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Traumhochzeit auf Capri Als ihre Nonna Tommasina sie bittet, in einer kleinen Goldschmiede in Neapel einzuspringen, ist Chiara nicht gerade begeistert. Ihre Heimatstadt hatte sie mit einem gebrochenen Herzen verlassen und ein neues Leben in Mailand begonnen. In der Goldschmiede in der Via dell'Amore angekommen, erwarten sie Chaos und alte Spannungen. Als sie langsam Gefallen an ihrer Arbeit in der kleinen Werkstatt findet, stößt sie auf eine vergessene Bestellung für Trauringe, die für eine Hochzeit auf Capri gedacht sind. Kann Chiara die Traumhochzeit auf der Insel retten und am azurblauen Wasser auch ihr eigenes Herz heilen?
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Capri bedeutet für immer
Roberta Gregorio wurde 1976 im schönen Fürstenfeldbruck in Bayern geboren und ist dort direkt an der Amper aufgewachsen. Auch heute lebt sie mit ihrer Familie am Wasser, nur nicht mehr am Fluss, sondern am Meer, genauer in Süditalien. Gleich geblieben ist ihre große Leidenschaft für Worte, Texte und Manuskripte. Wenn sie nicht schreibt oder liest, übersetzt sie auch gerne. Braucht sie trotzdem mal eine kurze Pause, dann geht sie an den Strand und lässt die Seele baumeln, denn die Sache mit dem Dolcefarniente, die kann sie besonders gut.Von Roberta Gregorio sind in unserem Haus bereits erschienen:Die kleine Eismanufaktur in AmalfiDer zauberhafte Papierladen in AmalfiDie Zitronenblüten von Amalfi
Eine Traumhochzeit auf Capri
Als ihre Nonna Tommasina sie bittet, in der kleinen Goldschmiede in Neapel einzuspringen, ist Chiara nicht gerade begeistert. Ihre Heimatstadt hatte sie mit einem gebrochenen Herzen verlassen. Zurück in der Via dell’Amore, dem Gässchen Neapels, in dem sich alles ums Heiraten dreht, erwarten sie Chaos und alte Spannungen. Doch bald wird alles besser: Chiara lebt sich ein und die Arbeit macht ihr Spaß. Bis sie beim Aufräumen auf eine vergessene Bestellung für Trauringe stößt. Spontan beschließt Chiara, die Ringe selbst nach Capri zu bringen. Ihr Herz macht einen Sprung, als sie sieht, wer der Trauzeuge ist ...
Der Auftakt der neuen Hochzeitsreihe auf den schönsten Inseln Italiens – mit Meeresglitzern und ganz viel Amore!
Roberta Gregorio
Ullstein
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Das Buch
Titelseite
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Kapitel 1
Heirate jemanden, der dich zum Lachen bringt.
Chiaras Augen brannten, der Schaum lief ihr unaufhaltsam aus den Haaren, über die Stirn, auf die Wangen und dann weiter und weiter. Und sie fror, weil sie auf die Schnelle nur das winzige Gästehandtuch erwischt hatte, das noch nicht mal eine Pobacke bedeckte. Halb blind tastete sie sich in die Küche, stolperte über Ernesto, den Kater ihrer Mitbewohnerin, der ihr daraufhin mit den Krallen ins Bein schlug. Ja, so war er, der Gute: verschmust und anschmiegsam nur bei seinem Frauchen. Freunde würden Chiara und Ernesto in diesem Leben wohl nicht mehr werden, diese Hoffnung hatte sie schon lange aufgegeben.
In der Küche angekommen, nahm sie mit spitzen Fingern das Alukännchen, in dem der aufgestiegene caffè vor sich hin gurgelte, vom Gasherd und stellte es in die Spüle. Mist, es roch schon angebrannt. Sie fluchte. Als gebürtige Neapolitanerin fehlte es ihr weder am nötigen Vokabular noch an der korrekten Intonation. Sie ließ Wasser über das glühende Kännchen laufen, das beim Erkalten empört zischte. Nun konnte Chiara durchatmen. Das war noch mal gut gegangen. Dass sie caffè aufgesetzt hatte, war ihr erst wieder eingefallen, als sie voll eingeschäumt unter der Dusche gestanden hatte. Die Zeit reichte nie, und sie tat alles auf einmal und viel zu hastig, was dann zu Momenten wie diesem führte.
Chiara eilte zurück ins Bad, befreite sich von dem ganzen Schaum und stieg wieder aus der Dusche. Ein Seitenblick auf ihre Armbanduhr, die auf dem Rand des Waschbeckens lag, verriet ihr, dass sie spät dran war. Als Süditalienerin, die in Mailand lebte, hatte sie noch immer ein bisschen mit der Pünktlichkeit zu kämpfen, die ihr nicht mit in die Wiege gelegt worden war – so viel Selbstkritik musste sein.
Als sie sich endlich fertig angezogen und gestylt hatte, verließ sie die Wohnung in der Mailänder Innenstadt, kehrte fünf Minuten später aber schon wieder zurück, weil sie ihr Handy liegen gelassen hatte. Dabei ließ sie die Wohnungstür offen, was Ernesto schamlos zu seinem Vorteil ausnutzte. Er entwischte ihr, und sie musste ihn im Treppenhaus suchen. Fünfzehn Minuten lang. Als sie ihn wieder in die Wohnung trug, fauchte er sie an. Sie versuchte, ihn zu beruhigen, zu kraulen, er fauchte noch lauter.
»Was für ein wundervoller Morgen …«, sagte sie zu sich selbst mit einem Blick auf ihre schwarze Hose und ihr lilafarbenes Top, das nun voller grauer Katzenhaare war, und machte sich seufzend auf den Weg zur Arbeit.
