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Keine Leiche, keine Kohle... ist ein deutscher Krimi, der zumeist im westfälischen Ruhrpott spielt, aber die Handlung führt den Leser in einem Zeitraum von 10 Jahren auch einmal rund um die Erde. Anfangs ermitteln Kommissar Bandura und seine Kollegin Julia Finkensiep im Fall des auf geheimnisvoller Weise verschwundenen Tommy Gölzenleuchtner. Was hat der Katzenschänder Wulling damit zu tun? Oder gar der Hagener „Rotlichtbaron“ Meschede? Und welche Rolle spielt dabei Tommys attraktive dänische Ehefrau Jytte? Oder überhaupt die dänische Sprache...? Die Polizei rätselt, ob Tommy ermordet wurde oder einfach nur verschwunden ist. Aber es geht auch um eine Lebensversicherung in Höhe von 1 Million DM, die ansonsten nach 10 Jahren fällig würde: nach Ablauf dieser Frist könnte Tommy Gölzenleuchtner nämlich für tot erklärt werden. Deshalb sucht der Versicherungsangestellte Danny Kowalski im Auftrage für seine Versicherung den Verschwundenen und jagt so einem Phantom durch 3 Kontinente und über 2 Jahrzehnte hinterher: diese Jagd führte ihn in Städte wie San Francisco, New Orleans, Taipeh, Bangkok und Khao Lak.
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Seitenzahl: 214
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Manfred Schloßer
Kriminalroman
Books on Demand
Für Lilli, unsere schwarze flauschige Halb-Norwegerin auf vier samtigen Pfoten, die als leidenschaftliche Freigängerin bisher alle gefährlichen Situationen draußen überlebt hat.
Manfred Schloßer, geboren 1951 in Selm, machte die klassische westfälische Ruhrgebiets-Karriere, als er an der Lippe in Datteln, an der Emscher in Dortmund und an der Ruhr in Hagen wohnte, der Stadt, über die es Anfang der 80er Jahre während der Musikphase der „Neuen Deutschen Welle“ hieß: „Komm nach Hagen, werde Popstar...“, als Nena und Extrabreit von Hagen aus die Welt eroberten. Zwar gründete er mit Freunden dort die Musikgruppe Vogelfrei, wurde aber nie Popstar, blieb aber trotzdem in den letzten 30 Jahren in Hagen wohnen, zusammen mit seiner langjährigen Lebensgefährtin und seit 2007 auch Ehefrau Petra und der gemeinsamen Katze Lilli.
Nach Ferienjobs als Holzplatz-Arbeiter auf ’m Pütt oder beim Silobau folgten die „staatlichen Pflichtaufgaben“ als fallschirmjagender Soldat und Zivildienstleistender.
In seinen drei erlernten Berufen kam das „magische Ruhri-Wissenschaftsdreieck“ der Bochumer Ruhr-Universität (Sozialwissenschaften), der Hagener (Sozialarbeit) und der Dortmunder Fachhochschule (Sozialpädagogik) zum Vorschein, zumal er dann mit seinen drei Diplomen auch noch viel besser jonglieren konnte...
Zur Belohnung durfte er sein Geld als Leiter eines Abenteuerspielplatzes, dann eines Jugendund später eines Jugendinformationszentrums verdienen und danach bis heute in einer Betreuungs-Behörde arbeiten.
Der Autor legt jetzt mit dem vorliegenden Roman „Keine Leiche, keine Kohle…“ den dritten Teil seiner Danny-Kowalski-Trilogie vor. In den bisherigen zwei Romanen wurde bereits über das Reisen in „Straßnroibas“ (2007) und über das Leben und die Liebe in „Spätzünder, Spaßvögel & Sportskanonen“ (2009) philosophiert…
Weitere Informationen im Internet: http://www.petmano.jimdo.com/
Das Leben meint es gut mit Dänen und denen, denen Dänen nahe stehen...
Deutscher Schlager (aus den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts)
Moderne tiders ungdom er fyldt med pjank og fjas.
De burde vaere moderne nu at vaere gammeldas:
se nu de stakkels piger, som nu om stunder faar
ved aegteskabet en aegtemand paa tyve aar.
Det fik vi ikke i halvfemserne,
vi maatte ta methusalemserne...
Killes igen, nej tak!
Det fik vi ikke i halvfemserne,
vi maatte ta methusalemserne...
Dänischer Schlager (aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts)
mit der ungefähren Übersetzung:
»Die moderne Jugend ist voller Unsinn und Schabernack.
