Das Erbe des Tycoons (4-teilige Serie) - Emily McKay - E-Book

Das Erbe des Tycoons (4-teilige Serie) E-Book

Emily McKay

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Beschreibung

WAS ICH WILL, BIST DU!
"Große Veränderungen stehen Ihnen bevor." Der Spruch im Glückskeks, den die junge Lehrerin Laney öffnet, bringt es auf den Punkt. Denn Dalton Cain hat seinen Besuch angemeldet. Unvergesslich sind seine Küsse - und unvergesslich ihre Enttäuschung, als er ihr den Laufpass gab! Klar, Laney war ja auch nur die Enkelin der Haushälterin, während Dalton der älteste Sohn des Cain-Imperiums war. Trotzdem schlägt Laneys Herz wie verrückt, als der teure Wagen vorfährt und Dalton aussteigt. Was immer er von ihr will - es wird sehr schwer werden, es ihm nicht zu geben …

NACHT FÜR NACHT MIT DIR
Männlich, sinnlich, raffiniert: Der charmante Playboy Griffin Cain ist der perfekte Liebhaber. Nacht für Nacht bescheren seine Verführungskünste Sydney unbeschreibliche Wonnen. Bis ihre heimliche Affäre jäh ein Ende hat, als Griffin in das Familienunternehmen einsteigt … und Sydney künftig mit ihm zusammenarbeiten muss. Auch wenn sie immer noch heißes Verlangen verspürt, ist sie fest entschlossen, Griffin ab sofort zu widerstehen. Schließlich darf sie ihre Karriere nicht aufs Spiel setzen! Doch dann geschieht etwas, das sie noch ein allerletztes Mal schwach werden lässt …

EIN BLICK IN DEINE AUGEN ...
Hundert Schmetterlinge flattern plötzlich in ihrem Bauch, sie bekommt kaum noch Luft, und ihr wird kalt und warm zugleich - niemals hätte Portia damit gerechnet, dass ein Blick in Coopers Augen so eine Wirkung auf sie hat! Er ist der Bruder ihres Exmannes, und sie ist froh, mit der Scheidung der Familie Cain entkommen zu sein. Alle Cain-Männer sind eiskalt, berechnend und zu tiefen Gefühlen nicht fähig: Das ist die bittere Erkenntnis, die Portia aus ihrer gescheiterten Ehe gewonnen hat. Cooper scheint ganz anders zu sein - doch kann sie seinen heißen Küssen wirklich vertrauen?

VERBRENN DIR NICHT DIE FINGER, DARLING
Meg kann Grants Liebe einfach nicht vergessen. Ebenso wenig wie den Schmerz, als er sie wortlos verließ! Sie hat sich geschworen, ihn nie wiederzusehen. Doch diesen Schwur muss sie heute brechen - wegen ihrer kleinen Tochter. Mit bebendem Herzen tritt sie ihm entgegen …

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Seitenzahl: 813

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Emily Mckay

Das Erbe des Tycoons (4-teilige Serie)

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Christel BorgesGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2012 by Emily McKaskle Originaltitel: „All He Ever wanted“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 1831 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Maike Stein

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733720599

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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PROLOG

Hollister Cain war siebenundsechzig Jahre alt und gerade dabei, sich von seinem dritten Herzinfarkt zu erholen. Er wirkte, als wäre er dem Tod näher als dem Leben. Doch an dieses Leben klammerte er sich, und zwar mit derselben Entschlossenheit, mit der er die letzten vierundvierzig Jahre lang das Cain-Imperium geleitet hatte.

Seine zerrüttete Familie war vollzählig am Krankenbett zusammengekommen. Die Ehefrau, mit der er sich zerstritten hatte, seine drei Söhne – einer von ihnen unehelich – und sogar seine ehemalige Schwiegertochter hatten auf seinen Wunsch alles stehen und liegen gelassen. Nicht etwa, weil sie ihm so ergeben waren. Oder gar, weil sie ihn liebten. Sie hatten schlicht nicht glauben können, dass der Mann, der ein Finanzimperium erschaffen und ihrer aller Leben bestimmt hatte, ebenso sterblich sein sollte wie sie selbst.

Vor sechs Wochen, als sich Hollisters Gesundheit so abrupt verschlechtert hatte, war sein Arbeitszimmer im ersten Stock des Hauses im renommierten Viertel River Oaks zu einem hochmodernen Krankenzimmer umgewandelt worden. Unbeeindruckt von drei Herzinfarkten, zwei Bypass-Operationen und einer versagenden Leber meinte er noch immer, ein längerer Krankenhausaufenthalt wäre unter seiner Würde.

Als sein Sohn Dalton ganz leise das Zimmer betrat, öffnete Hollister die Augen sofort. Sein Atem ging langsam und rasselnd. „Du kommst spät.“

„Ich war noch beim Aufsichtsratstreffen.“

Das wusste sein Vater natürlich. Schließlich trafen sich die Direktoren von Cain Enterprises seit über zwanzig Jahren jeden Montagmorgen um acht Uhr. Manchmal schien es, als würde Hollister Gefallen daran finden, Dalton zu Entscheidungen zwischen ­Familienpflichten und dem Unternehmen zu zwingen – als ob Dalton eine Erinnerung daran bräuchte, dass die Leitung von Cain Enterprises eine alles verschlingende Aufgabe war.

Hollister nickte kurz und hochzufrieden. Dann griff er mit zittriger Hand nach der Fernbedienung für das Bett, und quälend langsam kam das Kopfende nach oben.

Dalton schaute sich um. Seine Mutter Caro saß in einem Sessel direkt neben dem Bett, ihre Haltung wirkte selbst für sie zu steif. Griffin, sein jüngerer Bruder, lehnte hinter seiner Mutter und sah müde aus. Auf der anderen Seite des Bettes stand Portia, Daltons Exfrau, die sich in seiner Familie mehr zu Hause fühlte als er selbst. Sowohl Hollister als auch Caro mochten sie, und so war sie auch lange nach der Scheidung noch Teil der Familie geblieben. In einer so weit wie möglich von allen anderen entfernten Ecke stand Cooper Larsen, Hollisters unehelicher Sohn, und starrte aus dem Fenster.

Als das Bett endlich in Position war, langte Hollister nach einem weißen Briefumschlag. Doch seine Hände erwiesen sich als zu zittrig, um ihn zu öffnen. Ungeduldig streckte er ihn seiner Frau hin. Caro Cain nahm unverzüglich Haltung an.

„Lies das vor“, befahl er ihr mit unmissverständlicher Härte in der schwachen Stimme.

Caro zögerte kurz, doch dann nahm sie das einseitig beschriebene Papier aus dem Umschlag. Es war so dünn, dass Dalton den Schatten der getippten Worte sehen konnte. Caro blickte zu ihrem Ehemann, der sich zurücklehnte und die Arme über der breiten Brust verschränkte. Seine Augen waren geschlossen. Sie las laut vor:

Lieber Hollister, ich habe gehört, dass Du todkrank bist und Dich wohl kaum noch davon erholen wirst. Also holt der Teufel sich endlich seinen Gehilfen zurück. Bevor Du meine Wortwahl kritisierst, will ich Dir versichern, dass es mich größte Anstrengung gekostet hat, Dich nicht den Teufel persönlich zu nennen. Und noch etwas solltest Du wissen: Ich bin nicht mehr die dumme Tussi, als die Du mich mal bezeichnet hast. Vielleicht erinnerst Du Dich nicht einmal mehr an Deine Worte, aber ich habe sie nicht vergessen, nicht mal für einen Augenblick. Du hast sie gesagt, kurz nachdem Du durch die Tür …

Caros Stimme brach, und der Brief fiel ihr aus den Händen. Griffin trat näher. „Das ist doch lächerlich. Warum sind wir hier? Damit du Mutter demütigen kannst?“

„Lies weiter“, befahl Hollister mit geschlossenen Augen.

„Ich mache das.“ Griffin fasste nach dem Brief.

„Nein!“, bellte Hollister. „Caro.“

Caro blickte kurz von einem Sohn zum anderen, bevor sie den Brief wieder hochnahm. Griffin drückte ihre Schulter.

Du hast mit solch unbekümmerter Grausamkeit gesprochen, und ich habe mich jahrelang danach verzehrt, Dich ebenso verletzen zu können, wie Du mich verletzt hast. Und jetzt, nach all diesen Jahren, habe ich endlich die Möglichkeit dazu. Ich weiß, wie gut Du Dein kleines Imperium schützt. Wie sehr Dir daran gelegen ist, alles und jeden in Deinem Herrschaftsgebiet zu kontrollieren. Wie Du alle manipulierst, die zu Deiner Fami…

Wieder brach Caros Stimme, und sie musste schlucken. Jetzt hatte Dalton genug. Er riss seiner Mutter den Brief aus den Händen und überflog den Inhalt. Er war voller Hass und Abscheu. Dalton warf das Papier Richtung Bett, wo es auf der Brust seines Vaters landete. Fast war er überrascht, dass es nicht in Flammen aufging. Denn ganz offensichtlich war der Brief geschrieben worden, um Hollister zu vernichten.

Da ihn alle gespannt anstarrten, fasste Dalton den Inhalt für die Anwesenden zusammen. „Sie behauptet, eine Tochter von Hollister zu haben – sie nennt sie die verschollene Erbin. Und sie weigert sich, mehr als das zu verraten. Sie will, dass Hollister Höllenqualen leidet, wenn er stirbt, ohne zu wissen, wer seine Tochter ist.“

Dalton sah zu Griffin. Der hatte immer noch eine Hand auf der Schulter seiner Mutter, und sie schien daraus Kraft zu schöpfen. Natürlich wussten sie alle von Hollisters Untreue: Cooper war der lebende Beweis dafür.

