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Wo die Zitronenbäume blühen, ist auch die Liebe nicht weit Diletta ist stolze Zitronenladenbesitzerin in Amalfi und glücklich mit Nunzio verheiratet. Die beiden wünschen sich nichts sehnlicher, als eine Familie zu gründen, aber es will einfach nicht klappen. Ihre Beziehung leidet zunehmend darunter. Als ein charmanter Engländer nach Amalfi kommt und eine Zitronenplantage kaufen möchte, geht es auf einmal drunter und drüber in dem malerischen Küstenort. Denn mit Zitronen kennt Diletta sich aus, und was wäre da naheliegender, als ihm bei seiner Unternehmung zu helfen? Mit Mike wirkt alles leicht und unkompliziert, und Diletta erwischt sich dabei, wie sie beginnt Gefühle für ihn zu entwickeln. Doch nie würde sie über Schmetterlingen im Bauch ihre große Liebe zu Nunzio vergessen. Oder? Freuen Sie sich auf ein Buch wie ein Italienurlaub: voll Sonne, gutem Essen, türkisblauem Meer und ganz viel Amore!
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Die Zitronenblüten von Amalfi
ROBERTA GREGORIO wurde 1976 in Fürstenfeldbruck in Bayern geboren und ist dort direkt an der Amper aufgewachsen. Auch heute lebt sie mit ihrer Familie am Wasser, nur nicht mehr am Fluss, sondern am Meer, genauer – in Süditalien. Gleich geblieben ist ihre große Leidenschaft für Worte, Texte und Manuskripte. Wenn sie nicht schreibt oder liest, übersetzt sie. Von Roberta Gregorio ist in unserem Haus bereits erschienen: Die kleine Eismanufaktur in Amalfi
Der zauberhafte Papierladen in Amalfi
Wo die Zitronenbäume blühen, ist die Liebe nicht weitDiletta ist stolze Zitronenladenbesitzerin in Amalfi und glücklich mit Ezio verheiratet. Die beiden wünschen sich nichts sehnlicher, als eine Familie zu gründen, aber es will einfach nicht klappen. Als ein charmanter Engländer nach Amalfi kommt und dort eine Zitronenplantage kaufen möchte, geht das Chaos in dem malerischen Küstenort los. Denn mit Zitronen kennt Diletta sich aus, und so bietet sie dem Fremden ihre Hilfe an. Mit Mike wirkt alles leicht und unkompliziert, und Diletta erwischt sich dabei, Gefühle für ihn zu entwickeln. Doch nie würde sie über den Schmetterlingen im Bauch ihre große Liebe zu Ezio vergessen. Oder?
Roberta Gregorio
Roman
Ullstein
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© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®, MünchenAutorinnenfoto: © Eleonora FerollaE-Book-Konvertierung powered by pepyrusISBN 978-3-8437-2929-1
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Die Autorin / Das Buch
Titelseite
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Rezepte
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Prolog
Der Tag versprach wundervoll zu werden. Das lag nicht nur am Wetter, das in Amalfi von März bis in den November hinein schlichtweg wundervoll war, sondern auch an der heiteren Stimmung, die durch Dilettas offenes Fenster hineinzuströmen schien. Es war diese Mischung aus Meeresluft und Kaffeeduft, gepaart mit stetigem Stimmengewirr und läutenden Glocken, die heute einen geradezu himmlischen Klang erzeugten. Es war Sommer, das Leben war wundervoll. Für die vielen Urlauber Amalfis, aber auch für Diletta, die gerade geduscht hatte und sich mit einer neuen Zitronenlotion eincremte, die sie frisch ins Sortiment aufgenommen hatte. Sie stellte nichts in ihren Laden, das sie vorher nicht selbst ausprobiert hatte. Verkaufen konnte sie nur Produkte, hinter denen sie hundertprozentig stand. Sie wollte genau wissen, was sie ihren Kunden in ihrem Zitronenladen anbot. Und diese neue Lotion, die direkt in Amalfi schonend und schadstofffrei produziert wurde, war ihr neuer Liebling. Mmmmh … wie das roch!
Von Zitronenduft bekam Diletta nie genug, obwohl sie mit der gelben Frucht groß geworden war und nun beinahe jede Nuance geschnuppert hatte, die es davon geben konnte. Sorgfältig schraubte sie das hübsche Fläschchen zu, stand vom Bett auf, legte liebevoll eine Hand auf ihren Bauch, der flach wie eh und je war, in dem aber seit wenigen Wochen ein Leben heranwuchs. Endlich! Sie und Ezio hatten es so lange versucht. Und nun war sie schwanger. Glücklich drehte Diletta sich im Kreis, zu einer Melodie, die nur sie hören konnte. Sie stellte sich an ihr Schlafzimmerfenster, lehnte sich hinaus und blickte aufs Meer. Das machte sie oft, suchte mit geübtem Auge nach dem Fischkutter ihres Mannes Ezio, dessen Familie sich seit Generationen mit dem Fischfang den Lebensunterhalt verdiente. Doch sie konnte ihn nirgendwo entdecken.
