Brief an die Mutter eines Säuglings über weibliches Begehren und Mütterlichkeit - Gesine Palmer - E-Book

Brief an die Mutter eines Säuglings über weibliches Begehren und Mütterlichkeit E-Book

Gesine Palmer

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Beschreibung

Eine Freundin hat der Verfasserin des Briefes das Buch "Wie ich Rocko S. vergewaltigt habe" gegeben. Sie ahne, dass das Buch kühn sei, und zugleich könne sie persönlich nichts damit anfangen. Die Briefautorin antwortet, indem sie psychoanalytische und philosophische Hintergründe beleuchtet und Rotkopfs Bericht aus der pornografisch-gewaltsamen Sexualität das Konzept "erotischer Genialität" gegenüberstellt, das aus dem Freundinnenbriefwechsel von Hannah Arendt gewonnen wurde.

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Seitenzahl: 46

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Brief an die Mutter eines Säuglings über weibliches Begehren und Mütterlichkeit

Brief an die Mutter eines Säuglings über weibliches Begehren und MütterlichkeitDas Leben mit einem kleinen Kind als Krise des SelbstbewusstseinsHannah Arendt und ihre FreundinnenSonderfall FrankreichErotische Genialität gegen PornografieMarie Rotkopfs AttackeNoch ein Wort zu LacanKleiner Exkurs zu Freud und Kraus nach WienBriefschlussImpressum

Brief an die Mutter eines Säuglings über weibliches Begehren und Mütterlichkeit

Brief an die Mutter eines Säuglings über weibliches Begehren und Mütterlichkeit 

Zugleich eine Besprechung von Marie Rotkopfs „Wie ich Rocko S. vergewaltigt habe“ 

Gesine Palmer

Liebe W! 

Wenn wir uns in letzter Zeit getroffen haben, war ich oft berührt von dem Aufruhr der Gefühle, der sich – Deiner großen Zurückhaltung wegen – nur sehr vorsichtig, aber doch unübersehbar zeigt. Was meint man, wenn man sagt, man sei „berührt“? Ich meine in diesem Brief damit, dass Du etwas in mir zum Klingen bringst, das ich relativ weit entfernt von meinem Alltagsbewusstsein in mir abgelegt habe, weil mein Alltag es nicht erfordert. Meine Kinder sind beide schon über 25 Jahre alt, und auch mein Leben als Teil eines Paares liegt schon etwas zurück. Ich brauche also in meinem nicht immer leichten Alltag völlig andere Gefühlseinstellungen als Du. Und doch erinnerst Du mich an Zeiten, die eben anders waren. Ich versuche, Dich nicht mit meinen mehr oder weniger abgeklärten Weisheiten zu belästigen – aber nun hast Du mich nach meiner Meinung zu diesem Buch von Marie Rotkopf gefragt: "Wie ich Rocko S. vergewaltigt habe". Du selbst hast das Buch professionell sehr gründlich und in beiden Sprachen, deutsch und französisch, gelesen - und Du hast mir gesagt, Du weißt wirklich nicht, wie Du es findest.

https://ink-press.ch/buecher/wie-ich-rocko-s-vergewaltigt-habe-comment-jai-viole-rocko-s/

Wie sollst Du auch? Du lebst gerade ein sehr dichtes Leben, Dein wenige Monate junges Kind hat sozusagen erst einmal übernommen: Du bist fassungslos begeistert und unendlich angestrengt zugleich, Du fühlst Dich mehr denn je auf die Unterstützung durch Deinen Mann angewiesen und zugleich, wie Du mehrfach gesagt hast, wenig imstande, ihm mit derselben Liebe zu begegnen, die Du vorher für ihn empfunden hast, weil da nun einfach dieses Kind ist, das Deine Liebe ganz beansprucht. Du machst, so weit ich das sehen kann und so weit wir es heute wissen, so ziemlich alles richtig mit dem Kind, und das Kind dankt es Dir. Aber Du fürchtest um die Kontinuität Deines Lebens als arbeitende, erwachsene, sehr begabte und hochqualifizierte Frau, Du fürchtest um Deine sozialen Beziehungen, an denen Du nicht wenig gearbeitet hast, Du fürchtest um Deine erwachsene Paarbeziehung und nicht zuletzt auch um Deine erotische Potenz – nicht nur als potentiell anziehende Frau (Schönheit hast Du noch reichlich, und die wird vermutlich nicht so schnell vergehen), sondern eben auch als eine begehrende Frau. Ich möchte darauf gern antworten. Es kommt mir oft so vor, als fehlte in dieser etwas zerbrechlichen Lebenslage vor allem die Verlässlichkeit einer guten weiblichen Tradition. Mir hat sie jedenfalls gefehlt, als ich kleine Kinder hatte.

