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Tage wie Sonnenschein und ein Tanz im Licht der Sterne: Der beschwingte Feelgood-Sammelband »Sommerküsse in Italien« jetzt als eBook bei dotbooks. Die Liebe kann bleiben, wo der Pfeffer wächst! Romantische Verwicklungen sind das letzte, wonach Carla der Sinn steht, als sie auf der Suche nach ihren italienischen Wurzeln durch Bella Italia reist. Aber wer soll schon widerstehen können, wenn man einem charmanten Fremden begegnet, dessen Augen herausfordernd blitzen und dessen Küsse auf den Lippen prickeln wie Brausepulver? Vor dieser Frage steht auch die Journalistin Josefine, die im malerischen Portofino über ein neues Luxushotel schreiben soll – und prompt ihrem Traumprinzen vor die Füße stolpert … Nur ein unverfängliches Abenteuer sucht dagegen Karen, die gerade frisch verlassen wurde. Doch sie hat die Rechnung ohne Amore gemacht … Erfrischend wie Zitroneneis und süß wie Amaretto: Pures Leseglück für schöne Urlaubsstunden! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der romantische Sammelband »Sommerküsse in Italien« mit den Urlaubsromanen »Im Schatten der Zitronenbäume« von Roberta Gregorio, »Männer, Mondschein und Amore« von Tina Grube und »Cappuchinoküsse« von Marte Cormann. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 720
Über dieses Buch:
Die Liebe kann bleiben, wo der Pfeffer wächst! Romantische Verwicklungen sind das letzte, wonach Carla der Sinn steht, als sie auf der Suche nach ihren italienischen Wurzeln durch Bella Italia reist. Aber wer soll schon widerstehen können, wenn man einem charmanten Fremden begegnet, dessen Augen herausfordernd blitzen und dessen Küsse auf den Lippen prickeln wie Brausepulver? Vor dieser Frage steht auch die Journalistin Josefine, die im malerischen Portofino über ein neues Luxushotel schreiben soll – und prompt ihrem Traumprinzen vor die Füße stolpert … Nur ein unverfängliches Abenteuer sucht dagegen Karen, die gerade frisch verlassen wurde. Doch sie hat die Rechnung ohne Amore gemacht …
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Sammelband-Originalausgabe August 2020
Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München.
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Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Stefano_Valeri / Alika Obras
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-96655-050-5
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Sommerküsse in Italien
Drei Romane in einem eBook
dotbooks.
Carla will nicht so recht in die bayrische Provinz-Idylle ihrer Eltern passen. Erst als sie erfährt, dass sie adoptiert wurde, ergibt alles einen Sinn. Auf der Suche nach sich selbst reist sie nach Italien – und findet eine glamouröse Mutter, einen liebevollen Großvater und eine geheimnisvolle, kettenrauchende Großtante. Das ist ihre wahre Famiglia … und fast zu viel Leidenschaft und Drama für Carla. Was sie nun mit Sicherheit nicht braucht, ist ein waschechter italienischer Galan. Doch dann stehen gleich zwei vor ihrer Tür und machen das Chaos perfekt. Grund genug, Hals über Kopf zu fliehen … oder?
»Also, mach’s gut. Ich muss los!«, rief mir Margit, meine beste Freundin und Mitbewohnerin, zu und war auch schon aus der Tür. Sie würde mit Manuel in die Berge fahren, wo seine Familie eine Luxushütte besaß, und erwachsene Feiertage haben. Während ich mit meinen 28 Jahren Weihnachten wie immer bei Mama und Papa verbringen würde.
Ich musste nur noch dieses letzte Geschenk zumindest akzeptabel verpacken und ebenfalls losfahren. Nicht jedoch in die Berge, sondern aufs Land.
Weihnachtsfeiern bei uns Meinhards waren, vor allem für meine Mutter, das Highlight des Jahres. Klar konnte ich, Carla Meinhard, als einzige Tochter des Hauses nicht davon fernbleiben. Nein, das brachte ich auch dieses Jahr nicht übers Herz. Offen gestanden hatte ich auch keine interessante oder erwachsene Alternative, aber das war eine andere Geschichte.
Wenig enthusiastisch, aber immerhin mit dem Anflug einer ergebenen Vorfreude im Herzen, packte ich die bunten Päckchen in die Tasche und machte mich, am Steuer meines roten Cityvans, auf den Weg hinaus aus der Großstadt in das kleinste Kaff der Welt, wo ich aufgewachsen war … wohlbehütet und, nun ja, ohne erwähnenswerte Vorfälle.
Eine dicke Schneedecke lag auf Bäumen, Feldern und Hausdächern und trug dazu bei, die an mir vorüberziehende Landschaft, wenn möglich, noch monotoner erscheinen zu lassen, als sie ohnehin war. Ich überlegte kurz, das Lenkrad grob nach rechts zu drehen. So ein kleiner Unfall konnte definitiv dazu beitragen, den bevorstehenden Abend aufregender zu gestalten. Schon sah ich mich im Krankenhaus liegen, im Untersuchungszimmer mit einem attraktiven Arzt. So eine Mischung aus George Clooney und Patrick Dempsey. Die Versuchung war wirklich groß. Natürlich widerstand ich ihr.
Schließlich arbeitete ich darauf hin, endlich erwachsen zu werden.
Knapp vor Sonnenuntergang war ich da. Perfektes Timing, wie immer. Ich schaffte es alle Jahre wieder, die Rückkehr nach Hause so lange wie irgend möglich hinauszuzögern.
Kaum hatte ich den Motor abgestellt, sah ich sie auch schon auf mich zu rennen: Ursula, meine Mutter, stets elegant mit ihren frisch gesträhnten Haaren, die sie stur im Joan-Collins-Look trug. Einziger Fehltritt die Küchenschürze, die ihre üppige Figur unschön umhüllte. Ich kam nicht nach ihr. Streng genommen auch nicht nach meinem Vater. Dunkle Haare, braune Augen und butterweiche Kurven – das war ich. Nach wem ich genau kam, hatte ich, ehrlich gesagt, nie wirklich begriffen. Mein Vater hatte einmal von einem südländischen Ur-Ur-Irgendwas erzählt. Dieser Ur-Ur-Irgendwas hatte meine Ur-Ur-Irgendwas geschwängert und seine gänzlich undeutschen Gene in unsere Familie geschmuggelt. Ich nahm mir einmal mehr vor, dem Ur-Ur-Irgendwas eine Statue errichten zu lassen. Meine Dankbarkeit ihm gegenüber war immens. Denn insgesamt war ich zufrieden mit meinem Aussehen. Mein mediterranes Auftreten verschaffte mir nicht zuletzt einen gewissen Erfolg bei Männern. Dass sie am Ende dann doch alle ihre blonden Stefanies heirateten, lag gewiss nicht an mir.
»Mäuschen! Komm rein, komm rein, komm rein!«, rief mir meine Mutter zu, schickte dabei Atemwölkchen in die Luft und fächelte so sehr mit der Hand hin und her, dass ich damit rechnete, sie jeden Moment wegfliegen zu sehen. Die Freude war ansteckend. Ich ruderte also aus Solidarität auch mit den Armen. Außer meiner Mutter sah mich ja niemand dabei.
»Hallo Mama, na, schon alles bereit für das große Fest?« Dass meine Frage vor Ironie nur so troff, bekam sie nicht mit. Wir umarmten uns, und ich atmete den typischen Mama-Duft nach Parfüm, Waschmittel und Haarspray ein. Ihr Geruch war vertraut und deckte sich mit meiner Idee von Zuhause.
Während sie weiter mit der Hand fächelte, trat ich ein.
»Natürlich, natürlich, natürlich!« Wenn sie aufgeregt war, verfiel sie in einen seltsamen Zustand, der einer Mischung aus Stottern und Amnesie glich. »Die Plätzchen sind alle fertig dekoriert, der Braten ist im Rohr, Knödel im Wasser und der Apfelstrudel im Kühlschrank. Ja, ja, ja. Alles bereit!«
So genau hatte ich es nun auch wieder nicht wissen wollen.
»Wo bleibt ihr denn? Kommt endlich rein!«
Mein Vater Emil tauchte endlich hinter Mama im Flur auf. Er grinste warm, und ich merkte an seiner gesamten Körperhaltung, wie sehr er sich freute, mich zu sehen. Ich schlüpfte an meiner Mutter vorbei ins Warme und versuchte mich an einer herzlichen, aber gefassten Begrüßung – ich war ja kein Kind mehr. Mein Vater schien das nicht zu bemerken, denn er hob mich kurzerhand hoch. Es kostete ihn keinerlei Anstrengung.
»Da ist sie ja endlich, mein Carla-Herzchen!«
Ganz ungeniert drückte er mir einen Schmatzer auf den Mund und setzte mich wieder ab. Das machte er schon, seit ich denken konnte. Früher hatte ich deshalb immer mit ihm geschimpft, weil der Bart mich zum Niesen brachte. Aber an Weihnachten ließ ich es ihm durchgehen. Mit manchen Traditionen sollte man einfach niemals brechen.
Nach Hause kommen war für mich eine stets seltsame Angelegenheit. Einerseits stellte sich sofort eine offensichtliche Vertrautheit ein. Ich wusste, wo alles stand – jedenfalls meistens. Hätte wohl blind in jedes Zimmer gefunden, ohne dabei irgendwo anzuecken. Sogar wo das Toilettenpapier aufbewahrt wurde, war mir bekannt. Trotzdem konnte ich mich nicht mehr als festen Bestandteil dieses Mikroorganismus betrachten.
