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Wenn das Leben gemein zu dir ist, hilft nur noch Eis mit Sahne!
Aurora bleibt keine Wahl: Sie muss das familieneigene Eiscafé verkaufen! Und so fährt sie in ihre alte Heimat, das idyllische Küstenstädtchen Maratea. Ihr Vater Gino und ihre Tante Olivia scheinen unerwartet gefasst, sie haben nur eine Bitte - Aurora soll zuerst ein paar Tage in der Casa del Gelato arbeiten. Was sie nicht weiß: Ihr Vater hat sie nur hergelockt, damit sie endlich selbst die Eisdiele übernimmt. Er hat dafür auch zwei sehr überzeugende Argumente in petto: Auroras Liebe zur Eiscreme - und den ebenso begabten wie attraktiven Eismacher Nando ...
"Roberta Gregorio hat mit 'Zwei Kugeln Glück mit Sahne' einen zauberhaften und warmherzigen Sommerroman geschrieben, der in jede Urlaubstasche gehört. Denn dieses Buch macht definitiv Lust auf Sommer, Sonne, Urlaub und viiiieeel Eis!" (Kati-Katharinenhof, Lesejury)
Glück kann man nicht kaufen. Eiscreme und diesen Roman schon - und das ist doch fast das Gleiche ...
Dieses eBook enthält ein exklusives Kurzinterview mit der Autorin. Und für alle, die nicht genug von Bella Italia bekommen können, empfehlen wir als Lesetipp: "Der Duft von Liebe und Oliven" von Roberta Gregorio.
Alle Geschichten dieser Reihe zaubern dir den Sommer ins Herz und bringen dir den Urlaub nach Hause. Die Romane sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
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Seitenzahl: 411
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Gusto Fior di latte
Kapitel 1
Gusto Limone
Kapitel 2
Gusto Cioccolato
Kapitel 3
Gusto Pistacchio
Kapitel 4
Gusto Stracciatella
Kapitel 5
Gusto Nocciola
Kapitel 6
Gusto Crema
Kapitel 7
Gusto Fragola
Kapitel 8
Gusto Amarena
Kapitel 9
Gusto Mela verde e Cannella
Kapitel 10
Gusto Pera e Ricotta
Kapitel 11
Gusto Zabaione
Kapitel 12
Gusto Dolce Vita
Kapitel 13
Gusto Liquirizia e Menta
Kapitel 14
Gusto Panettone e Peperoncino
Kapitel 15
Gusto Basilico e Fragola
Kapitel 16
Gusto Tè verde al Gelsomino
Kapitel 17
Gusto Fichi d’India
Kapitel 18
Gusto Mango e Lime
Kapitel 19
Gusto Banana e Noce
Kapitel 20
Gusto Lampone e Yoghurt con Avena
Kapitel 21
Gusto Cioccolato Bianco con Croccante di Mandorle
Kapitel 22
Gusto Castagna al Cioccolato
Kapitel 23
Sorbetto al Limone
Kapitel 24
Die Casa del Gelato braucht dich, Aurora!
Kapitel 25
Gelato è – Eis ist:
Epilog
Kurzinterview mit Roberta Gregorio
Ich bedanke mich herzlich bei …
Wenn das Leben gemein zu dir ist, hilft nur noch Eis mit Sahne!
Aurora bleibt keine Wahl: Sie muss das familieneigene Eiscafé verkaufen! Und so fährt sie in ihre alte Heimat, das idyllische Küstenstädtchen Maratea. Ihr Vater Gino und ihre Tante Olivia scheinen unerwartet gefasst, sie haben nur eine Bitte – Aurora soll zuerst ein paar Tage in der Casa del Gelato arbeiten. Was sie nicht weiß: Ihr Vater hat sie nur hergelockt, damit sie endlich selbst die Eisdiele übernimmt. Er hat dafür auch zwei sehr überzeugende Argumente in petto: Auroras Liebe zur Eiscreme – und den ebenso begabten wie attraktiven Eismacher Nando …
eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.
Roberta Gregorio ist durch und durch ein Kind des Südens. In Bayern hat sie ihre Kindheit und Schulzeit verbracht. Heute lebt sie mit ihrer Familie bei Neapel. Sie liebt das süße Nichtstun und La Dolce Vita – mischt diese Lebenseinstellung aber mit deutscher Gewissenhaftigkeit. Die Liebe zum geschriebenen Wort hat sie während ihrer Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin entdeckt. Heute träumt sie von einem eigenen kleinen Hotel, in dem sie am liebsten nur Buchschaffende aus aller Welt beherbergen würde.
Von Roberta Gregorio ist bei beHEARTBEAT auch der Roman »Der Duft von Liebe und Oliven« lieferbar.
ROBERTA GREGORIO
Zwei Kugeln Glück mit Sahne
Roman
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2017/2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat: Bettina Steinhage
Covergestaltung: © Sabine Dunst | Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von © Gettyimages: Veliavik | kolesnikovserg
eBook-Erstellung: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-7325-9427-6
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
In Italien stellt dieses Eis das A und O der Eismacherkunst dar, die Grundlage aller anderen Sorten. Fior di latte heißt: das Beste aus der Milch, aber auch die Blüte der Milch. Der Eismacher muss der Basis also die schwere, wuchtige Note nehmen und eine Leichtigkeit in die Geschmacksrichtung zaubern, die Gaumen und Zunge kurz zweifeln lässt, ob tatsächlich Milch verarbeitet wurde. Der Zweifel darf aber nur ein paar Augenblicke andauern. Dann muss sich das altbekannte Gefühl des Wiedererkennens einstellen. So und nur so darf Fior di latte schmecken.
Aurora berührte Giuliettas kalte Brust flüchtig. Etwas peinlich war ihr das, obwohl Giulietta nur eine Statue und diese Geste inzwischen eine Tradition war, die Aurora vor jeder Abreise einhielt. Sie bildete sich ein, dass das Glück brachte und sie auf der langen Fahrt beschützte. Wie immer erschien ihr diese Berührung trotzdem einen Tick zu intim. Was natürlich völliger Unsinn war. Der hübsche Innenhof mit dem Balkon, von dem behauptet wurde, er sei Schauplatz der wichtigsten Romeo-und-Julia-Szenen gewesen, war wie üblich gut besucht. Und alle Besucher machten Halt an der lieblichen Bronzestatue, um sich ihre Dosis Glück zu holen. Giulietta ließ sich vom Antatschen nicht aus der Ruhe bringen, erkannte Aurora. Obwohl die Statue besonders im Brustbereich vom vielen Anfassen regelrecht erstrahlte, so abgenutzt war das Material, lächelte die holde Julia ihr zurückhaltendes Lächeln über die Jahrzehnte weiter. Das Lächeln schien eine ganze Welt aus ungeteilten, kleinen Geheimnissen zu verbergen und gleichzeitig auf die Touristen abzufärben. Die Stimmung im Innenhof war gelassen, fast ein bisschen feierlich. Viele waren wohl auch gekommen, um gemeinsam ihre Liebe zu zelebrieren. Die Geschichte von Romeo und Julia war für alle der Inbegriff von Romantik. Das wusste jedes Kind.
Aurora fragte sich, ob all die Menschen, die um sie herumstanden, Fotos schossen oder sich einfach unterhielten, tatsächlich verliebt waren und auch den richtigen Partner an der Seite hatten. Beinahe war sie versucht, der Frau auf die Schulter zu tippen, die jetzt auf Giuliettas Statue zutrat, um herauszufinden, ob diese jemanden hatte, der sie wirklich, wirklich liebte. Dann aber sah Aurora, wie ein Mann – bestimmt deren Partner – ihr half, auf den Sockel der Statue zu steigen. Und es lag so viel Intimes, Vertrautes in dieser Geste, dass jede Frage überflüssig gewesen wäre. Sie erkannte einmal mehr, dass die Liebe sich nicht unbedingt mit Paukenschlag und Trompetenhall manifestierte. Liebe war auch mal leise. Und zart. Und feinfühlig. Oft war sie vorsichtig und schüchtern. Diese Art von Liebe bevorzugte Aurora. Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken zu ihren Eltern, die die glücklichste Ehe geführt hatten, die sie jemals miterleben durfte. Ja. Ihre Eltern, die waren richtig glücklich gewesen. So glücklich, dass alle die beiden darum beneidet hatten. Und Aurora konnte gar nicht leugnen, dass auch sie stets darauf hingearbeitet hatte, so eine Art von Ehe zu führen. Gelungen war ihr das nicht. Aber Aufgeben war keine Option. Das hatte sie schon sehr früh im Leben gelernt. Mit Feigheit kam man eben nicht weit.
