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Hexen, Hexen gibt es keine,
niemand der dir schaden kann,
schlafe, schlafe, meine Kleine,
nein, Hexen gibt es keine ...
Es hatte eine Zeit gegeben, in der Hexen in Twilight geherrscht hatten. Was genau war damals geschehen, dass sie bis in die heutige Zeit geächtet wurden und man von offizieller Seite selbst ihre Existenz abstritt?
Abby wusste, dass ihre Mutter eine Hexe war und dass dieses Erbe in ihr steckte. Sie machte sich erneut auf die Suche nach der Wahrheit.
Und die war so entsetzlich, dass ihr Vater, Sir Roger, alles daransetzte, dass seine Tochter sie nie erfahren sollte ...
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Seitenzahl: 138
Cover
Impressum
Was bisher geschah
Die Erbin der Hexe
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
»Geisterjäger«, »John Sinclair« und »Geisterjäger John Sinclair« sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Timo Wuerz
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-5350-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Die Hauptpersonen dieses Romans sind:
Sir Roger Baldwin-Fitzroy: reicher Unternehmer und Okkultist mit dubioser Vergangenheit
Matilda Silva, spätere Lady Baldwin-Fitzroy: Künstlerin und Circe
Abby: Sir Rogers eigenwillige Tochter
Wynn Blakeston: Gestrandeter aus einer anderen Dimension
Esrath: Sir Rogers dämonischer Butler
Marylyn: Künstlerin im Ripp Tide, Healerin
Funny Frankie: Puppenmann
Norek: Schnabeldämon
Johnny Conolly hat seine Mutter verloren. Sie wurde von einem Schnabeldämon brutal ermordet. Als dieser Dämon durch ein Dimensionstor flieht, folgt Johnny ihm.
Kurz darauf wird das Tor für immer zerstört, sodass es für Johnny keine Möglichkeit zur Rückkehr gibt. Das Dimensionstor spuckt ihn schließlich wieder aus – in einer anderen Welt. Er ist in Dark Land gelandet, genauer gesagt in Twilight City, einer Stadt voller Geheimnisse.
Menschen und Dämonen leben hier mehr oder weniger friedlich zusammen, und doch ist Twilight City voller Gefahren. Die Stadt ist zudem von einem dichten Nebelring umgeben, den kein Einwohner jemals durchbrochen hat. Niemand weiß, was hinter den Grenzen der Stadt lauert …
In dieser unheimlichen Umgebung nennt sich Johnny ab sofort Wynn Blakeston – für den Fall, dass irgendjemand in Twilight City mit seinem Namen John Gerald William Conolly etwas anfangen kann und ihm möglicherweise Übles will. Schließlich wimmelt es hier von Dämonen aller Art – und die hat Wynn in seiner Heimat immer bekämpft.
Wynn findet heraus, dass der Schnabeldämon Norek heißt und skrupelloser und gefährlicher ist als alle seine Artgenossen, die sogenannten Kraak.
Als Wynn wegen eines unglücklichen Zwischenfalls zu einer langen Haftstrafe verurteilt wird, zahlt der geheimnisvolle Sir Roger Baldwin-Fitzroy das Bußgeld und nimmt ihn in bei sich auf – warum, das weiß Wynn nicht.
Er lernt Sir Rogers Tochter Abby und seinen Diener Esrath kennen, die auch in Sir Rogers Villa leben. Er freundet sich mit Abby an, sie wird schon bald zu seiner engsten Vertrauten in dieser mysteriösen Welt.
Was Wynn nicht ahnt: Auch sein geheimnisvoller Gönner hat noch eine Rechnung mit dem Dämon Norek offen. Als es Sir Roger schließlich gelingt, Norek zu schnappen, liefert er den Kraak dem Wissenschaftler Dr. Shelley aus, der gleichzeitig Leiter des Sanatoriums Dead End Asylum im Deepmoor ist. Dieser verpflanzt Noreks Gehirn in einen anderen Körper und sperrt Norek in seinem Sanatorium ein.
Sir Roger aber präsentiert Wynn Noreks toten Körper, sodass der glaubt, der Kraak wäre für immer besiegt.
