„Anzeige“, verbessere ich ihn automatisch.

„Es ist mir ganz egal, wie Sie das nennen“, fährt Ethan mich an.

„Ich habe Debbie nicht vergewaltigt und Sie müssen herausfinden, warum sie das behauptet – und es natürlich entkräften.“

„Das werde ich auch, aber ich muss den Dienstweg einhalten“, mache ich Ethan klar.

„Ich kann die Übersendung der Ermittlungsakte nicht forcieren.“

„Dann gehen Sie zu Debbie und fragen Sie sie, warum sie so einen Schwachsinn erzählt“, fordert Ethan mich wütend auf.

„Das darf ich nicht“, erläutere ich. „Da sind mir leider die Hände gebunden.“

Ethan stößt geräuschvoll den Atem aus und vergräbt seinen Kopf in den Händen.

„Können Sie denn nicht irgendetwas tun, Miss Johnson? Ich dachte, Sie seien die Beste?“, fragt er hoffnungsvoll.

Oh Gott, er sieht so mürbe aus, dass ich ihm am liebsten übers Haar streichen und ihn in die Arme nehmen würde. Ich habe schon Männer in meiner Kanzlei erlebt, die haben bitterlich geweint, weil ihnen so eine Anzeige das ganze Leben zerstört hat. Manchmal könnte ich die Frauen, die so etwas aus reiner Bosheit und gekränktem Stolz tun, wirklich schütteln, bis ihnen schlecht wird. Ich verstehe, dass man verletzt ist, wenn man zurückgewiesen wird, aber man darf trotzdem nicht das Leben eines anderen Menschen kaputt machen. Dafür kämpfe ich.

„Trotzdem kann ich nicht sämtliche Regeln außer Kraft setzen. Sie müssen sich einfach gedulden“, wiederhole ich, obwohl ich gern etwas ganz anderes sagen würde.

„Das kann ich nicht!“ Ethan springt auf und fängt an, nervös im Zimmer auf und ab zu laufen.

„In diesem Fall kann ich das wirklich nicht. Das müssen Sie doch verstehen.“

„Jetzt erzählen Sie mir erst mal Ihre Version des Ablaufs an dem besagten Abend“, ermuntere ich ihn.

„Was ist wirklich passiert?“

Ethan zuckt mit den Schultern und bleibt endlich stehen.

„Es war so, wie Sex üblicherweise abläuft“, erklärt er. „Wir haben uns aufs Bett gelegt, geküsst, gestreichelt, ausgezogen und es getan. Ganz normal eben.“

Seine Augen werden dunkel, während es mir plötzlich schwer fällt, zu atmen.

Wir haben es getan. Ganz normal eben.

Was ist für diesen Mann normal? Wie macht er es mit einer Frau? Ist er zärtlich oder dominant? Macht er es sanft oder hart und fest?

Schnell schiebe ich diese Gedanken von mir. Was ist heute nur mit mir los? Ich glaube, ich bin total überarbeitet. Ja, natürlich bin ich auch chronisch untervögelt, denn mein letzter Sex liegt schon so lange zurück, dass ich mich gar nicht mehr daran erinnern kann. Und jetzt kommt ein wahnsinnig attraktiver Mann des Weges und erzählt mir, wie er Sex hatte. Normalerweise tangiert mich das nicht besonders, denn ich höre diese Schilderungen täglich, das ist für mich Routine. Mich interessieren nur die Fakten und ich stelle mir gar nichts vor.

Aber bei Ethan Summers ist das anders. Das ist nicht sehr professionell und ich schäme mich dafür, aber ich kann trotzdem nicht verhindern, dass ich mir eine Sekunde lang vorstelle, wie Ethan beim Sex aussieht. Und noch mehr schäme ich mich dafür, dass mir dabei ganz heiß wird.

„Okay. Miss Morris hat Ihnen demzufolge nicht zu verstehen gegeben, dass sie den Geschlechtsakt nicht mit Ihnen vollziehen wollte?“, vergewissere ich mich.

Ethans Augen blitzen.

„Nein, ganz bestimmt nicht. Im Gegenteil. Sie konnte es kaum erwarten. Sie hat förmlich darum gebettelt.“

Mir wird noch heißer. Ich verscheuche die Bilder, die jetzt in meinen Kopf entstehen, doch so ganz gelingt es mir nicht.

„Wie lange verkehren Sie schon mit Miss Morris?“, will ich wissen und beiße mir im selben Moment auf die Lippe. Das war jetzt eindeutig zweideutig. Mist.

Um Ethans Mundwinkel zuckt es. Er hat meinen Fauxpas durchaus bemerkt.

„Wir hatten seit etwa einem Jahr ein Verhältnis und trafen uns ein bis zweimal die Woche“, teilt er mir mit.

„Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten wir uns noch häufiger getroffen, aber mir wäre das zu viel gewesen.“

Ich schlucke. Sie konnte also nicht genug von seinen Künsten als Liebhaber bekommen. Ob er so gut darin ist?

Klar ist er das. Er ist ein Genießer und er ist verdammt gut durchtrainiert. Was braucht man mehr, um ein talentierter Lover zu sein?

„Also relativ regelmäßig“, stelle ich mit trockenem Gaumen fest.

Ethan nickt und fixiert mich mit Blicken, die mich ganz nervös machen. Welche Bilder hat er jetzt vor Augen? Dieselben wie ich?

„Und in dieser Zeit gab es zwischen Ihnen keinerlei Irritationen oder Missverständnisse?“, hake ich nach.

Ethan schüttelt den Kopf.