Sobald sie das Haus verließ, landete sie im puren Chaos. Obwohl sie schon seit fünf Jahren hier wohnte, erschlug sie das hektische Treiben in den Straßen jeden Tag aufs Neue. Und sie war in Neapel groß geworden. Was hieß, dass sie eigentlich daran gewöhnt sein sollte, an diese Menschenmassen und den ständigen Verkehr. So war es aber nicht. Neapel hatte sie nicht halb so sehr gestresst wie Mailand. Manchmal hatte sie Heimweh, das konnte sie gar nicht leugnen. Mailand und Neapel waren zwei Extreme. Und ihr fehlte oft die Wärme, die Herzlichkeit. Abgesehen von Neapels unvergleichlicher Schönheit. Welche Großstadt konnte schon von sich behaupten, von einem Vulkan angelächelt, dem Meer liebkost zu werden und einen Katzensprung von den glamourösesten Inseln des Mittelmeerraums entfernt zu liegen?
Aber es nutzte ja nichts. Chiara holte tief Luft und tauchte ein in den Strom.
Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, in der Großstadt in der Lombardei ansässig zu werden. Sie war hierhergekommen, um an der bekannten Galdus-Schule zur Goldschmiedin ausgebildet zu werden. Sie hatte sich riesig gefreut, als sie nach einem gar nicht so einfachen Aufnahmetest zum Studium zugelassen worden war. Modernste Geräte und innovative Techniken hatten sie begeistert, aber auch die Professoren hatten sie mit ihrer Motivation und Liebe zur Materie angesteckt. Lernen war eine Freude gewesen, für den praktischen Teil hatte sie nach nur wenigen Wochen ein richtiges Talent entwickelt. Während der drei Jahre musste sie verschiedene Praktika in Betrieben durchlaufen. Und beim letzten Praktikum war etwas Großartiges passiert: Sie hatte sich auf dem Arbeitsplatz so wohlgefühlt, dass sie sich selbst übertroffen hatte. Das war auch ihren Vorgesetzten nicht entgangen, die sich bemüht hatten, ihr gleich eine Stelle anzubieten. Und wer sagte schon Nein zu einer Position als Schmuckdesignerin beim bekannten Schmucklabel MM-Gioielli? Deshalb war sie noch immer hier, sie, die feurige Südländerin im eher unterkühlten Norden …
Chiara stemmte sich gegen die schwere Glastür – ein schwarzes M in geschwungener Schrift auf der rechten Seite, eines auf der linken –, die ihr Zutritt zum antiken Gebäude verschaffte, in dem sich die MM-Büros und die Produktion der Echtgold-Stücke befanden. Die Eingangshalle war schick, hohe Decken, viel Weiß und Gold, Marmor, helle Möbel, Glas und Blumen, die ein Vermögen kosten mussten und jeden zweiten Tag frisch geliefert wurden. Die große, elegante Rezeption war gerade nicht besetzt, was das Telefon nicht daran hinderte, trotzdem zu klingeln.
Marco, der Security-Mann, nickte ihr zu. Er trug eine Uniform, die ihn aussehen ließ, als gehörte er einer Spezialeinheit an. Er war einschüchternd groß, neben ihm kam sich Chiara mit ihren ein Meter sechzig vor, als könnte er sie mit Leichtigkeit umpusten. Aus diesem und anderen Gründen war sie nie auf seine offensichtlichen Annäherungsversuche eingegangen. Sie fürchtete, von ihm erdrückt zu werden – so doof das auch klingen mochte.
»Spät dran?«, fragte er amüsiert.
»Frag nicht …«, antwortete sie und ruderte dabei wild mit den Armen, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie einen chaotischen Morgen gehabt hatte.
Er lächelte verständnisvoll, zeigte dabei eine ganze Reihe an Zähnen, die Chiara an das Gebiss eines Pferdes erinnerten. Bevor er noch etwas hinzufügen konnte, winkte sie ihm im Vorbeigehen zu und lief in Richtung Aufzug, der zum Glück im Erdgeschoss auf sie wartete.
Chiara arbeitete im Kreativbüro im dritten Stock und hatte das Vergnügen, ihr Know-how in die relativ neue Modeschmuck-Abteilung einfließen zu lassen. Ihre Aufgabe war es, die halbjährlich neu erscheinenden Kollektionen mitzugestalten, was ihr unglaublichen Spaß machte. Zwar vermisste sie manchmal den praktischen Teil der Schmuckherstellung, aber man konnte nicht alles haben.
Der Aufzug sprang mit einem Pling auf, und endlich konnte Chiara auf den zentralen, nur mit Glaswänden abgetrennten Raum zusteuern, in dem sie im Team Ketten, Ringe, Ohrringe, Armbänder und, und, und neu erfand, neu zeichnete, neu zusammenstellte. Immer und immer wieder neu, was gar nicht so einfach war. Ein Ring blieb nun einmal ein Ring. Ganz egal, wie man ihn drehte und wendete. Doch Chiara liebte die Herausforderung und bemühte sich, das Rad trotzdem ein klein wenig neu zu erfinden. Sie spielte gerne mit Steinen und Mustern und hatte ein gutes Händchen für Trends. Die Exotica-Kollektion, die Chiara entwickelt hatte, war ein durchschlagender Erfolg gewesen. Im letzten Sommer war Instagram voll mit Bildern von Influencerinnen gewesen, die ihren Anhänger getragen hatten, der einer Drachenfrucht nachempfunden gewesen war. Am Strand, beim Tanzen oder beim Shoppen. Chiara hatte sich einige besonders hübsche Bilder aus dem Internet sogar per Screenshot aufs Handy geladen. Ein kleines bisschen stolz war sie nämlich schon auf ihre Kreativität.