Jetzt soll das wieder modern sein, altmodisch zu sein:
das haben sie nun davon, die armen Mädchen,
wenn sie die Chance haben,
einen Ehemann schon mit zwanzig Jahren zu heiraten.
Das kriegten wir nicht in den 90ern,
da mussten wir erst Methusaleme werden…
Sofort wieder eine Scheidung, nein danke!
Das kriegten wir nicht in den 90ern,
da mussten wir erst Methusaleme werden…«
(gemeint waren hier die 90er Jahre des 19. Jahrhunderts)
Prolog
Personenverzeichnis:
Teil 1 - Heimspiele in Westfalen
Tommy Gölzenleuchtner
Lilli
Jytte Gölzenleuchtner
Heinz Bandura
Carola Fürstmann
Maik Wulling
Thorsten Bülow
Julia Finkensiep
Bodo Zeterlich
Danny Kowalski
Kowalski und Bandura
Jytte und Kowalski
Harry Kreuzer
Carlos Brambauer
Teil 2 - Auswärtsspiele im wilden Westen
San Francisco, Kalifornien
Santa Cruz
New Orleans
Taipeh
Teil 3 - Heimspiele in Hagen
Jyttes Geheimnis
Keine Leiche, keine Kohle
...
Über neun Jahre später
...
Teil 4 - Auswärtsspiele in Südostasien
Khao Lak
Mord in Bangkok
Teil 5 - Endspiel
Zurück in Hagen
Epilog
Kleine dänische Lautlehre
Danke für alles
Hagen. (iza) »Im Garten des Floristen-Ehepaares G. auf Emst wurden blutige Kleidungsstücke des verschwundenen Thomas G. gefunden. Die Jeans-Hose und das modische weißgrundige Oberhemd mit farbenfrohen Motiven wiesen eindeutig menschliche Blutflecke auf. Vom vermeintlichen Opfer Thomas G. jedoch fehlt nach einer Woche immer noch jedwede Spur, wie die Hagener Kriminalpolizei aus der Zentrale auf der Hoheleye mitteilte.«
Westfälische Rundschau, aus dem Lokalteil der Samstagsausgabe vom 28.06.1986
Thomas »Tommy« Gölzenleuchtner liebte Jyttes Blumen nicht, dafür aber ihr gemeinsames Kätzchen Lilli, seine Reisen in ferne Länder und seine Freiheit sowieso
Lilli hieß Gölzenleuchtners schwarze Katze, hatte ein weißes Lätzchen, war scheu, aber neugierig und liebte ebenfalls ihre Freiheit
Jytte Gölzenleuchtner liebte ihre Katze und ihre Blumen, aber nicht nur die
Inger-Lise Hansen, Jyttes Schwester in Dänemark, liebte ihren Hund Tjam und ihren Mann Bjarne sowieso
Carola Fürstmann liebte Blumen und solche, die Blumen lieben, aber auch solche, die Blumen nicht lieben
Charly »Mesche« Meschede liebte die schönen Dinge des Lebens, die man für Geld kaufen konnte, und wurde deshalb auch nur von wenigen anderen geliebt
Maik Wulling war Schweißerlehrling und liebte seine Freundin Carola sehr, aber nicht ihr Bedürfnis nach Freiheit, und Katzen schon gar nicht
Heinz Bandura war Hauptkommissar am Hagener Polizeipräsidium Hoheleye, leitete die Abteilung für Kapitalverbrechen, war begeisterter Fußball-Fan, glaubte aber ansonsten an gar nichts
Thorsten Bülow interessierte sich schon immer für Fußball und hatte zudem noch einen guten Ausblick von seinem Balkon auf den Garten der Gölzenleuchtners
Julia Finkensiep war Banduras neue Kollegin, Kommissars-Anwärterin bei der Hagener Kripo und liebte ebenfalls Katzen
Bodo »Chefe« Zeterlich war Abteilungsleiter der Versicherungsfirma Milan, wusste von den Dänischkenntnissen seines Untergebenen Kowalski, nicht aber von dessen Freiheitsliebe
Danny Kowalski war Mitarbeiter der Rechtsabteilung für Lebensversicherungen der gleichen Versicherungsfirma Milan, liebte Katzen und Blumen und die, die Katzen und Blumen lieben, aber auch die, die Freiheit lieben, und stand daher vor einer gewissen Entscheidung
Harry Kreuzer war ein alter Freund von Tommy, liebte aber eher Reisen in heimatliche Gefilde