Das Leben mit einem kleinen Kind als Krise des Selbstbewusstseins

Das Leben mit einem kleinen Kind als Krise des Selbstbewusstseins 

Tatsächlich ist das Leben mit einem noch sehr kleinen Kind wohl die Situation, in der der ganze kritische Charakter unseres modernen weiblichen Selbstbewusstseins als selbständige Frauen besonders deutlich offenbar wird. Wir kennen bis zum Überdruss die reaktionäre „Argumentation“, die aus dieser Offenbarung als sozusagen „gottgestempelt“ ableiten will, dass die ganze Emanzipation eben ein Irrweg sei, und dass es gerade uns Frauen besser ginge, wenn wir uns als Frauen wieder in die alte patriarchale Familienordnung ducken würden, zumal diese doch, richtig angefasst, uns auch sehr viel Macht, halt innerfamiliäre, und sehr viel Raum für Kreativität, halt mehr in allen häuslichen Dingen, erlauben würde. Und, selbst schon ganz erschöpft von den Daueranforderungen auf allen Gebieten, hören wir immer öfter auch Frauenstimmen, die entweder die Mutterschaft ganz verwerfen (brauchen wir alles nicht, „bereuen“ wir, wie Orna Donath, usw.) oder über den Umweg einer pseudolinken, pseudoliberalen Verharmlosung, Verkitschung oder gar Verkultung fremder Kulturen mal eben die mühselig erkämpften Frauenrechte, mit denen jede Frau gleichunmittelbar zur Öffentlichkeit ist, als „westliche Erfindung“ wieder ganz grundsätzlich zur Debatte stellen.

Für mich kommen alle diese Rückwärtsbewegungen, die offenen und die verschleierten, auf keinen Fall in Frage. Ich glaube vielmehr, dass selbst noch die „regretting motherhood“ Welle ein pseudomoderner Trend ist, geleitet von einer falschen Auffassung dessen, was die freie Moderne eigentlich mal wollte. Und ich möchte in diesem etwas ausführlicheren Brief an Rotkopfs Buch einerseits, an einigen herbeigezogenen früheren Texten erklären, warum ich immer noch an die moderne Idee der Freiheit auch für die begehrende und mütterliche, also für die ganz weibliche Frau, glaube - und wo ich die Hindernisse sehe. 

Du sagst, die Geschichte in dem Buch von Rotkopf ist Dir ganz besonders fremd, seit Du mit Deinem Kind beschäftigt bist. Also war sie es vorher nicht gar so sehr? Das leuchtet mir durchaus ein. Denn tatsächlich offenbart ja dieses Leben mit kleinem Kind stärker als alles Sonstige, wie wenig wir uns selbst und unsere Gefühle, gar die Gefühle der anderen um uns, wirklich in der Hand haben. Während das Buch von Rotkopf besonders exzessiv vorführt und geradezu ausbuchstabiert, wie es einem weiblichen Menschen gehen könnte, der sich vornimmt, das eigene Begehren und die volle Bewegungsfreiheit in der Welt in die Hand zu bekommen. Das war jedenfalls mein erster Eindruck von dem Buch: ich las es von der ersten Seite (auf der das Wort „eindringen“ schon fällt) an als einen Versuch, mit doppelt inversiver Gewalt sich etwas anzueignen, was in einer die Sexualität entweder ganz phallisch oder als gefährliche Krankheit repräsentierenden Sprach- und Denkwelt nach wie vor nicht greifbar zu sein scheint: ein weibliches Begehren. 

Eigentlich dachten wir ja mal, wir hätten das schon so halbwegs durchanalysiert und hinbekommen, also die Frauen meiner Generation und der Generation vor meiner. So habe ich immer wieder mit Studierenden und anderen Gesprächspartner*innen Jessica Benjamin gelesen, die in ihrem wunderbaren Buch über „die Fesseln der Liebe“ aus den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts den berühmten Titel A Room of One’s Own von Virginia Woolf abwandelt. In dem zentralen Kapitel