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Juergen von Rehberg, Jahrgang 1944, lebt in Österreich in der Wachau. Begonnen hat alles mit selbst verfassten Gedichten zum Muttertag. Später kamen dann kleinere Geschichten dazu, geschöpft aus eigenem Er-leben und aus Erzählungen seiner Eltern. Andere Geschichten stammen aus dem Reich der Fantasie, über welche der Autor in reichem Maße verfügt. Inzwischen sind schon 40 Romane, Krimis und Biografien entstanden. Juergen von Rehberg versteht seine Bücher als "literarische Snacks", die er nicht lektorieren lässt, damit sein eigener Sprachduktus in seiner Ursprünglichkeit er-halten bleibt. https://www.juergen-von-rehberg.at
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Seitenzahl: 79
Das Gasthaus „Zur Eiche“ stand in einem kleinen Ort, der überschaubar viele Einwohner hatte, und den die Einwohner scherzhaft „Two-River-Town“ nannten.
Diese Bezeichnung bezog sich auf die Tatsache, dass in diesem Ort zwei Flüsse eine Verbindung eingingen. Der eine, eher ein Bächlein, begehrte Einlass bei einem größeren, der die Bezeichnung „Fluss“ durchaus verdiente.
Bei der Namensgebung des Ortes stand auch der zweisilbige Teil eindrucksvoll vor seinem einsilbigen Anhängsel.
Es war nach dem Krieg, und die noch vorhandene Bevölkerung strebte - jeden Tag ein bisschen mehr – wieder der Normalität zu, wie sie vor dem Krieg geherrscht hatte.
Viele Männer waren nicht mehr zurückgekehrt, und andere Dorfbewohner ließen durch die zerstörerische Wirkung des Krieges ihr Leben oder durch Krankheiten, welcher ein solcher hie und da mit sich zu bringen vermag.
Was die Überlebenden jedoch nicht vergessen hatten, war das Auftreten und Wirken einzelner Personen, welche unter dem Hakenkreuz aus der Bedeutungslosigkeit herausgetreten waren und sich nun zu mächtigen Erscheinungen gemausert hatten.
Erscheinungen, welche auf rücksichtslose Art und Weise ihre Machtgelüste in perfider Manier auskosteten.
Und genau die sollten zur Rechenschaft gezogen werden.
Ein paar aufrechte, mutige Männer hatten sich zusammengefunden, um diesen abscheulichen Kreaturen den Garaus zu machen.
Es waren jedoch nicht nur einheimische Bösewichte, denen ihr Interesse galt, sondern auch einige Nichteinheimische, welche den Schutz der Anonymität auf dem flachen Land suchten, begleitet von der Hoffnung, dort nicht entdeckt zu werden.
Die besagten aufrechten, mutigen Männer, es waren sieben an der Zahl, trafen sich einmal im Monat an einem Dienstag im Gasthaus „Zur Eiche“, mitten auf dem Marktplatz und schräg gegenüber vom Rathaus gelegen.
Der Dienstag wurde deshalb gewählt, weil das offiziell der wöchentliche Ruhetag war.
Heute war wieder Dienstag, und seit ihrem letzten Treffen war schon wieder ein Monat vergangen.
Sie hatten sich einem markanten Namen zugelegt:
„Bruderschaft der Gerechtigkeit“.
Die Mitglieder hießen mit ihrem Decknamen:
Otto, die Sense
Otto, der Fiskus
Otto, das Kreuz
Karl, das Rasiermesser
Wilhelm, die Brezel
Fritz, die Blunze
Robert, das Benzin
Einer der drei Ottos – Otto, das Kreuz – wurde von den anderen Mitgliedern einstimmig zum Vorsitzenden gewählt.
Zu den sieben Aufrechten kam noch ein weiterer Mann dazu, der zwar in der Nachbargemeinde wohnte, aber im gegenüberliegenden Rathaus in seiner schmucken Uniform seinen Dienst versah.
Sein Dienstfahrzeug war ein Moped, mit dem er, nach Dienstschluss, auch nach Hause fuhr. Meistens jedoch erst, nachdem er seine täglichen Feierabendbiere in der „Eiche“ konsumiert hatte.
Er wurde deshalb in den geheimen Kreis aufgenommen, weil er Zugang zu wichtigen Informationen hatte.
Sein Deckname war „Sepp, das Moped“.
*****
„Ich begrüße die werten Mitglieder zu unserer allmonatlichen Sitzung und bitte Fiskus-Otto um Verlesung der Tagesordnung.“
Kreuz-Otto hatte mit der Kraft seiner gewaltigen Stimme, mit welcher er auch sonntags aus erhöhter Position seinen Schäfchen die Leviten verlas, die Sitzung eröffnet.