Das Meer hatte kleine weiße Krönchen auf. Das hatte Ezio am Vorabend angekündigt. Leichter Wellengang, hatte er gesagt, obwohl das Wasser am Vortag so glatt wie ein Spiegel gewesen war. Diletta hatte noch nicht wirklich begriffen, wie er das so präzise voraussagen konnte. »Ich beobachte das Meer, den Himmel, den Mond. Auf dem Wasser draußen achte ich auf die Strömungen. Und ich sehe mir die Brandung an. Das Meer warnt mich vor, mit vielen kleinen Zeichen, auf die ich achten muss.« Ezio war ein Experte, und doch war es einmal, vor Jahren, richtig knapp gewesen. Mit dem Fischkutter waren sie erst heimgekehrt, als das Meer schon wütete und ein Sturm tief über dem Wasser und in den Hügeln hinter Amalfi hing. Ein halber Weltuntergang, bei dem Diletta zum ersten Mal ernsthaft Angst um ihren Mann gehabt hatte. Sie war es von ihm ja gewohnt, dass er ganze Tage auf hoher See verbrachte. Aber sie vertraute so sehr auf seine Fähigkeiten, dass sie entspannt war. Nur an besagtem Tag … da hatte sie vielleicht zum ersten Mal begriffen, dass das Meer so viel gab, aber auch so viel nehmen konnte. Und zwar mit einer erschreckenden Leichtigkeit.
»Keine Sorge. Papà wird immer heil und gesund wiederkommen. Das verspreche ich dir!«, sagte Diletta zu ihrem Bauch. Oder besser zu ihrem Kind. In ihrer Gedankenwelt hielt sie das Böhnchen bereits im Arm. Ein Baby mit rosigen Bäckchen, Junge oder Mädchen – das war ihr ganz egal.
Diletta trennte sich schweren Herzens vom Anblick des Meeres und kippte das Fenster, bevor sie die Gardine zuzog. Sie schaute auf ihre Armbanduhr und bemerkte erstaunt, dass sie sich beeilen musste, um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen. Seit ein paar Tagen kam sie morgens nur schleppend aus dem Bett, der Kaffee, den Ezio ihr auf den Nachttisch stellte, wenn er beim Morgengrauen das Haus verließ, war auch an diesem Morgen eiskalt gewesen, sodass sie ihn nicht trinken konnte. Nicht, weil sie unter Schwangerschaftsübelkeit litt – auf die ersten Anzeichen davon wartete sie schon ganz gespannt –, sondern weil kalter caffè einfach nie eine gute Idee war. Aber auch die Müdigkeit, unter der sie litt, war bestimmt der Schwangerschaft zu verdanken. Ja, verdanken. Diletta nahm jede noch so kleine Unannehmlichkeit mit Geduld und Liebe auf. Zu sehr hatte sie sich dieses Kind gewünscht, als nun Zeit damit zu verschwenden, sich über die kleinen und großen Wehwehchen zu beschweren, die sicherlich noch kommen würden.
Doch nun musste sie wirklich los. Sie ging vorbei an ihrem großen Doppelbett aus weißem Holz, das sie im Sommer nur mit leichter Leinenbettwäsche bezog, hinüber zum Schrank, öffnete eine Tür und nahm eines ihrer Kleider hervor. Sie liebte leichte Kleidung. Ezio sagte immer, dass sie die schönste Frau von ganz Amalfi war, was natürlich nicht stimmte. Aber sie musste zugeben, dass es schmeichelhaft war, ihn das sagen zu hören. Er sah sie auch nach Jahren der Ehe so an wie am ersten Tag: verliebt, verrückt – nach ihr.
Diletta schloss die Schranktür, hielt noch immer das Kleid hoch, betrachtete sich nun im Ganzkörperspiegel, nichts weiter an als Unterwäsche, was bei der amalfitanischen Hitze manchmal schon zu viel war.
Dass etwas nicht stimmte, merkte Diletta erst, als etwas Warmes an ihrem Bein hinuntertropfte. Einen Moment lang dachte sie peinlich berührt an Urin. Sie fuhr mit dem Finger über die Flüssigkeit, hielt ihn hoch.
Blut.
Diletta fiel kraftlos auf die Knie. Und dann setzten die furchtbaren Unterleibsschmerzen ein.
Sie verlor ihr Baby an diesem Tag, der versprochen hatte, besonders schön zu werden.
Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Limonade draus.
Diletta putzte ihren Teller leer. In letzter Zeit war sie immerzu hungrig. Sie hatte wohl auch einige Kilos zugenommen, was ihr nichts ausmachte. Ezio, ihr Mann, der ihr in dem kleinen Restaurant, das sie für den besonderen Anlass ausgesucht hatten, gegenübersaß, beklagte sich auch nicht. Er stocherte aber eher im Essen.
»Schmeckt es dir nicht?«, fragte Diletta und hielt inne, sah Ezio vielleicht zum ersten Mal an diesem Abend richtig an. Ihr Ezio. Ein schöner Mann. Sie vergaß manchmal, wie gut er aussah mit seinem Körper wie aus Stahl, wie er oft selbst behauptete und sich mit den Fäusten auf die Brust trommelte, als wäre er ein Gorilla und eben nicht aus Stahl. Die harte Arbeit auf dem Fischkutter zeigte sich jedenfalls, er war trainiert, zog bleischwere Netze aus den Tiefen des Meeres, hob riesige Schwertfische mit Leichtigkeit gen Himmel. Wie um den Göttern für den Fang zu danken. Diletta hatte zu Hause unzählige Bilder von ihrem Mann, der stolz zeigte, was er aus dem Wasser geholt hatte. Sie liebte diese Bilder, war stolz auf ihn und seine Arbeit.
Ezio sagte nichts, zog die Schultern hoch, sah sie aber an – einige intensive Augenblicke lang.
