Das Geständnis einer großen Liebe - Gert Rothberg - E-Book

Das Geständnis einer großen Liebe E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

82 Seiten dramatische Handlungsverläufe, große Emotionen und der Wunsch nach Liebe und familiärer Geborgenheit bestimmen die Geschichten der ERIKA-Reihe - authentisch präsentiert, unverfälscht und ungekürzt! Es war ein heißer, trockener Julitag, die Sonne brannte die letzte Feuchtigkeit aus dem Boden. Das sonst so saftige Grün der Wiesen hatte längst einen bräunlichgrauen Schimmer bekommen, und nur den unermeßlichen Buchenwäldern ringsum konnte die anhaltende Trockenheit nichts ausmachen. Die Kronen der mächtigen Bäume sammelten die sengenden Lichtstrahlen, und in ihrem Schatten blieb es angenehm kühl. Benno von Haverkamp, Major a.D., in Ehren ergrauter Kavallerist, schob sich mühsam aus seinem Lehnstuhl und tastete sich an der Tischplatte entlang zum offenen Fenster. Dort blieb er stehen, die Hände fest auf den Fenstersims gestützt. Tief atmete er die frische Waldluft ein. Im Zimmer war es gar so stickig, aber er konnte nicht hinaus, das war es eben. Seitdem er sich dieses scheußliche Hüftleiden im vergangenen Winter zugezogen hatte, war er zur Untätigkeit verdammt. Er hockte hier herum und mußte sich bedienen lassen. Nicht einmal nach seinen Pferden konnte er sehen. Dieses ganze Leben taugte nicht mehr viel. Mit Siebzig hatte man abzutreten, man durfte sich da nicht viel vormachen. Was war das überhaupt für eine Welt? Männer wie er konnten sich darin nicht mehr zurechtfinden. Alles war ins Gleiten geraten, und was ihm ein Leben lang unumstößliche Lebensgrundsätze gewesen waren, das galt heute nicht mehr. Er jedoch wollte sich nicht mehr ändern, er nicht! Darum auch hatte er bockbeinig auf seinem alten Landsitz ausgeharrt, solange er lebte, würde hier nichts geändert werden. Punktum…! Er blieb bei seiner Meinung, daß die Menschen früher glücklicher gewesen waren, die Hochgestellten ebenso wie der einfache Mann auf der Straße. Benno

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Erika Roman – 10–

Das Geständnis einer großen Liebe

Gert Rothberg

Es war ein heißer, trockener Julitag, die Sonne brannte die letzte Feuchtigkeit aus dem Boden. Das sonst so saftige Grün der Wiesen hatte längst einen bräunlichgrauen Schimmer bekommen, und nur den unermeßlichen Buchenwäldern ringsum konnte die anhaltende Trockenheit nichts ausmachen. Die Kronen der mächtigen Bäume sammelten die sengenden Lichtstrahlen, und in ihrem Schatten blieb es angenehm kühl.

Benno von Haverkamp, Major a.D., in Ehren ergrauter Kavallerist, schob sich mühsam aus seinem Lehnstuhl und tastete sich an der Tischplatte entlang zum offenen Fenster. Dort blieb er stehen, die Hände fest auf den Fenstersims gestützt.

Tief atmete er die frische Waldluft ein. Im Zimmer war es gar so stickig, aber er konnte nicht hinaus, das war es eben. Seitdem er sich dieses scheußliche Hüftleiden im vergangenen Winter zugezogen hatte, war er zur Untätigkeit verdammt. Er hockte hier herum und mußte sich bedienen lassen. Nicht einmal nach seinen Pferden konnte er sehen.

Dieses ganze Leben taugte nicht mehr viel. Mit Siebzig hatte man abzutreten, man durfte sich da nicht viel vormachen. Was war das überhaupt für eine Welt? Männer wie er konnten sich darin nicht mehr zurechtfinden. Alles war ins Gleiten geraten, und was ihm ein Leben lang unumstößliche Lebensgrundsätze gewesen waren, das galt heute nicht mehr.

