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Im Krimi ‚Das Ekel von Horstel’, klären Kommissar Danny Kowalski und seine junge flippige Kollegin Fanny Bevenbreucker eine alte Mord-Serie aus Horstel und Berlin von 2003, 2005 und 2007 auf. Das hat was von True Crime, ein besonders in den USA gern gelesenes Genre. Da die drei Todesfälle hier allerdings bisher unaufgeklärt blieben, kommt bei Kowalski die Fiktion dazu, um alle diese Rätsel zu lösen. Autor Manfred Schloßer ist auch im 9. Teil der Danny-Kowalski-Reihe wieder oft humoristisch und augenzwinkernd unterwegs. ‚Das Ekel von Horstel’ ist ein Ruhrgebiets-Krimi, aber auch ein Sport-Krimi, der während der Fußball-EM 2016 in Frankreich und teilweise in einem Fitness-Center spielt. Horstel ist ein fiktiver Ort am südlichen Rand des Ruhrgebiets, an der idyllischen Ruhr gelegen.
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Seitenzahl: 261
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Für meine beiden Liebsten zu Hause:
Petra, meine Liebe seit einem Vierteljahrhundert,
und Lilli, unsere gemeinsame Katze, seit nunmehr 10 Jahren;
und für meine Mitsportler und Mitsportlerinnen Ulla, Helmut,
Dietmar, Bernd, Reiner, Klaus K. und Michael B., sowie Trainer und
Trainerinnen aus dem Injoy in Hohenlimburg Thorsten, Claudia,
Regine, Jeera und Christopher, sowie Lek von der Thai-Massage.
Über den Autor
Der Mörder war wieder der Gärtner
Personenverzeichnis
Einleitung
Prolog
Charly Bollermann
Das Ekel von Horstel
Kowalski im Dezernat ›Z‹
Eishockey – Sodom und Gomorrha
Boxen – Der schöne Renno und die Aufgetakelten
Bollermann’s Tod
Bollermann und die Schauspieler
Schwere Jungs und leichte Mädchen in Dolly’s Ranch
In der Sauna des Fitness-Centers
Bekannte Horsteler Fußballer
Kowalski im Fun-Out
Das Katzen-Wunder von Horstel
Roland Struck
Mord an Roland Struck
Vom Täter fehlt weiterhin jede Spur
Entsetzen bei den Anwohnern
Polizeibericht der Hagener Kripo
Der ›Aktenzeichen XY … ungelöst‹ -TV-Film
Erste Spur im Horsteler Raubmord
Erneute Befragung von Sunny Wüster
Wolle Mosenbeck
Akte Wolle Mosenbeck mit Polizeibericht
Es war wie eine Hinrichtung
Drei Schüsse aus der Beretta
Rotlicht, Schwarzgeld und ein Mord
Hansi Sockler fürchtet um sein Leben
Showdown
Der Professor und die Metallplatte
Los Dos Sols, die ›zwei Sonnen‹
Eine Falle für die Ganoven
Kommissare im Fußballrausch
Showdown in Bierdorf
Epilog 1: Fußballfreunde im Kaffee-Quadrat
Epilog 2: Horsteler Sport-Gezwitscher
Literaturhinweise
Danke für alles
Die bisherigen 8 veröffentlichte Romane von Manfred Schloßer
Manfred Schloßer, geboren 1951, aufgewachsen in Datteln, wohnt seit 1980 in Hagen. Er studierte Sozialwissenschaft an der Bochumer Ruhr-Universität, Sozialarbeit an der Hagener Fachhochschule, Sozialpädagogik an der Dortmunder FHS und machte drei Diplome. Zur Belohnung durfte er sein Geld als Leiter eines Abenteuerspielplatzes, eines Jugendzentrums und eines Jugendinformations-Zentrums verdienen und danach in einer Betreuungs-Behörde arbeiten. Mittlerweile im ›Unruhestand‹ hat er noch viel mehr Zeit, seinen verschiedenen sportlichen Aktivitäten und natürlich seiner Leidenschaft fürs gedruckte Wort zu frönen.
Mit dem Roman ›Das Ekel von Horstel‹ erscheint bereits der neunte Danny-Kowalski-Roman und gleichzeitig sein dritter Krimi.
Die vorherigen Romane:
›Wer andren eine Feder schenkt‹, 2016
›Das Geheimnis um YOG’TZE‹, Krimi, 2015
›Zeitmaschine STOPP!‹, Öko-Science-Fiction-Story, 2014
›Leidenschaft im Briefkuvert‹, Liebesroman, 2013
›Der Junge, der eine Katze wurde …‹, 2012
›Keine Leiche, keine Kohle…‹, Ruhrgebiets-Krimi, 2011
›Spätzünder, Spaßvögel & Sportskanonen‹, 2009
›Straßnroibas‹, Reise-Roman, 2007
Weitere Informationen im Internet: http://www.petmano.jimdo.com/
In eigener Sache:
Horstel ist ein fiktiver Ort am südlichen Rand des Ruhrgebiets, an der idyllischen Ruhr gelegen. Und beschaulich zeigt sich Horstel, dass sich dort sogar einige Storchenpaare auf den Horsten nieder gelassen haben, um ihre Brut und Aufzucht durchzuführen. Das Titelfoto zeigt dies sehr anschaulich.
Auch die Straßennamen und Namen der genannten Personen habe ich frei erfunden. Falls sich doch irgendjemand in einer der im Roman vorkommenden fiktiven Gestalten wieder erkennen sollte, habe ich deren Aussehen, Alter und Familienverhältnisse derartig geändert, dass es sich nur um einen Zufall handeln kann.
