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Marcel und Agnes Meister laden zur Sommerparty: Bei leckerem Grillfleisch, kühlem Bier und fruchtiger Bowle feiert in ihrem Garten eine ausgelassene Gesellschaft.
Doch plötzlich geschieht ein Unglück: Ein heftiges Sommergewitter zieht auf. Während alle ins Haus flüchten, reißt der Sturm einen Ast ab, der Tabea, die vierjährige Tochter der Meisters, unter sich begräbt.
Das Mädchen wird schwer verletzt in die Berling-Klinik gebracht. Doch als wäre das nicht genug, bahnt sich noch eine zweite Katastrophe im Hause Meister an, deren Ursprung weit in der Vergangenheit liegt ...
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Seitenzahl: 123
Cover
Ein Sommerabend mit Zwischenfall
Vorschau
Impressum
Ein Sommerabend mit Zwischenfall
Nach der Feier kommt eine bittere Wahrheit ans Licht
Von Marlene Menzel
Marcel und Agnes Meister laden zur Sommerparty: Bei leckerem Grillfleisch, kühlem Bier und fruchtiger Bowle feiert in ihrem Garten eine ausgelassene Gesellschaft ein fröhliches Fest.
Doch plötzlich geschieht ein Unglück: Ein Sommergewitter zieht auf. Während alle ins Haus flüchten, reißt der Sturm einen Ast ab, der Tabea, die vierjährige Tochter der Meisters, unter sich begräbt.
Das Mädchen wird schwer verletzt in die Berling-Klinik gebracht. Doch als wäre das nicht genug, bahnt sich noch eine zweite Katastrophe im Hause Meister an, deren Ursprung weit in der Vergangenheit liegt ...
»Denkst du an Jujus Regenjacke und den Sonnenschutz?«, fragte Julia Holl ihren Mann Stefan, der soeben die Treppe herunterkam und beides stolz in die Höhe streckte.
»Alles da. Wir sind auf jede Wetterlage vorbereitet. Selbst ein Schneesturm kann den Holls nichts anhaben, weil meine Frau so gut vorsorgt.«
Als sie sein vielsagendes Gesicht sah, knuffte sie ihm gegen die Schulter. »Hör schon auf! Sonst bist es immer du, der eine ganze Apotheke mitnimmt, obwohl wir nur mal eben zum See wollten.«
»Schuldig im Sinne der Anklage.« Er hob die Hände, als wollte er sich ergeben. »Den Arzt bekommt man eben nicht mehr aus mir raus.«
Sie lachten heiter, bis die Stimme ihrer Tochter Juju von draußen ertönte: »Kommt ihr bald mal?« Sie stand bereits am Wagen. »Wir kommen noch zu spät, weil ihr so herumtrödelt!«
»Unser liebreizendes Töchterchen«, murrte Julia. »Zu einer Gartenparty kommt man nie zu spät!«, trällerte sie etwas lauter und grinste ihren Mann an. »Hast du das Mückenspray von oben geholt? Dann können wir los.«
Stefan seufzte, als er sah, dass seine Frau bereits in den Schuhen steckte. Er war also gefragt und musste noch einmal hinauf. »Ich bin mir sicher, die Meisters haben welches. Sie wohnen zwischen See und Wald. Es wäre Selbstmord, da kein Spray zu haben.« Sein kurzes Lachen stoppte abrupt, als er den strengen Ausdruck im Gesicht seiner Frau sah. »Ich geh ja schon.«
»Du weißt doch, dass Juju nur diese Sorte verträgt. Bei anderen wird ihre Haut wund«, erinnerte sie ihn an das letzte Mal, als ihre Tochter Ausschlag an Armen und Beinen gehabt hatte. Der Abend bei Freunden war dadurch ein Reinfall gewesen, und ihr armes Kind hatte sich trotz Salben die ganze Nacht lang mit Juckreiz plagen müssen.
Stefan Holl zog seine Liebste in seine Arme und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. »Wenn wir dich nicht hätten!«
Julia lachte auf. »Dann würdet ihr wohl ganz schön schlecht dastehen.«
Stefan beeilte sich, das Mückenspray zu holen. Er nahm immer zwei Stufen auf einmal. Kaum stand er im Bad, zwickte es in seiner Brust.
Uff!, dachte er und setzte sich einen Moment lang auf den Badewannenrand. Was ist denn nun schon wieder los?
Stefan atmete schwer, und er konnte seinen rasenden Puls im Kopf fühlen. Als Arzt wusste er, dass er auf solche Symptome achten sollte. Es war ja auch nicht das erste Mal, dass sie ihn heimsuchten. Vermutlich gab es aber eine ganz harmlose Erklärung dafür. Vermutlich raste sein Herz nur, weil er zu schnell nach oben gesprintet war.
