Das Geheimnis der Weihnacht - Tomáš Halík - E-Book

Das Geheimnis der Weihnacht E-Book

Tomás Halík

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Beschreibung

Was ist der wesentliche Kern der Weihnachtsbotschaft? Tiefgründig und bewegend, bringt uns Tomáš Halík die spirituelle Bedeutung der biblischen Geschichten von der Erwartung und Ankunft des Erlösers nahe. Im Zentrum steht die Sehnsucht des Menschen nach Hoffnung und Freude in dunklen Zeiten – und die Antwort, die Gott darauf gibt. Ein erbauliches Buch, für die besinnliche Zeit des Jahres.

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Tomáš Halík

Das Geheimnis der Weihnacht

Advents- und Weihnachtspredigten voller Hoffnung

Aus dem Tschechischen von Markéta Barth

Titel der Originalausgabe: Procitají andělé.

Adventní a vánoční kázání v neklidné době

© Tomáš Halík 2022

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Die Bibelverse wurden, soweit nicht anders angegeben,

folgender Ausgabe entnommen:

Die Bibel. Die Heilige Schrift

des Alten und Neuen Bundes.

Vollständige deutsche Ausgabe

© Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2005

Einige Bibelverse wurden vom Autor frei übersetzt.

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: Interieur der Salvatorkirche,

Klementinum, Prag – © Martin Staněk

Vignetten im Innenteil: © pingebat/shutterstock,

© Maksym Drozd/shutterstock

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, Torgau

ISBN Print 978-3-451-39561-1

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83952-8

Inhalt

Auf dem Weg des vierten Königs

Richtet euch auf und erhebt eure Häupter

Predigt für den ersten Adventsonntag

Tauet, ihr Himmel, von oben

Predigt für den zweiten Adventsonntag

Freude und Hoffnung

Predigt für den dritten Adventsonntag

Das Menschsein als Gabe und Aufgabe

Predigt für den vierten Adventsonntag

Freude für alle

Das Hochfest der Geburt des Herrn – Predigt bei der Mitternachtsmesse

Der Weihnachtswunsch Gottes

Das Hochfest der Geburt des Herrn – Predigt bei der Morgenmesse

Werden wir zum Geschenk

Das Hochfest der Geburt des Herrn – Predigt bei der Tagesmesse

Familie für alle

Predigt am Festtag der Heiligen Familie

Vermenschlichung und Vergöttlichung

Predigt am zweiten Sonntag nach der Geburt des Herrn

Für Gott ist nichts unmöglich

Hochfest der Gottesmutter Maria – Predigt zum Beginn des Kalenderjahres

Das Licht zur Erleuchtung der Völker

Predigt zum Fest der Erscheinung des Herrn

Das Geschenk der christlichen Freiheit

Predigt zum Fest der Taufe des Herrn

Über den Autor

Dieses Buch widme ich den mutigen Verteidigern

der freien Ukraine gegen die russische Aggression.

(AD 2022)

Weihnachten 1970

Advent. Vierter Sonntag.

Die Engel erwachen.

Steht auf mit uns, rufen sie.

Von den Feldern, aus den Wäldern, aus den Ställen.

Lasst uns gehen, wir haben nichts mitgebracht.

Die nackte Handfläche umschließt die Krippe.

Sie ist nicht kalt, sie wärmt nicht

Die leeren Hände der Hoffnung.

Sie kühlt nicht, sie brennt nicht.

Wir haben nicht gegeben, wir haben nicht genommen.

Aber irgendwo ruft jemand.

Von den Wolken, einem Stern, einem Stein, von unten?

Die Handfläche ist leer. Der Kopf ist unsicher

… in den Händen des Jesuskindes.

(Bohuslav Reynek)

Auf dem Weg des vierten Königs

Die zwei größten christlichen Feste – Weihnachten und Ostern – werden, wie es die Namen schon andeuten, vor allem nachts gefeiert: in der Heiligen Nacht von Weihnachten und in der hochheiligen Nacht des österlichen Sieges Jesu über den Tod.

Der Tag und die Nacht sind zwei verschiedene Erfahrungsweisen der Welt. Das Tageslicht reicht dazu aus, unsere alltäglichen Angelegenheiten zu erledigen. Jedoch erst wenn die Sonne untergeht und wir unsere Augen zum nächtlichen Sternenhimmel erheben können, sehen wir, dass alles, was wir am Tag wahrgenommen haben, die ganze uns vertraute Welt – und auch unser ganzer Planet – nur ein unscheinbares Bruchstück eines Ganzen ist, das uns unendlich übersteigt.

