Bunkerkoller - Regina Mars - E-Book

Bunkerkoller E-Book

Regina Mars

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Beschreibung

Die schlimmste Zeit des Monats naht: An Vollmond werden alle Werwölfe Magows in einen unterirdischen Bunker gesperrt, damit sie keine Gefahr für die anderen Wesen sind. Die Zeit vertreiben sie sich mit brutalen Kämpfen und wie immer erwartet Isas Familie, dass sie teilnimmt. Kann sie sich irgendwie darum drücken? Aus dem Familientreffen wird Ernst, als eine radikale Splittergruppe die Bunkertür öffnen will. Wird Magow von reißenden Bestien überrannt? Können die Wächter sie aufhalten? Können Nat, Jean, Vivi und Sofie beweisen, dass sie nicht die unfähigen Flachpfeifen sind, für die alle sie halten? Enthält: rohes Fleisch, reißende Bestien und richtig leckere Zimtschnecken.

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Vor einer Woche
Zimt und Zaudern
Gebunkert
Nach Zahlen
Kampf! Kampf! Kampf!
Tunnelterror
Ungebetene Gäste
Klingt wie ein Plan
Kehle! Kehle! Kehle!
Tür zu, es zieht!
Schwesterkonflikt
Durch den Fleischwolf
Der Alphawolf
Die Geiseln
Um Leben und Tod
Klauenvoll
Blutrausch
Die wilde Jagd
Käfighaltung
Endlich daheim

Impressum

 

Die Wächter von Magow 3: Bunkerkoller

Text Copyright © 2021, 2023 Regina Mars

Alle Rechte am Werk liegen beim Autor.

Regina Mars

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

[email protected]

www.reginamars.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Stockphotos von Adobe Stock

Magisches Symbol: © robin_ph/Adobe Stock

Stadtplan: © pbardocz/Adobe Stock

Stadtsilhouette: © FSEID/Adobe Stock

Schwert: © shaineast/Adobe Stock

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

Vor einer Woche

 

»Setzen Sie sich.« Der Frosch deutete auf den einzigen leeren Stuhl im Konferenzraum. Absolute Stille herrschte, nachdem er gesprochen hatte und Sofie schluckte.

»Hallo«, sagte sie. »Guten Abend.«

Der grobe Stoff ihres Overalls kratzte auf der Haut. Er war hässlich, grellgrün und mit dem Schriftzug 'WZM' versehen. Wächterzentrale Magow. Der Ort, an dem sie seit Tagen in einer Untersuchungszelle saß. Der Geschmack des letzten Gefängnisessens lag noch auf ihrer Zunge: trockenes Schnitzel mit holzigen Erbsen. Gut, dass sie bald entlassen wurde.

Der Konferenzraum war genauso kahl und grau wie ihre Zelle, aber immerhin konnte sie hier mehr als drei Schritte in jede Richtung machen. Also, theoretisch. Praktisch war er voll. Fast alle Stühle am runden Tisch in der Mitte waren besetzt und die Luft verbraucht und schal.

Einige Gesichter kannte sie. Andere nicht. Da waren der Frosch, Onkel Lars, der Langweiler, dessen Büro sie zerstört hatte, … und ein paar andere. Zwei Frauen mit ordentlichen Dutts, von denen eine ein Mufflongeweih besaß. Drei Männer, einer davon eindeutig ein Vampir. Hielten sie die Konferenz wegen ihm nachts ab? Hinter dem einzigen Fenster herrschte Dunkelheit, nur durchbrochen vom Licht einer einzelnen Straßenlaterne. Und den rechteckigen, hell erleuchteten Fenstern gegenüber.

Sofie setzte sich. Alle starrten sie an und sie fühlte sich so unwohl, dass sie sogar froh war, Gurke dabei zu haben. Dabei war der echt schwer. Den ganzen Weg über hatte der fette Tauberich beschlossen, auf ihrer Schulter zu hocken.

