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Sonne, Italien und Amore: Der Sammelband » Der Duft von Sommer und Limonen, Der Geschmack von Mirabelleneis & Das Leuchten der Orangenblüten« von Roberta Gregorio jetzt als eBook bei dotbooks. Der besondere Zauber von drei Dörfer im ländlichen Venezien: Hier hat noch alles seine Ordnung – um die Ecke ist der traditionelle Bauernmarkt, die Pasta gibt’s noch selbstgemacht und die Dorfbewohner gehen zusammen durch dick und dünn. Doch plötzlich hält das Chaos Einzug! Der Großstadtschnösel Fortunato will hier ein schnödes Luxushotel errichten – und das ausgerechnet in der hübschen alten Klosterruine, die Paola als neue Heimat für ihr Jugendzentraum auserkoren hat. Da kann Fortunato sie mit seinen blauen Augen noch so verführerisch anblitzen – Paola hat fest vor, diesen Kampf zu gewinnen … Romantische Turbulenzen erwarten auch die Freundinnen Gloria und Giusy: Während die eine von einem treuen Ehemann träumt, hat die andere als Single-Mama eigentlich gar keine Zeit für die Liebe – die aber natürlich prompt anklopft … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Feelgood-Sammelband » Der Duft von Sommer und Limonen, Der Geschmack von Mirabelleneis & Das Leuchten der Orangenblüten« von Roberta Gregorio wird alle Fans von Lotte Römer und Mia Sole begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 481
Über dieses Buch:
Im ländlichen Italien, nicht weit von Venedig entfernt, geht es traditionell zu – es gibt noch Bauernmärkte, selbst gemacht Pasta, und die Nachbarn gehen zusammen durch dick und dünn. Doch das Chaos, das man Leben nennt, schlägt auch hier zu: Paola will die alte Klosterruine von Pietragrigia in ein Jugendzentrum umbauen. Doch dann droht der Stadtschnösel Fortunato, sie zu überbieten und ein Luxushotel daraus zu machen. Das wird sie nicht zulassen! Doch ein Blick in Fortunatos blaue Augen und schon vergisst Paola alles um sich herum – fast …
Ähnliches Pech mit den Männern haben auch ihre Freundinnen Gloria und Giusy. Während die eine von einem treuen Ehemann träumt, schlägt sich die andere als Single-Mama durch und hat eigentlich keine Zeit für die Liebe … doch sie hat einen Verehrer, der nicht so schnell aufgibt!
Viel Romantik und italienisches Flair – Roberta Gregorio lässt ihre Leserinnen vom sonnigen Süden und den ganz großen Gefühlen träumen.
Über die Autorin:
Roberta Gregorio, geboren 1976 in Bayern, ist staatlich geprüfte Fremdsprachenkorrespondentin. Heute lebt sie als Autorin mit ihrer Familie im tiefsten Süden Italiens, wo sie am kleinen, grünen Schreibtisch mit Blick aufs Meer ihrer Fantasie freien Lauf lässt.
Bei dotbooks veröffentlicht Roberta Gregorio ihre Romane: »Das kleine Restaurant des Glücks« »Im Schatten der Zitronenbäume« »Italienische Küsse« »Der Sommer der Zitronenblüten« »Winterküsse mit Zimt und Zucker«
Ebenso bei dotbooks erschien ihre »Küsse in Venezien«-Trilogie, die auch als Sammelband erhältlich ist: »Der Duft von Sommer und Limonen« »Der Geschmack von Mirabelleneis« »Das Leuchten der Orangenblüten«
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Originalausgabe Juli 2018, April 2024
Copyright © der Originalausgabe 2018, 2024 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Dr. Verena Stindl
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/E Kramar und shutterstock/Irene Star
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)
ISBN 978-3-98952-339-5
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Roberta Gregorio
Der Duft von Sommer und Limonen, Der Geschmack von Mirabelleneis & Das Leuchten der Orangenblüten
Roman
dotbooks.
Santa Rosalia blickte auf Don Giacomo herunter, der nun schon seit gefühlten Stunden vor ihr kniete und ihr im stummen Monolog die Sünden der letzten Tage aufzählte. Sie mochte den Neuen. Don Giacomo war erst seit etwas mehr als einem Jahr Priester der Gemeinde Tettirossi. Und als Rosalia den hübschen jungen Mann zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie innerlich gejauchzt vor Freude. Denn Don Giacomo hatte den alten Don Carmelo abgelöst. Und Don Carmelo war wirklich, wirklich langweilig gewesen. Manchmal war sogar er selbst während seiner Messen eingeschlafen. Schade nur, dass der Neue dann auch nicht für frischen Wind gesorgt hatte.
»Giacomo, mein Guter, ich finde es nicht weiter schlimm, dass du vorgestern vergessen hast, abends dein Ave Maria aufzusagen!«, versuchte Rosalia ihn irgendwie telepathisch zu erreichen. Hören konnte sie ja kein Mensch. Auch Don Giacomo nicht, der unbeirrt fortfuhr.
»Warum erzählst du das eigentlich nicht mal Jesus?«, fragte sie, obwohl sie wusste, dass von Don Giacomo keine Antwort zu erwarten war. Von Jesus allerdings auch nicht. Der kam nur manchmal sonntags vorbei, wenn sein voller Terminkalender das zuließ.
Also seufzte Rosalia ergeben und ließ Don Giacomos Litanei weiter über sich ergehen, bis, ja, bis sie heitere Stimmen von draußen hörte. Kinder. Sie spielten jeden Tag auf der piazzetta, die gleich an die Kirche grenzte, und brachten damit erfreuliche Abwechslung für Rosalia, die nur zu besonderen Anlässen tagsüber und sonst immer nur nachts hinausdurfte.
Aber innerhalb der Kirche durfte sie sich bewegen. Sie sprang also vom Sockel, schaute zurück auf ihre Holzstatue, die, wie sie zugeben musste, bis auf die Haare wirklich gut getroffen war, und schwebte hinauf zum Fenster. Hinausschauen war ein bisschen so wie fernsehen, nahm Rosalia an. Nur schöner. Denn was sie sah, waren Szenen aus dem wahren Leben und keine Fiktion.
Die Kinder kannte sie. Von der Taufe an. Und getauft waren sie alle. Dafür hatte Don Carmelo gesorgt. Ein paar von ihnen kamen zum Kommunionsunterricht. Brave Jungs, die es mit Gottes Hilfe sicherlich weit bringen würden im Leben. Rosalia mochte den elfjährigen Angelo besonders gern, der gerade zum dritten Mal quer über die piazza gejagt wurde. Er war ein bisschen ihr Sorgenkind. Weil Scheidungskind. Problematiken, mit denen auch Rosalia erst lernen musste umzugehen. Sie kannte sich aus mit Naturkatastrophen, Epidemien und Kriegen. Aber wie man mit den Folgen einer Scheidung umzugehen hatte, musste Rosalia noch üben. In Tettirossi hielten die Ehen genauso lang wie hartnäckiger Fußpilz. Ehemann und Ehefrau konnten sich noch sosehr hassen. Geschieden wollte in Tettirossi niemand sein. Giusy, Angelos Mutter, jedenfalls ganz bestimmt nicht. Das hatte sie Rosalia mal im Gebet erzählt. Ein tapferes Geschöpf! Oft beklagte sich Giusy nicht bei Rosalia, obwohl sie allen Grund dazu gehabt hätte. Und sie bat auch nie um etwas. Wenn, dann überhaupt nur um Gesundheit. Vor allem für Angelo.
»Du haltʼs Maul, Angelo!«, hörte Rosalia es plötzlich draußen rufen. Sie sah genauer hin, spitzte die Ohren. Hatte Angelo Streit?
»Sagt wer?«
»Ich!« Der viel größere Klassenkamerad baute sich vor Angelo auf. Rosalia war in Alarmbereitschaft versetzt.
»Du hast mir gar nichts zu sagen!«, behauptete Angelo mutig.
»Ach nein? Irgendwer muss dich doch erziehen, wenn dein Vater es schon nicht macht!«
Oh. Rosalia hielt sich erschrocken eine Hand vor den Mund. Das war aber gemein!
Ein paar Sekunden lang standen sich die beiden Jungen gegenüber, und Rosalia befürchtete schon, eingreifen zu müssen. Irgendwie.
Angelo aber überraschte sowohl Rosalia als auch den Klassenkameraden. Er ließ ihn nämlich einfach stehen und ging weg. Sie konnte noch einen kurzen Blick auf sein Gesicht erhaschen und war sich ziemlich sicher, dass sie den Ausdruck nie wieder vergessen würde. So viel Schmerz, Wut und Enttäuschung gehörte auf kein Kindergesicht.