Er jedoch wollte sich nicht mehr ändern, er nicht! Darum auch hatte er bockbeinig auf seinem alten Landsitz ausgeharrt, solange er lebte, würde hier nichts geändert werden. Punktum…! Er blieb bei seiner Meinung, daß die Menschen früher glücklicher gewesen waren, die Hochgestellten ebenso wie der einfache Mann auf der Straße.

Benno von Haverkamp preßte die Lippen fest aufeinander. Dieser stechende Schmerz in der Hüfte wurde allmählich unerträglich. Früher hatte er es nicht verstehen können, wenn Menschen nach Betäubungsmitteln griffen und nach und nach dabei süchtig wurden. Heute wünschte er sich oft genug selbst, irgendein Narkotikum im Haus zu haben. Sollte er es sich von Dr. Schellenberger verschreiben lassen, diesem Grobian, der eher ein Viehdoktor war? Nein, ihm gegenüber ließ er sich nichts anmerken. Wenn der Kerl kam, behauptete er stets, daß er sich ausgezeichnet fühle, und daß er sich einer glänzenden Gesundheit erfreue.

Nein, nein, die Ärzte sollten ihn nicht erst in die Finger kriegen.

Zu blöd! Wie war es nur möglich gewesen, daß er ganz einfach vom Gaul fiel? Er, der so fest im Sattel saß wie ein Kosak.

Na, vorbei! Nicht mehr daran denken. Ein Glück wenigstens, daß es niemand gesehen hatte.

Haverkamp lauschte in den Wald hinaus. Seine machtvolle, achtunggebietende Gestalt war leicht nach vorn geneigt. So hatte er früher am Kartentisch gestanden, um den Rapport seiner Offiziere entgegenzunehmen.

Heute jedoch wartete er nur auf seinen ehemaligen Burschen, der ihm, ja, man konnte es wohl so sagen, im Laufe der Jahrzehnte fast ein guter Freund geworden war.

Gustav Kaleit war bei ihm geblieben, er hatte sich den Gewohnheiten seines Vorgesetzten angepaßt. Mehr noch, zum Gaudium der spärlich erscheinenden Besucher, hatte er im Laufe der Zeit Haltung und Sprechweise seines früheren Majors angenommen.

Beide waren sie Junggesellen geblieben, die sich an den langen Winterabenden die Stunden damit vertrieben, von der guten alten Zeit zu erzählen. Nur daß man dabei jetzt nicht mehr vorm Kamin im alten Haverkampschen Familienschlöß­chen sitzen konnte, drüben hinter dem Wald. Das hatte man wegen der zu hohen Unkosten verriegeln und verrammeln müssen. Nun saß man eben im ehemaligen Försterhaus – wie auf dem Altenteil.

Aber es wurde nichts verkauft, dafür würde er niemals seine Hand reichen. Es war schon schlimm genug, daß man in den letzten Jahren mehr Holz hatte einschlagen müssen, als dem Wald zuträglich war.

»Möchte mal wissen, wo der Kaleit wieder steckt«, brummte Benno von Haverkamp vor sich hin.

Huschende Schritte näherten sich von der Haustür her. Bennos Gesicht hellte sich auf, um sich jedoch sofort wieder zu verfinstern.

»Ach, Sie sind es, Marlise. Ich dachte, es wäre meine Nichte Claudia. Können Sie mir sagen, wo sich der Kaleit wieder mal herumtreibt?«

Marlise Dressel, seit gut fünfundzwanzig Jahren Wirtschafterin bei den Haverkamps, rund und stämmig, mit dem vollen rotwangigen Gesicht einer Frau, die selbst sehr gern das ißt, was sie zu kochen pflegt, stemmte die Arme in die Hüften.

»Aber Sie haben ihm doch gesagt, er soll die Pferde bewegen.«

»So, habe ich das? Muß er deswegen aber gleich bis ans Ende der Welt reiten? Überhaupt, ich glaube er hat sich auf seine alten Tage noch eine Freundin angeschafft.«

»Herr Major!« In Marlises Gesicht trat zornige Röte, ihre wasserhellen Augen blickten empört.

Der alte weißhaarige Mann am Fenster winkte müde ab.

»Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, daß es sich längst ausmajort hat. Ich bin für Sie der alte Haverkamp, fertig. Im übrigen brauchen Sie sich nicht aufzuregen. Unser guter Gustav Kaleit wird Ihnen schon nicht untreu, er ist an Ihr gutes Essen gewöhnt.«

Marlise Dressel wandte sich ärgerlich ab. Mit dem gnädigen Herrn war es in letzter Zeit nicht mehr auszuhalten, seit seiner Krankheit war er Gift und Galle.

»He, rennen Sie doch nicht wieder weg, Marlischen. Ich warte nicht nur auf unsern Kaleit, ich warte auch auf meine Nichte Claudia. Sie läßt sich hier im Försterhaus nur noch minutenweise sehen.«

Benno von Haverkamp sah zu seiner Verwunderung, daß seine Wirtschafterin, die er im Grunde genommen genauso gern mochte wie seinen ehemaligen Burschen Gustav Kaleit, bei seinen Worten erschrak.

War etwas mit Claudia? Das Kind sollte dies hier alles einmal erben, und darum war er ja froh, daß Claudia sich schon jetzt auf ihrem zukünftigen Besitz einlebte. Sie war im vergangenen Herbst zu ihm gekommen, nach dem Tode ihrer Mutter, seiner Schwester. Und sie hatte hier zu werken und zu wirtschaften begonnen, als hätte sie in ihrem ganzen bisherigen Leben nichts anderes getan.

»Das gnädige Fräulein ist doch drüben im Schloß.«

»Im Schloß, im Schloß!« wetterte Haverkamp. »Sie kann nicht jeden Tag dort die alten Möbel abstauben und die Zimmer lüften. Seitdem ich ein halbes Wrack bin, flunkert ihr mich an. Also, heraus mit der Sprache. Wo ist sie?«

»Im Schloß«, sagte Marlise Dressel und blieb dabei.

Benno von Haverkamp wandte sich wütend ab. Gleichzeitig jedoch zuckte er schmerzhaft zusammen. Er hatte für Sekunden sein Leiden vergessen gehabt, doch der bohrende Schmerz erinnerte ihn sehr schnell wieder daran.

»Möchte wissen, was das Mädel dort den ganzen Tag treibt«, schimpfte er vor sich hin. »Wenn sie vielleicht meint, wir könnten dort wieder Einzug halten, dann hat sie sich geirrt, die allerliebste Claudia. Ich nehme ihr Geld nicht. Was sie von den Eltern geerbt hat, soll sie hüten und vermehren.«

Haverkamp wurde in seinem Monolog unterbrochen. Das Trappeln vieler Pferde drang die Waldschneise herauf. Kaleit kam zurück, und er hielt vor dem offenen Fenster. Benno von Haverkamp wandte sich langsam und vorsichtig um. Stolz blickte er auf die brandroten Füchse, die zu ihm hin schnaubten und sich tänzelnd unter das Fenster drückten.

»Kaleit, bist du verrückt? Die Tiere sind ja ganz naß. Wie kannst du sie bei dieser Hitze derart jagen? Was soll das überhaupt, sie sind ja alle gesattelt?«

»Ich habe sie alle mal durchgeritten, Herr Major, sie müssen an Zaum- und Sattelzeug gewöhnt bleiben.«

»In den Stall mit ihnen, und daß du sie mir gehörig abreibst! Dann meldest du dich sofort bei mir, ich habe einen Auftrag, du mußt zur Bahn. Wir bekommen Besuch.«

Haverkamp blieb sinnend am Fenster stehen, nachdem Gustav Kaleit mit den Pferden auf den Hof geritten war. Dieser Kaleit! Er hatte doch eben genauso erschrocken dreingesehen wie vorhin die Marlise. Hol’s der Kuckuck, das mußte doch etwas zu bedeuten haben!

Haverkamp schleppte sich zu seinem Lehnstuhl. Dort saß er dann, und seine Finger trommelten auf die Sessellehnen, bis sich eine Hand zur Jackentasche hintastete und aus ihr einen zusammengefalteten Briefbogen hervorzog.

Er mußte das eng beschriebene Stück Papier weit von sich halten, um es ohne Brille lesen zu können. Doch bald schon ließ er das Schreiben wieder sinken, er kannte ja den Inhalt längst auswendig. Seit mehreren Tagen trug er den Brief bei sich.