Welch ernste Versammlung, gurrte er in ihrem Kopf. Meinst du, du bekommst Ärger, weil du den Bonsai von General Stein zerstört hast?

Das war keine Absicht, dachte sie. Sie hatte in den letzten Tagen herausgefunden, dass sie über Gedanken mit ihrem Gefährten kommunizieren konnte. Praktisch. Zumindest wollte ich nicht, dass der blöde Bonsai sich gleich in einen Dschungel verwandelt.

Aber du hast es getan. Gurke putzte seinen Flügel. Dein mangelndes Gespür, gepaart mit deiner befremdlichen Kraft, hat dazu geführt, dass wir hier sitzen.

Ich glaube nicht, dass es deshalb ist, dachte sie. Ich habe da einen Verdacht, warum sie mich sehen wollten.

Alle Augen musterten sie und ihr wurde bewusst, dass sie seit Minuten schwieg. Zumindest äußerlich.

»Wie ich sehe, hat Ihr Gefährte Sie gefunden«, begann der Frosch. »Sehr gut. Wir waren nicht sicher, ob das in Ihrem fortgeschrittenen Alter noch möglich ist. Für gewöhnlich finden die Gefährten ihre Hexen weit früher. Hat er Ihnen schon erklärt, was seine Funktion ist?«

»Er hilft mir. Also, theoretisch.« Sie blickte Gurke böse an. »Praktisch ist er eine Nervensäge.«

Was schwafelst du da, Metze? Gurke plusterte sich auf.

»Eine Taube also.« Die feuchten Froschaugen musterten Gurke eindringlich. »Das ist selten.«

Ein paar der anderen nickten.

»Was ist denn üblich?«, fragte Sofie. »Eine schwarze Katze?«

»Ja.« Die Omi mit dem grauen Dutt lächelte. Oh. Jetzt sah Sofie erst, dass auf deren Schoß eine schwarze Katze lag. Mehrfach beringte Finger strichen über das Fell. »Wir hatten seit Waldemar dem Wüsten keine Straßentaube mehr als Gefährten.«

Na ja, diese Taube hier behauptet, dass sie Waldemars Originaltaube ist, wollte Sofie sagen, aber der Frosch redete schon weiter.

»Waldemar kennen Sie sicher aus dem Lehrfilm.« Seine Glubschaugen schienen direkt in ihre Seele zu schauen.

»Ja.«

»Nun.« Er setzte sich und wurde noch kleiner. Also im Vergleich zu einem Menschen. Für einen Frosch war er gigantisch. Sein Anzug musste maßgeschneidert sein. »Beginnen wir. Diese Konferenz hat das Ziel, Ihnen ein paar Fragen zu stellen und Ihnen im Gegenzug mitzuteilen, was der Wächterrat bezüglich Ihres Falls beschlossen hat.«

»Und das ist alles?«, konnte sie sich nicht verkneifen, zu fragen.

Der graue Kerl wandte den Kopf. General Stein, der Wasserspeier. Er sah sie an, so durchdringend, als könnte sein Blick Granit schneiden. »Nein.«

»Das mit dem Bonsai tut mir wirklich leid«, sagte sie. »Ich wollte nur herausfinden, ob ich wirklich magisch bin.«

»Was Sie eindeutig sind.« Die Frau mit dem Dutt und der Katze schien ihr als Einzige wohlgesonnen zu sein, also konzentrierte Sofie sich auf sie. »Äußerst magisch. Wir hatten seit langem keine Hexe mehr, die derart viel Potenzial zeigt.«

»Danke.«

»Das war kein Kompliment.« Der graue Kerl schaute, als hätte er drei Pullen Essig gekippt. »Sie sind eine Gefahr für ganz Magow, wenn Sie nicht schleunigst in Magie unterwiesen werden.«

»Gerne!« Sie richtete sich auf. »Ich will auf jeden Fall mehr lernen, sonst bring ich irgendwann noch jemand um, mit einem Veilchen oder so. Kann ich Wächterin werden?« Die Frage war ihr herausgerutscht. Aber seit sie hier war, fühlte sie sich lebendiger als in den letzten zwei Jahren. Sie wollte … Nun, bis gerade hatte sie nicht gewusst, dass sie den gleichen Job wie Nat, Isa und Jean machen wollte. Aber das tat sie. Das war doch fast wie Polizistin, nur besser. Magische Polizistin!