An ihren eigenen Fingern steckten unzählige Ringe, sogar am Daumen. Die meisten hatte sie selbst gemacht, manche waren noch aus ihrer Ausbildung, also noch gar nicht perfekt, und erinnerten sie an eine Zeit, in der sie nur von einer Zukunft als Goldschmiedin träumen konnte. Vielleicht liebte sie sie deshalb alle so sehr.
Chiara schloss die Glastür hinter sich und lächelte ihren Kollegen Fulvio und Anita zu.
»Ciao …«, sagte Anita und blickte nur ganz kurz von ihrem Bildschirm auf.
Fulvio hingegen sagte gleich gar nichts und nickte Chiara nur zu.
Sie waren so vertraut miteinander, dass das nichts ausmachte. Höflichkeitsfloskeln konnten sie sich getrost sparen, da sie sowieso den ganzen Tag – und wenn es mal knapp mit einer Kollektion wurde, gerne auch mal die Nacht – auf engem Raum miteinander verbrachten.
Fulvio nieste laut.
Er reagierte allergisch auf Katzenhaare. Und Chiara war übersät damit. Normalerweise passte sie penibel darauf auf, keine Tierhaare mit ins Studio zu schleppen. »Ernesto«, versuchte sie, entschuldigend zu erklären.
Fulvio rollte mit den Augen und sprühte sich irgendetwas in die Nase. Und damit war das Thema für ihn wohl erledigt.
Chiara setzte sich an das Ende des großen zentralen Tischs, an dem sie gemeinsam arbeiteten. Sie war komplett durch den Wind und musste sich einen Moment fangen, bevor sie hier ihr Bestes geben konnte.
»Du sollst übrigens zu Gianmaria ins Büro …«, erwähnte Anita wie beiläufig. Dabei kannte Chiara ihre Kollegin gut genug, um zu wissen, dass sie vor Neugierde starb. Und das war so eine Eigenschaft, mit der Chiara nicht gut zurechtkam. Sie fand die Selbstkontrolle der meisten Mailänder übertrieben. Was war das für ein Leben, wenn man seine Emotionen nicht zeigen konnte? Wo blieb da der Spaß? Natürlich durfte Anita neugierig sein!
»Hat er gesagt, um was es geht?«, erkundigte sich Chiara. Sie hoffte, dass er endlich sein Okay zur Capri-Capsule-Kollektion gab, die sie ihm bereits vor einer Woche komplett zugemailt hatte.
Anita zog die Schultern hoch, sodass sie ihre langen Ohrringe berührten. Dann schob sie sich die Brille zurecht. »Du kennst ihn ja. Kommunikation ist nicht seine Stärke.«
»Nicht wirklich.« Da konnte Chiara ihr nur recht geben.
»Nun geh schon und finde es heraus«, schlug Fulvio vor. Dann stand er auf und schob sie quasi aus dem Glasraum. »Und sei so gut und befrei dich von den Tierhaaren, ja?«
Chiara seufzte und zupfte sich auf dem Weg über den Flur die Katzenhaare von der Kleidung. Sie ging nicht gerne zu ihrem Chef. Niemand tat das. Er war ein Choleriker, ein kreativer bunter Vogel, der sich für Gott in Person hielt. Er hatte das Schmuck-Imperium geerbt, das seine Eltern mit viel Liebe zu dem gemacht hatten, was es heute war: ein großer Name in der Welt der funkelnden Accessoires. Doch oft erweckte er den Eindruck, nicht mit dem zufrieden zu sein, was er hatte. Vielleicht war er aber auch nur übermannt von der Verantwortung, ein so mächtiges Unternehmen in die Zukunft tragen zu müssen.
Die Flure der MM-Büros waren geschäftig, so kannte Chiara das. Der Aufzug schien erneut auf sie zu warten. Sie fuhr mit dem Gefühl, irgendetwas verbrochen zu haben, in den obersten Stock. Sie war sich keiner Schuld bewusst, trotzdem ratterte das Hirn fieberhaft, um sich an jeden noch so kleinen Fehltritt zu erinnern.
Die leichte Anspannung blieb.
In der obersten Etage angekommen, ging sie direkt durch zum Vorzimmer zu Gianmarias Büro, wo seine Sekretärin saß. Chiara hatte verhältnismäßig oft mit ihr zu tun und wusste, dass sie sehr effizient war. Bea war eine Wucht. Allein schon die Tatsache, dass sie den Chef ertrug, machte sie zu einer Heldin.
»Buongiorno! Gianmaria wollte mich sehen.« Chiara sprach das aus wie eine Frage. Sie duzten sich hier alle, was ihr ganz recht war. Doch hatte dieses gewollt lockere Auftreten einen bitteren Nachgeschmack für sie. Zu Hause in Neapel, zum Beispiel, war es durchaus noch üblich, Menschen höflich mit Voi anzusprechen.
»Ich melde dich gleich an«, erklärte Bea und nahm den Hörer in die Hand, um Gianmaria den Besuch anzukündigen. Bea legte auf und nickte ihr zu. »Prego. Du wirst erwartet.«
Chiara drückte den Rücken durch und trat ein ins Sancta Sanctorum der MM-Welt.
Natürlich war Gianmarias Büro Luxus pur. Nicht pompös, aber sauteuer. Mit einem weißen, dicken Teppich, über den man sich nicht zu laufen traute, aus Angst zu versinken, aber mehr noch aus Angst, ihn mit schnöden Straßenschuhen zu verschmutzen. Er hatte eine Vitrine im Raum, die teure Stücke der Echtgold-Kollektion zeigte. Atemberaubender Schmuck. Chiara träumte davon, in die obere Liga zu steigen und selbst mit dem Gold von MM zu arbeiten.
