Das Goldland des Salomo - Dietmar Beetz - E-Book

Das Goldland des Salomo E-Book

Dietmar Beetz

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Beschreibung

Ein Deutscher als „Vater des Bergbaus“ in Südafrika? Ja, das stimmt, auch wenn der Mann und sein Name hierzulande noch immer in Vergessenheit zu bleiben scheinen. In seinem Roman erzählt D.B. das spannende Leben des Afrikaforschers, Goldsuchers und Kartografen Karl Gottlieb Mauch, der am 7. Mai 1837 in Stetten im Remstal geboren wurde und am 4. April 1875 in Stuttgart starb – vor bald 150 Jahren. Wir schreiben das Jahr 1865, als Mauch, ziemlich mittellos, aber mit einem großen Traum in Afrika ankommt, wie auch die Zöllner bei seiner Einreise in Durban erfahren: Der Chefzöllner sah ihn aus grauen Augen aufmerksam an, entfaltete die Karte, betrachtete sie interessiert, legte sie zurück und griff zum obersten der Quarthefte, um darin zu blättern, da und dort zu lesen. Notizen in kleinen, eckigen Schriftzügen, Eintragungen in der Reihenfolge der Tage, ab und an eine Abkürzung, ein O. „Was bedeutet das?”, erkundigte er sich. „Ophir, Sir”, gab Mauch zur Antwort, und erklärend fügte er hinzu: „Das ist ein Ort oder ein größeres Gebiet, das Land, wo König Salomo und andere Herrscher Gold holen ließen.” „Salomo, der jüdische König der Bibel?” „Eben der, Sir.” Zwei Tage später, am 12. Februar 1865, befand sich Mauch tatsächlich auf dem Weg ins Landesinnere, dem Weg nach Transvaal. Mit ihm Sulzer, und beide als Reisende im Ochsenwagen. Platz für ihr Gepäck auf einem der robusten, schwerfälligen Fuhrwerke, die in langer Kolonne dahinkrochen, hatte der Augsburger besorgt, und um das mitzuteilen, war er nach Neu-Deutschland gekommen. So jedenfalls seine Erklärung bei jenem Zusammentreffen außerhalb des Ortes. „Und wenn ich nun hierbleiben möchte?”, warf Mauch ein. „Ohne Aussicht auf einen Penny, seit du den Posten auf der Plantage los bist?”, erwiderte Sulzer. „Woher weißt denn du davon?“ „Durban ist nah”, gab er grinsend zur Antwort, und wieder einmal war sich Mauch im Unklaren, was er von ihm halten sollte. Und je länger die Reise dauert und bei der es nur langsam vorangeht, umso ungeduldiger wird Mauch. Und in Sulzer hat er offenbar einen Konkurrenten, der es nun ebenfalls auf das geheimnisvolle Ophir, das Goldland, abgesehen hat. Wird er für Mauch zur Gefahr? Was er wenig später tatsächlich erblickte, verschlug ihm den Atem: Dicht über ihm am Rand der Ebene stand Sulzer, das Gewehr im Anschlag und die Läufe auf ihn gerichtet. „Keine Sperenzchen! Jetzt legst du erst mal den Bock hier vor meinen Füßen ab, und dann greifst du in die Tasche und gibst mir die Karte!”

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

AUFTAKT

Erstes Kapitel: EIN SEGELSCHIFF VOR PORT NATAL

Zweites Kapitel: TOR ZUM KONTINENT

Drittes Kapitel: NEU-DEUTSCHLAND

Viertes Kapitel: UM EINE URALTE LANDKARTE

Fünftes Kapitel: ‘N KLIPNUIKER

Sechstes Kapitel: UNTER VERDACHT

Siebtes Kapitel: FREIMÜTIGE GÖNNER

Achtes Kapitel: GOLD

Neuntes Kapitel: OUR PIONEER

Zehntes Kapitel: VOM PECH VERFOLGT

Elftes Kapitel: DER TOD DES NKOSI

Zwölftes Kapitel: BITTERE BILANZ

Dreizehntes Kapitel: RUSH

Vierzehntes Kapitel: BIS ZU DEN BANYAI

Fünfzehntes Kapitel: SIMBABWE

Sechzehntes Kapitel: HEIMWÄRTS

ABSTURZ

Dietmar Beetz

E-Books von Dietmar Beetz

Impressum

Dietmar Beetz

Das Goldland des Salomo

Roman

ISBN 978-3-95655-912-9 (E-Book)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

Das Buch erschien erstmals 1993 im Verlagshaus Thüringen, Erfurt.