»Sie müssen sogar Wächterin werden«, sagte der Graukopf. Trotz seiner Haarfarbe konnte er nicht viel älter sein als sie. »Jedes vernunftbegabte magische Wesen zwischen einundzwanzig und dreiundzwanzig ist zum Wächterdienst verpflichtet.«

»Cool.« Sie zögerte. »Moment. Was, wenn ich nicht wollte?«

»Dann müssten Sie den Dienst trotzdem antreten.«

»Und wenn ich mich weigern würde?«

»Dann würden Sie die Zeit zwischen einundzwanzig und dreiundzwanzig im Gefängnis verbringen.« Der Wasserspeier öffnete den schmalen Laptop vor ihm. Der Bildschirm färbte sein Gesicht bläulich. »Haben wir jetzt genug Zeit vertrödelt und können anfangen?«

Zustimmung von allen Seiten. Selbst Onkel Lars nickte. Er war ungewöhnlich schweigsam. Seit Sofie ihn kannte, war er in einem Zustand des stetigen Brüllens. Vielleicht musste er seine Stimmbänder schonen.

»Sofie Ritter.« Der Grauhaarige drehte den Laptop um und ein Foto leuchtete ihr vom Bildschirm entgegen. »Kennen Sie diese Frau?«

Obwohl sie es geahnt hatte, war es ein Schock. Obwohl Vivi ihr schon berichtet hatte, dass sie sie gefunden hatten. Obwohl Sofie jetzt ganz genau aufpassen musste, um sich nicht zu verraten, weil sonst rauskommen könnte, dass Vivi Zugang zum Geheimbereich des Wächter-Intranets hatte.

»Ja.« Sie versuchte, ihre Stimme ruhig zu halten. »Das ist meine Mutter. Meine leibliche Mutter.«

Die Frau, die sie nicht kannte, war hübsch gewesen. Auf dem Bild musste sie nur wenig älter sein, als Sofie es jetzt war. Die roten Locken zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, grinste sie in die Kamera. Ihre Mutter hatte die Arme um zwei Wächterkollegen gelegt, die alle in die Kamera lachten, als wären sie bereit, die Welt zu erobern. Sie war Wächterin gewesen. Professionelle Wächterin, nicht nur junge Wächterin wie Nat, Jean und Isa.

Aber das hatte Vivi schon herausgefunden. Sie zögerte. Nicht zu viel sagen.

»Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«, fragte die Omi mit der Katze.

Sofies Hände waren schweißfeucht. Mist. »Vor … Also, sie ist gegangen, als ich etwa fünf war. Seitdem habe ich sie nicht wiedergesehen.«

»Wissen Sie, wo sie sich aufhält?«

»Nein, ich …« Sie schluckte. »Ich habe keine Ahnung. Keiner weiß, warum sie gegangen ist. Mein Vater war …« Sie brach ab und sah sich nach Hilfe um. Die Duttfrau lächelte wieder.

»Wir möchten Sie nicht quälen, Frau Ritter.« Ihre Hände streichelten die schwarze Katze. »Wir wissen, dass Sie erst vor kurzem Ihre Familie verloren haben.«

Und meinen Freund, dachte Sofie. Sie konnte nicht sprechen. Gurkes Gewicht lastete schwer auf ihrer Schulter.

Das hast du mir nicht erzählt, dachte er.

So lange kennen wir uns auch noch nicht, dachte sie.

