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Sommer, im Jahre 1234. Zwei Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, sind auf dem Weg nach Köln. Osman Abdel Ibn Kakar, ein Muselman aus Alexandria, ist auf der Flucht vor seinem Herrn. Begleitet wird er von Robert dem Schmalen, seinem besten Freund. Unterwegs lernen sie in einem Dominikanerkloster in Hildesheim den großen Gelehrten Albertus Magnus kennen. Der Mönch verrät ihnen in aller Vertraulichkeit von seinem päpstlichen Auftrag: aus minderen Elementen Gold herzustellen. Als er kurz darauf entführt wird, fällt der Verdacht auf die beiden Reisenden. Der Beginn einer Jagd auf Leben und Tod …
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Seitenzahl: 377
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Peter Hereld
Das Geheimnis des Goldmachers
Historischer Roman
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung des Bildes »L’agitateur du Languedoc« von Jean-Paul Laurens, http://commons.wikipedia.org
ISBN 978-3-8392-3500-6
Für Margit und Robert
Lang, lang ist’s her …
Die Welt, damals noch flach wie eine Scheibe, …
… zersplittert in unzählige Herzog- und Fürstentümer, ihre Bevölkerung drangsaliert und ausgebeutet von deren Herrschern, fand im Osten durch die wilden Horden des Mongolenfürsten Ögedei Khan ihre Grenzen und reichte im Westen bis zur Iberischen Halbinsel, auf der die christlichen Heere der Kastilier gerade die letzten Bastionen der Mauren zurückeroberten.
Reichtum und Willkür …
… weltlicher Potentaten wurde nur noch übertroffen von Einfluss und Geltung klerikaler Amtsträger. Die Schatzkammern etlicher Bistümer waren praller gefüllt als die der Könige und nicht selten maßten sich eben jene, die Gottes Werkzeug sein sollten, seine Pracht und Herrlichkeit an. Andere wiederum, blind in ihrem Eifer, Gott zu gefallen, machten aus Regenten gehorsame Söldner und zahlten ein fürstliches Salär, damit diese Armeen aufstellten, um die arabischen Heiden Gottes Barmherzigkeit zu lehren und die Heilige Stadt Jerusalem zurückzuerobern, alles im Namen und unter dem Banner des Kreuzes.
In jener Zeit, in der so mancher Kirchenmann mehr zu sagen hatte als ein Burgherr, die Wissenschaft einzig und allein der Entwicklung neuer Kriegsapparaturen verpflichtet war, kleinste Wunden bereits den Tod bedeuten konnten und in der ein voller Magen mehr wert war als das Leben des Nächsten, in jener Zeit also durchstreiften zwei Männer das alte Europa, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Der eine, auf der Flucht und fern seiner geliebten Heimat, gestraft mit der Gewissheit, sein Vaterland nie wieder betreten zu dürfen, bestens vertraut mit dem Gedankengut arabischer, griechischer und fernöstlicher Gelehrter und Philosophen, blitzgescheit, redegewandt und zuweilen, mehr als seiner Gesundheit zuträglich war, überheblich und stolz.
Der zweite, in Deutschland geboren und doch nicht hier zu Haus, da er den Großteil seines Lebens, höchst unfreiwillig im Übrigen, in der Heimat des anderen verbrachte, vom Gemüt und bisweilen auch im Umgang mit seinen Zeitgenossen eher von handfesterer Natur, ein Mann mit einer fast beängstigenden physischen Präsenz und doch im Kern, trotz seiner ruppigen Art, ein gutherziger Mensch.
Die vorliegenden Aufzeichnungen beruhen auf uralten Notizen und langen Erzählungen an kalten, ungemütlichen Winterabenden. Der Vater gab sie an seinen Sohn weiter, so wie sie ihm von seinem Vater zugetragen wurden, und so setzt sich die Reihe fort bis in jene Tage des Herrn zwölfhundertvierunddreißig, und sollte nicht einer von ihnen ein übler Lügenbold oder ein Mann mit großer Fantasie gewesen sein, so ist alles Folgende wahr und tatsächlich so und nicht anders geschehen.