In einer ähnlichen Weise ist alles, was der beschränkten Kapazität unserer Sinne, unserer Vernunft und unserer Vorstellungskraft zugänglich ist, nur ein unscheinbares Bruchstück unserer materiellen und geistigen Welt. Jenseits der Macht unserer Worte und Begriffe, unserer philosophischen, wissenschaftlichen und religiösen Theorien, hinter allem Erkannten und Erkennbaren bleibt eine unerschöpfliche Tiefe des Geheimnisses.

Das Wort Geheimnis bedeutet nicht, dass unserem Denken der Zugang verboten ist. Im Gegenteil: Das Geheimnis lädt zu einer stets tiefer gehenden Suche ein, es lässt eine Menge verschiedener Auslegungen zu, die im Verlauf der Geschichte ergänzt und verändert werden – die jedoch nie alles umfassen und ausschöpfen können: das Geheimnis hat keinen Grund.

Unsere gewöhnliche Alltagswahrnehmung ist auf die Lösung von Problemen ausgerichtet: Ein Problem können wir lösen und mit ihm fertig werden. Mit einem Geheimnis können wir jedoch nie fertig werden. Die großen Geheimnisse des Lebens – und besonders die Geheimnisse des Glaubens – kann man nicht in derselben Weise wie Probleme angehen; wir können nicht erwarten, sie zu »lösen«. Der Glaube ist nicht nur der Mut, in die Wolke des Geheimnisses einzutreten, sondern auch die Kunst, mit dem Geheimnis zu leben und es zu respektieren. Das Wort Respekt ist vom Wort re-speculare abgeleitet – noch einmal hinsehen oder sich nicht mit einer oberflächlichen, ersten Auffassung zufrieden zu geben, sondern zurückzugehen, immer wieder und tiefer wahrzunehmen, zu betrachten, zu suchen.

Das Geheimnis inspiriert und bereichert uns fortwährend, gleichzeitig leitet es zu Geduld und Achtsamkeit und vor allem zu Offenheit und Demut.

***

Es gibt Momente, in denen dieses Geheimnisvolle und Unergründliche mit seiner Unbegreiflichkeit unsere Sicherheiten umstößt und uns erschreckt. Vor allem in den letzten Jahren ist die Welt unserer alltäglichen Erfahrung immer wieder auf eine harte Probe gestellt worden. Unerwartete Veränderungen betreffen alle Lebensbereiche und erschüttern viele der gewohnten Sicherheiten. Nach einer langjährigen Krise der traditionellen religiösen und metaphysischen Sicherheiten kam es zu einem Kollaps der modernen Sicherheiten des säkularen Humanismus und des neuzeitlichen Vertrauens in die Allmacht des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Es reichte ein für die Augen unsichtbares Virus, um viele unserer Vorstellungen über die Welt, über die menschliche Existenz, sogar bestimmte religiöse Vorstellungen zum Einsturz zu bringen. Vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte tauchte eine Bedrohung auf, die zeitgleich einen globalen, weltumspannenden Charakter hatte.

Nicht wenige Menschen verfielen in Panik und reagierten pathologisch. Viele Menschen starben, weil sie Verschwörungstheorien glaubten und sich gegenüber ihrer Gesundheit und dem Leben ihrer Nächsten unverantwortlich verhielten. Im religiösen Bereich kam es zu einem weit verbreiten Rückfall in abergläubische und magische Praktiken. Manche Prediger belebten wiederum das pathologische Bild eines rachsüchtigen, zornigen Gottes wieder und machten ihn zum Verbündeten in ihren Kulturkriegen: Sie kennen die Gedanken Gottes, sie wissen, wer es verdient, bestraft zu werden, wer Gott verärgert hat, wer an all dem Schuld ist.

Gleichzeitig können die tragischen Erfahrungen unserer Zeit aber auch eine Anregung auf dem Weg zu tieferem religiösem Nachdenken sein. Wieder einmal haben wir erlebt, dass unsere Welt trotz aller zivilisatorischer Errungenschaften nicht vollkommen und sicher ist und dass das menschliche Leben in ihr sehr verletzlich ist. Das Böse und das Leid in der Welt ist für mich kein Argument gegen den Glauben. Eher im Gegenteil: Wenn es in der Welt kein Böses und kein Leid gäbe, wenn unsere Welt vollkommen wäre, wäre sie schon selbst Gott und wir hätten keinen Grund, nach Gott zu fragen und ihn zu suchen. Die Frage nach Gott, nach dem letzten Sinn, bleibt. Viele Antworten – und auch viele traditionelle religiöse Antworten – befriedigen und überzeugen die Menschen unserer Zeit nicht.