„Der alte Mann hat also mehr als einen Bastard.“ Cooper stieß sich vom Fensterrahmen ab. „Ich verstehe aber nicht, was das mit uns zu tun haben soll.“

Dalton war geneigt, ihm zuzustimmen. Doch bevor noch jemand etwas sagen konnte, öffnete Hollister die Augen. „Ich will, dass man sie findet.“

„Du willst, dass ich sie finde?“, fragte Cooper.

„Ihr alle“, keuchte Hollister. „Einer von euch.“

Großartig. Genau das, was Dalton brauchte. Schließlich hatte er schon genug mit der Leitung von Cain Enterprises zu tun. „Wir können bestimmt einen Privatdetektiv finden, der sich auf so was spezialisiert hat.“

„Keine Privatschnüffler. Gegen die Regeln.“

„Regeln?“, fragte Griffin. „Das ist ja wohl kein Spiel oder so was.“

Hollisters rissige Lippen verzogen sich zu einem humorlosen Lächeln. „Kein Spiel. Ein Test.“

Cooper lachte gequält auf. „Das war ja klar. Warum hättest du mich auch sonst hier haben wollen, wenn es nicht darum ginge, dir zu beweisen, dass ich es wert bin, dein Sohn zu sein?“

„Sei nicht lächerl…“ Hollister wurde von einem heftigen Hustenanfall unterbrochen. „… lächerlich. Der Test ist …“ Wieder packte ihn der Husten. „… für euch alle.“

„Ganz gleich, wie dein Test aussieht, ich hab mit meiner Zeit Besseres zu tun, als zu springen, wenn du mit den Fingern schnippst“, sagte Griffin. „Du brauchst also nicht auf mich zu zählen. Ich bin nicht interessiert.“

„Ich auch nicht“, stimmte Cooper ein.

„Eure Meinung wird sich gleich ändern.“

Ein kalter Schauer rann Dalton über den Rücken, als er die Gewissheit in der Stimme seines Vaters hörte. Der mochte ja schwach sein, vielleicht sogar im Sterben liegen, aber Dalton wusste, dass er nur dann mit Überzeugung sprach, wenn er seine Worte auch einlösen konnte.

„Ihr dürftet alle daran interessiert sein, denn wer immer diese verschollene Erbin findet, soll Alleinerbe von Cain Enterprises werden.“

Nun, das änderte die Sachlage.

Dalton hatte schon immer gewusst, dass sein Vater ein mieser Kerl war, aber das hier? Das ging zu weit, das hätte er selbst ihm nicht zugetraut. Es hetzte die ganze Familie gegeneinander auf.

Aber immerhin hatte Dalton sein gesamtes Leben Cain Enterprises geopfert. Und das würde er nicht kampflos hergeben. „Und was ist, wenn niemand sie findet?“

Eine atemlose Stille senkte sich über das Zimmer, während Hollister einen rasselnden Atemzug nach dem nächsten tat, bevor er schließlich wisperte: „Dann wird mein gesamtes Vermögen an den Staat fallen.“

1. KAPITEL

„Das wird er nicht wirklich tun.“ Griffin schloss die Tür zu seinem Penthouse auf und trat zur Seite, um Dalton hineinzulassen. „Cain Enterprises bedeutet ihm alles. Er würde niemals zulassen, dass der Staat seine Anteile am Unternehmen verkauft.“

„Bei jedem anderen Mann würde ich dir zustimmen.“ Dalton wartete, bis Griffin das Licht eingeschaltet hatte, bevor er weiter ins Wohnzimmer ging. „Aber Hollister blufft nicht. Du kennst ihn doch.“

Daltons eigene Wohnung befand sich nur zwei Stockwerke tiefer. Er war hierhergezogen, nachdem Portia die Scheidung verlangt hatte. Das Hochhaus war zwar ziemlich überteuert, aber es lag nah zur Arbeit. Hauptsächlich hatte sich Dalton jedoch dafür entschieden, weil er das Haus durch Griffins Wohnung kannte und nicht einen ganzen Tag damit verschwenden musste, sich von einem Makler herumführen zu lassen.

Dalton ging zur Couchgarnitur hinüber, während Griffin die Bar ansteuerte. „Was willst du trinken?“

„Es ist noch nicht mal Mittag.“

„Stimmt. Aber nach Dads Paukenschlag ist ein kleiner Drink angesagt.“

„Wie du meinst.“ Dagegen war nichts einzuwenden. Und ein ordentlicher Schluck würde ihm vielleicht sein Gleichgewicht zurückgeben – nachdem ihm gerade der Teppich unter den Füßen weggerissen worden war. „Ich nehme einen Scotch.“

Griffin verdrehte wortlos die Augen und holte dann ein paar Flaschen aus dem Regal, von denen nicht eine Scotch enthielt. Nacheinander goss er aus jeder etwas in einen Mixbecher. „Weißt du, ob er das überhaupt machen kann, rechtlich gesehen?“

„Leider kann er das.“ Dalton fuhr sich durch die Haare. „Natürlich wird Mutter trotzdem ihren gemeinsamen Besitz bekommen – die Häuser, die Autos, das Geld. Aber mit seinen Cain-Aktien kann er tun und lassen, was er will. Sie wären eigentlich unter uns dreien aufgeteilt worden. Aber wer weiß, was jetzt passiert.“

„Du hast dabei wohl am meisten zu verlieren. Was willst du tun?“

Dalton zog sein Jackett aus und legte es über eine Sofalehne. Seufzend setzte er sich. Er hatte sein ganzes Leben darauf ausgerichtet, der ideale Chef für das Unternehmen, der perfekte CEO von Cain Enterprises, zu werden. Jede seiner Entscheidungen war davon bestimmt gewesen – von den Hobbys seiner Kindheit über die Fächerwahl an der Highschool bis hin zu der Frau, die er geheiratet hatte. Er würde nicht zulassen, dass all seine Bemühungen einer Laune seines Vaters zum Opfer fielen.

„Eine Möglichkeit wäre, abzuwarten, bis Vater tatsächlich stirbt, und die Angelegenheit dann vor Gericht zu regeln.“

Griffin setzte die silberne Kappe auf den Mixbecher und schüttelte ihn energisch. „Und dann wird der gesamte Besitz wegen des Rechtsstreits mindestens ein Jahrzehnt lang auf Eis gelegt. Toller Plan.“

Dalton stützte die Ellbogen auf die Knie. „Wenn er nicht eh schon im Sterben läge, würde ich ihn dafür umbringen.“

„Ich würde dir helfen.“ Griffin lachte leise vor sich hin, während er Eis in zwei Gläser gab und sie dann mit dem auffüllte, was er gemixt hatte. „Sieh mal die positive Seite: Der Aufsichtsrat liebt dich. Selbst wenn Vaters gesamter Besitz an den Staat ginge und seine Cain-Aktien verkauft würden – seine Anteile allein bieten keine entscheidende Mehrheit. Der Aufsichtsrat würde dich bestimmt nicht fallen lassen.“

„Und du würdest deinen Job als Vizepräsident der internationalen Beziehungen behalten können.“

Griffin grinste. „Ja, das wäre die ideale Lösung.“ Sie wussten beide, dass Griffins Job ein lockerer Posten war, den er schwerlich anderswo wieder finden würde.

Griffin zerteilte eine Limone und quetschte etwas von ihrem Saft in jedes Glas. „Du wärst zwar nicht mehr ganz so wahnsinnig reich, aber immer noch CEO von Cain Enterprises.“

„Das wäre das Best-Case-Szenario, ja.“ Dalton nahm ein Glas von seinem Bruder entgegen und beäugte die hellgrüne Flüssigkeit darin. „Das ist kein Scotch.“

„Zwei Jahre als Mixer im College. Ich denke, da kann ich dir was Besseres bieten als einen simplen Scotch. Lass mich deinen Horizont erweitern.“

Zögernd nippte Dalton an dem Drink. Er schmeckte überraschend gut, ähnlich einer Margarita, aber weniger süß. Und er hatte genug Schlagkraft, um einen ausgewachsenen Mann umzuhauen – insbesondere einen, der heute schon einmal umgehauen worden war.

Daltons Erfahrung nach waren Best-Case-Szenarios nicht mehr als Tagträume. Die Realität fügte sich ihnen selten. „Viel wahrscheinlicher ist, dass einer unserer Konkurrenten die Aktien aufkauft und dann ein Übernahmeangebot macht. Sheppard Capital ist in der perfekten Position dafür. In dem Fall würde ich vermutlich gefeuert und Cain Enterprises in Einzelteile zerlegt und verscherbelt.“

Griffins sonst so charmantes Lächeln wich einer grimmigen Miene. Er hob sein Glas. „Auf unseren lieben Vater.“

Dalton stieß mit ihm an und trank einen großen Schluck. Fast hoffte er, der Drink würde ihn tatsächlich umhauen. Griffin und er hatten sich nie besonders nah gestanden. Dafür hatte ihr Vater zu viel Rivalität zwischen ihnen gesät. Und selbst jetzt, da der Abscheu für seinen miesen Trick sie vereinte, hatte Hollister dafür gesorgt, dass sie Konkurrenten blieben.