»Sommer, sagst du, das soll ein Sommer sein?« Der Hagere schnaufte verächtlich, während er sein Lederwams zurechtzupfte, um damit möglichst viel von seinem Beinkleid zu bedecken. »Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, welcher Gott der wahre ist, der deine oder meiner, so ist er nun erbracht. Kein Gott würde sein Volk mit solch einem gemeinen Ulk von einem Sommer quälen.«
»Jammere nicht! Bald haben wir Hildesheim erreicht, dort suchen wir uns dann eine Unterkunft. Du wirst staunen, was für prächtige Kirchen sie dort haben!«, antwortete der Riese und wrang sich seine langen, dichten Haare aus, während weiter unentwegt dicke Regentropfen vom aschgrauen Himmel fielen.
Der Hagere ersparte sich eine Erwiderung. Freilich, Kirchen bauen konnten sie, doch erschien ihm die Kunst hiesiger Konstrukteure damit bereits wieder erschöpft. Alle anderen Bauten, die er in diesem unwirtlichen Land bislang zu Gesicht bekommen hatte, waren bei Weitem armseliger als die schlichtesten in seiner Heimat. Woher nur, sinnierte er einmal mehr, nahmen diese ungebildeten Barbaren bloß die Vermessenheit, seinen Landsleuten ihren Glauben aufzwingen zu wollen?
Er schüttelte unmerklich seinen Kopf, doch schon diese sparsame Geste ließ einige Regentropfen an seinem sorgsam zugeschnürten Hemdkragen vorbei gemächlich den Weg zu seinem Bauchnabel finden. Ihn fröstelte.
Sommer – er wagte sich gar nicht vorzustellen, wie hierzulande wohl der Winter sein mochte.
Durch den Regenschleier hindurch konnte er inzwischen vage eine Kirchturmspitze erkennen, nein, gleich mehrere und zu weit auseinander, um zu einer einzigen Kirche zu gehören. Entweder war Hildesheim ein sehr frommer Ort oder weitaus größer als die tristen Siedlungen, die sie durchquerten, seit sie vor einigen Wochen in Bremen ihr Schiff verlassen hatten.
Es sollte sich herausstellen, dass beides zutraf.
*
Der Riese, der auf den Namen Robert hörte, strich sich die schweren, wassertriefenden Locken aus dem Gesicht und trieb sein Pferd an. Er wollte es seinem hadernden Kameraden zwar nicht eingestehen, aber auch ihm setzte der nun schon seit Tagen währende Dauerregen gehörig zu. Er war ein Berg von einem Mann und gewiss kein Weichling, doch die vielen Jahre im fernen Afrika hatten selbst ihn das raue Klima seiner Heimat vergessen lassen. So rasch wie möglich wollte er nun ins Trockene, schnell, bevor ihm noch Kiemen wuchsen. Während er auf die Befestigungsanlage der Stadt zuritt, dem armen Gaul seine Fersen in die Flanken treibend, betrachtete er eine am linken Wegesrand liegende Siedlung. Der Anblick dieser Kolonie außerhalb der Stadtmauern mochte schon bei Sonnenschein öd und trostlos wirken, an einem regnerischen Tag wie diesem verwandelte sich das Umland abseits der aufgeschütteten Straße in einen Morast, einem Schweinepfuhl nicht unähnlich und an Tristesse kaum noch zu überbieten.
Hundert Fuß voraus sah Robert einen Knaben, zehn oder elf Jahre mochte er alt sein, der bis zu seinen nackten Knien im Boden eingesunken war. Er drosch mit seiner Gerte auf ein Schwein ein, um es auf festen Grund zu treiben, damit es nicht noch jämmerlich ersoff. Das Tier jedoch, bis zum Halse im Morast steckend, vermochte sich ganz offenbar keinen Zoll weit zu bewegen. Was für ein erbarmungswürdiges Bild. Robert wollte gerade absteigen, um dem Jungen zu helfen, da öffnete sich unweit der Verhau einer aus groben Baumstämmen zurechtgezimmerten Hütte, die vielerorts noch nicht einmal mehr dem Vieh als Unterkunft genüge getragen hätte. Heraus kam eine grobschlächtige, in einem derben Rock steckende Frau. Mit vereinten Kräften schließlich hievten sie das Schwein in ihr armseliges Heim.
Traurig schaute ihnen Robert hinterher, als unverhofft sein Begleiter neben ihm auftauchte.