»Stefan, ist alles in Ordnung?«, hörte er Julia rufen, weil er nicht auftauchte.
Er warf sich eiskaltes Wasser ins Gesicht und blickte in den Spiegel. Müde sahen seine grünbraunen Augen nicht aus, und auch sein Teint war gesund, aber seine Brust fühlte sich eng an. Wahrscheinlich nur ein kurzer Anflug von Sodbrennen oder eine Alterserscheinung. Er war schließlich auch nicht mehr der Jüngste. Sein dunkles Haar wurde zum Beispiel immer grauer, und in den Augenwinkeln bildeten sich immer mehr Fältchen.
Der Chefarzt wäre im Anschluss fast ohne das Spray wieder nach unten gegangen, doch er entsann sich im letzten Moment.
»Danke.« Julia nahm das Fläschchen entgegen und musterte ihn aus blauen Augen, die Stefan an einen Bergsee erinnerten. »Ist wirklich alles gut? Du siehst blass aus.« Sie strich ihm liebevoll übers dunkle Haar.
»Mir wurde etwas schwindelig da oben. Nicht der Rede wert. Bestimmt ist es nur wegen der Hitze ...«
Sie runzelte die Stirn. »Aber du warst doch noch nie wetterfühlig.« Julia stieß ihm den Ellenbogen verspielt in die Seite. »Du wirst wohl alt, was?«
Er lächelte müde und atmete durch, als sie ihrer Tochter folgten, die sich sichtlich auf das Treffen mit den Meisters freute, obwohl sie sie noch nie gesehen hatte. Da Stefan zwei Personen seiner Wahl mitbringen durfte, war diese schnell auf die beiden gefallen. Seine Julia war sowieso nicht von seiner Seite wegzudenken, und Juju liebte Grillfeten. Außerdem war sie Fremden gegenüber aufgeschlossen und würde sich auch zwischen Geschäftsleuten pudelwohl fühlen.
Die Elfjährige wartete beim Auto auf sie und grinste übers ganze Gesicht. »Da seid ihr ja endlich. Das hat aber gedauert!«
»Immer mit der Ruhe, junge Dame«, sagte ihr Vater und ließ heute lieber Julia fahren. Seine Brust drückte immer noch ein wenig.
»Sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte Julia, während sie den Blinker setzte und auf die Straße hinausfuhr.
»Es soll heute noch gewittern. Das wird es sein. Die Luft ist schon ganz schwül.«
»Zum Glück zieht das an München vorbei.« Julia warf Juju einen Blick über den Rückspiegel zu. »Bist du angeschnallt?«
»Na klar!« Ihre Tochter lächelte weiterhin.
Sie steckte in einer blauen Latzhose und Sneakern. Die dunkelblonden Haare hatte sie sich zu zwei Zöpfen geflochten und erinnerte Stefan an Pippi Langstrumpf. Fehlten nur noch das markante Rot und die Sommersprossen. Juju sah stattdessen ihrer Mutter verblüffend ähnlich mit ihrer Stupsnase und den vollen Lippen, die immer leicht zu schmunzeln schienen.
Stefan sah aus dem Fenster, vor dem Wälder und Wiesen vorbeiflogen. Sie ließen München hinter sich und fuhren aufs Land hinaus. Der Arzt schloss seine Augen und entspannte sich nach diesem kleinen Schrecken. Er wurde eben auch nicht jünger.
***
Agnes Meister wuselte durch den Garten und hängte ein paar letzte Glühbirnen und Girlanden auf. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, weil sie heute neben ihren Freunden und Kollegen aus der Filmbranche auch einige neue Gäste kennenlernen würde. Arbeitskollegen ihres Mannes Marcel hatten sich angekündigt, und sie wollte einen guten Eindruck hinterlassen.
Zwar war das Paar bereits seit zehn Jahren zusammen, acht davon verheiratet, doch Agnes war manchmal immer noch so aufgeregt wie am ersten Tag.
Sie lebten mit ihrer vierjährigen Tochter glücklich in einer Villa mit großen Garten außerhalb von München.
»Mama, ich mag helfen«, sagte Tabea und rannte um ihre Beine. Die Kleine war mindestens so aufgeregt wie ihre Mutter. Das lange braune Haar wehte über ihre schmalen Schultern. Diese wallende Mähne hatte sie von Agnes geerbt, deren Haar heute hochgesteckt war.
»Klar, du könntest die Gläser auf den Tischen verteilen, aber schön vorsichtig, mein Schatz. Immer eines an jeden Platz.« Sie deutete auf die aufgereihten Holztische, die sie als lange Tafel zusammengestellt hatten. Ein an zwei Seiten offener Pavillon würde sie vor der heißen Sommersonne schützen. Jenen hatten die Meisters extra für diesen Tag von einer professionellen Firma aufbauen lassen.