Du willst nicht darüber reden?

Gut erkannt, Täubchen.

»Es ist so.« Die Frau mit dem Dutt stand auf. Was sie nicht viel größer machte. Sie sah aus wie eine Bilderbuch-Omi: grauhaarig und welterfahren. Hinter den Brillengläsern funkelten dunkle Augen. »Wir dachten eigentlich, dass Ihre Mutter tot sei. Schon seit über zwanzig Jahren.«

»Nein!« Sofie hoffte, dass sie die Überraschung gut spielte. »Vor über zwanzig Jahren? Also vor meiner Geburt? Was ist denn passiert?«

»Sie kam während eines Wächtereinsatzes um«, sagte der Grauhaarige und faltete die Hände. »Zumindest dachten wir das. Genaueres können wir leider nicht sagen, da dieser Fall der Geheimhaltung unterliegt. Aber ihre Leiche wurde eindeutig identifiziert.«

Mit einer DNA-Probe, wie Sofie erfahren hatte. Anders hatte man ihre Identität nicht feststellen können, da die Leiche vollkommen verbrannt war. Das teilte der Grauhaarige ihr nicht mit. Und Vivi hatte auch nicht mehr herausfinden können. Nun, bisher.

Die Frau mit der Katze schien ehrlich betrübt. »Ich war damals an dem Einsatz beteiligt. Es kam so überraschend. Sie war eine unserer vielversprechendsten Wächterinnen. Die mächtigste Hexe seit Jahrzehnten, vielleicht Jahrhunderten.«

»Das tut mir leid«, sagte Sofie, weil sie nicht sicher war, was sie sonst sagen sollte. Sie hatte keine klaren Erinnerungen mehr an ihre Mutter, bis auf die eine, in der sie sie verließ. Sie war nicht sicher, was genau sie fühlen sollte. Nun, vielleicht konnte sie Gurke ärgern. »Die mächtigste Hexe seit Jahrzehnten, ja? Mächtiger als Waldemar der Wüste?«

Gurke plusterte sich auf. Eine Schwungfeder erwischte Sofies Wange. Törichte Metze!, rief er. Was erlaubst du dir? Habe ich nicht gesagt, dass Waldemar von Wilmersdorf der größte Magier aller Zeiten war?

»Niemand war mächtiger als Waldemar«, sagte die Dutt-Omi. »Trotz all seiner Verfehlungen war er der größte Magier, den wir je hatten.«

Die Verfehlungen schienen eine ausgeprägte Alkohol- und Spielsucht gewesen zu sein. Sie hatte Gurke gebeten, ihr alte Saufgeschichten zu erzählen, aber der hatte sich geweigert, schlecht über seinen früheren Herrn und Meister zu sprechen.

»Ich habe ihn in dem Film über Magow gesehen«, sagte Sofie. »Er sah aus, als hätte er gern mal einen über den Durst getrunken.«

»Ja, in der Hinsicht war Adina ihm überlegen.« Die Omi seufzte. »Die wusste, wann sie aufhören muss.«

»Adina?«, fragte Sofie, als hätte Vivi ihr den Namen nicht längst verraten.

Schweigen. Alle sahen sie an, was ein ziemlich ungemütliches Gefühl war.

»Ihre Mutter«, ergänzte General Stein. »Adina Azalea Caligari.«

»Äh, ja.« Sie überlegte. »Ich dachte, dass sie Jutta hieß. Jutta Ritter.«

Der Graue tippte etwas in seinen Laptop ein. »Diesen Namen hat sie also tatsächlich benutzt. Gut zu wissen.«

Onkel Lars sah sie weiterhin an. »Wie sollen wir dich nennen? Caligari oder Ritter? Du hast die einmalige Chance, den Nachnamen zu wechseln.«

»Ritter natürlich.« Sie setzte sich auf. Wie sollte sie sonst heißen wollen? Als ob sie den Nachnamen dieser Verräterin annehmen würde, die sich eines Nachts verkrümelt hatte. Ihr Vater war immer für sie dagewesen, zur Hölle.