Und trotzdem stellte sich Aurora eher feige in die Ecke, um sich das heitere Treiben, das sich rund um die Erinnerungen an eine spektakuläre Liebesgeschichte bewegte, weiter zu beobachten. Ohne es bewusst zu steuern, mischten sich Bilder aus ihrer Vergangenheit mit in das Geschehen. Sie erinnerte sich daran, mit welch Lebensmut sie vor gut 15 Jahren in diese wundervolle Stadt gezogen war, und bedauerte es plötzlich sehr, die Sorglosigkeit von damals komplett verloren zu haben. Die erste Zeit in Verona, gemeinsam mit ihrem frisch angetrauten Ehemann Matteo, war nämlich bombastisch gewesen. Sie hatte weder ihren Heimatort Maratea noch ihre Familie auch nur eine Sekunde vermisst. Sie hatte gar nicht die Gelegenheit dazu gehabt. Matteo hatte ihr Leben ausgefüllt, wie noch niemand es geschafft hatte. Aber die Zeiten hatten sich geändert …
Instinktiv blickte sie auf ihre Armbanduhr. Sie musste gehen, erkannte sie mit Bedauern. Schließlich hatte sie noch einen wichtigen Termin gleich um die Ecke. Wehmütig verabschiedete sie sich von Giulietta und wünschte sich dabei, das Lächeln der Statue einpacken und mitnehmen zu können, um es bei Bedarf selbst zu verwenden. Matteo würde ein solches Lächeln sicherlich lieben.
»Buongiorno, signora!«, hieß ein penibel elegant bekleideter Angestellter sie willkommen. Er war unverschämt jung. Was ihm an Lebensjahren fehlte, machte er aber mit einem souveränen, ja fast anmaßend sicheren Auftreten mehr als wett. Er führte Aurora in sein winziges Büro, wartete höflich ab, bis sie sich setzte, und ging erst dann um seinen einfachen Schreibtisch herum.
»Cioccolatino?« Er reichte ihr eine Kristallschale, die mit feinsten Schokobonbons gefüllt war.
Sie nahm dankend an, schälte die Schokolade aus der kupferfarbenen Verpackung und schob sie in den Mund. Was sie beinahe augenblicklich bereute. Aurora merkte erst durch die Süßigkeit, wie trocken ihr Mund war, und kämpfte nicht wenig, um damit fertigzuwerden. Dabei entstanden sogar peinliche Sauggeräusche, und sie schämte sich in Grund und Boden.
Der Angestellte wartete höflich ab. Gab ihr Zeit. Vermutlich nicht nur, um die Schokolade zu schlucken. Aurora war sich sicher, dass der junge Kerl ihr die wachsende Nervosität sehr wohl ansah. Sie wünschte plötzlich, sie müsste sich nicht mit ihm unterhalten. Zumindest nicht über ihre finanzielle Lage.
»Sie haben mich um ein Treffen gebeten?«, setzte der Mann aber gleich darauf an.
Blöde Frage, fand Aurora. Natürlich hatte sie das. Andernfalls säße sie ja nicht hier. »Ja. Das habe ich. Und ich danke Ihnen, dass Sie so kurzfristig Zeit für mich gefunden haben.«
Er machte eine schwer zu definierende Bewegung mit den Armen, die ihr irgendwie gönnerhaft erschien. Aber sie sah darüber hinweg. Was blieb ihr auch anderes übrig?
»Wie Sie sich sicherlich vorstellen können, geht es um die Schulden meines Mannes«, fuhr sie fort und rief sich dabei in Erinnerung, dass sie sich immerhin in einer Bank befand. Der Angestellte war daran gewöhnt, sich mit Schulden auseinanderzusetzen. Sicherlich mehr, als sie es war.
Er gab etwas in seinen PC ein, blickte auf den Bildschirm. »Wie ich sehe, wurde das Darlehen vor fast genau einem Jahr beantragt und von uns bewilligt …«
Das entsprach der Wahrheit. Leider.
»Ich sehe aber auch, dass die letzten … fünf Raten nicht zurückgezahlt wurden«, stellte der Mann fest.
Auch das entsprach der Wahrheit. Leider, leider, leider.
Sie war sich aber ziemlich sicher, dass der Angestellte das längst wusste. Irgendjemand musste ja die Mahnungen schicken.
»Darüber bin ich natürlich informiert.«
Er nickte nur. Faltete seine Hände in einer abwartenden Geste und lehnte sich zurück.
Sie wollte ihm jetzt gar nicht erzählen, wie es überhaupt so weit gekommen war. Dieses Geständnis gehörte sicherlich nicht in dieses Büro. Sie wollte nur von ihm wissen, wie sie das Problem lösen konnte. Möglichst schmerzlos. Das sagte sie ihm auch.
»Nun, ich wünschte, ich hätte einen alternativen Ausweg für Sie. Das tue ich wirklich. Aber leider gibt es den nicht. Ich muss im Namen unserer Bank darauf bestehen, dass die Fristen jetzt eingehalten und das geliehene Geld nun wie vereinbart zurückgezahlt wird. Nur sehr ungern würden wir uns mit diesem Problem an unsere Anwälte wenden. Das wäre für alle Beteiligten mehr als unschön.«
Sie nickte. Wusste es sogar zu schätzen, dass die Bank bisher keine weiteren Schritte eingeleitet hatte und nur immerzu Mahnungen schickte. Aber selbst die reichten schon aus, um ihr Magenschmerzen zu bereiten.
Der Angestellte hielt ihr mit einem bedauernden Lächeln erneut die Schale mit der Schokolade hin. Sie erkannte jetzt endlich etwas Aufrichtiges in seinem Blick und, wenn irgendwie möglich, fühlte sich durch seine Anteilnahme sogar noch niedergeschlagener. Seufzend griff sie in die Kristallschüssel und nahm eine Handvoll Schokobonbons heraus, die sie in ihre Tasche steckte.
»Geben Sie mir bitte ein bis zwei Wochen Zeit. Ich werde das regeln«, sagte sie und hoffte dabei, nicht nur ihn mit ihrer vagen Behauptung zu überzeugen.
Er trommelte mit den Fingern auf die Holzplatte seines Schreibtischs. Eine ganze Weile lang. Dann richtete er den Blick endlich wieder auf sie. »Zwei Wochen. Keinen Tag länger.«
Sie nickte ergeben. Gleichzeitig wurde ihr schlecht. Gern – so gern – hätte sie die Übelkeit auf die Schokolade geschoben. Doch wusste sie ganz genau, dass es nicht daran lag. Die Verantwortung schlug ihr auf den Magen. Und mehr noch die folgenschwere Entscheidung, die sie würde treffen müssen.
Sehr viel später erreichte Aurora mit Einkaufstüten beladen ihre Wohnung. Sie hatte nach dem Termin noch kleine Geschenke für ihre Familie in Maratea eingekauft. Sie schloss auf und betrat den Eingangsbereich. Ohne es bewusst zu steuern, horchte sie in die Wohnung hinein und erkannte dabei, dass sie nicht allein war. Sie streifte die Schuhe von den Füßen, brachte die Tüten in ihr Schlafzimmer. Stieg dabei über den Koffer, der noch nicht ganz zu ihrer Zufriedenheit gepackt war. Das würde sie später noch erledigen, überlegte sie, und schlüpfte aus Rock und Top, um sich bequemere Haushaltskleidung anzuziehen. Sie wollte kochen. Mehr oder weniger nur für Matteo. Sie selbst hatte in letzter Zeit kaum Hunger. Entschlossen begab sie sich in die Küche.