Tabea stürmte los. Sie war in einem Alter, in dem sie es mochte, Aufgaben zu übernehmen und mitzuhelfen. Gerade war sie brav und folgsam, aber das würde sich in ein, zwei Jahren sicher ändern.
Agnes seufzte wehmütig, als sie ihr wundervolles Kind ansah. Tabea hatte ihre kleine Familie komplett gemacht. Sie war ein Wunder gewesen, das vielleicht sogar Agnes' Ehe gerettet hatte.
Plötzlich schlangen sich zwei Arme um ihre Taille. Agnes wurde an einen warmen, drahtigen Körper gezogen, den sie allzu gut kannte. Sie schloss die Augen und ließ sich den schlanken Nacken küssen.
»Mama und Papa haben sich lieb!«, trällerte Tabea und verfiel in einen Singsang, der beide Eltern zum Lachen brachte.
»Später wird sie das sicher eklig finden«, raunte Marcel und lachte an ihrem Ohr. Sein warmer Atem streifte ihre Haut und sorgte selbst im Sommer für eine Gänsehaut. »So langsam müssen wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass sie älter wird und wir es nicht aufhalten können. Sieh dir an, wie sie durch den Garten flitzt. Bald kann sie nichts mehr aufhalten.«
»Unsere Kleine wird immer unsere Kleine bleiben«, meinte Agnes und drehte sich in seinen Armen einmal um hundertachtzig Grad. Sie küsste Marcel auf die weichen Lippen und verzog das Gesicht. »Dein Bart pikst mich.« Agnes rieb sich übers Kinn.
»Du wirst dich daran gewöhnen, Schatz.« Er grinste, weil er genau wusste, wie gut er damit aussah. Seit einem halben Jahr ließ er sich nun den Bart stehen und pflegte ihn fast pingeliger als Agnes ihr seidiges Haar.
Sie fand ihn mit jedem Jahr anziehender, eben weil die kleinen Falten Marcel reifer wirken ließen. Sie fuhr mit den Fingern über den kurzen, dichten Bart. »Steht dir immer noch ziemlich gut.«
»Danke, ich hab mich auch so langsam daran gewöhnt. Aber meinst du, dass ich jetzt zu alt aussehe?«
»Zu alt? Weil da ein paar graue Strähnen zu sehen sind?« Agnes lächelte. »Unsinn. Niemand wird Tabea dafür hänseln, wenn ihr Vater schon ein wenig ergraut ist, falls es dir darum geht.«
Er schluckte. »Wir sind leider erst spät Eltern geworden.« Seine braunen Augen blickten traurig drein. »Ich möchte nicht, dass sie leiden muss.«
Agnes hakte sich bei ihm unter, und sie gingen ein Stück durch den Garten. Vögel zwitscherten, obwohl es bald Herbst war und sich die Bäume in wärmere Farben kleideten. Das Ende des Sommers wurde alljährlich mit einem Gartenfest eingeläutet, aber so viele Gäste wie in diesem Jahr waren noch nie dabei gewesen. Noch ein Grund mehr für Agnes' lautes Herzklopfen.
»Die Holls kommen auch.«
Agnes runzelte die Stirn. »Die Holls?« Sie versuchte, sich an die Gästeliste zu erinnern.
»Du weißt schon, Doktor Stefan Holl aus der Berling-Klinik. Er ist dort Chefarzt. Wir haben uns auf der letzten Ärzteversammlung kennengelernt, auf der ich einen Vortrag halten durfte.« Durch seine Arbeit in einem Pharmaunternehmen kam Marcel mit vielen Leuten zusammen.
»Ach ja, richtig. Und sie bringen ihre elfjährige Tochter mit. Tabea versteht sich bestimmt mit ihr.«
»Tabea versteht sich glücklicherweise mit jedem. Unser Kind ist aufgeschlossen und fröhlich. Sie liebt alle Menschen und fremdelt nicht«, sagte er mit Stolz in der Stimme. »Ich bin so froh, dass wir sie haben.«
Agnes blinzelte die aufsteigenden Tränen weg, weil sonst ihr zartes Make-up verschmierte. Ein Kloß machte sich in ihrem Hals breit. »Ich auch«, antwortete sie kehlig und räusperte sich. Sie konnte Marcel auf einmal nicht mehr in die treuen Augen sehen.
Stattdessen schlenderte sie weiter und überlegte, was noch alles für das Gartenfest zu erledigen war.