»Buon …«, fing sie an, als sie seinen Schreibtisch – ein riesiges Ding aus Glas – beinahe erreicht hatte.
»Deine Nonna hat hier angerufen«, unterbrach er sie.
Er nahm seine Brille ab und fuhr sich durchs wieder dichte Haar – er hatte eine Haartransplantation machen lassen.
Chiara spürte, wie sie mit den Augen rollte, und zwang sich, es sofort sein zu lassen. Dann wurde ihr erst so richtig bewusst, was er gesagt hatte … Wie peinlich! Was konnte sie darauf schon antworten?
»Wieso hast du denn nicht gesagt, dass du so dringend zurück nach Neapel musst?«, fragte er sie und sah sie aufmerksam an.
Gott, was hatte Nonna Tommasina nur angestellt! Seit Tagen lag sie ihr mit dieser absurden Forderung in den Ohren, doch bitte eine Zeit lang zurück nach Hause zu kommen, um die Goldschmiede des schwer erkrankten Paolo zu übernehmen. Zumindest so lange, bis es ihm besser ging. Und Chiara hatte versucht, ihrer Nonna zu erklären, dass das nicht möglich war, weil sie in Mailand ein Leben, eine Wohnung, eine Arbeit hatte, die sie nicht so einfach auf Eis legen konnte.
Sie hätte es besser wissen müssen. Ihre Großmutter akzeptierte ein Nein nur in den seltensten Fällen.
Chiara murmelte irgendeine Antwort, weil sie keinen klaren Gedanken fassen konnte, sie war viel zu sauer auf ihre Nonna, die hier wirklich zu weit gegangen war.
»Nimm dir frei, Chiara. Fahr nach Hause. Komm wieder, wenn alles geklärt ist.« Gianmaria setzte seine Brille auf. Ein klares Zeichen dafür, dass das Gespräch für ihn beendet war. Er widmete sich wieder einem Stapel Papiere, die vor ihm lagen.
»Ich …« Chiara wollte noch etwas erwidern.
Er blickte so gereizt auf, dass ihr die Worte im Hals stecken blieben. »Wolltest du noch etwas sagen?«
Sie nahm allen Mut zusammen, um fortzufahren. »Nun, ich habe hier so viel zu tun, dass ich jetzt unmöglich wegkann.«
»Du hast deine Capri-Kollektion doch schon abgegeben. Sie ist grandios, ich gebe sie demnächst in Produktion. Von dir brauche ich die nächsten Monate nicht viel. Und falls doch, dann haben wir das Internet. Abgesehen davon können die Nichtsnutze von deinen Kollegen auch mal etwas tun. Also, geh.«
Chiara räusperte sich, fing sich prompt einen weiteren Blick ein und ließ die Sache auf sich beruhen. Sie verließ das Büro, aber ihre Nonna, die konnte sich auf etwas gefasst machen!
Ja, Chiara liebte Nonna Tommasina, aber manchmal ging sie einfach zu weit. Wie diesmal. Das konnte sie nicht so stehen lassen. Sie fuhr mit dem Fahrstuhl wieder hinunter in den dritten Stock, wurde in ihrem Büro von Fulvios Niesen begrüßt, schnappte ihr Handy und wählte die ihr so vertraute Nummer.
Die Liebe ist ein Pfeil,der seine Richtung unzählige Male ändern kann.
Tommasina Di Blasi lebte schon immer in der Via dell’Amore, sie wurde hier geboren, sie hatte hier ihren ersten Kuss bekommen, und sie verbrachte noch immer beinahe jeden Tag ihres Lebens in dieser Gasse. Und wenn sie jemand fragte, ob ihr das nicht zu eng, laut und chaotisch sei, mitten im Herzen der Altstadt Neapels zu wohnen, dann konnte sie nur milde lächeln. Was wussten die Außenstehenden schon über das pulsierende Herz der schönsten Stadt der Welt, über diese treibende Lebensfreude, die alles erfasste? Sie konnten nicht ahnen, dass am Morgen die Sonnenstrahlen jeden Winkel erreichten und wärmten. Sie konnten auch nicht verstehen, was es bedeutete, niemals einsam zu sein, niemals verlassen. Musik, Düfte, Farben und Leben, Leben, Leben, bei jedem Schritt. Immer Stimmen, mal laut – nein, eigentlich meistens laut –, aber manchmal auch leise, wispernd. Die Geheimnisse der neapolitanischen Innenstadt waren groß. Familiengeheimnisse, die über Generationen gingen und deshalb eigentlich keine mehr waren. Aber die Neapolitaner, die konnten das so wunderbar: alte Geschichten weiterspinnen.
Der Ursprung der Via dell’Amore, zum Beispiel, der war kein Geheimnis. Man wusste von diesem jungen Paar, das vor Generationen auf der Suche nach einem Ort, an dem sie sich ungestört küssen konnten, in der damals noch ruhigen Gasse gelandet war. Die beiden, Anna und Leonardo, wurden jedoch von den Eltern erwischt und, um einen Skandal zu vermeiden, zum Heiraten gezwungen. Das sprach sich herum. Fortan suchten die jungen Paare die Gasse extra auf, damit sie jemand beim Küssen sah und sie heiraten mussten.