Carlos Brambauer war ebenfalls ein alter Kumpel von Tommy und liebte wie er Reisen in ferne Länder
Mike Chen hieß der junge Inhaber des China-Imbisses »Ducks and Rice« in Santa Cruz, Kalifornien, und meinte, jemand wieder erkannt zu haben
Charmaine Neville liebte ihre Stadt New Orleans, ihre Musik und natürlich ihre Brüder, die Neville Brothers
Aaron Neville war einer dieser Neville Brothers, ein Schrank von einem Kerl, aber ein hochsensibler Sänger, der auch ein Herz für weiße Brothers hatte
Ma Linge Chen hieß der Cousin von Mike Chen, war Hotelmanager in Taipeh und kannte sich aus mit Langnasen
Fritz und Bert, die deutschen Pioniere im thailändischen Khao Lak, waren selber Langnasen und erlebten unterschiedliche Schicksale
1986
»Komm nach Hagen,
werde Pop-Star…«,
sangen Extrabreit Anfang der 80er Jahre,
als in der Neuen Deutschen Welle die
Startlöcher für spätere Stars wie Nena
und Extrabreit in Hagen lagen…
Es kam zu diesem blutigen Zusammenstoß, als ein fremder Mann auf Gölzenleuchtners Grundstück eindrang. Tommy ertappte ihn dabei, wie er sich neben dem Haus mit einem großen Messer am Hinterleib einer schwarzen Katze zu schaffen machte. Es sah aus, als wollte er sie kastrieren. Mit großer Sorge und Wut rannte Tommy hinzu, um die Katze aus den Händen des Unmenschen zu retten. Laut schreiend kam er näher, so dass er den Fremden bei seinem blutigen Vorhaben aufhielt. Dabei bestätigte sich Tommys Sorge: »Boah, es ist ja wirklich unsere kleine Lilli!« Er erkannte sie am weißen Lätzchen, also einer weißen Zeichnung am Hals des ansonsten schwarzen Fells, als sie sich mit schreckensweit geöffneten Augen in den derben Händen des Unholdes wand und Tommy dabei ihr Köpfchen zudrehte. »Die ist doch schon längst kastriert!!«, schrie er dem dunkelhaarigen Fremden zu, so dass dieser mit dem Messer von Lilli abließ. Der Fremde hielt das kleine flauschige Wesen mit seiner linken Hand am Nackenfell, so dass Lilli reflexartig in Starre verfiel. Mit seinem großen Küchenmesser hatte er sie an den Hinterbeinchen verletzt, so dass die Innenseiten bluteten. Wutentbrannt sprang Tommy auf den massigen Fremden zu, um seinen Liebling zu retten. Dabei dachte er: »Da reicht mir noch nicht mal ne Anzeige gegen diesen brutalen Menschen. Ich will ihn bluten sehen. Ich schneid ihm am besten gleich seinen Schwanz ab, damit er mal spürt, wie das ist...!«
Es kam zu einem Handgemenge, wobei Tommy den Vorteil der Überraschung auf seiner Seite hatte. Der Fremde dagegen hatte ein gefährliches Messer in seinen Händen, das er auch skrupellos zu seiner Abwehr einsetzte. Er erwischte Tommy durch das weite Oberhemd hindurch am Oberkörper. Und Tommy blutete aus einer Schnittwunde an der linken Körperseite ‚wie die Sau’. Tommy, ein geübter Tae Kwon Do-Kämpfer, reagierte auf diesen Angriff reflexhaft, sein rechtes Bein schoss sichelförmig nach vorn, und der rechte Fuß landete mit seinem Spann einen Volltreffer am Kopf des Katzenschänders. Der konnte sich eigentlich nicht beschweren, dass er nur mit einer schweren Gehirnerschütterung davon kam. Denn solch ein Tritt kann auch leicht mal tödlich ausgehen, wenn er den Gegner z.B. etwas tiefer an der Halsschlagader getroffen hätte. Da hatte sich das jetzt endlich mal für Tommy ausgezahlt, dass er Mitte der 70er Jahre zusammen mit seinem Freund Manfred ein Semester Taek Kwon Do im Sportinstitut der Ruhr-Uni Bochum belegt hatte. Der Katzenquäler war erst einmal ausgeschaltet und lag regungslos auf dem Plattenweg.