»Tut mir leid, dass ich Doktor Holl und seine Familie vergessen habe, aber ich hatte den Kopf so voll mit Vorbereitungen, dass mir die meisten Namen auf der Liste entfallen sind.« Sie lächelte entschuldigend.
Marcel folgte ihr bis zum Kirschbaum, der ungewöhnlich kahl aussah. Dafür wuchsen ringsherum wilde Himbeeren und Brombeeren, die zu dieser Jahreszeit Früchte trugen. Agnes hatte daraus wie jedes Jahr Marmelade, Kuchen und Bowle gezaubert, an denen sich die Sommerfest-Gäste erfreuen konnten.
Marcel zog Agnes wieder an sich und küsste sie auf die Nasenspitze. Verträumt beobachteten sie ihre Tochter, die in ihrem gelben Kleidchen munter durch den großen Garten sprang. Sie würde sich bei dieser Hitze später in ihrem Planschbecken abkühlen können, das Marcel heute früh extra für sie aufgeblasen hatte.
»Wir sind gute Eltern, oder?«
Irritiert und eine Spur besorgt sah er sie an. »Natürlich. Zweifelst du etwa daran? Was beschäftigt dich?«
»Ach, gar nichts. Das sind wohl ganz normale Sorgen, die man als Mutter eben manchmal so hat. Geht es meinem Kind gut? Ist es glücklich? Erziehen wir es richtig? Du weißt schon.«
»Tabea sieht glücklich aus und hat ein gutes Leben. Mach dir keine Sorgen. Sie wird auch in der Schule schnell Anschluss finden. Da bin ich mir sicher.« Marcel streichelte Agnes über die Wange und sah verträumt hinauf in die knorpeligen Äste des Kirschbaumes. »Weißt du noch?«
Agnes erwiderte sein Lächeln verliebt und schlang ihm die Arme um den Hals. Ihre Finger gruben sich in sein kurzes braunes Haar, das er extra für heute frisch geschnitten hatte. »Wie könnte ich deinen Antrag an genau dieser Stelle je vergessen? Ich war so aufgeregt, dass ich mich in die Hecke übergeben habe.«
Sie lachten gemeinsam über diesen Moment, der ihnen immer in Erinnerung bleiben würde, positiv wie verrückt, und küssten sich innig. Marcels Lippen schmiegten sich dabei perfekt an ihre. Seine Hände glitten an ihrem schlanken Hals entlang und sorgten für einen angenehmen Schauer bei ihr. Agnes war noch immer so verliebt wie vor zehn Jahren auf dem Stadtfest, als sie Marcel das erste Mal in die Augen gesehen hatte. Es hatte sofort gefunkt. Seither waren sie mehrfach auf die Probe gestellt worden, aber ihre Liebe war tief und echt. Und Tabea hatte dieses Glück nur noch gekrönt.
Sie warf daraufhin einen letzten kritischen Blick auf ihr Werk. Aus der Entfernung war das Arrangement der Tische gut zu erkennen. Sie hatten sich dieses Mal für runde Stehtische rings um die lange Tafel entschieden. So konnten sich ihre Gäste gut verteilen und frei zwischen den Tischen hin und her wechseln, ohne starr an einer Stelle sitzen zu müssen. Jeder konnte mit jedem plaudern und anstoßen. Vielleicht entstanden sogar neue Freundschaften.
Spätsommerliche Dekoration in Form von Hortensien in allen möglichen Farben waren auf den Tischen verteilt. Kleine Zierkürbisse als symbolischer Übergang zum Herbst erfreuten das Auge zusätzlich.
»Woran denkst du?«, fragte Marcel. »Da ist schon wieder diese Falte zwischen deinen Brauen, also grübelst du.«
»Ach, nur an unser Fest. Ich mache mir Sorgen, dass ich etwas vergessen habe.«
Marcel lachte leise. »Das sagst du jedes Jahr. Du zerdenkst schon wieder alles. Lass es einfach auf dich zukommen.«
Wenn ich alles einfach so auf mich hätte zukommen lassen, hätten wir jetzt kein Kind, dachte sie bedrückt und glücklich zugleich.
»Letztes Jahr ist mir das Brot im Ofen verbrannt, und vorletztes Mal ist die Musikanlage ausgefallen. Und erinnerst du dich an das Fest vor vier Jahren, kurz nach Tabeas Geburt?«
»Es hat geschüttet wie aus Eimern.«
»Siehst du, wir sind verflucht.«
Langsam gingen sie zurück. Eine sommerliche Brise wehte um Agnes' schlanke, nackte Beine. Sie fröstelte nicht, sondern war froh über die Abkühlung. Heute sollte es brütend heiß werden. Umso besser, dass sie den Pavillon hatten.
»Ich muss noch die restlichen Lampions aufhängen.«