Unangefochtene Herrin des Mikroorganismus Meinhard war Mama. In Sachen Weihnachtsdekoration konnte ihr zum Beispiel niemand das Wasser reichen. Das Wohnzimmer, die Küche und das Esszimmer waren ein einziges Glitzern, Funkeln und Leuchten. Kerzen, Kugeln und Tannen, wo man auch hinsah. Im Badezimmer entdeckte ich sogar eine Weihnachtsmannseife. Sie roch nach Zimt.
»Carla-Herzchen, kommst du essen?«, rief mein Vater aus dem Erdgeschoss hinauf. Selbst aus dem Badezimmer, hinter geschlossener Tür, hörte ich ihn klar und deutlich. Seine Stimme glich einer Posaune. Im Gegensatz zu meiner Mutter versuchte er seine ländlichen Wurzeln nicht zu verstecken. Er war ein einfacher, ehrlicher Mann. Und durchschaubar. Ein feiner Kerl, mit einer gewissen Vorliebe für Eierlikör.
Meine Eltern waren mit der Verwandtschaft zerstritten. Niemand hatte mir jemals eine Erklärung dafür abliefern wollen. Jedes Mal, wenn ich nachgefragt hatte, bekam ich ausweichende Antworten, bis ich es irgendwann akzeptiert hatte. Wenn ich einerseits meine eigenen Tanten nicht kannte, so musste ich doch eingestehen, dass Streit mit der Familie seine Vorteile hatte. Heiligabend etwa verbrachten wir stets unter uns. Und das reichte mir vollkommen. Mama geriet nämlich Jahr für Jahr, bereits ab Ende November, in einen Ausnahmezustand, den man wirklich als nicht mehr normal bezeichnen konnte. Sie ließ es sich nicht nehmen, den ohnehin schon beträchtlichen Weihnachtsschmuck-Bestand der Familie Meinhard zu erweitern. Ganze Elch-Familien, Weihnachtsmänner in allen Formen und Größen. Engel, ja, auch die. Das Haus war also auch ohne Verwandtschaft voll genug.
»Carla-Herzchen, trinkst du einen Schluck mit?«, wandte sich mein Vater in der Küche, die ich inzwischen betreten hatte, direkt an mich. Der Duft nach gutem Essen war geradezu betörend. Ich schielte zu Mama rüber, die unheimlich beschäftigt tat. Eine Abmachung zwischen den beiden, wie ich vermutete. Papa durfte sich Heiligabend eine Eierlikörfahne antrinken und Mama bekam dafür … ja, was nur? Vor meinem inneren Auge spielten sich Szenen ab, die ich mit niemandem teilen mochte. Nicht einmal mit mir selbst.
»Nö, danke, ich passe, Papa!«, lehnte ich ab und ließ mich auf die Eckbank plumpsen. Er tat gleichgültig, zuckte sogar mit den Achseln und schenkte sich selbst eine ordentliche Menge des zähflüssigen Gebräus ins Glas, bevor er zu mir rutschte.
»Und, was gibt’s Neues in der Stadt?«, wollte er jetzt von mir wissen. Mein Papa stellte sich das Stadtleben so aufregend vor. Und ich brachte es nicht über’s Herz, ihm diese Illusion zu nehmen.
»Du, nicht viel. Oft komme ich vor lauter Arbeit gar nicht aus der Wohnung!«, gestand ich und merkte, wie er dazu zwar nickte, dabei aber doch enttäuscht wirkte. Er kam ja so selten in die Stadt. Ich war mir ganz sicher, er ging davon aus, dass ich jeden zweiten Tag eine Schießerei von meinem Fenster aus beobachten konnte. Dass ich stattdessen jeden Tag Nachbars Hund beim Scheißen in den dummen Vorgarten beobachten konnte, erzählte ich ihm daher lieber nicht.
»Reicht dir das, was du verdienst, zum Leben? Brauchst du was?«, flüsterte er mir jetzt ins Ohr.
Das rührte mich ja fast. Er glaubte nämlich immer, dass ich gar nicht richtig arbeitete. Das ging seiner Meinung nach nicht von zu Hause aus. Da er aber immerhin für meine Ausbildung zur Dolmetscherin gezahlt hatte, fand ich, er sollte sich zumindest nicht dauernd Sorgen machen. Klar, unsere WG im Vintage-Patchwork-Flohmarkt-Ikea-Look war nicht jedermanns Sache. Margits Freund Manuel weigerte sich sogar beharrlich, diese Chaoten-Wohnung zu betreten. Aber am Hungertuch nagte ich wirklich nicht.
»Papa, ich verdiene genug!«, stellte ich also fest und lenkte das Gespräch ganz deutlich in eine andere Richtung: Fußball!
Und wahrlich hielt er einen schier endlosen Monolog über seine Löwen, bis Mama endlich unsere ungeteilte Aufmerksamkeit reklamierte.
»Carla, deckst du bitte mal den Tisch?«, mischte sie sich ein.
Ich seufzte innerlich. Es war ja nicht so, dass ich es nicht machen wollte. Viel mehr wusste ich bereits, wie das enden würde. Aber bitte, wenn sie meinte …
»Klar, Mama!«, sagte ich trotzdem. Ich griff in die Schublade mit den Tischdecken und entdeckte den feierlichen, dicken Stoff sofort. Am Tisch warf ich das große Tuch schwungvoll über, das dabei einen herrlichen Geruch nach Frischgewaschenem hinterließ.
»Das musst du schon schöner machen, Carla!« Mama schob mich förmlich weg vom Tisch und strich nicht vorhandene Falten aus dem Stoff. Ich tauschte einen Blick mit Papa aus. Er zwinkerte mir aufmunternd zu. Sie werkelte hingegen wieder am Herd herum.
Mit dem Geschirr konnte ich wenig falsch machen – das hoffte ich zumindest. Wir hatten nämlich richtiges Weihnachtsgeschirr. Ich fand es furchtbar, mit seinen hellblauen Jagdszenen. Aber mit meiner Mutter konnte man in diesem Punkt nicht diskutieren. Vorsichtig stellte ich das feine Porzellan ab, in einem Versuch, die perfekte Tischchoreographie zu erraten. Das schwere Kristall und das silberne Besteck schafften einen interessanten Kontrast. Ich war zufrieden, hatte sogar die starren Servietten kunstvoll gefaltet. Stolz stellte ich mich meiner Mutter. Sie beäugte mein Kunstwerk kritisch.
Und stellte alles noch einmal um.
Mein Vater beobachtete die Szene schmunzelnd, während ich wirklich versuchte zu begreifen, wie man es denn nun richtig machte. Zwecklos.
Soviel zum Thema Tisch decken. Alle Jahre wieder einen Versuch wert, alle Jahre wieder kommentarlos durchgefallen.
»Hier kommt der Braten, Braten, Braten!«, strahlte Mama uns an, als handelte es sich nicht um Fleisch, sondern Goldbarren. »Und beeilt euch damit! Das Christkind kommt bald, bald, bald!«, setzte sie noch hinzu. Papa kippte den Likör in einem Zug in sich hinein. Jetzt strahlte auch er.
Meine Kopfschmerzen setzten exakt nach dem dritten Bissen des zugegeben besten Bratens aller Zeiten ein. Es lag an der Weihnachtsmusik aus Mamas Küchenradio, das, wie mir schien, O, Tannenbaum in Schleife trällerte. Weihnachtslieder klangen für mich ab einem gewissen Punkt eh alle gleich. In diesen Momenten fehlte mir Ralf, unser Dackel, unendlich. Er hatte nämlich bei Weihnachtsmusik immer so laut gejault, dass Mama sie stets abstellte.
»Frohe Weihnachten, Ralf!«
Ich handelte mir fragende Blicke meiner Eltern ein, die zuvor sehr konzentriert auf ihr Essen gewesen waren.
»Hast du jetzt gerade Frohe Weihnachten, Ralf gesagt?« Meine Mutter war sichtlich verwirrt, ihre Gabel schon zu lange in der Schwebe.
»Nein. Nein … natürlich nicht. Das war ein Frohe Weihnachten … ähm … Alf. Ich meine … all. Ja, Frohe Weihnachten uns allen.« Ich hob das Glas und strahlte meine Eltern mit dem breitesten Lächeln an, das mein Gesicht ohne bleibenden Schaden produzieren konnte. Das machte meine Kopfschmerzen nicht besser, aber Mama glücklich. Und Papa auch, der sein Likörglas munter nachfüllte.
Als wir Geschenke auspackten, hatte Papa schon ordentlich einen sitzen. Es war ja nicht so, als hätten wir nicht alle gewusst, wie das ausgehen würde. Irgendwann kippte er regelmäßig vom Stuhl, und wir trugen ihn zu Bett. Simpel. Aber ungerecht, da nur er Spaß an der Sache hatte.
Mama und ich, wir knieten unter dem Baum, und ich hatte große Mühe, meine Päckchen zu finden. Sie waren winzig. Das beruhigte mich ungemein. Letztes Jahr war das Paket nämlich enorm gewesen und dabei fast so groß wie meine Enttäuschung. Also bitte! Ein Topf! Und das mir!
Während ich das Papier vorsichtig öffnete, spürte ich doch tatsächlich so etwas wie Aufregung. Eine Schmuckschachtel? Ja! Ein Kettchen fiel mir entgegen. Delikat, leicht. Es verschwand fast in meiner Hand. Mein Blick blieb am Herzanhänger aus rotem Stein hängen. Ich hielt die Kette ins Licht. Sie funkelte dabei. Wunderschön! Fast fragte ich mich still, wo der Haken war. Aber es schien keinen zu geben. Denn in den anderen Päckchen fand ich das passende Armband und die Ohrringe dazu.