– frei nach Reinhard Mey –
Die Nacht liegt wie Blei auf Schloss Horstel,
Sir Donald liest die Londoner Times.
Zwölf mal schlägt gespenstisch die Turmuhr,
Der Butler hat Ausgang bis eins.
Der Mörder stürzt auf Sir Donald, derselbe lebt ab
Und nimmt sein Geheimnis mit ins Grab.
Der Mörder war wieder der Gärtner,
und der plant schon den nächsten Coup.
Der Mörder ist immer der Gärtner,
und der schlägt erbarmungslos zu.
Oder ist es diesmal ein Leuchtturmwärter,
oder gar die Wirtin zur Volme-Mündung …?
Der Mörder war wieder der Gärtner …
Und bei der Erbin im 7. Stock: ein Schuss, und Exitus.
Der Mörder war wieder der Gärtner …
In seinem Gewächshaus im Garten,
da würgt ihn von hinten eine meuchelnde Hand.
Wenn es aber nicht der Gärtner, der Butler oder Leuchtturmwärter war,
vielleicht der Eisverkäufer oder Schornsteinfeger – ziemlich bizarr.
Nein, die waren doch auch alle nicht gar so klein,
denn dieses Mal schlug’s so erbarmungslos zu,
da wird wohl der Mörder die Köchin gewesen sein,
und man lernt eben täglich dazu …
Kommissar Danny Kowalski steigt runter zum Keller-Büro des Sonder-Dezernat ›Z‹
seine flippige Kollegin Fanny Bevenbreucker verdreht ihre Augen
Heinz Bandura ist begeisterter Fußball-Fan
Klaus Peschel, Leiter der Mordkommission, ermittelt in alle Richtungen
Julia Finkensiep hält der Hagener Kripo schon seit fast 30 Jahren die Treue
Manni, Freddy & Tommy, Dannys Freunde von früher
Professor Leo Kofler, Dannys damaliger Prof. an der Ruhr-Uni Bochum
Carlos, Dannys alter Kumpel aus Datteln, wohnt jetzt in Berlin
Hotte, die Motte, Dannys Informant
Die Personen im Fall Das Ekel von Horstel:
Charly ›Bolle‹ Bollermann kauft alles für Geld und ist von wenigen geliebt
Edith Bollermann, seine Witwe, ist überhaupt nicht bekümmert
Karl Bollermann junior, ihr gemeinsamer Sohn, treibt sich in Thailand rum
Roland Struck erliegt einem Raubmord
Sunny Wüster, seine Lebensgefährtin, entpuppt sich als eine rassige scharfe Braut
Oliver Struck, sein Sohn möchte lieber inkognito bleiben
Ion Viroscu und Ante Protopow in den Sturmmasken handeln im Auftrag Jurist Wolle Mosenbeck hat jede Menge Kohle und stirbt trotzdem
Hansi Sockler kennt zu viele Tote persönlich
Francesco Cerutti verkauft Eis und Schnee, und das nicht nur zur Winterzeit
Solveig und Solja, ›Los Dos Sols‹, die nordischen Tanzgöttinnen
Horsteler Fußballer:
Der schöne Carlo Bassofini kennt sich in Horstel aus
Mit Mescalero ›Manolito‹ Giacomo kann man ›Pferde stehlen‹
Rolli ›Bomber‹ Roggensiep, Horstels Fußball-Nationalspieler der 60er Jahre
Keeper Nobse ›Katze‹ Hastenberger ist erstaunlich gelenkig für sein Alter
Paolo Couto, Sauna-Fan und früherer portugiesischen Nationalspieler
Kostas Kagounis, ehemaliger griechische Fußballer, in seiner Jugend in Horstel
Hannes Engelmann spielt schon immer Fußball
Das Fun-Out-Team:
Werner Sperling liebt seit einigen Jahren Fitness und Sauna
Thomas Lübecker, der sportliche Geschäftsführer
Carola managt den sportlichen Bereich super
Elisa von der Wirbelsäulen-Gymnastik ist völlig entriegelt
Ella lacht dazu
Horst kann die Übungen mit verbundenen Augen
Wilfried sucht die Perle in seinem Bauchnabel
Joi macht den Vierfüßler-Stand mit links
Jeed von der thailändische Massage
Carlitos, ehemaliger philippinischer Basketball-Profi
Moni, Dannys Frau, liebt – genau wie er – ihre Katze Lilli
›Das Ekel von Horstel‹ ist eine doppelte Hommage an zwei historische Krimi-Reihen.
Zuerst die ursprüngliche schwedische Serie von Maj Sjöwall & Per Wahlhöö mit Kommissar Beck in der Hauptrolle, als das Krimi-Paar über zehn Jahre lang von 1965 bis 1975 jedes Jahr einen Krimi herausbrachte. Dabei skizzierten sie nicht nur die persönliche Entwicklung von Kommissar Beck, sondern auch die schwedische Gesellschaft sehr einprägsam. Von diesem zehnteiligen Krimi-Zyklus hieß der Roman von 1971 ›Den vedervärdige mannen från Säffle‹, in der deutschen Übersetzung: ›Das Ekel aus Säffle‹. 1
Diesen Krimi nahm sich das Ruhri-Krimi-Autorenpaar Leo P. Ard und Reinhard Junge zum Vorbild und benannten 1989 mit dem Krimi ›Das Ekel von Datteln‹ 2 ihre Hommage an die beiden Schweden Maj Sjöwall und Per Wahlhöö. Daraufhin folgten um das Bierdorfer Videofilm-Team ›Pegasus‹ mehrere Krimis, die den langjährigen und ehemaligen Dattelner Bürgermeister Gerd Roggenkemper aufs Korn nahmen. In ihren ›Ekel‹-Romanen entfachten Reinhard Junge und Leo P. Ard, der eigentlich Jürgen Pomorin heißt, in Datteln und Umgebung mehrere Provinzskandale. Die beiden kamen durch ihre Recherchen dem Dattelner Bürgermeister Roggenkemper auf die Schliche, um ihn schließlich als das ›Ekel von Datteln‹ berühmt zu machen.