Dass er nichts sagte, war keine Neuigkeit. Er war nicht der Gesprächigste, außer, wenn es um Fischfang ging. Dann konnte er reden wie ein Wasserfall. Das verstand Diletta aber auch. Sie ertappte sich ja selbst dabei, wie sie dauernd über Zitronen faselte. So hatte jeder seine eigene Leidenschaft. Fisch und Zitrone. Eine gute Kombination, so wie auch Ezio und Diletta es im Leben waren. Sie hatten jung geheiratet und feierten heute ihren zehnten Hochzeitstag – im kleinen, niedlichen Restaurant Da Pippo mit seiner wundervollen Einrichtung, die sich an den Farben des Meeres orientierte, wobei bunte Dekorationen an den Wänden und auf den Tischen das Leben unter der Wasseroberfläche nachahmten. Es war eines der wenigen Lokale an der Promenade, das sich seit Jahren hielt. Die meisten schafften es nicht lange, den Betrieb aufrechtzuerhalten, da die Mietpreise in exklusiver Lage exorbitant waren, wie jeder in Amalfi wusste.
Ezio lieferte dem Chefkoch Tullio jeden Tag frischen Fisch, keine Unmengen, aber doch genug. Normalerweise war Ezio ein Großlieferant, der den Großmarkt in Salerno bediente. Aber einige Restaurants an der Küste wollten nur Fisch von ihm, da drückte er ein Auge zu und fuhr die frische Ware aus, wobei der Aufwand tatsächlich so groß war, dass er ihnen eher einen Gefallen tat. Doch so war Ezio. Er war einer von den Guten.
Es tat Diletta leid, dass es ihm offensichtlich nicht schmeckte.
»Willst du etwas anderes bestellen?«, hakte Diletta nach. Es konnte ja nicht verwerflich sein, dass sie sich wünschte, ihrem Mann möge es beim Abendessen zu ihrem Hochzeitstag richtig schmecken. »Wieso hast du denn Gnocchi mit vier Käsesorten bestellt?« Das hatte Diletta sowieso gewundert. Er mochte Käse nicht mal besonders. Und dann gleich vier Sorten davon?
Er legte die Gabel an den Teller und sah sie an. »Ich wollte etwas Neues ausprobieren?« Er nahm die Stoffserviette und wischte sich über die Lippen, legte sie dann wieder sorgfältig auf den Tisch.
»Seit wann das denn?«, fragte Diletta. Ezio hing an traditionellen Gerichten wie Seeigel am Felsen.
»Seit heute …«
»Ausgerechnet? An unserem Hochzeitstag?« Sie merkte sehr wohl, dass sie sich in etwas hineinsteigerte. Allerdings konnte sie es auch nicht lassen. So war sie. Wenn sie sich einmal festbiss, ließ sie nicht mehr los.
»Wieso machst du so ein Drama daraus? Ich habe einfach keinen Hunger. Hauptsache, es hat dir geschmeckt.« Er zeigte auf ihren Teller, der so sauber aussah, als käme er direkt aus der Spülmaschine.
»Was willst du damit sagen?«
Ein Kellner näherte sich, machte aber eine Kurve und wendete, als er merkte, dass sie diskutierten. Er hatte so elegant dabei gewirkt, dass Diletta davon ausging, er machte solche Kehrtwendungen dauernd. Armer Kerl …
Ezio seufzte. »Gar nichts. Ich wollte gar nichts damit sagen.«
Diletta nahm kurzerhand seine Gnocchi und stellte ihren leeren Teller vor ihm ab. Der Käse roch so gut, dass ihr Magen beinahe knurrte, obwohl er gar nicht leer war. Sie hatte noch immer Appetit. Sie vermutete, der Hunger kam von den Hormontabletten …
Eine ganze Weile lang hatten sie weiterhin auf natürlichem Wege versucht, schwanger zu werden. Sie und Ezio hatten lange miteinander gesprochen, und er hatte seine Bedenken geäußert. »Die Natur weiß immer, was sie macht …«, war sein liebster Spruch. Doch Diletta hatte es nicht mehr ausgehalten und beschlossen, ein bisschen nachzuhelfen. Es war immerhin ihr Körper.
Sie schob die Gnocchi in ihren Mund und spürte Ezios Blick. »Was denn?«, zischte sie. Sie wollte, dass er etwas sagte. Dass er herausfand aus seiner Lethargie. Ja, manchmal erschien er ihr wie versteinert. Oder zumindest so wortkarg, dass eine Unterhaltung schwierig wurde. Er war nicht immer so gewesen. Klar, von Anfang an war er kein Mann gewesen, der reden, reden und reden wollte oder konnte. Aber bisher war die Stille nie unangenehm gewesen. Doch seit sie ihr Baby verloren hatten, hatte er sich ihr entzogen – so kam es Diletta vor. Und sie kam nicht an ihn heran. Keine Chance.
»Nun?«, provozierte sie ihn weiter und sah ihn herausfordernd und mit aufgerissenen Augen an.
»Ich liebe dich«, war seine Antwort.
Sie wusste das. Und sie liebte ihn auch. Aber Liebe allein reichte manchmal nicht. Sie mussten wieder lernen, miteinander zu sprechen. Allerdings fiel Diletta auch nicht viel mehr ein als ein gemurmeltes »Ich dich auch«. Still aß sie weiter. Wenn sich der Abend auch nicht richtig nach Feiern angefühlt hatte, so hatte Diletta wenigstens richtig gut gegessen. Sogar doppelt.
Nachdem sie das kleine Restaurant an der Promenade Amalfis verlassen hatten – auf eine Nachspeise hatten sie verzichtet –, hakte sich Diletta bei Ezio unter. Sie wollte noch nicht, dass der Abend vorbei war. Sie wollte nicht zurück in die noch größere Stille ihrer Wohnung.