»Woher plötzlich diese unerwartete Eile, Osman, kannst es wohl gar nicht mehr erwarten, ins Trockene zu gelangen?«
»Es ist bloß dieser trostlose Anblick, der mich vorantreibt. Doch sag, haben wir denn schon die Alpen überquert und reiten auf Rom zu? Ich habe bereits acht Kirchen gezählt, nein, gar neun.«
Robert schaute verwundert zu seinem Freund, gleich darauf wieder in Richtung Stadt: »Bist du sicher, dass es neun sind? Ich komme nur auf acht.«
»Da du ausreichend Finger an deinen Händen hast, will ich es auf dein schwächeres Augenlicht schieben«, antwortete ihm Osman Abdel Ibn Kakar, so der Name des Hageren. Er grinste amüsiert. Angesichts der nahenden Stadt mit ihren verlockenden Annehmlichkeiten besserte sich seine Laune zusehends. »Den Turm der neunten Kirche findest du ganz hinten, in Richtung der untergehenden Sonne, sollte sie sich denn jemals in dein Land verirren.«
Robert schüttelte den Kopf.
»Siehst du, entlang meiner Hand musst du schauen, hinter den Befestigungen auf dem Hügel am Horizont, dort kommt durch den Dunst ein Kirchturm zum Vorschein.«
Robert kniff kurz die Augen zusammen, dann sah auch er die Sankt-Mauritius-Kirche auf dem Moritzberg westlich der Stadt. In einer freundschaftlich anmutenden Geste legte er seine schwere Hand auf Osmans Schulter und bedankte sich laut und vernehmlich, allerdings nicht, ohne dessen Schal einmal kräftig zusammenzudrücken. Während Osman das eiskalte Wasser in Strömen den Rücken hinablief, verfluchte er nacheinander Robert, das hiesige Wetter und seine eigene, vorschnelle Zunge.
*
Es ging schon auf Mittag zu, als die beiden im Nordosten der Stadtbefestigung vor einem mächtigen Tor zum Stehen kamen.
Die Mauer links und rechts davon war ungefähr zwanzig Fuß hoch, aus hellen, grob in eine rechteckige Form gemeißelten Steinen. Sie wirkte äußerst wehrhaft und machte auf Ankömmlinge, wenn sie wie die beiden direkt davor standen, einen sich ins Unendliche verlierenden Eindruck. Das Tor selbst überragte die Mauer um weitere zehn Fuß und maß ebenso wie in der Höhe auch in der Breite ungefähr deren dreißig, sodass es, nahezu quadratisch also, durch diese kompakte Form auf den Betrachter sehr robust wirkte. Die Steine waren im Gegensatz zu denen in der Mauer wesentlich akkurater in Form geschlagen, was dem Baumeister deutlich mehr Möglichkeiten zur Herausarbeitung einiger Finessen wie feine Wehrzinnen am oberen Abschluss oder Wetternischen für die Wachsoldaten links und rechts des Torbogens bot. Die Pforte schließlich bestand aus massiven, eisenbeschlagenen Eichenbohlen. Sie war zweiflügelig, links und rechts mit schweren Eisenangeln versehen und schwang nach innen auf.
Als Robert und Osman auf das Stadtportal zuritten, waren beide Flügel vollständig geöffnet und die Wächter, direkt unter dem Torbogen vor dem Regen untergestellt, würdigten die beiden Ankömmlinge keines Blickes.
Schweigend ritten sie gemächlich auf dem innerorts befestigten Handelsweg durch die Altstadt Hildesheims, vorbei an der Sankt Jakobikirche geradewegs auf die Sankt Andreaskirche zu. Nach dem gut einwöchigen Ritt durch ödes Wald- und Sumpfland tat es beiden gut, endlich wieder Stadtluft zu atmen. Häuser so weit das Auge reichte, lückenlos aneinandergereiht, säumten den Wegesrand, bis auf einige wenige Steingebäude zwar aus Holz gefertigt, aber dennoch bedeutend größer als die windschiefen Hütten in der Siedlung zuvor. Stolz priesen Handwerker auf bemalten Holztafeln dem Wanderer ihre Künste an. Hier deutete ein gemalter Stiefel auf einen Schuhmacher hin, beim Nachbarn prangte über dem Türbogen ein Brustpanzer, also war hier ein Plattner zu Haus, daneben ein Sattler, ein Beutler, zwei weitere Schuhmacher direkt nebeneinander, ein Weber, wieder ein Schuhmacher und schließlich, bevor eine Gasse die Häuserreihe unterbrach, stand dort, ganz in Stein gebaut, das eindrucksvolle Anwesen eines Knochenhauers. Der abgetrennte Schweinekopf auf dem Schild verwies eindeutig auf seine Zunft.
