Dark Land - Folge 009 - Logan Dee - E-Book

Dark Land - Folge 009 E-Book

Logan Dee

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Beschreibung

Der Sterbende zuckte noch. Dr. Shelley hatte dem auf die Liege gefesselten Delinquenten gerade erst die todbringende Substanz injiziert. Henry Quinn, der Vollmondmörder, hatte fünfzehn Morde begangen. Einen zu viel, denn der fünfzehnte hatte zu seinem Todesurteil geführt.

Dr. Shelley ließ sich von seiner Assistentin die Knochensäge reichen und setzte sie an der Stirn des Wehrlosen an.

"Sie wollen ihm doch nicht schon das Gehirn entnehmen, während er noch lebt?", protestierte Lieutenant Bella Tosh.

"Aber natürlich. Nur dann kann ich sein Gehirn noch verwenden."

In diesem Moment schlug der Sterbende die Augen auf ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Was bisher geschah

Die Bestie

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

»Geisterjäger«, »John Sinclair« und »Geisterjäger John Sinclair« sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Timo Wuerz

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-4487-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Was bisher geschah

Johnny Conolly hat seine Mutter verloren. Sie wurde von einem Dämon brutal ermordet. Als dieser Dämon durch ein Dimensionstor flieht, folgt Johnny ihm.

Kurz darauf wird das Tor für immer zerstört, sodass es für Johnny keine Möglichkeit zur Rückkehr gibt. Das Dimensionstor spuckt ihn schließlich wieder aus – in einer anderen Welt. Er ist in Dark Land gelandet, genauer gesagt in Twilight City, einer Stadt voller Geheimnisse – und voller Gefahren.

Die Fährte des Mörders führt ihn in einen Nachtclub, wo er mit der Polizei aneinandergerät.

Er wird abgeführt und zu einer Geldstrafe verurteilt – die er allerdings mangels hiesiger Mittel nicht begleichen kann. Daraufhin wird aus dem Bußgeld eine Haftstrafe: Fünfzig Jahre soll er einsitzen!

Er ist schon fast auf dem Weg ins Gefängnis, als ihn ein Polizist aus dem Transporter holt, um ihn woanders hinzubringen. Wohin und warum, das verrät ihm der unheimliche Panthermann nicht.

Auf dem Weg zu dem unbekannten Ziel kommt es zu einem Unfall. Und zwar zu einem, der absichtlich verursacht wird!

Wynn Blakeston, wie Johnny sich in dieser Welt inzwischen nennt – für den Fall, dass irgendjemand in Twilight City mit seinem Namen John Gerald William Conolly etwas anfangen kann und ihm möglicherweise Übles will –, hat gesehen, wie der andere Wagen auf sie zusteuerte. Allein am direkten Kurs des Fahrzeugs war zu erkennen, dass der Fahrer sie rammen wollte – aber mehr noch hat es sein Gesicht verraten, das Wynn in seinem letzten wachen Augenblick ganz deutlich gesehen hat: das Gesicht nicht irgendeines Dämons, sondern eines Schnabeldämons – und nicht irgendeines Schnabeldämons, sondern das Gesicht des Mörders seiner Mutter!

Als er nach dem Unfall erwacht, findet er sich in der Villa von Sir Roger Baldwin-Fitzroy wieder, in der auch dessen Tochter Abby und der dämonische Diener Esrath, ein sogenannter Naturalis, leben.

Sir Roger hat Wynn aus dem Gefängnis freigekauft – warum, das weiß Wynn nicht.

Doch im Moment ist auch etwas anderes für ihn wichtiger: Er will Rache am Mörder seiner Mutter!

Zusammen mit Abby begibt er sich auf die Suche nach dem Schnabeldämon. Inzwischen hat er rausgefunden, dass dieser Norek heißt und skrupelloser und gefährlicher ist als alle seine Artgenossen.

Auch Sir Roger und Esrath sind auf der Suche nach Norek, denn Sir Roger hat noch eine Rechnung mit dem Dämon offen.

Als es Sir Roger schließlich gelingt, Norek zu schnappen, verrät er Wynn davon nichts. Er sperrt Norek in eine Zelle tief verborgen in der geheimnisvollen Villa, wo niemand ihn jemals finden soll.