»Gefällt es dir?«, wollte meine Mutter von mir wissen. Sie war dabei so gerührt, dass sie sogar ganz normale Sätze von sich gab.
»Na klar! Vielen Dank! Aber das hättet ihr wirklich nicht tun brauchen. Der Schmuck war sicher teuer!« Mein schlechtes Gewissen war schon immer stärker als mein Sprachzentrum. Und ich hatte ein wirklich schlechtes Gewissen, wenn ich auch noch bedachte, mit wie wenig Herz ich meine Geschenke für die Eltern ausgesucht hatte. Den x-ten Schal für Mama, das hundertste Buch für Papa.
»Oh doch! Wir lieben dich nämlich, und das wollen wir dir auch mal zeigen. Stimmt’s, Emil?«, richtete sie die Frage direkt an meinen Vater, der im Sessel hing und auf den Bildschirm starrte.
»Danzano i fiocchi di neve, vorticano nell’alto dei cieli, come piume d’argento, come esili ballerine incantate …«, klang es dezent aus dem Fernseher in die plötzliche Stille hinein. Papa richtete sich unerwartet auf. Der Blick, den er mit Mama austauschte, beunruhigte mich.
»Schau mal, Uschi, da ist die Marianna!«, nuschelte er immerhin so deutlich, dass ich jedes Wort verstand.
Mama sprang so schnell auf, dass ich ihre Knie knacken hörte.
»Du hältst jetzt besser den Mund und gehst ins Bett!« Viel zu ärgerlich drehte Mama den Fernseher ab und zerrte Papa vom Sessel. Irgendwie hatte ich das Gefühl, eingreifen zu müssen. Irgendwie ließ ich es bleiben. Die Unentschlossenheit blockierte mich. Was ging hier vor? Papa war doch nicht anders betrunken als alle andere Weihnachten auch. Meine Beine trugen mich jetzt doch wie von selbst in Richtung Flur, meinen Eltern hinterher. An der Tür hielt ich inne.
»… aber irgendwann müssen wir es dem Kind doch sagen«, hörte ich Papa. Seine Stimme war zwar undeutlich, aber laut.
»Ja, irgendwann, aber ganz bestimmt nicht an meinem heiligen Weihnachten. Geh jetzt ins Bett, wir reden morgen darüber.« Wenn Mama diesen Ton draufhatte, war jeglicher Protest ein Risiko. Papa versuchte es aber trotzdem.
»Ist doch egal. Weihnachten, Neujahr … sie muss es endlich wissen.«
»Emil!«
Dann nur noch Poltern, die Treppe hoch.
Ich stand unschlüssig im Wohnzimmer. Unruhig tigerte ich hin und her. Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Meiner Angst konnte ich aber keinen Namen geben.
Als Mama ins Wohnzimmer zurückkam, war ich mehr als erleichtert. Sie würde mir jetzt sicher erklären, was eben vorgefallen war. Das würde sie doch?
Stattdessen ging sie schnurstracks an mir vorbei und hob die Weihnachtsgeschenke vom Boden, wo wir sie achtlos hatten liegen lassen. Das Papier packte sie in eine Tüte. Sie zeigte mir ihr Gesicht nicht.
»Mama, was war denn das eben für eine Szene?«
Keine Antwort.
»Mama?«
Ich ging zu ihr hin, zog sie am Ärmel. Wieso guckte sie mich nicht an?
»Wer ist Marianna?«
Sie rannte davon, und ich bekam es wirklich mit der Angst zu tun.
In der Küche holte ich sie ein.
»Sag was, Mama. Du beunruhigst mich jetzt echt.«
Eine gefühlte Ewigkeit lang war nur unser aufgeregter Atem zu hören. Versuchter Blickkontakt, den Mama mir verweigerte. Und dann die Bombe.
»Ich bin nicht deine echte Mutter.«
Eine Explosion. Ja. So verheerend, so laut.
Ganz bestimmt hatte ich mich verhört. Ganz, ganz sicher. Das hatte ich doch?
»Du bist nicht meine … Mutter?«
Mama schluchzte bei dieser Frage laut auf und vergrub den Kopf in ihren Händen. Es war mir unmöglich, einem logischen Gedankengang zu folgen.
Aber ich begann zu verstehen, dass ich nicht in ihrer Gebärmutter entstanden war. Die Kinderlosigkeit hatte demnach nicht erst nach meiner Geburt eingesetzt, wie man mich hatte glauben lassen.
Vor mir tat sich ein riesiges schwarzes Loch auf, das mich mit einem Happen verschluckte. Das Einzige, was ich fühlte, war Verlust.
War ich etwa adoptiert?
Die Frage kam aus dem Nichts. Hatte mich in 28 Jahren kein einziges Mal beschäftigt. Gut, ich war tatsächlich ein wenig anders als meine Eltern. Aber waren wir das nicht alle? Und hätte ich das nicht merken müssen? Ich hielt mich weder für dumm, noch für besonders begriffsstutzig. Trotzdem hatte ich nie – nicht ein einziges Mal – daran gezweifelt, dass meine Eltern auch wirklich meine Eltern waren.
Oder hatte ich meine Augen nur ganz fest vor dem Offensichtlichen verschlossen?
»Erklär es mir!« Ich erschrak über den Klang meiner Stimme. Sie schien nicht zu mir zu gehören.
»Ich bin nicht deine leibliche Mutter.«
Ich schluckte schwer. Gift, Galle, Enttäuschung. Im Kopf drehte sich mir alles. Trotzdem formulierte mein Gehirn eine Frage.
»Aber diese Sängerin aus dem Fernsehen – diese Marianna – ist es?« Dabei fühlte ich mich wie in einer schlechten Soap-Opera. Das konnte doch nicht wirklich mir passieren.
Mama nickte. »Marianna Merlo. Sie ist deine leibliche Mutter.«
Wo war da bitte ein Zusammenhang?
»Emil hatte mal was mit ihr.« Peng – das war wie ein Schlag in die Magengrube und machte diese groteske Geschichte gleich etwas verständlicher, realer.
Nach dem Schrecken kam die Wut. Was hatte Papa da nur angestellt? Das musste er mir jetzt schon erklären! Ich stapfte rabiat hoch in sein Schlafzimmer, dicht gefolgt von Mama, die versuchte, mich am Ärmel zu erwischen. Sie hatte wohl Angst, ich könnte meinen Vater verprügeln. Aber das, was ich mit ihm vorhatte, war noch viel, viel schlimmer als eine Tracht Prügel! Er hatte meine Kindheit vernichtet, mein Weihnachtsfest ruiniert. Und während der Rest der Welt jetzt heiter am Weihnachtsbaum saß, musste ich herausfinden, wessen Tochter ich war. Da lief definitiv etwas falsch!
***
Träumen war für Zia Filomena nicht ungewöhnlich. Anders als bei anderen Menschen war ihr jedoch bewusst, dass ihr dabei die Tore zu einer anderen Welt geöffnet wurden. Bisher hatte sie immer nur scheu und vorsichtig hineingeblickt in dieses Paralleluniversum. Immer öfter ertappte sie sich aber dabei, dem Drang, sich für die Ewigkeit darin zu verlieren, nachgeben zu wollen. So auch jetzt.
Sie war wieder jung, hübsch und gesund. Keine Schmerzen. Rund um sie herum sattgrüne Hügellandschaft. Kurz glaubte sie, diesen Ort zu kennen. Aber der Gedanke flog weg, wurde davongetragen vom intensiven Duft nach Kräutern, Gräsern und Blumen. Die Sonne war gerade so warm, dass Filomena sie nicht als störend empfand. Trotzdem war sie froh, eine Kopfbedeckung zu haben. Es handelte sich um ein einfaches Tuch, so wie sie es als junges Mädchen immer getragen hatte, zusammengebunden hinter dem Kopf. Sie musste es festhalten. Der Wind zerrte daran. Ebenso an ihrem langen Rock. Die Gräser kitzelten an ihren Beinen.
»Filomena!«
Sie schrak aus ihrem Traum auf. Sah in die Richtung, aus der die Stimme sie gerufen hatte. Der gelbe, leuchtende Ball am Himmel blendete sie. Sie musste die Hand schützend über die Augen halten, um eine Figur hoch oben am Hügel auszumachen. Sie erkannte den Mann, der nach ihr rief. Die Freude stellte sogar die Kraft der Sonne in den Schatten. Filomena rannte los, auf ihn zu. Sie rannte mit aller Kraft. Rührte sich aber nicht vom Fleck. Rannte noch schneller, noch kräftiger. Schaute auf den jungen Mann, der ihr freudig zuwinkte. Sie kam keinen Millimeter voran.
Erst als sie auf ihre Füße blickte, merkte sie, dass ein kleines Bündel davor lag. Winzige Hände schauten aus einer Decke heraus und streckten sich ihr entgegen. Sie kannte diese Händchen, die alles andere auslöschten. Sie kannte diese Händchen, die nach ihr griffen. Und sie kannte ihre Pflichten.
Vorsichtig nahm Filomena das Bündel hoch und deckte ein liebliches Gesicht auf. Es strahlte sie an. Und vergessen war der ganze Rest. Liebevoll strich Filomena über das Haupt des Kindes. Sie beobachtete dabei ihre eigene Hand und merkte, dass sie gewohnt faltig und deformiert war. Ein letzter Blick ging hinauf auf den Hügel. Der Mann war weg.