Bis er es nicht mehr gekonnt hatte.

Sie sah auf die Tischplatte. Irgendwer sagte irgendwas, aber sie hörte nicht zu. Wieder erinnerte sie sich an diesen einen perfekten Sommertag, an dem sie alle zusammen gewesen waren. An dem einen Moment lang alles … Ein Gedanke blitzte in ihrem Gehirn auf und verschlug ihr den Atem. Sie sah auf.

»Meine Mutter, hatte sie noch mehr Verwandte? Geschwister oder … oder Eltern oder so?«

Es war möglich. Eine Sekunde lang leuchtete die Möglichkeit auf, dass sie nicht ganz allein auf der Welt war. Dass es noch jemanden gab, zu dem sie gehörte.

Dann schüttelte der Graue den Kopf. »Nein. Ihre Eltern sind vor einer Weile gestorben und sie war ein Einzelkind. Aber Frau Murik«, er nickte der Dutt-Omi zu, »kann Ihnen Genaueres dazu sagen. Sie wird Sie in Magie ausbilden.«

»Ich freue mich schon darauf.« Die Omi lächelte wieder.

»Danke, ich auch.« Enttäuschung schlug über Sofie zusammen wie eine Schrottlawine. Natürlich hatte sie keine Verwandten mehr. War ja auch egal. Sie hatte Cassa. Und Gurke war auch so was wie ein Verwandter.

Konzentrier dich, Metze, zischte er. Sie reden mit dir!

»Was?« Sie sah auf.

Der Graue blickte sie missbilligend an. Sie gab sich wirklich Mühe, seine Fragen zu beantworten, auch wenn sie manchmal abschweifte. Diese Omi, Frau Murik, hatte ihre Mutter also gekannt. Nicht, dass Sofie sich dafür interessierte, was sie für ein Mensch gewesen war. Sie war ja weg. Ihre einzige eventuell noch lebende Verwandte war verschwunden. Super.

Zwei Stunden lang befragten sie sie zu dem Rattenkönig-Vorfall. Zu allen Erinnerungen, die sie noch an ihre Mutter hatte, oder eher: nicht hatte.

Danach fühlte ihr Gehirn sich an wie ein alter Spüllappen und die Luft im Raum war so verbraucht, dass sie mehr Sauerstoff bekommen hätte, wenn sie sich direkt hinter einen startenden Opel gestellt hätte. Gurke pennte auf ihrer Schulter und pickte im Schlaf in ihren Haaren herum.

Endlich zeigte jemand Erbarmen. Es war die Omi, natürlich. »Das reicht, denke ich. Wir drehen uns im Kreis.« Sie sah die anderen der Reihe nach an. »Holen wir den Vertrag heraus und lassen sie unterzeichnen.«

»Was für einen Vertrag?« Wow, Sofie klang noch müder, als sie sich fühlte.

Wortlos schob der Graue zwei identische Blätter über den Tisch. Sie musterte sie. In altmodischer Frakturschrift stand dort »Wächtervertrag«.

»Er ist bindend und mit Magie versehen«, sagte Onkel Lars. »Du willst ihn sicher genau durchlesen, bevor …«

Sofie unterzeichnete ihn, sobald sie »monatlicher Sold« gelesen hatte. Sie schob ihn zurück zu dem Grauen, der eine Augenbraue hob.