»Santa Rosalia, steh mir bei!«, rief Don Giacomo plötzlich ganz laut und riss sie damit aus ihren Gedanken. Sie rollte ein kleines bisschen gelangweilt mit den Augen. Wahrscheinlich war der Priester wieder einmal davon überzeugt, dass ihn bald der Teufel holen würde. Dieser Überzeugung war er nämlich öfter. Beruhigen ließ er sich dann nur auf eine einzige Art und Weise, nämlich durch … ähm … Massage. Nein, wirklich! Rosalia hatte alles ausprobiert. Alles. Irgendwann hatte sie ihm ganz instinktiv beruhigend auf den Rücken geklopft und gemerkt, dass er dadurch wieder rationaler und furchtloser wurde. Sie seufzte tief. Tiefer noch. Und gab sich schließlich geschlagen, schwebte vom Fenster weg, setzte sich hinter den emotionalen Mann der Kirche, schob dabei den Rock ihres braunen Gewands hoch und legte ihre Hände auf seine Schultern. Augenblicklich entspannte sich der Priester. Wenn uns jetzt jemand sehen könnte …, überlegte sie amüsiert und merkte dann, dass sie den alten Don Carmelo doch irgendwie vermisste.
»Was machst du denn schon hier, Angelo?«
»Hatte keine Lust mehr. Auf der piazza war es zu warm. Ist mamma schon da?«
Nonno Umberto schüttelte den Kopf, hantierte, wie immer, mit seinem Schnitzmesser herum.
»Magst du schon mal ein paar Oliven?«
Angelo überlegte. Eigentlich fühlte er sich satt. Wahrscheinlich von der Wut, die er heruntergeschluckt hatte. Verdammt!
Angelo hatte nur einen wunden Punkt. Wie hässlich war das, dass die Mitschüler immer wieder genau darauf herumritten? Er spürte, wie sein nonno ihn über den Brillenrand hinaus beobachtete. Jetzt legte der Mann das Stück Holz beiseite und das Schnitzmesser in den Werkzeugkasten. Seine Hände sahen ohne die üblichen Accessoires ein bisschen hilflos und verlassen aus, fand Angelo.
»Nein, danke. Ich mag im Moment nichts«, antwortete Angelo auf die Frage. »Was wird das?«, wollte er dann von seinem nonno wissen. Ein bisschen, weil es ihn tatsächlich interessierte. Ein bisschen, um den alten Mann abzulenken. Ein Gespräch von Mann zu Mann, wie sein nonno oft sagte, konnte Angelo jetzt nicht brauchen.
Der alte Mann hob das Stück Holz wieder vom Tisch, strich ein paarmal sanft über die bereits verarbeitete Seite und hielt sie Angelo dann hin. Er erkannte ein Gesicht. Lieblich. Haare. Wahrscheinlich lang, gelockt.
»Schon wieder ein Engel?«
Das Gesicht des Mannes wurde von einem Lächeln erhellt. »Richtig! Lauter kleine Engel. Wie du.«
»Ich bin nicht klein.«
»Aber du bist ein Engel.«
Dem konnte Angelo, dessen Name Engel bedeutete, nichts entgegensetzen. »Ich gehe hoch. Lernen.« Angelo rollte mit den Augen, spielte seinem nonno etwas vor. Lernen musste er heute nichts. Das Sommerbuch, das die Kinder die Ferien über auszufüllen hatten, hatte er längst fertig. Auf sein Zimmer wollte er trotzdem.
»Va bene, Angelo, va bene.«
Ob nonno Umberto ihm wirklich immer alles abnahm oder nur so tat, das hatte Angelo noch nicht raus. Aber momentan war ihm das egal.
Er brauchte ein paar Minuten für sich. Ihm war nach weinen zumute. Was er natürlich nicht tat. Schon lange nicht mehr. Er warf sich aufs Bett, starrte an die Decke. Es war ja nicht so, dass er seinen Vater noch immer vermisste. Das Vermissen hatte er sich an seinem letzten Geburtstag abgewöhnt, an dem sein Vater sich schon wieder nicht bei ihm gemeldet hatte. Viel mehr störte Angelo, dass die Abwesenheit seines Vaters lauter Probleme hervorrief.
Seine Klassenkameraden machten ihn fertig. Seine Mutter musste jeden noch so kleinen Job annehmen, damit sie über die Runden kamen. Und nonno Umberto, ja, der schien um Jahre gealtert. Das waren die Dinge, die Angelo traurig machten. Seinen Vater, den vermisste er schon lange nicht mehr. Aber er vermisste die Sorglosigkeit.
Wenn er doch nur endlich das Geld für die Spielekonsole zusammengespart hätte! Angelo legte jeden Cent beiseite, den er auftreiben konnte. Dennoch reichte es noch lange nicht, um sich das teure Ding leisten zu können. Angelo war sich aber sicher: Mit einer Spielekonsole würden seine Klassenkameraden ihn wieder achten. In Tettirossi hatte nämlich noch niemand eine. Schwärmen taten sie aber alle davon. Sogar die Mädchen. Wobei die natürlich dann dämliche, für Angelo unverständliche Spiele drauf spielen würden. Keine Ahnung, bestimmt Tanzschritte oder so, mit denen er nun wirklich nichts anfangen konnte. Aber Achtung, ja, die würde ihm dadurch endlich wieder entgegengebracht werden. Irgendwie musste er es einfach schaffen, die Spielekonsole zu kaufen!
Giusy ließ die Haustür ins Schloss fallen und wuchtete die schweren Tüten durch den engen Flur. Obst und Gemüse von der alten Mariuccia. Angelo und nonno Umberto würden zwar wieder die Nase rümpfen, aber sie waren auf diese kleinen Spenden angewiesen. Und manchmal musste es eben ein paar Tage lang nur Gemüse geben. Daran war noch niemand gestorben.
»Papà?«, rief Giusy in Richtung Wohnzimmer und ging direkt in die Küche.
Es kam undeutliches Murren zurück.
»Ist Angelo noch unterwegs?«
»Oben.« Was war ihr Vater nur wieder eloquent!
»Es ist immer wieder ein Vergnügen, mit dir zu sprechen, papà!«
Sie hörte ihn lachen. Und Giusy musste grinsen. Wenn sie ihn nicht hätte … Seine schweigsamen Phasen, wenn seine Konzentration mal wieder voll auf die Schnitzerei gerichtet war, nahm sie gerne in Kauf. Und seine schlurfenden Schritte hörte sie so gerne. Wie jetzt gerade.
»Wie war es bei Mariuccia?«, wollte er von ihr wissen und kam zu ihr in die Küche. Giusy ließ sich umarmen und auf die Stirn küssen. Sie löste sich aber gleich wieder von ihm und trat an den Herd, wo sie Kaffee aufsetzte.
»Wie immer …« Nun, sie wollte ihren Vater nicht mit den üblichen Geschichten belasten. Mariuccia war schon in Ordnung. Nur gab es auf ihrem riesigen Anwesen eine Menge zu tun. Die miserable Bezahlung machte das nicht wieder gut.
»Giusy, meinst du …« Umberto ließ den Satz in der Luft hängen. »Was?«
»Ach, nicht so wichtig …«
»Nun sag schon!«
»Weißt du«, er druckste noch immer herum, »ich hatte überlegt, dass ich vielleicht einige meiner Holzfiguren verkaufen könnte.«
Giusy merkte, wie sehr ihr Vater sich angestrengt hatte, um diesen Vorschlag überhaupt auszusprechen. »Aber du liebst doch jede davon, als wäre sie lebendig!«, warf Giusy daher sofort ein.
»Unsinn. Die Frage ist viel eher: Wer würde die überhaupt kaufen?«
»Das ließe sich vielleicht mit einem Artikel auf InfoTettirossi herausfinden …«, überlegte Giusy laut. Manchmal schrieb sie für dieses Onlinemagazin. Ihre Artikel wurden sogar aus dem Ausland abgerufen, wie sie erfahren hatte.
»Dann kümmere dich mal drum, va bene?«
»Papà, du musst das nicht machen!«
»Doch. Oh, doch«, behauptete er fest, sah dabei aber weg.
Es machte sie unsagbar traurig, ihrem Vater so sehr zur Last zu fallen. Egal, was er auch sagte, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. Sie fühlte sich einfach schuldig. Um sich abzulenken, nahm sie die Espressotässchen aus der Anrichte und knallte sie praktisch aufs Tablett. Das hatte sie nicht gewollt.
»Wir brauchen die Tassen noch«, schmunzelte ihr Vater und lockerte die angespannte Situation mit diesem Satz schon wieder deutlich auf. Er kam auf sie zu, und sie fühlte sich einen Augenblick lang wieder wie das kleine Mädchen, das sie einmal war.
»Hör zu, Giusy. Ich kenne dich gut genug, um jeden einzelnen Gedanken zu erraten, der dir gerade im Kopf herumschwirrt. Glaub mir, ich habe euch gerne um mich. Ein Leben ohne euch könnte ich mir gar nicht vorstellen. Sei deshalb ganz unbesorgt und hör auf, dich schuldig zu fühlen«, sagte er und griff nach dem Tässchen, das sie inzwischen mit herrlich duftendem caffè gefüllt hatte. Sie tranken beide erwartungsvoll, aber vorsichtig. Fast gleichzeitig setzten sie die kleinen Tassen wieder ab.
Es war wohl alles gesagt. Sie waren einfach beide keine großen Redner.
»Ich sehe mal nach Angelo«, sagte sie und verließ bereits die Küche.
Sie fand ihren Sohn auf dem Bett ausgestreckt vor. Er schaute an die Decke, hielt seine Hände, die weder zu einem Kind noch zu einem Erwachsenen zu gehören schienen, verschränkt auf der Brust. Die Beine über Kreuz.