Filomena erwachte mühsam, zog sich selbst schwer aus dem Traum.
Ihre Knochen schmerzten. Die Holzbank vor dem Kamin war unbequem. Sie war wohl eingenickt. Heiteres Glockenläuten drang an ihr Ohr. Sie wollte zur Messe. Aber erst hatte sie einen Termin. Noch bevor sie es klopfen hörte, ging Zia Filomena zur Tür.
»Avanti, avanti! Kommt rein! Nur immer rein in die gute Stube. Ich werde euch schon nicht fressen! Das habe ich nicht vor. No, no! Menschenfleisch mag ich nicht«, krächzte Zia Filomena übertrieben und sichtlich amüsiert. Sie liebte es, sich zu verstellen. Die Leute hielten sie für eine Hexe – obwohl sie rein gar nicht danach aussah – und sie tat nichts, um ihre vielen, vielen Gäste vom Gegenteil zu überzeugen. Sie kamen ja trotzdem. Oder besser gesagt gerade deshalb.
»Zia Filomena, vielen Dank, dass Sie uns gerade heute empfangen. Wir haben Ihnen Käse mitgebracht. Käse mögen Sie doch? Pecorino. Vom alten Pippo. Kennen Sie den?«, wollte die rundliche Dame ganz in Schwarz von ihr wissen und folgte dabei Filomena, wobei sie eine junge Frau mit sich zog, die sich sichtlich unwohl fühlte.
»Pippo, Pippo? Ich glaube nicht …«, überlegte Filomena laut, hob ihre von Gicht verformte Hand und deutete den beiden Frauen, Platz zu nehmen. Ihr bescheidenes Wohnzimmer bestand aus zwei antiken Holzbänken, auf denen sie mit Schafswolle gefüllte Sitzkissen liegen hatte, einem Holztisch mit Stühlen und einem monströsen Möbelensemble aus dunklem Holz. Mitten drinnen ein Fernseher. »Wo seid ihr denn überhaupt her?«, wollte Filomena dann wissen und setzte sich unerwartet wendig in ihr Lieblingseck direkt an den Kamin. Spindeldürr, wie sie war, erweckte sie kurz den Eindruck, gleich in tausend Stücke zu zerfallen, wie ein altes Skelett. Sie griff nach einer Schachtel Zigaretten und zündete sich eine an. Gierig saugte sie den Rauch ein.
Die Frauen setzten sich ihr gegenüber und verkniffen sich ein Husten. Es sprach noch immer nur die Ältere: »Wir sind aus Rocca.«
»Oh!« Filomena war erstaunt. Rocca war weit weg. Mindestens 20 Kilometer. »Und wie seid ihr … auf mich gekommen?«
»Concetta, die Tochter von Mariagrazia, ist verheiratet mit Ulderico. Ulderico Monticelli. Den kennen Sie vielleicht. Der ist von hier …« Die Frau hielt kurz inne, und Zia Filomena nickte. Ja, den kannte sie. Oder besser, nicht ihn direkt. Aber seine Mutter, die Carmela.
»Concetta und Ulderico leben ja nun schon lange in Rocca, und die Concetta habe ich eines Tages bei Rosaria, der Friseurin, getroffen. Da sind wir ins Gespräch gekommen. Concetta wusste vom … Problem meiner Tochter …« Die Frau machte eine kurze Pause und blickte zu ihrer Tochter, die dasaß wie ein Häufchen Elend. »Dann hat sie mir erzählt, dass Sie so ein ähnliches Problem lösen konnten.« Jetzt beugte sie sich etwas nach vorne und hielt sich eine Hand an den Mund, wie um ihre Worte vor unerwünschten Zuhörern zu schützen. »Das von der jungen Angela. Die mit dem Carabiniere verheiratet ist«, berichtete sie.
Zia Filomena nickte wissend. Ja, daran konnte sie sich sehr gut erinnern. Ein niedliches junges Ding. Viel zu jung! Mädchen sollten nicht gleich heiraten. Das versuchte sie immer zu predigen, aber nein, sie wollten alle sofort an den Altar, in ihren hübschen weißen Kleidern!
»Wie heißt du, bambina mia?«, wollte Filomena jetzt direkt von ihrem jüngeren Gast wissen.
Zum ersten Mal schaute die junge Frau auf. Filomena las den Schmerz direkt aus ihren Augen. Sie erschienen tiefer als ein Brunnen. Und dunkel. Und warm, so warm. Verzweifelt auch.
»Serena. Ich heiße Serena.« Die Anstrengung, ihre Stimme fest klingen zu lassen, war offensichtlich.
»Serena … das ist ein schöner Name. Schöner Name«, bemerkte Zia Filomena und spielte mit ihrer freien Hand gedankenverloren mit der langen Kette. Die einfache Goldschnur lag auf ihrer flachen Brust, und sie vergaß sogar, an ihrer Zigarette zu ziehen. »Schöner Name«, wiederholte sie noch einmal.
Filomena und Serena sahen sich einen Moment lang in die Augen.
»Du wirst ihn nicht halten können, tesoro. Deine Zukunft ist schön, glücklich, sorglos. Aber ohne ihn. Schick ihn weg«, riet Filomena.
»Aber nein, Zia Filomena!«, mischte sich die Mutter ein. »Wir haben ein Foto von ihm dabei. Und ein Haar. Damit können Sie doch sicher etwas anfangen?«
»Nicht, wenn die Schlacht von vorneherein verloren ist!«, antwortete sie ruhig.
»Aber … aber, was ist mit dem Kleinen? Und was sollen die Leute denken? Meine Tochter ist ruiniert!« Ihre Stimme ein einziges Crescendo.
»Ruiniert ist sie, wenn sie sich an einen Mann klammert, der sie betrügt, nicht liebt und noch weniger respektiert!« Filomena zeigte sich wenig beeindruckt von der aufgebrachten Frau. Nur die Kette schlug jetzt leicht gegen die Knöpfe ihrer dunklen Strickjacke.
»Bei dieser Angela hat es aber geklappt. Wieso nicht bei meiner Tochter?« Sie gab sich einfach nicht geschlagen.
»Weil es bei uns nichts mehr zu machen gibt, mamma!«, mischte sich Serena ein und erhob sich mit einer ganz anderen Körperhaltung. Mutiger sah sie aus.
Serena nickte Filomena zu und ging. Ihrer Mutter blieb nichts anderes übrig, als es ihrer Tochter nachzutun.
Filomena folgte ihnen nicht, warf den Zigarettenstummel in den Kamin und trug den Käse in die Vorratskammer, wo er im Regal Platz neben all den anderen kulinarischen Mitbringseln fand. Nachdem sie ins Wohnzimmer zurückgekehrt war, holte sie eine Schachtel aus dem Fernsehmöbel und notierte sich alles genauestens auf dem darin enthaltenen Heft: das Datum, den Namen, das Anliegen ihres Besuchs und nicht zuletzt das Resultat ihres Treffens. Ordnung musste sein. Niemals den Überblick verlieren.
Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet Filomena, dass sie es noch pünktlich zur Kirche schaffen würde.
»Frohe Weihnachten, Mena!«, sagte die Alte zu sich selbst und lächelte dabei.
Ich rüttelte an meinem Vater. Er war nicht wach zu bekommen, schnarchte unbeirrt weiter. Ein Blick auf meine Mutter verriet mir, dass sie knapp vor einem Nervenzusammenbruch stand. Ihr Gesicht war übersät von roten Flecken. Ihr Blick starr, verschreckt. Aus ihr würde ich nichts Vernünftiges mehr herausbringen. Die Situation war außer Kontrolle. Ich musste mich beruhigen, lief hinaus in den Garten und warf mich kopfüber in den nächsten Schneehaufen, schrie mir meinen Frust von der Seele und schlüpfte, durchfroren und nass, wieder hinein.
Ohne ein weiteres Wort ging ich in mein Mädchenzimmer. Mama folgte mir nicht, und Papa schwebte ohnehin ungestört weiter auf seiner Eierlikörwolke.
Ich konnte nicht schlafen. Natürlich nicht. Das Bett, der Zufluchtsort meiner Kindheit, gab mir nicht den erwarteten Trost, obwohl die Decke noch immer nach Sorglosigkeit zu riechen schien. Niemand klopfte an meine Tür, und ich war dankbar dafür. Immer wieder setzte ich an, meine Gedanken zu ordnen oder besser noch, sie allesamt zu löschen.
Reset.
Start.
Was war mit meinem Ur-Ur-Irgendwas? Ich wollte, dass es ihn gab! Hätte es kaum ertragen können, ihm nicht mehr die Schuld für mein störrisches, dichtes Haar geben zu können. Das Bild der Schlagersängerin … es flackerte kurz vor meinem inneren Auge auf. Ihre Haare wie meine Haare. Wie lange hatte ich wohl auf den Bildschirm schauen können? Sekunden? Trotzdem hatte sich die Erscheinung in mein Gehirn gebrannt. Marianna Merlo.
Immer und immer wieder sagte ich ihn auf, diesen Namen, der mir unbekannt war und so viel zu verstecken schien.
Die Situation war so bizarr und meilenweit entfernt vom herkömmlichen Heiligabend bei Meinhards.
Marianna Merlo. Im Gedanken rollte ich das R bis zum Abwinken.
Thesen, Fragen und Vermutungen kreisten um mich herum und begleiteten mich durch die Nacht. Ich machte kein Auge zu. Erst ganz früh morgens fiel ich erschöpft in einen traumlosen Tiefschlaf.