Die Hitze des Alkohols brannte ihm in der Kehle, als Dalton die Frage aussprach, die gestellt werden musste: „Wirst du versuchen, sie zu finden?“

Griffin verzog das Gesicht, als wollte er seinen Cocktail wieder ausspucken. „Himmel, nein. Was sollte ich denn bitte mit Cain Enterprises anfangen?“

„Musste nur sichergehen. Aber was ist mit Cooper?“

Der Unberechenbare in diesem Spiel. Dalton war sieben und Griffin vier gewesen, als Hollister den fünfjährigen Cooper mit nach Hause gebracht und ihn als seinen anderen Sohn vorgestellt hatte. Er war jeden Sommer bei ihnen gewesen, bis seine Mutter gestorben war. Danach hatte Cooper gut zwei Jahre bei ihnen gelebt und so viel Schwierigkeiten wie möglich gemacht. Anschließend war er aufs College gegangen. Sie waren sich nicht gerade nahegekommen.

Griffin leerte sein Glas. „Cooper könnte das Unternehmen ebenso zerlegen wie Sheppard Capital.“

Nur zu wahr … Dalton starrte auf die trüben grünen Reste seines Drinks.

Griffin verteilte den Rest aus dem Mixbecher auf ihre Gläser. „Wie willst du unsere geheimnisvolle Schwester finden?“

„Das Schwierigste daran wird wohl, die Liste der möglichen Mütter einzuschränken.“

Griffin lachte auf. „Mit welcher seiner Bekanntschaften hat er nicht geschlafen?“

„Genau. Wenn wir es von der Seite angehen, müsste die Liste der potenziellen Mütter …“ Dalton schüttelte angewidert den Kopf. Er wollte sich nicht mal vorstellen, mit wie vielen Frauen Hollister geschlafen hatte.

„Sie könnte überall sein. Fast jede Frau in jeder Bar in jedem Staat des Landes kommt infrage.“

Dalton nickte. „Und wir können nicht mal den zeitlichen Rahmen eingrenzen.“

„Hast du den Poststempel auf dem Umschlag sehen können?“

„Ja, ein lokaler Stempel und kein Absender. Ziemlich klug, wenn sie nicht gefunden werden will. Kann heißen, dass sie gleich um die Ecke wohnt. Kann aber auch heißen, dass sie in Toronto lebt und jemanden dafür bezahlt hat, den Brief für sie aufzugeben.“

Dalton ließ die Flüssigkeit in seinem Glas kreisen. „Nein, die Frage ist nicht, mit wem er geschlafen hat. Die Frage ist: Welche der Frauen hat ihn danach so gehasst?“

Griffin gab vor, darüber nachzudenken, dann zuckte er mit den Schultern. „Alle, würde ich meinen.“

„Nein. Man kann über ihn sagen, was man will, aber er ist Frauen gegenüber immer ein verdammter Charmeur gewesen. Einer, dem man nichts übel nehmen kann. Das schließt alle One-Night-Stands und beiläufigen Affären aus. Es muss eine gewesen sein, die ihn wirklich gut gekannt hat, um ihn so hassen zu können.“ Dalton stand auf und nahm seinen Mantel.

Griffin zog die Augenbrauen hoch. „Ich nehme an, du hattest gerade eine Eingebung.“

„So was in der Art. Wenn irgendwer so einen Groll auf Vater hat, dann gibt es eine, die darüber Bescheid wissen muss. Mrs Fortino.“

„Unsere ehemalige Haushälterin?“

„Genau die. Sie wusste alles, was in unserem Haus vorgefallen ist. Sie wird mir sagen können, was ich wissen muss.“

„Sie ist vor fünf Jahren in Rente gegangen. Bist du dir sicher, dass du sie aufspüren kannst? Vielleicht fährt sie mit einem Wohnmobil quer durchs Land.“

Dalton leerte sein Glas. „Sie ist nicht gerade der reiselustige Typ. Sie hatte doch schon ihre festen Gewohnheiten, als wir noch Kinder waren. Nein, ich bin mir sicher, sie lebt noch in Houston.“

„He, weißt du, wer bestimmt weiß, wo Mrs Fortino ist?“, fragte Griffin, als Dalton schon an der Tür war.

„Unsere Mutter.“

„Klar, möglich. Aber ich hab dabei an jemand anderen gedacht: Laney.“

Dalton drehte sich um und sah seinen jüngeren Bruder an. Er bemühte sich dabei um einen neutralen Gesichtsausdruck, was nicht leicht war. Aber den Sprung, den sein Herz beim Klang dieses Namens gemacht hatte, wollt er unbedingt verbergen.

„Du erinnerst dich doch an Laney?“, fragte Griffin irritiert. „Mrs Fortinos Enkelin. Sie hat eine Weile bei ihr gelebt, als wir noch in der Highschool waren.“

„Ja, klar.“

„Sie ist vor ein paar Jahren wieder hierhergezogen. Ich bin ihr mal bei einer Benefizveranstaltung für Tisdale begegnet. Hast du gewusst, dass sie da Lehrerin ist?“

„Nein.“

„Ja, seltsam, oder? Die war doch eher so ein Freigeist, ich kann mir kaum vorstellen, wie sie Erstklässler an einer katholischen Schule unterrichtet.“

„Tja, die Dinge ändern sich.“

Dalton wollte jetzt wirklich gehen, doch Griffin hielt ihn zurück. „Überrascht mich, dass du nicht weißt, dass sie da arbeitet. Bist du nicht im Beirat der Schule?“

„Doch, aber nur dem Namen nach, weil wir der Schule so viel spenden.“ Dalton zog sein Handy aus der Tasche und gab vor, gerade eine SMS erhalten zu haben. Er hielt das Telefon demonstrativ hoch, als müsste er sich jetzt dringend um etwas kümmern. „Seh ich dich später?“ Dieses Mal gab er Griffin keine Chance, noch etwas zu sagen, und eilte zum Fahrstuhl.

Er hätte auf die Arbeit zurückkehren können, da gab es mehr als genug zu tun. Doch stattdessen ging er in seine Wohnung, um mit der Suche nach Mrs Fortino zu beginnen. Er war sich sicher, dass dies der richtige Weg war, die verschollene Erbin zu finden.

Aber zum ersten Mal seit Langem – vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben – wusste er nicht genau, was er eigentlich wollte. Suchte er nach Mrs Fortino, weil sie ihn zu seiner mysteriösen Halbschwester führen konnte? Oder suchte er vielmehr Kontakt zu Laney?

Natürlich wusste er längst, wo er Laney finden konnte. Auch ohne Griffin. In Wahrheit hatte er nicht nur mitbekommen, dass sie sich in Tisdale beworben hatte – es war auch sein Verdienst gewesen, dass sie den Job bekommen hatte. Damals hatte er sich gesagt, er täte das nur, weil sie eine alte Freundin der Familie war. Allein schon, weil er noch mit Portia verheiratet gewesen war. Jegliche Fantasie, die er in Bezug auf Laney gehabt hatte, war für ihn schlicht ein Echo aus seiner Jugendzeit gewesen.

Aber jetzt, fast ein Jahr nach der Scheidung und plötzlich konfrontiert mit einer unsicheren Zukunft, kam er nicht umhin, alles zu hinterfragen. Das war er nicht gewohnt. Vor allem eine Frage ließ ihn nicht los: Suchte er nach der verschollenen Erbin oder nach Laney?

Laney Fortino stand vor der Tisdale-Grundschule und verfluchte alles: die Hitze, die Eltern, die zu spät dran waren, um ihre Kinder abzuholen, Dalton Cain und vor allem die Ungenauigkeit von Glückskeksen.

Auf dem Zettel in ihrem Glückskeks gestern Abend hatte gestanden: „Veränderungen stehen bevor.“

Heute früh hatte ihr dann die Schulsekretärin gesagt, dass ­Dalton Cain sie nach der Schule sprechen wollte.

Die erste korrekte Vorhersage ihres Lebens, und sie hatte ihr ganz und gar nicht genutzt. Warum hatte da nicht stehen können: „Dalton Cain wird anrufen.“ Oder auch: „Veränderungen stehen Ihnen bevor. Morgen sollten Sie unbedingt Ihre Wahnsinns-Stöckelschuhe tragen und das Betsey-Johnson-Kleid, das Sie bei eBay erstanden haben. Und Ihre kaschierende Spanx-Unterwäsche.“

Natürlich würde sie sowieso nichts davon zum Unterrichten tragen – und wenn der Glückskeks Cain direkt benannt hätte, wäre sie versucht gewesen, den nächsten Flug nach Tahiti zu nehmen, und wäre längst auf und davon.

Stattdessen schwitzte sie hier im Schulhof, gekleidet in ein altmodisches Kleid vom Secondhandshop, Söckchen und Turnschuhen. Eigentlich kümmerte es sie ja nicht, wie sie aussah. Aber es kümmerte sie, was Dalton Cain von ihr halten würde. Sie musste einfach den besten Eindruck auf ihn machen.

Denn es gab nur einen Grund, weshalb einer der reichsten und mächtigsten Männer in ganz Houston ausgerechnet sie sprechen wollte. Er musste herausgefunden haben, dass ihre Großmutter, „Gran“, den Cains vor vielen Jahren fast eine Million Dollar gestohlen hatte. Geld, von dem Laney nichts gewusst hatte, bis ihr vor einem Jahr die Handlungsvollmacht dafür übertragen worden war.

Seit sie die zusätzlichen Mittel in Grans Fonds entdeckt hatte, plagten sie die Schuldgefühle, und sie fragte sich, was sie deswegen unternehmen sollte. Laney wusste so ungefähr, was ihre Oma zur Verfügung gehabt hatte, als sie selbst noch auf der Highschool gewesen war. Keine noch so clevere Investition hätte ihr mageres Erspartes zu einer Million aufstocken können. Nicht innerhalb eines Jahrzehnts.

Gran musste die Cains also bestohlen haben.