So spürten Kommissar Danny Kowalski und seine Kollegin Fanny dem berühmt-berüchtigten Trio nach, bestehend aus dem Horsteler Rotlicht-Baron Bollermann, dem Berliner Immobilienmakler Wolle Mosenbeck und deren Kumpan Roland Struck, um herauszufinden, wer von denen den Titel das ›Ekel von Horstel‹ am meisten verdient hatte.
Bollermann, Mosenbeck und Struck interessierten sich wie viele Männer für Sport und für Frauen. Bloß mit dem Unterschied, dass Bollermann seine ›Pferdchen‹ für sich arbeiten ließ. Ausbeutung von Frauen war sein Beruf, begleitet von jeder Menge Kriminalität und Gewalt. Damit finanzierte er gerne Horsteler Sportsgrößen, um sich damit zu brüsten. Aber alle Talente, die es nie in Jogi Lenz‹ Notizbuch geschafft haben, wie Karl König vom Pilsburger SF Westrich, Hannes Engelmann vom VfB Neuenau, die Antwort des Sauerlands auf Berti Vogts, oder Werner Sperling mit der linken Klebe vom Horsteler SV Boebel-Kahle, die ließ der Bollermann links liegen.
Horstel ist ein kleines idyllisches Städtchen mit vielen Fachwerkhäusern am südlichen Rande des Ruhrgebiets. Weil es so ruhig und idyllisch an der Ruhr dümpelt, haben sich in den letzten Jahren einige Storchenpaare dort angesiedelt. Vielleicht fanden sie das Ortseingangs-Schild ›Horstel‹ so putzig, dass sie gleich dort einen längeren Stopp einlegten. Denn Storchennester heißen ja genau wie die Nester von Greifvögeln auch Horst. Und da ein Storchenpaar seinem Horst über Jahrzehnte treu bleibt und der Nestbau nie abgeschlossen wird, kann der Horst eine Höhe von mehreren Metern und ein Gewicht von 500 kg und mehr erreichen – kein anderer europäischer Vogel betreibt einen derart großen Nestbau. Auf jeden Fall gibt es in Horstel genau wie im fränkischen Baiersdorf mehrere bewohnte Storchenhorste. Aber wie so oft in idyllischen Kleinstädten, fühlen sich auch Kriminelle dort wohl, die sich dort gut unter dem Anstrich eines bürgerlichen Biedermanns verstecken können. So hatte und hat unser verträumtes Horstel einige der kriminellen Protagonisten dieses Romans beheimatet.
Aber Horstel ist so klein, dass es kein eigenes Kriminal-Kommissariat hat. Deshalb werden dort begangene Kapitalverbrechen an die benachbarte Hagener Kripo abgegeben.
Deren Kommissar Kowalski recherchiert weiterhin im Keller des Hagener Polizeipräsidiums an der Hoheleye, aus dem Sonder-Dezernat ›Z‹, ein kleines Kommissariat für alle nicht aufgeklärten Fälle. Und das ist wiederum eine Hommage an das Sonderdezernat ›Q‹ um den dänischen Roman-Kommissar Carl Mörk aus der Feder von Jussi Adler-Olsen 3. Nach der Devise: was im dänischen Kopenhagen gut geht, das wird auch im westfälischen Hagen klappen …
1 Maj Sjöwall und Per Wahlhöö – Das Ekel aus Säffle, Reinbek 1973
2 Reinhard Junge und Leo P. Ard – Das Ekel von Datteln, Dortmund 1989
3 Jussi Adler-Olsen – Sonderdezernat Q, Carl Mørck-Reihe, wie z.B.: ›Erbarmen‹, München 2009
»Ausziehen!« herrschte der Maskierte die rassige Schwarzhaarige an. Zögerlich begann sie, ihr geblümtes Sommerkleid auszuziehen.
»Mach voran!« zur Unterstützung seiner Ernsthaftigkeit schoss er mit seiner Knarre in die Decke, sodass es weiß auf ihre lange Lockenpracht rieselte.
»Was der Mann wohl von mir will?« fragte sich Sunny Wüster, die junge Frau, mittlerweile nur noch mit einem malvenfarbigen Slip und einem gleichfarbigen Spitzen-BH bekleidet. Er ließ ihr nicht viel Zeit zum Nachdenken über ihre Situation, sondern zeigte mit seinem schwarzbehandschuhten rechten Zeigefinger auf den farbenfrohen Perserteppich in der hinteren Zimmerecke und befahl ihr: »Hinlegen!«
»Er wird mir doch wohl nichts antun, dieser Grobian?« dachte sie entrüstet, folgte aber stillschweigend dem Befehl.
Der Mann mit der schwarzen Sturmmaske stürzte sich aber sofort auf sie, setzte sich auf sie, hielt sie mit seinem kräftigen linken Arm fest, klebte mit der anderen Hand einen breiten Klebestreifen über ihren Mund und fesselte sie dann an den Händen und Füßen. Danach wickelte er sie in den Perser ein und verklebte das delikate Teppichpaket mit den breiten Klebestreifen.