Neapel wäre nicht Neapel, wenn nicht jemand aus dieser Besonderheit der Gasse ein ertragreiches Geschäft gemacht hätte. Irgendwann dachte sich nämlich Tommasinas Nonno Francesco, dass er den jungen Paaren, die ohnehin bald heiraten würden, vielleicht schon das Hochzeitsgebäck empfehlen konnte. Das funktionierte gut. So gut, dass er bald einen festen Standort dort brauchte. Seine Pasticceria wurde das erste Geschäft in der Via dell’Amore. Es folgten zahlreiche andere, mit einer Gemeinsamkeit: Sie hatten im weitesten Sinne etwas mit der Liebe, aber mehr noch mit Heiraten zu tun. Und das war bis heute so. Wollte man in Neapel und Provinz den Bund der Ehe schließen, war ein Besuch der Via dell’Amore quasi ein Muss.
Das Geschäft lief weiterhin gut, die Ehe war noch immer die Form von stabiler Beziehung, die sich ein Großteil der Paare wünschten. Das wusste Tommasina, sie hatte viel erlebt in dieser Gasse, allein schon gegeben durch ihr Alter – man munkelte, sie sei über siebzig, was sie natürlich vehement bestritt. Sie hatte auf jeden Fall das Sagen hier. Sie war der Boss. Beliebt, weil gerecht, aber auch gefürchtet, weil sich nicht jeder etwas von ihr sagen lassen wollte.
Tommasina beugte sich an diesem sonnigen Junimorgen weit über das Balkongeländer, um den Korb mit Diego, Ciro und Fabio, ihren drei Chihuahuas, an dem Seil herunterzulassen. Sie saßen brav und geduldig auf dem weichen Kissen, das sie eigens für ihre Babys hatte anfertigen lassen, und sahen ihr dabei tief in die Augen, wie sie glaubte zu erkennen. Langsam und vorsichtig landeten ihre Lieblinge auf den zwei Stockwerke tiefer gelegenen Pflastersteinen der Via.
Diego, Ciro und Fabio, die sie nach berühmten Fußballspielern ihrer Lieblingsmannschaft SSC Neapel benannt hatte, waren artige Hunde. Nur wollten sie früh raus. So früh, dass Tommasina nicht mithalten konnte, bei aller Liebe. Sie brauchte am Morgen ihre Zeit, für ihre Haare, für ihr Make-up und für die Auswahl ihres Outfits, dazu kam extra Alfonsa vorbei, die ihr half.
Ja, sie war Tommasina Di Blasi, nicht irgendeine alte Signora, die es sich vielleicht leisten konnte, einfach mal im Morgenmantel mitten auf der berühmten Via dell’Amore spazieren zu gehen. Es gab viel zu viele Augen, die auf sie gerichtet waren. Deshalb kam es für sie nicht infrage, sich in einem nicht perfekten Zustand zu zeigen. Und ihre Hunde waren ohnehin bestens erzogen und wussten genau, wo sie ihre Geschäfte verrichten konnten, ohne jemanden mit ihren Hinterlassenschaften zu belästigen, selbst wenn sie nicht dabei war. Die waren aber auch so winzig, dass man sie kaum sah …
Alfonsa näherte sich in der geschäftigen Gasse gewohnt flink, Tommasina sah sie und fragte sich nicht zum ersten Mal, wie ihre Hilfskraft immer zu spät dran sein konnte, wenn sie doch dauernd rannte. Das zwischen Tommasina und Alfonsa war eine Art Hassliebe. Sie zankten sich. Dauernd. Aber dann kam Alfonsa doch jeden Tag wieder. Und Tommasina, ja, die brauchte ihre Hilfe, und wenn sie ehrlich war, dann mochte sie Alfonsa sehr. Oder zumindest mehr als viele andere Menschen.
Alfonsa half auf der Via den Hunden aus dem Korb, und Tommasina zog ihn wieder auf den Balkon, auf dem Basilikum üppig wuchs – für viel mehr hatte sie keinen Platz. Sie war sehr stolz auf ihr Gewächs und erfreute sich am intensiven Duft. Die Blätter waren so groß, dass Diego, der kleinste ihrer Hunde, darauf surfen könnte. Aus den Blättern, die sie schon bald abzupfen würde, machte sie Pesto, mmh! Mit etwas Knoblauch, viel gutem Olivenöl, Pinienkernen und Parmesan. Wenn sie Pasta kochte und damit vermengte, konnte man das in der gesamten Via dell’Amore riechen, und nicht selten kam dann ihr Enkel Graziano nach oben und aß mit ihr. Vor einigen Jahren hatte er die Familienkonditorei übernommen, er war ein guter Junge. Seine Schwester Chiara eigentlich auch, obwohl sie der Via dell’Amore den Rücken gekehrt hatte. Aber das war ein anderes Thema.
Alfonsa trat ein, sie hatte ihren eigenen Schlüssel. Sie schlüpfte in ihre Hausschuhe, die in einem Schränkchen im Flur standen, und kam in die Küche, von der man auf den Balkon gelangte, auf dem Tommasina noch immer stand.
»Buongiorno. Gut geschlafen?«, erkundigte sich die Haushaltshilfe, die bereits zum Küchenschrank gegangen war, um das Alukännchen für den ersten caffè des Tages hervorzuholen.
Tommasina mochte das, wie selbstsicher und vertraut Alfonsa, die erst kürzlich ihren vierzigsten Geburtstag gefeiert hatte, sich bei ihr in der Wohnung bewegte. »Ach was, es war eine lange Nacht. Fabio hat schlecht geträumt …«, erklärte sie und setzte sich an den Küchentisch.
»Hast du ihm wieder Süßes gegeben?«, fragte Alfonsa und drehte sich dazu extra in ihre Richtung, während sie das Geschirr vom Vorabend aus der Spülmaschine nahm und wegräumte.
»Nein«, antwortete Tommasina zögerlich. Die Wahrheit war natürlich eine andere. Das wusste die Haushaltshilfe nur zu gut.