Tommy kümmerte sich zunächst lieber um seine Katze Lilli und hob sie vorsichtig an. Dabei barg er ihre verletzten Hinterbeinchen in seinem eh schon farbenfrohen Oberhemd und trug sie in den hinteren Teil des Gartens, wobei er sie unablässig streichelte und ihr beruhigende Worte zuflüsterte. Das zeigte auch bald Wirkung, so dass die vorher vor Angst angelegten Öhrchen sich wieder aufrichteten und das gesträubte Fell sich langsam wieder glättete. Doch das Takeo-Hemd von Tommy bekam jetzt noch zwei neue Rotschattierungen extra: Katzenblut und Menschenblut. Dabei lag der rote Lebenssaft von Tommy mit etwa 5 : 1 gegen Lillis paar Blutstropfen in Führung, jedenfalls was die Musterfärbung auf Tommys Designer-Hemd anbetraf.
Im hinteren Teil des Gartens befand sich ein hölzernes Gartenhäuschen und darin ein weich ausgepolstertes Körbchen für Lilli. Tommy legte sie vorsichtig dort hinein. Ihr war anscheinend nichts Schlimmeres außer ein paar kleineren Schnittwunden passiert. Jedenfalls machte sie vorsichtig ein paar Schritte im Gartenhäuschen, erschnupperte dabei die eigenwillige Geruchsmischung von Stroh und Hornspänen, legte sich dann ins Körbchen, leckte ihre Wunden und kugelte sich schließlich in ihrer weichen Bettstatt zusammen.
Jetzt erst begann Tommy ein kurzes Resümee an seinem eigenen Körper: er knöpfte das Blut getränkte Oberhemd auf und zog es sich vorsichtig über seine linke immer noch blutende Seite aus. Da es in Gartenhäuschen recht muckelig warm war, entledigte er sich auch seiner ebenfalls blutbefleckten Bluejeans. Er nahm sich vor, die Kleidungsstücke später mit Gallseife und kaltem Wasser zu waschen, um die Blutflecke wieder rauszubekommen. Deshalb legte er sie auf die Gartenbank draußen vor dem Holzhaus.
Tommy schaute sich seine klaffende Schnittwunde an: sie blutete weiterhin stark. »Oh Gott, ich verblute,« dachte er, wurde dabei kreidebleich und ließ sich auf die Holzbank vor dem Gartenhäuschen fallen. Dabei schnappte er sich sein Oberhemd und presste es gegen die Wunde, um die Blutung zu stoppen…
»Das gibt’s doch nicht«, beklagte sich Lilli, »da spaziere ich hier nur wie jeden Tag durch mein Revier, ahne nichts Böses, da kommt auf einmal dieser fremde Mann in meinen Garten und packt mich am Schlafittchen. Aua, das tut weh, du blöder Wüstling!«
Lilli wehrte sich mit Pfoten und Beinchen und hatte ihm auch schon mit ihren scharfen Krallen ein paar deftige Blutstriemen am Unterarm verpasst. Als sie dann auch noch das gefährlich aufblitzende große Küchenmesser in der rechten Hand des Mannes sah, wand sie sich in Todesangst in den derben Händen des Unholdes, und ihr kurzes Leben lief im Zeitraffer an ihr vorbei:
»Da wurde mir als kleines Kätzchen zweimal von meinem großen Baum runtergeholfen, weil ich alleine nicht mehr runter kam. Da wurde ich noch gerettet. Nie bin ich von meinen Bäumen gefallen, und von meinem Hausdach auch nicht. Weil ich so schreckhaft bin, habe ich mich vor Autos immer vorgesehen. Keine Unfälle! Das gefährlichste war noch, wenn mich der schwarz-weiße Kater Carlo von der Willdestraße jagte. Und da kommt dann ausgerechnet jetzt einer mit einem Messer in meinen Garten. Sollte das etwa durch diesen Grobian schon mein Ende sein…!?«
Doch da kam Rettung für Lilli: »Oh, da kommt ja schreiend mein Tommy angerannt: super! Der hilft mir bestimmt!«
Tatsächlich ließ der Fremde mit dem Messer von Lilli ab, da Tommy dem Katzenschänder Saures gab.