»Hey!«, grüßte sie ihn und ließ sich neben ihn aufs Bett fallen. Sein Blick fand endlich ihren. Ein kurzes Aufleuchten in seinen Augen zeigte ihr, dass er sich freute, sie zu sehen. »Alles gut bei dir?«, erkundigte sie sich.
»Ja.«
Giusy erkannte an der Art, wie er das A langzog, dass dem nicht so war. Wenn sie aber eines gelernt hatte, dann war es, dass sie ihren Sohn am besten nicht bedrängte.
»Schön, mein Schatz.« Sie verwuschelte ihm sein dichtes Haar. Wie immer richtete er es sofort wieder. Er war aber gar nicht genervt. Lächelte nur.
»Mamma?«
»Ja?«
»Wenn du einen Wunsch hättest, wen würdest du um die Erfüllung bitten?«
Ihr Mutterinstinkt regte sich sofort. Sie unterdrückte ihn. Natürlich war sie neugierig. Klar. Trotzdem hielt sie sich mit Fragen zurück.
»Hm«, überlegte sie ernsthaft. Sie rieb sich das Kinn. Was sollte sie ihm denn jetzt antworten? Giusy spürte, dass diese Frage für ihren Sohn wichtig war. »Darf ich eine Weile darüber nachdenken?«
»Klar.«
»Danke.« Sie erhob sich, spürte Müdigkeit in den Knochen, die sie aber hoffentlich gekonnt überspielte. »Ich mache mich mal ans Kochen. Hast du Hunger?«
»Was gibt es denn?«
»Bohnensalat.«
Er rümpfte sofort die Nase. »Kann ich bruschetta dazu haben?«
Sie lachte, wusste ja, dass er kein großer Bohnen-Fan war. »Na klar. Mit extra viel Tomate!«
Angelo setzte sich auf. Ganz kurz war es in seinem Zimmer still. Man hörte nur die Glocken der nahegelegenen Kirche. Ein Gedankenblitz. »Du, Angelo, ich weiß, wem du deinen Wunsch erzählen kannst.«
Der Junge sah interessiert und fragend auf.
»Santa Rosalia! Vertraue Santa Rosalia deinen Wunsch an.«
»Meinst du?«
»Auf jeden Fall!« Sie zwinkerte ihm zu und verließ das Zimmer.
Manchmal, wenn sich diese kurzen Momente des Glücks ergaben, glaubte sie, dass alles wieder gut werden würde. Dann aber zwang sie sich zur Vorsicht. Die Erfahrung hatte ihr gezeigt, dass das Unglück immer dann hereinbrach, wenn man sich sicher wähnte. Sie dachte noch einmal detailliert darüber nach, was sie eben mit ihrem Sohn besprochen hatte. Dachte an Santa Rosalia, ihre wunderschöne Statue, die Rosen, die in ihrem langen Haar steckten.
Ein Gefühl des Friedens machte sich in Giusys Brust breit. Sie konnte nur hoffen, dass die Ruhe in ihr lange anhielt. Zumindest so lange, bis sie das Abendessen hinter sich gebracht haben würden.
Rosalia liebte die lauen Sommernächte in Tettirossi. Es gab für sie nichts Schöneres, als auf dem Denkmal auf der piazza zu sitzen und den Leuten bis spätnachts dabei zuzusehen, wie sie ihre Runden drehten und sich dabei angeregt unterhielten. Manchmal glaubte sie, den Duft des nahegelegenen Meeres zu riechen, wenn sie ihre Nase hoch genug hielt.
Hauptthema des Abends – und das freute Santa Rosalias natürlich besonders – war ihr Fest, das, wie jedes Jahr, am 4. September stattfinden würde. Eine richtig tolle Beleuchtung schmückte bereits die piazza, den corso und weite Teile der einzigen befahrbaren Straße von Tettirossi. Und tausend Bildchen von Rosalia hingen im ganzen Ort aus. W Santa Rosalia – Es lebe Santa Rosalia! Stand darauf. Nette Bildchen. Gut getroffen. Nur das Haar, das bekamen sie einfach nicht so richtig hin. Ihr Haar ging ihr in Wirklichkeit nämlich bis zu den Kniekehlen. Und die Rosen hatte sie nicht als Kranz am Kopf, nein, die steckten lose mitten drinnen und hielten sich dank der Dornen in der richtigen Position, sahen dabei aus, als würden sie direkt aus ihrer Haarpracht herauswachsen – was sie inzwischen auch gar nicht mehr ausschließen konnte.
Wenn sie so auf die Frauen hinunterblickte, die im Ort umherliefen, dann musste sie sich doch fragen, ob ihnen überhaupt bewusst war, wie langweilig sie alle aussahen, so ganz ohne Blumen im Haar. Also, sie fand ja, dass jedes weibliche Wesen geradezu dazu verpflichtet werden sollte, sich mit Blüten zu schmücken. Sie überlegte, ob sich dieser Brauch wohl irgendwie neu einführen ließe, horchte dann aber interessiert auf. Es ging wieder um ihr Fest.
»Fünfundzwanzig Minuten lang?«, hörte Rosalia jemanden den Sindaco Briglia fragen. Der rundliche Bürgermeister nickte aufgeregt.
»Ja, ja. Das hat mir Alfredo, il fuochista, versprochen!«
»Hatte er das nicht letztes Jahr auch?«, mischten sich weitere Stimmen ein.
Sie sprachen mal wieder über Rosalias Feuerwerk, das jedes Jahr den krönenden Abschluss ihres Festes darstellte. Und jedes Jahr stritten sich die Männer aus der lokalen Politik darum, wie lange es zu dauern hatte. Dabei ging es ihnen, wie Rosalia natürlich wusste, nicht direkt um das Feuerwerk, sondern darum, wie viel es kostete. Und letztendlich darum, wie viel sie vom Geld, das von der Bevölkerung für das Feuerwerk zusammengetragen worden war, abzwicken konnten, ohne dass irgendjemand Verdacht schöpfte. Als ob nicht schon jeder wusste, dass Briglia und seine Kumpane regelmäßig klauten! Ihr war klar, dass sie in dieser Angelegenheit unbedingt mal strenger durchgreifen musste, aber sie fürchtete, dass das Feuerwerk dann ganz abgeschafft werden würde. Dabei liebte sie es ganz besonders, wenn der Nachthimmel bunt aufleuchtete und dabei aussah wie mit Blüten übersät. Nein, dann doch lieber beide Augen zudrücken.
Briglias Frau saß mit ihren geschwätzigen Freundinnen auf einer Bank. Sie diskutierten angeregt das Menü, das sie Santa Rosalia zu Ehren zubereiten würden.
»Ich mache meine Pasta natürlich selbst!«, behauptete die dicke Agata und schlug sich dabei empathisch auf die sich hervorwölbende Brust.
»Nein, nein. Hausgemachte Pasta verträgt mein Mann nicht. Dafür kommt bei uns nur Hasenbraten aus eigener Züchtung auf den Tisch!«, hielt die kleine Marta dagegen und reckte ihr spitzes Kinn in die Luft.
»Ich dachte, ich mache mal keinen sugo!«, sagte Briglias Frau so dahin.
»Was?«, kam es ihr zweistimmig und beinahe empört entgegen.
»Na ja, ich habe noch so viele Steinpilze im Gefrierfach …«, versuchte die Frau zu erklären.
»Santa Rosalia ohne sugo, das geht nicht«, erklärte Agata lapidar und beendete damit das Gespräch.
Rosalia konnte nur darüber lächeln. Geschmeichelt lächeln. Denn es ehrte sie natürlich sehr, wie bemüht sie alle waren, den Tag ihres Festes zu einem ganz besonderen Tag zu machen. Wenn sie dabei auch manchmal vor lauter essen und feiern ihre Schutzpatronin Rosalia ein wenig vernachlässigten. Aber das war ja alles gar nicht so schlimm, fand sie. Obwohl sie selbst keinen großen Wert auf Essen legte. Sie fastete ja schon seit … nun, seit langer, langer Zeit. Und das Fasten machte tatsächlich die Sinne frei. Nicht zu unterschätzen war auch die reinigende Wirkung auf Haut und Körper. Rosalia blickte herunter zu den Frauen. Na ja. Dafür war es bei den Damen vielleicht schon ein bisschen zu spät. Die hatten sich schon viel zu lange vernachlässigt.
»Hör mal, Piero, du kannst deine Gäste doch nicht einfach so vernachlässigen …«, versuchte ein Mann die Aufmerksamkeit in Pieros Bar auf sich zu ziehen.
Vergebens.
In Pieros Bar lief ein Fußballspiel. Mit seiner Lieblingsmannschaft. Noch dazu ein Finale. Da konnte man sogar ein Feuer anzünden in seiner Bar. Er würde es nicht merken. Fußball, das war seine Leidenschaft. Und vielleicht sein einziges Laster. Ja, sein Herz schlug bei jeder Flanke. Ein Tor war gleichbedeutend mit purer Ekstase. Und so ein Finale … das war einfach unbeschreiblich. Mag sein, dass der Sport ihm so wichtig war, weil ihn sonst eher wenig wirklich begeisterte. Die Bar, die hatte er geerbt und nicht unbedingt gewollt. Von Frauen in seinem Leben weit und breit keine Spur. Leere Taschen das ganze Jahr über. Keine großen Emotionen. Aber wenn Mario Bazzi, unangefochtenes Idol, den Ball berührte, dann war Piero sein trostloses Leben kurz ganz egal. Und diese paar Sekunden der Sorglosigkeit waren es einfach wert.
