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Die hier gebotenen, zu einer neuen Einheit verschmolzenen Auszüge entstammen zum großen Teil den größeren und kleineren Werken Friedrich Naumanns aus den Jahren 1895-1913. Die Themen: Von den politischen Dingen – Monarchie und Demokratie – Liberalismus – Von der Wirtschaft, der Technik und den Menschen – Arbeit – Lohnarbeit – Wohnen – Frauen – Menschenrechte des Angestellten und Arbeiters - Sozialismus – Kapitalismus – Deutschland nach der Vollendung der Entdeckungen – Deutschland und der Weltfrieden. – Rezession: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechslungsreiche Themen aus verschiedenen Zeit-Epochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlicht hat. Alle Achtung!
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Seitenzahl: 354
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Friedrich Naumann
Das blaue Buch von Vaterland und Freiheit – Band 199e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski
Band 199e in der gelben Buchreihe
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort des Herausgebers
Der Autor Friedrich Naumann
Vorbemerkungen des damaligen Herausgebers
Friedrich Naumann: Das Blaue Buch von Vaterland und Freiheit
Erster Teil: Von den politischen Dingen
Monarchie und Demokratie
Liberalismus
Zweiter Teil: Von der Wirtschaft, der Technik und den Menschen
Arbeit
Lohnarbeit
Wohnen
Frauen
Menschenrechte des Angestellten und Arbeiters
Sozialismus – Kapitalismus
Deutschland nach der Vollendung der Entdeckungen
Deutschland und der Weltfrieden
Die maritime gelbe Buchreihe
Weitere Informationen
Impressum neobooks
Vorwort des Herausgebers
Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche.
Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.
Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leser-Reaktionen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „Seemannsschicksale“ weitere.
Ich studierte Anfang der 1959er Jahre im Rauhen Haus in Hamburg. Dort war Friedrich Naumann zu Johann Wicherns Zeit als „Oberhelfer“ tätig gewesen. Theodor Heuss, der erste Bundespräsident der jungen Bundesrepublik Deutschland hatte sich bereits als Schüler politisch an dem ehemaligen protestantischen Pfarrer Friedrich Naumann orientiert. Daher besuchte er kurz nach seiner Wahl das Rauhe Haus.
Hamburg, 2022 Jürgen Ruszkowski
Ruhestands-Arbeitsplatz
Hier entstehen die Bücher und Webseiten des Herausgebers
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Der Autor Friedrich Naumann
https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/naumann.html
Friedrich Naumann (* 25. März 1860 in Störmthal, heute Teil von Großpösna bei Leipzig; † 24. August 1919 in Travemünde) war evangelischer Theologe, liberaler Politiker zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs, Mitbegründer des Deutschen Werkbunds und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Nach ihm ist die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit benannt.
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Vorbemerkungen des damaligen Herausgebers
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Die hier gebotenen, zu einer neuen Einheit verschmolzenen Auszüge entstammen zum großen Teil den am Schluss angezeigten, im Verlag Georg Reimer in Berlin beheimateten größeren und kleineren Werken Friedrich Naumanns. Daneben ist ein nicht viel kleinerer Teil dem 1. bis 19. Jahrgang [1895-1913] der Naumann'schen Zeitschrift „Die Hilfe“ und den bisherigen Bänden des Naumann'schen Jahrbuchs „Patria“ entnommen sowie Beiträgen Naumanns in anderen Zeitschriften und Zeitungen. Einige wenige Abschnitte stammen aus den Andachten der „ Gotteshilfe.“ [Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen. – Gesamtausgabe und wohlfeile Einzelbändchen.] Kleine sprachliche Abweichungen vom Originalwortlaut wurden an einigen Stellen nötig und sind sämtlich von Friedrich Naumann genehmigt. Der herausgebende Verleger hofft durch die vorliegenden Auszüge zur Lektüre der Hauptwerke Naumanns anzuregen. Wer mit dem, was Naumann der Zeit zu geben hat, in dauernder Verbindung bleiben will, wird die genannte wohlfeile Wochenschrift „Die Hilfe“ zu abonnieren gut tun. Probenummern durch die Buchhandlungen.
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Friedrich Naumann: Das Blaue Buch von Vaterland und Freiheit
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Friedrich Naumann
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Das Blaue Buch von Vaterland und Freiheit
https://www.projekt-gutenberg.org/naumann/blaubuch/blaubuch.html
Auszüge aus seinen Werken
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Erster Teil: Von den politischen Dingen
Es ist ein geringes Vergnügen, Bücher zu lesen, in denen das Wesen des Staates erörtert wird. Nicht als ob diese Bücher dumm wären, nein, sie sind zu gescheit! Sie wollen nämlich eine Begriffsbestimmung suchen, die für alle Staaten aller Zeiten und Völker passt. Das aber gelingt nicht, denn der Staat ist ein Chamäleon, ein Proteus, ein verwandelbares Tier. Er sieht in den verschiedenen geschichtlichen Lagen so verschieden aus, dass man kaum noch weiß, ob er es selber ist. Er vergleicht sich einem Geschäft, das in Galanteriewaren anfing, zu Spezereiwaren überging und schließlich als Spezialgeschäft für Südfrüchte endigte, und das dabei gelegentlich seine Räume, Personal und Inhaber vollständig wechselte. Was ist das Wesen dieses Geschäftes? Schlechterdings nichts anderes als die Kontinuität des Hauptbuches und der Umstand, dass jede folgende Gestaltung sich langsam und aus natürlichem Wege aus der vorhergehenden herausgeschält hat. Alles kann sich ändern, alles, und das „Wesen“ bleibt doch dasselbe! Es bleibt, wenn man so sagen darf, das unsichtbare Ich, das stets seine alten Erfahrungen und Kräfte benutzt, um anders zu werden. Dieses Staats-Ich mit Logik und Dialektik verfolgen zu wollen, ist eine Jagd nach einem Eber, der die Kraft hat, gelegentlich ein Hirsch zu sein.
Vielleicht aber hilft uns doch das Wort etwas weiter, das wir eben vergleichsweise brauchten, das Wort „Geschäft“? Wir wollen versuchen, den Erwerbstrieb als das Wesen des Staates zu betrachten. Das ist sicher keine allseitige Betrachtung, aber sie ermöglicht einigermaßen, die Wandlungen in Subjekt, Objekt, Umfang und Qualität der Staatstätigkeit zu charakterisieren. Und zwar verzichten wir darauf, die Staatsgebilde ferner Vorzeit und anderer Zonen unter diesem Gesichtswinkel anzusehen, obwohl auch dieses nicht ganz unmöglich sein würde, und setzen dort ein, wo der „moderne Staat“ in Deutschland sich bildet, beim Territorialstaat des 16., 17. und 18. Jahrhunderts.
Der Vorgang ist dieser: Unter der Hülle des absterbenden alten Staates des heiligen römischen Reiches deutscher Nation entstehen von unten her zahlreiche neue Staaten, die Landesherrschaften.