Fiskus-Otto bedankte sich bei Kreuz-Otto für die Erteilung des Wortes und begann von einem Blatt Papier die Tagesordnung zu verlesen:
1. Feststellung der Vollzähligkeit.
2. Tätigkeitsbericht des rückliegenden Monats.
3. Besprechung zu den vorliegenden Erhebungen, durchgeführt von unserem außerordentlichen Mitglied Moped-Sepp.
4. Allfälliges.
Nachdem Fiskus-Otto am Ende seiner Verlesung angelangt war, schaute er erwartungsvoll in die Runde, um eventuellen Widerspruch wahrnehmen zu können.
Als dies nicht der Fall war, fragte er jedoch vorsichthalber:
„Möchte vielleicht irgendjemand etwas dazu bemerken oder einen zusätzlichen Punkt auf der Tagesordnung hinzufügen?“
Ein weiterer Blick in die Runde ergab, dass weder das eine noch das andere der Fall war. Und so wendete sich Fiskus-Otto unmittelbar dem Punkt 1 der Tagesordnung zu.
„Ich werde jetzt die Namen der Mitglieder aufrufen, und ich bitte durch Handzeichen die Anwesenheit zu bekunden.“
Fiskus-Otto rief die Namen seiner sechs Mitbrüder auf, und alle – außer Benzin-Robert – bekundeten ihre Anwesenheit durch Handzeichen.
Benzin-Robert gehörte im 2. WK zum Afrikakorps der Panzertruppe Erwin Rommel, und als alter Soldat quittierte er den Aufruf von Fiskus-Otto mit einem lauten „HIER!“
Nicht, dass die anderen Mitglieder keinen Dienst fürs Vaterland an der Waffe geleistet hätten; aber ein Mitglied bei „Panzer-Erwin“ gewesen zu sein, war eben doch noch einmal etwas anderes.
Überhaupt, diese Feststellung auf Vollzähligkeit – bezogen auf die doch recht überschaubare Anzahl der Anwesenden – war anfangs recht strittig.
Aber gegen alle Widerstände, hatte sich Fiskus-Otto durchzusetzen gewusst. Als Staatsbediensteter war es ihm ganz einfach ein Anliegen, dass eine gewisse Ordnung zu herrschen habe.
Er betrachtete seine Aufgabe als kleine Entschädigung für das Übergehen seiner Person bei der letzten Beförderung im Amt.
Als Schriftführer bei der Bruderschaft konnte er einmal im Monat ein gewisses Gefühl der Wichtigkeit auskosten, was ihm von Amts wegen verwehrt worden war.
Bei der Abstimmung, die im Übrigen geheim abgehalten wurde, bekam Fiskus-Otto vier JA-Stimmen, bei zwei Enthaltungen und einer NEIN-Stimme.
Obwohl die Abstimmung geheim war, wussten die anderen, von wem das NEIN kam. Es war zweifellos Sensen-Otto, ein notorischer NEIN-Sager.
Es gab Stimmen, die anregten, man solle Sensen-Otto doch aus der Bruderschaft ausschließen, was jedoch ein Unsinn war.
Erstens wusste er viel zu viel, und zweitens war er der Wirt der „Eiche“, dem Ort der allmonatlichen konspirativen Zusammenkunft.
„Nachdem ich die Vollzähligkeit festgestellt habe, und wir somit beschlussfähig sind, kommen wir nun zu Punkt zwei der Tagesordnung.
Ich bitte nun Blunzen-Fritz um den Tätigkeitsbericht vom vergangenen Monat.“
Blunzen-Fritz, ein Mann von einer stattlichen Statur, erhob sich von seinem Sitz und bedankte sich bei Fiskus-Otto für die Erteilung des Wortes.
„Liebe Mitbrüder“, begann Blunzen-Fritz mit seinem Bericht, als die Tür aufgestoßen wurde, und eine junge, hübsche, blonde, blauäugige Frau den Raum betrat.
„So geht das nicht, Frau Marianne“, wollte Kreuz-Otto in seiner unnachahmlichen Art lospoltern, als er von Sensen-Otto eingebremst wurde.
„Wollt ihr etwas trinken oder nicht?“, fragte er Kreuz-Otto versöhnlich, denn die Eintretende war niemand anderes als die Ehefrau des Wirts, die ein Tablett mit Getränken vor sich hertrug.
Sensen-Otto, ein bekennender Agnostiker, mochte den Vorsitzenden zwar nicht, brachte ihm aber einen gebührenden Respekt entgegen.
„Aber deswegen erwarte ich trotzdem, dass deine Frau anklopft, bevor sie den Raum betritt“, erwiderte Kreuz-Otto zähneknirschend.
Er war es nun einmal nicht gewöhnt, dass jemand seine Äußerungen hinterfragte.