»Ein Glück«, seufzte Lilli mit einem gequälten »Miau! Da liegt der Blödmann auf meinem Plattenweg. Das soll ihm eine Lehre sein, sich an Katzen zu vergreifen. Mein Tommy kümmert sich jetzt sehr liebevoll um mich, der Gute. Ach, ist das schön jetzt nach dieser Aufregung, dass er mich so schön streichelt und mir beruhigende Worte zuflüstert.«
Lilli sinnierte: »Mir ist anscheinend nichts Schlimmeres passiert außer ein paar kleineren Schnittwunden. Da mache ich mal vorsichtig ein paar Schritte: geht ja schon wieder. Was schnuppert denn übrigens hier in meinem Gartenhäuschen so interessant nach Stroh und Hornspänen...?«
Dann legte sie sich in ihr Körbchen, leckte sich erst das Blut von ihren Wunden, war aber bald eingeschlafen und träumte: »Oh, meine Katzengöttin, das ist ja noch mal gut gegangen. Denn mein lieber Tommy hat mich gerettet. So kann ich hier noch weiter leben, wo ich es doch so schön hier in Hagen habe, nachdem ich aus Dortmund hierhin geholt worden bin. Damals hat mich ja meine neue Katzenmutter Jytte mit in ihr warmes Wasserbett genommen. Das war schön. Die ist auch so lieb zu mir. Und dann spricht sie immer in meiner archaischen Sprache zu mir: das gibt mir ein zusätzliches Gefühl von norwegischer Heimat. Und mein Tommy ist auch so süß. Seit ich von meinen Leuten meine eigene Katzentür bekommen habe, bin ich ja auch eine unabhängige Freigängerin geworden. Da hat es hier auf Emst gerade erst so richtig gut angefangen mit all meinen grünen Gärten in meinem Revier, wo ich rumstromern, überall schön schnuppern und Vögel beobachten und Mäuse fangen kann. Das soll dann auch bitte so bleiben…«
Die hellblonde Jytte sprach Dänisch mit dem weichen melodischen Dialekt der Fünen, da sie von der dortigen Inselhauptstadt Odense stammt, wo sie am 12.05.1955 geboren wurde. Das ist auch die Heimat des dänischen Fußball-Traditionsvereins Odense BK, aber ebenso der Geburtsort des wohl berühmtesten dänischen Schriftstellers, dem Märchenerzähler Hans Christian Andersen, oder wie die Dänen H. C. Andersen aussprechen würden: »HoZiÄnnersen«. Die Insel Fünen liegt zwischen der Halbinsel Jütland und der Hauptstadt-Insel Seeland oder auch »Sjaelland«, wie der Däne sagt. Die Jüten sprechen eher langsam und undeutlich, als hätten sie heiße Kartoffeln im Mund, weshalb sie auch scherzhaft »Kartoffel-Tysker« genannt werden. »Tysk« heißt Deutsch. Und Jütland liegt ja direkt angrenzend an der nördlichen deutschen Grenze. Dagegen sprechen die Hauptstädter aus Kopenhagen eher ein schnelleres Dänisch. Jyttes Eltern wohnten vor ihrem Tod im kleinen jütländischen Dorf Vandel bei Veilje. Da ihr Vater Berufssoldat gewesen war, musste die Familie mehrmals umziehen: von Fünen nach Aalborg in Nord-Jütland und für die letzten Jahre nach Süd-Jütland, wo sie sich ein eigenes Häuschen im Randbölvej 11 in Vandel gekauft hatten. Obwohl Tommy Kriegsdienstverweigerer war, hatte das keinen Einfluss auf sein gutes Verhältnis zu Jyttes Eltern. Im Gegenteil, das Verhältnis zu Tommy blieb immer herzlich. Gunnar und Bente Hansen mochten Tommy sehr. Sie hatten zwei Töchter und sahen in ihm fast einen eigenen Sohn. Jyttes Eltern waren starke Raucher. Gunnar rauchte am liebsten Shag-Tabak in seiner Pfeife. Deshalb schnupperte es für Tommy in der Stube der Hansens immer angenehm und gemütlich, oder »hyggelig«, wie der Däne zu sagen pflegte. Bente dagegen bevorzugte die starken dänischen Filterzigaretten von Prince Denmark. Diese Marke rauchte Jytte ebenfalls.