Der Weg wurde zusehends breiter, die Häuserreihen lichteten sich und schließlich tauchte der Westturm der Kapelle des heiligen Andreas vor ihnen auf. Gerade und schnörkellos in ihrer Bauart, beeindruckte weniger die schlichte, kleine Kirche als vielmehr der gewaltige Vorplatz. Dort, südlich des Kirchenschiffs, fand gerade ein Wochenmarkt statt, der nach wie vor sintflutartig niederpeitschende Regen verlieh dem Marktgeschehen allerdings einen absurd kümmerlichen Anblick. Auf dem üppig dimensionierten Platz waren derzeit gerade einmal drei Händler zugange, neben einem Knochenhauer und einem Bauern natürlich auch ein Schuhmacher. Wie sollte es anders sein in dieser Stadt, die hauptsächlich von Schuhmachern und Geistlichen bevölkert zu sein schien, dachte sich Osman beim Anblick des Handwerkers. Belustigt beäugte er im Vorbeireiten die drei Gesellen, die mehr damit beschäftigt waren, ihre Waren vor dem Wetter zu schützen, als sie an den Mann zu bringen, dann schließlich brach er das lange Schweigen.
»Wo wollen wir nun einkehren?«
»Ein Kloster wäre recht, das erstbeste, das unseren Weg kreuzt.«
»Ja bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Seit mehr als einer Woche sehen wir nichts weiter als Bäume, Sümpfe und ab und an ein Wildschwein, dieser verdammte, immerwährende Regen schält uns allmählich die Haut von den Knochen, und du willst jetzt ausgerechnet in einem Kloster rasten? – Bei Allah, das kommt nicht infrage!«
»Die Pferde und Kleider haben uns fast das gesamte Geld aufgebraucht und bis nach Cölln ist es noch weit hin. Wir müssen mit dem Rest haushalten, um nicht schon vor unserem Ziel mittellos dazustehen.«
»Du sprichst von meinem Geld, als wäre es das deine.«
»Erzähl nicht solch einen Unfug. Als Gefangener deines Herrn konnte ich mir unmöglich Geld herbeischaffen, das weißt du sehr wohl!«
»Ja, ja, schon gut«, erwiderte Osman nun beschwichtigend, »hast ja recht. Du bist zwar nicht schlauer als ich, aber allemal vernünftiger. Dann lass uns eben in einem Kloster absteigen. Hauptsache, ein Dach überm Kopf und ne heiße Suppe im Bauch, nach mehr verlangt es mich inzwischen auch nicht mehr.«
Bruder Mattias, seines Zeichens Botanicus des am Brühl gelegenen Dominikanerklosters Sankt Paul, wollte zuerst seinen Augen nicht trauen, als er die beiden Fremden, einen Riesen und einen Muselmanen, gemächlichen Schrittes durch seinen Kräutergarten trotten sah. Neben dem Koloss wirkte der andere wie ein Zwerg. Bruder Johann, der ihnen die Pforte geöffnet hatte, ging voraus und sie folgten ihm zum Prior. Was für ein seltsames Gespann die beiden doch abgaben, dachte sich Mattias. Vor allem der Exot war zu Zeiten der Kreuzzüge ein ungewöhnlicher Anblick und ein unwillkommener obendrein, weiß Gott nicht jedes Kloster hätte ihm Einlass gewährt. Und erst das Wasser, welches sie mit sich trugen. Mattias war mit seinen sechsundfünfzig Jahren schon fast ein Greis und hatte viel gesehen in seinem langen Leben, doch dass ein Mensch derart vor Nässe triefen konnte, war selbst ihm bislang nicht unter die Augen gekommen. Rasch rupfte und zupfte er noch ein wenig Salbei, Thymian und Kamille, jene Kräuter also, die er, in welcher Form auch immer, den Kranken zu verabreichen pflegte, wenn sie mit kratzendem Hals, laufender Nase oder glühender Fieberstirn zu ihm gelaufen kamen, dann folgte er den dreien zum Prior. Nicht, dass er neugierig wäre, schließlich wollte er den beiden Fremden doch nur helfen mit seiner Heilkunst. So schlüpfte er schnell mit hinein, als Johann die beiden Wanderer ins Zimmer des Priors führte, geflissentlich den überraschten Blick des Torwächters ignorierend.