„Nein, die gab es nicht. Nie. Darum ist es mir auch so unverständlich, was das Ganze jetzt soll. Es macht mich verrückt, dass ich Debbie nicht einfach fragen kann.“

‚Ob es ihn auch verrückt macht, dass er mit ihr jetzt keinen Sex mehr haben kann?‘, frage ich mich unwillkürlich. Wenn er diesen regelmäßigen Sex seit einem Jahr gewohnt ist, muss ihm doch jetzt etwas fehlen, oder nicht?

Ich wische unauffällig mit meiner verschwitzten Handinnenfläche über mein Knie. Oh mein Gott, seit wann mache ich mir Gedanken über das Sexleben eines Mandanten? Bei so einem attraktiven Mann wie Ethan muss ich mir ganz sicher keine Sorgen machen. Der findet überall eine Frau, die nur zu gern mit ihm das Bett teilt.

„Das verstehe ich, aber daran müssen Sie sich unbedingt halten, sonst machen Sie die Angelegenheit nur noch schlimmer“, warne ich ihn.

Ethan blickt mich finster an.

„Eine Frau, mit der ich ein Jahr lang geschlafen habe, erzählt dreiste Lügen über mich, und ich darf sie nicht mal zur Rede stellen“, murmelt er. „Das ist nicht sehr fair.“

„Ich weiß.“ Aufmunternd nicke ich ihm zu.

„Mister Summers, ich werde wirklich alles in meiner Macht Stehende tun, um Sie zu entlasten, aber wir müssen uns jetzt trotzdem erst einmal in Geduld fassen. Es ist mir klar, dass Ihnen das sehr schwer fällt. Ich bin sicher, ich werde die Angelegenheit zu Ihrer Zufriedenheit klären können.“

Ethan holt tief Luft.

„Das hoffe ich. Nichts für ungut. Ich weiß, dass Sie den Dienstweg einhalten müssen. Es ist nur so ein ekelhaftes Gefühl, so etwas angehängt zu bekommen.“

Ja, das ist mir mehr als klar. Es gibt Männer, die haben sich deshalb umgebracht. Aber als so labil schätze ich Ethan nicht ein. Er ist stark und ein Kämpfer. So wie ich.

Kapitel 3 - Vanessa

Ich spüre immer noch seinen festen, warmen Händedruck, als er längst verschwunden ist. Sein verführerisches Parfüm hängt in der Luft. Ich bin völlig benebelt von seiner Aura und dem ganzen Mann. So extrem habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht auf einen Kerl reagiert. Es ist mir richtig unheimlich.

Cathy räumt gerade ihren Schreibtisch auf. Sie ist genauso lange in der Kanzlei wie ich, seit sieben Jahren. Über die Jahre hat sich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen uns entwickelt und manchmal unternehmen wir sogar etwas gemeinsam.

„Wow, der sah ja heiß aus“, nimmt Cathy wie üblich kein Blatt vor den Mund und verdreht die Augen.

„Ich bin fast umgefallen, als ich ihm die Tür geöffnet habe. Was hat ‚Mister Hot and Sexy‘ denn für ein Problem?“

Ich muss lachen. Bei all dem juristischen Gequatsche und den trockenen Schriftsätzen tut es gut, zwischendurch mal eine flapsige Bemerkung zu hören.

„Du wirst es sowieso mitkriegen, wenn du die Unterlagen für ihn fertigmachst, aber ich bitte dich, über den Fall absolutes Stillschweigen zu bewahren“, schärfe ich Cathy ein.

„Das tue ich doch immer“, erwidert sie leicht beleidigt. „Habe ich schon jemals etwas ausgeplaudert?“

„Nein, natürlich nicht“, bestätige ich. „Ich wollte es nur noch mal erwähnen, weil es eine delikate Angelegenheit ist. Eine Frau, mit der er seit einem Jahr ein Verhältnis hat, hat ihn der sexuellen Nötigung bezichtigt.“

Cathy lässt den Stapel Papiere fallen und reißt ihre Augen weit auf. Dann schüttelt sie empört den Kopf.

„Nein! Niemals! Das glaube ich nicht. Du etwa? Das hat er doch gar nicht nötig – so, wie er aussieht. Dem laufen die Frauen doch scharenweise nach. Ethan muss ganz bestimmt keine Frau zum Sex zwingen.“

Keine Frage: Auch auf meine Sekretärin hat Ethan einen unwiderstehlichen Eindruck gemacht. Ich grinse in mich hinein.

„Das streitet niemand ab, aber das sind zwei verschiedene Paar Schuhe, das weißt du genauso gut wie ich“, seufze ich.

„Auch, wenn er fantastisch aussieht und sich vor Angeboten kaum retten kann: Es ist durchaus möglich, dass er mit einer Frau zusammen war, die plötzlich doch keine Lust mehr hatte, mit ihm zu schlafen. Und wenn er aber große Lust hatte und sie ihn heiß gemacht hat und er sich nicht mehr beherrschen konnte … naja. Du weißt, wie mächtig der Sexualtrieb sein kann. Du kennst unsere Fälle genauso gut wie ich, Cathy.“

„Du meinst, er war so geil, dass er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte, weil er unbedingt vögeln wollte?“, bringt Cathy es in der ihr eigenen Art exakt auf den Punkt.

Ich nicke. „Ja, genau so könnte es gewesen sein. Sein Aussehen hat damit rein gar nichts zu tun.“

Ich habe schon mit einigen Männern gesprochen, die eine Frau vergewaltigt haben, und sie gaben an, dass sie „wie im Rausch waren und nicht mehr wussten, was sie taten“. Der Trieb und der Drang, zum sexuellen Höhepunkt zu kommen, war so stark und übermächtig, dass sie einfach in die Frau eindringen mussten. Sie waren „wie von Sinnen“ und hatten „nur noch das Bedürfnis, sich endlich zu entladen und zur Ruhe zu kommen“.

---ENDE DER LESEPROBE---