Laney brachte es jedoch nicht übers Herz, zur Polizei zu gehen. Obwohl es ihr unwahrscheinlich vorkam, dass die Leute dort eine alte Lady mit Alzheimer vor Gericht zerren würden – was, wenn sie es doch täten? Das konnte sie nicht riskieren. Einfach zu den Cains gehen und die Lage erklären – auch das kam nicht infrage. Hollister Cain war brutal und rachsüchtig, und seine Frau Caro war kaum besser. So oder so: Jedes Mal, wenn Laney nach einem Weg aus ihrem Dilemma suchte, sah sie vor ihrem inneren Auge, wie ihre Großmutter in Handschellen abgeführt wurde.

Laney konnte nicht einmal das Geld zurückgeben. Es war fest angelegt in einem Fonds, aus dem die Kosten für Grans betreutes Wohnen bezahlt wurden. Da kam Laney nicht dran, ihre Handlungsvollmacht war klar umrissen. Sie war also gefangen in dem Wissen um eine Verfehlung, die sie beim besten Willen nicht wiedergutmachen konnte. Und jetzt musste sie fürchten, dass Dalton Cain die Wahrheit erfahren hatte.

Eine Katastrophe! Entweder würde er ihre hilflose dreiundachtzigjährige Großmutter verklagen, oder er würde sie zwingen, das Geld zurückzugeben.

Keine dieser Optionen war akzeptabel, und das bedeutete, dass Laney jetzt sehr genau darüber nachdenken musste, wie sie vorgehen wollte.

Ihre übliche Reaktion auf jeden der Cains – und insbesondere auf Dalton – war stets eine Mischung aus Geringschätzung und Großspurigkeit gewesen. Doch vor zehn Jahren, als sie Dalton zum letzten Mal gesehen hatte, war sie auch ein anderer Mensch gewesen. Das Mädchen von damals hätte ihn noch aufgefordert, die Polizei zu rufen, und während es abgeführt worden wäre, hätte es ihn mit Beleidigungen und Flüchen überhäuft. Aber dieser dreiste, rebellische Teenager war sie längst nicht mehr.

Das vergangene Jahrzehnt hatte sie Zurückhaltung und Mäßigung gelehrt. Sie war Grundschullehrerin geworden! Und vielleicht war es sogar gut, dass sie heute auch so aussah: sanft, liebenswert und gefällig.

Kaum war ihr das durch den Kopf gegangen, da bog ein Auto aus der Beacon Street ab und kam auf die Schule zu. Sofort wusste sie, dass Dalton darin saß. Vielleicht, weil sie die Autos der meisten Eltern kannte. Vielleicht aber auch deshalb, weil der Wagen so besonders zielsicher über die Straße glitt.

Das Auto fuhr auf den Parkplatz, und tatsächlich stieg Dalton aus. Sie erkannte ihn sofort, auch wenn sie ihn das letzte Mal vor zehn Jahren gesehen hatte, als sie gerade achtzehn geworden und bei ihrer Großmutter ausgezogen war. Heute trug er eine beige Hose und ein weißes Hemd. Er blieb stehen und sah sie über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg an, als wäre er nicht sicher, ob sie die Richtige war. Laney winkte ihm halbherzig zu.

Obwohl er sie jahrelang nicht gesehen hatte, erkannte Dalton sie sofort. Laney Fortinos tiefschwarzes Haar war unverwechselbar, und sie bewegte sich noch immer mit dieser katzenhaften Sinnlichkeit. Ihre Haut war immer noch wie Alabaster, und auch ihr Lächeln war dasselbe wie damals.

Ein kleines Mädchen stand neben Laney und hielt sich an ihrer Hand fest. Es plapperte aufgeregt und deutete auf ein Auto, das sich langsam dem Straßenrand näherte. Auf dem Hof spielten noch ein paar weitere vereinzelte Kinder, die meisten waren aber wohl schon abgeholt worden. Laney trug ein Kleid mit Blumenmuster, das ihr über die Knie ging und bei jeder Bewegung flatterte.

Für einen Augenblick hielt ihr Anblick Dalton vollkommen gefangen und ließ ihn erstarren. Heftiges Verlangen durchfuhr ihn, wie früher. Laney hatte die Unbeholfenheit der Pubertät auf magische Weise übersprungen, sie war vom Mädchen direkt zum Vamp geworden – und zu was für einem. Ihn hatte das damals ziemlich irritiert, aber er hatte sich stets bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Jetzt, als erwachsene Frau, schienen die rauen Kanten ihrer Sexualität gezügelt, Laneys Sinnlichkeit war subtiler – aber sie wirkte dadurch nicht weniger anziehend auf ­Dalton, im Gegenteil.

Er hatte sich immer gefragt, ob er ihr einen Gefallen damit getan hatte, ihr diesen Job als Lehrerin an einer Privatschule für die Reichen zu verschaffen. Wie sehr hatte Laney als Mädchen die Upper Class und all ihre Heuchelei verachtet! Und nun unterrichtete sie ihre Kinder.

Ob sie wohl noch denselben Kampfgeist hatte? In ihrem Blumenkleid wirkte sie nicht unbedingt wie das rebellische Mädchen von damals. Dann aber beugte sie sich zu dem kleinen Mädchen hinunter, ein Träger ihres Kleids verrutschte und enthüllte die geschwungene Linie eines Tattoos. Das war schon eher die Laney, die Dalton kannte.

Sie blickte zu ihm und verzog missbilligend die Lippen. Tja, das hatte sich also nicht geändert: Sie hasste ihn noch immer. Dalton konnte ihr kaum einen Vorwurf daraus machen, nach allem, was vorgefallen war.

Laney tätschelte die Hand des Mädchens und half ihm ins Auto. Erst danach wandte sie sich ihm mit einem Ausdruck tapferer Entschlossenheit zu.

Während Dalton zu ihr trat, steckte er seine Sonnenbrille in eine der Hemdtaschen. „Hallo Laney.“

„Ähm. Hi. Dalton.“ Sie klang, als hätte sie vergessen, wie man redete. Toll, das war wirklich nicht ihr Tag. Aber es lag sicher nur an ihren angespannten Nerven und an der Furcht vor dem, was er wissen könnte. Es hatte gewiss nichts damit zu tun, dass Dalton zu einem so faszinierend attraktiven Mann herangewachsen war, dass sie kaum atmen konnte, wenn er sie ansah.

„Können wir uns irgendwo unterhalten?“, fragte er.

„Ja. Mein Klassenzimmer.“ Doch anstatt in die Schule zu gehen, stand Laney wie festgefroren da, verzweifelt bemüht, Dalton nicht anzustarren. Sein Gesicht war immer noch schmal, seine Lippen nach wie vor voll. Und wie damals lockten sich seine dunklen Haare leicht, als wollten sie gegen die starre Struktur rebellieren, die er seinem Leben aufzwang.

Dann fand sie sich unerwartet in seinem Blick gefangen, als hätte auch er sie ausführlich gemustert. Hitze stieg ihr in die Wangen, und sie wandte hastig den Blick ab.

Er nicht. Das konnte sie förmlich spüren. „Du siehst gut aus, Laney.“

Lügner! Sie wusste, dass sie nicht gut aussah – nicht in diesen Klamotten und nicht nach einem langen Arbeitstag mit Kindern. Aber irgendwie beruhigte sie seine lässige Begrüßung. Vielleicht wusste er ja gar nichts von dem Geld. Hätte er sonst nicht sofort damit losgelegt? Aber wenn er nicht wegen des Geldes hier war, warum dann?

Nervös drehte sie sich um und ging auf das Gebäude zu. „Ich sollte dich schon mal vorwarnen, dass ich nicht viel Zeit hab. Ich unterrichte noch einen Theaterkurs nach der Schule.“

Sie blieb an der Tür stehen, um ihre Karte durch das elektronische Schloss zu ziehen. Plötzlich stand Dalton direkt hinter ihr. Sie stolperte einen Schritt zurück, und er streckte eine Hand nach ihrem Ellbogen aus, um sie zu halten.

Sie blickte von seiner Hand hoch zu seinem Gesicht. Er stand jetzt noch näher als zuvor, und sie atmete scharf ein. Wie hatte sie nur vergessen können, wie blau seine Augen waren? Blau wie der Himmel am fernen Horizont, wo er fast schon das Blau des Meeres annahm. „Cain Blau“, hatte Gran immer gesagt.

Dalton Cain. Sie durfte keinen Moment lang vergessen, wer dieser Mann war. Und dass er die Macht hatte, ihres und Grans Leben zu zerstören, wenn er einen Anlass dazu fand.

Sie entriss ihm ihren Arm. „Was willst du von mir?“

„Warum nimmst du an, dass ich was von dir will?“, fragte er voller Unschuld.

„Wenn ein Cain einen Besuch macht, dann nur, weil er etwas will.“

„Du hast ja keine sehr hohe Meinung von uns.“

„Nein. Vermutlich nicht.“ Ihr war die Ironie ihres Misstrauens bewusst. Immerhin war sie diejenige, die eine Diebin deckte. Aber was blieb ihr anderes übrig? Sollte sie etwa zulassen, dass er Gran ins Gefängnis steckte?

Plötzlich wollte sie ihn nicht mehr in der Schule haben. Sie wollte jetzt und hier klären, was er von ihr wollte. Sie verschränkte die Arme in hilflosem Trotz. „Ich bin im Cain-Haushalt aufgewachsen, vergiss das nicht. Wie sollte ich da eine andere Meinung haben.“ Sofort bedauerte sie ihre Worte. Schließlich hatte sie sanftmütig und zurückhaltend wirken wollen.