Aurora war keine besonders begeisterte Köchin. Spaghetti Carbonara bekam sie aber ganz gut hin. Sie nahm an, dass zwangsläufig jede Ehefrau das Lieblingsgericht des eigenen Mannes zuzubereiten erlernte. Gute Zutaten waren natürlich besonders wichtig, die Schweinebacke holte sie immer beim besten Metzger im ganzen Wohnviertel. Sie deckte den Tisch, entkorkte den Wein, warf die Spaghetti ins kochende Wasser.
Alles gut, sagte sie sich.
Dennoch wurde sie zunehmend nervös. Um sich zu beruhigen, drehte sie das Radio auf und sang bei einem Lied mit, das ihr besonders gut gefiel.
Schließlich fischte sie eine Nudel aus dem blubbernden Wasser und biss ein Stück ab. Al dente, wie ihr Mann es mochte. Flink goss sie die Spaghetti ab, vermengte sie mit den anderen Zutaten und gab sie in die Schüssel aus dem Festtagsgeschirr. Wie ein kostbares Gut trug sie das Gericht hinüber zum Essbereich.
»Matteo, kommst du?«, rief sie, stellte die Spaghetti auf den Tisch und zündete die Kerze an.
Ihr Mann erschien aus dem Arbeitszimmer, blieb irritiert am Esstisch stehen und blickte sie kurz an. Gedankenverloren. Ein bisschen abweisend sogar.
»Ich muss nochmal weg«, sagte er und hielt demonstrativ den Arm hoch, um auf seine Uhr zu sehen.
»Aber … ich habe doch gekocht.«
»Du, ich esse dann später. Kein Problem.«
»Ich wollte … du weißt doch, dass ich morgen wegfahre, Matteo.«
Daraufhin sagte er gar nichts. Aber sein Blick sprach Bände. Sein Blick warf ihr ein deutliches »Ja und?!« entgegen, das heftig schmerzte. Aber er nahm die Einladung unerwartet an. Setzte sich. Wäre er noch ein Teenie gewesen, hätte er sicherlich gemurrt. Er war aber inzwischen über vierzig. Die Zeit hatte ihn zwar verändert, sein dichtes, schwarzes Haar hatte an vielen Stellen eine graue Färbung angenommen. Trotzdem war er noch immer äußerst gutaussehend. Sie hätte sein gutes Aussehen aber ohne mit der Wimper zu zucken gegen seinen einstigen Glanz ausgetauscht. Seine Lebensfreude. Seinen Enthusiasmus. Seine Liebe.
Sein Feuer war jedoch erloschen.
Er war nicht mehr der, den sie geheiratet hatte.
Sie konnte mehr fühlen als hören, wie er mit Not ein Seufzen unterdrückte. Sie ignorierte das. Sie ignorierte auch, dass er es nicht schaffte, sie anzusehen. Stattdessen lud sie ihm eine Portion Carbonara auf den Teller.
»Ich war heute nochmal auf der Bank …«, erwähnte sie wie beiläufig.
Matteo versteifte sich augenblicklich. Hielt sogar in der Bewegung inne. Die mit Nudeln beladene Gabel schwebte irgendwo in der Luft, auf halber Strecke zwischen Teller und Mund. Er fragte aber nicht danach, was sie dort getan hatte. Den Teufel würde er tun. Das wusste sie natürlich. Wäre es ihm möglich, er würde für immer den Kopf in den Sand stecken, um sich nicht mit seinen Problemen auseinanderzusetzen. Wobei es eigentlich nicht stimmte, von Problemen zu sprechen. Matteo hatte nur ein Problem. Und das war sein Umgang mit Geld.
»Ist dir bewusst, wie hoch unsere Schulden inzwischen sind?« Diese Frage musste sie ihm stellen. Er musste einfach begreifen, was er mit seinem tänzelnden, träumerischen Lebensstil angerichtet hatte.
Natürlich zuckte er mit den Schultern.
Sie nannte ihm die Summe. Die beachtliche Summe. Die sechsstellige Summe. Er schien vor ihren Augen zusammenzuschrumpfen.
Bleib hart, sagte sie sich.
Aber die Stimmung war endgültig gekippt.
Er stand genervt auf. So plötzlich, dass der Stuhl scheppernd umfiel. Fast angeekelt warf er seine Gabel auf den Tisch. »War ja klar, dass du wieder mit dem Scheiß anfängst …«
»Matteo, dieser Scheiß – wie du es nennst – ist wichtig. Diesen Scheiß müssen wir aus dem Weg räumen. Ist dir das klar?«
»Ist dir klar, dass du unsere Ehe mit diesem Scheiß kaputt gemacht hast?! Dauernd willst du reden und analysieren.« Sie hatte also ihre Ehe kaputt gemacht … So und nicht anders sah er das. Und er hatte recht, es brachte rein gar nichts, schon wieder diskutieren zu wollen. Er begriff es einfach nicht. Sie sah auf, ihm direkt in die Augen.
Wütend fuhr er fort: »Ich habe dir doch gesagt, dass ich das regeln werde. Ich habe die Schnauze so voll von dir und deinem anklagenden Gesicht, das glaubst du gar nicht. Es ist vorbei, Aurora, ein für alle Mal.«
»Wie meinst du das, vorbei?« So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Wut, Ärger, das ja, aber nicht diese Reaktion.
»Du weißt genau, was ich meine. Hör zu, Aurora, ich gehe jetzt besser. Gute Reise. Man sieht sich.« Und dann ging er tatsächlich.
Seine Gleichgültigkeit, seine Gemeinheit … die ertrug sie nicht. Die raubte ihr die Kraft. Denn seine Gleichgültigkeit erinnerte sie daran, die Dinge beim Namen zu nennen: Matteo wollte sie nicht mehr. Ihre Ehe hing sozusagen an einem seidenen Faden. Das war Fakt. Während Matteo aber dauernd am Faden zerrte, damit er endlich riss, versuchte sie mit allen Mitteln, aus dem Faden wieder ein Seil zu machen.
Es war kompliziert. Wie immer, wenn es um Gefühle ging, überlegte sie und beobachtete die Spaghetti dabei, wie sie sich in einen einzigen, zähen Klumpen verwandelten. So ein zäher Klumpen steckte auch in ihrer Brust. Aber sie weinte nicht. Weinen war ihr zu endgültig.
Sie hörte, wie Matteo im Flur nach seinen Schuhen suchte, und entschloss sich spontan, zu ihm zu gehen. Vielleicht um ihn aufzuhalten. Oder ihm seine absurde Idee, sich scheiden zu lassen, endgültig auszureden. So genau wusste sie das selbst nicht.
Matteo zog aber die Tür hinter sich zu, bevor sie ihn erreichte.
Er war gegangen. Nach einem fahrigen Nicken mit dem Kopf. Das war seine Art gewesen, sich bei ihr zu verabschieden. Aurora war in den letzten Jahren und Monaten eine Meisterin darin geworden, seine Gesten, seine Launen, seine Bewegungen – manchmal sogar sein Atmen – zu interpretieren. Er teilte sich ihr ja nicht mehr mit.
Nun gut. Seine Worte eben, die waren schon mitteilsam gewesen. Und eindeutig. Oder?
Sie schüttelte den Kopf. Als könnte sie damit all ihren Unmut loswerden. Natürlich gelang es ihr nicht. Also schlug sie ein paarmal fest gegen die Tür, an der sie noch immer stand. Sie merkte aber, dass das höllisch wehtat, und beschloss, ihre Hand für Wichtigeres aufzubewahren. Sie hielt inne, bis das prickelnde Stechen aufhörte und sie ihren Arm müde fallen ließ. Dann lehnte sie sich mit der Stirn gegen das kühle Holzimitat.