Er schlug vor Enttäuschung auf den kleinen, wackligen Tisch. Bazzi hatte das Tor gerade so knapp verfehlt!
»Komme schon!«, erklärte sich Piero murrend bereit und bediente den Mann etwas widerwillig, bis er sich besann. Immerhin war die Bar seine einzige Einnahmequelle. Also gab er sich etwas freundlicher. Er brauchte seine Gäste und war erleichtert, dass im Sommer, und besonders natürlich zu Santa Rosalias Fest, die Bevölkerung schön zunahm, weil auch die Auswanderer, der Schutzpatronin zu Ehren, nach Tettirossi kamen. Sogar vom nahegelegenen Meer kamen die Leute. Und das war gut. Die Menschen vom Meer brachten Geld. Viel Geld.
Piero schloss die Bar pünktlich um ein Uhr nachts ab. Genauso hatte er das mit dem Maresciallo besprochen. Oder besser gesagt, hatte der Maresciallo Piero das nahegelegt.
»Wir wollen doch keine Anzeigen wegen Ruhestörung, nicht?«, hatte der Maresciallo mit einem Blick auf die Wohnung bemerkt, die direkt über Pieros Bar lag und von der alten Nunzia bewohnt wurde. Ein richtiger Drachen. Nunzia beklagte sich über alles. Über den Rauch. Über das Klirren von aufeinanderschlagenden Flaschen. Über die lauten Rufe beim Fußballspiel. Sogar über die Lieferanten, die ab und an bei Piero etwas abluden. Also fügte sich Piero, da er ohnehin schon eine Stunde von Nunzia geschenkt bekam. Eigentlich sollte um Mitternacht Schluss sein. Aber selbst um ein Uhr nachts schließen war für Piero im Sommer geschäftsschädigend, da die Leute aus Tettirossi gerne noch länger bei ihm saßen – und ordentlich tranken, während sie über Gott und die Welt plauderten. Der Sommer veränderte alles, machte gute Laune. Und die wollte man so lange wie möglich ausleben. Denn der nächste Winter kam bestimmt. Und die Winter, mamma mia, die waren wirklich trostlos oben in Tettirossi. Der Sommer nahm die gute Laune einfach wieder mit und versteckte sie gut. Die Sonne hielt sie gefangen im Netzwerk ihrer Strahlen und ließ sie erst dann wieder frei, wenn sie warm genug waren, um die Menschen aus der Reserve zu locken. Ein Spiel, das sich zyklisch wiederholte. Ein Spiel, bei dem auch das Meer begeistert mitmachte.
Piero seufzte, langte in die Hosentasche, um sich zu vergewissern, dass er die Tageseinnahmen auch wirklich eingepackt hatte. Das, was er im Sommer verdiente, musste ihm für das ganze Jahr reichen. Da konnte man nicht gewissenlos sein. Wie gewohnt ging er den Weg hinunter, heraus aus Tettirossi, nickte dabei ein paar Jugendlichen zu und atmete tief durch. Seinen nächtlichen Spaziergang brauchte er einfach. Piero genoss die frische Luft, ließ sich dabei nur von den Sternen und seinen Gedanken begleiten. Rhythmisch. Geschmeidig. Fast automatisch setzte er einen Fuß vor den anderen. Weiter und weiter. Mit nur einem Ziel: die Brücke.
»Irgendwann wird er herunterspringen, seguro!«
Rosalia schrak auf, tadelte sich dann sofort selbst und setzte einen gelangweilten Gesichtsausdruck auf. Dass sie erschrocken war, musste er ja nicht wissen. San Lorenzo hatte die absurde Angewohnheit, sich bei ihr anzuschleichen. Das sollte sie doch langsam einmal wissen, ärgerte sie sich weiter. Sie kannte ihn ja schließlich lange und gut genug und bedauerte sogar ab und an, dass ihr Verhältnis nicht mehr so freundschaftlich war wie einst. Es war auch wirklich nicht schwer, ihn an der Brücke aufzufinden. Wahrscheinlich ging es ihm wie ihr, überlegte sie. Nach einem langen Tag in der Kirche war er wohl auch froh, rauszukommen. Noch dazu war San Lorenzos Kirche drüben in Villebianche ja lächerlich klein. Und was blieb zwei Heiligen auf nächtlichem Exkurs schon anderes übrig, als zur Brücke zu spazieren, die Tettirossi und Villebianche miteinander verband? Oder die beiden Orte trennte. Das war Ansichtssache.
Die Brücke hing spektakulär über einer Schlucht, die im Volksmund Gola del Diavolo – Rache des Teufels – genannt wurde. Vermutlich hatten die Anwohner gar keine Ahnung, wie nah sie mit der Bezeichnung an der Wahrheit dran waren, nahm Rosalia an. Und das war auch gut so. Den Feind musste man nicht unbedingt kennenlernen. Vor allem nicht bei seinen Besuchen an der Brücke, die er gerne mal aufsuchte. Und das wollte Rosalia lieber verhindern. Zumindest zukünftig.
»Wird er nicht!«, erwiderte sie nun auf San Lorenzos Bemerkung, der sie erwartungsvoll und mit seinem gewohnt ironischen Gesichtsausdruck ansah.
»Bist du dir sicher, virgen?«
Pah! Virgen – Jungfrau! Bei all den italienischen Heiligen musste sie ausgerechnet einen Spanier als direkten Nachbarn haben? Und es war ja nun wirklich nicht nett, jemanden als Jungfrau zu bezeichnen, obwohl es … ähm … natürlich stimmte. Das tat aber nichts zur Sache. Es war einfach unhöflich von ihm und schickte sich nicht.
»Können wir Geschichten, die bereits 20 Jahre zurückliegen, endlich mal ruhen lassen, Lorenzo?«, rief Rosalia gereizt. Immer musste dieser impertinente Lorenzo auf ihrem wunden Punkt herumreiten. Das damals war wirklich keine schöne Geschichte gewesen. Ein junger Mann aus Tettirossi war einfach so von der Brücke gesprungen. Selbstmord. Ohne Vorwarnung und viel zu schnell, als dass sie noch hätte eingreifen können. Rosalia konnte gar nicht sagen, ob es das Werk des Feindes war oder nicht. Es war alles innerhalb von ein paar Sekunden passiert. Ihre Schuld. Daran war nicht zu rütteln.
»Piero jedenfalls, der wird nicht springen!«, behauptete sie einfach. »Er spaziert jeden Abend hierher.« Nicht wie der andere, der mich einfach ausgetrickst hat, fügte sie in Gedanken hinzu.
Und wieso war sie jetzt bitte in die Defensive geraten? Wieso grinste Lorenzo so süffisant? Verärgert stampfte Rosalia mit ihrem nackten Fuß auf. Dieser Lorenzo machte sie ganz einfach wütend. Immer.
»Nicht aufregen, virgen. Am Ende fallen dir noch all deine rosas aus dem Haar.«
Sie beobachtete Lorenzo dabei, wie er sich selbstsicher und breitbeinig vor sie stellte, sich dann langsam – sehr langsam – bückte, um ein Rosenblatt vom Asphalt zu heben. In der Dunkelheit sah es aus wie ein fest gewordener Blutstropfen. Wieder irritierend langsam zerdrückte er es zwischen Daumen und Zeigefinger. Der freigesetzte Rosenduft erreichte sie mit voller Wucht.
»Meine Haare gehen dich nichts an!«, fauchte sie.
Er lachte nur. Richtig laut und aus der Kehle.
»Virgen, virgen! Was soll ich nur mit dir machen?«, tadelte er sie wie ein törichtes Schulkind.
»Mich in Ruhe lassen wäre schon einmal ein ganz deutlicher Schritt in die richtige Richtung. Hast du denn nichts zu tun in deinem winzigen Villebianche? Gehen dir die Menschen aus?«
»Mitnichten, virgen, mitnichten.«
Ha! Da konnte er noch so abgebrüht tun. Sie wusste, dass sie ihn getroffen hatte. Es war kein Geheimnis, dass die Leute aus Villebianche träge waren. Nicht einmal das Fest im August zu Ehren von San Lorenzo war der Hit. Das erkannte sie immer am schwachen Feuerwerk, das von ihrem Kirchturm aus gut sichtbar war.
»Und was machst du dann bitte hier? Solltest du dich nicht eher um deine Leute kümmern?« Ja. Sie versuchte ihn natürlich zu provozieren. Das tat er ja andersherum auch immer.
»Das ist ja das Problem. Ich muss mich nicht nur um meine Leute kümmern, sondern auch um dich, virgen, sonst stellst du mir wieder etwas an. Das kann ich nicht verantworten.«
Darauf erwiderte Rosalia lieber nichts. Außerdem bewegte sich Piero, den sie durch Lorenzos ungemütliche Anwesenheit fast vergessen hatte, ganz plötzlich vom Geländer weg. Fast im Laufschritt entfernte er sich in Richtung Tettirossi.