Doch einen Ausweg aus Dark Land scheint immer noch in weiter Ferne, und Wynn muss sich mit dem Gedanken anfreunden, dass sein Aufenthalt in dieser Welt wohl noch länger andauern wird. Mit Abbys Hilfe hat er inzwischen einen Job beim Twilight Evening Star ergattert, der größten Zeitung von TC. Als man dort erkennt, dass er für Größeres bestimmt ist, steigt er vom Archivar zum Reporter auf.
Und schon bald stellt Wynn fest, dass noch ganz andere Aufgaben in TC auf ihn warten …
Währenddessen ist Abby dem Geheimnis ihrer verstorbenen Mutter ein Stück näher gekommen. Offenbar war diese eine Hexe, und Sir Roger scheint eine düstere Vergangenheit zu haben. Nun fragt Abby sich, ob das Erbe ihrer Mutter auch in ihr schlummert …
Die Erbin der Hexe
(2. Teil)
von Logan Dee
Schon von Weitem sahen sie die Rauchwolken, die über dem Night Palace standen. Esrath hatte die Lüftung des Wagens ausgeschaltet und die Fenster geschlossen, während er sich mit rasender Geschwindigkeit dem brennenden Lichtspielpalast näherte. Er überholte einen Polizeiwagen und wich einem entgegenkommenden Krankentransporter aus.
»Fahr schneller!«, trieb Sir Roger seinen Diener an. »Wir müssen Abby aus dieser Flammenhölle befreien.«
Es klang wie der Ruf eines Verzweifelten.
Esrath nickte. Er wusste, woher diese Verzweiflung kam. Sein Herr hatte selbst den Befehl gegeben, das Kino in Brand zu stecken.
Ohne zu wissen, dass seine Tochter sich in dem riesigen Komplex aufhielt …
Sie war dem Tode geweiht. Vielleicht kamen sie auch viel zu spät. Als der Anruf Sir Roger erreichte, stand das Night Palace schon lichterloh in Flammen.
Wie musste es sich anfühlen, seine eigene Tochter auf dem Gewissen zu haben? Das fragte sich Esrath, und er kannte die Antwort.
Denn auch er fühlte den Schmerz.
Auch er liebte Abby.
Er liebte sie wie seine eigene Tochter. Auch wenn er nie jemandem es gesagt hätte. Seit ihrer Geburt war er an ihrer Seite, er hatte sie auf den Knien geschaukelt und hatte sie aufwachsen gesehen, ihre Jugend miterlebt.
Voller Stolz hatte er sie bewundert, als aus dem Mädchen eine Frau geworden war, die ihrer Mutter ähnlicher sah, als Sir Roger es wahrhaben wollte.
Ja, er war immer Stolz auf Abby gewesen. Wenngleich es kein Vaterstolz war. Es war der Stolz eines Dieners, eines sehr speziellen Dieners, der seinen Teil dazu beigetragen hatte, dass aus Abby das geworden war, was sie war: eine außergewöhnliche Frau.
»Schneller! Fahr schneller!«, drängte Sir Roger erneut von der Rückbank.
Esrath lächelte grimmig in sich hinein. Nein, wenn es um Abby ging, musste ihm niemand sagen, dass er schneller fahren musste.
Er fuhr schnell.
***
Vergangenheit
»Sie ist tot, nicht wahr?«, stammelte er. »Tilda ist tot … Diese Bestien haben sie getötet und unser Kind mitgenommen …«
In den dunklen Augen des Naturalis erkannte Roger die ganze schreckliche Gewissheit.
Doch dann glomm ein weiterer Funke in Esraths Augen auf. Aus der Tiefe schoss er hervor wie ein Komet. Die Augen des Naturalis, die sich sonst kaum in dem erdigen Gesicht abhoben, begannen zu glänzen. Schließlich …
Sie erwachte und wusste zugleich, dass es nur ein Traum war. Doch er war nicht minder schmerzhaft als die Wirklichkeit, in der man ihr das neugeborene Kind entrissen hatte.
Warum? Die Frage blitzte nur kurz in ihr auf. Nein, jetzt war nicht die Zeit, Antworten zu erhalten. Es war die Zeit, die Schmerzen, auch die physischen, zu bewältigen, um nicht wieder in diesen anderen Schlaf zu fallen. Jenen, der traumlos war und aus dem sie nie wieder erwachen würde.