»Gehen wir noch ein paar Schritte?«, fragte sie deshalb hoffnungsvoll.
Ezio sah sie an. Vielleicht einen Augenblick länger und intensiver als sonst. »Ich muss morgen früh raus …«, deutete er an. Und das stimmte auch. Für ihn begann der Tag noch vor Sonnenaufgang.
Quirliges Leben spielte sich rund um sie ab. Die Küstenstraße war dicht befahren, Touristen spazierten und hielten ihre Nasen in die Luft, schienen sich unschlüssig darüber zu sein, ob sie sich lieber am Naturspektakel – dem Meer, der Mittelmeervegetation, der Steilhangküste – erfreuen oder doch lieber einen Blick auf die Souvenirs werfen sollten, die bunt und einladend vor den Läden ausgestellt waren.
»Gut, dann lass uns gehen«, beschloss Diletta also und machte sich mit ihrem Mann auf in Richtung Altstadt. »Ich habe eine neue Lotion für den Laden gefunden«, sagte sie. Es war das Erstbeste, was ihr einfiel. Nachdem sie die Fehlgeburt erlitten hatte, hatte sie die Zitronenlotion aus dem Sortiment genommen, mit der sie sich am Morgen damals noch eingecremt hatte. Sie hatte sie zu stark mit dem Unglück assoziiert. Aber es war gar nicht so einfach gewesen, einen Ersatz zu finden. Zumal Diletta Wert darauf legte, nur Produkte zu verkaufen, die aus Amalfi oder zumindest der Provinz Salerno stammten.
»Ach, wirklich?«
Diletta schmiegte sich an Ezio, sein Interesse tat gut. »Ja. Kennst du Laura? Die Tochter von Gigio?«
»Klar.«
»Sie hat schon lange eine kleine Seifenproduktion. Ihre Seife mit Zitronenextrakt kennst du, die habe ich bereits im Verkauf.« Diletta lief vorsichtig. Ihr Absatz drohte sich zwischen den Pflastersteinen zu verfangen. Ezio stützte sie instinktiv. Abgesehen von den Pflastersteinen ging es ohnehin nicht schnell über die Piazza Duomo. Es wimmelte von Touristen, es ging kaum vorwärts. Doch es lag trotzdem eine gewisse Ordnung im Chaos. Diletta wettete, dass sie von oben aussahen wie geschäftige Ameisen. Was an sich ein seltsamer Gegensatz war, denn hier in Amalfi sollte niemand geschäftig sein. Eher entspannt. Immerhin verbrachte man im kleinen Küstenort an der wahrscheinlich berühmtesten Küste des Mittelmeerraums seit jeher wundervolle Urlaube.
»Ja, die hast du mir gezeigt.«
»Genau. Und Laura hat sich jetzt noch weiter in die Kosmetikherstellung gewagt. Ihre Zitronenlotion ist wundervoll.«
»Hey, das klingt super.« Ezio zeigte einen gewissen Grad an Begeisterung. Diletta merkte, wie sehr sie das brauchte, dass er sich interessierte, dass er seine Meinung mit ihr teilte.
»Finde ich auch!« Sie drückte ihm dankbar einen Kuss auf die Wange. Er lachte.
Diletta war so sehr darauf konzentriert gewesen, ihrem Mann von der Lotion zu erzählen, dass sie nicht weiter darauf geachtet hatte, wohin er sie geführt hatte. Sie standen nun an den Tischen vor Sals Bar.
Salvatore war ihr Barista, schon seit Kindheitstagen. Seine Bar, das Sal sul Mare, befand sich direkt vor dem herrlichen Dom mit der eindrucksvollen Treppe. Die runden, kleinen Tische waren rund um die Uhr besetzt, den gesamten Sommer über. Natürlich lag das auch an der idealen Lage der Bar, mitten im Herzen von Amalfi. Man konnte es nicht vermeiden, daran vorbeizulaufen. Doch was das Sal sul Mare wirklich besonders machte, war Sal. Er war aufmerksam, fürsorglich, dankbar, nett. Und das, obwohl er sich inzwischen sicherlich nicht mehr so intensiv um jeden Gast kümmern müsste. Er tat es aber trotzdem. Obwohl tagtäglich unzählige Besucher bei ihm haltmachten, behandelte er doch jeden wie den einzigen und wichtigsten Gast. Zum Glück teilte seine Tochter Rachel, die im vergangenen Sommer unverhofft in sein Leben getreten war – sie war das Resultat eines Sommerflirts, Sal hatte erst jetzt von ihr erfahren –, seine Ansichten. Und so war sie nun nicht nur seine amerikanische Tochter, sondern auch seine Geschäftspartnerin. Diletta fand, dass die junge blonde Rachel sich so perfekt ins Bild gefügt hatte, als sei sie schon immer Teil des amalfitanischen Alltags gewesen.
In der Tat kam gerade in diesem Moment keine andere als Rachel auf sie zu.
»Buonasera!«, sagte sie in einwandfreiem Italienisch, das jedoch den charmanten amerikanischen Akzent nicht verloren hatte. »Kommt ihr kurz mit?«
Diletta blickte zu ihrem Mann. »Eigentlich wollten wir gerade …«, setzte sie an.
»Ach, schon gut«, unterbrach Ezio sie und richtete seine Aufmerksamkeit ganz auf Rachel. »Wohin willst du uns denn mitnehmen?«, fragte er sie.