Derweil kam Struck aus der Sauna, nur mit einem gestreiften Badehandtuch um die Hüften gebunden. Er hatte offensichtlich etwas Außergewöhnliches gehört und fragte ganz erstaunt: »Was ist denn hier los?«
Als Antwort bekam er von dem zweiten Maskierten direkt einen Revolver-Schuss in die Brust verpasst, der ihn zusammensacken ließ …
Kommissar Danny Kowalski kam pfeifend runter ins Hagener Sonder-Dezernat ›Z‹, wo er mit seiner flippigen Kollegin Fanny Bevenbreucker im Keller des Polizei-Präsidiums an der Hoheleye untergebracht war. Dort hatte man ihnen ein kleines Kommissariat für alle nicht aufgeklärten Todesfälle eingerichtet.
Während Fanny noch im Urlaub war, machte sich Kowalski schon mal an die Arbeit. Es ging um eine alte Mordserie aus Horstel-Ente, oder besser: ›auf Ente‹, wie die Enter entgegen jeder grammatikalischen Regel, aber stolz, ihren Stadtteil auf einer Anhöhe über Horstel nennen.
Auf Ente, aber in Horstel wohnen,
genau wie man auch anderswo im Ruhrgebiet
auf Schalke geht, aber ins Dortmunder Stadion pilgert,
auf Emst wohnt, aber in Hagen shoppen geht,
auf Schwerin lebt, aber in Castrop-Rauxel stirbt …
Das sind so die geheimnisvollen Merkwürdigkeiten der Ruhri-Grammatik, wenn man sich instinktiv bei Höhenlagen zwischen ›auf‹ und ›in‹ entscheiden muss …
Auf Ente wurde verdammt oft gestorben. Erst die ehemalige Rotlicht-Größe Charly Bollermann, der sich angeblich 2003 im benachbarten Ortsteil Westente selber mit seiner Pistole das Leben ausgepustet haben soll. Dann 2005 dieses Enter Paar Roland Struck und Sunny Wüster in ihrer Villa, nur ein paar hundert Meter weiter als vormals ›Bolle‹ gewohnt hatte. Die beiden wurden nicht nur Opfer eines Raubüberfalls, sondern zur Hälfte, nämlich Herr Struck, auch gleich dabei ausgelöscht. Nur die vermeintlich ›bessere‹ Hälfte des Paares, Frau Wüster, überlebte schockiert und geknebelt wie ein kostbares Frachtgut dieses halbe Massaker.
»Gab es da womöglich Zusammenhänge, die bis dato unbekannt waren?« grübelte Kowalski und blätterte interessiert in den beiden grünen Akten auf seinem Schreibtisch.
Zum Bollermann-Komplex konnte Kowalski seinen alten und langjährigen Chefe Bandura befragen, der bei der Hagener Polizei quasi als ›Bolle‹-Experte galt. Denn der Horsteler ›Rotlicht-Baron‹ Charly Bollermann war immer wieder ins Visier der Hagener Polizei geraten, wohin er auf Grund seiner obskuren Tätigkeiten auch zu Recht gehörte. Hauptkommissar Bandura als ›guter Bulle‹ hatte während seiner Polizei-Karriere zu seinem großen Verdruss leider nie das Vergnügen, den windigen ›Bolle‹ wegen irgendwas dranzukriegen. Dafür hatte er es zu einer mittelschweren ›Bolle‹-Obsession gebracht und freute sich riesig, dass er sich letztendlich überhaupt keine Sorgen mehr um den Kerl zu machen brauchte. Denn dieser hatte sich angeblich selber ›die Kugel verpasst‹.
Kowalski ging denn mal rauf zu Bandura, da seine Kollegin Fanny eh erst in einer Woche von ihrem Yoga-Urlaub zurückkehren würde.
»Hömma, Chefe, erzähl mir doch mal datt Neueste von deinem alten Spezi Bolle.«
»Ha,« freute sich Bandura, »über datt ›Ekel von Horstel‹ erzähl ich gerne, seit er das Zeitliche gesegnet hat. Ich konnte mich damals auch bei der Zeitungs-Lektüre über diese speziellen lokalen Ereignisse in unserer Nachbarstadt Horstel einer klammheimlichen Freude wirklich nicht erwehren. Hier lies datt dazu.«
Dabei kramte er in seinem ollen abgegriffenen Holz-Schreibtisch in einer der Schubladen und reichte Kowalski ein Blatt Papier, worauf dieser lesen konnte:
Nach dem Tod von Bollermann teilte die Hagener Staatsanwaltschaft und Polizei ihren aktuellen Erkenntnisstand zu den Todesermittlungen in der Westenter Straße mit: »Horstel (ots) – Wie berichtet, war der 57-jährige Horsteler Kaufmann Charly Bollermann am 09.07.2003 gegen 10.00 Uhr in seinen Firmenräumen in der Westenter Straße mit einer Schussverletzung tot aufgefunden worden …«
»Joh, Kowalski, die bundesweit bekannte Rotlicht-Größe Charly Bollermann, der unter anderem auch als Finanzier des Milieus galt, hatte danach immerhin einen standesgemäßen Abgang,« fuhr Bandura kichernd fort, »als der Schlagersänger Christian Anders am Grab des Bordell-Königs ›Bolle‹ sang: ›Es fährt ein Zug nach nirgendwo‹. Krass, was..!?«
»Ja ziemlich, Chefe. Sach ma, das wurde doch dammals als Selbstmord eingestuft, ne? Oder hattest du in der Hinsicht irgendwelche Bedenken?«
»Hhmmm-hhmmm-hhhmm,« schüttelte Bandura vielsagend den Kopf.