»Hey, ich hab meinen Job verloren«, sagte sie. »Oder sieht es aus, als würde das Koval in nächster Zeit wieder aufmachen?«

»Nein.«

Onkel Lars nickte. »Gute Entscheidung. Du wirst mit Frau Murik arbeiten, um die verlorene Zeit aufzuholen. Vielleicht schafft sie es ja, dass du keine Bonsais mehr in die Luft jagst. Als Wächterin hast du ein paar Monate verpasst, aber das kriegst du schon hin. Warst ja mal angehende Polizistin.«

Sie nickte. »Heißt das, ich kann jetzt gehen?«

»Ja.« Onkel Lars erhob sich. »Du kannst weiter in deiner WG in Kreuzberg wohnen, wenn du willst.«

»Will ich.«

»Dass du niemandem von Magow erzählen darfst, hast du dir vermutlich schon gedacht. Nimm dir bloß kein Beispiel an den Trotteln, mit denen du den Rattenkönig bekämpft hast.«

»Die haben mir erst davon erzählt, als sie wussten, dass ich magisch bin. Vermutlich magisch bin. Also zumindest, als sie wussten, dass ich nicht versuche, abzuhauen.« Machte sie die Situation gerade besser oder schlechter? »Sie haben sich total professionell verhalten.«

Onkel Lars lachte. Klang wie Husten. »Ja, klar. Ich geb dir einen Rat, Sofie Ritter: Halt dich von denen fern. Dann wird aus dir vielleicht eine halbwegs passable Wächterin.«

Sie hatte nichts dergleichen vor. Schließlich waren Isa, Vivi und Nat die einzigen gewesen, die sie während ihrer langweiligen Gefangenschaft besucht hatten. Die sogar versucht hatten, ihr die magische Welt näherzubringen, mit kitschigen Vampir-Soaps, und der Weltmeisterschaft im Werwolf-Bikini-Schlammcatchen der Männer. Sie hatte vor, so nah an denen dranzubleiben wie möglich.

»Ich schaue, was ich machen kann.« Sie erhob sich.

Zimt und Zaudern

 

Eine Woche später

 

Es war ein perfekter Nachmittag und nichts konnte ihn ruinieren. Alles war absolut wunderbar. Zumindest, solange Isa nicht auf den Kalender schaute, was sie klugerweise nicht tat.

Die Sonne schien durch die hohen Fenster der Küche, malte warme Muster auf den Fliesenboden und verwandelte Vivis Haare in pures Gold. Die süßeste Frau der Welt saß am Küchentisch, hatte die Beine angezogen und spielte hochkonzentriert irgendein Handyspiel, bei dem man Küchentücher zu Origami falten musste. Sie war süchtig danach und spätestens in einer Stunde würde sie Weltmeisterin darin sein. Schließlich war sie auch die klügste Frau der Welt. Die Plings und Plongs und der minimalistische japanische Jazz des Spiels erfüllten die Küche.

Isa beugte sich zum Herd hinunter und spähte durch die Scheibe. Wärme streichelte ihr Gesicht.

»Perfekt«, murmelte sie. Die Zimtschnecken lagen auf dem Blech, als hätten sie sich eingerollt und würden schlummern. Ihr süßer Duft nach Hefeteig, Zimt, Zucker und Erdnüssen kitzelte ihre Nase. Hitze schlug Isa entgegen, sobald sie die Klappe öffnete.

»Hallo, meine Süßen.« Sie lächelte die Schnecken liebevoll an. Sie begrüßten sie ihrerseits mit einem »Bitte probier uns, liebe Isa.« Zumindest redete sie sich das ein, als sie die erste zerrupfte. Sie verbrannte sich die Fingerspitzen, aber das war egal. Köstlicher Dampf stieg auf.

Sie seufzte leise. Alles war absolut perfekt.

»Wann musst du morgen los?«, fragte Vivi durch einen Hagel von Plings und Plongs. »Schon mittags?«

Isa stockte. Dann atmete sie den süßen Duft der Schnecke tief ein und bewunderte, wie die geschmolzene Zimtzuckermischung Fäden zog. Gut, dass Zucker vegan war. Und Bier auch.

»Glaub schon.« Sie zuckte mit den Achseln und überlegte, wie sie das Thema wechseln konnte. »Willst du eine Zimtschnecke?«

»Gern.« Vivi lächelte. Das schönste Lächeln von allen. Das, bei dem sich beide Mundwinkel kräuselten wie … winzige Zimtschnecken zum Beispiel.