Er hatte zunächst abschreiben wollen. Das Haus war voll genug, und sie alle lebten hier ziemlich beengt. Ein junger Mann, und mochte es auch Ulf Wittgen sein, würde den geruhsamen Ablauf des Tages nur stören. Und außerdem – ja – ihm war so dunkel in Erinnerung, daß Claudia Micheli diesen Ulf Wittgen vor noch gar nicht langer Zeit sehr, sehr gern gehabt hatte. Allerdings wußte er darüber nichts Genaues. So hatte er die Absage Tag um Tag hinausgeschoben, immer in der Hoffnung, Claudia noch ein wenig ausfragen zu können. Doch Claudia würde sich wohl eher die Zunge abreißen, als darüber zu irgend jemand zu sprechen.

Und dann konnte man es dem guten Leopold Wittgen nicht antun, die Aufnahme seines Sohnes zu verweigern. Schließlich war man doch miteinander verwandt, seine, Haverkamps Mutter, war eine geborene Wittgen, allerdings aus einer Nebenlinie. So gesehen, waren auch Claudia und Ulf miteinander verwandt, wenn auch recht weitläufig.

Leopold Wittgen war ein bekannter Schriftsteller, seine Romane wurden überall gern gelesen. Für seinen – Haverkamps – Geschmack allerdings war der Wittgensche Stil zu barock und pompös. Doch die meisten Leute liebten das anscheinend.

Ulf, der dreiundzwanzigjährige Sohn, hatte sich als Bühnenautor versucht, bisher wohl ohne rechten Erfolg.

Sein Philologiestudium schien er inzwischen abgeschlossen zu haben.

Interessante Gesellschaft bekam man also. Benno von Haverkamp schrak auf, es wurde gegen die Tür gepocht.

»Ah, Kaleit, da bist du endlich, setz dich her. Hast du Claudia gesehen?«

Wieder dieser unsichere, halb erschrockene Blick.

»Sie ist im Schloß, Herr Major.«

»Natürlich, diese Antwort höre ich stets. Und was macht sie dort?«

»Wir halten uns dort ein bißchen Viehzeug, neuerdings«, sagte Gustav Kaleit und lachte dazu.

»Grinse mich nicht so an, Kerl, aber es ist vielleicht wirklich komisch. Willst du mir wohl sagen, um was für Viehzeug es sich dabei handelt?«

»Das gnädige Fräulein hat zwei Kühe gekauft und hat auch eine Hühnerfarm eingerichtet.«

Haverkamp hieb auf die Sessellehne.

»Hinter meinem Rücken?«

»Verraten Sie mich nur nicht. Ich sollte noch nichts darüber sagen. Das gnädige Fräulein wollte Sie damit überraschen. Und es hilft uns doch so sehr.«

»Was hilft uns?«

»Na, das Viehzeug.«

Der weißhaarige alte Herr neigte sich vor.

»Wir werden also zu Ackerbauern. Meine Ahnen werden sich im Grabe herumdrehen. Hier hat es immer nur Pferde und die Jagd auf Edelwild gegeben. Und wo, bitte, hat sie die Milchkühe untergestellt? Vielleicht in der Säulenhalle, wie?«

»In der alten Remise, da, wo früher die Kutschen gestanden haben.«

Haverkamp lehnte sich zurück.

»Ich will mich nicht aufregen, es bekommt mir nicht. Ich werde mit meiner Nichte darüber sprechen. Es war deine Pflicht, es mir zu sagen. Schluß jetzt davon! Du mußt zur Bahn, Ulf Wittgen abholen. Kennst du ihn noch?«

»Nur dem Namen nach.«

»Sattle die beiden Stuten – sie sahen mir eben noch am wenigsten erschöpft aus und reite zum Bahnhof. Aber langsam, bitte ich mir aus! Und halte dich auf der Chaussee unter den Bäumen.«

»Mache ich, Herr Major, kann der junge Herr denn reiten?«

»Wie? Ach so, daran habe ich noch gar nicht gedacht. Er ist ja ein Stadtmensch«, sagte Benno von Haverkamp verächtlich. »Nimm also den Dogcart und spann die Liese vor. So, nun verschwinde, mein Sohn, du bist entlassen.«

Wenn sein Herr und Gebieter diesen Ton anschlug, dann konnte Gustav Kaleit nicht anders, er mußte mit den Hacken klappen. Lässig winkte der alte Major ab, und es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre ihm ein wohlwollendes »Stehen Sie bequem« über die Lippen gekommen. Doch die Zeiten waren längst vorbei, und es war schon sehr nett von dem alten Kaleit, daß der ihn immer noch achtungsvoll mit Herr Major anredete. Ja, von ihm hörte er das sehr gern, nur die Marlise konnte sich diese Anrede sparen, zu ihr paßte es nicht.