»Na gut, vielleicht find ich ja was Neues raus. Kann ich datt Blatt haben, oder mach’se mir ne Kopie davon, Chefe?« fragte Kowalski.
»Ach hier, nimm mit. Datt kann ich ja schon fast auswendig,« meinte Bandura.
»Danke, Chefe. Ich les mich mal nen bisken watt ein. Und dann komm ich noch ma auf nen Plausch bei dir vorbei.«
»Ja, is gut. Bis die Tage, Kowalski.«
Während er von Bandura runter in sein Kellerbüro schlenderte, vergegenwärtigte er sich, was er über Bollermann noch in Erinnerung hatte: »Ex-Box-Promoter, zwielichtiger Sportförderer von SSV Horstel-Fußballern und schmierige Rotlicht-Größe. Dem weinte anscheinend niemand eine Träne nach. Noch nicht einmal seine Witwe Edith. Sie war durch seinen Tod aus dem Gröbsten raus. Da hätte auch beim ausschweifenden Begräbnis mit sämtlichen Ruhrgebiets-Rotlichtbaronen, mit Knochenbrechern, Geldwäschern, Anwälten und dem Rest der Horsteler Sektion Hells Devils der herbeigeeilte Schlagerstar Christian Anders sogar großspurig Salvatore Adamos ›Es geht eine Träne auf Reisen‹ an Bolle’s Grab intonieren können. Tränen der Trauer hätte das nicht hervorgelockt, höchstens verhalten zurückgehaltene Lachsalven, die vereinzelt Tränen in Augen hüpfen ließen, über kantige Gesichter mit Boxer-Nasen und Blumenkohl-Ohren …«
Plötzlich stutzte Kowalski: »Der angebliche Suizid von Bolle und dieser Raubmord auf Ente. Zwei Fälle, und beide endeten mit bizarren Todesfällen in diesem Horsteler Ortsteil.« In seinem Bauch breitete sich so eine Ahnung aus, dass es bei diesen beiden seltsamen Fällen einen Zusammenhang geben könnte.
»Ja, das ist ja dann wohl logo,« dachte sich Kowalski, »dass ich mich mal bei Klaus Peschel erkundige, der hatte doch 2005 im Fall Struck ermittelt.«
Gedacht – getan. »Nicht verzagen, Peschel fragen.« Also besuchte er seinen Kollegen Peschel, den Leiter der Mordkommission. Der hatte zwar damals in alle Richtungen ermittelt, was aber – zumindest den Mordfall angehend – letztendlich ergebnislos geblieben war.
Dieser zweite Fall entpuppte sich als ziemlich dubios, wie Kowalski dann bei Peschel erfuhr: »Nee ehrlich, Kowalski, datt glaubste nicht. Der Safe von Struck, der brauchte nicht aufgeschweißt und hinterher in der Ruhr versenkt zu werden. Nee, nee, den hatte entweder der Struck selber vorher oder vielleicht seine scharfe Braut, diese Sunny Wüster, eigenhändig geöffnet. Die waren vielleicht ein ungleiches Pärchen, die beiden: der 56-jährige Roland Struck und seine junge rassige Sunny. Die war vielleicht nur halb so alt wie er. Mann, Mann, die hatten ja oben auf Ente zwischen dem Sportplatz am Lister Platz und der Enter Straße in einer wirklich schmucken abgelegenen Villa gelebt. Datt Anwesen lag verträumt am Waldesrand in der Nähe vom Listerplatz . Doch die dortige Ruhe entpuppte sich als verhängnisvoll. Denn die beiden lebten schön separat für sich, und die Nachbarn lagen weitab. Aber sie lebten wiederum auch so schön weit abgelegen, dass die Täter gleich mit nem ganzen Klein-LKW vorfuhren und abtransportierten, was ihnen einigermaßen wertvoll erschien.
Und Strucks Psychoschock-gefrorere Partnerin war, nur mit ihrer malvenfarbigen Unterwäsche bekleidet, in einen Perser-Teppich gewickelt und wie eine leckere Rinds-Roulade mit dickem Paketband verschnürt worden. Aus ihr bekamen wir ermittelnden Polizei-Beamten anfangs nur zusammenhangloses Gebrabbel raus.«
»Oha, oha,« Kowalski nickte seinem Kollegen zu, »mach weiter, Peschel.«
»Mann, fragte ich mich damals: ›War die schon immer so? So nach dem Motto: schön, aber dumm, oder wie es heutzutage politisch korrekt hieß ›ausbildungs-fern‹ …? Denn blendend sah sie wirklich aus, diese rassige Dame mit dem üppigen schwarzen Lockenkopf. Nicht nur in ihren Spitzen-Dessous. Sicherlich auch angezogen eine echte Schönheit. Oder hatten die Gauner ihr so zugesetzt, dass sie so wurde, wie sie jetzt brabbelte …? Hatte sie womöglich der Ermordung ihres Partners zusehen müssen? Oder war sie da schon ohnmächtig gewesen? Oder hatte sich alles doch ganz anders zugetragen …?«
Fragen über Fragen, die sich Peschel damals bei der Mord-Ermittlung gestellt hatte. Die klärten sich teilweise auf, nachdem Sunny Wüster bereits einen Tag später wieder soweit gesundheitlich aufgepäppelt worden war, um den Tathergang aus ihrer Sicht beschreiben zu können. Dabei konnte sie sich auch wieder klar und strukturiert äußern.