2018 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: [email protected]

http://www.edition-digital.de

Und sie kamen gen Ophir

und holten daselbst

vierhundertzwanzig Zentner Gold

und brachten's dem König Salomo.

(Das erste Buch von den Königen, Kapitel 9, Vers 28)

AUFTAKT

Und nun war er allein in der lichtüberfluteten Savanne. Über ihm die Sonne, die herabstach; fern, jenseits grasbewachsener, gestrüppgescheckter Hügel - blaue Berge.

Er hatte den Großteil seiner Ausrüstung zurückgelassen. Nicht nur die Tauschwaren, die er noch besaß, auch das meiste von seinem eigentlichen Gepäck, so den Schnappsack, die Wolldecke, den Regenschirm. Behangen mit einem gefüllten Wasserschlauch und mit der doppelläufigen Flinte, marschierte er in die empfohlene Richtung. Ringsum war es still wie oft in der Mitte des Tages. Kein Vogelgezwitscher, kein menschlicher Laut, nur das Zirpen einzelner Zikaden. Hätte Mauch nicht gewusst, dass sich da und dort eine Siedlung befand, der Landstrich wäre ihm trostlos entlegen und öde erschienen.

Und plötzlich verspürte er wieder Zweifel; In dieser toten Gegend - das einstige Ophir, das Goldland des Salomo? Die Expeditionen des legendären biblischen Königs sollten vor nahezu dreitausend Jahren, nachdem sie das Rote Meer passiert hatten und bis in die Höhe von Madagaskar gesegelt waren, auf dem afrikanischen Kontinent noch einmal Hunderte Kilometer vorgedrungen sein, hierher, um Gold einzutauschen oder zu erbeuten und es schiffladungsweise nach Jerusalem zu schaffen?

Andererseits: warum nicht? Wahrscheinlich erstreckten sich auch hier unter Gras und Dornengestrüpp goldgesprenkelte, goldgeäderte Quarzschichten, und falls sich tatsächlich irgendwo dort vorn Ruinen befanden, Überreste alter Bauwerke aus Stein ...

Ein Stück weiter sprang etwas auf und brachte Äste zum Knacken. Ein Griff nach der Flinte, ein zweiter in eine der Taschen des Lederanzugs; Papier und Zündhütchen ...Papier?

Dann war das Tier, vermutlich eine Raubkatze, hinter sich eine Woge im Gras, verschwunden, und das Papier erwies sich als jener Brief, der in seinem Hauptteil einer Abhandlung glich. Die portugiesischen Berichte über Ruinen in Ostafrika ...

Sich vorzustellen, dass hier vor dreihundert und mehr Jahren das Reich Monomotapa war, dass einer der Berge dort vorn der Mont Afura ist, dass man von ihm aus eine Fortaleza erblicken konnte und die Ruinen dieser Feste vielleicht noch heute erblickt!

Allein die Möglichkeit einer solchen Aussicht beschleunigte den Schritt. Schweiß trat auf die Stirn, auf den Nacken, und beim nächsten Aufstieg wurde der Atem knapp. Mauch blieb stehen und schaute sich um.

Hatte sich nicht eben da hinten etwas geduckt? Wieder ein Tier oder diesmal ein Mensch, ein Späher der Makalaka, der ihm, dem Fremden. dem Weißen, nachschlich?

Bedächtig stieg Mauch weiter den Hügel hinauf. Er suchte sich dabei einen Weg zwischen Gras und Gestein, das stellenweise nackt zutage trat. Eine der Klippen war eindeutig aus Quarz.

Oben angelangt, warf er rasch einen Blick über die Schulter. Ein Verfolger, tatsächlich. Nein, wenigstens zwei! Getarnt mit Gräsern, verharrten sie reglos inmitten der Halme.

Nicht zu ändern, sagte sich Mauch. Sollten sie ihn ruhig belauern! Er würde sich nicht mehr zurückhalten lassen. Kurz darauf aber stockte er wieder. Stand auf der Kuppe des Hügels, riss die Augen auf, hielt den Atem an. Narrte ihn eine Fata Morgana, oder war das dort drüben, keine vier Kilometer weit, wirklich klobiges Gemäuer? Er, Karl Gottlieb Mauch aus Stetten bei Stuttgart, heute, am 5. September 1871, knapp eine Wegstunde vor den Ruinen von Ophir?