Wo soll man aber jenes alles übersteigende Geheimnis suchen, das die Antwort auf unsere Sehnsucht nach dem Sinn darstellt, auf unsere Sehnsucht nach dem Licht in allen Finsternissen des Lebens? Das Evangelium lehrt uns, Gott an einem anderen Ort zu suchen als in einem fernen Weltdirektorenzimmer oder in Naturkatastrophen. Wir können auf ihn auch nicht die Verantwortung für die Tragödien der Geschichte abwälzen, die von der menschlichen Bosheit verursacht wurden. Die christliche Antwort auf die Frage nach Gott lautet: Ubi caritas et amor, Deus ibi est. Wo die Güte und die Liebe wohnt, dort wohnt Gott.

Suchen wir auch in den Finsternissen der Welt und der Geschichte dieFunken der zwischenmenschlichen Liebe und Solidarität, weil diese die Funken aus jenem Feuer sind, das Gott ist. Das Weihnachtsevangelium sagt uns, dass sich die Macht seiner Liebe sehr oft in unscheinbaren, vermeintlich machtlosen und leicht übersehbaren Wirklichkeiten offenbart – wie dem Kind im Stall vor der Stadt.

***

Zur Pandemie kam im Februar 2022 der Krieg in der Ukraine hinzu.

Der russische Diktator Vladimir Putin, der Hitler unserer Zeit, legte aus Angst, dass die osteuropäischen »Farbenrevolutionen« auch in Russland die Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie wecken könnten, der russischen Nation eine gefährliche Droge vor: eine verhexende messianische Vision eines Dritten Reiches Moskaus, eines wieder expandierenden russischen Imperiums. Dieses Lied kennen wir bereits aus der alten Geschichte Russlands: Das erste Rom fiel, das zweite Rom – Konstantinopel – ebenfalls; der dritte und endgültige Mittelpunkt der Welt ist und bleibt für immer Moskau. »Četvjortovo nět« – ein weiteres, viertes Rom wird es nie geben!

Von der laxen Reaktion des Westens auf die Annexion der Krim ermutigt hat sich Putins Russland faktisch zu einem Genozid an der Ukraine als souveränem Staat entschlossen. Es will sie verschlingen, von der Landkarte tilgen. Russland brach allem Anschein nach alle Normen des Völkerrechts und die fragile Architektur der politischen Kultur eines friedlichen Zusammenlebens, das seit Ende des Zweiten Weltkrieges trotz großer Schwierigkeiten errichtet wurde.

Der demokratischen Welt wird erst langsam klar, dass es nicht nur um einen lokalen Konflikt an der östlichen Grenze Europas geht, sondern um einen Konflikt von globaler Bedeutung. Wenn es Russland gelingen sollte, den mutigen Widerstand der Ukrainer zu brechen, und die Welt dies lediglich zur Kenntnis nehmen würde, dann wäre das eine Ermutigung für alle Diktatoren und Aggressoren auf der ganzen Welt zur totalen Diskreditierung des Westens mitsamt all seiner deklarierten Werte. Der langjährige hybride Krieg der russischen Propaganda ist zu einem heißen Krieg in der Ukraine und zu einem globalen Wirtschaftskrieg eskaliert, was Hungersnot und weitere Massenmigration in armen Ländern auslösen kann. Nun erpresst Russland die Welt mit der Drohung, Atomwaffen einzusetzen. Wirtschaftliche, soziale, politische, aber auch moralische und geistige Folgen der russischen Aggression beginnen erst allmählich sichtbar zu werden. Wie auch immer der Krieg in der Ukraine ausgeht, die Welt wird nicht mehr dieselbe sein wie vorher. Die prophetischen Worte von Papst Franziskus haben sich erfüllt, dass ein »fragmentierter Dritter Weltkrieg« begonnen hat.

In Zeiten wie diesen mag es scheinen, als ob alles, was wir mit Advent und Weihnachten verbinden – Frieden, Freude, Zärtlichkeit und Geborgenheit –, wie eine Schneeflocke in der warmen Hand zerschmilzt.