»Sie war also doch nicht nur so eine attraktiv aussehende Frau mit dem Intellekt eines Brötchens. Im Gegenteil,« erinnerte sich Peschel im Gespräch mit Kowalski, »die machte sogar einen außerordentlich cleveren Eindruck, die junge Frau Wüster.«
»Weißte, Kowalski,« ergänzte Peschel noch, »da gab es ja auch in Horstel oben auf Ente vor dem Mord an dem Struck eine richtige Serie von Einbrüchen und Einbruchsversuchen in der Villen-Gegend dort. Ist ja der Ortsteil mit den Betuchten. Wir hatten den Eindruck, dass es sich um eine Einbruch-Serie handelte, bei der der letzte mit Mord endete. Damit hörte es nämlich schlagartig auf. Allerdings hätte man auch spekulieren können, dass es sich nur um eine fingierte Einbruch-Serie handelte, um den eigentlich geplanten Mord zu decken …? Oder aber es handelte sich um ganz verschiedene Delinquenten …?«
»Ja, danke, Klaus,« meinte Kowalski, »ich hab ja auch mal früher in den 80er Jahren auf Ente gewohnt, nicht so feudal wie die Strucks hier, sondern mehr urban, an der Kreuzung Enter Straße und Westenter Straße. Da wurde mein Auto auch von einer Einbruch-Serie heimgesucht: gleich zweimal haben se mir den Passat-Kombi geknackt und ausgeraubt. Einmal nur so‹n paar Kleinigkeiten. Aber beim zweiten Mal ne richtig gute fette Musikanlage, so‹n Turm, weißte, mit Kassetten-Deck, Radio-Receiver und Booster, dazu zwei Boxen, dass mir die Ohren weggeblasen wurden, wenn ich datt Teil laut aufdrehte. Als ich das dann an der Polizei-Wache in Horstel anzeigte, zeigten mir die Kollegen etwas sehr Erstaunliches. Die hatten ja dammals auch alle Passat-Kombis. Mit seinem Polizei-Autoschlüssel schloss der einfach mal meinen Passat auf … da war ich aber baff …!«
»Na, jedenfalls,« erwiderte Peschel schlagfertig, »haben se dich dann nicht noch hinterher ermordet. Insofern lag dieser Fall hier von 2005 doch nen bisken anders.«
»Joh, Peschel, ermordet haben se mich tatsächlich nich. Sonst könnte ich dir datt ja jetzt au schlecht erzählen, wonnich …,« ging Kowalski mit einem Lacher raus, »und tschüß dann, bis die Tage, Kollege.«
Kowalski und Fanny hatten jetzt ordentlich Rätsel zu knacken: bloß wie?
Wie ging es eigentlich Kommissar Kowalski inzwischen, zwei Jahre nach seinem letzten großen Fall YOG’TZE? Damals 2014 – während der für die deutschen Kicker so grandiosen Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien – kam er ja nach seinem Klinik-Aufenthalt und sechswöchigem Krankenschein zwei Monate später wieder zurück in die ›Hoheleye‹, zu seiner Arbeitstelle, dem Hagener Polizei-Präsidium. Dort hatten die von der Personalabteilung die glorreiche Idee gehabt, ihm und seiner damals neuen Kollegin Fanny Bevenbreucker im Keller des Präsidiums an der Hoheleye ein kleines Kommissariat für alle nicht aufgeklärten Fälle einzurichten: das Sonder-Dezernat ›Z‹. Das geschah durchaus in augenzwinkernder Anlehnung an das sagenumwobene Sonderdezernat ›Q‹ um den dänischen Roman-Kommissar Carl Mörk aus der Feder von Jussi Adler-Olsen. Und das Motto ›was in Kopenhagen klappt, das wird schon auch in unserem Hagen gut gehen‹ war ein voller Erfolg.
Kowalski hatte vor seiner langen Fehlzeit wegen chronischer Nackenschmerzen schon zwei Reha-Maßnahmen, eine Schmerztherapie und sogar bei Dr. Glustick in Mettmann eine Ohr-Implantats-Akupunktur hinter sich gebracht. Der hatte deswegen bei chinesischen Medizinern eine Zusatz-Ausbildung gemacht. Das hatte aber Kowalski alles nichts genutzt. Erst als Deutschland schließlich im Sommer 2014 in Brasilien tatsächlich Fußball-Weltmeister wurde, hatte er die medizinische Kontrolle über seinen Körper zurück gewonnen. Denn seit dem erfolgreichen operativen Eingriff nach der Pasha-Methode in der Schwerter Marien-Klinik nahm er – trotz erheblicher Schmerzen – keine Schmerzmittel mehr. Stattdessen machte Danny lieber Sport. Jeden Tag absolvierte er sein regelmäßiges Sportprogramm. Zusätzlich besuchte er dann auch noch regelmäßig dreimal die Woche das Fitness-Center Fun-Out in Hagen-Hohenlimburg.
Und nun, zwei Jahre später – inzwischen wurde in Frankreich die Fußball-Europameisterschaft im Sommer 2016 gespielt, konnte Danny Kowalski stolz von sich behaupten, seit über zwei Jahren keine einzige Schmerztablette mehr genommen zu haben.
Mit Hilfe der ›echten‹ Altersteilzeit, also nur noch 50 % Arbeit, kam er ganz gut zurecht. Da er sich dieses Arbeitspensum auf vier Tage die Woche verteilte, konnte er in seiner neu hinzugewonnen Freizeit den gesundheitsfördernden Sport im Fitness-Center und auch zu Hause gut ›unter einen Hut‹ bringen. Finanziell kam er damit klar. Und seine Lebensqualität und vor allem die Gesundheit hatten sich erheblich verbessert, zumal ihm auch der Umzug vor einem Jahr von Hagen ins beschauliche Horstel gut getan hatte.