Napoleon Bonaparte, als Kaiser Napoleon I. (bzw. „Napoléon I“; * 15. August 1769 in Ajaccio auf Korsika als Napoleone Buonaparte; † 5. Mai 1821 in Longwood House auf St. Helena im Südatlantik), war ein französischer General, revolutionärer Diktator und Kaiser der Franzosen.
Der Trieb zur Staatenbildung ist sehr lebendig, die jungen Staaten sind aber noch nicht fest, teilen sich, verbinden sich, gehen wechselnde Kombinationen ein, bis die sehr gemischte Gesellschaft von Souveränitäten entsteht, die auf Napoleons Besen wartet.
Süddeutschland war der eigentliche Herd dieser Art von Staatenbildung, die größeren Vorbilder aber lagen draußen: Frankreich, Preußen und in gewissem Sinne Österreich. Diese Art von Staaten ist es, die in scharfer Weise als Erwerbsgeschäfte bezeichnet werden können, denn sie sind fürstliche Privatunternehmen zur Mehrung der Einkünfte. Die Grundlage dieser Art von Staat ist die alte Organisation der Arbeit, dass nämlich die Arbeit in den meisten Fällen ein abgabepflichtiger Herrschaftsdienst ist. Insbesondere die bäuerliche Arbeit trug diesen Charakter. Sie war rechts und links mit Abgabepflichten behangen. Diese ungeordneten Abgaben in bestimmte Kanäle zu leiten, sie zu zentralisieren und zu vermehren, war der Zweck der Territorialherrschaft. Deshalb wollte man Untertanen haben, um Einnahmen zu haben. Man macht sich heute kaum mehr eine Vorstellung, wie Untertanen verhandelt wurden. Die Fürstenzusammenkünfte waren Börsen von Steuermöglichkeiten. Nicht das fragte man, ob die Untertanen zusammenpassten, ob sie in Konfession, Sitte, Produktionsweise sich glichen, nicht ob sie Deutsch, Polnisch, Italienisch, Französisch sprachen, nicht, ob sie in der Ebene wohnten oder in den Bergen, sondern nur: was sie leisten konnten, das will sagen: welchen Mehrwert der Fürst vom Ertrag ihrer Arbeit abheben konnte. Diese Art Staatsverwaltung ist das oberste kapitalistische Großgeschäft im alten Deutschland.
Mitteleuropa 1789 – Urheber: ziegelbrenner
Der Rohstoff, das Objekt der Tätigkeit, war also der Untertan. Das Mittel zur Bearbeitung des Stoffes waren Beamtenschaft und Heer. Die ganz kleinen Unternehmer des Monarchengeschäftes konnten sich meist von diesen Arbeitsmitteln nur das erste leisten und mussten sich sonst auf den Schutz kaiserlicher Majestät und die moralische Macht des Reichsgerichtes verlassen. Das waren sozusagen die maschinenlosen Betriebe. Von ihnen brauchen wir nicht zu sprechen; denn sie sind im Laufe der Zeit und zuletzt 1803 fast alle verschluckt worden. Die weitere Entwicklung setzt nicht bei diesen hilflosen Zwergbetrieben ein, sondern bei den Staaten mit Soldaten, bei den Staaten, welche imstande waren, Erbfolgekriege zu führen, denn der Erbfolgekrieg ist der charakteristische Krieg dieser Epoche. Er ist der reine Erwerbskrieg an sich. Das Subjekt des Krieges ist nicht die Summe der Untertanen, denn für diese machte es gar nichts aus, ob ihr gnädiger Herr noch im Lothringischen oder sonst wo einige Ämter mehr besaß, das Subjekt des Krieges ist der Fürst, oder, noch präziser gesagt, die fürstliche Kammer. Diese Kammer kaufte sich mit dem Ertrag des bisherigen Bestandes von Untertanen eine militärische Maschine zur Herbeischaffung neuer Untertanen, das heißt: sie kapitalisierte den Gewinn im eigenen Geschäft. Soldaten und Untertanen haben in diesem ersten Stadium des modernen Staates nichts miteinander zu tun. Der Fürst nimmt absichtlich nicht seine Landeskinder zu Soldaten, da ja die Landeskinder die Herde sind, von deren Wolle er leben will. Nur wenn er in den fremden Gebieten nicht genug Soldaten auftreiben konnte, musste er die Söhne seiner eigenen Bauern in die Uniform stecken.
Das aber ist für die ganze Geschichte des Staates ein sehr wichtiger Vorgang, denn aus der Identität von Untertan und Soldat entsteht der Staatsbürger.
Im Allgemeinen liegt dieser Vorgang im 18. Jahrhundert und vollendet sich im 19. Jahrhundert. Die Veränderung ist folgende: Während vorher der Soldatendienst eine bezahlte Lohnarbeit war, man kann sagen die erste Lohnarbeit großen Stils, so verwandelte er sich in eine Abgabenpflicht oder vielmehr Leistungspflicht der Untertanen. Damit wurde das Heer relativ billiger, konnte deshalb entsprechend vergrößert werden, aber die Belastung des Untertanen stieg, seine Weltabgeschlossenheit verminderte sich, und vor allem der Fürst wurde nun von der Tapferkeit und Hingabe derer abhängig, deren Ausbeutung sein bisheriges Geschäft war und nach Lage der Dinge bleiben musste. Aus dieser neuen Kombination von Untertan und Soldat erwachsen oder durch sie vermehren sich folgende Tendenzen:
Der Fürst sucht den Druck seiner Untertanen zu vermindern und wird ein wohlwollender Monarch. Da er aber nach wie vor viel Geld braucht, so muss er das Geld kaufmännisch zu erwerben suchen. Damit entsteht die für das Volk sorgende merkantilistische Monarchie, die durch Grenzzölle, Ausfuhrverbote, Gewerbesubventionen, Kolonisationen, Entwässerungen, Lohnregulierungen, Berufszwang, Staatsfabriken und ähnliches den Gesamtertrag der Gebietswirtschaft zu heben sucht. In diesem Stadium wird der Geschäftscharakter des Monarchismus am deutlichsten, aber gleichzeitig verschiebt sich das Unternehmerverhältnis, denn von nun an sagt der Fürst nicht mehr: ich arbeite für mich! sondern: ich arbeite für euch, ich bin der erste Diener meines Staates! Zugegeben, dass dieses Wort „ich arbeite für euch“ zunächst Phrase war, so kommt es doch öfters vor, dass Phrasen bei längerem Gebrauch zu Wahrheiten werden, einfach weil sie geglaubt werden. In diesem Fall wird die Phrase zuerst vom Fürsten geglaubt, bei dem sich ein landesväterliches Pflichtgefühl entwickelt, das je nach Temperament und Seelenumfang der Fürsten sehr verschieden war, das aber doch das alte, selbstsichere Unternehmertum innerlich untergrub. Erst nachdem die Fürsten dieses „für euch“ zu glauben angefangen hatten, ging es langsam auch dem Untertanen auf „für uns!“ Das aber war ein viel tieferer Vorgang als der Fürst ihn gewollt und erwartet hatte. Er wollte den „dankbaren“ Untertanen, der aus Dankbarkeit ein guter Steuerzahler und Soldat ist, gerade wie heute die wohlwollenden Großindustriellen den dankbaren Arbeiter wollen. Der Untertan aber nahm mehr als diesen kleinen Finger, er nahm die ganze Hand: wenn die Staatsarbeit für mich geleistet werden muss, dann bin ich ja das Subjekt des ganzen Geschäftes, der Auftraggeber, und der erste Diener des Staates ist dann mein Beauftragter! Kurz, es wurde strittig, wer Subjekt des Unternehmens sei, und die Streite in England und Frankreich erleichterten es den deutschen Untertanen, den schwierigen Umdenkungsprozess zu vollziehen.