»Er wird noch Diabetes bekommen«, prophezeite Alfonsa. Und sie hatte natürlich recht. Aber er bettelte immer so lieb um ein Stückchen vom Kuchen … Wie konnte man da Nein sagen? Also ließ Tommasina das Gespräch fallen.
Sie bekam ihren caffè eingeschenkt in ihr Lieblingstässchen, das als einziges Stück ihres Hochzeitsservice überlebt hatte. Sie hatte dieses Geschirr so geliebt mit seiner filigranen Blumendekoration und dem Goldstrich, der den Rand entlanglief. Doch nach und nach waren alle Stücke zersprungen. Bis eben auf das Tässchen.
Der caffè war ihr heilig, das Ritual am Morgen eine Notwendigkeit, aber auch ein kleiner Luxus, den sie sich gönnte.
»Nonna!«, kam es von draußen.
Sie stand auf, ging hinüber zum Balkon, blickte auf die Via. »Graziano, bello di nonna!«, rief sie. Ihr Enkel stand unten, in seiner Konditorkleidung. Er hielt eine Papiertüte hoch, und sie ließ abermals den Korb hinunter, in den er sein Päckchen legte. Langsam zog sie den Korb wieder hoch, nachdem sie ihm eine Kusshand zugeworfen hatte. Den Kuss fing er lachend auf, dann war er schon weg, und Tommasina ging wieder hinein. »Er ist so ein guter Junge!«, sagte sie zu Alfonsa und reichte ihr die Tüte, bevor sie sich setzte.
»Das ist er. Du kannst stolz auf ihn sein«, erwiderte Alfonsa und legte die zwei dicken, leichten cornetti auf zwei Teller und stellte das mit Pistaziencreme gefüllte Hörnchen vor Tommasina ab. Der Duft war berauschend. Vielleicht knurrte sogar ihr Magen.
Graziano war mit seiner Konditorei gleich gegenüber zwar auf Hochzeitstorten spezialisiert, aber er machte auch andere Leckereien, wie diese Hörnchen, von denen er Tag für Tag ganze Wagenladungen verkaufte. Alfonsa aß ihr cornetto ohne Füllung, was Tommasina gar nicht verstand. Das war wie amore ohne baci. Man konnte nicht verliebt sein, ohne sich zu küssen, oder?
Schon von klein auf war Graziano, im Gegensatz zu seiner Schwester Chiara, immer mit in der Pasticceria gewesen. Es war von Anfang an klar gewesen, dass er das Geschäft, das seit Generationen der Familie gehörte, einmal übernehmen würde. Chiara hingegen hatten Kuchen nie sonderlich interessiert. Mode, insbesondere Schmuck, das war immer die Welt ihrer Enkelin gewesen. Und heute arbeitete sie bei einem namhaften Schmucklabel in Mailand.
In Mailand …
Als gäbe es in Neapel keine Arbeit für sie.
»Ich bin stolz auf meine beiden Enkel«, erklärte Tommasina, um wieder auf das zurückzukommen, was Alfonsa gesagt hatte.
»Ich weiß. Und nun iss dein Hörnchen, sonst werden wir hier bis Mittag nicht fertig!«, bestimmte sie.
»Als ob ich dich von irgendetwas Wichtigem abhalten würde …«, erwiderte Tommasina eingeschnappt. Sie konnte es nicht leiden, wenn Alfonsa herrisch wurde, weil sie fand, dass das eigentlich nur ihr zustand.
»Nun, du willst doch irgendwann heute noch Mittagessen. Wenn ich nicht bald die Kartoffeln aufsetze, wird das nichts. Und willst du auf der Via nicht langsam mal nach dem Rechten sehen?«, fragte Alfonsa scheinheilig, was Tommasina natürlich zur Eile antrieb, denn ja, sie wollte ihre Runde drehen. Das tat sie noch immer jeden Tag, mehrmals. Sie hatte einen geübten Blick, erkannte sofort, wenn irgendetwas nicht so lief, wie es sollte. Doch obwohl sie immer aufpasste, war ihr entgangen, dass es Paolo, dem talentierten, nicht mehr ganz so jungen Goldschmied der Via dell’Amore, nicht gut ging. Sie dachte noch immer, dass sie es hätte kommen sehen müssen.
Er hatte einen Schlaganfall erlitten. Der Arme! Seine Chancen auf eine komplette Genesung standen zwar gut, doch das dauerte natürlich.
Und nun war die kleine Goldschmiede im Herzen von Neapel geschlossen, die Via dell’Amore um einen wichtigen Bestandteil ärmer. Die Paare waren verwirrt und rüttelten an der Tür des Ladens, als könnten sie nicht glauben, dass es in der Gasse der Liebe weder Verlobungs- noch Eheringe gab.
Tommasina konnte es ja selbst nicht glauben.
Aber sie hatte die Lösung natürlich sofort gefunden: Chiara. Ihre Enkelin war Goldschmiedin, und sie musste aushelfen. Die Via dell’Amore brauchte sie jetzt.
Ja, es stimmte schon, dass Chiara sich wehrte. Doch Tommasina hatte ihre Mittel und Wege.
»Nun los, Alfonsa, ich muss mich beeilen«, erkannte Tommasina.
»Das habe ich doch gerade gesagt …«, erinnerte sie die Haushaltshilfe.
»Und nun sage ich es eben.« Tommasina aß ihr vorzügliches cornetto, trank den caffè und stand auf, damit sie sich endlich anziehen und frisieren konnte. Doch exakt in dem Moment begann ihr Handy zu trällern. Alfonsa hatte ihr ihren Lieblingssong von Gigi D’Alessio auf das Gerät geladen, was bedeutete, dass der Refrain von seinem ganz alten Hit Annarè wieder und wieder durch die Küche hallte.