»Na ja,« dachte sich Kowalski und begann, in den grünen Gerichts-Akten zu blättern, »solange Fanny noch beim Yoga ist, werde ich mich mal ganz meditativ mit diesen alten Fällen beschäftigen.«
Auf der ersten Akte stand mit dickem schwarzen Filsstift geschrieben:
Charly Bollermann
und darunter etwas dünner:
1945 – 2003.
Sie hatte acht Blätter, die chronologisch geordnet waren.
»Na, dann schaun wa ma …« machte Kowalski den ›Kaiser‹, lehnte sich tief in seinen Bürosessel zurück und legte die Füße auf den Tisch. Hier in dieses Büro im Keller kam eh niemand, außer Kollegin Fanny, aber die erst nächste Woche wieder. Da konnte er sich ruhig mal ein bisschen fläzen.
Damit schnappte er sich das erste Blatt aus der Akte und begann zu lesen.
(Blatt 1)
»Die Affäre um den ECD Pilsburg entpuppt sich als eine Provinzposse besonderer Güte. Meistens donnerstags, kurz nach zwölf, war in Pilsburg Zahltag. Dann saß der Bauunternehmer Karl Schwarzenbeck, 48, mit qualmender Zigarre der Marke ›AI Capone jr.‹ auf der grauen Sesselgarnitur im Kellergeschoß-Büro. Die Lohnempfänger, meist kräftige Männer aus Kanada, stiegen einzeln zu ihm die enge Wendeltreppe hinunter. Als sei er einem Hollywood-Film der vierziger Jahre entsprungen, zog Schwarzenbeck ein Bündel Geldscheine aus der Jackentasche und zahlte bar. Je nach Laune des rundlichen Potentaten war’s manchmal etwas mehr oder auch weniger. Die Männer, die da brutto gleich netto nach Art der Schwarz- und Leiharbeiter im bundesdeutschen Baugewerbe am Finanzamt vorbei entlohnt wurden, kamen nicht vom Bau, sondern geradewegs vom Eis. Nach dem Training befahl ein Zettel an der Kabinenwand die Eishockey-Spieler des ECD Pilsburg zum Lohnempfang, weil Klubpräsident Schwarzenbeck gerade mal wieder flüssig war. In letzter Zeit aber war die frohe Botschaft immer seltener angepinnt. Das Finanzamt Pilsburg forderte 5,8 Millionen D-Mark an Steuern ein, erwirkte Haftungsbescheide gegen Schwarzenbeck und dessen Lebensgefährtin Hannelore ›Hanni‹ Evans, die dem Bauunternehmer auch als Schatzmeisterin des Klubs dient. Ende Oktober stellte der Fiskus schließlich Konkursantrag. In seiner Not lockte Schwarzenbeck die immer missmutigeren Cracks mit einem Versprechen aus ›Tausendundeiner Nacht‹ aufs Eis. 1,5 Millionen Mark, so versicherte er treuherzig, würden aus Libyen fließen, wenn der Klub ab sofort für das ›Grüne Buch‹ des Revolutionsführers Muammar el-Gaddafi werben würde. Den Vertrag habe er persönlich in Tripolis abgeschlossen. In Wahrheit war der Deal zwischen Tripolis und Pilsburg der schöne Traum eines kleinen Mannes, der sich eine Weile wie ein großer fühlte und nun schlicht pleite ist.
Die Geschichte aus der Provinz hat in der Eishockey-Bundesliga reichlich Vorbilder. Schwarzgelder wurden und werden gezahlt. Finanzämter forderten Steuernachzahlungen, Klubs gingen in Konkurs oder verloren die Lizenz. So blieben in den letzten Jahren acht Vereine, von Krefeld bis Bad Tölz, von Berlin bis Freiburg, auf der Strecke. Der Umstand, dass in Klein- und Mittelstädten, in denen die Eishockey-Bundesliga vornehmlich zu Hause ist, die Verbindung zwischen Honoratioren und Behörden besonders gut funktioniert, erklärt wohl auch, dass der ECD Pilsburg ungestört knapp sechs Millionen Mark Steuerschulden aufhäufen durfte. Ungerührt konnten Schwarzenbeck und seine Freunde ihrem Drang zur Selbstdarstellung nachgeben. Zur engeren Clique gehörte Charly Bollermann, der gerade eine sechseinhalbjährige Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung absitzt. Im Prozess wurde er als ›einer der größten Zuhälter Nordrhein-Westfalens‹ bezeichnet. Als Ehrenpräsident in Pilsburg ließ sich der Anlageberater Freddy Agarten feiern, der für 250.000 Mark Werbung auf den Trikots betrieb. Ein anderer Schwarzenbeck-Spezi sitzt derzeit wegen Verdachts der Veruntreuung in Untersuchungshaft. Heinz Teufelsböll aus dem ECD-Beirat wird verdächtigt, am Konkurs einer Hamburger Leasing-Firma, die Pilsburger Eishockey-Profis mit Autos versorgte, mitgewirkt zu haben. Als sich die Reihen der Freunde lichteten, war Schwarzenbeck offenkundig gezwungen, zu ausgefallenen Maßnahmen zu greifen: dem angeblichen Coup mit Gaddafi. Zum Reisemarschall erkor er Fritz Müller, 69, einen früheren Klubpräsidenten und Bürgermeister des Nachbarstädtchens Hömmeln.