Jytte hatte den Hagener Floristen-Sohn Tommy Gölzenleuchtner durch ihre Schwester Inger-Lise kennen und lieben gelernt, deren Brieffreund er vor vielen Jahren gewesen war. Vor neun Jahren hatten die beiden geheiratet, und Jytte war zu Tommy nach Hagen gezogen. Nachdem Tommys Eltern im Winter 1984 durch einen tragischen Autounfall ums Leben gekommen waren, kümmerte sich Jytte mehr und mehr um das Floristengeschäft der alten Gölzenleuchtners und hatte die Geschicke des Blumenladens fast gänzlich übernommen. Ihr geschäftliches Engagement war allerdings aus wechselwirksamen Zu- und Abneigungen entstanden: einerseits liebte sie Blumen schon immer. Sie war deshalb auch geradezu närrisch vor Freude über die Tatsache, dass ihre damalige Bekanntschaft Tommy der Sohn einer Floristenhandlung war. Wogegen Tommy ihre Zuneigung zur Flora absolut nicht teilte. Ganz im Gegenteil, denn seit frühester Kindheit gab es in der Familie Gölzenleuchtner nur ein Thema: »Blumen – Blumen – Blumen…!« Er war das einzige Kind seiner Eltern. Wahrscheinlich hatten sie damals vor lauter Blumenzüchten keine Zeit, sich um die »Zucht« von eigenen Kindern zu kümmern…!? Er hasste es als Kind, seinen Eltern im Blumengeschäft mithelfen zu müssen. Und ihm grauste vor ihrer Erwartung, dass er natürlich diese Blumenhandlung eines Tages übernehmen sollte. Wahrscheinlich hatte er deshalb auch Geographie studiert. Als kleines Schulkind interessierte er sich nämlich schon für Heimatkunde, später auf dem Gymnasium für Erdkunde. Danach studiumshalber für die Topographie der Erde, um häufig weit weg vom elterlichen Blumengeschäft sein zu können.
Seit nun aber seine Eltern auf dem Weg nach Holland zum Blumengrosseinkauf bei dem tragischen Verkehrsunfall in einem Nebelmassenzusammenstoss auf der Autobahn Köln – Aachen vor zwei Jahren umgekommen waren, begann Tommy immer mehr und mehr aufzublühen. Denn er konnte sich langsam vom ungeliebten Blumengeschäft lösen, das ja unter den Fittichen seiner Jytte in sehr dankbaren und willigen Händen lag.
Jyttes Eltern waren leider auch schon sehr früh gestorben: Gunnar 1983 mit 55 Jahren an Mundhöhlenkrebs, Bente 1984 mit nur 54 Jahren an Lungenkrebs. So hatte Jytte vor zwei Jahren zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Inger-Lise das schuldenfreie Elternhaus in Vandel geerbt. Das Haus wurde auf einen Wert von 360.000,-- DM geschätzt. Die wie Jytte ebenfalls hellblonde Inger-Lise zog mit ihrem Mann Bjarne und ihrem gemeinsamen Cockerspaniel Tjam in das kleine Haus am Ortsrand von Vandel und musste deshalb ihre Schwester Jytte mit dem Wert des halben Hauses von 180.000,-- DM auszahlen. Da sie weder so viel Geld auf der hohen Kante hatte noch einen Riesenkredit aufnehmen wollte, wurde per Vertrag eine langfristige monatliche Ratenzahlung von 2250,--Dänischen Kronen vereinbart, also etwa 750,-- DM, die sie Jytte 20 Jahre lang nach Deutschland überweisen sollte. Jytte konnte damit ein relativ sorgenfreies Leben führen. Da Inger-Lise und ihr Mann Bjarne fleißig arbeitende Allgemein-Mediziner mit eigener gutgehender Arztpraxis waren, konnten sie sich diese Monatsraten leisten. Seit 1984 sparten die beiden zudem nicht nur die Miete für ihr vorheriges Haus in Bölling, sondern die nicht unbeträchtliche Miete für die Arztpraxis in der Innenstadt von Veilje. Denn sie betrieben ihre Praxis im eigenen Haus am Randbölvej in Vandel, in dem sie auch wohnten. So war es ein für alle Beteiligten sehr befriedigendes Arrangement.
Jytte sprach auch mit Lilli Dänisch, da diese ja zur Hälfte eine Norweger Waldkatze war, und Norwegisch und Dänisch sich sehr ähnlich anhören.
»Lilliken, komme hjem! Lilliken, spise!« (also etwa: »Kleine Lilli, komm heim, es gibt zu essen!«), rief Jytte also in den Garten, als sie ihre Katze an dem bewussten Samstagabend reinlocken wollte. Aber Lilli kam nicht. So ging Jytte in den Garten und sah im hinteren Bereich die Tür des Gartenhäuschens offen stehen, die normalerweise immer geschlossen war. Dort fand Jytte sie im Körbchen zusammengerollt liegen. Sofort sah sie, dass Lilli geblutet hatte, weil am Stoff im Körbchen mehrere Blutflecke waren. Sie untersuchte die arme Lilli und entdeckte die blutverkrusteten Schnitte an den Innenseiten ihrer Hinterbeine. »Was ist denn hier geschehen?« dachte sie, »da muss ich doch mal Tommy fragen.« Aber auf ihre lauten Rufe: »Tommy, Tommy!« meldete sich niemand. Deshalb nahm sie ihr Kätzchen vorsichtig auf ihren Arm, um sie in der Wohnung mit einer Katzenjod-Tinktur zu verarzten. Als sie aus dem Gartenhäuschen trat, sah sie die blutige Kleidung von Tommy auf der Gartenbank liegen und erschrak: »oh Gott, oh Gott, das wird ja immer schlimmer...! Was soll ich nur machen...?«
Und Jytte sah weder auf dem Plattenweg den Katzenschänder liegen, der nämlich nach seiner kurzen Ohnmacht schleunigst das Gölzenleuchtnersche Grundstück verlassen hatte, noch wusste sie überhaupt etwas von seinem blutigem Küchenmesser.