Die Botschaft der Feiertage, mit denen wir an das verborgene, anonyme Eintreten Gottes in unsere Welt und in unsere Geschichte erinnern, ist aber reicher, als es uns auf den ersten Blick erscheinen mag, und sie hat jedem Zeitalter etwas zu sagen, auch unserem eigenen.

Im Evangelium des ersten Adventssonntags heißt es: Selbst wenn die Menschen um euch herum vor Angst vergehen, lasst euch nicht von der Angst beherrschen: »richtet euch auf und erhebt eure Häupter!« (Lk 21,28). In der Finsternis scheint schon ein Licht, das die Finsternis nicht ergreifen kann.

***

Seit vielen Jahren feiere ich am Festtag der Erscheinung des Herrn die Messe in einer Bergkapelle. Alle Teilnehmer des Gottesdienstes sind Pilger, die von nah und fern kommen. Durch eine verglaste Wand der Kapelle kann man den Sonnenuntergang sehen, der den Himmel und die verschneite Berglandschaft mit allen Schattierungen färbt: Gold, Rot, Blau und Violett. Wenn wir das Evangelium von den Weisen lesen, die vom Stern geführt werden, ist der Himmel meistens schon dunkel und es erscheinen an ihm die ersten Sterne.

Letztes Jahr habe ich die Geschichte des Matthäusevangeliums in der Predigt um eine Apokryphe ergänzt – so, wie sie sich in der Novelle des russischen Schriftstellers Nikolai Leskow findet. Dieser zufolge gehörte zu den drei Weisen, die sich auf den Weg machten, um den neugeborenen König der Juden zu suchen – und wir können ihnen im Geist der Volkslegenden, welche die Evangelienerzählungen weiterentwickelt haben, eine königliche Würde zusprechen –, noch ein vierter Weiser, ein vierter König.

Auch er begab sich auf den Pilgerweg zum königlichen Kind und trug zahlreiche wertvolle Gaben bei sich. Auf dem Weg wurde er jedoch durch das Schicksal aufgehalten – er begegnete verschiedenen Gestalten des menschlichen Leids, und bei jeder Begegnung hat er etwas aus seinen Schätzen hergeschenkt. Er bezahlte Kohle zum Heizen für eine frierende arme alte Frau, eine Speise für hungernde Kinder, Medikamente für einen Kranken, und zu guter Letzt kaufte er einen Notleidenden aus der Sklaverei frei. Schließlich stand er mit leeren Händen da. Der Stern hat für ihn nicht mehr geleuchtet – denn jenes königliche Kind war schon längst aus den Windeln herausgewachsen und lebte bereits nicht mehr im Stall von Bethlehem.

Lange Jahre irrte unser König wie ein Elender in der Welt umher. Und als er schon sehr alt war, gelangte er letztendlich vor die Tore von Jerusalem. Aus diesen Toren führten die Soldaten gerade jemanden heraus, der zum Tode verurteilt worden war – und sie nagelten ihn vor den Toren der Heiligen Stadt ohne Gnade ans Kreuz. In jenem Moment bekam der König eine innere Erleuchtung: Dieser Gekreuzigte war jener König, zu dessen Wiege er sich auf einen langen Weg begeben hatte, der jedoch jetzt erst zu Ende ging. Er kniete am Fuß des Kreuzes nieder und ein Blutstropfen – das kostbarste Juwel – rann in seine leeren Hände. Die Hände dieses Königs wurden so zum heiligen Gral, zum Kelch des Blutes Jesu.

Dieses Märchen, das auf eine überraschende Weise das weihnachtliche und das österliche Motiv miteinander verbindet, bringt eine tiefe Wahrheit zum Ausdruck: Der Weg nach Betlehem – unsere Suche nach Gott in Christus – ist oft nicht derart idyllisch, wie er in den volkstümlichen Krippen dargestellt wird. Dieser Weg darf nicht dem menschlichen Leid ausweichen, auch wenn die Begegnung mit ihm wie eine Verzögerung erscheint und Verluste mit sich bringt.

***

Dieses Jahr habe ich mich nach der erwähnten Messe in der Bergkapelle entschlossen, die Advents- und Weihnachtspredigten der letzten Jahre in Buchform zu bringen und somit an das Buch Die Zeit der leeren Kirchen (2021) anzuknüpfen. Auch diese Predigten erklangen in der ursprünglichen Form in einer außergewöhnlichen Zeit, die meisten von ihnen wieder in einer leeren Kirche, die aufgrund der Hygienemaßnahmen geschlossen wurde, mit Blick lediglich in das Auge einer Kamera.