Sie erinnerte sich an ihre Kindheit, ihre Jugend. Dort, bei den weisen Frauen hatte sie gelernt, die ihr angeborenen Kräfte zu lenken. Hexenwerk! Keine schwarze Magie, sondern eine natürliche Magie. Es war lange her, aber sie erinnerte sich vage daran. Wenn nur die Schmerzen nicht wären, die ihre Konzentration wie mit tausend kleinen Nägeln malträtierten und zu zerstören versuchten.
Wer bin ich?
Matilda Fitzroy.
Fitzroy! Diesen Namen hatte sie lange schon nicht mehr benutzt. Nun aber verlieh er ihr Sicherheit. Wie ein Rettungsseil, an das sie sich klammerte.
Fitzroy! Mit dem Namen gelang es auch, sich an andere Dinge zu erinnern. Einmal war sie allein durch den Sumpf gewandert, und ein kleines Tier hatte sie in die Hand gebissen. Sie wusste nicht mehr, was für ein Tier es gewesen war. Aus Angst bestraft zu werden, weil sie sich ohne Erlaubnis so weit entfernt hatte, hatte sie die Verletzung verschwiegen. Aber die Wunde hatte sich entzündet. Nach zwei Stunden war ihre Hand angeschwollen wie ein Ballon. Sie hatte Fieber bekommen und war schließlich in einen unruhigen Schlaf gefallen, während das Gift weiter ihren Körper verseucht hatte. Ihre Mutter hatte sie schließlich aufgefunden und sofort die Heilung eingeleitet …
Die Heilung! Sie musste sich heilen. Die Blutung stoppen. Die Wunde verschließen …
Allmählich wurde die Erinnerung konkreter, kehrten die uralten Beschwörungsformeln zurück in ihr Gedächtnis. Sie versuchte die Lippen zu bewegen, aber es fiel ihr schwer. Manche der Formeln benötigten nur den Gedanken, andere mussten ausgesprochen werden, um ihre Magie zu entfalten.
Doch ihre Lippen blieben verschlossen. Sie hatte keinen Zugang mehr zu ihnen.
Oder doch?
Erneut konzentrierte sie sich darauf zu sprechen.
***
»Was ist los, Esrath! So rede doch!«, schrie Roger, als er die Flammen in den Augen seines Dieners lodern sah.
»Es ist noch ein Lebensfunke in ihr«, erwiderte er. »Obwohl – ich kann es nicht glauben!«
»Tu was, Esrath! Tu alles, was in deiner Macht steht!« Die Verzweiflung in Rogers Stimme zeigte seinen ganzen Schmerz.
»Ich … ich bin mir nicht sicher, Sir, ob ich es darf …«
»Ich befehle es dir, Esrath! Wenn auch nur ein Quäntchen Hoffnung besteht, versuche es!
Sein Blick irrte von Esrath zu Tilda und wieder zurück. Und in dem Moment, als er erneut seine Frau anblickte, sah er es: Ihre Lippen, sie zitterten.
Er stürzte zu ihr, drückte schluchzend seinen Kopf auf ihre Brust, rief immer wieder ihren Namen, bis …
Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Er fuhr herum und sah das dunkle Gesicht Esraths über sich auftauchen. »Treten Sie zur Seite, Sir.«
»Was hast du vor?«
»Den Lebensfunken zum Brennen bringen, Sir. Auch wenn es mich mein Leben kosten mag. Die Magie, die in ihr wirkt, könnte sich als tödlich für mich erweisen.«
»Tu es!«, verlangte Roger erneut. »Wenn sie stirbt, werde ich auch dich töten!«
Esrath seufzte, beugte sich über die fast Tote, deren Sterben auf wundersame Weise zum Stillstand gekommen war. Er drückte seinen Mund auf ihre Lippen, die nun wieder reglos waren.
Roger war zum Zuschauen verdammt. Schweißgebadet sah er den breiten Rücken Esraths vor sich, der ihm den Blick auf Tilda versperrte. Schaudernd wanderte sein Blick zu ihrem blutigen Schoß, der wie eine offene Wunde war. Die Bestien hatten nicht nur Tilda auf dem Gewissen, sondern auch seine frischgeborene Tochter geraubt.