Der ganze Vorfall, der zum Verschwinden von Tommy führte, ereignete sich am Samstagnachmittag, den 21. Juni 1986.
Jytte wartete mit einer Vermisstenanzeige bei der Polizei noch 48 Stunden und rief dort also erst am Montagnachmittag, den 23. Juni, an. Der wachhabende Polizeibeamte machte Jytte darauf aufmerksam, dass sie diese Vermisstenanzeige bei der für sie zuständigen Polizeidienststelle Hoheleye persönlich erledigen müsse.
»Ja gut, dann komme ich heute Abend nach meinem Geschäftsschluss zu Ihnen.«
Als Jytte dann am Montagabend auf dem Polizeipräsidium Hoheleye vorsprach, um die Vermisstenanzeige persönlich aufzugeben, wurde sie vom diensthabenden Polizeibeamten gefragt: »Warum sind Sie denn mit dieser blutigen Geschichte nicht eher gekommen?«
Jytte antwortete: »Ich dachte, man müsste 48 Stunden warten, bis man eine Vermisstenanzeige aufgeben kann...!?«
»Ja, ja, eigentlich haben Sie recht, aber in Ihrem Fall mit den blutigen Kleidungsstücken Ihres Ehemannes hätten Sie ruhig schon eher kommen sollen. Wer weiß, was da alles passiert sein kann!?«
»Ach ja,« ergänzt Jytte, »wo Sie das gerade sagen. Da möchte ich auch noch zusätzlich eine Anzeige gegen Unbekannt wegen unserer Katze Lilli machen: die ist nämlich am Samstag an den Hinterbeinen verletzt worden, dass sie blutete.«
Der früher drahtige 51-jährige Hauptkommissar Bandura leitete die Abteilung für Kapitalverbrechen am Hagener Polizeipräsidium Hoheleye. Er war ein leicht ergrauter kompetenter Polizeibeamter, 1,80 m groß, hatte aber durch lange Jahre mit überwiegend sitzender Tätigkeit mit 91 kg etwas zuviel an Gewicht zugelegt, obwohl er sich im Leben und beim Fußball auskannte. Der erfahrene Bandura machte sich am Mittwochvormittag, den 25. Juni, allein auf den Weg von der Hoheleye nach Hagen-Emst, um mit Frau Gölzenleuchtner die aufgenommene Anzeige zu besprechen:
»21. Juni 1986: vermisst wird Thomas G. Nur noch blutige Kleidung übrig. Zusätzlich Verletzung der Katze Lilli. Anzeige wegen Sachbeschädigung gegen Unbekannt.«
Auf Emst fand er in der Emster Straße schnell den Blumenladen mit den dunkelblau lackierten Fensterrahmen. Er trat ein, und das Glöckchen über der Eingangstür verriet dem verwaisten Laden einen neuen Kunden. Aber er fand niemand vor, der oder die einen vermeintlichen Kunden hätte bedienen können. Stattdessen hörte er jemand leise vor sich her singen: für ihn hörte es sich an wie eine junge Frau, die in einer ihm fremden Sprache sang. Bandura folgte der Stimme und fand Jytte Gölzenleuchtner im rückwärtig liegenden Tropen-Gewächshaus.
Sie erschrak, als sie ihn bemerkte, und hörte abrupt auf zu singen.
»Entschuldigen Sie die Störung. Meine Name ist Bandura von der Kripo Hagen«, stellte er sich vor, »Ich komme wegen Ihrer Vermisstenanzeige. Sind Sie Frau Gölzenleuchtner?«
»Ja, die bin ich.«
»Sind Sie alleine hier im Laden?«
»Ja, unsere Azubi hat heute Berufsschule. Mittwochs ist hier nie so viel los. Ähnlich wie bei Ärzten und Apotheken machen wir auch Mittwochsnachmittags immer zu.« Sie hielt Bandura ihre rechte Hand zur Begrüßung hin, die er auch drückte, überrascht über ihren festen Händedruck, jedenfalls fest im Verhältnis zu ihrer augenscheinlich zierlichen Figur.