Übertrieben getroffen zuckte er zusammen. „Autsch.“ Sein Lächeln war charmant.

Gerade noch gelang es ihr, das eigene Lächeln zu unterdrücken. Sie würde sich nicht mehr von ihm bezirzen lassen. Sie wusste nur zu gut, dass Dalton sich in einem Moment wie ihr bester Freund geben konnte, nur um im nächsten so zu tun, als würde er sie nicht einmal kennen. Auf keinen Fall würde sie sich wieder auf seine Psycho-Spielchen einlassen.

„Jetzt tu nicht so.“ Sie verdrehte die Augen. „Wenn du nach zehn Jahren wie aus dem Nichts wieder auftauchst, dann willst du doch was. Also, warum packst du deinen Charme nicht einfach wieder ein und sagst mir, worum es geht?“

Er zog einen Mundwinkel hoch. „Du findest mich charmant?“

„Wir wissen beide, dass du sehr charmant sein kannst, wenn nur genug auf dem Spiel steht. Immerhin bist du der Sohn deines Vaters.“

Sein Lächeln verblasste, ebenso wie das Funkeln in seinen Augen. „Okay. Du willst wissen, warum ich hier bin? Bitte. Ich muss mit deiner Großmutter reden.“

Verdammt. Die ganze elektrisierende Spannung war verpufft, als wäre eine Sicherung rausgeflogen. Stattdessen wurde es jetzt ernst. Wenn er mit Gran reden wollte, dann wusste er Bescheid.

Vielleicht hatte er keine Beweise. Vielleicht wollte er deshalb mit ihr reden. Vielleicht wollte er sie aber auch nur quälen, bis sie gestand. Das konnte Laney nicht zulassen.

An einem guten Tag wusste Matilda Fortino kaum, wer sie war. An den schlechten Tagen war sie eine Gefangene ihrer eigenen Psyche, verloren in Erinnerungen, Schuldzuweisungen und Bedauern.

Wenn Dalton sie besuchte, was würde sie dann ausplaudern? Würde sie alles zugeben, ohne die Konsequenzen einschätzen zu können?

Laney, die noch nie vor einer Auseinandersetzung geflohen war, hatte plötzlich das Bedürfnis, wegzurennen. Sie zog ihre Karte durch das elektronische Schloss, und die Schultür piepte. Sie wollte sie gerade aufdrücken, als Dalton ihr erneut eine Hand auf den Arm legte. „Wirst du mich zu deiner Großmutter bringen?“

Laney warf Dalton einen Blick zu, von dem sie hoffte, dass es der letzte sein würde. Dann trat sie in den kühlen Schutz der Schule. „Nein.“

2. KAPITEL

Doch so schnell gab er nicht auf. Daltons Fuß war bereits in der Tür, bevor sie sich vor ihm schließen konnte. Hektisch zog Laney am inneren Türgriff.

„Jetzt hör mich doch erst mal an. Bitte!“

Die Zeit schien sich unendlich zu dehnen, während er auf ihre Antwort wartete. Ganz sicher würde sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen. Schließlich wussten sie beide, dass Laney gute Gründe dafür hatte, ihm zu misstrauen. Als sie mit elf zu den Cains gezogen war, hatten sie sich trotz ihres Altersunterschiedes angefreundet, und drei Jahre lang war Laney ihm überallhin gefolgt wie ein treuer Welpe. Dann, im Sommer vor ihrem ersten Highschool-Jahr, hatte er sie plötzlich und ohne Begründung aus seinem Leben ausgeschlossen. Damals hatte sie sich geschworen, nie mehr auf ihn reinzufallen.

Ihr Blick irrte durch die leere Schulhalle, bevor sie ihn widerstrebend ansah. In seinen Augen lag fast ein Flehen. Sie spannte den Kiefer an und verzog verärgert den Mund, dann ließ der Druck an seinem Fuß nach.

„Na gut.“

„Danke.“ Er öffnete die Tür und trat in die dämmrige Kühle. Offensichtlich war das hier ein Nebeneingang, der in eine große Halle führte, von der verschiedene Klassenzimmer abgingen. Die Wände waren mit Malereien ungeschickter Kinderhände verziert, aber trotz aller Verschönerungsbemühungen sah man dem Gebäude sein Alter an.

„Mein Klassenzimmer ist da vorn.“ Laney ging schnell und wütenden Schrittes voraus.

Er folgte ihr in eines der Klassenzimmer und stellte fest, dass er ganz und gar vergessen hatte, wie winzig diese Welt war. Immerhin lag seine eigene Grundschulzeit einundzwanzig Jahre zurück. Die Tische reichten ihm kaum bis an die Knie. Die Stühle wirkten, als wären sie für Puppen und nicht für Menschen gemacht. Es gab nur einen Tisch in Erwachsenenhöhe, das Pult in der Ecke.

Das steuerte Laney an. Eine Plüsch-Eule hockte neben dem Computerbildschirm, und sie streichelte schnell über das weiße Gefieder des Stofftiers, bevor sie sich ihm zuwandte.

„Ich hab eine Viertelstunde Zeit, dann muss ich zu meinem Theaterkurs. Also kommst du wohl besser gleich zur Sache.“

„Mein Vater ist krank.“

„Das tut mir leid.“ Die Bekundung wirkte mechanisch.

„Du musst das nicht.“

Sie runzelte die Stirn. „Was?“

„So tun, als täte dir das leid.“ Seine Worte klangen steifer, als er beabsichtigt hatte. Er wollte sie beide zurück auf eine gemeinsame Ebene führen. Der Abscheu gegen Hollister Cain bot sich an. Wenn Laney auch nicht so viele Gründe hatte wie er, seinen Vater zu hassen – es waren doch genug.

Stattdessen waren seine Worte eben wie eine Anschuldigung herausgekommen. Verurteilend und kalt. So wie sein Vater wohl geklungen hätte.

„Ich …“ Sie presste die Lippen zusammen. „Tut mir leid. Ich wollte nicht respektlos sein.“

Mist. Er machte alles nur noch schlimmer. „Ich weiß.“ Warum konnte er mit jedem vernünftig reden, nur nicht mit ihr? Tausend Dinge wollte er ihr sagen, und nichts davon fühlte sich passend an.

Statt noch mehr Erklärungen zu stammeln, zog er eine Kopie des Briefes aus der Tasche. „Den hier hat mein Vater vor einer Woche bekommen.“

Laney starrte den Brief an, den er ihr hinhielt. „Was hat das mit meiner Großmutter zu tun?“ Zitterte ihre Stimme etwa, oder bildete er sich das nur ein?

„Bitte, lies einfach den Brief. Danach erkläre ich dir alles.“

Sie nickte, und während sie las, vertieften sich die Falten auf ihrer Stirn. „Tut mir leid, aber ich verstehe immer noch nicht, was das mit Gran zu tun hat.“

„Hollister will, dass dieses Mädchen gefunden wird.“

Laney gab ihm den Brief zurück, mit einem Seufzer, der entschieden erleichtert klang. „Und die Mutter scheint entschlossen, das Mädchen versteckt zu halten.“ Sie lächelte.

Dalton musste das Lächeln einfach erwidern, trotz der seltsamen Umstände. „Ja, aber wir reden hier von Hollister. Solche Kleinigkeiten wie die Wünsche anderer Menschen kümmern ihn nicht.“

„Moment – du glaubst doch nicht etwa …“ Sie wich vor ihm zurück. „Du glaubst jetzt nicht, dass meine Mutter diesen Brief geschrieben hat? Dass ich diese verschollene Erbin bin?“

Der Ekel auf ihrem Gesicht war so deutlich, dass er fast lachen musste. „Nein, natürlich nicht. Jeder, der schon einmal ein Bild deines Vaters gesehen hat, kann dich unmöglich für die Tochter eines anderen halten.“

Sie kicherte – und wieder wunderte er sich über die Erleichterung, die dabei mitschwang. Dann deutete sie auf ihre Nase. „Stimmt. Die Fortino-Nase. Unverwechselbar.“

Ihre Nase war ein wenig größer, als die meisten Frauen es wohl bevorzugen würden. Aber Dalton, der in einer Welt aufgewachsen war, in der jeder sogenannte Schönheitsmakel sofort korrigiert wurde, liebte die Tatsache, dass Laney ihre Nase einfach so nahm, wie sie war. Sie fügte sich außerdem perfekt in ihr Gesicht. Gerne hätte er länger über ihr Gesicht nachgedacht – aber er war nicht zum Vergnügen hier.

„Deine Großmutter ist fast dreißig Jahre lang Haushälterin bei den Cains gewesen. Daher hab ich gedacht, sie könnte vielleicht was wissen.“

„Über die indiskreten Affären deines Vaters? Kann ich mir kaum vorstellen. Das fiel nicht gerade in ihren Aufgabenbereich.“

„Natürlich nicht. Aber sie hat länger für meinen Vater gearbeitet als sämtliche Angestellte bei Cain Enterprises. Sie hat gehört, wenn meine Eltern sich gestritten haben. Sie war immer dabei. Wenn es jemanden gibt, der die schmutzigen Seiten in meiner Familie kennt, dann deine Großmutter.“

Laney strich wieder über die falschen Federn der Stoffeule und zog leicht an einem der Flügel. Sie sah ihn nicht an.