Er ballte die Fäuste, fühlte sich hilflos und leer. Seine Macht war so plötzlich zerbrochen wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Wie ein Gewittersturm waren die Hexen über Baldwin Hall gekommen und hatten innerhalb weniger Minuten alles zerstört, was ihm etwas bedeutete. Tilda. Abby. Wenn er es gekonnt hätte, so hätte er sich am liebsten geteilt: in eine Hälfte, die hier zitternd wachte, und in die andere, die den Hexen nacheilte und ihnen das Neugeborene entreißen würde. Doch das war …
Wunschdenken. Nichts mehr als Wunschdenken.
Jetzt ging es um Tilda. Allein um sie! Er versuchte, seine rasenden Gedanken zu bremsen, sich wieder ganz auf Esrath und Tilda zu konzentrieren. Der Naturalis wirkte in seiner gebeugten Pose wie erstarrt. Irrte sich Roger, oder war da noch eine andere Gestalt neben ihm? Ein hochaufgerichteter schwarzer Schatten, der im Gegensatz zu den vielen anderen von den Kerzenflammen erzeugten Schatten im Zimmer nicht flackerte, sondern ebenso reglos war wie der Diener.
Doch noch während Roger sich stirnrunzelnd fragte, ob er ihn sich nicht doch nur einbildete, veränderten sich die Umrisse des Schattens. Es war eine Frau! Eindeutig! Die Konturen wurden konkreter, doch die Schwärze darin blieb.
Eine Hexe! Roger war sich plötzlich sicher. Eine der Hexen war zurückgekehrt, um sich zu vergewissern, dass der Mord an Tilda geglückt war. Vielleicht hatte sie auch den Lebensfunken in Tilda gespürt und wollte nun ihr Werk vollenden.
Mit einem Schrei, der tief aus der Kehle kam und eher an ein Raubtier als einen Menschen erinnerte, sprang Roger auf den Schatten los.
Als er ihn erreichte und seine Hände nach dessen Hals fassten, griffen sie ins Leere. Nein, es war vielmehr, als würde er in eine watteartige Masse packen, die sich ihm entzog, kaum, dass er sie berührte.
Der Schatten stieß ein unwirsches Knurren aus – wie ein wilder Hund – und ehe Roger überhaupt begriff, was mit ihm geschah, erhielt er einen Schlag, der ihn wie ein Blitz durchfuhr und ihn zurückschleuderte.
Hilflos wie ein Käfer lag er auf dem Boden, war paralysiert und musste mit ansehen, wie der Schatten nun um den noch immer regungslosen Esrath herumging und sich ebenfalls über Tilda beugte. Mehr noch, wie er mit seiner Frau verschmolz und schließlich in ihr verschwunden war.
***
Wer war dieses Wesen, das ihren Lebensfunken anblies und stärker entfachte? Dann erinnerte sie sich: Esrath! Sie sah ihn nicht, aber sie spürte ihn. Spürte seine Kraft, diese ganz andere Art von Magie, die ihr selbst fremd war und von der sie nicht wusste, ob sie für sie geschaffen war.
Aber noch tat es gut, sie klammerte sich daran wie eine Ertrinkende. Sein Atem drang tiefer in sie ein, durchströmte ihren ganzen Körper wie ein warmer Windhauch, suchte nach weiteren Lebensfunken in ihr, während sie selbst weiter unaufhörlich ihre eigene Magie wirken ließ.
Ein Teil ihres Geistes trennte sich von ihrem Körper, ließ die Schmerzen zurück und machte sich auf die Reise, durchstieß die Mauern von Baldwin Hall und raste mit dem Wind, der genauso unsichtbar war wie ihr Geist, Richtung Witchmoor. Dort, irgendwo tief verborgen im Sumpf, lag ihre Heimat. Dort lag ihre Mutter begraben, deren Erbe sie in sich trug.
Norna!
Plötzlich spürte sie ihre Präsenz. Mochte sie auch schon mehre Jahre tot sein, ihr Geist war noch immer da, schwebte noch immer über ihrem Grab und würde erst nach Jahrhunderten völlig zur Ruhe kommen.
Hat dich wieder ein Tier gebissen, kleine Tilda.