Bruder Georg, als Prior verantwortlich für die Geschicke des Konvents Sankt Paul, umgab eine beeindruckende Aura. Nahezu so groß wie Robert und doch nur halb so schwer, verlieh ihm seine für Mönche eines Bettelordens so charakteristisch hagere Gestalt die seines Amtes angemessene Würde und Authentizität. Seine funkelnden, eisblauen Augen ließen auf einen wachen Geist schließen und die Art und Weise, wie er die beiden Fremden empfing, zuvorkommend, wenn auch nicht überschwänglich herzlich, interessiert, jedoch ohne jede Neugier, wirkte aufrichtig und Vertrauen erweckend. Er schickte Bruder Johann, trockene Tücher zu holen, und ergriff das Wort.
»Gesegnet seien die Geschicke, die Euch in unser Kloster geleitet haben, liebe Wanderer. Was führt Euch denn zu uns?«
Robert beeilte sich, dem Prior zu antworten, bevor sein Freund etwas entgegnen konnte. Osman beherrschte die hiesige Sprache zwar besser als manch ein Einheimischer, aber noch lange nicht deren Gepflogenheiten, und so hatte sein loses Mundwerk den beiden bereits mehrfach Scherereien bereitet.
»Wir kommen aus Bremen und sind auf der Durchreise nach Cölln. Hier in Hildesheim, so sagte man uns, würden wir auf den Hellweg stoßen, der direkt ins Rheinland führt.«
Der Prior nahm Bruder Johann zwei grobe Leinentücher ab, die er sodann an die beiden Reisenden weiterreichte.
»Da habt Ihr sehr wohl recht. Keine halbe Meile von hier, zwischen dem Marktplatz an der Kirche des heiligen Andreas und der Kreuzkapelle, da treffen die beiden Straßen aufeinander. Ihr müsstet die Stelle bereits passiert haben, solltet Ihr auf direktem Weg zu uns gefunden haben. Doch jetzt erholt Euch erst einmal von den Strapazen der Reise. Bruder Mattias wird Euch eine Zelle weisen und einen heißen Trank zur Stärkung bereiten. Ihr wisst freilich, die Brüdergemeinschaft des Dominikus ist ein Bettelorden, wir leben von Almosen und haben selbst nicht viel, doch das Wenige teilen wir gern, seid also herzlich willkommen.«
*
Die Zelle klein zu nennen, wäre ihrem Ausmaß nicht gerecht geworden, denn sie war winzig. Die Einrichtung bestand aus zwei aufgeschütteten Strohhaufen, worauf jeweils zwei Leinentücher lagen, eines zum Abdecken der Lagerstätte und eines zum Zudecken zur Nacht, daneben eine Kerze und an der Wand ein schmuckloses Holzkreuz, das war alles. Angesichts der spartanischen Einrichtung ihrer Unterkunft befürchtete Robert bereits weiteres Gezeter von Osman, doch der schien vorerst seine Lektion gelernt zu haben – oder war einfach nur zu müde, jedenfalls fügte er sich klaglos seinem Schicksal. Ihre nassen Kleider gaben sie Bruder Mattias, der sich anbot, sie dem Küchenmeister zum Trocknen zu übergeben.
Da saßen sie nun eingewickelt in Leinentücher, ein jeder auf seinem Strohhaufen. Der trockene, dichte Stoff und die bald einsetzende Wärme waren das Angenehmste, was ihnen seit Beginn ihrer Reise zuteil geworden war. Als Mattias mit zwei Bechern wieder ihre Zelle betrat, war Osman bereits eingenickt, und auch Robert wurden die Lider immer schwerer. Er bedankte sich herzlich bei Mattias, trank seinen Kräutertee in einem Zug, dann schloss er die Augen. Osman ließ er ruhen.