Müller gilt in der Region als Libyen-Fachmann, seit er vor Jahren auf Vermittlung eines pakistanischen Geschäftsmannes mit libyschem Pass erstmals nach Tripolis reiste, um Exportchancen für die Industrie von Hömmeln auszuloten. Die heftige Reisetätigkeit, mal mit Journalisten, mal mit Industriellen, blieb zwar ohne Ergebnis, Müller wurde in der Heimat dennoch gefeiert. Er war nämlich bei einem Besuch im Beduinenzelt des Revolutionsführers unerschrocken auf Gaddafi losgegangen – und hatte ihn wie einen alten Freund umarmt. Anschließend sprach Müller als erster Deutscher vor dem Volkskongress. Was die beiden Biedermänner in Tripolis, wenn sie denn dort waren, verhandelten, ist ungewiss. Müller mag sich nur daran erinnern, Schwarzenbeck ›vorgestellt‹ zu haben, dann habe er ›Orangen gepflückt‹. Schwarzenbeck weiß noch von Verhandlungen mit dem Sekretär des ›Weltzentrums zur Verbreitung des Grünen Buches‹. Nur: der Name des Verhandlungspartners ist ihm schlicht entfallen.«4
»Ja, genau,« schmunzelte Kowalski in sich hinein, »an das ›Grüne Buch‹ des libyschen Revolutionsführers Muammar el-Gaddafi, da kann ich mich noch sehr gut erinnern. Damals dachte ich noch: Eishockey aus dem Sauerland und Gaddafi aus der Sahara, das passt ja wie ›Faust aufs Auge‹ ….! Aber da wurd ja eh nix draus. Aber 1987 war das …? Mann-Mann-Mann, wie die Zeit vergeht, das ist ja jetzt schon 30 Jahre her.«
Kowalski lehnte sich wieder weit auf seinem Bürostuhl zurück und schloss die Augen. Es war Sommer, es war warm, und er geriet ins Träumen. Dabei hatte er wieder mal diese erwärmenden Erinnerungen an seine Kindheit in ihrer Zechensiedlung in Datteln: »Da kamen immer jede Menge Lieferwagen in unsere Siedlung im Schürenheck. Täglich der Milchwagen, nachdem das treue Pferd Lotte vom Milchbauern Haufe gestorben war, die davor noch immer den Milchwagen durch unsere Siedlung gezogen hatte. Es gab auch zwei Bäcker, die wetteiferten bei ihrer täglichen Runde mit Brot und frischem Kuchen um die Kunden, wobei der eine sogar später die Tochter von unserer Nachbarin heiratete. Zweimal pro Woche kam der Fischwagen. Und dann der Eiermann aus Lüdinghausen, der besuchte die Siedlung aber nur einmal pro Woche, dafür brachte er aber einmal zur Herbstsaison auf Bestellung ne Fuhre Kartoffeln. Sodann gab es noch den Gemüsewagen. Und sogar kam einmal pro Woche ein Bücherwagen, wo man gelesene Bücher gegen eine geringe Gebühr umtauschen konnte. Im Sommer freuten wir Kinder uns auf das verführerische Klingeln des Eiswagens, der Eis zu zehn, zwanzig oder zu dreißig Pfennigen anbot, jeweils 10 Pf. für eine Kugel, wobei das Hörnchen für das Eis zu dreißig das absolut leckerste war. Und schließlich ertönte unregelmäßig, aber durchdringend, das zeitlose Jammern einer rostigen Flöte in der Siedlung: der Klüngelkerl war da, der uns auch schon mal 5 Pf. für ne alte Milchbüchse aus Blech gab.
Das war ja ein reges Treiben des mobilen Handels damals, wogegen heutzutage höchstens der Eismann mit Tiefgefrorenem oder auf Bestellung der Winzer mit Weinkisten kommt.
Dabei gab es doch damals sogar noch die beliebten ›Tante Emma‹-Läden, wie Eickhoff an der Castroper Straße oder die Gebrüder Pohl am Schürenheck, die dadurch für Furore sorgten, als sie auf einmal Selbstbedienung einführten, eine Revolution im Lebensmittelverkauf. Dazu gab es ja noch die Kioske wie der von Stapelbeck im Kehrwinkel, eine Art umgebautes Wohnzimmer, oder die zahlreichen Flaschen-Hausverkäufe, wo es in fast jeder Straße eine Familie gab, wo man zu jeder Zeit klingeln konnte, um dort ne Flasche Sprudel oder Bier zu erwerben: praktisch, wa eh!?!
Aber sonst war unsere Straße noch für uns Kinder zum Spielen da. Denn da fuhren so gut wir nie Autos durch. Im Sommer spielten wir damals bis zur Dämmerung Fußball und im Winter, wenn die Straße mit Eis zugefroren war, dann sogar Eishockey. Das heißt, wir schlidderten so mit unseren alten Stiefeln über die Straße und imitierten dabei ein wenig die Eishockey-Spieler mit ihren richtigen Kufen. Und die Hockey-Schläger waren selbst zusammengebaute dünne lange Bretter. Statt Puck gab’s nen kleinen Ball, aber wir spielten Eishockey. Boah, aber datt war noch lange, bevor die erste Buslinie durch‹e Siedlung am fahren war …«
»Ja,« erinnerte sich Kowalski an seine ersten ›Eishockey-Schritte‹ in der Kindheit, »datt ist vadammt lang her. Aber wo ich datt hier gerade mit dem Bolle und seine Eishockey-Kumpels lese, nee, is klar, datt mir da Eishockey-Er