»Ich kann nicht mehr«, rief sie laut und stellte sich dabei vor, wie ihre Stimme ihm hinterhereilte, um ihn mal richtig durchzuschütteln. Aber ihr wurde gleichzeitig bewusst, wie lächerlich pathetisch diese Szene war, und stieß sich endlich von der Tür weg. Lächerlich wollte sie nicht sein und niemals werden. Das hatte sie sich versprochen. Und sie hielt ihre Versprechen. Ganz im Gegensatz zu Matteo. Wenn sie es sich recht überlegte, dann hatte Matteo sogar so ziemlich jedes Versprechen gebrochen, das er ihr jemals gegeben hatte.
Sie seufzte tief, fuhr sich durchs Haar und blickte erst dann in den Spiegel, der im Flur gleich am Eingang stand. Wie so oft streckte sie ihrem Spiegelbild die Zunge heraus. Zurzeit konnte sie sich selbst nicht besonders leiden. Nein. Das stimmte so nicht. Sie konnte sich schon seit einer ganzen Weile nicht leiden. Der endlose Kampf um ihre Ehe hatte sie verändert. Und zum ersten Mal regte sich eine Stimme in ihr, die leise anfragte, ob es das überhaupt wert war.
Mit einem Schulterzucken ließ sie ihr Spiegelbild allein und ging zurück in den Essbereich, wo sie sich Rotwein ins Glas füllte. Sie setzte sich, trank einen großen Schluck und lehnte sich zurück. Aus ihrer Position konnte sie gut durchs weit geöffnete Fenster blicken. Der Mond war atemberaubend schön. Sie trank das Glas leer und vermisste plötzlich die Sterne. Sehnsüchtig.
Die Sterne zeigten sich hier in Verona nie in ihrer vollen Pracht. Trotzdem versprühte der Himmel etwas unvergleichlich Sommerliches.
Aurora mochte den Sommer. Und sie mochte auch Verona. Sie hatte das Glück, gleich an der Brücke Ponte di Castelvecchio zu wohnen. Oder eher das Glück, an so einem schönen Ort eine bezahlbare Wohnung gefunden zu haben. Bezahlbar musste in ihrem Leben immer alles sein. Matteos Schulden waren auch ihr Problem. Oder eher einzig und allein ihr Problem.
Die nächtliche Beleuchtung der antiken Brücke gaukelte ihr kurz vor – wenigstens für einen Moment –, die Sterne ersetzen zu können. Jedes einzelne Licht spiegelte sich im schwarzen Fluss. Das Wasser floss aber trotzdem unbeirrt weiter und folgte seiner vorbestimmten Richtung.
Das Herz wurde ihr schwer. So, so schwer.
Bis zum letzten Moment hatte sie gehofft, ihren Plan nicht umsetzen zu müssen. Dass Matteo ihr einmal zur Seite stehen, einmal erwachsen sein könnte, sie gemeinsam eine Lösung finden würden. Doch diese Hoffnung hatte sich nun endgültig zerschlagen. Erwachsen war er nämlich nie gewesen. Das wusste sie jetzt. Es war eher sein Leuchten gewesen, das ihn zu einem unwiderstehlichen Mann gemacht hatte. Seine Begeisterungsfähigkeit und sein Charisma. Früher hatte er alle Blicke auf sich gezogen wie ein Magnet – egal wo. Und sie hatte sich gesonnt in diesem unvergleichlichen Schein. Heute war davon nichts mehr übrig. Sie seufzte wieder.
Ihr Plan hatte sehr viel mit Maratea, ihrem Heimatort, mehr aber noch mit der Casa del Gelato, der Eisdiele ihrer Familie zu tun. Ihr Plan war ganz rational betrachtet der einzig logische Ausweg aus ihrer Situation. Das bedeutete aber nicht, dass diese Gewissheit es minder schmerzvoll machte.
Es gibt Zitronen, und es gibt die Zitronen der Amalfiküste. Letztere wachsen in spektakulärer Lage, werden von morgens bis abends von funkelnden Sonnenstrahlen gestreichelt, haben das Meer in greifbarer Nähe, gedeihen auf fruchtbarem Boden und werden mit hingebungsvoller Aufopferung von menschlicher Hand so lange liebkost, bis die duftende Blüte sich in ein kleines Wunder der Natur verwandelt.
Genau aus diesem Grund ist Zitroneneis, wenn man die richtige Frucht verwendet – Saft und Schale –, gleichzeitig erfrischend und süß, warm und satt, aromatisch und bodenständig. Kontrastreich, aber anpassungsfähig. Prickelnd und beruhigend. Eine Geschmacksrichtung, die im Sommer wie im Winter passt.
Arturo öffnete das Fenster. Er hatte sich das so angewöhnt, immer ordentlich zu lüften. Egal, ob im Sommer oder im Winter. Bei Regen oder Sonnenschein. Nach dem Aufstehen war das immer das Erste, was er machte. Dass das Schlafzimmerfenster dabei jedes Mal empört ächzte, fiel ihm ebenso zuverlässig auf. Wahrscheinlich gehörte es ersetzt. Wie so vieles im Haus. Besonders schlimm stand es um die Küchenfliesen mit den aufgemalten Sonnenblumen. Warum auch immer, hatten sie angefangen, nacheinander kaputt zu gehen. Dabei benutzte er die Küche so gut wie nie. Die hübschen Majoliken wiesen trotzdem fast allesamt feine Risse auf, die natürlich dafür sorgten, dass sie etwas weniger schön aussahen. Aber, wie um alles in der Welt sollte er das übers Herz bringen, sie auszutauschen? Die Küche, ja, das ganze Haus war exakt so erhalten, wie seine Eltern es ihm überlassen hatten. Und daran etwas zu ändern … nein, das brachte er nicht übers Herz.
Plötzlich musste er an Olivia denken. Auch ohne in den Spiegel zu sehen, wusste er, dass sein Gesicht sich dabei erhellte. Oder vielleicht war es auch nur ein Eindruck. Ein schöner Eindruck, der ihm sehr viel mehr gab als eine Gewissheit. Sie schimpfte ja oft mit ihm und bezeichnete ihn als alt, stur und sentimental. So gesagt, klang das nicht gerade nach einer schmeichelhaften Beschreibung. Aber – und das konnte er zweifelsfrei jedem versichern – aus Olivias Mund war das sehr nahe an einem Kompliment dran. Außerdem hatte sie in allen Punkten recht. Er blickte kurz auf seine Armbanduhr und fand, dass er sich schon zum Aufbruch bereit machen konnte. Gut, Olivia hatte zwar ausdrücklich darum gebeten – na ja, sie hatte es ihm eher befohlen –, heute keinen Besuch von ihm zu erhalten, aber das ignorierte er einfach. Nicht etwa, weil er sie nicht respektierte. Es verhielt sich eher anders herum. Da er sie respektierte, sah er über ihre ruppige Art hinweg. Oder vielleicht tat er das weniger aus Respekt, sondern aus Liebe.
Wie dem auch sei. Besonders am heutigen Tag empfand er es als seine Pflicht, zu ihr zu gehen, um sie auf seine Art zu beruhigen. Dass sie nervös war, das wusste er. Nervös, aufgeregt, hibbelig. Ein bisschen wie ein Kind an Heiligabend. Olivia erwartete nämlich ihre Nichte Aurora. Irgendwann abends, das hatte Aurora extra betont, würde sie eintreffen. Dass Olivia trotzdem schon in aller Früh damit anfangen würde, ihr Willkommensritual bis ins kleinste Detail vorzubereiten, stand außer Frage. So war sie nun mal. Wenn es ihr half, die aufreibenden Momente bis zum lang ersehnten Wiedersehen zu überbrücken, dann ließ er ihr die Freude einfach und versuchte nur, sie am Durchdrehen zu hindern.