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Die alten Monarchen des 17., 18. und auch noch des 19. Jahrhunderts waren sozusagen Großgrundbesitzer erster Klasse. Sie waren vergrößerte Gutsherren, die sich eine Militärmacht zugelegt und damit das Besteuerungsrecht über ein Landgebiet erzwungen hatten. Ihre Gegner waren nicht in der Tiefe des Volkes zu finden, denn dort wusste man es nicht anders, als dass man von irgendeiner Herrschaft besteuert und beschützt wurde, und es konnte sich in jedem einzelnen Fall nur darum handeln, welche von den vielen Herrschaften es gerade war. Die Gegner der Monarchen waren die Nächstgrößten, die beinahe stark genug waren, selber Monarchen zu sein. Diese zweifelten nicht daran, dass es Monarchen geben müsse (das kam nur in Reichsstädten und Hansestädten vor), sondern nur daran, ob der zufällige Inhaber der Monarchie beseitigt werden könne oder nicht. Das Prinzip als solches stand fest, denn dieses Prinzip war überall vertreten. Überall wurde persönlich regiert, auf dem Bauernhof, im Handwerk, auf dem Rittergut. Die Rechte des väterlichen Regiments waren im Einzelnen vielfach umstritten, im Ganzen aber felsenfest. Herrschaft muss sein! Das hieß damals: ein Herrscher muss sein. Dass das Herrschen eine Gemeinschaftsarbeit sein könne, sozusagen genossenschaftlich, kollegialisch betrieben werden könne, konnte einer Zeit nicht in den Sinn kommen, die so wenig genossenschaftliche Erfahrungen überhaupt besaß. Nur in den Städten gab es freies gemeinschaftliches Handeln, was aber bedeuteten noch vor hundert Jahren in Deutschland die Städte? Das Agrarland Deutschland war monarchisch bis auf die Knochen, mochten seine Monarchen schlecht oder gut sein, weil es voll war von hunderttausend kleinen und kleinsten Monarchen, die selber Herren sein wollten, und sei es auch nur über eine Frau und zwei Knechte.
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Einstmals bestand das monarchische Problem Deutschlands in der Menge der Monarchen, heute besteht es darin, dass wir im Grunde nur einen Monarchen haben.
Seine Majestät, der deutsche Kaiser Wilhelm II.
Die Fürsten der Einzelstaaten werden geachtet, sind aber kein Gegenstand politischen Streites mehr. Im Allgemeinen schätzt man sie als Gegengewichte gegen Berlin, und selbst sehr unmonarchisch gesinnte Kreise würden nicht ohne weiteres ein volles Verschwinden der Nachkommen der einstmals lebhaft bekämpften „Tyrannen“ wünschen, weil die kleineren Monarchen irgendwie mit zu Seiner Majestät allergetreuester Opposition gehören. Sie haben Teil an den Resten des alten Monarchismus, aber nicht an den Anfängen des neuen. Der neue Monarchismus sitzt bei uns allein im Kaisertum.
Wenn wir uns denken könnten, wir hätten einen Kaiser, der nicht vorher König von Preußen wäre, so würde dieser Kaiser eine völlig neuzeitliche Erscheinung sein, ein Herrscher ohne langen Geschichtshintergrund, der Überwinder der Altertümlichkeiten, ein Präsident des Deutschtums ohne Ahnen. Einen solchen suchte die linke Hälfte des Frankfurter Parlaments in der Paulskirche, indem sie dem Gedanken des Erbkaisers den des Wahlkaisers gegenüberstellte. Auch Ludwig Uhland wollte den Wahlkaiser, der gesalbt sei mit dem Tropfen demokratischen Öles. Wie fein haben jene Männer empfunden, dass wir im Grunde ein freies, traditionsloses Volkshaupt brauchen! Aber freilich, aus solchen Empfindungen allein wird nie Geschichte gewoben.
Johann Ludwig „Louis“ Uhland (* 26. April 1787 in Tübingen; † 13. November 1862 ebenda) war ein deutscher Dichter, Literaturwissenschaftler, Jurist und Politiker. Er hat bedeutende Beiträge zur Mediävistik geleistet, der Erforschung des Mittelalters, und war Abgeordneter im ersten gesamtdeutschen Parlament, der Frankfurter Nationalversammlung.
Paulskirche 1848
Der gedachte Kaiser entstand nicht, weil zur Überwindung der damals noch vorhandenen vielen alten Monarchen Kanonen gehörten, die ein gedachter oder gewählter Kaiser nicht hat. Der „Erbkaiser“ trat auf die Bühne, und zwar nicht damals, als die Frankfurter wollten, sondern später, als er selbst oder vielmehr sein Kanzler es wollte. Auf dem Schlachtfeld von Königgrätz entstand der preußisch-deutsche Imperialismus.
Im Getöse und Blut von Königgrätz vollzog sich zweierlei: der Sieg des Königs von Preußen über den bürgerlichen Liberalismus, und der Sieg des kommenden Kaisers über die vorhandenen Monarchen.
Schlachtfeld von Königgrätz
Die Batterie der Toten
Darin, dass diese beiden Vorgänge zusammenfielen, liegt unser politisches Schicksal, liegt auch das Schicksal der hohenzollernschen Kaiser.
Wilhelm I. trifft während der Schlacht auf den Kronprinzen
Sie haben zwei Gesichter, ein preußisches und ein deutsches, ein altmonarchisches und ein neumonarchisches. Deshalb ist ihre Lage eine viel verwickeltere als etwa die des englischen Königs oder des amerikanischen Präsidenten. Überall steht bei uns um den Kaiser herum eine Vergangenheit, die alles andere ist, nur nicht modern imperialistisch. So oft er sich unterzeichnet I. R. (imperator, rex), zeichnet er als Bewohner zweier Welten.
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Es muss in der neuen Zeit etwas sein, was zur Großmonarchie hindrängt.