„Ich war bei der Einrichtung, in der sie lebt. Die wollten mich ohne deine Zustimmung nicht zu ihr lassen. Aber ich muss mit ihr reden. Du musst mich zu ihr bringen.“

Laney versteifte sich. „Ich muss gar nichts. Ich hab keinerlei Verpflichtung mehr gegenüber deiner Familie.“

Jetzt spannte er den Kiefer an. Er wusste, wann es Zeit war, zu Kreuze zu kriechen. „Würdest du mir bitte Zugang zu deiner Großmutter gewähren?“

„Nein.“ Sie hob eine Hand, um alle seine Argumente im Keim zu ersticken. „Sie weiß nichts. Sie kann dir keine Informationen geben.“

Endlich blickte sie ihn an. In ihren Augen stand klare Entschlossenheit, aber davon ließ er sich nicht beeindrucken.

„Ich kann dafür sorgen, dass es sich für dich lohnt.“

„Natürlich. Du bist ein Cain. Ihr Cains seid Experten darin, großzügige Angebote zu machen.“

„Ich bin zwar ein Cain, aber ich bin nicht wie mein Vater. Ich halte die Versprechen, die ich gebe.“

„Hut ab. Du kennst also den Unterschied zwischen einem Versprechen, das man gibt, und einem Versprechen, das man hält.“

„Wir sind nicht alle herzlose Mistkerle.“

„Das bleibt abzuwarten.“ Sie tätschelte die Eule und wandte sich ihm dann zu. „Wie auch immer, das ist eigentlich bedeutungslos. Ich halte dich nicht aus einer Laune heraus von Gran fern. Sie kann dir nicht helfen.“

„Lass mich mit ihr reden. Lass sie das entscheiden.“

„So einfach ist das nicht. Gran hat Alzheimer. Selbst wenn sie etwas gewusst hat, kann sie es dir nicht mehr erzählen. Falls sie je die Antworten auf deine Fragen hatte, dann sind sie jetzt in ihrem Kopf weggesperrt.“

Laneys Worte drangen nur langsam zu ihm durch. Ihre Bedeutung war schwer zu fassen. „Alzheimer?“

Laney erwiderte seinen Blick nicht, aber er meinte, einen Schimmer von Tränen in ihren Augen zu erkennen.

Matilda Fortino war immer sein Fels in der Brandung gewesen. Stets ernst und streng und dabei das ganze Gegenteil seiner launenhaften und temperamentvollen Mutter.

Plötzlich spürte er Laneys Hand auf einem seiner Arme. Er blickte auf und sah sie neben sich stehen. Der Schock hatte ihn zurückgeworfen, er lehnte an der Ecke eines Regals.

„Hast du das nicht gewusst?“ Ihre Worte durchschnitten den Nebel, der sich angesichts dieser Neuigkeiten über ihn gelegt hatte.

„Nein.“

„Tut mir leid. Ich hab angenommen, man hätte dir in der Einrichtung gesagt, warum sie keinen Besuch haben darf.“

„Haben sie nicht. Nur, dass ich sie ausschließlich in deiner Begleitung sehen dürfte.“

Laney streichelte seinen Arm, sanft und beruhigend. „Tut mir leid. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nicht so harsch gewesen.“

Er blickte auf und ertappte sie dabei, wie sie ihn musterte. Ihre ungewöhnlichen bernsteinfarbenen Augen waren weit aufgerissen und die Brauen besorgt gerunzelt. Sie stand so nah, dass ihr Kleid seine Beine streifte und ihre Brüste nur wenige Zentimeter von seinem Arm entfernt waren.

Er atmete tief ein. So verlockend Laney Fortino auch sein mochte – deswegen war er nicht hier.

Doch jeder Atemzug erfüllte ihn mit ihrem Duft. Sie roch nach Buntstiften und Klebstoff. Die Mischung hätte abstoßend sein sollen, aber sie war es nicht. Darunter lag der Geruch ihrer Seife oder auch ihres Shampoos – fruchtig und schlicht, rein und unkompliziert.

Bei dem Gedanken lachte er beinahe auf. Laney mochte ja unkompliziert duften, aber die Gefühle, die sie in ihm hervorrief, waren alles andere als das.

Er richtete sich auf, was ihn ihr nur noch näher brachte. Sie zog ihre Hand so schnell zurück, als hätte sie sich verbrannt, und ging zum Schreibtisch zurück. „Fremde verunsichern Gran. Deswegen sind keine Besuche erlaubt, ihr Doktor hält es so für das Beste. Du bist natürlich kein Fremder. Aber sie hat dich zu lange nicht gesehen.“

Er spürte, wie er unter dem Gewicht ihrer Worte zerbrach. Als er sich zwang, wieder ihrem Blick zu begegnen, sah er darin ein Gefühl, mit dem er nur selten angesehen wurde. Ein Gefühl, das er niemals in ihrem Blick erwartet hätte.

Schon mit dreizehn hatte er geahnt, dass Laney Fortino eines Tages sein Untergang sein würde. Weil sie allein die Macht hatte, ihn in die Knie zu zwingen. Und mit allem, was ihm in seinem jugendlichen Waffenarsenal zur Verfügung stand, hatte er dagegen angekämpft. Er war grob gewesen, herablassend und – manchmal – schlicht gemein.

Laney hatte ihn schon verletzt angesehen, streitlustig und wütend. Aber bis heute hatte nie zuvor Mitgefühl in ihrem Blick gelegen.

3. KAPITEL

Angesichts ihrer eigenen Geschichte hätte es sie freuen sollen, die Niederlage so klar in Daltons Blick zu sehen. Doch dem war nicht so. Vielleicht hatte die Zeit ihre Abneigung gegen ihn ja gemildert. Oder es lag einfach daran, dass sie hier über Gran sprachen. Wie konnte sie wütend auf jemanden sein, der so geschockt auf ihren Zustand reagierte?

Sie fühlte sich oft so allein in ihrer Sorge um sie. Natürlich sorgten die Angestellten der Einrichtung gut für Gran, aber niemand dort kümmerte sich wirklich um sie. Ihre Großmutter war ein Fall von vielen. Außerdem konnte man Laney dort nicht den emotionalen Beistand bieten, den sie selbst brauchte. Den nur ein nahestehender Mensch geben kann. Vielleicht war es also ganz verständlich, dass sie innerlich zerfloss, als sie sah, mit wie viel Verzweiflung Dalton auf die Nachricht reagierte.

„Es tut mir so leid, Dalton. Ich hab nicht gewusst, wie viel Gran dir bedeutet hat.“

Verwunderung glitt über sein Gesicht, als er sie ansah.

Sofort wusste sie, dass sie sich geirrt hatte. Sie schnaufte verärgert und ging zu der am nächsten stehenden Tischgruppe hinüber, um Buntstifte aufzuheben. „Vergiss es.“

Eine Weile lang beobachtete er sie schweigend. „Du bist sauer auf mich.“

Sie stellte ein Malbuch weg. „Nein. Ich bin sauer auf mich. Einen Moment lang hast du mir wirklich leidgetan. Ich hab vergessen, dass du ein Cain bist. Herzlos und kalt, wie der ganze Rest.“

Sie hielt inne. Tatsächlich war sie grad selbst herzlos und kalt – eiskalt geradezu. Aber er forderte das ja förmlich heraus.

„Denkst du wirklich so über mich?“

Sie schüttelte den Kopf und warf ein paar Buntstifte in einen Eimer, bevor sie zur nächsten Tischgruppe ging. „Was soll ich sonst denken? Ich erzähl dir von der Alzheimer-Erkrankung meiner Großmutter, und du spielst mir Betroffenheit vor, um mich zu manipulieren?“ Sie blickte zu ihm hoch und erwartete halb, er würde ihrem Blick beschämt ausweichen. Aber das tat er nicht. „Nicht mal dir hätte ich zugetraut, so mies zu sein.“

„Du glaubst, mir tut die Alzheimer-Erkrankung deiner Großmutter nicht leid? Sie hat mir wirklich viel bedeutet.“

Sie schnaubte und angelte mit einem Fuß nach einem Filzstift, der unter einem Tisch lag. „Übertreib es nicht. Höfliches Beileid wäre ja noch glaubhaft. Aber ein Cain würde niemals echten Schmerz wegen einer Hausangestellten zeigen.“

„Du hältst mich wirklich für so einen Mistkerl, dass ich kein aufrichtiges Mitleid für eine Frau empfinden könnte, die uns dreißig Jahre lang den Haushalt geführt hat?“ Seine Stimme klang flach und kalt.

„Falls du getroffen bist, dann sicher nur, weil du sie jetzt nicht mehr ausquetschen kannst. Das glaube ich.“

Und plötzlich traf sie die Erkenntnis. Er war hier, weil er Gran über seinen Vater ausquetschen wollte. Sprich: Er wusste nichts von dem Diebstahl! Sie sollte wirklich erleichtert sein.

Nun, sie war es. Aber viel stärker spürte sie im Moment ihre Wut, weil er sie so hatte manipulieren wollen.

In der Hoffnung, ihre widersprüchlichen Gefühle loszuwerden, schüttelte sie den Kopf. „Ich glaube dir nicht, dass dir meine Großmutter so wichtig war. Sie war weder besonders fürsorglich noch aufmerksam. Sie hat nun wirklich niemanden zu warmen Gefühlen oder Zuneigung ihr gegenüber inspiriert, nicht mal mich.“

Dalton öffnete den Mund, als wollte er protestieren, schloss ihn dann jedoch wieder wortlos und zuckte bloß mit den Schultern.

„Meine Großmutter war effizient und kompetent. Man hat sie wegen ihrer Kochkünste geschätzt, aber keiner von euch hat sie wirklich geliebt.“ Sie richtete sich auf und griff nach ihren Schlüsseln. „Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, mein Nachmittagskurs fängt in fünf Minuten an.“ Sie schnappte sich ihre Handtasche und marschierte zur Tür, die sie mit dramatischer Geste für Dalton offen hielt.