Geradezu komatös fühlte ich mich, als ich irgendwann um die Mittagszeit aufschreckte. Irgendetwas in der Luft gab mir zu verstehen, dass nichts mehr so sein würde wie früher. Ich spürte die Veränderungen bereits, hatte kein klares Bild meiner Zukunft mehr.
In der Küche stieß ich auf meine Eltern. Sie saßen nur da. Tasse Kaffee und lange Gesichter. Schwer zu sagen, wer schlechter aussah. Papa in seiner kreidebleichen Kater-Version oder Mama in ihrer Joan-Collins-geht’s-beschissen-Haltung? Wahrscheinlich gewann sogar ich in meiner Wer-bin-ich-eigentlich-wirklich-Stimmung.
Wie jedes Jahr wunderte es mich, wie Mama es schaffte, die Küche über Nacht wieder perfekt sauber zu machen. Und das nach einer Familienfeier, die gleichzeitig in einer Familientragödie geendet hatte.
»Carla-Herzchen, setzt du dich zu uns?«, schaffte Papa es doch, das Wort zu ergreifen. Er deutete dabei auf meinen Lieblingsplatz auf der Sitzbank. Sein Lächeln hing seltsam schief in seinem Gesicht. Aber es war ehrlich und warm und erinnerte mich an Zeiten, in denen ich ihn für den stärksten Mann der Welt gehalten hatte. Unbesiegbar. Ein Held.
Weiterhin betretenes Schweigen, bis Mama merkte, dass ich keinen Kaffee hatte.
»Magst du auch einen?«, fragte sie mich und hob ihre Tasse. Ihre Stimme klang anders.
Ich nickte und fühlte mich plötzlich wie am Tag, an dem meine Eltern mich, exakt in dieser Küche und exakt in dieser Konstellation, aufgeklärt hatten: verloren, fremd, unpassend und peinlich berührt.
Erst als ich am warmen Getränk nippte, merkte ich, wie gut mir die Flüssigkeit tat. Mein Mund war vollkommen ausgetrocknet. Ich fühlte mich wie eine verwelkende Blume.
»Mama hat mir erzählt, dass mir gestern Abend so eine dumme Aussage rausgerutscht ist!«, nahm Papa endlich das Gespräch auf und legte seine enorme Hand auf die seiner Frau. Ich merkte, wie sie ihre wegziehen wollte. Er ließ es nicht zu, und ich fühlte mich nicht reif genug, ihnen diese schmerzvolle Erfahrung leichter zu machen. Was ich dringend brauchte, war eine plausible Erklärung. Und einen Hammer, um mir damit auf die Finger zu klopfen. Alles, nur um von diesem dumpfen Schmerz in meiner Brust abzulenken. Bis zum Schluss hoffte ich, dass er seine Bemerkung auf den Alkohol schieben würde.
»Carla-Herzchen, es gibt da einige Dinge, die du von deinem Papa nicht weißt. Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine Menge Dinge, die du von mir kennst. Wie zum Beispiel meine Leidenschaft für Musik.« Er nickte mir aufmunternd zu. Erwartete vielleicht die gleiche Geste von mir. Ich brachte nicht die Kraft dazu auf und versuchte es auf telepathischem Wege. Aber er schaute wieder in seine Tasse, trank einen großen Schluck, fuhr sich über den Bart und sprach weiter. Seine Stimme nahm eine eigenartige Färbung an. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich gemeint, Melancholie herauszuhören.
»Damals, als junger Mann, habe ich selbst gesungen. Hast du nicht gewusst, gell?« Jetzt schüttelte er den Kopf, schien ganz weit weg. Und ich hatte ihn immer für komplett durchschaubar gehalten! »Meine Eltern wollten nicht, dass ich singe. ›Lern was Anständiges‹, haben sie immer zu mir gesagt. Und ich hab’s versucht, aber es ging nicht! Ich wollte einfach nur singen, singen, singen. Nichts anderes. Dann haben sie mich rausgeschmissen.« Er klopfte dabei mit den Fingern auf den Tisch. Ich zog die Beine an und nahm einen erneuten Schluck vom inzwischen nur noch lauwarmen Kaffee. Ein Schutzmechanismus. Eine Geste, um meine Unsicherheit zu verbergen. War meine heile Welt noch zu retten? Ich dachte an meine Großeltern und daran, dass ich sie nicht kennenlernen durfte. Jetzt wusste ich auch warum.
Der Gesichtsausdruck meiner Mutter war komplett verschlossen und überhaupt nicht zu deuten. Ganz überraschend schien Papa hingegen ungewöhnlich sorglos. Die tiefe, für ihn so typische Falte zwischen den buschigen, bereits ergrauten Augenbrauen sah nicht im Geringsten bedeutend aus.
»Ich war knapp über 25, fast so alt wie du jetzt, Carla-Herzchen, als ich von einem Gesangswettbewerb in der Stadt erfuhr. Europäischer Schlager-Contest. ›Hier machst du noch mit, Emil‹, hab ich selbst zu mir gesagt. Wenn auch das schiefgeht, begräbst du deinen Traum ein für alle Mal – das war mein Entschluss.«
In Papas kurzen Pausen machte sich eine fast unheimliche Stille in der Küche breit. Nur Mamas Uhr, die einem offenen Kochtopf nachempfunden war, ließ sich nicht beirren und befahl ihren Zeigern trotzdem, geduldig ihre Runden zu drehen. Tick tack, tick tack.
»Carla, ich werde es niemals bereuen, an diesem Wettbewerb teilgenommen zu haben. Es bleibt eine der schönsten Wochen meines Lebens. Internationale Künstler, richtige Sänger, mit denen ich mich zu messen hatte. Das war herrlich. Marianna war eine von ihnen«, berichtete er mit Leuchten in den Augen. Ich wagte es nicht, ihn zu unterbrechen, obwohl der nächste Schritt mir bereits klar war. Mama glich einer Statue. Wie weh musste dieses Gespräch ihr tun, und wie schlecht war ich, dass ich es noch nicht einmal schaffte, ihr beizustehen?
»Weißt du, ich habe einmal ganz ordentlich ausgesehen, und Marianna hatte ein Auge auf mich geworfen. Fred, ein gemeinsamer Freund, hat uns bekannt gemacht. Ein einziges Mal haben wir miteinander geschlafen. Sie ist ins Finale gekommen. Ich bin in den Vorrunden bereits ausgeschieden.«
Ich war das Produkt eines One-Night-Stands? Mir wurde schlecht.
»Emil hat dann bei uns in der Firma angefangen.« Ich erschrak fast, als ich die Stimme meiner Mutter vernahm. Sie klang wie verrostet. Auch Papa blickte sie leicht besorgt an, ließ sie aber fortfahren. »Von seinem Gesang hat er mir damals nicht ein Wort erzählt. Für ihn war es tatsächlich nach dem Ausscheiden vorbei. Ich weiß nicht, ob es etwas geändert hätte. Aber es ist gelaufen, wie es gelaufen ist. Wir haben uns ineinander verliebt und schon nach drei Monaten geheiratet.« Papa krallte sich förmlich an Mamas Hand fest. Ich liebe dich, wollte er ihr damit sagen, du bist nicht die zweite Wahl. Beschworen hätte ich nicht, dass das der Wahrheit entsprach.
»Ja, und irgendwann hat mich der Fred aufgesucht. Mit einem ganz ernsten Gesicht. Ich habe gemeint, er kommt, um mir mitzuteilen, dass jemand gestorben ist. Stattdessen hat er mir gestanden, dass Marianna ganz verzweifelt nach mir sucht!« Wie in einem Tennismatch gab er den Ball stumm an seine Frau zurück. Wer dieses Spiel wohl gewinnen würde? Oder waren wir am Ende alle nur Verlierer?
»Emil hat mir erst dann von ihr erzählt und konnte sich nicht erklären, warum um alles in der Welt sie ihn jetzt so dringend brauchte. Ich habe ihm geraten, sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Hab mir nichts dabei gedacht, weil ich so verliebt war«, gestand sie, ganz deutlich um Fassung bemüht. »Und dann haben wir telefonisch erfahren, dass sie ein Kind erwartet. Sie war dazu entschlossen, dich herzugeben. Hat gefragt, ob wir vielleicht Interesse hätten, dich zu nehmen! Als wärst du ein Paket und kein Lebewesen!« Mama war noch immer böse. Sie erinnerte an eine wütende Löwin.
»Nach dem Telefonat ging alles ganz schnell«, fuhr er fort. »Mariannas Vater war wohl ein einflussreicher Mann. Er hat alles mit den Behörden geklärt und dich zu uns gefahren.« Papas Sorgenfalte war wieder da. Vielleicht sogar tiefer als sonst.
»Wir haben alles für dich hergerichtet und dabei auch mit meiner Familie gestritten. Aber das war uns egal«, bemerkte Mama jetzt und sah ihren Mann dabei wieder an – verschwörerisch wie eine Komplizin. Und Papa drückte ihre Hand noch fester.
Ich war wie erschlagen. Konnte nichts sagen oder denken; fühlte mich selbst mir gegenüber fremd; erkannte im Gesicht meiner Eltern nicht mehr Mama und Papa. Es war ein beängstigendes Gefühl, so ganz ohne meine Stützpfeiler. Kindisch war ich noch nie gewesen. Vielleicht noch nicht einmal im Kindergarten. Aber jetzt war ich es. Kindisch eingeschnappt, kindisch verletzt, kindisch zornig, kindisch enttäuscht.