An sich erscheint die neue Zeit als eine starke Demokratisierung oder Vergesellschaftung des Lebens. Der Begriff des Monarchen im gewöhnlichen Leben wird unsicherer. Was ist in den städtischen Familien die Vatergewalt über heranwachsende Kinder? Was ist Mannesgewalt über die Frau? Wo ist noch ein Herrenverhältnis zum gewerblichen und häuslichen Gesinde? Jetzt ist fast jedes Dienstmädchen Fräulein und jeder Knecht ein kleiner Herr. An Stelle der Herrschaftsrechte treten kündbare Verträge, und niemand kann mit vollgeblasenen Segeln durch die Welt fahren: seht, seht, hier komme ich! Alle stehen unter der Kontrolle der Öffentlichkeit, gehorchen derselben Obrigkeit, lesen dieselben Zeitungen, verschwinden in einer Menge, in der es kein Monarchentum mehr gibt. Die neue Zeit bringt allgemeine Schulpflicht, allgemeine Wehrpflicht, Einordnung in hundert Verbände, Kassen, Vereine. Jeder Mensch sagt zu seinem Vordermann: weshalb sollte ich dich höher achten als mich? Die Masse steht auf und zieht einen Volksteil nach dem anderen in sich hinein, bis es nichts mehr gibt als eine einzige Flut von Menschen oder Bürgern ohne Namen. Die Nation hat noch einen Namen, der Beruf lebt, aber der Einzelmensch ist Molekül im Eisenguss geworden, Zelle im Organismus. In dieser Demokratisierung der Menschen liegt die besondere Größe und Leistung gerade unserer Zeit: Massenverkehr, Massenhandel, große Industrie und große Heere. Der Mensch wird zu großen Formen zusammengeknetet wie niemals früher. Dabei zerbrechen die kleinen Monarchen, die Monarchen der Werkstatt und der Ortsgemeinde, dabei zerbrechen auch etliche Großherzöge und werden still, aber – – das ist das Merkwürdige, dass die Mechanisierung und Demokratisierung der Gesellschaft aus sich heraus neue Könige erzeugt.
Auf allen Gebieten des modernen Lebens heben sich einzelne Köpfe heraus, die weit mehr bedeuten, als es früher bei engeren Verhältnissen überhaupt möglich war. Je gleichförmiger die Durchschnittsbedingungen des Daseins werden, desto ungeahnter wird die Kraft dessen, der die Durchschnittsbedingungen zu regeln hat. Über Hunderttausenden von Bergleuten und Metallarbeitern, über einem Heer von Unterbeamten und Oberbeamten, über einem Apparat, in dem die Millionen auf- und absteigen, walten einige direktoriale Köpfe. Man braucht nur an Kohle zu denken, so weiß man etliche Namen, an Schifffahrt, so nennt man etliche Männer. Man denkt an das Bankwesen, es hat seine Könige, an die Elektrizität, sie besitzt ihre Herren. Mit jedem neuen Syndikat entsteht ein neuer Herzog, mit jedem Großhandelsartikel entstehen neue Gewaltige. Die Grundform des neuen Wirtschaftslebens ist die Zusammendrängung der Oberleitung in wenige Hände. Wohl selten hat ein Zeitalter den Vorgang der Entstehung von Herrschaften so handgreiflich erlebt als das unserige. Es ist demokratisch und monarchisch zugleich. Die Technik drängt zur Einheit und die Einheit zur Einheitsleitung.
Auch im Leben der arbeitenden Masse waltet dasselbe Gesetz. Solange die Arbeiterverbände klein und hilflos sind, gilt in ihnen ein Genosse fast so viel wie ein anderer, sobald sie aber breit und verantwortungsvoll werden, sind es einige Männer, die ganz von selbst über alle anderen herauswachsen und für sich allein mehr wirkliche Macht besitzen als zehntausend Vereinzelte. Ein Führer einer großen Gewerkschaft ist auf seinem sozialen Gebiete ein Herr über Krieg und Frieden. Er kann nicht willkürlich schalten und walten, aber das haben auch die Fürsten niemals wirklich gekonnt, er ist wie sie von denen abhängig, deren Angelegenheiten er verwaltet, aber in seinem Kopf reifen die letzten Entschlüsse und entstehen die Pläne des nächsten Jahres. Auch große demokratische Parteien schaffen sich von selbst ihre Oberhäupter, ihre Diktatoren, die zwar keine geschriebenen Königsrechte besitzen, aber deren Wille durch hunderttausende weiterrollt. Und je länger die moderne Entwicklung andauert, je größer die Verbände sowohl der Industrien wie der Banken, des Handels und der Arbeiterschaft werden, desto klarer wird auch der monarchische Zug heraustreten, der in dem allen mit enthalten ist.
Die Zauberworte der Modernität sind Großbetrieb, Organisation, Disziplin. Dass in dieser allgemeinen Richtung sehr große Gefahren für das Menschentum liegen, ist zweifellos richtig; an dieser Stelle beschäftigt uns aber nur die Tatsache des allgemeinen Zuges zum Großbetriebe, weil er die Grundlage für die Erneuerung des Einflusses der obersten Monarchen geworden ist. Eine Zeit, die auf allen Gebieten Herrschaftspersonen über die Masse heraufsteigen sieht, Organisatoren großen Stils, hat eben dadurch eine gewisse Offenheit für einen Mann an der Spitze des Staates, ob er nun Präsident heißt oder Kaiser, ob er gewählt wird oder geboren, ob er Ahnen hat oder nicht. Man schaut zu ihm auf wie zu den anderen Größen der industriellen Massenentwicklung, und da er von vornherein schon eine hohe Macht fertig mitbringt, so stellt sich die Öffentlichkeit selber in seinen Dienst. Von ihm reden die Zeitungen, sein Bild hängt an jeder dritten Wand, seine Worte werden telegraphiert, und auch das wird für beachtlich gehalten, was er über Nebendinge äußert. Dieselbe moderne Tendenz, die einige große Dichter und Schriftsteller zu Weltberühmtheiten macht und die den Ruhm eines Musikers von Odessa bis San Franzisko verbreitet, hilft mit Vorliebe denen, die noch mehr zu gestalten haben als nur Theaterspiele und Konzerte. Sobald sie es nur einigermaßen verstehen, sich fotografieren zu lassen, werden sie sofort von aller Welt fotografiert. Einst gab es eine gewisse kleinbürgerliche Gesinnung, die aus einer Art ehrlichen Bürgertrotzes von Hof und Hofgeschmeiß nichts wissen wollte. Diese Gesinnung wurde leider je länger desto mehr von einer anderen Art des Denkens verschlungen: die Menschheit will Repräsentanten haben, Signalpersonen, Präsidenten, mögen diese nun Bebel heißen oder Tolstoi, Ballin oder Kirdorf, Mendelssohn oder Kanitz, Röntgen oder Zeppelin, Roosevelt oder Wilhelm II.