Denn Sir Roger weiß: Wenn Wynn zu seiner Rache an Norek kommt, gibt es keinen Grund mehr für ihn, in Twilight City zu bleiben. Er wird einen Weg zurück in seine Welt suchen, und das will Sir Roger um jeden Preis verhindern. Er braucht Wynn noch …

Die Bestie

von Logan Dee

Der Sterbende zuckte noch. Dr. Shelley hatte dem auf der Liege fixierten Delinquenten gerade erst die todbringende Substanz injiziert. Henry Quinn, dem Vollmondmörder. Er hatte fünfzehn Morde begangen. Einen zu viel. Der fünfzehnte hatte zu seinem Todesurteil geführt.

Dr. Shelley ließ sich von seiner Assistentin die Knochensäge reichen und setzte sie an der Stirn des Wehrlosen an.

»Sie wollen ihm doch nicht schon jetzt das Gehirn entnehmen, er lebt doch noch!«, protestierte Lieutenant Bella Tosh.

»Aber natürlich. Nur dann kann ich sein Gehirn noch verwenden.«

In diesem Moment schlug der Sterbende die Augen auf …

Er bäumte sich auf und fing vor Schmerz und Todesangst an zu schreien. Sein Gebrüll hallte von den Wänden der Hinrichtungszelle wider. Dr. Shelley, seine Assistentin und selbst Bella Tosh standen einen Moment wie erstarrt.

Einzig Sergeant Kajahn handelte intuitiv. Er stieß den Doktor beiseite, griff den Tobenden bei den Schultern und drückte ihn zurück auf die Liege.

»Das … das ist unmöglich!«, stammelte Dr. Shelley. »Die letale Injektion …«

»Sie sehen doch, dass es möglich ist! Ihre verdammte Injektion war zu schwach!«, schrie ihn Kajahn an.

Der Dämon tobte. Sein muskulöser Körper kämpfte gegen die Fixierung an. Die Gurte waren bis zum Zerreißen gespannt. Selbst Kajahn hatte Schwierigkeiten, den Wütenden unter Kontrolle zu halten.

»Schnell! Geben Sie ihm eine weitere Injektion!«, verlangte Bella Tosh.

Dr. Shelley nickte. Er raunzte seine Assistentin an. »Nun machen Sie schon! Ziehen Sie eine neue Spritze auf …!«

Aber das Blatt begann sich bereits zu wenden, die Dinge hatten ihren Lauf genommen. In eine Richtung, die Bella Tosh ganz und gar nicht vorausgesehen hatte.

Denn in diesem Moment sprengte der Dämon seine Fesseln.

Sergeant Kajahn reagierte zu spät. Eine Faust sauste auf ihn zu und versenkte sich in seinem schwarzen Panthergesicht.

Bella Tosh riss die schwere Waffe aus dem Holster und richtete sie auf …

… Kajahn!

Der Dämon war schneller gewesen. Er war von der Liege aufgesprungen und benutzte nun den benommenen Kajahn als Schutzschild.

Verflucht! Geh aus der Schusslinie!

Sie hatten diese und ähnliche Ausnahmesituationen Dutzende Mal geübt. Aber dies war keine Übung, es war bitterer Ernst. Und sie hatte es mit einem gemeingefährlichen Mörder zu tun. Er hatte nichts mehr zu verlieren. Noch nicht einmal sein Leben, denn das war sowieso unwiderruflich dahin, wenn sie ihn zu packen bekamen. Ob Henry Quinn das überhaupt begriff? Er schien noch immer benommen, handelte rein instinktiv. So einer würde eher noch ein paar von ihnen mitnehmen, als sich zu ergeben. Mit seinen riesigen Pranken konnte er dem Sergeant mit Leichtigkeit das Genick brechen.

Kajahn hatte sich noch immer nicht von dem Schlag erholt. Sein Gesicht war blutüberströmt, und er hing in Quinns Armen wie ein abgekämpfter Boxer in den Seilen.

Die Tür zur Hinrichtungszelle wurde aufgerissen. Schwer bewaffnetes Wachpersonal stürmte herein.

»Nicht schießen!«, schrie Bella. »Verdammt noch mal, nicht schießen!«

Demonstrativ stellte sie sich vor Kajahn und die Bestie, genau in die Schusslinie. Es kam ihr der beunruhigende Gedanke, dass es den Wachen völlig egal war, ob sie bei der Operation mit draufging oder nicht.