»Folgt mir einfach.«
Diletta verstand gar nichts mehr – eben war er noch zu müde gewesen … Ezio nahm ihre Hand, und sie gingen mit Rachel mit, die sie umständlich durch die Tische hindurch direkt in die Mitte des Geschehens lotste. Sal stand an einem der Tische, lächelte gewohnt schief, um die abgeschlagene Ecke am Zahn zu verbergen. Diletta bemerkte einen riesigen Blumenstrauß in einer Vase. Sal bat sie und Ezio, sich zu setzen. Sie blickte kurz zu ihrem Mann, der verschmitzt lächelte, wartete, bis Sal ihr den Stuhl zurechtrückte.
War das etwa …? Ihr Herz begann, aufgeregt zu pochen. Sie nahm alles intensiv auf. Den betörenden Geruch der Blumen, das heitere Geplauder der Gäste um sie herum, die angenehme Wärme einer italienischen Sommernacht.
»Was passiert denn hier gerade?«, fragte sie.
Ezio zwinkerte ihr zu, gab aber keine Antwort. Das sah so verdammt anziehend aus, dass es in ihrer Brust ganz warm wurde.
Rachel kam mit zwei hübschen langhalsigen Gläsern zurück, die sie besonders elegant auf einem Tablett balancierte. Sie reichte erst Diletta eines, dann Ezio. »Von uns ganz herzlichen Glückwunsch zum Jahrestag!«, rief sie.
Diletta war gerührt und wusste nicht so recht, wem sie danken sollte. Wer hatte das organisiert? Ezio? Das sah so gar nicht nach ihm aus … Sie kam nicht dazu, der Frage nachzugehen, weil sie hörte, dass irgendwo Musik spielte. Ganz automatisch rollte sie mit den Augen. Seit dem letzten Sommer tummelte sich ein Straßenmusiker in der Altstadt Amalfis. Sein Lieblingsplatz war am Eck des Hotels La Fontana, wo sich im Erdgeschoss, zur Piazza hin, neben Dilettas Casa del Limone, auch die Läden ihrer besten Freundinnen Livia und Carolina befanden.
Livia verkaufte und produzierte in ihrer Artigiani del Gelato das wohl beste Eis der gesamten Amalfiküste. Und Carolina hatte einen entzückenden Papierladen, Cartiera Cavaliere.
Sie alle drei mussten sich also – wohl oder übel – anhören, was der Musiker, Adamo hieß er, den ganzen Tag lang spielte und sang.
Während Livia und Carolina die Klänge mochten, verzweifelte Diletta beinahe daran, immerzu die gleichen neapolitanischen Volkslieder zu hören. Und nun kam er auch noch auf sie zu.
Adamo war eigentlich sehr nett, das musste Diletta ihm lassen. Singen konnte er ohne Zweifel. Vielleicht konnte sie ihm an diesem Abend die Chance lassen und ohne Vorurteile einfach seiner Musik lauschen. Diletta blickte Ezio an, nahm seine Hand und wartete ab. Adamo spielte auf seiner abgenutzten Gitarre einige Akkorde, und abgenutzt, auf irgendwie sympathische Weise, waren auch seine Jeans und seine Schuhe. Sie war so abgelenkt von dem enormen Loch in seiner Jeans, dass sie zuerst nicht bemerkte, um welches Lied es sich handelte. Erst als Ezio ihre Hand drückte, erkannte sie, dass es ihr Song war. Questo piccolo grande amore von Claudio Baglioni.
Im Sommer, in dem sie und Ezio zusammengekommen waren, hatten sie dieses Lied hoch und runter und von vorne nach hinten, von hinten nach vorne und laut und leise und immerzu gehört und gesungen. Weil sie gefühlt hatten, dass ihre amore stärker war als die Liebe des Paares, das es in dem Song nicht geschafft hatte zusammenzubleiben.
Diletta kamen augenblicklich die Tränen. Adamo hielt die Augen geschlossen, sein Gesang schien direkt aus seinem Herzen zu kommen. Um sie herum wurde es still. Ezio streichelte ihren Handrücken, und die Tränen liefen. Diletta sah zuerst die weißen Luftballons in Herzform. Als sie erkannte, dass Livia und Carolina, ihre besten Freundinnen, sie brachten, schluchzte Diletta. Was für eine Überraschung.
Die Italiener sangen mit. Das Lied war landesweit bekannt. Carolina und Livia wiegten sich im Rhythmus, stellten sich zu Adamo. Diletta musste wegsehen, so sehr rührte sie das. Doch der Himmel zeigte sich so wunderbar gigantisch, mit den ersten Sternen, die aussahen wie kleine Sonnen, dass Diletta auch deswegen beinahe heulen musste.
Als Adamo die Hände über die Saiten legte, weil das Lied zu Ende war, ließen Livia und Carolina die Luftballons los, die wie von einer Last befreit in den Himmel stiegen. Frei wie die Liebe selbst.
Ezio kam herüber zu ihr, beugte sich hinunter, küsste sie mitten auf den Mund. »Glaub nicht, dass mir die ersten zehn Jahre mit dir genug sind …«, sagte er. Und in diesem kleinen Moment war Dilettas Leben einfach perfekt.
Wenn das Leben dir Zitronen gibt, back einen Zitronenkuchen.
Ezio schälte sich aus der Bettwäsche und wusste sehr gut, wie er vorgehen musste, um Diletta nicht zu wecken. Er konnte sich so vorsichtig und still bewegen, dass weder das Bett quietschte noch die Laken raschelten. Er fand es unfair, seine Prinzessin aus dem Tiefschlaf zu reißen, nur weil er so früh arbeiten musste. Sie arbeitete ebenfalls viel in ihrer Casa del Limone. Deshalb war es nur fair, sie ausschlafen zu lassen.