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Wie aber arbeitet eigentlich der Monarch? Wir stellen diese Frage nicht in der Weise des neugierigen Zeitungsreporters, der wissen will, wann der Kaiser früh aufsteht, wann er ausreitet, wie oft er sich umkleidet, wie viele Unterschriften er leistet und wie viele Hasen er auf der Hofjagd schießt. Alles das ist uns nebensächlich. Die Frage, die uns beschäftigt, ist die, ob es nicht überhaupt und an sich eine große Illusion ist, dass ein einzelner Mensch so große Aufgaben übernimmt, wie im modernen Begriff der Monarchie liegen. Auch ein sehr begabter Monarch kann doch schließlich nur eine begrenzte Zahl von Dingen wirklich wissen, um aber regieren zu können, muss man wissen.
Zweifellos ist gerade beim gegenwärtigen deutschen Kaiser die Fähigkeit, sich schnell in allerlei Dinge hineinzufinden, sehr ausgebildet, aber selbst wenn sie größer wäre als bei irgendeinem anderen sterblichen Menschen, so kann er nur einige Prozent von dem wirklich wissen, was in sein Arbeitsgebiet gehört. Er muss für sich denken und arbeiten lassen und bleibt als Einzelmensch sozusagen nur die innerste Stelle des Apparats, der von außen her Monarch genannt wird. Alles wird ihm verarbeitet und nur in seinen letzten Stadien vorgetragen, und es gehört Kunst dazu, die Speise der Wirklichkeiten für ihn zuzubereiten. Wir wollen damit nicht sagen, dass ihm Falsches vorgetragen wird, aber es liegt in der Natur der Sache, dass er für breite Darlegungen weder Zeit noch Nerven übrig hat. Er bekommt Zeichnungen in äußerster Verkürzung, letzte Reduzierungen komplizierter Dinge. Was wird er beispielsweise von den Einzelheiten des Zolltarifs gewusst haben? Was kann er von den Einzelheiten des bürgerlichen Gesetzbuches wissen? Wie weit kennt er die Akten der auswärtigen Politik? Was weiß er morgen noch von den Personen, die er heute empfangen musste? Alles fliegt in fabelhaftem Wirbel an einem einzigen Kopf vorbei: Weltpolitik, Familiensorgen, Schiffskonstruktionen, babylonische Altertümer, päpstliche Wünsche, Divisionsmanöver, Einweihung eines Standbildes, Gerichtsverhandlungen gegen hohen Adel, Militärgerichte, Wechsel im Gesandtschaftspersonal, neue Uniformen, Sozialpolitik, Geldfragen der Hausverwaltung, Literatur, Todesfälle, Reichsfinanzen, Mädchenschulreform, landwirtschaftliche Ausstellung, Reibung im Ministerium, Brief aus Petersburg, bulgarische Wünsche, Hochzeit, Einladung, Eisenbahn – wer kann es wissen, wer mag es beschreiben, was alles an den Gehirnwindungen eines Monarchen auf und ab klettert? In diesem Bewusstsein nun werden die schwersten Entscheidungen reif. Er steht zu allen diesen Dingen nicht wie ein Zeitungsleser, der nur träumend von ihnen erfährt, nicht wie ein Journalist, der nur neugierig und unverantwortlich über sie schreibt, sondern als der Mann, der im Fluge etwas Entscheidendes sprechen soll: das und das will ich! Dort, wo der Wille am freiesten ist, hat er am wenigsten Zeit, sich auszugestalten.
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Der moderne Staat ist ein höchst verwickeltes Instrument, noch viel verwickelter als eine große Bank oder ein industrielles Syndikat. Da nun schon die großen geschäftlichen Unternehmungen der Neuzeit eine sehr augenfällige Neigung haben, bei aller scheinbaren Wahrung der gesellschaftlichen Verfassungen in Wirklichkeit von wenigen Einzelköpfen regiert zu werden, so ist der Vorgang, den wir Imperialismus nennen, das Entstehen monarchischer Zentralstellen, an sich wohl unvermeidlich und liegt im Gang der Großbetriebsentwicklung. Je sozialistischer wir werden, desto imperialistischer werden wir sein müssen, ob wir es wollen oder nicht, weil jede neue Staatstätigkeit den Apparat noch mehr belastet und seine kollegialische Regierbarkeit vermindert. Man verstaatliche beispielsweise die Bergwerke, falls es möglich ist! Wer wird dadurch stärker? Nicht das Parlament, sondern die Spitze der verwaltenden Mächte, der oberste Diener des Staates, er heiße Kaiser oder Präsident. Wer das nicht will, der muss eine kleinbürgerliche Wirtschaft festhalten wollen. Aber wer kann das? Alle Berufsverbände ohne Ausnahme fordern neue Staatstätigkeiten und damit neue Beamte Seiner Majestät. Diesen Gang der Geschichte erleben wir. Gleichzeitig aber bereitet sich innerhalb des monarchischen Systems etwas anderes vor, was man die Entpersönlichung des Monarchen nennen könnte, ein Vorgang, der eine einfache Folge davon ist, dass der Monarch beim besten Willen nicht mehr alles wissen kann, was für ihn und in seinem Namen und Auftrag geschieht, selbst nicht mehr in allgemeinsten Umrissen. Der Monarch wird ein Begriff. Es wird Recht gesprochen „im Namen des Königs“. Es wird regiert im Auftrag des Königs. Solange er eine starke arbeitsame Persönlichkeit ist, bedeutet diese Kontrolle nicht allzu viel, ist er weniger stark, körperlich matt oder weniger bereit, sich stets als Mikrofon des Gesamtgetriebes anzusehen, dann beginnt hinter der Zeit der Konzentration aller Staatstätigkeiten eine Zeit der Dezentralisation der monarchischen Leistungen. Auch diese wird sich nicht nach einem fertigen ausgedachten Schema vollziehen, sondern in der Praxis von Fall zu Fall, von Schritt zu Schritt. Der neue komplizierte Staat sucht sich seine Instrumentierung. Welche Rolle dabei die Volksvertretungen spielen werden, wird davon abhängen, welche Kraft sie für die wirkliche Staatsarbeit mitbringen. Mit bloßen Deklamationen über Republikanismus und konstitutionelles System allein ist wenig geschehen: wer arbeitet, erwirbt sich Rechte, und wer Erfolg hat, dem gehört die nächste Periode.
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Solange der Kaiser sich als fähig erweist, die Riesenaufgabe des modernen Imperialismus persönlich zu erfüllen, wird keine Gewalt ihn nötigen können, von seinem souveränen Ernennungsrecht etwas aufzugeben. Deshalb erschienen bis vor wenigen Jahren alle derartigen Forderungen ganz abenteuerlich, weil die Mehrheit der Nation noch an die Möglichkeit der persönlichen Ausfüllung der obersten Stelle glaubte. Dieser Irrtum ist heute schon vielfach als solcher eingesehen worden. Die Stelle ist da, die Aufgabe ist gewaltig, die Anforderung ist übermenschlich, aber es geht – über die Kraft. Das ist das Ergebnis der letzten Zeit, dass dieses allgemein und offen anerkannt wird. Jetzt also sind die Tage gekommen, in denen über die Entpersönlichung der Krone verhandelt werden muss, nicht als ob das ein Akt von heute auf morgen sei, aber so wie man schwere geschichtliche Aufgaben mit einem Stoßseufzer, aber doch mit Entschlossenheit aufnimmt.