»Ach, Lorenzo! Jetzt hast du ihn verschreckt. Du weißt doch ganz genau, dass Menschen durch unsere Stimmungen beeinflusst werden!«
Darüber lachte er nur laut. Dann drehte er sich um, hob die Hand und schwebte zurück nach Villebianche.
»So ein Arsch!«, flüsterte sie.
»Das habe ich gehört, virgen!«, kam es vom anderen Ende der Brücke.
Komischer Spaziergang, überlegte Piero, als er wieder daheim war und sich in der Küche aufhielt. Eine innere Unruhe hatte Piero auf der Brücke gepackt. Unerklärlich eigentlich. Und dann immer dieser penetrante Rosenduft dort oben. Piero hatte sich auf der Brücke schon mehrmals nach Rosenstöcken umgesehen. Nichts. Weit und breit keine einzige Rose, auch nicht im Dickicht unter der Brücke. Und doch … die Brücke war manchmal schon unheimlich. Spätestens nach dem Selbstmord vor Jahren. In Tettirossi wurde behauptet, dass es dort spukte. Bisher hatte Piero das als Unsinn abgetan, aber vorhin eben …
Ach was!
Piero wischte ganz entschlossen diese albernen Gedanken weg und griff nach dem Behälter mit den Kamillenblüten. Kamillentee half ihm, runterzukommen vom Tag, von der Arbeit. Er grübelte in letzter Zeit einfach zu viel, und das wirkte sich auf seinen Schlaf aus. Geübt brühte er sich Wasser auf, gab die Kamille in ein Teesieb, das er in die Tasse hielt. Er nahm das Getränk mit ins Wohnzimmer. Dann legte er sich auf die Couch, schaltete den Fernseher ein. Ein Nachrichtensprecher berichtete vom Fußballspiel seiner Lieblingsmannschaft. Sie hatte verloren. Mal wieder. Auf nichts war mehr Verlass. Noch nicht einmal auf seinen Lieblingsspieler Mario Bazzi. Doofe Welt. Richtig doofe Welt. Piero würde Bazzi gerne mal die Leviten lesen! Dazu müsste er ihn aber treffen, und das war schier unmöglich. Früher, ja, da war Piero oft und gerne mal ins Stadion gegangen. Was war nur passiert, dass er so apathisch geworden war?
Er trank seinen Kamillentee, machte den Fernseher wieder aus und ging zu Bett.
Ein bisschen traurig, ohne einen wirklichen Grund dafür zu haben, schlief Piero ein. Er träumte von einer aufgebrachten Santa Rosalia, die ihn davon abhalten wollte, von der Brücke zu springen.
Umberto stieg leise aus dem Bett. Er war ganz plötzlich wach geworden. Wusste nicht einmal, wie spät es eigentlich war. Sein alter Radiowecker zeigte schon seit Jahren immer dieselbe Uhrzeit an. 3:45. Wenn er es sich recht überlegte, kam das vielleicht sogar gerade hin. Eine Armbanduhr trug er jedoch schon lange nicht mehr, sodass er das nur vermuten konnte. Irgendwann wurde die Zeit relativ.
Nun, er war jedenfalls im Schlaf von einem Gedanken heimgesucht worden. Er konnte sich exakt daran erinnern. Ihm war Santa Rosalia erschienen. Sie hatte ihn liebevoll angeblickt. Und dieser Blick hatte ihn an etwas erinnert. Zuerst hatte er ja gedacht, dass die Heilige gekommen war, um ihn ins Jenseits zu begleiten. Dein Moment ist gekommen, hat er im Traum zu sich selbst gesagt. Rosalia hatte aber mit den Augen gerollt und energisch den Kopf geschüttelt, sodass ihm ein intensiver Duft nach Rosen entgegengeschwappt war. Dann hatte sich die Heilige noch einmal ganz komisch und steif in Pose gestellt und ihn erwartungsvoll angeschaut. Ganz allmählich, aus den Tiefen des Vergessens, war sie ihm eingefallen: die Statue!
Etwas nervös sperrte Umberto mit dem großen Schlüssel die alte Holztür auf, die in den Kellerraum führte. Sie knarrte natürlich viel zu laut, und er war sich sicher, das ganze Haus geweckt zu haben. Aber es kam niemand. Also ging er hinein. Ein Geruch nach feuchtem Mauerwerk schlug ihm entgegen, und er fragte sich, wie lange er schon nicht mir hier unten gewesen war. Eine eindeutige Antwort darauf fand er nicht. Dennoch kannte er sich noch immer perfekt aus. Den Lichtschalter fand er sofort. Ganz automatisch versuchte er, die Spinnweben abzuschütteln, in die er dabei offensichtlich gefasst hatte. Rechts an der Wand standen wie erwartet die ganz, ganz alten Kartons. Einer davon enthielt sie, die Statue. Sein erstes, nie zu Ende gebrachtes Werk. Die Holzstatue von Santa Rosalia.
Er fand sie in der dritten Schachtel, die er öffnete. Sie war eingewickelt in ein altes Laken. Das Olivenholz hatte sich gut gehalten, obwohl es unbehandelt war. Umberto fuhr mit der Hand über die bereits verarbeitete Seite. Das Gesicht. Mit diesem Blick, den die Heilige im Traum gezeigt hatte. Das Unterbewusstsein spielte einem aber auch seltsame Streiche, amüsierte sich Umberto und richtete sich wieder auf. Die Statue war im Gegensatz zu seinen üblichen Figuren richtig groß, reichte ihm vom Boden aus bis über das Knie. Er wusste nicht, warum sie ihm gerade jetzt eingefallen war. Er wusste auch gar nicht mehr richtig, warum er sie nie zu Ende geschnitzt hatte. Klar war aber, dass jetzt der Moment gekommen war, diese Mission zu Ende zu bringen.
Umberto nahm das Stück Holz mit, legte es vorsichtig auf seinen Schreibtisch und ging wieder zu Bett.
»Buonanotte, Santa Rosalia!«, sagte er in die Dunkelheit, nachdem er alle Lichter gelöscht hatte.
»Buonanotte, Umberto«, glaubte er eine liebliche Stimme zu hören.
Unglaublich, was man sich so alles einbildete, überlegte er plötzlich sehr müde und schloss die Augen.
Giusy merkte gleich, dass etwas nicht stimmte, als sie erwachte. Sie war nämlich viel zu ausgeruht. Draußen war es auch schon heller als sonst. Konnte es wirklich sein, dass sie verschlafen hatte? Ihre Armbanduhr zeigte an, wie richtig sie mit ihrer Befürchtung gelegen hatte. Normalerweise wurde sie immer von den Geräuschen wach, die ihr Vater im Haus verursachte. Er war ein chronischer Frühaufsteher. Sie horchte in die Stille und war plötzlich hellwach.
»Papà?«, rief sie laut. Sie wohnten in keinem Palast. Egal in welchem Winkel des Hauses Umberto sich auch befand, ihre Stimme würde er hören. Aber es kam keine Antwort. Giusy warf die Decke ab und stellte ihre nackten Füße auf den kalten Marmorboden, wobei sie erschauderte. Flink ging sie in den Flur, wo sie noch einmal nach ihrem Vater rief. Statt Umberto antwortete aber Angelo aus seinem Zimmer.
»Was ist los, mamma?«
»Nichts, amore mio, schlaf weiter!« Ihren Sohn wollte sie nicht unnötig beunruhigen. Sie selbst war hingegen schon deutlich weiter: Giusy bekam es mit der Angst zu tun. Sie klopfte an, bekam noch immer keine Antwort und trat endlich ein.
Und da lag er. Friedlich. Schnarchend.
Vor Erleichterung ließ sie sich aufs Bett fallen. Was Umberto dann doch weckte. Er streckte sich. Öffnete die Augen. Und erschrak erst einmal.
»Dio mio, was machst du denn hier?«
»Dich suchen.«
»Na, jetzt hast du mich ja gefunden!«
»Papà, weißt du eigentlich, wie spät es ist?«
»Nein.«
»8 Uhr.«
»Oh.«
»Ja. Mich hat fast der Schlag getroffen, als ich dich nicht im Haus gehört habe.«
»So lange habe ich schon seit … naja … seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen.«
»Eben.«
»Du kommst zu spät zu Mariuccia, oder?«
Sie zuckte mit den Achseln. Das konnte sie sich vielleicht auch mal erlauben.
»Nicht schlimm.« Giusy stand auf. »Mit dir ist alles in Ordnung?«
Er setzte sich auf. Ihn im alten Pyjama zu sehen erzeugte in ihr eine warme Welle der Zuneigung.
»Ich denke schon. Santa Rosalia ist mir im Traum erschienen …«
»Ach, papà!«, tadelte sie ihn. Er war strenggläubig. Und sie war sich sicher, dass er gleich wer weiß welche Bedeutung in einen einfachen Traum hineininterpretieren würde. Darauf hatte sie jetzt wahrlich keine Lust. Denn Rationalität hatte sie im Leben sehr viel weiter gebracht als Glaube.
Umberto hob abwehrend die Hände, sie zwinkerte ihm zu und verließ seufzend sein Zimmer, ging dann in die Küche, wo sie in ihrer Handtasche nach dem Handy wühlte. Sie musste Mariuccia zumindest Bescheid geben, dass sie heute etwas später kommen würde.