Sein Leben spielte sich weitgehend auf dem Meer ab, das war schon immer so gewesen. Er war schon mit Nonno und Papà und seinem älteren Bruder Jacopo und weiteren Mitgliedern der Besatzung mitgefahren, da war er noch im Kindergartenalter gewesen. Er war fasziniert gewesen von der Geschmeidigkeit, mit der Fische sich im Wasser bewegten. Und er hatte in seinem bisherigen Leben als Fischer in der Tat schon eine Menge Meeresbewohner gesehen. Riesige, winzige, große, kleine, bunte, schwarze, schöne, hässliche, harmlose, aggressive. Fehlte nur noch eine Meerjungfrau … Ob er daran glaubte? Natürlich nicht. Dazu kannte er die Gewässer zu genau. Aber er glaubte, dass es Menschen gab, die sich unter der Wasseroberfläche sehr wohlfühlten. Bernardo, zum Beispiel. Ein feiner Kerl.
Er war der Freund von Carolina, einer von Dilettas besten Freundinnen. Und er war Livias Cousin. Produzierte mit ihr das Eis in der Artigiani del Gelato. In Amalfi kannten sich ohnehin alle, aber Bernardo hatte Ezios Bewunderung gewonnen. Der Eismacher verbrachte wie er viel Zeit auf dem Meer, wenn auch auf einem viel kleineren Boot. Dort trainierte er stundenlang Apnoetauchen. Ezio war zwar der Meinung, dass er das nicht allein tun sollte, aber er fand es trotzdem spannend. Besser gefiel es Ezio auf dem Fischkutter, aber er sprang schon mal ins Wasser, wenn sich ihre Netze irgendwo verfingen und er sie losmachen musste. Früher hatte das sein Papà gemacht, doch diese Zeiten waren vorbei. Irgendwann war Schluss damit, das Meer herauszufordern, sonst verschluckte es einen ganz.
Ezio verließ das Schlafzimmer, schloss die Tür hinter sich, ging in die Küche und machte sich einen caffè. Recht viel mehr bekam er um diese Uhrzeit, vier Uhr dreißig, nicht hinunter. Während er darauf wartete, dass der caffè durch den trichterförmigen Filter des kleinen Alukännchens stieg, zog er sich im Bad flink an, wo er sich seine Kleidung am Vorabend stets zurechtlegte, damit er am Morgen Diletta im Schlafzimmer nicht stören musste. Er gähnte. Und das war das erste Geräusch, das er nicht bewusst zu dämpfen versuchte.
Leise zu sein störte ihn nicht. Was er hingegen allmählich nicht mehr packte, war das vorsichtige Leben mit Diletta an sich. Sie war empfindlich geworden. Er bewegte sich mittlerweile in ihrer Anwesenheit wie auf rohen Eiern, fürchtete, etwas Falsches zu sagen oder zu tun. Selbst die Zärtlichkeiten waren zur unglaublichen Geduldsprobe geworden. Hatte er Lust, wollte sie nicht, weil es nicht in der Zeit ihrer fruchtbaren Tage war. Wollte sie dann, weil der Kalender es zuließ, dann verging ihm gleich wieder alles, weil sie unmögliche Positionen vorschlug, die er beim besten Willen nicht erotisch fand. Er wollte schöne Momente mit seiner Frau erleben und kein wissenschaftliches Experiment durchführen. Natürlich wünschte auch er sich ein Kind. Auch er war am Boden zerstört gewesen, als er auf dem Fischkutter die Nachricht erhalten hatte, dass sie eine Fehlgeburt erlitten hatte. Aber anders als Diletta war er auch gleichzeitig froh gewesen, dass es ihr gut ging. Er war gegen all die Chemie, mit der sie sich jetzt vollstopfte. Für ihn machte die Natur alles richtig. Und wenn es nicht ihr Schicksal war, Eltern zu werden, dann konnte er das akzeptieren – wenn auch mit tiefem Bedauern im Herzen. Diletta hingegen machte sich regelrecht krank damit, und er wusste beim besten Willen nicht, wie es weitergehen sollte.
Das gurgelnde Geräusch des aufsteigenden Kaffees lenkte ihn von seinen unbequemen Gedanken ab. Er nahm zwei Tässchen aus der Anrichte, stellte sie auf ein Tablett, drehte den Gasherd aus und schenkte sich und Diletta jeweils die Hälfte ein. Macht der Gewohnheit. Als würde sie jetzt extra aufwachen, um ihn zu trinken …
Ezio seufzte tief. Er vermisste Diletta so sehr, obwohl sie nur nebenan im Bett lag. Er analysierte Gefühle und Situationen wirklich nur, wenn er musste. Er mochte es einfach und unkompliziert. Ihm war aber bewusst, dass er und Diletta bald wieder lernen mussten, wirklich miteinander zu reden. Ihre Ehe war zwar solide, aber auch nicht unzerbrechlich, und das Risiko, dass sie kaputtging, war real und fassbar. Manchmal fragte er sich, ob er der Einzige war, der merkte, dass sie Probleme hatten.