Erstes Kapitel: EIN SEGELSCHIFF VOR PORT NATAL

Gut sechseinhalb Jahre vorher, am Abend des 11. Januar 1865, näherte sich die „Leeuwenhoek”, ein Dreimastschoner aus Rotterdam, der Reede vor Durban. Das Schiff war gezeichnet von den Strapazen der Fahrt entlang der westafrikanischen Küste und vom Kampf mit den Stürmen am Kap, doch sah es zu diesem Zeitpunkt noch leidlich intakt aus.

Karl Mauch, Steward und Hilfskoch, pendelte seit Stunden zwischen Kombüse und Deck hin und her. Sobald das Schiff anlegen würde, war seine Heuer, die Arbeit für Kost und freie Fahrt, zu Ende, aber nicht nur deshalb trieb es ihn jetzt wieder zum Kapitän, mit dem er sich während der Reise angefreundet hatte.

„Geschafft!“

Van Rijk wiegte den Kopf. „Abwarten!”

„Du meinst die Brise, die aufgekommen ist?”

„Genau. Eine Brise. Noch.”

Er warf einen Blick voraus, wo bereits drei Schiffe, heftig dümpelnd, vor Anker lagen. Dahinter, versperrt durch eine von Gischt markierte, bei Ebbe unpassierbare Barre, begann die Einfahrt zum Hafen, links flankiert von einem steilen, üppig bewachsenen, wie ein Bollwerk vorragenden Berg.

Zwischen den Klippen an seinem Fuß - das Wrack eines Schiffes. Mauch starrte hin, bevor er den Blick hob. Den Leuchtturm auf der Kuppe des Berges und den Mast der Signalstation hatte er schon von See aus bemerkt. Nun aber stutzte er. Es war, als lege sich ein Schleier auf die Farben der Flagge, als verschwimme der weiße wuchtige Turm in dunstigem Grau.

Das Barometer am Kompasshaus war, den Worten des Rudergängers zufolge, in der letzten Stunde zwei Strich gefallen.

Ein Kommando des Kapitäns, und Matrosen refften die Segel, soweit sie das Tuch nicht schon vorher eingeholt hatten. Über ihren Köpfen, dicht über Rahen und Toppen, jagten Wolken, die der Wind böig-peitschend von See herantrieb.

Der Kapitän befahl, den Anker zu werfen. Er musste dabei die Stimme heben, um den Aufruhr in den Lüften zu überschreien, und dann ging das Rasseln der Ankerkette unter in Fauchen und Donnergrollen.

Bald folgten Blitz auf Blitz, Schlag auf Schlag. Über der See barst die Wolkendecke, entleerte sich sturzartig - eine Wand aus schrägen Güssen, die sich heranschob.

„Na, noch der Meinung, wir hätten’s geschafft?”

Der Kapitän, in Ölzeug, war stehengeblieben bei Mauch, und der erwiderte: „Was kann uns hier schon groß passieren?”

„Hast du eine Ahnung! Überhaupt: Geh lieber unter Deck! Oder zieh dir wenigstens was über!”

Sturmböen, Vorreiter des Wolkenbruchs, rissen ihm die Worte vom Mund, und Mauch beeilte sich, den Rat zu befolgen. Er lief zum Niedergang, sprang, drei, vier Stufen auf einmal nehmend, hinab, griff in der Kajüte, wo sich seine Hängematte und seine Habseligkeiten befanden, nach Südwester und Ulster. Ein Ruck ließ ihn wanken, sich abstützen. Sekundenlang krängte das Schiff nach Backbord. Irgendwo Klirren, Gepolter, Geschrei ...

Mauch stülpte sich den Südwester auf den Schopf und zog, zurückhastend, den leinölgetränkten, wasserabweisenden Mantel über. Er fühlte sich zwar als Laie in Sachen Schifffahrt, glaubte aber zu ahnen, was eben passiert war. Und dann stand er an Deck im niederpeitschenden Regen, hörte Befehle des Kapitäns, sah Matrosen an den Wanten und an den Rahen.

Wo waren die anderen Schiffe? Von Reede verschwunden? Er erblickte sie achtern; vorn, trotz der Regenschleier und trotz der einsetzenden Dämmerung erkennbar, erhob sich jener Berg, ragte das Wrack, bedrohlich nah schon, aus brodelnder Gischt.