»Mariuccia, buongiorno. Hier ist Giusy.«
»Scusi?«
»Nein, nein. Giusy!«, sagte sie jetzt sehr viel lauter. Mariuccia war ein kleines bisschen senil. Manchmal – je nach Laune – auch schwerhörig.
»Giusy! Wo bleibst du denn?«
»Ich bin etwas spät dran.«
»Komm, wann du willst. Ich habe es nicht eilig!«
»Danke. Ich denke, ich bin in etwa 30 Minuten da.«
»Wo?«
»Na, bei dir.«
»Bei mir?«
»Ja.« Giusy schmunzelte. Manchmal waren Unterhaltungen mit Mariuccia richtig anstrengend. Heute aber fand sie es beinahe amüsant.
»Wärst du so nett, mir die bestellten Medikamente aus der Apotheke mitzubringen?«
»Klar. Bis später.«
Die alte Dame legte ohne Gruß auf. Und Giusy beeilte sich, diesen seltsamen Tag doch noch auf gewohnte Art und Weise zu meistern. Flink machte sie sich zum Gehen bereit: Haare hoch, Jeans und T-Shirt plus Turnschuhe an, und fertig.
Die Sonne schien sie förmlich anzulächeln, als sie in den Vorhof trat. Wie gerne würde sie einfach mal mit Angelo ans Meer, überlegte sie. Einen Tag lang sorglos rumliegen. Diese völlig gerechtfertigte Sehnsucht kam ihr beinahe absurd vor. Wobei es doch nur darum ging, einmal über den eigenen Schatten zu springen. Es war einfach so, dass sie sich seit der Trennung von ihrem Exmann so übermäßig verantwortlich fühlte, dass ihr sorglose Momente fast Angst machten. Auf Sorglosigkeit folgte nämlich immer Negatives. Und das wollte sie sich einfach sparen, indem sie keine Sorglosigkeit mehr zuließ. Dass in ihrem Gedankengang etwas falschlief, merkte sie schon selbst. Manchmal war es aber einfacher, die Augen vor dem Offensichtlichen zu verschließen.
Inzwischen hatte Giusy die Apotheke erreicht. Die dummerweise zu war. Ein handgeschriebener Zettel haftete an der Vitrine. Bestellte Medikamente bei Piero in der Bar.
Aha.
Es wurde schon lange über irgendwelche Probleme der Apothekerin gemunkelt. Sie könne die Miete für die Räume nicht mehr bezahlen, wurde erzählt. Hoffentlich kam es nicht dazu, dass sie schließen musste. Medizin in Villebianche holen, das würde niemandem aus Tettirossi wirklich Spaß machen. Sie betrat die angrenzende Bar von Piero und kam sich dabei ein bisschen komisch vor. Wenn sie es sich nämlich genau überlegte, dann war sie schon seit Jahren nicht mehr hier gewesen.
»Buongiorno«, grüßte sie, hielt dann aber inne. War überhaupt jemand da? Piero richtete sich hinter dem Tresen auf. Den kannte Giusy natürlich. Wie sie alle Bewohner von Tettirossi kannte. Er war nur etwas älter als Giusy und sie hatten in etwa zur gleichen Zeit im kleinen Schulgebäude von Tettirossi Unterricht gehabt. Wenn Giusy sich richtig erinnerte, war Piero in die Klasse ihres großen Bruders gegangen.
»Giusy. Morgen!«
Sie hörte ihm seine Verwunderung an. Auch er war wohl überrascht, sie in der Bar zu sehen.
»Holst du Medizin?«, schlussfolgerte er ganz richtig.
»Nein. Ich bin hier, um mich zu betrinken. Einen Grappa, bitte!«, hörte sie sich sagen, konnte aber selbst nicht glauben, welcher Satz gerade ihren Mund verlassen hatte.
Piero sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Dein Humor ist dir nicht abhandengekommen. Gut«, fand er.
Ja. Sie war einmal ein sehr amüsanter Mensch gewesen. Vor langer, langer Zeit. Seltsam, dass diese Seite gerade jetzt so unerwartet wieder zum Vorschein kam.
»Mach gleich einen doppelten«, scherzte sie weiter und merkte, dass sie sich dabei gar nicht schlecht fühlte.
»Tut mir leid. Minderjährigen schenke ich keinen Alkohol aus.« Bitterernst sagte er das. Sah sie dabei noch immer an. Intensiver jetzt.
»Ich bin doch fast so alt wie du!«, rutschte es ihr heraus. Dass er das wusste, war ja klar.
»Siehst kein bisschen so aus.«
Giusy war sich nicht sicher. War das ein Kompliment? Ein Witz? Sie räusperte sich. Plötzlich war sie verlegen. Der Alltag hatte sich ihren kurzen Moment der Sorglosigkeit geschnappt. Ganz, ganz schnell.
»Hat die Apothekerin Mariuccias Medizin hiergelassen?«, fragte sie ihn daher. Wie um die Grenze wieder aufziehen zu wollen. Eine selbst auferlegte Grenze. Zwischen ihr und dem Rest der Welt.
Piero legte langsam das Tuch beiseite, an dem er sich die Hände trocken gerieben hatte. Sein Blick ließ Giusy aber nicht los. Er schaute sie weiter an. Irgendwie forschend. Dann fing er sich aber wieder.
»Ich schaue gleich mal«, sagte er, kramte in einem Karton.
Dass der Blickkontakt jetzt unterbrochen war, machte Giusy wieder lockerer und sie versuchte sich weiter an einer Unterhaltung. »Nett, dass du das übernimmst. Ich meine, mit der Medizin.«
»Ja. Solange es vorbestellte Medikamente sind, die nur abgeholt werden müssen«, verkündete er mit einem Schulterzucken.
»Was ist eigentlich los? Ich meine, mit der Apothekerin?«
»Keine Ahnung«, gab er offen zu, hielt ihr inzwischen das Schächtelchen mit Mariuccias Medizin hin, an dem der Name der Alten angebracht worden war. »Ich halte mich aus solchen Dingen raus. Helfe, wenn ich kann. Aber das war’s auch schon.«
»Klar. Man kann sich nicht um alles kümmern, nicht?«
»Es geht mir vielmehr darum, mich nicht an unnötigem Geschwätz zu beteiligen, verstehst du? Jeder hat seine Bürde zu tragen. Und ich glaube, es wäre für jeden einfacher, wenn nicht dauernd so ein Gerede veranstaltet werden würde.«
Das verstand Giusy nur zu gut. Sie hatte mit ihrer Scheidung darin eine Menge Erfahrung. Aber so war es halt in kleinen Ortschaften. Es wurde viel hinter dem Rücken geredet. Aus Langerweile, vermutete sie.
»Ich muss weiter, Piero. Vielen Dank noch mal.«
»Kein Thema«, wiegelte er ab.
Sie hatte das Gefühl, noch irgendetwas sagen zu müssen. Ihr fiel aber absolut nichts ein. »Arrivederci«, sagte sie deshalb nur.
Er nickte ihr zu, zwinkerte unverbindlich und widmete sich wieder seiner Arbeit. Giusy verließ mit einem komischen Gefühl die Bar.
Klar. Piero, den kannte sie natürlich. Aber ihr war noch nie aufgefallen, dass er ein so attraktiver Mann geworden war. Mehr noch. Sie hatte ihn bisher gar nicht als Mann wahrgenommen. Blöde Hormone!, schimpfte sie mit sich selbst. Eigentlich hatte sie sich meistens ganz gut im Griff. Sie wollte nichts mehr wissen von Männern. Würde sich selbst ins Kloster sperren, um nur ja keinen Kontakt mehr zum männlichen Geschlecht haben zu müssen. Dass sie jetzt so seltsam auf Piero reagiert hatte, brachte sie ein bisschen durcheinander. So durcheinander, dass sie, statt zu Mariuccia, ganz automatisch wieder nach Hause ging.
Piero blickte Giusy hinterher. Obwohl er sie ganz gut kannte, wie es eben zwangsläufig passierte, bei einer so niedrigen Einwohnerzahl, hatte er das Gefühl, sie gerade zum ersten Mal gesehen zu haben. Jedenfalls so richtig.
Als er damals erfahren hatte, dass ihre Ehe kaputt war, hatte er sich schon seinen Teil gedacht und ihren doofen Mann innerlich als Idioten eingestuft. Man wusste in Tettirossi, dass sie eine vernünftige Frau war. Allerdings war Piero bei aller Vernunft nie richtig aufgefallen, wie gut Giusy aussah. Auf natürliche, schüchterne Art und Weise. Kein bisschen aufdringlich. Welche Frau konnte das schon von sich behaupten, in Jeans, ungeschminkt und unfrisiert auch noch gut auszusehen?
Die Tür wurde geöffnet. Irgendwer schlurfte herein. Piero war ganz egal, wer. Er fühlte sich seltsam gefangen.
»Was ’n mit dir los?«, wurde er gefragt.
Das führte ihn zumindest dazu, seinem Gast ins Gesicht zu blicken. Es war nur Elmiro. Rentner, Trinker, Spieler. Aber guter Kunde.
»Buongiorno, Elmiro. Caffè?«
Der alte Mann nickte, glücklich über die Aufmerksamkeit. Piero machte sich im Geiste noch mal eine Notiz. Er durfte nicht so unfreundlich zu seinen Gästen sein.