Er zuckerte seinen Kaffee, trank ihn heiß und spürte, wie das intensive Aroma sich weich an seine Geschmacksnerven schmiegte. Dann spülte er das Tässchen aus, stellte es umgedreht auf die Abtropffläche und brachte Diletta leise das Tablett ins Zimmer, wo er es auf ihren Nachttisch stellte. Er merkte, dass er lächelte, als er die Düfte aufnahm, sobald er sich ihr näherte, um ihr einen leichten Kuss auf die Wange zu geben. Zitronenshampoo, Zitronenlotion, Zitronenseife, Zitronenöl, Waschmittel mit Zitronenaroma und, und, und. Diletta war eine einzige wandelnde Zitrone. Er liebte das. Er liebte sie.
Als er jedoch wieder die Schlafzimmertür hinter sich schloss, um zur Arbeit zu gehen, merkte er, dass er erleichtert war, den Tag nicht mit Diletta zu verbringen, weil sie sowieso ihre Frustration über ihre Kinderlosigkeit an ihm auslassen würde. Das hatte er satt.
Der Gedanke, seine Frau zeitweise zu meiden, machte ihn unglaublich traurig. Doch wusste er im Moment auch nicht, wie er es besser machen konnte.
Er verließ das Haus, das im oberen Teil Amalfis lag, um kurz vor fünf Uhr. Die Sonne war schon aufgegangen, aber der Himmel hatte eine unentschlossene Färbung, die weder gänzlich zum Tag noch zur Nacht passte. Das intensive Azurblau war von einem grauen Schleier bedeckt. Doch bald schon würden die Farben in Amalfi explodieren. Dominant war an der gesamten Küste natürlich das Blau des Mittelmeers, das von jedem Punkt, von dem aus man es betrachtete, unendlich aussah. Ezio hatte einmal versucht, die verschiedenen Blautöne des Meeres zu klassifizieren und zu benennen. Ein schier unmögliches Unterfangen. Am liebsten mochte er es, wenn es fast ins Dunkelblaue ging, wenn es so tief war, dass der Grund nur zu erahnen war.
Es war noch angenehm frisch, weiß Gott nicht kalt. Es ging auf den Juli, den heißesten Monat des Jahres zu. Die Amalfitaner kannten die Hitze, hatten sich daran gewöhnt, aber Ezio sah oft Urlauber, die damit zu kämpfen hatten und nicht viel mehr tun konnten, als sich ins Meer zu stürzen oder ein Gelato bei Livia oder wahlweise bei Sal und Rachel ein kühles, typisch italienisches Getränk – Orangina, Estathe, Crodino – zu sich zu nehmen.
Ezio spazierte durch die menschenleeren Gassen. Bei Telemaco, einem nicht mehr ganz jungen dickbauchigen Busfahrer, stand das Fenster wie immer offen. Sein Schnarchen erfüllte das gesamte Viertel, und Ezio konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Irgendwann würde er mal durchs Fenster steigen und Telemaco die Nase zuhalten. Doch jetzt musste Ezio sich wirklich beeilen, er ging zügig weiter durch die Gassen. Wahrscheinlich waren Nonno, Papà und Jacopo schon zum Aufbruch bereit. Nonno schien sowieso nie zu schlafen. Er hatte eine zähe Energie in sich, die Ezio nur bewundern konnte. Aber so waren die Männer seiner Familie. Stark, schweigsam. Ezio dachte an ihr Baby … an das Kind, das sie verloren hatten. Er musste sich eine Hand auf die Brust legen, weil es so wehtat. Nicht oft ließ er es zu, sich in diese Richtung zu begeben, sich zu fragen, ob es ein Junge oder ein Mädchen gewesen wäre. Ob es Diletta oder ihm ähnlich gesehen hätte.
Er schüttelte die Vision eines kleinen Jungen, der sich auf dem Fischkutter an seinem Bein festhielt, ab und überquerte die menschenleere Piazza Duomo, ging vorbei an den Tischen vor Sals Bar, an den aufgestapelten Stühlen, weiter nach vorne bis hin zum Palazzo La Fontana, wo sich im Erdgeschoss, in der rechten Ecke, Dilettas Zitronenladen befand.
Das kleine Geschäft war Dilettas ganzer Stolz, und Ezio war wiederum stolz auf sie, weil sie es trotz Konkurrenz – mittlerweile gab es verschiedene ähnliche Läden in und um Amalfi – noch immer schaffte, erfolgreich zu sein. Sehr sogar.
Sie hatten keine finanziellen Probleme. Es ging ihnen in jeder Hinsicht gut. Aber eben doch nicht ganz …
Vorne am Hafen schlug ihm der Geruch des Meeres entgegen. Algen, Fisch, Salz. Es war die sandige Nuance, die Ezio sofort vermuten ließ, dass es heute schwierig werden würde mit dem Fischfang. Vermutlich war der Sand durch Strömungen unter der Oberfläche stark aufgewirbelt, weshalb es danach roch. Er erreichte den Fischkutter, außen grün, innen weiß, wenn auch an einigen Stellen Rost ansetzte. Da konnten sie noch so sehr versuchen, die Stellen zu behandeln. Rost war wie Krebs. Und sie hatten natürlich ab und an überlegt, einen Ersatz für ihren Fischkutter zu suchen. Doch die Preise, selbst von gebrauchten, waren definitiv zu hoch.
Ezio stieg über den Steg an Bord, nickte seinem Papà zu, schlug Nonno kameradschaftlich auf die Schulter. Und was Ezio jedes Mal erstaunte, war, nicht eine Spur von Gebrechlichkeit in seinem Nonno zu spüren. Er war ein Fels, noch immer, selbst wenn er, genauso wie Papà, nicht mehr tauchte.
»Jacopo?«, fragte Ezio.
»Noch nicht da«, antwortete Papà und stieg in seine Gummistiefel.