Es brach aus mir heraus. Ich spürte es kommen. Wie eine unaufhaltsame Welle oder, vielmehr noch, wie die Eruption eines Vulkans.
»So? Du hüpfst also mit schönen Italienerinnen ins Bett, ohne dabei an die Konsequenzen zu denken, ja? Aber weißt du was, lieber Papa, wenn man so was ohne Kondom macht, dann besteht die Wahrscheinlichkeit, dass man dabei Kinder zeugt! Jawohl! Kinder. Bambini. Du weißt schon. So Wesen wie mich, Himmelherrgott! Und die Frau wollte mich noch nicht einmal! Und du, Mama, also echt! Schnappst dir so einen Idioten wie Papa! Wieso hast du nicht nachgeforscht? Das geht doch nicht! Einfach so heiraten, nach drei gemeinsamen Monaten! Seid ihr nicht ganz dicht?«
Ich schrie bestimmt gut fünf Minuten lang, wobei meine Stimme sich diverse Male hoffnungslos überschlug. Eine echte Szene mit ausgerufenen Gemeinheiten und herumgeworfenen Objekten. Das meiste, was ich sagte, war sinnloses Zeug und dazu bestimmt, meine Eltern zu verletzen.
»Wann hattet ihr verdammt noch mal vor, mir das zu sagen?«, brüllte ich abschließend mit einer mir unbekannten Energie, während ich meine Eltern wütend anfunkelte. Die Antwort auf diese einzig sinnvolle Frage interessierte mich brennend. 28 Jahre Schweigen zu so einem wichtigen Thema waren doch eine Erläuterung wert, oder?
Mein Atem ging viel zu schnell, mein Herz pochte wild in der Brust. Ich merkte sogar, wie ich zitterte. Meine Eltern wirkten wie erstarrt.
»Das ist ihr italienisches Temperament!«, hörte ich den Satz dann schwerelos in die Stille fallen. Papa. Er kratzte sich an der Stirn, versteckte das Gesicht hinter seinen enormen Händen. Einen Moment lang glaubte ich, dass er weinte. Seine Schultern zuckten verdächtig. Ich fühlte mich sogar schuldig, hatte ihn nicht verletzen wollen. Zumindest nicht wirklich. Erst als ich seltsame Prust-Geräusche vernahm, merkte ich, dass er lachte. Unerhört, aber irgendwie noch ignorierbar. Als Mama dann mit ihrem spitzen Gackern einsetzte, konnte ich es kaum glauben. Sie lachte so selten und tat es gerade jetzt? Wahrscheinlich waren sie wahnsinnig geworden, und wahrscheinlich packte der Wahnsinn auch mich, denn ich konnte nicht anders, als es ihnen nachzumachen.
Wir lachten zusammen, bis die Tränen kamen, wir weinten zusammen, bis wir wieder lachten. Und ich wusste, dass wir das überstehen würden, weil wir es zusammen taten, lachen und weinen.
Alles würde gut werden.
»Gehen wir raus? Unseren Schneemann bauen?«
Wie konnte Papa das jetzt fragen? Das war kein normales Weihnachten. Das musste er doch wohl begreifen.
»Au ja!«
Mama war so begeistert von Papas Vorschlag, dass sie bereits aufgestanden war, um im Flur ihre Winterstiefel aus dem Schrank zu holen.
Mein Vater blickte mich lange an. Ein Flehen, ein Betteln. Es ging mir durch und durch.
»Okay. Dann eben Schneemann bauen!« Ich gab mich geschlagen, traf meine Eltern im Garten an, nachdem ich mich warm eingepackt hatte.
Wie immer schimpfte Papa über die mangelnde Kooperation seiner Frauen, wie immer ignorierten wir ihn und machten einfach unser Ding. Das Resultat war schief, hässlich, aber mit Liebe gestaltet. Mit etwas Glück würde der Schneemann das neue Jahr noch miterleben.
Den ersten Schneeball warf Mama sehr dreist mitten in Papas Gesicht. Es endete auch dieses Jahr in einer Schlacht, ohne Rücksicht auf Verluste. Und obwohl mein Leben komplett aus den Angeln gehoben worden war, so konnte ich mich doch auf eines verlassen: unsere Weihnachtstraditionen. Lange lagen wir erschöpft im Schnee, guckten in den Himmel, und es gab nur uns, die Familie Meinhard.
»Du bist was?«, wollte Margit entsetzt von mir wissen. Sie war beneidenswert braun im Gesicht und hatte etwas richtig Entspanntes an sich. Der Kurzurlaub mit Manuel schien ihr überaus gutgetan zu haben. Ich hielt ihr ein Glas Wasser hin, da ich annahm, dass sie nach der Heimreise durstig war. Zum wiederholten Mal fasste ich zusammen, was ich die Feiertage über bei meinen Eltern erfahren hatte. »Na, ich bin Italienerin!«, stellte ich abschließend fest.
»Krass!«, war das Einzige, was ihr dazu einfiel. Sie ließ sich erst einmal auf die Couch fallen. Ja, auf die braune, die nicht wirklich zur blauen passte, die knapp danebenstand. Margit überlegte lange, bevor sie sprach. Eine seltsame Eigenart von ihr. Manchmal wurde ich genau aus diesem Grund richtig müde während unserer Gespräche. Nicht an diesem Tag. Ich war gespannt auf das, was sie von der seltsamen Wendung hielt, die mein Leben gerade nahm.
»Und was willst du machen?«, kramte sie endlich eine Frage hervor, während sie am Glas nippte.
»Was soll ich schon machen? Gar nichts!« Das entsprach der Wahrheit. Ich verspürte nicht das Bedürfnis, etwas Grundlegendes an meinem Leben zu ändern. Mir ging es gut mit der Familie, die ich hatte. Nun, meistens jedenfalls. Trotzdem ging ich im Wohnzimmer nervös auf und ab.
»Gar nichts? Komm schon! Du willst mir doch nicht weismachen, dass du kein bisschen neugierig auf die Frau bist, die dich weggegeben hat. Noch dazu, wo sie berühmt ist.« Margit glaubte mir nicht. Ich konnte es an ihrer Haltung erkennen. Irgendwie herausfordernd saß sie da und starrte mich an. Als ich nichts sagte, stand sie auf, ging in ihr Zimmer und kam mit ihrem Laptop wieder. Weiterhin wortlos startete sie das Gerät und stellte eine Internetverbindung her.
»So, du suchst dir jetzt alles an Information, was das Netz hergibt. Und dann kontaktierst du sie!«, stellte sie klar.
»Ich denke nicht dran!«, versuchte ich zu protestieren. Aber dann warf mir Margit einen ihrer Sich-dagegen-wehren-ist-zwecklos-Blicke zu.
Ich setzte mich zu ihr. Das Sofa quietschte dabei, und ich sank tief. »Gib schon her!«, gab ich mich geschlagen.
Einige Stunden später wusste ich alles über Marianna. Ihren Geburtstag, ihr Sternzeichen, ihre Hobbys. Alles detailliert auf ihrer Homepage, in ihren Interviews, auf ihrem Youtube-Channel dargelegt. Marianna war eine Frau, die es verstand, im Rampenlicht zu stehen. Törichterweise musste ich gestehen, dass ich tief in mir wenigstens auf einen winzigen Hinweis auf eine Tochter zu stoßen gehofft hatte. Aber mich hatte die Signora Merlo mit keinem Wort erwähnt. Nirgends. Was sie mir nicht gerade sympathischer machte. Auf den Bildern und in den Videos wurde die Ähnlichkeit, die uns verband, so offensichtlich, dass es wehtat. Ich hatte ihre Hände. Das wusste ich, weil eine Nahaufnahme ihrer Hand im Netz zu finden war. Auf einer Gala hat sie einen Diamantring getragen, den die Paparazzi natürlich in Nahaufnahme hatten haben wollen. Mir hätte so ein Diamantring sicher auch gestanden.
»Die Frau ist ja der Hammer!«, wiederholte Margit schon wieder. Nicht, dass sie die letzten Stunden irgendetwas anderes gesagt hätte.
»Ach, so toll ist sie nun auch wieder nicht!«, versuchte ich meine Freundin wieder von ihrer Begeisterungswolke herunterzuholen.
»Wie auch immer. Aber jetzt kontaktierst du sie, ja?«, hakte sie weiter nach.
In diesem Punkt war ich aber standfest. Ich hatte nicht vor, sie anzuschreiben. Niemals.
»Ich denke nicht daran!«, war mein Kommentar zum Thema.
Irgendetwas an meinem Tonfall musste wohl überzeugend gewesen sein, denn Margit gab sofort auf.
»Ist gut. Wenn du nicht willst …« Sie hob abwehrend die Hände, nahm ihren Laptop und ging in ihr Zimmer.
Die Leere, die sie hinterließ, war ebenso groß wie meine Verwirrung. Diese ganze Geschichte nagte an mir. Um mich abzulenken, schob ich eine DVD in den Player. Was ich genau ansah, wusste ich nicht. Meine Gedanken waren ganz weit weg.