Jytte hatte passend zu ihrem femininen Äußeren auch eine Vorliebe für Orchideen. Sie führte ja nicht nur ihren Blumenladen auf Emst, sondern sie liebte auch ihre Blumen sehr, besonders ihre Orchideen-Zucht, mit der sie viel Zeit verbrachte. Deshalb ertappte Bandura sie auch so selbstvergessen und dänische Volksweisen singend in ihrem mollig heißen Tropengewächshaus. Die Orchideen oder Orchideengewächse sind eine weltweit verbreitete Pflanzenfamilie. Lustigerweise haben die zwei hodenförmigen Wurzelknollen der Knabenkräuter der gesamten Pflanzenfamilie ihren Namen gegeben, denn das griechische Wort für Hoden lautet »Orchis«.
In Jyttes feucht-schwülem Tropengewächshaus fand sich ein reichhaltiges Sortiment an tropischen Orchideen: die als Wespen-Ragwurz bekannte Ophrys tenthredinifera in weiß mit dem gefährlich aussehenden Gesicht in Rosa, oder das sogenannte »Dancing Girl« in den Flamenco-Farben gelb und rot, eine Oncidium-Hybride, verschiedene Phalaenopsis-Arten, die auch als Falter-Orchideen bekannt sind oder Paphiopedilum, zu deutsch Frauenschuh. Neben diesen bekannten gab es auch noch viele seltene Orchideen in den schönsten Farben und Blütenformen, nicht zuletzt auch einige Duft-Orchideen mit ihrem süßlich zarten Duft.
Aber auch üppige Hibiskus-Blüten in rot, weiß, rosa oder die mit den seltenen gelb-roten Blüten hatte Jytte zu bieten. In einer Ecke hing die bizarre Blütenform der Zierbanane Heliconia rostrata mit ihren großen dekorativen rot-gelben Hängeblüten. Dann gab es noch die äußerst wohlriechenden Blüten des Jasmin aus der Familie der Ölbaumgewächse, Ylang-Ylang von der philippinischen Insel Bohol und in einer kleinen Teichanlage rosafarbige duftende Lotosblumen zu bestaunen. Da fehlte nur noch ein tropischer Riesen-Gecko dazwischen, um das Arrangement abzurunden. Zwischen all ihren exotischen Pflanzen lebte Jytte so richtig auf.
Bandura holte Jytte mit seiner ersten Frage sehr abrupt aus ihrem wohl duftenden Tropentraum: »Erzählen Sie mir doch mal, wie das war, mit dem Verschwinden Ihres Mannes.«
»Aber das habe ich doch Ihrem Kollegen bei der Vermisstenanzeige auf der Hoheleye vorgestern, also am Montag, schon alles erzählt«, entgegnete sie ihm ungeduldig.
»Ja ja, ich weiß, aber ich hätte es gerne noch mal von Ihnen selbst gehört. Also schildern Sie mir bitte ausführlich aus Ihrer Sicht, was an dem Abend passiert ist«, kam es prompt von Bandura zurück.
»Na gut«, begann Jytte, »der Tag, an dem Tommy plötzlich verschwunden ist, das war am letzten Samstag, also am 21. Juni. Ich wollte unsere Katze Lilli abends reinlocken, um sie zu füttern. Aber Lilli kam nicht. So ging ich in den Garten und sah die Tür des Gartenhäuschens offen stehen. Das ist ungewöhnlich, weil die normalerweise immer geschlossen ist. Dort fand ich unsere Lilli im Körbchen zusammengerollt liegen. Sie lag da wie ein dänisches Brötchen.«
»Bitte…!?« unterbrach Bandura unverständig ihren Redestrom, »dänisches Brötchen? Wie liegt denn eine Katze wie ein dänisches Brötchen?«
»Ja, das ist so«, erklärte ihm Jytte, »in Dänemark heißen die Brötchen ‚rondstykker’, also ‚Rundstücke’: ja, und genauso rund zusammengerollt lag Lilli da im Körbchen. So können nur Katzen schlafen…!«
»Verstehe«, antwortete Bandura, »aber fahren Sie doch bitte in Ihrer Schilderung fort, Frau Gölzenleuchtner.«