Isa grinste sie an. »Hol sie dir.« Sie winkte mit einer Schnecke und wackelte mit den Augenbrauen.

Vivi kicherte und schüttelte den Kopf.

»Komm schon.«

»Was hast du vor?«, fragte Vivi und tat so, als wollte sie sich hinter dem Tisch verstecken.

»Ich will, dass meine Freundin meine Zimtschnecke probiert.«

»Klingt pervers«, sagte Nat und stolperte zum Kühlschrank. Wo kam der jetzt her? So, wie er aussah: direkt aus der Hölle. Seine Locken waren plattgedrückt, die Augen verklebt und er stank wie ein Weinkeller. Anscheinend hatte er sich vampirisch stilecht mit Merlot und Blut besoffen. Er blinzelte. Ohne Brille sah er noch jünger aus als sonst. »Oh, sorry. Störe ich euch?«

»Nein, natürlich nicht.« Vivi hielt das Handy vor sich wie einen Sichtschutz. Dabei gab es nichts Schlimmes zu verstecken. »Du, äh, guten Morgen. Mittag. Nachmittag.«

»Oh, richtig.« Nat kratzte sich am Hinterkopf und war immer noch da. Sonst war er der Meister des Taktgefühls, aber seit der Sache vor zwei Wochen war er hauptsächlich verkatert. Kein Wunder. Das war ihm tiefer unter die Haut gegangen, als selbst Isa gedacht hätte. Sie kannte ihn. Vermutlich am besten von allen.

»Wann bist du heimgekommen?«, fragte Isa. Da sie die Schnecke gerade nicht als Meerjungfrauenköder verwenden konnte, steckte sie sich selbst eine in den Mund. Perfekt. Der Teig war so fluffig wie Schneeflocken. »Ich hab dich nicht gehört.«

»War schon hell.« Nat räusperte sich. Er klang, als hätte er die halbe Nacht geschrien. »Wir waren noch in diesem komischen Kellerloch mit den Faunen und diesem Wasserspeier-Mädel, das Weinflaschen mit der Nase entkorken konnte.« Er zögerte. »Vielleicht hab ich den letzten Teil nur geträumt.«

»Wir?«

Ein röhrendes Schnarchen aus seinem Zimmer beantwortete die Frage. Nat horchte andächtig. »Davon bin ich aufgewacht. Klingt wie ein Rasenmäher, oder?«

»Eher wie ein Schwein mit Bronchitis.« Isa legte den Kopf schief. »Wer ist das? Jemand, den wir kennen?«

Er schüttelte den Kopf. »Hab ihn gestern im Nocturna getroffen. Er ist ein Student aus Barcelona. Drachenwandler. Sein Opa ist damals reich geworden, weil er Einhörner gejagt hat, und ist dann in einer Pfütze ertrunken. Verrückt.« Er gähnte, angelte den Orangensaft aus dem Kühlschrank und trank ihn mit drei Schlucken leer. Eine Konserve Blut folgte.

Isa betrachtete Nat schweigend. Es passte nicht zu ihm, zwei Wochen lang zu feiern, aber vermutlich war es gerade das Richtige. Er hatte einen Exfreund und einen bösen Bruder zu verarbeiten. Man konnte nicht früh genug anfangen, sich so was aus dem Hirn zu saufen. Oder es zu verdrängen. Schließlich schaute sie auch seit Tagen nicht mehr auf den Kalender.

Nat leider schon. »Oh, ist es bald wieder soweit? Hast du schon gepackt?«

»Was denn? Wir werden nichts anhaben.« Isas Laune sank. »Wir stopfen alles in Spinde, sobald der Mond aufgeht, und hinterher ziehen wir das halt wieder an.

---ENDE DER LESEPROBE---