»Corretto, sì«, erinnerte ihn Elmiro.
Wusste Piero natürlich bereits. Elmiro trank seinen Kaffee mit Schnaps. Aber wenn der alte Mann das so wollte, dann konnte Piero auch so tun, als würde er diese Tatsache eben erst erfahren.
»Was willst du denn rein haben?«
»Grappa!« Elmiro strahlte. Zeigte sein zahnloses Lachen. So zufrieden war er. Und je zufriedener er wurde, desto bewusster nahm Piero seine eigene Unzufriedenheit wahr. War das nicht seltsam? Elmiro war alt, gebrechlich und arm. Aber er war zufrieden. Während Piero genau genommen doch alles hatte und nichts mit sich anzufangen wusste.
Plötzlich fiel ihm Giusy wieder ein. Ihre Art. Ihr Aussehen. Piero wurde warm.
»Ich wollte doch Grappa, Piero!«, hörte er Elmiro sagen.
Piero schaute auf die Flasche in seiner Hand. Sah, dass es eine Rumflasche war. Und am Geruch erkannte er, dass er bereits Rum in den Kaffee geschüttet hatte. Wo war er nur mit den Gedanken? Bei Giusy!, antwortete ihm eine innere Stimme.
»Der geht aufs Haus, Elmiro!«
Das erfreute Lächeln des Alten war herzerwärmend. Trotzdem war es weiterhin der Gedanke an Giusy, der Piero den Tag über warmhielt.
Angelo hatte abgewartet. Im Bett. Gefühlte Stunden schon. Am Festtag von Santa Rosalia nämlich wollte er nicht aufstehen, bevor er ihn hörte. Den heiteren Klang der Glocken. Plong, plong, badong, badadong, plong, plong. Dieses Läuten würde er immer und überall erkennen. Dieses Läuten bedeutete nämlich, dass heute ein schöner Tag werden würde. Deshalb sprang er voller Vorfreude aus dem Bett, lief die Treppen hinunter und begab sich sofort in die Küche, wo, nach Tradition, seine mamma, die heute natürlich freihatte, bereits am Kochen war. Es duftete herrlich. Und verlockend.
»Buongiorno, amore mio!«, rief Giusy und legte den Kochlöffel beiseite.
Angelo ließ sich umarmen und herzen, was er sonst hasste wie die Pest, und setzte sich an den gedeckten Frühstückstisch. Es gab ausnahmsweise allerlei Leckereien. Und Angelo griff ordentlich zu. Dankte im Geiste Santa Rosalia und wünschte sich mehr solcher Tage. Tage, an denen sie sich verhielten wie jede andere Familie in Tettirossi auch. Tage, an denen Angelo erleben durfte, was normale Leute fast jeden Tag erlebten.
»Wo ist nonno?« Angelo fiel erst jetzt auf, dass er nicht da war.
»Ich habe ihn zum Eis kaufen geschickt. Gibt es dann später als Nachspeise. Meinst du, er kommt heute noch wieder?« Giusy wirkte ausgesprochen gut gelaunt. Und es war so schön, sie fröhlich zu erleben.
»Zu Piero an die Bar?«
»Genau.«
»Dann können wir wohl eine Weile lang nicht mit ihm rechnen«, meinte auch Angelo und zwinkerte seiner Mutter zu. Beide wussten von nonnos Hobby. Er spielte gerne Karten. Und bei Piero fand er immer jemanden, dem es ebenso ging.
»Er soll sich ruhig auch mal amüsieren, nicht?«
»Klar. Hier würde er uns sowieso nur auf die Nerven gehen!«, scherzte Angelo weiter.
»Stimmt!«, gab Giusy todernst zu. Das konnte sie besonders gut. Sich todernst geben, während sie spielten. Angelo bekam dann immer kurz einen Schreck, wusste eine Weile lang nicht, ob sie es ernst meinte. Aber letztendlich reichte ihm ein Blick, um das verräterische Blitzen in ihren Augen zu erkennen. Dann war alles wieder gut.
»Wann kommt unser Besuch eigentlich?«
Damit war Angelos Onkel Luigi gemeint, der mit seiner Familie in der Großstadt lebte. Luigi kam mit seiner Frau und den Kindern meist nur an Feiertagen nach Tettirossi. Und Giusy kaufte dann immer besonders gute, frische und teure Lebensmittel ein, die sie eigentlich sonst nur selten verwendete. Daran wollte Angelo aber jetzt nicht denken. Nicht am Festtag.
Angelo wollte jetzt … cornetti. Und dick Mortadella aufs Brot. Danach am liebsten noch Nutella. Gerne auch direkt aus dem Glas. Milch mit Kakao. Und überhaupt so viel essen, bis ihm schlecht wurde.
San Lorenzo hörte das Glockenläuten und wollte lieber nicht daran denken, was für einen schönen Tag seine Kollegin Rosalia drüben in Tettirossi verbringen würde. Es war ja nicht so, dass er irgendetwas gegen sie hätte, nein. Na ja, doch, eigentlich hatte er schon etwas gegen Rosalia. Ihre Art. Die fand er … wenig angemessen. Allein schon, wie sie durch die Gegend rannte. Barfuß, mit ihrem offenen Haar und den vielen Rosen. Sie war doch kein Hippie!
Und überhaupt!
Was hatte sie schon getan, um sich das Privileg zu verdienen, heiliggesprochen zu werden? Sie hatte sich doch nur vor dem König versteckt in ihrer Grotte. Und das auch nur, weil er sie ehelichen wollte. Als Eremitin wurde sie bezeichnet. Pah, das fand Lorenzo besonders lustig! Seiner Meinung nach war sie nur zu feige gewesen, sich König Ruggero zu stellen. Gut, sie hatte wirklich lange in totaler Abgeschiedenheit gelebt, und ja, es stimmte schon, dass sie ein paar Wunder vollbracht hatte, als die Bevölkerung angefangen hatte, sie in ihrer miserablen Grotte aufzusuchen. Aber sie hatte ihre Liebe zu Gott noch lange nicht mit dieser totalen Hingabe bewiesen, wie er es damals getan hatte. Auf einem glühenden Eisenrost hatte man ihn hingerichtet! Und das nach einem Leben, das er in Rom den sogenannten Asozialen gewidmet hatte. Meine Herren! Das war ein guter Grund, um heiliggesprochen zu werden! Und es wurmte ihn, dass dieser Hippie-Verschnitt aus Tettirossi viel beliebter war als er. Sogar aus Villebianche – und das sollte bei der offenen Feindschaft zwischen den zwei Ortschaften etwas bedeuten! – schlichen sie sich zu Rosalia, um ihre Sorgen und Probleme bei ihr abzuladen. Unglaublich, oder? Aber irgendwann würde Rosalia schon ein Fehler unterlaufen. Die Art von Fehler, die der Boss gar nicht gerne sah. Und Lorenzo würde das schon pünktlich zu melden wissen. Und der Boss würde ihm dieses Mal bestimmt recht geben. Nicht, wie bei der Selbstmordgeschichte, wo der Boss einfach behauptet hatte, dass Rosalia gar nichts dagegen hätte tun können, weil nämlich der Boss höchstpersönlich nach dem jungen Mann gerufen hatte. Nun ja, irgendwie hatte Lorenzo diese Offenbarung weggesteckt. Was aber noch lange nicht bedeutete, dass er Rosalia darüber informieren musste.
Ach, die virgen …
Und dieses nervige Gebimmel!
Etwas, das ihn stark an Kopfschmerzen erinnerte, breitete sich gerade in seinem Kopf aus.
So oder so. Das würde ein ganz miserabler Tag werden!
»Darf es sonst noch etwas sein, Giusy?«
»Danke. Das ist alles!« Gott sei Dank, fügte Giusy in Gedanken hinzu.
Sie hatte doch tatsächlich vergessen, Mozzarella zu holen, wo sie doch wusste, dass ihr Bruder Luigi den ganz besonders mochte. Also war sie noch einmal losgegangen, um welchen zu holen. Was sie mit ihren Vorbereitungen noch weiter in Verzug brachte. Angelo war auf der piazza, nonno Umberto noch immer nicht daheim. Und Giusy hatte alles stehen und liegen lassen müssen, um sich selbst um den Mozzarella zu kümmern.
Santa Rosalia, steh mir bei!, bat sie, nicht zum ersten Mal an diesem Tag, stumm.
Kochen und einkaufen waren nicht das Problem. Das tat sie gerne. Aber dieses verdammte Geld. Es reichte einfach nie aus. Und sie wollte doch so dringend anfangen, etwas beiseitezulegen. Angelo wuchs so schnell. Und irgendwann würde er Tettirossi verlassen. Dafür würde Giusy schon sorgen. Er sollte nicht hier oben versauern. Oh nein! Sie würde ihn an die beste Uni überhaupt schicken. Darauf sparte sie. Und so ein Festtagsessen warf sie in ihrem Sparplan einfach unheimlich zurück.