Es soll im Namen des Königs und Kaisers regiert werden, aber nicht von ihm. Es soll im Auftrag des Kaisers regiert werden, aber vom Vertrauensmann der Parlamentsmehrheit. Das bedeutet für den Kaiser eine große Entsagung, und wir werden uns nicht wundern, wenn er sich wehrt. Noch hat er starke Kräfte in seiner Hand, es fragt sich nur, ob seine Hand noch ruhig und fest genug ist. Er kann den Prozess der Entpersönlichung hinausschieben bis zur nächsten Generation, wenn er der Mann des Erfolges ist. Aber die ersten Jahrzehnte seines Regiments sprechen trotz alles ihres persönlichen Glanzes und Schimmers nicht dafür, dass er das können wird. Einst sprach er: ich führe euch glücklichen Tagen entgegen! Wenn dieses sein Ich noch heute wie eine helle Trompete klingen würde, was könnte gegen ihn getan werden? Aber die Trompete klingt matt. Das Drama fängt an zur Tragödie zu werden, so wenigstens scheint es.
Einst schrieb er ins goldene Buch der Stadt München, des Königs Wille sei das oberste Gesetz. Ja, dann aber muss der Wille des Königs von Eisen sein und seine Nerven von Platindraht, seine Augen hell wie Kristalle und seine Gedanken fest wie ein Rädergetriebe von bestem Stahl. Ein solcher Wille findet auch in der heutigen Welt sein Gebiet, aber ein hin und her zucken von Willensansätzen, ein versuchen und verlassen, ein Kommen und Gehen, das ist nicht das oberste Gesetz, bei uns nicht und nirgends in der Welt. Noch heute kann es Cäsaren geben, aber es gehört dazu eben Cäsar.
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Für die Anrechnung vergangener Verdienste hat die neuere Zeit sehr wenig Sinn. Wir alle haben mehr oder weniger folgende Empfindung: der Mann, der den Oberbefehl von einer Armee führen soll, wie sie niemals früher vorhanden war, muss entweder der erste Feldherr sein, den es gibt, oder er muss sich restlos und rückhaltlos zurückziehen, um dem ersten Feldherrn Platz zu machen, weil es ein geradezu unerhörter Gedanke ist, dass die ungeheuren Militäranstrengungen eines modernen Volkes deshalb mit einer Niederlage endigen, weil durch Erbschaft die Führung in unsichere oder gar unfähige Hände gekommen ist. Unser Zeitalter ist grundsätzlich geneigt, die absolute Einheit des Oberbefehls zuzugestehen, weil unsere technischen Lebenserfahrungen uns in diesem Sinne monarchistisch beeinflussen, aber es hat ein höchst gesteigertes Gefühl dafür, was alles von der Auswahl der richtigen Oberpersonen abhängt. Wir sind nicht Monarchisten aus Theorie, sondern aus Praxis, aber deshalb messen wir auch den Monarchen mit den strengsten praktischen Maßstäben etwa so, wie wir den Chef eines Elektrizitätswerkes oder den Oberbürgermeister einer Großstadt beurteilen. Wir verlangen nichts Unmenschliches von ihm, keine vierdimensionalen Kräfte, aber wir verlangen, dass er entweder selbst eine Nummer eins ist, oder es versteht, sich durch eine solche vertreten zu lassen. Ein Monarch, der nicht auf diesen Ton gestimmt ist, erscheint uns sofort als Serenissimus und bedeutet gar nichts.
Auch in anderer Hinsicht ist ein sehr merkbarer Unterschied zwischen der alten und der neuen Auffassung. Der Monarch des alten Systems tritt in den Saal und alles verbeugt sich, er kommandiert und alle schweigen. Der alte Monarch ist von lauter Demut umgeben, und wenn man auch wüsste, dass er ein Mensch ist, so gibt man sich doch Mühe, diesen einfachen Tatbestand zu vergessen. Die modernen Monarchen des Gewerbes und des Handels aber sind völlig andere Naturen. Fast alle sind im Privatverkehr biegsam, gelenkig, höflich, stets daraus bedacht, ihren großen Einfluss nicht gesellschaftlich hervorzukehren. Fast jedes Mal, wenn man einen erfolgreichen modernen Menschen kennen lernt, ist man erstaunt, wie sehr er zu diesem eigentlich neuzeitlichen Herrschertypus gehört. Es gibt stahlharte Willensmenschen mit seinen milden Händen. Ihnen liegt nichts an Titeln, Orden, Uniformen, an Pomp und Majestät fürs Auge der Frauen und Kinder. Wo sie können, sind sie Privatleute. Diese modernen Herzöge erziehen uns alle zur Kritik des alten Majestätswesens. O, welch ein altfränkisches Brimborium!
Cecil John Rhodes (* 5. Juli 1853 in Bishop’s Stortford, Hertfordshire, England; † 26. März 1902 in Muizenberg bei Kapstadt) war ein britischer Unternehmer und Politiker. In der Hochphase des Imperialismus war er einer der führenden Akteure des Wettlaufs um Afrika.
Man denke an die Zusammenkunft von Cecil Rhodes mit Wilhelm II.!
Die alte Majestät tut so, als ob sie von selbst alles wisse und könne. Jede Regierungshandlung ist ein erhabener Gedanke seiner Majestät. Die neue Art des Herrschens tut so, als ob sie sich überall Rat holen müsse, weiß aber meist von vornherein, was sie will. Jenes Verfahren ist autoritär, dieses ist kollegialisch. Alle moderne Macht geht in den Formen der gemeinsamen Beschlüsse einher. Man denke an den Syndikatsleiter, an den ersten Bankdirektor, an den Gewerkschaftsführer! Keiner von ihnen stellt sich hin: der Staat bin ich! Und die größten der Militärmonarchen waren auch in der Form kollegialisch, vor allen anderen Napoleon I.
Vor ihnen durfte alles gesagt werden: weil sie alles wissen wollten. Nichts ist gefährlicher für die erste Stelle, als wenn sie zur Feierlichkeit verdammt ist. Dazu neigt das alte System. Das Volk von heute aber versteht keine Feierlichkeit in der Arbeit, weil es von der Arbeit sehr viel versteht, und es wird sehr nachdenklich, wenn es den Mann, der die gewagtesten Arbeiten zu leiten hat, in Positionen sieht, als ob ein König aus dem Morgenlande gespielt werden sollte.