***
Paolo saß vor der kleinen Bar der Piazza und ließ sich von den lauwarmen Strahlen der Sonne wärmen. Er hatte noch ein paar Tage frei und nutzte die Zeit, um bei seiner Familie zu verweilen. Aber einer wie er hatte natürlich nie richtig frei. Überall und immer erreichbar. Das musste er sein. Er nahm sich sehr wichtig in seiner Rolle als Assistent und ging in seiner Aufgabe komplett auf. Sein Smartphone lag schön sichtbar auf dem Tischchen. Wozu hatte man sonst ein nigelnagelneues Modell, wenn man es nicht herzeigte? Als es technologisch summte und einen kaum hörbaren Ton von sich gab, wunderte ihn das nicht weiter. Mails bekam er ohne Pause und ohne Rücksicht auf den Wochentag oder auf die Uhrzeit. Er schaute regelmäßig nach, um ja nichts Wichtiges zu verpassen. Aber gerade jetzt hatte er so gar keine Lust, den Posteingang zu überprüfen. Alice kam auf ihn zu und setzte sich unaufgefordert zu ihm. Post konnte warten.
»Was willst du noch von mir?«, fragte sie sofort in aggressivem Tonfall. Sie war so schön, dass selbst die Sonne eifersüchtig auf sie hätte sein können.
Paolo hob in geheuchelter Unterwürfigkeit die Hände.
»Na, na, na! Wieso so wütend? Ich wollte dich sehen …«, setzte er an und winkte einen Kellner herbei. »Die Dame nimmt …?« Fragend blickte er Alice an.
»Ich nehme einen Martini!«, bestellte sie selbst direkt beim jungen Ober, der unkoordiniert und unprofessionell wieder zurück an den Tresen ging.
Unbemerkt lächelte Paolo in sich hinein. Wie durchschaubar diese Frau doch war! Sie tat nur sauer. Ihre Absicht war es, ihn ein wenig zappeln zu lassen. Wie immer. Aber sie war gekommen, um zu bleiben. Das Getränk hatte sie ja nicht umsonst bestellt.
»Wo waren wir?«, tat Paolo unbeholfen.
»Wir waren dabei festzustellen, was für ein eingebildeter, ungehobelter Macho du bist!«, fauchte Alice ihn jetzt beinahe an.
»Bin ich das?«, erwiderte er kokett und blickte ihr dabei tief in die Augen. Er sah gut aus und wusste das. Vor allem war ihm bewusst, dass seine Schönheit ihm so einige Türen öffnete.
»Oh ja, das bist du!«, bestätigte sie. »Aber ich werde trotzdem wieder mit dir im Bett landen!«
Paolo zeigte sein Gewinner-Lächeln. Sie schien es nicht mehr zu merken. Alice war ihm völlig verfallen und nahm sich gierig die Häppchen, die er ihr zuwarf.
Als der Kellner mit der Bestellung an den Tisch kam, fand er diesen verlassen vor.
Das Bett war zerwühlt. Laken hingen bis zum Boden. Alice hatte den Kopf auf seine Brust gelegt und lauschte dem Rauschen des Blutes und dem Pochen des ruhelosen Herzens. Was hätte sie dafür gegeben, einen kleinen Platz darin zu bekommen? Nur ein winziges Eckchen. Das hätte ihr gereicht. Aber es gab wohl kaum jemanden, der es so weit in Paolos Innerstes schaffte. Alice war sich dessen bewusst. Trotzdem konnte sie nicht auf ihn verzichten.
Geistesabwesend spielte er mit ihrem langen, schwarzen Haar. Schon wieder sein Smartphone. Sanft aber bestimmt schob er sie weg und langte nach dem Gerät, das er auf dem Nachttisch abgelegt hatte. Routiniert ging er die Nachrichten durch und löschte dabei die unwichtigen sofort. Er stutzte bei einer Mail. Tochter stand da im Betreff. Abrupt setzte er sich auf, stellte sich in seiner Blöße direkt ans Fenster, das noch ein wenig Tageslicht hereinließ. Sein Körper im Lichtschein erinnerte an die Perfektion einer Statue.
Alice fragte nicht, verabschiedete sich aber bereits stumm von ihm.
»Ich muss gehen!«, bemerkte er, ohne sich nach ihr umzudrehen.
Ich weiß, setzte Alice in Gedanken hinzu und bedeckte sich, weil ihr das Nacktsein plötzlich unerträglich erschien. Sie fasste sich an den Bauch und wurde sich bewusst, dass sie es ihm wohl nicht mehr lange verheimlichen konnte. Der Gedanke erschien ihr plötzlich tröstlich.
***
»Er hat schon wieder nichts gegessen?« Marianna versuchte nicht einmal, ihren Ärger zu verbergen.
Massimo zuckte mit den Schultern. »Er mag keinen Fisch. Das wissen Sie doch!«
»Aber er kann sich doch nicht immer nur von Fleisch ernähren. Er braucht auch mal gesunde Kost!«, protestierte sie schwach. Ihr war eigentlich klar, dass sie auch diesen Kampf bereits verloren hatte.
»Na gut. Gib ihm seine Wurst und Amen!«, beschloss sie daher resigniert und entließ Massimo aus ihrem Arbeitszimmer. Was hätte sie nur ohne diesen jungen Pfleger getan? Ohne ihn wäre sie gar nicht mehr an ihren störrischen Vater herangekommen. Carlo Merlo. Ein mächtiger Mann. Zumindest in seinen guten Tagen.
Marianna konnte sich noch perfekt an die Zeiten erinnern, an denen alle, ausnahmslos, vor ihm gekuscht hatten wie geprügelte Hunde. Carlo Merlo war damals ein angesehener Mann gewesen. Seinen Status hatte er seinem Reichtum – sofern man als Landbesitzer von Reichtum sprechen konnte – und seinen stets vorteilhaften und einflussreichen politischen Positionen zu verdanken gehabt. Wenn er einmal nicht direkt in den Gemeinderat gewählt worden war, dann hatte er eben indirekt an den Fäden gezogen. Er hatte die richtigen Bekanntschaften gehabt und sich seine Freundschaften mit den beliebten und erlesenen Produkten seines Guts erkauft. Es gibt nichts, was man nicht bei einem Gläschen Wein klären kann, hatte er immer zu sagen gepflegt. In der Tat waren in Mariannas Jugend allerhand Persönlichkeiten bei ihnen ein und aus gegangen. Priester, Carabinieri, Notare, Anwälte, Bürgermeister. Und sie waren nie mit leeren Händen gegangen.
Jetzt war Carlo nur noch ein Schatten seiner selbst. Kein Einziger seiner sogenannten Freunde hatte jemals nach ihm gefragt, seit sie umgezogen waren. Und Marianna tat sich oft schwer, ihren einst so charismatischen, starken, unnahbaren Vater zu bemuttern.
»Was hat sie gesagt?«, fragte Carlo von seinem Stuhl aus kehlig, als er Massimo wieder in die Küche seines Hausflügels kommen sah. Carlo hasste, wie seine Stimme klang. Alt, müde, angestrengt.
»Nicht viel!« Massimo dachte nicht im Traum daran, die beiden Streithähne gegeneinander auszuspielen. Er hatte ja schon lange begriffen, dass er nur eingestellt worden war, um zu vermitteln. Ihm war das recht. Er mochte den sturen Alten. Er verstand seine Verbitterung. Ohne weitere Worte ging er daher an den Kühlschrank und holte Carlos Lieblingswurst, die er ihm mit einer Scheibe Weißbrot auf einen Teller legte und auf den Tisch stellte, an dem der Alte noch immer saß. Vor ihm ein nicht angerührter Teller mit delikatem Fisch und feinem Gemüse.
»Sie hat es dir erlaubt?«, fragte Carlo und konnte seine Ungläubigkeit nicht verstecken. Massimo nickte und schmunzelte. Er wusste, dass Carlo sich eine Auseinandersetzung gewünscht hätte. Alles, nur um die Aufmerksamkeit seiner einzigen Tochter zu bekommen. Er fragte sich manchmal, ob sie das Spiel ihres Vaters tatsächlich nicht durchschaute. Massimo war schon nach wenigen Tagen bewusst geworden, dass der Mann sehr wohl Kontrolle über seine Blase hatte und keineswegs unabsichtlich ins Bett machte. Oder den Stock nicht immer brauchte. Sich sehr wohl selbst rasieren konnte. Und ganz bestimmt mehr als klar im Kopf war.
Aber wer war er schon, um sich da einzumischen? Er setzte sich zu Carlo und schenkte ihm Wein ein.
»Na los, essen Sie schon!«, forderte er ihn freundlich, aber bestimmt auf.
Carlo ließ sich das nicht zweimal sagen. Die ganze Show hatte ihn wohl hungrig gemacht. Er aß die Wurst, das Brot und nach kurzem Zögern Fisch und Gemüse. Massimo unterstrich das natürlich nicht extra. Wenn der alte Herr ein Kurzzeitgedächtnis vortäuschte, dann war das doch in Ordnung. Er aß selbst seine Portion und genoss den feinen Tropfen aus Carlos Anbau.
»Spazieren oder Nickerchen?«, wollte Massimo wissen, als ihre Teller restlos leer gegessen waren. Die Nachmittage mit Carlo bestanden entweder aus Spaziergängen im Garten der Villa oder aus einer ausgiebigen Ruhezeit – je nach Laune und Verfassung des Alten.
»Lass uns ein bisschen gehen!«, antwortete Carlo knapp.
Sie machten sich auf den Weg, und obwohl Carlo schnaufte und sich heute tatsächlich schwer auf seinen Stock stützte, ging er stets einige Schritte voraus. Massimo ließ ihn die privilegierte Position gerne einnehmen. Es war eine kleine Form des Respekts, die er ihm guten Gewissens zollte. Massimo wusste auch, dass er Carlo auf dem Rückweg würde helfen müssen. Aber das war später, und Carlo lebte im Jetzt. Der salzig-fischige Geruch des Meeres trat ihnen in die Nase, das konstante Rauschen begleitete jeden Schritt. Mariannas überschaubares Anwesen lag direkt über dem Meer, wie festgekrallt an der steilen Felswand. Massimo liebte das. Er war ein Kind des Meeres.