»Nein, Mutter Norna, es war kein Tier, und ich bin auch nicht mehr klein.«
Sie vernahm Nornas Seufzen. Ach ja, ich vergaß. Die Zeit …
»Ich brauche deine Hilfe, Mutter. Ich liege im Sterben!«
Sterben müssen wir alle einmal. Der Tod ist nicht endgültig, wie du weißt.
»Aber ich will noch nicht sterben! Ich habe ein Kind geboren, ein Mädchen! Ich will es wiederhaben und es aufwachsen sehen, Mutter. Ich will es großziehen und es lehren, so wie du mich großgezogen hast! Nur dazu muss ich am Leben bleiben!«
Sie öffnete ihren Geist und ließ ihre Mutter an ihren jüngsten Erinnerungen teilhaben.
Oh ja, jetzt fällt es mir ein. Ich habe davon gehört, dass sie dein kleines Mädchen wollten. Es ist bei ihnen besser aufgehoben. Sie werden es erziehen.
»Sie haben nicht das Recht dazu!«, schrie Tilda verzweifelt. »Es ist mein Kind. Und Rogers!«
Ich kenne diesen Roger nicht, aber ich weiß, dass das Recht auf ihrer Seite ist. Du hast dich entschieden, fortzugehen. So wie viele der Jüngeren glauben, jenseits von Witchmoor ein besseres Leben führen zu können. Es lockt sie der falsche Glanz von Twilight City, die verlogenen Versprechungen der Großstadt, billiges Vergnügen …
»Darum geht es jetzt nicht Mutter! Es war mein Recht, mein eigenes Leben zu führen!«
Aber du hast nicht das Recht, auch über deine Tochter zu bestimmen. Sie soll selbst entscheiden können, wenn sie alt genug ist!
»Sie kann es immer noch! Aber ich werde sie großziehen! Ich werde sie lehren!
Warum sollte ich dir helfen und Verrat an meinen Schwestern begehen? Sag mir nur einen Grund.
»Weil du meine Mutter bist. Du bist Norna.«
***
Roger versuchte gegen die Starre, die ihn erfasst hatte, anzukämpfen, doch die Magie, die es bewirkte, war zu stark. Er sah, wie durch Esraths Körper ein Zittern ging.
Die Magie, die in ihr wirkt, könnte sich als tödlich für mich erweisen …
Der Naturalis zuckte wie unter unsichtbaren Schlägen zusammen. Ein tiefes Stöhnen entrang sich seiner Kehle, obwohl sein Mund noch immer Tildas Lippen berührte. Es war, als wären sie miteinander verwachsen.
Er schafft es nicht. Er ist zu schwach! Oder die Hexe, die in Tildas Körper gefahren ist, vertreibt ihn …
Roger bäumte sich auf, aber es war vergeblich.
So konnte er nur weiter hilflos mit ansehen, wie Esrath sich wie unter Schmerzen wand und sich dennoch nicht von Tilda lösen konnte.
***
Norna! Sie war in ihr. Sie spürte sie in ihren Adern, in ihrem Blut, in ihrem ganzen Innern.
Wer ist er?, hörte sie Norna zornig fragen.
»Du meinst Esrath. Er ist ein Naturalis. Er hilft mir so wie du.«
Seine und unsere Magie verträgt sich nicht. Er wird dich vergiften! Wir müssen ihn töten!
»Nein! Nein, nicht töten!«
Also schön, ich werde ihn nur abstoßen.
Tilda schrie auf – ein stummer Schrei, der nur in ihrem Geist widerhallte. Sie spürte Esraths Schmerzen wie ihre eigenen. Noch schlimmer aber war, dass die Lebensfunken, die er in ihr zum Entflammen gebracht hatte, mit seinem Entschwinden erneut verloschen. Es war, als würde auch sie langsam wieder in jene Dunkelheit zurückfallen, in der sie zuvor geschwebt hatte.
Ich sterbe erneut!
***
Esrath zuckte wie unter einem epileptischen Anfall. Rauch stieg aus seiner Kleidung, als würde sein Inneres gekocht werden. Das Schlimmste waren jedoch die Schreie. Noch nie hatte Roger ein Wesen derartige Töne ausstoßen hören.