Ob sie zu weit gegangen war? Daltons Gesichtsausdruck ließ sich nicht deuten. Den Mund hatte er zu einem humorlosen Lächeln verzogen, doch in seinen Augen tanzte ein verwegener Funke.

Langsam kam er auf sie zu, die Hände in den Taschen vergraben. Anstatt ihr voran durch die Tür zu gehen, blieb er nah vor ihr stehen, so nah, dass sie unwillkürlich zurückwich, bis sich der Türknauf in ihren Rücken bohrte.

Seine Haltung war bedrohlich – er stand zu nah. Irgendwie war er ihr heute ständig zu nah. Vielleicht lag es aber auch an der Art, wie er sie ansah, sie musterte und dabei jede Besonderheit und jeden Makel bloßzulegen schien.

Als er sprach, tat er es langsam, als sollte jedes Wort Furcht in ihr wecken.

„Laney, wenn du so überzeugt davon bist, dass ich hier der Böse bin, dann will ich dich nicht enttäuschen. Ich spiele gerne den großen bösen Wolf für dich.“

Sie streckte ihr Kinn vor. „Ich hab keine Angst vor dir.“

Wieder musterte er in aller Ruhe ihr Gesicht, sie spürte Nervenkitzel und Hitze in ihren Wangen. „Solltest du aber vielleicht.“

Sie steckte ihren Rücken durch. Die Bewegung brachte ihre Brüste bis auf einen Millimeter an seine Brust heran.

„Ich bin kein kleines Mädchen mehr und …“

„Zum Glück.“

Sie ignorierte den gemurmelten Einwurf. „Und die Cains haben keine Macht mehr über mich. Dafür habe ich gesorgt.“ Das war natürlich eine glatte Lüge, denn wenn er das mit dem Geld herausfand, dann hätte er Macht über sie – viel Macht.

Sie drängte sich an ihm vorbei, obwohl sie dabei seine Brust streifte. Hitze breitete sich in ihrem Bauch aus, und ihre Brustwarzen wurden hart. Drei Schritte hinaus hatte sie geschafft, als seine Stimme hinter ihr ertönte.

„Wie sicher bist du dir da?“

Sie ging weiter.

Zehn Schritte.

„Wie läuft es mit deinem Theatercamp?“

Sie verlangsamte ihre Schritte, während ihr Herz immer schneller schlug. Er wusste nicht, wovon er da redete. Das konnte er gar nicht. Er reimte sich einfach nur etwas zusammen aufgrund der Sachen, die sie vorhin gesagt hatte.

„Das Fairyland-Theater oder so ähnlich, richtig?“

Verdammt!

Sie blieb stehen und schloss die Augen. Wenn er nur geraten hätte, wäre er der Wahrheit nicht so nahegekommen.

Sie drehte sich um und starrte ihn wütend an. „Das Woodland-Theater.“

Dalton stand noch immer an der Tür, die Hände in den Taschen und ein Grinsen auf dem Gesicht.

Es kostete sie große Beherrschung, nicht über den Flur zu laufen und ihm dieses Lächeln aus dem Gesicht zu schlagen. Sie neigte nicht zur Gewalt, aber es war ein anstrengender Tag gewesen.

„Komm zur Sache und hör auf, meine Zeit zu verschwenden. Was weißt du über das Woodland-Theater?“

„Ich weiß, dass es dein Lieblingsprojekt ist. Ich weiß, dass du dort jeden Tag zwei Stunden in dieses Bildungsprogramm investierst, hauptsächlich für unterprivilegierte Kinder – manche von ihnen sind Kids mit Stipendium hier an der Schule, andere werden aus anderen Vierteln hergefahren. Insgesamt dreißig Kinder. Und ich weiß, dass das Programm komplett aus Spenden finanziert wird.“

Er wusste mehr, als ihr lieb gewesen wäre.

Gut, nicht alle seine Infos stimmten. Es waren zweiunddreißig Kids und gut die Hälfte von ihnen war nicht wirklich „unterprivilegiert“ zu nennen. Aber mit diesem Begriff stand sie sowieso auf Kriegsfuß. Sie war sich gar nicht so sicher, ob die emotional vernachlässigten Kinder der Reichen es besser hatten als die der Armen. Fakt war: Alle Kinder in ihrem Programm kannten schwere Zeiten.

„Du hast deine Hausaufgaben gemacht“, sagte sie kühl.

Vermutlich sollte sie froh sein, dass er nur das herausgefunden hatte. Aber sie wollte um keinen Preis einen der Cains in der Nähe ihres Programms wissen.

Daltons Grinsen wandelte sich zu einem Lächeln, aber keinem netten. „Hast du wirklich weniger von mir erwartet?“

„Nein. Natürlich nicht. Schließlich ist es das, was die Cains machen, oder? Deine Schwäche finden und sie dann ausnutzen.“

Für einen Augenblick geriet Daltons Lächeln ins Wanken. „Vielleicht will ich ja nicht diese Art von Cain sein.“

„Tja, dann solltest du nicht mein Theaterprogramm be­drohen.“

„Mache ich ja vielleicht gar nicht.“ Er schloss die Tür des Klassenzimmers und ging auf sie zu. „Ich halte das Woodland-Theaterprogramm ganz und gar nicht für deine Schwäche. Es scheint ein tolles Programm zu sein. Und genau das, was ich von dir erwarten würde.“

Sie beobachtete ihn wachsam. „Und …?“

„Es sollte fortgesetzt werden. Aber sicher ist es in diesen Zeiten der Krise nicht leicht, die nötige Finanzierung zu finden …“

„Du drohst mir also doch.“

„Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich will dir unter die Arme greifen. Sieh es als Versprechen an. Wenn du mir in meiner Sache hilfst, kann ich dafür sorgen, dass dein Programm auf Jahre hinaus sicher finanziert ist.“

„Ah. Also keine Drohung, sondern eine Bestechung.“

„Wenn du so willst, ja.“

„Über wie viel Geld reden wir hier?“

„Wie viel brauchst du?“

„Ich meine das ernst, Dalton.“

„Ich auch. Ich finanziere dir das gesamte Programm. Du wirst nie wieder einen Förderantrag schreiben müssen. Du wirst niemandem mehr für eine Spende in den Hintern kriechen müssen. Alles, was du tun musst, ist, mich mit deiner Großmutter reden zu lassen.“

Die Uhr an der Wand tickte viel zu laut, während sie wie erstarrt im Flur stand und über sein Angebot nachdachte.

Sie wollte nicht zusagen. Sie wollte absolut nicht, dass Dalton auch nur in Grans Nähe kam. Sie wollte ihn überhaupt nicht in ihrem Leben haben! Doch sein Angebot, das ganze Programm zu finanzieren … es war schon sehr verlockend, viel zu verlockend, um es einfach so auszuschlagen.

Außerdem würde eine Absage in seinen Augen doch verdächtig wirken. Ein Cain würde niemals einfach akzeptieren, dass jemand Geld ausschlägt. Er würde wissen wollen, warum. Er würde neugierig werden. Er würde zu graben anfangen. Und es gab Geheimnisse, die Dalton Cain nicht aufdecken sollte.

Nein, wenn er irgendwelche Leichen aus der Vergangenheit zutage fördern wollte, sollten es die seines Vaters sein, nicht Grans. Er musste sich auf Hollisters Geheimnis konzentrieren. Und wenn das bedeutete, dass sie ihm bei dessen Aufklärung helfen musste, dann war das eben so.

„Okay.“ Sie drehte sich um und ging weiter, vertraute darauf, dass er hinter ihr herkommen würde. „Lass uns über Zahlen reden.“

Weniger als vierundzwanzig Stunden später hielt sie einen Stapel Papier in den Händen. Der besagte, dass Dalton einen Fonds für ihr Theaterprogramm eingerichtet hatte. Worauf hatte sie sich da nur eingelassen?

Hoffentlich war das alles bald überstanden, damit Dalton und sie wieder getrennte Wege gehen konnten.

4. KAPITEL

Matilda Fortino hatte ganz offensichtlich keinen ihrer guten Tage. Das stand deutlich geschrieben im Gesicht der Frau hinter dem Empfangstresen, als Dalton sagte, wen er sehen wollte.

Die Frau hieß Linda, wie ihr Namensschild verriet. Sie las die Infos auf dem Monitor und schüttelte traurig den Kopf. „Und das ist Ihr erster Besuch bei Mrs Fortino?“

„Ja.“ Ungeduldig wippte Dalton vor und zurück.

„Ich brauche Ihren Führerschein.“

„Hören Sie, ich habe erst heute Morgen mit Laney Fortino gesprochen. Sie hat gesagt …“

„Keine Angst. Sie stehen auf der Besucherliste. Aber wir verlangen von jedem den Führerschein. Für unsere Unterlagen, und damit wir Ihren Besucherpass erstellen können.“

Dalton fragte sich, ob die Sicherheitsmaßnahmen von Cain Enterprises ebenso gut waren wie die von Restful Hills. Während Linda ihr Ding machte, musterte er die unaufdringliche Eleganz der Lobby, die eine reiche Klientel mit unerschöpflichen Ressourcen vermuten ließ – nicht gerade der Ort, an dem er die frühere Haushälterin der Cains erwartet hätte.

„Haben Sie Mrs Fortino nahegestanden?“

Dalton nickte und runzelte die Stirn. „Warum reden Sie in der Vergangenheit?“

Die Frau lächelte gequält. „Sie haben Mrs Fortino in letzter Zeit nicht gesehen, oder?“

„Nein.“

Der Drucker spuckte den Besucherpass aus.