Gustav Kaleit zog den Dogcart aus dem Schuppen und holte Liese aus dem Stall, die hier eigentlich nur noch ihr Gnadenbrot fraß. Gut zwanzig Jahre hatte sie auf ihrem Buckel, und man sah das diesem Buckel an: Er hing durch. Einen Sattel durfte man Liese nicht mehr auflegen. Aber an der Deichsel ging sie noch ganz gut.

»Komm, Alte, du darfst auch mal wieder raus«, meinte Kaleit und klatschte ihr auf die Hinterhand. Liese spielte mit den Ohren, als wäre sie im jungfräulichen Alter, sie bleckte die Zähne, als lache sie vergnügt, und dann trabte sie aus der Box hinaus auf den Hof. Wartend und gleichsam verwundert blickte sie sich um. Kaleit warf ihr schon das Geschirr über. Willig ließ Liese sich vor den zweirädrigen Wagen spannen.

»Ab zum Bahnhof«, schnalzte Kaleit und zog mit seinem Gefährt an dem offenen Fenster vorbei. Kaum hatte er jedoch den Waldweg erreicht, da bog er auch schon seitlich in eine der Schneisen ein, die in gerader Linie zum Schloß führten.

Das leichte Gefährt holperte über den unebenen Boden. Liese schnaubte.

»Ärgert dich was, Liese?« fragte Kaleit. »Solltest dich freuen, daß du mal rauskommst, der kleine Umweg, den wir zunächst noch machen, der muß nämlich sein, weißt du?«

Liese schlug sich den Schweif um die Flanken und setzte sich dann in Trab.

Gustav Kaleit hockte indessen mit ernstem, sorgenvollem Gesicht auf einem der Seitenbänkchen.

Er hatte ja geahnt, daß das auf die Dauer nicht gut gehen würde, was das gnädige Fräulein da machte. Es blieb auch ein Vertrauensbruch und nur um der guten Sache willen war er stillgeblieben. Doch jetzt kam Besuch. Der junge Herr Wittgen würde überall herumstromern, und dann mußte er doch sehen, daß das Schloß voller Gäste war.

»Hüh, Liese, nun mal los, beweg dich ein bißchen.«

Liese tat, was sie konnte. Doch bald schon blieb sie stehen, ein Gatter versperrte ihr den Weg.

Gustav Kaleit sprang herunter und schob es auf. Er lenkte den Wagen hindurch und schloß es dann wieder vorsorglich.

Im vergangenen Frühjahr, als Fräulein Micheli damit begonnen hatte, ohne Wissen ihres Onkels aus dem verwitterten Schloß einen exklusiven Ferienplatz zu machen, da war dieses Gatter hier errichtet worden und viele andere auch. Zwischen Försterhaus und Schloß hatte man eine Grenze gezogen.

Jeden Tag ritt er nun hinüber und herüber. Er gab Reitunterricht, und es war durchaus kein Wunder, wenn die Tiere abends mit nassem Fell zurückkehrten. Heute hatte man etwas früher Schluß gemacht, wegen der fürchterlichen Hitze.

Eine knappe Viertelstunde noch, dann hielt Kaleit vor der Freitreppe des Schlosses. Er war froh, daß er keinen der vornehmen Gäste traf. Noch immer fühlte er sich recht unbehaglich in dieser feinen Umgebung.

Suchend hielt er nach Claudia Micheli Ausschau. Da drüben zwischen den Blumenrabatten stand sie und schnitt Rosen.