Sie war sich noch nicht einmal sicher, ob Sergeant Kajahn in der gleichen Situation genauso gehandelt hätte wie sie. Ob er nicht doch geschossen hätte …

Die Bestie hatte unterdessen Kajahns Revolver an sich genommen. Obwohl Bella bezweifelte, dass sie mit ihren riesigen Pranken damit überhaupt umgehen konnte.

Ich möchte es lieber nicht darauf ankommen lassen …

Quinn schien immer noch unter furchtbaren Schmerzen zu leiden. Seine Muskeln zuckten unkontrolliert. Sein Fratzengesicht schien nun völlig entstellt. Das alles machte ihn noch gefährlicher, als er ohnehin war. Noch unberechenbarer.

»Er hat nicht die geringste Chance«, zischte ihr Dr. Shelley zu. »Die Injektion wirkt allenfalls verzögert. Früher oder später wird sie ihn töten.«

»Später hilft uns aber nicht weiter!«, zischte Bella zurück.

Der Schädel der Bestie zuckte in ihre Richtung. Es lag ein Ausdruck in Quinns Augen, der ihr Angst machte. Mehr Angst als alles andere, das ringsherum geschah.

Quinn hatte ausnahmslos Frauen umgebracht. Nachdem er sie geschändet und ausgeweidet und teilweise bei lebendigem Leibe gefressen hatte. Ausnahmslos Menschenfrauen.

Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück.

So etwas wie ein Grinsen huschte über seine Fratze. Er hatte es gesehen. Er hatte erkannt, dass sie Angst vor ihm hatte. Und Bella wusste, dass er sie töten würde, wenn er sie zu fassen bekäme.

Der Tod würde nicht das Schlimmste sein, was ihr bevorstünde.

Bella Tosh hob den schweren Revolver und zielte. Entschlossen drückte sie den Abzug der entsicherten Waffe durch und schoss.

***

Sergeant Kajahn brüllte auf, als die Kugel seinen Arm streifte. Auch Quinn brüllte, denn die Kugel bohrte sich tief in seine gewaltige Brust. Doch noch immer ließ die Bestie Kajahn nicht aus ihren Klauen.

»Noch ein einziger Schuss, und ich breche dem Sergeant das Genick!«, drohte Quinn mit heiserer Stimme.

Bella Tosh wechselte einen nervösen Blick mit Dr. Shelley.

Wie lange dauert es noch, bis Ihre verdammte Giftspritze endlich Wirkung zeigt?

Dr. Shelley zuckte mit den Schultern. Auch er wirkte hochgradig nervös und angespannt. Dem sonst so selbstherrlich auftretenden Arzt standen die Schweißperlen auf der Stirn.

»Nicht schießen!«, rief Bella Tosh den anderen Beamten zu.

Sie selbst ließ die Pistole sinken. Sie wusste nicht, was sie geritten hatte, Kajahn in Todesgefahr zu bringen. Ein reiner Reflex. So würde sie es ihm später entschuldigend erklären. Aber es war nicht die Wahrheit. Sie hatte geschossen, weil sie geglaubt hatte, dass es ihre Pflicht sei, Quinn zu stoppen.

Notfalls auch über Kajahns Leiche.

Quinn spähte hastig umher, suchte nach einem Fluchtweg. Es gab nur den einen – durch die einzige Tür, die aus der Zelle führte.

»Aus dem Weg!«, brüllte er das Wachpersonal an.

»Tut, was er sagt!«, befahl Bella.

Sie sah kurz zu der verspiegelten Glasscheibe. Sie wusste, dass dort ihre Vorgesetzte saß. Genauso wie der Richter, der Gefängnisdirektor, eine Reporterin des Twilight Evening Star und weitere Beamte und Persönlichkeiten. Sie alle waren geladen, um Zeugen von Henry Quinns Hinrichtung zu sein. Nun wurden sie Zeugen ihres Versagens. Am meisten zählte sie noch auf Clarissa Statesboro. Bella Tosh war der Leiterin der Abteilung Delta des Twilight City Police Departments direkt unterstellt.

Für einen Moment war sie abgelenkt gewesen, hatte sich nicht auf Quinn konzentriert. Der nutzte seine Chance eiskalt aus. Mit einem Hieb seiner freien Hand entwand er ihr blitzschnell den Revolver. Gleichzeitig gab er seiner Geisel einen kräftigen Stoß nach vorn. Kajahn segelte direkt auf Bella Tosh zu, und beide stolperten nach hinten.