Arbeit ist die Philosophie der Neuzeit, vielleicht arbeiten wir zu viel und träumen zu wenig, aber sicher ist, dass unsere Ehrfurcht den großen gestaltenden Arbeitern gilt, den Menschen, die sich selbst in Zucht haben, um Meister der Dinge werden zu können. Auch diejenigen, die selber nicht an Überarbeitung leiden, wollen ihr Werturteil über menschliche Größe und Majestät von nichts anderem abhängig machen als von dem Eindruck der Arbeit, des Könnens, der hohen Leistung. Darüber dachten frühere Zeiten anders. Sie wollten fromme Fürsten oder kunstsinnige Fürsten. Wir wollen uns unsere Frömmigkeit und Kunst gern allein besorgen, wenn wir nur sicher sind, dass der Fürst etwas von der Staatsmaschine versteht, so viel wie der Kapitän des Ozeandampfers von seinem Schiff oder der Chauffeur von seinem Automobil. Unser Monarch hat für uns nur einen Zweck, wenn er Kapitän oder Chauffeur ist auf der gefährlichsten Fahrt, die es gibt, auf der Fahrt ins Meer der Weltgeschichte. Wir wollen ihn nicht mit unnützen Fragen stören, wenn wir seinem eisernen Gesicht ansehen, dass er nichts, gar nichts im Kopfe hat, als sein gewaltiges und gefährliches Instrument, das aber wollen wir ihm ansehen können; denn von seinen Nerven oder denen seiner Stellvertreter hängt die Zukunft der Millionen von Menschen ab, die unsere Waffen tragen, die auf unseren Panzerschiffen schwimmen, die für unsere Nation Steuern zahlen und die in harter Tagesarbeit den Nationalreichtum stückweise gewinnen. Hinweg mit aller falschen Romantik! Sie verschleiert nur die eine Tatsache, die viel größer ist als Gold und Purpur, die Tatsache, dass ein Mensch von Fleisch und Blut uns führen muss, wenn wir um Tod und Leben kämpfen. Wer ist dieser Mann und was kann er?
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Kein König lebt davon, dass er sich selber für nötig hält, sondern er muss von den anderen Leuten für nötig gehalten werden. Das aber wird immer auch von gewissen Nützlichkeitserwägungen abhängen. Die bloße Tradition allein ist kein fester Unterbau, und auch sie ist ja oft nur ein Nachklang früherer Nützlichkeitserwägungen. Mag in Zeitaltern mit viel Religion und Mystik die monarchische Tradition in hohem Grade von feierlichen und unergründlichen Seelenstimmungen umwoben gewesen sein, so ist wenigstens heute der Charakter der meisten Menschen nicht mehr so romantisch, dass sie ohne praktische Überlegung reine Herzensmonarchisten sind.
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Eine rein monarchische Politik wird im Allgemeinen nur in einem Volk dauerhaft und stark sein können, in dem auch sonst das monarchische Prinzip eine bedeutende Rolle spielt, und ebenso wird eine rein republikanische Politik nur dort allen Anfeindungen gegenüber sich erhalten können, wo ein Volk sich in seinen privaten Angelegenheiten republikanisiert hat und diesen Zustand treu bewahrt. Es ist ganz unmöglich, auf ein patriarchalisches Volk eine rein demokratische Verfassung aufzusetzen und umgekehrt. Deshalb hat es gar keinen Wert, eine ganz allgemeine Theorie zu entwickeln und über die Verteilung der Kräfte im Staat aus freier Lust zu philosophieren. Theoretisch kann man ja sehr leicht Republikaner sein.
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Vom Absolutismus zum englischen System! Das ist das Ziel der deutschen Entwicklung. Dahin weisen die allgemeinen Zeiterscheinungen in allen Ländern, denn überall fast finden wir wie in England ein gleichzeitiges Aufsteigen sowohl imperialistischer wie demokratischer Kräfte. Zwischen diesen beiden beginnt das alte Ringen von neuem, und erst aus diesem Ringen heraus wird sich die Zukunftsform der Herrschaft über den Staat ergeben. Wir können nicht mehr monarchisch im alten Sinne sein, können aber auch die Monarchie nicht abschütteln wie ein altes Gewand. Sie ist da, ist eine Wirklichkeit und wird uns allen noch sehr viel zu schaffen machen.
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Monarchie und Demokratie
Der Konstitutionalismus ist kein Prinzip, sondern ein Kompromiss, ein notwendiger, unvermeidlicher Kompromiss, aber auch nichts mehr als das. Die Monarchie ist ein Prinzip, die Demokratie ebenfalls, der Konstitutionalismus ist eine aus beiden bestehende Wirklichkeit. Es gibt keine theoretische Grundlage für die Verteilung der Souveränität zwischen Monarchie, Aristokratie und Demokratie, sondern immer ergibt sich die jeweilige Verteilung aus der beiderseitigen Stärke. Nichts hindert die beiden Mächte, wenn sie ihre Kräfte gemessen haben, periodenweis zusammenzugehen, aber von beiden Seiten wird man das Zusammengehen nicht anders auffassen können, als etwa einen Staatsvertrag zwischen zwei Staaten, die ihre natürliche Gegnerschaft um gewisser gemeinsamer Zwecke willen einschränken, veränderte Kraftverteilung, veränderte Geschichtslage verändern auch das beiderseitige Verhältnis. Alles in der Politik ist Kampf ums Dasein, auch das Verhalten von Monarchie und Demokratie zueinander. Wer sich prinzipiell zum Konstitutionalismus bekennt, gibt das Recht des demokratischen Stimmzettels grundsätzlich auf. Ebenso aber gibt er das Recht der monarchisch militärischen Führung grundsätzlich auf. Wir erkennen beide Rechte als an sich vorhanden an und suchen keine Vereinigungstheorie, sondern nur einen Weg praktischen Zusammenwirkens beider Faktoren für die Entwickelung der Nation. Es ist ein Wahn, als ließen sich alle in den Dingen vorhandenen Gegensätze durch schöne Zwischentheorien beseitigen. Richtiger ist, die Gegensätze als solche anerkennen und von da aus Zukunftswege zu suchen. Ewige Normalverfassungen gibt es nicht.
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In jedem Verein gibt es neben der geschriebenen Verfassung einen wirklichen Verfassungszustand, der oft sehr anders aussieht. Beispielsweise besagt das Statut, dass alle Macht bei der Generalversammlung liegt, die Wirklichkeit aber zeigt, dass die Generalversammlung nur eine Komödie ist. Oder es steht im Statut, dass der Sekretär vom Vorsitzenden seine Anweisungen empfängt, in Wirklichkeit aber verläuft die Sache gerade umgekehrt. Man kann getrost sagen, dass nie eine Verfassung ganz genau gehalten wird, weil sie schon in dem Augenblick, wo sie eingeführt wurde, ein Kompromiss war oder ein Gewaltakt, oder im besseren Falle eine Abmachung, bei der sich die verschiedenen Beteiligten etwas verschiedenes dachten.