Auch er freute sich auf Aurora. Ihre Besuche waren rar geworden. Und er … nun, er wurde halt tatsächlich sentimental. Olivias Nichte, die war schon etwas ganz Besonderes, wenn er auch glaubte, dass sie alles daransetzte, es nicht zu sein. Wie jemand, der sich vor der ganzen Welt versteckt, vielleicht am meisten aber vor sich selbst.
Arturo kleidete sich mit größter Sorgfalt an – man nannte ihn im Ort nicht umsonst augenzwinkernd Rodolfo Valentino – und begutachtete das Resultat im alten Spiegel, der ihm dumpf entgegenblickte. Er musste dabei die Augen zusammenkneifen, weil sein Spiegelbild nur schemenhaft zu erkennen war im glanzlosen Glas. Tja, auch so ein Teil, das wohl ersetzt werden musste, überlegte er halb amüsiert, halb erschlagen von dieser Gewissheit. An diesem Morgen jedenfalls erkannte er genug. Arturo wusste, dass er noch immer gut aussah. Er hatte auch vielen, vielen Frauen den Kopf verdreht. Nicht nur Touristinnen. Sein Herz aber, das hatte immer nur einer gehört. Immer ihr. Immer der einzigen, wunderbaren Olivia. Beim zärtlichen Gedanken an seine geliebte Olivia musste er tief seufzen. Aber das dauerte nur einen Augenblick. Er kämmte sich das Haar routiniert zurück und setzte seinen Sommerhut auf. Beinahe hätte er sein klassisches Aftershave vergessen. Er tröpfelte etwas davon in seine Hände, verrieb die duftende Flüssigkeit und klopfte sie sich dann auf die Wangen, als wäre er der erfahrenste aller Barbiere. Ein Ritual, das er nicht missen mochte. Er fand, dass gut riechen ebenso wichtig war wie gute Manieren haben. Ein letzter Blick in den Spiegel. Jetzt war er bereit. Bereit für seine Olivia.
Gutgelaunt verließ er das Haus und begab sich aus der engen Gasse auf die einzige Hauptstraße vom antiken Ortskern von Maratea. Es war ein geradezu wundervoller Tag, Stimmen waren aus jedem Winkel zu hören. Sie klangen nach Sommer, Sonne und Sorglosigkeit. Touristen waren um diese Uhrzeit noch keine da. Für die war es zu früh. Aber die Einwohner, die waren schon dabei, den Tag zu planen, erinnerten mit ihrer Geschäftigkeit an aufgebrachte Ameisen. Auf dem kurzen Weg zur pasticceria hatte Arturo seinen Hut bestimmt zehnmal gehoben, um irgendwen zu grüßen. Er war bekannt wie ein bunter Hund. Keine große Kunst in so einem kleinen Städtchen. Aber er war nicht nur bekannt, sondern auch äußerst beliebt. Das lag daran, dass er fast 40 Jahre lang auf der Post gearbeitet hatte. Damals, als das Postamt sich noch im antiken Ortskern befunden hatte. Er war sehr lange leitender und einziger Angestellter gewesen. Als er als junger Kerl angefangen hatte, wurde noch alles mit der Hand ausgefüllt. Was bedeutete, dass er die meiste Zeit des Tages damit verbracht hatte, für die Bevölkerung von Maratea Formulare auszufüllen, da der Analphabetismus unter der ganz alten Generation eher zur Norm als zur Ausnahme gehörte. Er hatte es gerne getan. Und das wussten alle, weshalb sie ihn auch so sehr schätzten – Junge wie Alte. Respekt hielt in so kleinen Orten wie Maratea gerne mal ein paar Generationen lang, wusste er. Dafür sorgten die traditionsbewussten Großeltern.
Die Arbeit vermisste er trotzdem kein bisschen. Obwohl er natürlich brav die Umstellung auf die digitalisierte Arbeitsweise gemeistert hatte, war ihm das mit den Jahren doch zu anstrengend geworden, dauernd Schulungen mitzumachen. Wohin sollte das führen, wenn man statt in die Gesichter der Menschen dauernd auf einen Bildschirm glotzen musste? Nein, nein. Das war nichts mehr für ihn. Sollten sich die jungen Leute damit herumschlagen.
Arturo betrat die pasticceria und konzentrierte sich wieder auf das Hier und Jetzt. Die Konditorei befand sich in einer sehr engen Gasse, die aber direkt zur Piazza führte. Er hatte immer den Eindruck, eine Höhle zu betreten, wenn er den Laden aufsuchte. Das hing wahrscheinlich damit zusammen, dass das antike Mauerwerk meterdick war, überlegte er. Viel hatte auch gar nicht darin Platz. Eine hübsche Glasvitrine und eine Theke, wo traditionelles Gebäck liebevoll in akkuraten Reihen angeordnet war. Mehr nicht. Bei Andrang konnte es schnell etwas eng werden.
Alles egal.
Der so typische und gleichzeitig schwer zu beschreibende Duft nach feinstem, süßem Gebäck machte das mehr als wett. Ein wahrer Genuss für die Sinne!
»Buongiorno!«, grüßte er und hob den Hut.
»Buongiorno. Na, Arturo, come stai?«, erkundigte sich der Konditor freundlich.
»Ach, ich kann nicht klagen. Was macht dein papà?«
»Das, was er immer macht: backen!« Der Mann lachte. »Er lässt einfach niemanden an den Ofen.«
»Recht so. Er ist ja auch der Beste!«, bemerkte er, dachte dabei aber amüsiert, dass er nicht als Einziger stur war. Das musste wohl etwas mit dem Alter zu tun haben.
»Das ist er, veramente!« Sein Gegenüber nickte heftig. »Was darf es denn sein, Arturo? Bocconotti?«
Sehnsüchtig blickte er auf die Törtchen und glaubte fast, den Geschmack der Kirschfüllung auf der Zunge zu spüren. Arturo schluckte und dachte dabei an seinen Bauchansatz, der allmählich an Umfang zunahm. »Nein, grazie. Heute nicht. Ich möchte etwas Mandelgebäck für Olivia.« Sie liebte die süßen Plätzchen, die es in den verschiedensten Geschmacksrichtungen und Farben gab.
»Zitrone, Pistazie und Rose?«
»Ganz genau!«
Mit einer Papiertüte voller duftendem Gebäck verließ Arturo die pasticceria und hielt sofort inne. Er meinte, Olivias Stimme zu hören, die in der Nähe wohnte. Arturo spitzte die Ohren. Und musste sich gleich darauf ein Grinsen verkneifen. Ja. Das war definitiv Olivia. Keine andere konnte so fluchen wie sie.
*
»Verflucht!« Aurora trat scharf auf die Bremse. Sie musste besser aufpassen, wenn sie Maratea tatsächlich erreichen und stattdessen nicht im Krankenhaus landen wollte. Inzwischen war sie vollkommen erschöpft. Und das, obwohl sie, wie immer, auf halber Strecke zwischenübernachtet hatte – immerhin durchquerte sie fast den gesamten Stiefel auf ihrer Fahrt von Verona nach Maratea. Meistens empfand sie die vielen Kilometer als genau richtig, um sich auf den Süden mit seinem ganz anderen Rhythmus einzustimmen. Nicht so dieses Mal. Diese Reise war anders. Das spürte sie bis in die Zehenspitzen.
Richtig geschlafen hatte sie in ihrem anonymen Hotelzimmerbett keine Sekunde. Oder zumindest fühlte es sich so an. Der Streit mit Matteo steckte ihr in den Knochen. Sie fragte sich immer noch, wie ernst seine Worte diesmal gemeint waren. Er war jedenfalls gar nicht mehr heimgekommen, bevor sie losgefahren war. Und nun wurde die Last der Schwebe, in der sich ihre Ehe befand, mit jedem Kilometer, den sie zurücklegte, schwerer und schwerer.