Quinn schoss. Die erste Kugel traf einen Wachbeamten in den Kopf, die zweite einem seiner Kollegen ins Herz. Quinn war ein verflucht guter Schütze.

Die dritte Kugel schickte er den Zeugen hinter der Spiegelfront entgegen. Der Spiegel barst, dahinter erklang der Aufschrei eines Getroffenen.

Das alles passierte innerhalb weniger Sekunden.

»Nicht, Sergeant!«

Es war Bella Tosh, die geschrien hatte. Quinn wirbelte herum. Sergeant Kajahn hatte erstaunlich schnell reagiert. Er war nur noch einen Schritt von Quinn entfernt. Und dennoch war er zu langsam. Er hätte keine Chance gehabt.

Quinn hob die Pistole, bis die Mündung direkt auf den Polizisten gerichtet war.

»Verschonen Sie ihn!«, rief Bella.

»Warum sollte ich das?«

»Ich … ich stelle mich Ihnen freiwillig … als Geisel.«

»Unsinn!«, schrie Kajahn. »Er wird Sie töten – so wie er die ganzen Frauen umgebracht hat. Und vorher wird er Sie …«

Quinn schoss. Vielleicht war es der pantherhafte Instinkt Kajahns, der ihn blitzschnell den Kopf senken ließ. Vielleicht verzog Quinn die Waffe einen Millimeter …

Die Kugel traf, aber sie versenkte sich nicht in die Stirn, sondern fräste eine Furche in die Schädelplatte. Mit einem Aufschrei sackte Sergeant Kajahn zu Boden. Sofort bildete sich eine Blutlache unter seinem Kopf.

Bella Tosh beugte sich nieder zu ihm. Aber nicht, um Erste Hilfe zu leisten. Sie griff nach Kajahns Holster und versuchte, dessen Waffe herauszureißen.

Als sie es geschafft hatte und sich umdrehte, war Quinn bereits nach draußen verschwunden.

»Scheiße!« Fast verzweifelt blickte sie um sich. Dr. Shelley stand wie erstarrt in einer Ecke des Raumes. »Kümmern Sie sich, verdammt noch mal, um Sergeant Kajahn!«, schrie sie den Arzt an.

Dann stürmte sie hinaus und hetzte dem flüchtenden Mörder hinterher. Durch die Flure gellten die Alarmsirenen und der schrille Ton der Signalpfeifen. Befehle wurden herausgeschrien, das Getrampel schwerer Schuhe auf den Eisentreppen hallte überall wider. Dazu kam der höhnische, anfeuernde Lärm der anderen Gefangenen in ihren Zellen, die die Schüsse gehört und längst mitbekommen hatten, dass Quinn auf der Flucht war.

Von überallher strömten nun Polizisten und Wachpersonal herbei. Für Bella war es keine Hilfe. In dem ganzen aufgeregten Chaos war es für Quinn viel leichter, sich aus dem Staub zu machen. Sie konnte ihn nirgendwo entdecken.

Der Todestrakt war einer der ältesten in Land’s End. Er war berüchtigt für seine weitverzweigten Gänge, die nur die ältesten der Wächter wirklich alle kannten. Es gab Legenden von berüchtigten Gefangenen, die in abseits gelegenen Zellen tief unten im Keller verdurstet waren, weil niemand mehr zu ihnen gefunden hatte. Und es gab Gerüchte, dass manch Gefangener dort seit Jahren angekettet in seinem dunklen Loch hockte, ohne dass je jemand nach ihm gesehen hätte. Dämonen, die zu einer jahrhundertelangen Strafe verurteilt worden waren …

Bella Tosh gab trotzdem nicht auf. Sie musste Quinn fassen! Er sollte nicht umsonst ihren Partner über den Haufen geschossen haben!

Aber Quinn blieb verschwunden.

Er hatte schlichtweg Glück …

***

Er hatte Glück, dass ihm die Uniform des Beamten passte, der so unvorsichtig gewesen war, sich allein in die tiefsten Katakomben von Land’s End zu wagen. Quinn hatte ihn bereits weiter oben erspäht und ihn immer tiefer gelockt. Mal mit einem Stein, gegen den er kickte, damit sein Verfolger auf ihn aufmerksam wurde. Mal ließ er für Sekunden seinen Schatten sehen – er stellte es so geschickt an, dass der Beamte nie wirklich sicher sein konnte, ob er wirklich dem Flüchtenden folgte.