Ferdinand Lassalle (geboren am 11.April 1825 in Breslau als Ferdinand Johann Gottlieb Lassal; gestorben am 31. August 1864 in Carouge) war Schriftsteller, sozialistischer Politiker
Schon Lassalle hat vor mehr als fünfzig Jahren darauf hingewiesen, dass beispielsweise das Königtum nicht deshalb existiert, weil es in der Verfassung steht, sondern, dass die Verfassung nur ein Friedensschluss ist, der so lange dauert, als er den vorhandenen Machtverhältnissen entspricht. Es gibt Herrscher, die viel stärker sind als sie es nach der Verfassung sein dürfen. Wer wird sie hindern? Nur wieder eine Gegenmacht, die ihnen gewachsen ist. Diese Gegenmacht wird dann die Verfassung als wirksames Kampfmittel benutzen, aber das bloße Papier für sich allein ist tot.
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Der König von Preußen liest zwar, soviel man hört, nur wenige Bücher, aber das Buch des alten Macchiavelli „über den Fürsten“ wird ihm doch wohl nicht unbekannt sein.
Niccolò di Bernardo dei Machiavelli (* 3. Mai 1469 in Florenz, Republik Florenz; † 21. Juni 1527 ebenda) war ein italienischer Philosoph, Diplomat, Chronist, Schriftsteller und Dichter. Vor allem aufgrund seines Werkes „Il Principe (Der Fürst)“ gilt er als einer der bedeutendsten Staatsphilosophen der Neuzeit.
Dort steht als Grundformel der Macht, dass der Fürst mit der Menge der Bevölkerung gehen müsse, wenn er nicht will, dass ihm die Oberschichten den Staat ruinieren. Scheinbar steht ihm die Oberschicht viel näher, denn sie speist von seinem Tisch und reitet auf seinen Jagden, aber sie ist unersättlich in ihren Ansprüchen und verdirbt damit schließlich Heer und Finanzen. Um gegen sie etwas in der Hand zu haben, braucht der Fürst die Masse.
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„Die Masse muss es bringen“ ist auch ein Wort für Könige und Kaiser. Die deutsche Masse bringt es, sie bringt Heer, Flotte, Geld und Macht. Ohne Massenwachstum hilft keine persönliche Genialität. Moderne Riesenmachtmittel sind nur möglich, wenn ein ganzes Volk frühlingsartigen Saft in seinen Gliedern hat. Nicht die Fürsten machen das Volk, aber mit dem Volk wachsen große Herrscher.
Es zeigt sich, dass im Grunde Kaisertum, industrielle Aristokratie, Demokratie drei Erscheinungsformen ein und derselben Sache sind. Sie sind drei Folgen des Aufwachsens des neuen, volkreichen, gewerblichen Deutschland auf dem alten agrarischen Boden. Es ist unmöglich, sich Deutschland als mächtiges Kaiserreich zu denken ohne Industrie, Industrie ist unmöglich ohne Proletariat. Die Neuzeit kommt imperialistisch-proletarisch. So sehr die aufsteigenden Mächte der Neuzeit unter sich durch lebhaft empfundene Interessengegensätze und auch durch daraus folgende Antipathien getrennt sind, so oft sie auch bisher politisch sich gegenüberstanden, sie sind doch, weltgeschichtlich angesehen, ein gemeinsames Gewächs. Es ist unmöglich, im gegenwärtigen Zeitpunkt eins dieser Elemente ohne das andere zu denken. Wenn eins von ihnen krankt, so kranken die zwei anderen mit.
Demokratie ist politische Herrschaft des Mehrheitsprinzips, Kaisertum ist nationale Herrschaft des Einen. Zwischen diesen zwei politischen Prinzipien gibt es keine endgültige formale Aussöhnung. Aber im Lauf der Geschichte gibt es Perioden, wo die Macht der Verhältnisse, die Logik der wirklichen Dinge ein Zusammenwirken der zwei Faktoren nötig macht. Eine absolute Monarchie ist in der Gegenwart ebenso unmöglich wie eine absolute Demokratie. Beide Teile protestieren formell gegen jede Abschwächung des in ihnen liegenden natürlichen Gegensatzes, aber sie verstehen sich dazu, einen gemeinsamen Weg gemeinsam zu gehen. Hat nicht die bisher herrschende agrarische Aristokratie im Grunde ebenso gehandelt? Die Monarchie entstand im Kampf mit ihr, machte aber dann mit ihr gemeinsam Geschichte. Jetzt bricht die Sicherheit dieses alten Bodens. Die Wirtschaftsführung kommt in die Hand der industriellen Aristokratie. Diese aber hat keine eigene Massenwirkung. Der Kaiser führt die Nation als Diktator der neuen Industrie. Indem das Kaisertum aber dieses tut, braucht es die Masse, die Demokratie. Das ist der Entwickelungsgang, den unsere deutsche Geschichte gehen wird. Eins nur lässt sich nicht vorhersagen: mit welchen Zwischenstufen, über welche Hindernisse dieser Weg gegangen werden wird. Jetzt ist zwischen Kaisertum und Demokratie noch volle Spannung auf beiden Seiten.
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Wenn einmal, der Not der Tatsachen folgend, das Kaisertum langsam sich auf die linke Seite gestellt hat, wird sich das wahre Herz der Rechten zeigen. Die Königstreue der Ostelbier ist dann, wenn sie nichts mehr zu hoffen haben, Spreu im Wind. Sie werden dann die Rolle des alten französischen Adels spielen und zusammen mit den beträchtlichen Resten des Klerikalismus und den Polen, deren es dann durch ihre Hilfe 30 im Reichstag geben wird, die Partei der „Reichsfeinde“ ausmachen. Mühsam und schwer wird man sie aus der oberen Beamtenschaft hinausschieben, lange werden sie noch in der Generalität vorherrschen, tappend und unsicher wird eine neue Klasse von oberen Beamten heranwachsen, der entscheidende Schritt zu Deutschlands Zukunft und Größe wird aber getan sein. Auf konservativer Seite wird man brüllen, als ginge die Welt unter, aber auf der Seite des schaffenden Volkes wird neuer, früher nie vorhandener Patriotismus zu vaterländischen Leistungen treiben, zu denen eine alte sinkende Klasse unfähig geworden war. Der deutsche Geist wird dann, wenn er frei geworden ist, die Welt erobern.
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Der Monarch denkt als Monarch, der Proletarier als Proletarier, jeder von beiden denkt aus seiner Lage heraus, und man müsste einen traurigen Kleister von Worten kochen, wenn man beide Teile zu derselben staatsrechtlichen Lehre bringen wollte. Das ist ja aber auch nicht nötig, da verschiedene politische Faktoren mit verschiedenen klar ausgesprochenen naturnotwendigen Tendenzen desto freier und offener das Gemeinsame finden können, nachdem sie ihre Unterschiede beiderseits unzweifelhaft dargetan habe. Viel unklarer als eine Demokratie, die ihr Prinzip wahrt, aber praktisch mit dem Kaiser geht, ist ein Konservatismus, der theoretisch die absolute Macht anerkennt, und praktisch gegen sie agitiert, sobald sie ihm irgendwie drückend wird. Niemals kann in einem großen Volk eine einheitliche staatsrechtliche Theorie eine allgemeine Zustimmung gewinnen. Alle Politik ist ein Handeln und Kämpfen von Kräften.
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