Tommasina wischte über den Bildschirm und nahm den Anruf entgegen. Sie konnte nicht gleichzeitig wischen und entziffern, wer sie anrief, deshalb war sie stets ahnungslos, wenn sie sich meldete.
»Sì, pronto?«, rief sie in ihr Handy.
»Nonnaaaaaa!«, sagte jemand, der sich sehr nach Chiara anhörte. Wenn sie das a am Ende lang zog, dann war sie sauer. So viel stand fest.
»Bella di nonna …«, versuchte Tommasina, die Wogen zu glätten, bevor es richtig losging.
»Nonnaaaaaa, warum hast du das getan?« Chiara versuchte erst gar nicht, ihre Stimme zu senken.
Tommasinas Gewissen meldete sich, klopfte gegen ihren Brustkorb, irgendwo von innen.
»Was meinst du?«, fragte Tommasina scheinheilig.
»Das weißt du ganz genau. Du solltest so etwas nicht tun! Einfach hinter meinem Rücken bei meinem Arbeitgeber um eine Beurlaubung bitten! Also, wirklich!« Ihre Stimme überschlug sich ein paarmal. Das war ihr schon als kleines Kind immer passiert. Je aufgebrachter sie war, umso weniger schien ihre Stimme mitspielen zu wollen.
»Ich wollte nur wissen, wie es ihm geht …«, log sie weiter. Aber es war eine dieser harmlosen Lügen, dank derer man Streit vermeiden konnte. Zur Sicherheit bekreuzigte sich Tommasina – konnte ja nicht schaden.
»Du kennst ihn doch gar nicht!«, gab Chiara richtigerweise zu bedenken.
»Natürlich kenne ich Gianmarco«, behauptete sie fest.
»Ha! Gianmaria heißt er! Da haben wir’s!« Chiara war nun wirklich genervt. Und das wollte Tommasina nicht.
Sie setzte sich seufzend, war sich des neugierigen Blickes von Alfonsa bewusst.
»Die Hunde!«, zischte sie ihrer Haushaltshilfe zu. Sicher hatten sie ihre Morgenrunde schon beendet und warteten unten auf den Korb. Alfonsa trat auf den Balkon. Zu Chiara sagte Tommasina hingegen: »Hör zu, cara bambina mia, die Via dell’Amore bedeutet mir viel, und ich werde alles tun, um sie so lange wie möglich zu erhalten. Verliebte Paare kommen hierher, um die Magie der Liebe zu erleben. Sie kommen hierher, weil sie in dieser Gasse Menschen finden, die fest daran glauben, dass es sie gibt, diese grande amore. Sie fühlen sich verstanden, vielleicht sogar beschützt von uns, den Ladenbesitzern. Und ich kann nicht riskieren, all diese Paare zu enttäuschen. Deshalb muss ich weitermachen und zusehen, dass hier alles so bleibt wie gehabt. Wir sind eine Garantie für die Liebe. Es kann keine Via dell’Amore ohne einen Goldschmied geben. Deshalb brauche ich dich, bella di nonna.«
Tommasina hörte, wie Chiara am anderen Ende der Leitung schnaubte. »Aber, wieso ich, Nonna? Es gibt doch wohl genug arbeitslose Goldschmiede in Neapel.«
»Eine andere kommt nicht infrage, Chiara, weil du ein Teil der Via dell’Amore bist und immer sein wirst. Ob dir das nun gefällt oder nicht.«
Das war die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Und als Chiara leise fluchte, wusste Tommasina, dass ihre Enkelin kommen würde, und ihr fiel ein Stein vom Herzen. Denn der Gedanke, die Gasse nicht am Leben erhalten zu können, raubte ihr oft den Schlaf. Doch solange ihre Enkel sich als Teil davon sahen, konnte eigentlich nichts schiefgehen. Oder?
Die Ehe ist wie ein Band ohne lose Enden.
Chiara stapfte zurück nach Hause, vorbei an Marco – der endlich mal wieder lächelte, jedoch sofort ein ernstes Gesicht aufsetzte, als er bemerkte, wie schlecht ihre Laune war –, dann verließ sie das Gebäude und lief weiter die geschäftige Straße entlang bis hin zu ihrem Wohnhaus aus den Sechzigerjahren mit dem beigen Anstrich, den großen weiß umrandeten Fenstern und den kleinen Balkons. Sie stieg die Treppe hinauf, öffnete die Tür und schlüpfte in die Wohnung, bevor Ernesto wieder entfliehen konnte.
»Hey«, rief Alessia aus dem Wohnzimmer. Sie war Pflegehelferin in einem Krankenhaus und arbeitete im Schichtdienst. Meist arbeitete sie nachts vier Tage am Stück und hatte dann ebenso lang frei. Sicherlich kein schlechtes System, nur blickte Chiara nie durch und wusste nur selten, wann ihre Mitbewohnerin zu Hause war. Und das, obwohl Alessia ihren Dienstplan in die Küche gehängt hatte. Es nützte nichts. Chiara kam beim besten Willen nicht mit. Sie ging ins kleine Wohnzimmer, das sie gemütlich eingerichtet hatten. Das Sofa war es auf jeden Fall. Weich, weiß, aber bot nur Platz für eine Person. Ein guter Kompromiss, wie sie beide gefunden hatten. Dann gab es noch einen Schaukelstuhl, um den sie sich die erste Zeit über oft gestritten hatten. Inzwischen war er meist von Ernesto besetzt. Nicht so an diesem Morgen, an dem er friedlich quer über Alessias Brust lag und aussah, als könnte er kein Wässerchen trüben. »Was machst du denn hier?«, wollte Alessia wissen. Natürlich. Schließlich war Chiara zu dieser Uhrzeit unter der Woche sonst immer in der Arbeit.