An einer Biegung erwartete er ihn. Eine einzige trübe Deckenleuchte verbreitete mehr Schatten als Licht. Quinn sah den anderen vorsichtig um die Ecke kommen, die Waffe vorgestreckt … Quinn hätte schießen können, aber er fürchtete, dass jemand den Schuss hören würde.

Also wartete er geduldig ab, hielt den Atem an, während er sich noch tiefer in den Schatten drückte. Der Beamte bemerkte ihn erst, als Quinn plötzlich aus dem Schatten schnellte und ihn mit einem Faustschlag niederstreckte. Im nächsten Moment hatte der Mörder den Hals umfasst, drückte unerbittlich zu, bis das Röcheln unter ihm erstarb.

Schnell entkleidete er den Toten, zog sich selbst dessen Uniform über. Dann stürmte er hoch zu den anderen, mischte sich unter die aufgeregten Polizisten und das Wachpersonal, wobei er immer weiter dem Ausgang zustrebte.

Es ging ihm zusehends besser. Seine körpereigenen Kräfte hatten das Gift der Injektion erstaunlich schnell eliminiert.

Draußen entdeckte er einen führerlosen Polizeiwagen, in den er kurzerhand sprang und sich hinters Steuer warf. Mit Sirenengeheul raste er auf das zweiflügelige Gefängnistor zu, das sich vor ihm wie von Geisterhand öffnete und ihn in die ersehnte Freiheit entließ.

Und während er hinein in die Nacht raste, erkannte er sein Versäumnis.

Er hätte Dr. Shelley töten sollen! In der Hektik hatte er keine Gelegenheit dazu gehabt. Tosh und Kajahn hatten ihn unter Druck gesetzt. Dennoch – ein einziger gezielter Schuss auf den Arzt, den er einst als Freund betrachtet hatte, und er hätte sich bedeutend besser gefühlt.

So aber brannte nach wie vor das Feuer der Rache in ihm.

***

»Verdammter Nichtsnutz! Rauswerfen sollte ich dich! Auf der Stelle! Oder noch besser: in die tiefste Etage des Archivs verbannen!«

Noch nie hatte Wynn Mr. Jaydon so wütend erlebt. Die Teufelsfratze war vor Wut verzerrt, und aus den Nüstern entwichen kleine Rauchwolken, die seinen Zorn wie Atome in der Luft verteilten. Wynn hütete sich, sie einzuatmen. Mr. Jaydons Augen glühten in einem beunruhigenden Dunkelrot, und winzige Blitze schossen daraus hervor, die sich knisternd in der Atmosphäre entluden.

Jetzt fehlt nur noch ein Donnergetöse, und sein Auftritt ist perfekt, dachte Wynn. Er hatte keine Angst vor Mr. Jaydon. Und auch dessen Wutanfall ging ihm so was von am Allerwertesten vorbei, dass er noch nicht einmal zu einer Verteidigung ansetzte.

Er hatte die Nase voll, und zwar gründlich! Er hatte keine Lust mehr darauf, sich Tag für Tag von seinem Vorgesetzten schikanieren und anschreien zu lassen. Dabei wussten sie beide ganz genau, dass Wynn seine Arbeit nicht nur gut machte, sondern sie ausgezeichnet verrichtete.

Und das alles für ein paar lumpige Beads!

»Ich werde den Vorfall Mister Bee melden. Soll er entscheiden, was mit dir weiter geschieht!«

»Welchen Vorfall denn?«, entgegnete Wynn genervt. Er hielt sein Schweigen jetzt doch nicht länger aus. »Es ist nichts passiert! Dass eine Akte falsch abgelegt wurde und dann nicht wieder aufzufinden ist, kann doch immer mal passieren!«

Mr. Jaydons ohnehin rotes Gesicht drohte zu platzen. Die borstigen, schwarzen Augenbrauen in die Höhe gezogen, das geradezu klassische Teufelsgesicht, schmal und spitz zulaufend, zu einer wütenden Fratze verzerrt.

»Kann mal passieren? In meinem Archiv gibt es das nicht, dass eine Akte falsch abgelegt wurde. Ich gebe dir noch eine letzte Chance, Wynn Blakeston! Schaff mir die verdammte Akte her!«