Stets begann Kaleits altes Herz heftiger zu schlagen, wenn er sie sah. Er war ein Leben lang an der Seite seines Majors gewesen und hatte viele hübsche Frauen gesehen. Aber ein Geschöpf mit soviel Anmut war ihm noch nicht begegnet. Wie sie sich dort zu den Rosenknospen neigte, das helle leuchtende Haar, die duftige weiße Bluse, der bunte weite Rock. Jede Bewegung war voller Liebreiz. Claudia Micheli war zart und kräftig zugleich. Sie konnte zupacken, und sie hatte doch Augen, so sanft und schön, daß man sich kaum zu rühren wagte, wenn man vor ihr stand, aus Angst, das Bild könnte zerfließen wie ein schöner Traum.

Kaleit riß sich zusammen. Er hatte keine Zeit, in einer guten Stunde mußte der Zug einlaufen. So gab er sich einen Ruck und sprang aus dem Gefährt hinunter auf den Kies.

Claudia Micheli hörte ihn nicht. Der Wind blies zum Haus hin und trug den Schall in die entgegengesetzte Richtung.

»Gnädiges Fräulein, ich bin noch einmal zurückgekommen.«

Da richtete sie sich langsam auf, und die dunkelroten Rosenknospen schmiegten sich gegen Hals und Schulter.

Als wäre es ein Brautstrauß, so hält sie die Rosenknospen an sich gedrückt, dachte Kaleit.

»Gibt es etwas Besonderes?«

»Ich muß zur Bahn fahren, um einen Besucher abzuholen.«

»Wir bekommen einen neuen Gast? Davon weiß ich nichts.«

»Nein, nein, es ist kein Feriengast, der ins Schloß will. Herr Wittgen wird von Ihrem Onkel erwartet.«

Die Rosen sanken herab und Kaleit sah, wie sich die junge Brust unter der weißen Bluse hob und senkte.

»Wer bitte…?«

»Wittgen, gnädiges Fräulein, Ulf Wittgen. Ihr Herr Onkel hielt einen Brief in seinen Händen, und ich meine, daß es nun wohl nötig sein wird, dem Herrn Major…«

Gustav Kaleit stockte. Wie ihn das gnädige Fräulein ansah! So, als wäre er gar nicht vorhanden, als blicke sie durch ihn hindurch.

»Was halten Sie für nötig? Wollen Sie mir das bitte genauer sagen?«

»Der junge Herr Wittgen wird Ihrem Herrn Onkel alles erzählen, wenn er den Ferienbetrieb hier sieht. Es war ja vielleicht auch wirklich falsch, daß wir…«

»Ich, Herr Kalweit, ich ganz allein habe es veranlaßt, und es geschah von meinem Geld. Wir haben bereits die ersten Überschüsse, der Haverkampsche Besitz braucht nicht mehr unter den Hammer zu kommen, und darum ging es ja wohl, nicht wahr?«

»Jawohl, gnädiges Fräulein, selbstverständlich.«

»Fahren Sie also ruhig zur Bahn. Sie werden ja wissen, daß es sich hier um einen entfernten Verwandten handelt. Sie brauchen ihm von mir und von dem, was sich hier auf dem Schloß tut, nichts zu sagen. Das werde ich zu gegebener Zeit selbst erledigen.«

»Ich bin da in einer scheußlichen Zwickmühle«, stotterte Gustav Kaleit.

»Sie sind ein Mensch, der ein Leben lang keinen eigenen Willen gehabt hat. Aber ich schaffe es schon allein, Sie brauchen mir in Zukunft nicht mehr zu helfen.«

Unbeholfen stand Kaleit da, mit herabhängenden Armen.

»Nein, nein, gnädiges Fräulein, so war es nicht gemeint«, sagte er stockend, »es bleibt natürlich dabei, ich komme jeden Morgen her. Ich habe Ihrem Herrn Onkel erzählt, daß Sie hier Kühe und Hühner halten, nur weil er immer wieder gefragt hat, was Sie hier den ganzen Tag auf dem Schloß tun.«

»Sie haben also das Wesentlichste verschwiegen um der guten Sache willen«, sagte Claudia nickend. »Glauben Sie mir, eines Tages werden wir dafür Absolution erhalten.«

Die Rosen lagen lose in ihrem Arm, es sah fast so aus, als ob Claudia an ihnen keine Freude mehr hätte. Noch immer sah sie mit leerem Blick ins Weite. Und nun wandte sie sich dem Haus zu, ohne sich noch einmal umzuschauen.