Auf dem schmalen Fußweg hinunter zum Wasser wurde Carlo langsamer. Seine Füße hoben sich nur zögerlich, sein Stock fand kaum Halt. Massimo wusste, dass es zwecklos war, ihn bereits zur Rückkehr zu überreden. Daher nahm er einfach den Arm des Alten und stützte ihn so gut und diskret wie möglich. An einem besonders schönen Aussichtspunkt machten sie Halt. Die Wellen klatschten gegen die Felsen, spritzten in die Höhe. Der Wind zerrte an Carlos Schal, eine Hand hielt die Mütze fest und schützte gleichzeitig vor der Sonne. Carlo blickte hinaus auf die Weite. Der Himmel war azurblau, die Sonne durch die Jahreszeit in ihrer Strahlkraft gedämpft.
»Du bist ein guter Junge«, stellte Carlo irgendwann fest. Massimo hörte ihn kaum; der Wind wollte die Stimme davontragen. Carlo musste den Satz laut wiederholen und Massimo freute sich über diese Aussage wie ein Kleinkind über das Lob für ein tolles, selbst gemaltes Bild. Wäre er eine Katze gewesen, hätte er sicher geschnurrt.
»Sie sind auch ein feiner Kerl, Signor Merlo!«, gab er das Kompliment ehrlich zurück. Der Alte lachte kurz auf. Er drehte sich jetzt um und schaute Massimo direkt in die Augen.
»Sorg dafür, dass ich an meinem Geburtsort begraben werde. Marianna wird wahrscheinlich so froh sein, mich los zu sein, dass sie mich auf den erstbesten Friedhof schickt, der ihr einfällt. Aber ich will nach Hause!« Massimo war bewusst, was diese Worte für ein Gewicht hatten. Sie wogen Tonnen und reichten bis in die Ewigkeit. Er fühlte sich seltsam geehrt und gleichzeitig gerührt, so dass ihm nichts einfiel, was er dazu sagen konnte.
»Versprichst du mir das?«, hakte Carlo nach.
Massimo nickte und gab ihm die Hand darauf, während er sich keine Sekunde lang fragte, ob er dieses Versprechen würde einhalten können.
Marianna nahm genervt den Anruf entgegen. Sie hatte schlechte Laune. Dass ihr Vater noch immer so eine Macht über sie hatte, raubte ihr die Kraft.
»Paolo?«, sagte sie daher nur knapp. Sie war so sehr an seine Anrufe gewöhnt, dass sie auf Höflichkeitsformen oder -floskeln gänzlich verzichtete. Er war ihr engster Mitarbeiter, wusste alles, machte alles.
»Sie hat sich gemeldet! Per E-Mail«, so seine einfache Aussage. Damals, kurz nach seiner Einstellung vor beinahe fünf Jahren, hatte Marianna auf diese Möglichkeit hingewiesen, dass sich eines Tages jemand mit einem ganz besonderen Anliegen würde melden können. Er hatte zwar gestaunt, sich aber nicht viel dabei gedacht. Um ganz ehrlich zu sein, hatte er diese Sache gänzlich vergessen, sogar für einen Scherz gehalten. Bis heute.
Marianna fühlte sich wie gelähmt. Sie wusste sofort, ohne jegliche Art von Erläuterung, um wen es ging. Der Tonfall: so ernst, so schwer. So bedeutungsvoll.
Insgeheim verfluchte sie sich und ihre Aversion gegen alles, was auch nur ansatzweise technologisch war. Wie gerne hätte sie jetzt in diese Mail geblickt! Das Verlangen danach spürte sie beinahe körperlich.
»Was schreibt sie?«, brachte sie hervor.
»Nun ja, sie hat nicht direkt geschrieben. Eine gewisse Margit Hansen schreibt, dass ihre Freundin Carla Meinhard ihr berichtet hat, dass Sie ihre Mutter sind. Diese Carla traut sich wohl nicht, uns zu kontaktieren. Deshalb hat Frau Hansen die Initiative ergriffen und sich gemeldet«, fasste Paolo emotionslos zusammen.
»Haben wir eine Telefonnummer?«, hauchte sie nur noch in ihr Handy.
»Ja, die haben wir!«
»Pronto?«
»Spreche ich mit Zia Filomena?«
»Ja. Wer ist denn dran?«
»Hier ist Nunziatina, die Nichte von Mariangela.«
Filomena überlegte. Wer war das nun schon wieder? Woher bekamen nur alle immer ihre Telefonnummer? Dabei stand sie nicht einmal im Telefonbuch.
Nunziatina? Kannte sie nicht.
»Was kann ich für dich tun, Mädchen?«
Schlucken. Schweigen. Husten.
»Man hat mir erzählt, dass Sie eventuell herausfinden könnten, ob mein Freund gestern tatsächlich nur Fußballspielen war?«
Filomena setzte sich auf einen kleinen Hocker, der bei ihr im Flur stand. Das Telefonat würde wahrscheinlich länger dauern.
»Gibt es denn einen Grund zur Annahme, er könnte es nicht gewesen sein?«
Räuspern.
»Nun ja. Also … ja, den gibt es.«
»Darf ich den erfahren?« Filomena rückte sich ihre Kette zurecht, die auf ihre Beine schlug.
»Ja, also … ich habe seine Nachrichten auf dem Handy durchgesehen.«
»Und?«
»Und dabei bin ich auf SMS gestoßen, die von einer Frau kommen.«
»Und?«
»Und diese Frau hat ihn gerade gestern um ein Treffen gebeten.«
Jetzt war Filomena dran mit Schlucken.
»Findest du nicht, die Sache ist schon so sehr offensichtlich?«
Warum verschlossen diese Mädchen nur alle die Augen vor der Wahrheit?
Schluchzen.
»Aber er schwört, dass er mit seinen Freunden ein Spiel gespielt hat.«
Ja klar. Die lieben Freunde. Das ideale Alibi.
»Kann ich nicht zu Ihnen kommen und … Sie machen dann, was Sie eben machen müssen … und dann weiß ich, woran ich bin.«
»Tesoro, spar dir das Herkommen.«
»Aber …«
»Nunziatina, wenn du mich schon anrufst, dann bin ich mir sicher, dass du die Antwort bereits selbst weißt.«
Lauteres Schluchzen. Manchmal hasste sie das, dieses direkte Auf-den-Punkt-kommen.
Langes Schweigen.
»Soll ich ihm verzeihen?«
Die Stimme ein einziges Zögern.
Zia Filomena spielte gedankenverloren mit ihrem langen Halsschmuck.
»Nun, um diese Frage zu klären, sollten wir uns vielleicht doch kurz bei mir sehen.«
Aufgeregtes Rascheln.
»Wann?«
»Von mir aus auch gleich.«
»In Ordnung.«
»Bis später.«
»Ach, Zia Filomena, wie viel Geld soll ich mitnehmen?«
»Wegen mir keines. Du willst mich nur besuchen, und wir plaudern. Das freut mich doch!«
Schweigen.
»Danke.«
»Danke mir nicht, tesoro. Danke mir nicht.«
Filomena legte auf, dachte kurz nach, nahm dann wieder den altmodischen Hörer, suchte eine Nummer aus ihrem Adressbuch und wählte.
»Pronto?«
»Buongiorno, Filomena Merlo hier. Legst du mir bitte einen Busfahrschein beiseite? Nach Salerno. Ich hole ihn spätestens heute Nachmittag ab.«
»Geht in Ordnung. Arrivederci.«
So, dann war das auch erledigt. Wenn Giorgio nicht immer diese dumme Angewohnheit gehabt hätte, sich die Fahrscheine ausgehen zu lassen. Spontanes Wegfahren – daran war fast nicht zu denken. Alles musste geplant sein. Aber darin war Filomena ja eine Meisterin.
Lautes Klopfen an der Tür.
Filomena nahm die Schürze ab, ging zur Tür.
»Buongiorno, ich bin Nunziatina!«
»Komm rein. Nur immer rein in die gute Stube.«
»Ich habe Ihnen Käse mitgebracht. Käse mögen Sie doch?«
»Natürlich, ich danke dir!«
Irgendwann musste sie klarstellen, dass sie keinen Käse aß.
***
»Carla, kommst du mal?«, rief Margit in mein Zimmer hinein.
»Bin grad mitten in einer echt krassen Übersetzung!«, gab ich zurück und machte unbeirrt weiter mit einem endlosen Satz, der mir den letzten Nerv zu rauben drohte. Schachtelsätze waren mein Feind Nummer eins. Dabei liebten gerade Italiener komplizierte Satzkonstruktionen. Das hatte ich aber damals, als ich Italienisch als Hauptsprache wählte, nicht gewusst. Italienisch war für mich einfach nur die Sprache der Liebe, der Musik und der wundervollen Phonetik gewesen. Die Sprache der warmen, rollenden Klänge. Aber Moment mal, fiel mir nun ein. War meine Liebe zum Italienischen ein Zufall? Oder lag sie in den Genen?
»Ist aber dringend!« Nein, Margit ließ nicht locker, trat sogar ein und hielt mir auffordernd ihr Handy hin.
»Wer ist denn dran?« Ich konnte nicht verbergen, wie genervt ich war.