»Lange Geschichte …«, erklärte Chiara und ließ sich auf den Schaukelstuhl fallen, der überrascht hin und her schwang.
»Na, ich habe Zeit«, gab Alessia zu verstehen und streichelte dabei Ernesto, der schnurrte und so entspannt auf seinem Frauchen lag, dass man genau hinsehen musste, um ihn nicht mit einer Decke zu verwechseln.
Chiara seufzte und erzählte von dem, was ihre Nonna angestellt hatte.
Alessia kicherte. »Unschlagbar diese Frau!« Sie sagte das mit offener Bewunderung.
Chiara rollte bedeutungsvoll mit den Augen und stand dann so abrupt auf, dass der Stuhl noch eine Weile ohne sie schaukelte. »Ich muss nun jedenfalls einen Flug buchen und packen. Ihr werdet ja eine Weile ohne mich hier klarkommen …«
»Ich hoffe nur, das wird Ernesto nicht traumatisieren«, sagte Alessia und ließ es wie eine Frage klingen.
»Inwiefern?«
»Er wird viel allein sein, der Arme …« Alessia gab dem Kater einen dicken Kuss auf den Kopf.
»Er kann mich nicht leiden. Wahrscheinlich ist er froh, dass er mich los ist«, gab Chiara zu bedenken.
»Das siehst du ganz falsch. Er mag dich … er ist nur schüchtern.«
Nun musste Chiara doch lachen. Schüchtern … Nach Jahren in der gleichen Wohnung wohl kaum. Er hasste sie ganz offensichtlich. Sogar innig. »Ich denke eher, dass ihm eine Pause von mir gefallen wird. Und nun muss ich mich aber um einen Flug kümmern.«
»Gib Bescheid, falls ich dir irgendwie helfen kann«, bot Alessia an.
Chiara nickte, ahnte aber, dass ihre Mitbewohnerin in wenigen Minuten bereits schlafen würde. Das war die Kehrseite von Nachtschichten.
Chiaras Zimmer war groß und hell mit hohen Wänden. Sie hatte es ganz nach ihrem Geschmack eingerichtet. Es gab ein Doppelbett mit großem, gepolstertem Kopfteil und einen geräumigen weißen Schrank aus massivem Holz. Und sogar eine Sitzecke, die sie mit einem Patchwork-Sessel, einem Beistelltisch und einer Stehlampe ausgestattet hatte. Dorthin verkroch sie sich, wenn sie lesen oder wahlweise mit offenen Augen träumen wollte. Sie hatte dort Bücher und Fotoalben stehen. In einem davon klebte sogar noch ein Bild von ihr und Checco, das sie eigentlich schon längst hatte herausnehmen wollen. Gott, das war so weit weg … Und sie hatte alles weggeworfen, was sie irgendwie mit ihrem Ex-Freund verband. Außer dieses Bild.
Es zeigte sie an der Strandpromenade von Neapel, ihrer Stadt. Im Hintergrund das Meer, Sonnenstrahlen im Gesicht. Sie saßen auf einer kniehohen Mauer, die die Promenade vom Strand abtrennte. Sie saß auf seinem Schoß, sein Kinn lag auf ihrer Schulter. So vertraut. Trotz der Geste konnte das Bild nicht zeigen, wie groß ihre Liebe gewesen war. Verrückt … Innerhalb kürzester Zeit waren sie so wichtig füreinander geworden, angezogen vom anderen wie von einem Magneten.
Chiara nahm sich auch heute wieder vor, das Foto bald wegzuwerfen. Irgendwann.
Zurück nach Neapel … Es war ja nicht so, dass sie sich nicht danach sehnte. Nach ihrer Stadt, ihrem Bruder und nicht zuletzt nach Nonna Tommasina und ihrer Via dell’Amore. Doch es tat auch weh, dahin zurückzukehren, wo ihr Herz gebrochen worden war.
Sie setzte sich schließlich aufs Bett, buchte über eine App für den kommenden Morgen einen Flug nach Neapel-Capodichino, der sogar recht günstig war, dann lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. Als sie in den Tag gestartet war, hätte sie mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass Tommasina einmal mehr Schicksal spielen würde.
Neapel, sieben Jahre zuvor
»Chiaraaaaa, aufstehen!«, rief Tommasina irgendwo aus den Zimmern ihres Hauses in der Via dell’Amore. Und Chiara konnte es nicht leiden, wenn man ihren Namen so gedehnt aussprach. Aus Protest zog sie ihre Decke über den Kopf. Der kleine Hund ihrer Nonna schlüpfte unter das Laken und leckte ihr über das Gesicht. Auch das gehörte nicht gerade zu den Dingen, die sie besonders gern mochte.
»Geh weg, Diego!«, rief sie und schob ihn von sich. Er verstand das als Aufforderung zum Spiel, trampelte auf ihr herum, war zwar ein Fliegengewicht, aber mit seinen spitzen Krallen trotzdem kein Vergnügen. Schließlich setzte er sich mit dem Hintern auf ihr Gesicht … und das musste am frühen Morgen nun wirklich nicht sein. Chiara hob ihn aus dem Bett, warf die Decke zurück und schlüpfte in ihre Hausschuhe, bevor sie ihr Zimmer verließ und ihre Nonna aufsuchte. Chiara fand sie in der Küche, eine schöne, hochgewachsene Frau, großartig frisiert, geschminkt und angezogen wie eine Diva mit ihrem bodenlangen Kaftan in schillerndem Blau. Die Farbe des Meeres, wenn man ganz weit rausfährt und es so tief ist, dass man den Grund nur erahnen kann, hatte sie es einmal beschrieben.