Ezio begann währenddessen, den Motor anzuwerfen, und Nonno machte die Leinen los. Jacopo kam wenig später. Er hatte wohl eine kurze Nacht gehabt. In der Tat war sein Haar noch ganz zerzaust, seine Augen kaum offen. Aber er war da, noch gerade so pünktlich … Und dieser Fischkutter war Ezios Halt, seine Garantie dafür, dass es im Leben weiterging, dass er nie allein war, dass seine Familie und er eine Einheit bildeten.
Als Ezio das Tempo ein wenig erhöhte, sobald er aus dem Hafen herausgefahren war, war es, als würde ihm das Atmen leichter fallen. Der Himmel wurde jede Minute klarer, das Meer immer weiter, immer schöner, immer perfekter. Und Ezios Sorgen um Diletta und seine Ehe … sie fielen ins Meer und sanken, sanken, sanken, bis sie den Grund erreichten.
Mike blickte aus dem Flugzeugfenster, sah das beeindruckende Blau, das die Küste zu liebkosen schien, sah den majestätischen Vesuv, der ihn – aus welchem Grund auch immer – an einen dicken gelassenen Buddha erinnerte. Und er sah die vielen Gebäude, die nun beinahe so nah an ihnen waren, dass sie vermutlich bald den Bauch des Flugzeuges würden kratzen können. Moderne Gebäude, antike, schöne, aber auch ganz offensichtliche Ruinen. Es war eine Mischung, die Neapel so besonders machte.
Der Flieger kam mit einem Hüpfer auf, und Mike fragte sich einen Augenblick lang amüsiert, ob hier in Neapel auch die Flugzeuge den Tammurriata-Tanz tanzten. Er hatte so viel von dieser Stadt gehört, von der Pizza, den Katakomben, Piazza del Plebiscito, der schönsten Metro-Haltestelle Europas, Toledo, dem Krippen-Viertel San Gregorio Magno, dem Aussichtspunkt San Martino, von dem aus man die Straße Spaccanapoli sehen konnte, die die Altstadt rigoros in zwei Hälften teilte und aussah wie eine dicke Narbe.
Der Flieger kam geräuschvoll zum Stehen, Mike saß in der Businessclass, die nur teilweise besetzt war. Ein Pling-Geräusch gab ihm die Erlaubnis, sich abzuschnallen. Er lächelte der jungen Flugbegleiterin zu, die sich besonders aufmerksam um ihn gekümmert hatte und jetzt die Gepäckablagen öffnete. Sie war so nett, ihm seinen kleinen Trolley zu reichen, obwohl sie das nicht musste. Er sah sie einen Augenblick länger an. Sie war sehr schön, zweifellos.
»Grazie«, sagte er. Sein Italienisch war ein bisschen eingerostet, aber noch voll da, wie er erleichtert festgestellt hatte. Sein letztes Italien-Erlebnis lag viele Jahre zurück. Doch Italien war wie der erste Kuss, man erinnerte sich ewig daran.
Mike stand auf, dehnte seine Nackenmuskulatur und wartete wie alle anderen Passagiere darauf, dass die Ausgänge geöffnet wurden. Das Warten war ihm, im Gegensatz zu den anderen Passagieren, die wie Wildtiere mit den Füßen scharrten, egal. Er streckte sich weiter. Flugzeuge fand er immer zu klein. Seine Beine passten nie einwandfrei zwischen die Sitze. Kein Wunder bei seiner Körpergröße, über eins neunzig.
»Signore?«
Mike fühlte sich zunächst nicht angesprochen. Aber dann zog jemand sachte an seinem T-Shirt, also drehte er sich um und blickte direkt in das Gesicht einer nicht mehr ganz jungen Signora, die ihn anlächelte. Etwas verlegen, wie er bemerkte.
»Sì?«
»Können Sie mir vielleicht mit meiner Tasche helfen? Ich nehme mir immer vor, nicht zu viel ins Handgepäck zu verfrachten, aber dann lande ich doch immer wieder im Duty-free-Laden und kaufe und kaufe und kaufe. Und jetzt schaffe ich das Tragen nicht.« Sie sah ihn geknickt an.
»Aber selbstverständlich. Ich nehme sie gerne.«
Die Signora mit den auffallend dunkel gefärbten Haaren faltete die Hände zusammen und bedankte sich.
Und endlich wurden die Ausgänge geöffnet. Mike griff nach der Tasche der Signora und nach seinem Trolley, ließ sie vorausgehen und folgte ihr zum Ausgang, wo er sich von den Flugbegleitern verabschiedete.
Kaum war er aus dem Flugzeug gestiegen, um auf die Treppe zu gehen, schlug ihm der neapolitanische Sommer entgegen. Es war sehr warm, aber ein angenehmes Lüftchen sorgte für Ausgleich. Irgendwie schaffte er es, der Signora zu erlauben, sich bei ihm unterzuhaken. Ihr waren die Stufen bis auf den Grund offensichtlich zu anstrengend.
Unten angekommen, war Mike einen Moment lang irritiert, weil er einen Bus erwartet hatte, der sie zum Ausgang fuhr. Doch in Neapel war das wohl anders. Lotsen standen an den strategischen Stellen und halfen ihnen, die Gepäckausgabe zu finden. Am Gepäckband stellte er der Signora dann ihre Tasche hin. Recht viel mehr konnte er nicht tun. Er hatte momentan nur seinen Trolley dabei und kein Gepäck abgegeben.
»Grazie, mein Lieber!«, sagte die Signora.