Gustav Kaleit seufzte. »Was sie auch von mir verlangt, ich tue es«, sagte er leise. Wenn man den rauhen Ton seiner Stimme nicht beachtete, dann klang es sogar schwärmerisch.

Liese scharrte mit den Hufen im Kies. Kaleit hörte es, und als Claudia jetzt über die Terrasse hinweg das Gebäude betrat, erwachte er aus seiner Erstarrung und eilte zum Wagen zurück.

»Los, Liese, jetzt müssen wir uns beeilen, trotz der brütenden Sommerhitze.«

Bald hatten sie die Landstraße erreicht. Über den Feldern flimmerte die Luft, die schrägen Strahlen der Sonne tauchten die Landschaft in ein gelbliches Licht. Stille ringsum, nur das Stampfen der Pferdehufe war zu hören und das Knarren der Räder.

*

»Sieh da, unsere Claudia läßt sich auch mal wieder sehen.«

»Aber Onkel, ich bin doch erst heute morgen rübergegangen.«

»Setz dich her zu mir«, brummte Benno von Haverkamp, aber seine Augen hatten einen hellen freundlichen Schimmer. Liebevoll blickte er seine Nichte an. Er sah ihr klares reines Gesicht, den frischen roten Mund, die zarte Linie ihres Halses.

Immer wenn seine Nichte bei ihm war, wurde seine Stimmung besser. Claudia strömte soviel Lebenskraft und Frische aus.

»So, du bist heute morgen erst ins Schloß hinübergegangen? Fest steht jedenfalls, daß ich dich den ganzen Tag über nicht sehe. Und neuerdings scheinst du auch häufiger drüben zu übernachten. Kaleit hat mir vorhin erzählt, daß du zwei Kühe und Federvieh angeschafft hast. Hättest du mir vorher nicht etwas sagen können?«

Sie hatte sich dicht neben ihn gesetzt. Jetzt legte sie ihm einen Arm um die Schultern. Er machte ein bärbeißiges Gesicht dazu, doch man konnte ihm ansehen, daß ihm Claudias Anschmiegsamkeit wohltat, ja, daß er ihr nicht im geringsten mehr böse war.

»Sieh mal, Onkel, die frische Milch, die ich euch herüberschicke, und die Eier, was meinst du wohl, wie Marlise sich darüber freut.«

»Das Viehzeug kann auch hier gehalten werden.«

»Aber hier hast du doch deine Pferde, der Stall ist schon viel zu klein.«

»Nun sage bloß nicht, daß auch die Pferde wieder drüben untergebracht werden sollen.«

»Es wäre schon am richtigsten.«

»Das gibt es nicht. Ohne meine Pferde, nein, das halte ich nicht aus.«

»Ich wollte dir auch nur damit sagen, daß es drüben für mich viel zu tun gibt. Laß mich nur machen, eines Tages wirst du stolz auf deine Nichte sein.«

Er sah sie aus halb zusammengekniffenen Augen an.

»Was hast du denn sonst noch vor? Ich glaube, ich sollte dir ein bißchen mehr auf die Finger sehen.«

»Onkel Benno, daß du so gar kein Vertrauen zu mir hast!«

Unbeholfen strich er ihr übers Haar.

»Habe ich doch, habe ich doch. Es will mir nur nicht gefallen, daß du wie eine Magd dort drüben im Stall stehst. Du hast doch Geld geerbt und könntest dir einen guten Tag machen und dabei vielleicht auch deinen zukünftigen Mann kennenlernen. In den Kuhstall kommt er bestimmt nicht.«

»Wer mich wegen dieser Arbeit verächtlich ansieht, der kann mir sowieso gestohlen bleiben«, sagte Claudia und warf ihr helles Haar zurück. »Und da wir gerade dabei sind, ich habe drüben jetzt sehr viel zu tun. Ich habe mir aus dem Dorf ein tüchtiges Mädel geholt, ich möchte von jetzt ab drüben wohnen. Selbstverständlich schaue ich immer mal zu dir herein.«

»Mal langsam. Du hast dir eine Angestellte genommen? Wozu denn?«