Mittlerweile war sie ganz froh, dass Matteo die Sache mit dem Kinderkriegen dauernd aufgeschoben hatte. Wäre es nach ihr gegangen, hätten sie gleich Nachwuchs bekommen können. Sie hatte sich mit ihren 24 Jahren nicht zu jung dazu gefühlt. Ihr Mann hatte das ganz anders gesehen. Also hatte sie ihren Babywunsch auf Eis gelegt – was sie inzwischen als sehr vernünftig empfand. Kinder hatten ein Recht darauf, in einem harmonischen Zuhause aufzuwachsen. So wie sie es gehabt hatte. Andererseits musste sie sich fragen, ob die Verantwortung für ein Kind Matteo nicht auch gezwungen hätte, erwachsen zu werden. Aurora konnte das nicht wissen. Das Gefühl aber sagte ihr, dass wahrscheinlich auch ein Kind Matteo nicht hätte ändern können. Er war dazu viel zu sehr in sich selbst verliebt. Und in seine Ideen. In seine verdammten Ideen, die sich allzu oft in bombensichere Geschäftsideen verwandelt hatten. Ideen, die sie in den Ruin getrieben hatten. Und es hatte so viele Anzeichen gegeben, die sie viel, viel ernster hätte nehmen sollen. Wie damals, als sie ihre Wohnung hatten verkaufen müssen, weil Matteo sich eingebildet hatte, Teppichhändler werden zu können. Eine weitere Idee, die ordentlich in die Hose gegangen war.
Warum hatte sie das alles nur zugelassen? Aus Liebe?
Fragen. So viele Fragen …
Auf groteske Weise ähnelte dieses Frage-Antwort-Spiel in ihrem Kopf der Straße, die sie gerade entlangfuhr. Endlose Kurvenserien. Und immer dann, wenn sie davon überzeugt war, dass sie eine gerade Strecke erreicht hatte, kamen nochmal kilometerlang Kurven.
Ermüdend.
Aber jetzt war sie so nahe am Ziel. Das letzte Stück würde sie auch noch hinter sich bringen. Kurzerhand drehte sie ihr Radio lauter, raffte den Rücken und bediente sich an ihrer Kräftereserve. Ein Radiosprecher las gerade die Wünsche seiner Zuhörer für den Sommer vor, und Aurora ertappte sich dabei, interessiert zu folgen. Es waren natürlich vorhersehbare Wünsche dabei, wie etwa jeden Tag 30 Grad zu haben oder endlich einen Platz am Lieblingsstrand zu ergattern. Aber, und das ließ sie aufhorchen, Eis spielte im Sommer offenbar eine größere Rolle als von ihr angenommen, denn mehr als einmal war es Protagonist eines Wunsches. Man wollte sich einfach nur eisschleckend den Sonnenuntergang ansehen. Oder granitaschlürfend auf dem Balkon sitzen. Oder, und das fand sie besonders nett, endlich eine neue Eissorte ausprobieren. Eis wurde demnach nicht nur mit der heißen Jahreszeit, sondern auch mit der damit verbundenen positiven Einstellung assoziiert. Eis stand für Genuss, Lebensfreude, Neuaufbruch. Ein interessanter Gedanke, fand sie.
Interessant war auch die Umgebung. Sie kannte die Ortschaften, die sie durchfuhr, zwar fast auswendig, dennoch faszinierten sie sie immer wieder aufs Neue. Denn die Vegetation, die Gerüche, die waren so facettenreich, dass man sich nie daran sattsehen und -riechen konnte. Sie wusste auch, wann sie den Kopf nur kurz heben brauchte, um einen Blick auf die große Christusstatue zu erhaschen, die Maratea berühmt gemacht hatte. Sie schien Aurora willkommen zu heißen, in ihrer weißen Pracht. Ja, in ihrem Herzen regte sich so etwas wie Vorfreude. Aber es war eine fast resignierte Vorfreude. Was sie sehr bedauerte. Denn daran würde sich nie wieder etwas ändern, fürchtete sie. War das nicht eine bedauerliche Schande?
Wenn es sich verhindern ließ, vermied sie es am liebsten ganz, nach Hause zu fahren. Ihre Besuche hatte sie auf einmal jährlich heruntergeschraubt. Aber das war auch keine Lösung. Und nun war sie ja schließlich da, musste sich allen stellen. Mit dem Gewicht ihrer Ehe im Nacken und der Gewissheit, dass sie zudem eine folgenschwere Entscheidung getroffen hatte, die ihre gesamte famiglia betraf.
»Meraviglioso! Wunderbar!«, sagte sie tonlos und lenkte ihren roten Fiat weiter hinauf. Immer weiter hinauf. Bis sie letztendlich Maratea erreichte, das pittoresk, still und auch ein bisschen erhaben über der Küste thronte. Egal wie oft sich ihr dieser Anblick in Zukunft noch bieten würde, sie war sich ziemlich sicher, dass er stets einen Hauch Stolz in ihr hervorrufen würde. Marateas Schönheit war zeitlos, erkannte sie in diesem Moment. Diese Tatsache wirkte so beruhigend auf sie wie eine feste Begrüßungsumarmung.
Sie parkte am Ortseingang. Maratea war im Sommer mehr oder weniger eine einzige Fußgängerzone. Aurora war kurz so erleichtert, endlich angekommen zu sein, dass sie Arme und Stirn auf das Lenkrad legte und erst einmal durchatmete. Dieser Moment der totalen Entspannung dauerte aber nur einen Augenblick. Dann wurde auch schon die Fahrertür aufgerissen. Die Kraft, erschrocken hochzufahren, fehlte ihr. Außerdem war eh klar, wer sich diese Freiheit genommen hatte …
»Aurora! Endlich, endlich, endlich!«, schrie ihr jemand praktisch ins Ohr.
»Zia Olivia …«, grüßte Aurora schwach zurück, während sie versuchte einzuschätzen, ob ihr Trommelfell sich von selbst erholen würde.
»Liebste Olivia, nun lass sie doch erst einmal aussteigen«, mischte sich eine weitere Stimme ein, die definitiv zu Arturo gehörte.
Und das tat Aurora dann auch. Ächzend und mit knackenden Knochen zwar, aber immerhin ohne fremde Hilfe. Wenn sie nur annähernd so erschlagen aussah, wie sie sich fühlte, dann musste sie wohl mit einer Tüte über dem Kopf nach Hause laufen, damit niemand sie erkannte.
»Es ist so schön, dich wieder hier zu haben, Kind!«, rief ihre Tante unbeirrt und umarmte sie fest.
Das war gut. So vertraut. Sie atmete den typischen Geruch nach zartem Blumenparfum und Sommer ein, den zia Olivia verströmte. Wie Zuhause und Liebe, so duftete ihre Tante.
»Ich bin auch froh, hier zu sein, zia!«, schickte sie sich an zu sagen. Und es stimmte – wenn sie den ganzen Rest mal außen vor ließ.
»Ach, Kind, du siehst so erschöpft aus!« Olivia hielt sie zwar noch immer an beiden Händen, ging aber jetzt ein bisschen auf Distanz, damit sie sie besser ansehen konnte. Sie hob beide Arme von Aurora hoch und legte den Kopf schief, prüfte ihr Aussehen fast ein bisschen streng und war offenbar nicht zufrieden mit dem, was sie sah. Konnte sie ja gar nicht sein, wenn Aurora sich doch fühlte wie durchgekaut und ausgespuckt. »Sehr, sehr erschöpft«, wiederholte die Tante ihre Bemerkung kopfschüttelnd.
»Dafür siehst du so wunderschön aus wie immer!«, fand Aurora und beäugte ihre Tante noch genauer. Nicht nur für ihr Alter war sie sehr attraktiv. Ihr Haar trug sie stets perfekt schokoladenbraun gefärbt zum strengen Bob geschnitten – genau wie Aurora. Und ihr obligatorisches Leinenoutfit, das aus weiten Hosen und luftigen Blusen bestand, stand ihr ausgesprochen gut.