*
Die letzten Sonnenstrahlen des Tages malten ein scharfes Muster von Licht und Schatten auf die Tür ihrer Klosterzelle. Verwundert schaute Osman zum Fenster, das, drei Fuß hoch, aber bestenfalls einen halben breit, eher einer Schießscharte für Bogenschützen glich. Doch erregte wohlgemerkt nicht die eigentümliche Maueröffnung seine Aufmerksamkeit, sondern vielmehr jenes fast schon vergessene Gestirn, das nunmehr seine freundlichen Strahlen in ihre Unterkunft sandte. Kaum wach, begann er mit dem Schicksal zu hadern, welches ihnen, erst kürzlich noch unter freiem Himmel reisend und schutzlos dem Wetter ausgesetzt, ganze drei Tage Dauerregen beschert hatte.
»Himmel, Arsch…«, Roberts Aufschrei ließ Osman zusammenzucken, »… jetzt scheint das verdammte Rabenaas plötzlich! Himmel, Arsch, noch mal!«
Osman grinste bitter, denn auch er fühlte sich übel verprellt.
Der schwere Riegel ihrer Pforte wurde heruntergedrückt und Mattias steckte seinen Kopf in die Zelle.
»Ihr seid beide wach, gut so. Der Prior hieß mich, Euch zur Vesper zu rufen. Nach den Gebeten gibt’s das letzte Mahl des Tages, sputet Euch also, wollt Ihr nicht mit knurrendem Magen zur Nachtruhe gehen.« Mattias hatte zwei Mönchskutten mitgebracht. Auf der größeren, die er Robert reichte, lag ein kleines Messer. »Eure Kleider sind noch nicht ganz trocken, da hätte der Herrgott auch ein Wunder vollbringen müssen, so nass, wie sie waren. Ich habe daher zwei Kutten mitgebracht, wobei wir, was Euch anbelangt, bedauerlicherweise keinen Bruder fanden, der auch nur eine annähernde Statur aufweist«, sagte Mattias, mit den Armen fuchtelnd an Robert gewandt. »Diese hier stammt vom Prior. Er selbst erteilte Euch die Erlaubnis, einige Nähte aufzutrennen, solltet Ihr denn gar nicht hineinpassen.
Nun denn, wohlgemerkt, sputet Euch, gleich beginnt in der Kapelle der Gottesdienst!« Und mit diesen Worten verließ Mattias auch schon eilends wieder die Zelle.
»Aber wo ist denn jene Kapelle?«, rief ihm Robert hinterher.
»Folgt nur den Brüdern, so könnt Ihr sie nicht verfehlen. In dieser Stunde findet jeder Schritt einzig ein Ziel.«
»Selbstredend«, sagte Osman, bevor er Mattias nachäffte, indem er Robert in gehetztem Ton auftrug, sich zu sputen.
»Für jemandem, der erst kürzlich noch als Gefangener sein Dasein fristete, stehst du im Übrigen recht gut im Futter«, schloss er angesichts Roberts Verrenkungen bei dem Versuch, sich in die Kutte hineinzuzwängen.
Die Abendmesse zur Vesper war für Robert und Osman nur schwer zu ertragen. Selbstredend ausschließlich in Latein abgehalten, konnten sie den Psalmen, wenn auch beide leidlich des Lateinischen kundig, nur schwer folgen. Des Weiteren knurrte ihnen der Magen, umso größer dann auch die Freude, als schließlich der Hymnus gesungen war und alles zum Essen strebte.
»Was meinst du, wird es geben?« In Erwartung der Mahlzeit schien Osman das erste Mal am heutigen Tage guter Laune.
»Erwarte nicht zu viel. Wir sind hier in einem Bettelorden, die Dominikaner haben ihre Lebensweise der Armut Jesu Christi verschrieben. Schau dir diese Hungerhaken doch an, die haben schon lange kein Fleisch mehr zwischen ihren Zähnen gehabt.«
Robert meinte zu erkennen, dass Osman erbleichte, zumindest änderte sich dessen Laune schlagartig.
»Aber zum Teufel noch mal, warum musstest du denn ausgerechnet an diese Pforte klopfen, wo die halbe Stadt aus Kirchen und Klöstern zu bestehen scheint?« Nur mit großer Mühe brachte es Osman fertig, seinen Ärger nicht laut hinauszuschreien, sondern seine Frage, die eigentlich gar keine Frage, sondern vielmehr ein Vorwurf war, leise in Roberts Ohr zu flüstern.
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