„Wie schlecht steht es denn um sie?“

Statt zu antworten, reichte Linda ihm Besucherpass und Führerschein und deutete auf einen langen Flur. „Mrs Fortino ist in Zimmer 327. Der Besucherliste nach ist Ms Fortino auch gerade bei ihr.“

Offenbar durften die Angestellten nicht über die Patienten reden. Dalton konnte ein ungutes Gefühl nicht abschütteln. Es war lange her, dass er derart unvorbereitet zu einem Treffen gegangen war.

Das Zimmer war leicht zu finden. Eine Frau mittleren Alters, entweder eine Ärztin oder eine ärztliche Assistentin, verließ es gerade, als er ankam. Sie lächelte ihn über ihr Klemmbrett hinweg an. „Sie müssen der Besucher sein, den Laney erwartet.“ Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. „Mrs Fortino kann nicht immer gut mit Überraschungen umgehen. Seien Sie vorsichtig. Sie wissen schon, erlauben Sie Laney, Sie vorzustellen, und so.“

Das kleine Apartment war vollgestopft mit antiken Möbeln und Erbstücken. Dalton stockte kurz der Atem, als er den Sofa-Überwurf von früher wiedererkannte. Dieses Zimmer hier ähnelte überhaupt in beängstigender Weise dem von Mrs Fortino damals im Haus seiner Eltern.

Matilda Fortino saß auf einem Stuhl vor dem Fernseher. Laney hockte auf der Sofalehne hinter ihrer Großmutter und bürstete ihr die Haare, die bis über deren Hüfte reichten.

Als Dalton eintrat, blickte Laney ihn über die Schulter hinweg an und bedeutete ihm, still zu sein, ohne dabei einen Bürstenstrich auszulassen. Schweigend sah er ihr zu, bis sie mit sanfter Stimme, als würde sie mit einem Kind sprechen, sagte: „Ich bin fast fertig mit deinen Haaren, Mattie. Soll ich sie dir zu einem Zopf flechten?“

„Ist heute Sonntag?“, fragte Matilda.

Sonst hatte sie immer brüsk und kraftvoll geklungen. Sie jetzt so verunsichert zu hören verstörte Dalton, auch wenn er wusste, dass sie nicht mehr ganz sie selbst war.

„Nein“, murmelte Laney. „Es ist Samstag.“

„Du kommst doch morgen wieder, Elaine?“

„Natürlich.“

Matilda rang die Hände. „Können wir das dann morgen ­machen?“

„Wir flechten deine Haare, wann immer du willst, Liebes.“

Laney warf ihm einen Blick zu und lächelte. Es war nicht das verschmitzte Grinsen, das er von ihr kannte. Weder das frühere Feuer noch der rebellische Geist lagen darin. Sie wirkte eher süß und irgendwie nostalgisch.

Laney legte die Bürste weg und streichelte ihrer Großmutter ein letztes Mal übers Haar. „Du hast einen Besucher. Möchtest du ihn sehen?“ Sie nahm die Haare zusammen und drehte sie zu einem Knoten.

„Ist es einer meiner Verehrer?“

Die Frau, die Dalton gekannt hatte, war ernst und strikt gewesen. Sie hatte nichts Mädchenhaftes oder Weiches an sich gehabt, hatte kein Zögern und keine Unsicherheit gekannt.

„Nein. Nur ein Freund.“ Laney steckte mit einer Haarnadel den Dutt fest.

„Kenne ich ihn?“

„Du hast ihn früher gekannt. Er ist jetzt hier.“

Matilda rang noch einmal die Hände, dann wandte sie sich langsam zur Tür um.

Als sie ihn ansah, bekam Dalton das Gefühl, sie hätte schon die ganze Zeit über gewusst, dass er da war, und sich nur für die Begegnung wappnen müssen.

Verwirrung breitete sich auf ihrem Gesicht aus – Verwirrung und Furcht. Trotz ihrer mädchenhaften, fast träumerischen Stimme wusste sie, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Ihr war bewusst, dass sie Bescheid wissen sollte, wenn sie es nicht tat. Sie fürchtete sich nicht vor Fremden, sie fürchtete die eigene Unwissenheit.

Sie erhob sich, die Hände noch immer ineinander verschlungen. Auch Laney stand auf und legte ihrer Großmutter eine Hand beruhigend auf den Rücken.

„Ist schon okay, wenn du ihn nicht erkennst, Mattie. Er war noch ein Junge, als du ihn zuletzt gesehen hast. Das ist Dalton. Er ist jetzt erwachsen.“

„Schön, Sie zu sehen.“ Dalton streckte eine Hand aus und machte einen Schritt auf sie zu, Laney schüttelte den Kopf, doch es war zu spät. Abrupt schreckte Mrs Fortino zurück.

„Nein! Ich kenne Sie.“ Wut verdrängte alles Mädchenhafte aus ihrer Stimme. „Ich erkenne diese Augen. Sie sind ein Monster.“

Angesichts des Hasses, der in ihren Augen stand, musste Dalton all seine Kraft zusammennehmen, um ihrem Blick standzuhalten.

„Nein Gran, das ist nicht Hollister.“ Laney fasste ihrer Großmutter an den Arm. „Das ist sein Sohn, Dalton.“

Mrs Fortino drehte sich so schnell zu ihrer Enkelin um, dass sich ein paar Haarsträhnen aus dem Dutt lösten. „Dieser Hollister ist ein Teufel. Sie sind alle Teufel. Die Cains werden dich zerstören.“ Sie packte Laney und schüttelte sie. „Sie werden alles zerstören. Er ist ein Monster. Du hast ja keine Ahnung, was er getan hat. Was er seiner Familie angetan hat. Seiner Frau. Er wird dir das Gleiche antun. Du solltest jetzt gehen. Nimm das Geld und geh. Sonst wird er dich zerstören.“

Mrs Fortinos Haare standen jetzt wild von ihrem Kopf ab, sie schüttelte Laney grob hin und her. „Er ist ein Monster, ich kann nicht länger danebenstehen und zusehen.“

Dalton hatte den Impuls, Laney zu helfen. Aber wie sollte er sie vor der eigenen Großmutter beschützen?

„Alles okay, Gran“, sagte Laney wieder und wieder. „Alles okay. Er wird mir nicht wehtun. Hollister ist nicht hier. Du bist in Sicherheit.“

Dalton sah sich um und entdeckte einen Alarmknopf an der Wand. Er drückte darauf, und schon hörte man eine Stimme.

„Ja, Mrs Fortino?“

„Wir brauchen hier Hilfe“, sagte er.

„Sofort, Mr Cain.“

„Da hörst du es“, sagte Matilda atemlos. „Er ist es. Selbst die wissen das. Er kann uns überall finden. Ist es in Sicherheit? Hast du es gut versteckt? Wie ich dich gebeten hab? Hast du es versteckt?“

„Bitte, Gran.“ Laney klang verzweifelt. „Beruhige dich. Du musst dich beruhigen. Glaub mir. Alles ist in Ordnung.“

Matilda hatte aufgehört, Laney zu schütteln, aber sie umklammerte noch immer ihre Arme. Ihre Worte klangen beschwörend. „Er wird dich benutzen und zerstören, Vee. Du musst verschwinden, solange du das noch kannst. Hast du nicht mitbekommen, was er Caroline und Sharlene angetan hat? Er zerstört sie alle. Du darfst ihm nicht vertrauen.“

„Das ist nicht Hollister. Es ist Dalton. Er ist …“

„Du glaubst, ich weiß nicht, wer er ist?“ Wild blickte Matilda um sich. „Du glaubst, ich bin verrückt. Wahnsinnig. Aber das bin ich nicht! Ich weiß, dass ich nicht verrückt bin!“

„Bitte, Gran, lass mich los.“

Als er die echte Furcht in Laneys Blick sah, konnte sich Dalton nicht mehr halten. Er rannte auf die beiden zu und umfasste Matildas Hände. Die alte Frau schreckte vor ihm zurück, als hätte er sie geschlagen. Entgeistert gab sie Laney frei. Dann kauerte sie sich auf dem Stuhl zusammen und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.

Kurz darauf stürzten drei Krankenpfleger herein. Die erschütterte Laney erklärte, was vorgefallen war. Einer der Pfleger bat Dalton, das Zimmer zu verlassen. Der nickte Laney zu und ging. Das Personal würde die Situation sicher unter Kontrolle be­kommen.

Und nun? Einige Augenblicke stand Dalton einfach nur im Flur und starrte auf die Wand. Die Haushälterin mit dem eisernen Willen und den strengen Regeln – Mrs Fortino – schien für immer verschwunden zu sein. Diese andere, seltsam verwundbare und zur Gewalt neigende Frau war jemand völlig anderes.

Dalton zog sein Handy aus der Tasche und rief seine Assistentin an. Fast hatte er ein schlechtes Gewissen, Sydney an einem Samstag mit Arbeit zu belästigen – sie war jung und schön und sollte am Wochenende etwas Besseres vorhaben. Doch er bezahlte sie mehr als gut, damit sie sich rund um die Uhr zur Verfügung hielt. Er diktierte ihr einen Brief und beendete den Anruf. Dann rief er die neuesten Sportnachrichten ab und überflog sogar die News der Stars und Sternchen, bis Laney die Tür des Apartments öffnete. Als sie ihn dort stehen sah, war sie deutlich überrascht.

„Du bist noch hier.“

Er stieß sich von der Wand ab. „Ja.“

Sie klammerte sich an den Riemen ihrer Handtasche, als wäre er eine Rettungsleine. „Ich hab gedacht, du … also, eigentlich hab ich erwartet, dass du schon weg wärst. Ich hätte dich später angerufen.“

„Geht es ihr besser?“