»Pffft!«, rief sie aus und rollte mit den Augen. »So ein Unsinn!«
Als ihre Tante kurz von ihr abließ, grüßte Aurora Arturo herzlich. »Sie kann noch immer kein Kompliment annehmen, wie ich sehe«, neckte sie ihn augenzwinkernd.
»Wenn man an seinem Leben hängt, sollte man das besser unterlassen, ja«, antwortete er lachend.
»Hat sie dich heute sehr gestresst?«, wollte sie weiter wissen.
»Nicht mehr als sonst …«
»Das heißt, sie war komplett am Durchdrehen, hm?«
»Nun. Wir hatten einen winzigen Moment, genauer gesagt, als ihr sugo anbrannte, bei dem ich kurz um ihr leibliches Wohl gefürchtet habe. Das muss ich ganz ehrlich zugeben.«
»Hat sie wieder geflucht, dass es ganz Maratea mitbekommen hat?«
»Weite Teile des Ortes, ja.«
»Und wie lange steht ihr schon hier am Parkplatz?«
»Das willst du nicht wirklich wissen …«
»Oh Gott. Schon wieder Stunden?«
»Nur ein paar …«
»Ihr zwei, ich kann euch hören!«, mischte sich ihre Tante wieder ein. »Wirst du wohl das Gepäck endlich aus dem Auto holen, Arturo? Siehst du nicht, wie müde das Kind ist?«
Das Kind … das war sie schon lange nicht mehr. Bei ihrer Tante fühlte sie sich trotzdem ein bisschen so. Sie ließ ihr ja gar keine andere Chance.
Natürlich tat Arturo geschäftig wie ihm befohlen. Und wie eine kleine zusammengewürfelte famiglia schritten sie gemeinsam den gepflasterten Weg vom Auto zur Piazza entlang. Der Trolley ratterte und holperte hinter Arturo her. Die Reisetasche hingegen hatte sich zia Olivia über die Schulter gehängt. Aurora selbst durfte nur ihre Handtasche tragen. Irgendwie war das gar nicht so übel, so empfangen zu werden. Sie fragte sich kurz, was für ein Bild sie von außen betrachtet abgeben mochten. Vater, Mutter, Tochter? Zia Olivia sah sie ja ähnlich genug. Wie auch immer. Aurora hoffte einfach nur, dass man sie nicht für eine Touristin hielt. Das würde ihr Einheimischen-Stolz nicht ertragen.
Sie erreichten die Piazza zügig. Ihr Zuhause! Und auf verwirrende Weise doch wieder nicht. Sie wohnten gleich am Marktplatz. Direkt über der Casa del Gelato – also der Eisdiele ihrer Familie –, die am frühen Abend sehr gut besucht war, wie sie ohne Erstaunen erkannte. Dennoch trat ein Mann hinter der Theke hervor und rannte ihr entgegen. So eilig, dass die Kunden, die in der Schlange standen, ihm neugierig hinterherblickten und sich vielleicht fragten, welches Eis ihn so sehr auf Trab gebracht haben mochte.
»Aurora!«, rief er und streckte die Arme nach ihr aus.
»Papà …« Etwas gerührt wartete sie ab, bis er sie erreicht hatte und sie liebevoll umarmte. Lange, ganz lange. Innig. Dann schob er sie gerade so weit von sich, dass sie sich ins Gesicht blicken konnten. Er verliert sich mal wieder in meinen Augen, überlegte sie, während sie in seine schaute. Sie bemerkte aber auch, dass er um Jahre gealtert zu sein schien. Seine Glatze erlaubte nur noch einem winzigen Haarkranz fortzubestehen. Und sein lustiger Schnurbart war komplett ergraut. Das heitere Funkeln in seinen Augen hatte aber nichts von seiner Wirkung verloren. Aurora fragte sich, was er wohl anders herum in ihrem Gesicht las. Wen er sah. Ob es ihm wohl genauso ging wie ihr, wenn sie in den Spiegel blickte? Aurora war das Abbild ihrer Mutter, besonders ihre Augen waren identisch. Mamma!, schrie ihre innere Stimme geradezu schmerzvoll sehnsüchtig bei dem Gedanken an Perla. Und Aurora konnte es auch gar nicht steuern, dass ihre Augen die Eisdiele nach ihr absuchten. Die Leere und ihre Abwesenheit waren wie ein wiederholter, nie enden wollender Schlag in die Magengrube.
»Wie war die Fahrt, Auri?«, wollte Gino, ihr Vater, jetzt von ihr wissen. Sie hatte dabei den Eindruck, dass er nur das Erstbeste gesagt hatte, was ihm gerade eingefallen war. Um sie auf andere Gedanken zu bringen.
»Ach. Eigentlich ganz gut, papà. Ermüdend halt. Aber danke.«
»Und wie geht es Matteo?«
»Gut«, antwortete sie ganz automatisch. »Alles bestens«, setzte sie nach und klang dabei sogar überzeugend. Aber es tat ihr im Herzen weh, dass es eben nicht so war, wie sie behauptete. Daher gab sie vor, das bunte Treiben in der Eisdiele zu beobachten. Sie bemerkte eine junge Frau, die zwischen den Tischen herumwirbelte und überraschenderweise an eine Fee erinnerte, die sich anschickte, Wünsche zu erfüllen. »Wer ist das?«, erkundigte sie sich.
Ihr Vater drehte sich um. »Ach das, ja, das ist Cristina.«
Eigentlich ein ganz simpler Satz, fand Aurora. Was sie aber so sehr an dieser kurzen Antwort wunderte, war Ginos Tonfall. Denn der drückte nämlich so etwas wie Zuneigung und gleichzeitig Bewunderung aus. Ein bisschen machte sie das eifersüchtig, aus welchem Grund auch immer.
»Gino, vielleicht mag Aurora sich erst einmal frisch machen …«, gab jetzt zia Olivia zu bedenken, die mit Arturo die ganze Zeit über in respektvoller Stille dabeigestanden hatte.
»Oh. Ja. Natürlich. Geht ihr schon einmal nach oben. Ich komme gleich nach«, sagte Gino, hatte aber offensichtlich Schwierigkeiten, Auroras Hand loszulassen. Er hielt sie fest. Ein paar liebevolle Momente lang. Dann drehte er sich um und ging wieder auf die Theke zu, in der sich das beste Eis überhaupt befand. Sie beobachtete noch kurz, wie ihr Vater fast gänzlich mit der gelateria verschmolz. Sie gehörten zusammen, das war offensichtlich. Es war, als machte ihn das gewohnte Umfeld erst zu einem kompletten Menschen. Ja, er verwandelte sich geradezu, wenn er mit Waffeln und gelati hantierte. Und wenn es auch auf beinah magische Art schön war, diese Verwandlung mit anzusehen, so machte sie ihr auf der anderen Seite auch das Herz schwer.
»Komm nach oben, Aurora«, befahl Olivia – für ihre Verhältnisse recht liebevoll – und zog sie sanft in Richtung Hauseingang. Im Stockwerk über der Eisdiele befanden sich zwei geräumige Wohnungen, Tür an Tür. In einer davon wohnte Olivia, in der anderen Gino. Eine strenge Trennung zwischen den beiden Haushalten gab es aber nicht. Aurora war in beiden daheim. Und gleichzeitig in keinem davon, erkannte sie schweren Herzens.
»Ich muss kurz aufs Klo«, sagte sie und verschwand im Bad, bevor sie die gewohnten, aber gleichzeitig immer wieder neuen Eindrücke übermannten. Sie wusch sich das Gesicht, vermied es jedoch, sich im Spiegel zu betrachten, aus Angst, vor ihrem eigenen Gesichtsausdruck zu erschrecken. Dann setzte sie sich auf den Wannenrand, sammelte sich ein bisschen und wusch sich noch einmal das Gesicht. Das konnte sie aber noch so lange waschen, dieses eigenartige Gefühl, nicht richtig angekommen zu sein, ließ sich nicht wegwischen.