Giusy seufzte, lief gerade an Pieros Bar vorbei, warf einen Blick hinein. Entdeckte natürlich – wen auch sonst – Piero, und ihr Herz setzte einen unglaublichen Schlag lang aus. Was ganz offensichtlich der Anstrengung zuzuschreiben war. Nonno Umberto saß auch in der Bar. Sie winkte ihm zu. Er winkte zurück. Nein, vielmehr winkte er sie herein. Giusy zeigte auf die Uhr. Aber Umberto winkte umso aufgeregter. Also gab sie sich einen Ruck und betrat die Bar. Denn irgendwie hatte sie tatsächlich gerade Lust darauf. Wenn sie ganz nebenbei kurz Piero Hallo sagen konnte, dann war das auch in Ordnung. Nicht, dass sie besonderen Wert darauf legte.
Doch. Eigentlich legte sie besonderen Wert darauf. Und das war gar nicht gut.
Aber jetzt stand sie schon mitten in der Bar. Mit Pieros Blick, der auf sie gerichtet war. Giusy räusperte sich. »Buongiorno«, rief sie in die Runde, merkte dabei selbst, wie absurd verunsichert sie klang. Scheiß Hormone!, warnte sie sich selbst.
»Buongiorno, Giusy!«, grüßte Piero zurück. Sie hätte schwören können, dass er dabei richtig, richtig sexy aussah. Dabei war es doch nur Piero.
»Wirst du jetzt meine neue Stammkundin? Dann muss ich nämlich noch mal Grappa einkaufen!«, scherzte er und verzog dabei so furchtbar niedlich das Gesicht, dass ihr ganz schlecht wurde vor prickelnder Aufregung.
»Ich habe gewonnen!«, rief endlich nonno Umberto, winkte wieder aufgeregt und unterbrach glücklicherweise einen ganz, ganz seltsamen, fast magisch-knisternden Moment. Ihr papà strahlte. Und zeigte stolz die Tafel Schokolade her, um die es wohl gegangen war.
»Gratuliere, papà!« Giusy ignorierte dabei den verärgerten Gegenspieler, der wohl an sich hielt, um nicht ganz offen vor Giusy zu fluchen.
»Zur Feier des Tages spendiere ich dir einen Drink!«, behauptete Umberto hocherfreut.
Einen … was?
»Papà, ich trinke doch nicht!«
»Ach nein?«, hörte sie amüsiert Piero fragen. Auch ihn ignorierte sie geflissentlich.
»Nimm etwas Alkoholfreies!«
Sie war sich nicht sicher, überhaupt etwas hinunterzubekommen. Aber wie konnte sie ihrem Vater guten Gewissens diese Freude nehmen?
»Na schön!«
»Piero, schenk meiner Tochter irgendetwas Leckeres ein. Ich bezahle dann!«
»Danke, papà. Und du denkst dann an das Eis?«
»Natürlich. Komme auch gleich.«
An der Theke bat Giusy Piero um einen Saft. Den würde sie schon irgendwie trinken.
»Mit Grappa?«, zog Piero sie weiter auf.
Hatte er schon immer diese unglaublich dunklen, ausdrucksvollen Augen gehabt? Und diesen wahnsinnigen Körperbau? Wie sie es auch drehte und wendete, Piero kam ihr immer mehr vor wie ein Unbekannter.
»Haha! Danach kannst du mich aber heimtragen …«
»Ich hätte nichts dagegen.«
Sag was!, schrie ihre innere Stimme sie an. Sag einfach irgendetwas! Aber da kam nichts. Zero. Niente.
»Auf Santa Rosalia?«, fragte Piero und half ihr auf diese Weise, das peinliche Schweigen zu überbrücken. Er bückte sich, um den Saft aus dem Kühlschrank zu holen.
»Auf Santa Rosalia! Und auf meinen papà, der heute ausnahmsweise mal gewonnen hat!«, gab Giusy lächelnd zu. Na bitte. Ging doch.
»Ja, dein alter Herr scheint heute unbesiegbar. Der Highlander meiner Bar sozusagen!«
Giusy verschluckte sich leicht am Saft, von dem sie gerade getrunken hatte. Was war das überhaupt für eine Geschmacksrichtung? Keine Ahnung. »Unsterblich.«
»Was?«
»Highlander sind unsterblich. Nicht unbesiegbar«, stellte Giusy richtig und hasste sich gerade ein bisschen dafür. Sie hatte diese dumme Charaktereigenschaft. Nichts durfte bei ihr falsch im Raum stehen bleiben.
»Giuseppina di Marco, du hast dich kein bisschen verändert!«, stellte Piero grinsend fest.
»Du dich aber auch nicht, Piero Antonio Russo!«, fand Giusy und es schüttelte sie leicht.
»Ist dir kalt?«
Piero scannte Giusy ein paar Sekunden lang mit seinen tiefbraunen Augen. Giusy ging es wieder durch und durch.
»Der Saft ist mir zu kalt. So direkt aus dem Kühlschrank«, behauptete sie einfach.
»Soll ich dir einen warmen holen?«
»Aber nein. Ich muss ohnehin los. Luigi kommt gleich.«
»Grüß ihn von mir!«
Giusy nickte verwirrt. Und dann … ja dann … flüchtete sie regelrecht aus der Bar.
Der Saft war einfach nur zu kalt gewesen.
Das war alles!
Er war vielleicht alt, aber nicht dumm. Er hatte gesehen, was sich zwischen Piero und Giusy abgespielt hatte. Ein stilles Spiel. Ohne Spielregeln. Ein altes, uraltes Spiel.
Umberto erhob sich vom Stuhl, verabschiedete sich von seinem Spielgegner, der aber nur wütend schnaubte, und ging zur Theke. Dort stand Piero und starrte versonnen Löcher in die Luft.
»Was macht das, Piero?«
Piero antwortete nicht.
»Piero?«
»Hm?«
»Was bekommst du von mir?«, wiederholte Umberto seine Frage. Er wusste nicht, ob er schmunzeln oder eher verärgert sein sollte. Beides vielleicht. Sein Beschützerinstinkt gegenüber seiner Tochter war immens.
Piero nannte ihm den Preis. Umberto bezahlte. Packte das Wechselgeld umständlich wieder in die Brieftasche. Erst dann fiel ihm das Eis wieder ein, dass er sich hatte beiseitelegen lassen. Piero gab ihm auch das.
Danach war eigentlich alles erledigt. Alles gesagt. Und eben doch nicht, hatte Umberto ein bisschen das Gefühl.
»Weißt du, ich bin mir nicht sicher, ob sie schon bereit ist«, sagte er deshalb aus einem Bauchgefühl heraus. Er wollte, dass Piero das wusste. Dass Piero, wenn überhaupt, mit äußerster Vorsicht vorging.
Piero war ein feinfühliger, anständiger Mann. Das sagte Umberto seine Menschenkenntnis. Piero nickte auch nur. Hatte verstanden.
Jetzt war aber tatsächlich alles gesagt. Deshalb hob Umberto die Hand zum Gruß und verließ die Bar.
Die Glocken läuteten wieder hell und fröhlich. Der Sommer war noch da. Umberto konnte ihn riechen. Aber schon bald würde der Herbst ihn ablösen. Schon bald würde es um die Mittagszeit nicht mehr sengend heiß sein. Noch war es aber nicht so weit. Deshalb musste er sich beeilen, damit das Eis nicht schmolz.
Endlich. Endlich, endlich, endlich! Don Giacomo hatte die Glocken stillgelegt. Santa Rosalia mochte die Glocken. Nein, wirklich. Noch dazu, wenn sie ihr zu Ehren fröhlich musizierten. Da sie aber praktisch im Glockenturm lebte, konnte es mitunter … laut werden. So laut, dass sich ihr Kopf selbst wie eine Glocke anfühlte. Und sie musste sich doch noch frisch machen. Für die Prozession. Und überhaupt. Für das Fest.
Sie war nicht so richtig ausgeruht. Wenn sie Menschen im Traum aufsuchte, dann kostete sie das eine Menge Kraft. Der gute Umberto hatte noch dazu erst gar nichts kapiert. Und sie musste noch mehr Energie verwenden. Damit er sich an die Statue erinnerte. Die musste er jetzt endlich einmal fertig schnitzen. Lange genug hatte Rosalia ja gewartet. Abgesehen davon, dass die Statue wunderhübsch war und, wie sie fand, sehr nahe am Original dran, war sie auch wichtig. Sie wusste noch nicht, wie oder wo. Auch nicht, wann. Aber diese Statue war wichtig. Und sie hatte alles hübsch in die Wege geleitet.
Nun aber wollte sie sich auf den Abend vorbereiten. Wenn sie nur nicht dauernd das Gefühl hätte, etwas zu vergessen. Oder besser, etwas zu verpassen. Nur, was?
Sie ging noch einmal zum kleinen Fenster, schaute auf die piazza. Sah Kinder, die wie immer spielten. Unter ihnen Angelo. Und fremde Kinder. Wahrscheinlich Besuch aus den Großstädten. Sie sah Piero, der sich wohl einen kurzen Moment der Ruhe gönnte und vor seiner Bar saß, mit einem Geschirrtuch über dem Knie und seinem üblichen Outfit: Jeans, Hemd und Stoffturnschuhe. Irgendwem sah er gerade ein bisschen ähnlich. Aber Rosalia wollte nicht so recht einfallen, wem.
War das denn jetzt wichtig?
Wohl kaum.
Wichtig waren jetzt ihre Haare. Und die musste sie schleunigst frisieren.