„Sie hat es einmal vergessen, das ist doch nicht so schlimm, Otto“, kam der zaghafte Versuch der Vermittlung von Brezel-Wilhelm.
Brezel-Wilhelm war ein Phlegmatiker. Vielleicht kam es daher, dass er – im Gegensatz zu den übrigen Mitbrüdern – in beiden Weltkriegen seinen Dienst am Vaterland geleistet hatte.
Er hatte beide unbeschadet überlebt, und er hatte miterleben müssen, wie links und rechts von ihm Kameraden ihr Leben lassen mussten.
Als er einmal gefragt wurde, worin für ihn der Unterschied zwischen WK I und WK II läge, hatte er geantwortet:
„Es gibt keinen. Beide waren sinnlos, und beim Sterben fragt man nicht, für wen oder für was man stirbt.“
Umso bemerkenswerter war es, dass Brezel-Wilhelm – neben seiner stoischen Gelassenheit – eine unbeschreiblich große Portion Fröhlichkeit an den Tag legte.
Kreuz-Otto hätte noch gern etwas zu dem Vorfall gesagt, unterließ es aber, als er in das lächelnde Gesicht von Brezel-Wilhelm sah.
Obwohl Brezel-Wilhelm der gleichen Glaubensfraktion wie Kreuz-Otto angehörte, war er jedoch nie dem Ruf der Glocken gefolgt.
Noch nicht einmal an Weihnachten. Er entrichtete zwar brav seinen Obolus an die Mutter Kirche, nahm aber deren Dienste nicht in Anspruch.
Vermutlich hatte er sich nach dem 2. WK von dieser Institution abgewandt. Ihm war aufgefallen, dass sterbende Kameraden immer nur nach ihrer Mutter gerufen hatten; aber niemals nach Gott.
Das hatte ihn nachdenklich gemacht. Als er von Kreuz-Otto einmal in seiner Backstube besucht wurde, und dieser ihn nach dem Grund seines Fernbleibens kirchlichen Lebens fragte, bekam Kreuz-Otto die Antwort:
„Es ist sehr freundlich von dir, dass du mich hier besuchst, lieber Otto. Ich backe Brot und sorge damit für das leibliche Wohl der Menschen, und du sorgst für ihr seelisches Wohl. So hat jeder sein Tätigkeitsfeld. Und soll es in Hinkunft auch bleiben.“
Kreuz-Otto verstand die klare Botschaft, und er akzeptierte sie auch. Er mochte diesen Mann und er schätzte ihn. Vielleicht sogar mehr, als manchen treuen Kirchgänger, dessen Bekenntnisse weniger aus dem Herzen, denn aus dessen Hirn entstammten.
„Ich darf dann jetzt weitermachen“, sagte Blunzen-Fritz und lenkte damit die Aufmerksamkeit aller wieder auf seine Person.
Kreuz-Otto nickte zum Zeichen seiner Zustimmung und zündete sich eine Zigarre an.
Marianne verteilte die Getränke auf dem Tisch und verließ danach den Raum, dicht gefolgt von einem strafenden Blick durch Kreuz-Otto.
„Also, hier nun mein Bericht.“
Blunzen-Fritz hatte sich auf seinen Auftritt wohl vorbereitet. Er war einer von zwei konkurrierenden Fleischhauern im Ort.
Genaugenommen waren sie keine echten Konkurrenten. Blunzen-Otto war für das „Unterdorf“ zuständig und sein Kollege für das „Oberdorf“.
Die Grenze zwischen beiden Ortsteilen – die Bezeichnungen waren keinesfalls von amtlicher Natur – verlief ziemlich genau beim Marktplatz.
Es lag am geografischen Charakter des Dorfes. Das „Oberdorf“ lag etwa 10 bis 20 Meter ansteigend höher als das „Unterdorf“.
Blunzen-Fritz war eine rechte Frohnatur. In seiner Begleitung befand sich ein furchteinflößender Rottweiler, um welchen die Kinder des Dorfes stets einen großen Bogen machten.
Da halfen auch die Beteuerungen von Blunzen-Fritz nicht, dass Hasso – so hieß das Vieh – nicht bösartig sei. Allein sein Name verhieß nichts Gutes.
Hätte er Friedhelm oder Gottfried geheißen, vielleicht wäre es dann anders gewesen. Aber, wer weiß das schon.
Die Ehefrau von Blunzen-Fritz war die perfekte Ergänzung zu ihm. Wenn sie im Laden unter der Woche 100 Gramm Aufschnitt mit der Schneidemaschine herrichtete – für den Sonntag auch schon einmal mit zwei Blatt gekochtem Schinken – dann glänzten ihre roten Wangen freudig.