Diese Eissorte verdient Respekt. Jeglicher Innovation zum Trotz ist und bleibt Schokolade unangefochten die beliebteste Geschmacksrichtung. Und das wohlgemerkt in jeder Altersgruppe. Gebt einem Kind Schokoladeneis, und es wird strahlen. Gebt der Mutter des Kindes Schokoladeneis, und sie wird ebenso strahlen. Weil keine andere Eissorte ein vergleichbar starkes Glücksgefühl weckt. Das liegt am Kakao … und an der Idee, mit der man Schokolade verbindet. Felicità zum Schlecken! Dicke, kühle, süße Masse, die für Freude und Zufriedenheit sorgt.
Ein Wunder eigentlich.
Das alles muss der Eismacher beachten. Das alles muss der Eismacher respektieren. Eine große Verantwortung, nicht wahr? Aber es hat ja auch niemand behauptet, dass Eismachen einfach ist.
Maratea, 1950
»Ach, Mist!«, schimpfte Elvira mit vollem Mund und schluckte erst dann. Was machte sie nur falsch? Sie kam nicht drauf. Je mehr sie grübelte, desto ratloser wurde sie. Das war nicht ihre Schuld. Eher so eine Blockade ihrer Kreativität, erkannte sie. Oder ein Überschuss an Perfektionismus. Sie tippte nervös mit den Fingern auf die Arbeitsfläche. Aber das Geräusch, das dabei entstand, machte sie nur noch nervöser. Also hörte sie damit auf und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
Nun, zumindest Fior di latte beherrschte sie inzwischen perfekt, konnte sie von sich behaupten. Aber, oh, wie lange hatte auch das gedauert! Ein ganzes Leben, hatte sie manchmal das Gefühl. Die Waffeln waren mittlerweile ebenfalls ein Gedicht. Croccanti – knusprig. Wie sie eben sein mussten. Crocc, crocc. Bei jedem Bissen. Und sie weichten auch nicht durch. Die ersten paar Male hatte sie sich bei der Herstellung ordentlich die Finger am Waffeleisen verbrannt. Sie hatte es sich vom alten Bernardo anfertigen lassen, der teils Schmied, teils Elektriker war. Wobei er weder den einen noch den anderen Beruf in Vollendung beherrschte. Aber das Waffeleisen war gut. Es war jedenfalls nicht Bernardos Schuld, dass sie es am Anfang zu lange ins Feuer gehalten hatte. Und verbrannte Finger waren ganz wunderbare Lehrer, hatte sie herausgefunden. Denn allzu oft hatte sie den gleichen Fehler natürlich nicht begangen.
Cioccolato jedoch bekam sie einfach nicht hin. Dabei hatte sie extra teure Schokolade bei Giuditta im Laden bestellt und über eine Woche darauf gewartet. Weil sie vermutete, dass es daran lag. An der falschen Schokolade. An zu großen oder zu kleinen Schokostücken. An dem Gleichgewicht zwischen Schokolade und Milch. Aber nichts davon traf zu. Es lag an irgendeinem verborgenen, schwer zu fassenden Grund.
»Also, ich finde, es schmeckt«, wagte ihre Mutter einzuwenden. Sie war ihr Versuchskaninchen und nahm noch einen Löffel vom weichen, samtig-dicken Eis. Ihre Mutter leckte den Löffel ab, bis er wieder glänzte, und hatte dabei etwas von einem kleinen Mädchen.
»Davvero? Ehrlich?« Elvira war einfach nicht überzeugt. Sie seufzte, hätte ihrer Mutter liebend gerne geglaubt. Aber die mochte einfach alles, hatte einen ganz anspruchslosen Geschmack. Hauptsache süß, war ihre Devise. Aber Elvira wusste, dass irgendetwas fehlte. Sie kam jedoch nicht darauf, was es war. Und das nervte sie. Außerdem nervte es sie, dass sie schon wieder mit ihrem Mann Franco gestritten hatte. Aber das war noch einmal ein ganz anderes Thema.
»No, no, no! Sieh zu, dass du diesen Schatten sofort wieder von deinem Gesicht verjagst«, tadelte ihre Mutter sie und hob sogar den Zeigefinger. Es war schier unmöglich, dieser Frau etwas zu verheimlichen. Schon gar nicht konnte Elvira ihr weismachen, dass ihr die ständigen Streitereien mit Franco nicht nahegingen. Dass sie stritten, bekam ihre Mutter natürlich mit. Das war auch gar nicht zu verbergen. Elvira hielt daher inne, lehnte sich an ihren kleinen Kühlschrank und trocknete sich die Hände gedankenverloren am Küchentuch ab. Es stammte aus ihrer Mitgift. Wie fast alles, was sie im Haushalt benutzte. Ihre Eltern hatten sich nicht geizig gezeigt und ihr so viel mitgegeben, dass es wahrscheinlich für drei Ehen gereicht hätte. Drei Ehen! Pah! Die, die sie hatte, reichte ihr vollkommen.
»Tue ich das Richtige, mamma?«, wollte sie nach einigen Augenblicken des Schweigens wissen.
»Komm her, bambina mia!«
Etwas widerwillig ging Elvira auf ihre Mutter zu, die am Küchentisch saß, nahm die Hand, die sie ihr entgegenstreckte, und setzte sich. Strich dann erst einmal ihren Rock glatt, der es gar nicht nötig hatte, weil der Unterrock mit dem üppigen Tüll den Stoff ohnehin so hielt, dass er kaum Falten werfen konnte. Sie schob sich eine widerspenstige Strähne hinter das Ohr. Und war sich gar nicht sicher, ob sie wirklich eine Antwort auf ihre Frage wollte.
»Sieh dich an, Elvira! Du hast das Talent, mit ein paar Zutaten wundervolles Eis herzustellen – ohne Hilfsmittel, einfach so, in deiner Küche. Von wem du das hast, weiß ich wirklich nicht. Und wie du das machst, weiß ich erst recht nicht. Das ist ein Geschenk, Elvira. Und du wirst dieses Talent verdammt noch mal nutzen. Lass dir von niemandem etwas anderes einreden, bambina mia! Von niemandem!«
»Noch nicht einmal von meinem eigenen Mann?«
»Na, vom dem erst recht nicht! Dazu habe ich dich nicht erzogen. Kuschen sollen andere Frauen. Du nicht!«
»Es nagt aber an mir, mamma! Wieso ist er so sehr dagegen, wenn ich die gelateria endlich eröffne? Immerhin haben wir doch jetzt alles. Die Räume, die Einrichtung. Alles. Wieso macht er es mir so schwer?«
Ihre Mutter beugte sich etwas vor, sah ihr dabei in die Augen. Elvira erkannte ihre eigenen Züge in denen ihrer Mutter. Sie konnte nicht anders, als sich zu fragen, wann ihre Haut anfangen würde, die ersten Fältchen aufzuweisen. »Ich werde dir jetzt ein Geheimnis verraten: Männer merken das, wenn wir etwas mehr lieben als sie«, sagte sie ganz nüchtern. »Er wird es schon lernen, mit deiner großen Leidenschaft umzugehen. Und du, bambina mia, wirst deine Träume verwirklichen. Maratea wird dein Eis lieben! Du wirst sehen. Du wirst Geschichte machen, Elvira!«
»Ach, mamma, das ist Unsinn. Geschichte … hier in Maratea? Ich werde höchstens am Wochenende ein paar Großeltern mit ihren Enkeln beglücken – nichts Großartiges also. Aber das reicht mir schon. Ich will nur gelati machen.«
»Denke groß, Elvira, sei nicht so bescheiden. Versuche das Unmögliche zu erreichen!«, sagte ihre Mutter, erhob sich dabei umständlich. »Wenn das jemand schafft, dann du!«