Die Ankerkette gerissen, also doch, und nun trieb die „Leeuwenhoek”, trieb, geschoben vom Sturm, Richtung Klippen.

Pfiffe aus der Signalpfeife, die der Kapitän bei Unwetter benutzte, und Mauch sah, wie der Rudergänger das Steuerrad bewegte. Träge drehte sich der Bug nach Backbord, weg vom Land, weg von den Klippen, der See zu. Da aber kam der erste Brecher über, und Mauch, der neben der Kapitänskajüte stand, musste sich festhalten. Er warf einen Blick hinüber zur Gischt, die in der Dämmerung zu leuchten schien, und hörte im Getöse, das ihn umgab, das Klatschen des Focksegels, das sich endlich entfaltet hatte.

Klar zur Wende! Raus auf die offene See! Weg von den Klippen, von der Barre, die den Hafen versperrte, von den anderen Schiffen auf Reede, und - verdammt! - weg auch von Afrika!

Mauch umklammerte den Tampen, der von vergangenen Stürmen her noch an der Kapitänskajüte befestigt war. Er wusste, dass er sich auf van Rijk und dessen Mannschaft verlassen konnte. Angst hatte er nicht, doch war es bitter für ihn, Port Natal, den Hafen von Durban, die Eintrittspforte zu dem, was er in Gedanken manchmal sein Reich der Träume nannte, im letzten Tageslicht weggleiten zu sehen. Weggleiten, zurückbleiben, verschwinden hinter Regenstrichen und Gischtfetzen. Statt festen Landes unter dem Fuß wieder Seegang, der ständig zunahm. Hinausgeschoben, noch einmal nach all den Verzögerungen, falls nicht gar endgültig vereitelt - die Suche nach Ophir. Aber was sollten solche Gedanken jetzt, ja überhaupt? Hatte er, Karl Mauch, es sich je leisten können, zu verzagen oder auch nur zu zaudern? Gab es außerdem im Moment nicht ärgere Sorgen, nicht ernstere Gefahr? Das Schiff stampfte, weit überholend und wohl noch immer im Bannkreis der Klippen, wie ein Greis, der sich gegen den Sturm stemmt und der trotzdem kaum von der Stelle kommt. Würde es die offene See erreichen oder scheitern, zerschellen oder mit einem der anderen Schiffe kollidieren?

Mittlerweile war es Nacht geworden. Verschwunden das Land; das Schiff samt Takelage und Mannschaft nichts als ein tanzender Schemen im Chaos ringsum.

Eben versank der Bug, im Dunkeln fast unsichtbar, unter niederstürzenden Wassermassen. Ein Wunder, so schien es Mauch, dass sich der Mann dort vorn, der Ausguck, beim Auftauchen noch auf seinem Posten befand. Und die Matrosen an den Leinen, der Rudergänger am Steuerrad, der Kapitän, der breitbeinig beim Kompass stand und offenbar nach wie vor alles zu überblicken und mit Pfiffen zu dirigieren schien ... Minuten später war er weg, und Mauch, an den Tampen gekrallt, wurde auf den Planken vor der Kajüte hin- und hergespült. Der Kapitän über Bord? Das Schiff ohne Führer? Und wo - wo war das Kompasshaus? Da spürte Mauch einen Griff an der Schulter und hörte, wieder auf den Beinen, die Stimme van Rijks.

„Bist du verrückt? Dich jetzt hier noch rumzutreiben!”

„Wo ist der Kompass?”, fragte Mauch.

„Wo auch du bald sein wirst, wenn du nicht sofort unter Deck gehst.” Der Kapitän steckte die Signalpfeife in den Mund, setzte zu einem Pfiff an, zögerte, spähte und horchte.

„Wie willst du ohne Kompass ...?”

Mit einer heftigen Bewegung schnitt er Mauch das Wort ab, und so fasste der einen Beschluss. Er wartete den nächsten Brecher ab, überließ van Rijk den Tampen und schlitterte zum Niedergang.

Nässe auf den Stufen und Wasser vor der Kajüte. Der Schnappsack, seit der Frühe gepackt, schaukelte in der Hängematte des Chefkochs, der schon in Madeira abgestiegen war; doch trotz Finsternis und Schiffsbewegungen gelang es Mauch mit klammen Fingern, die Verschnürung zu lösen und seinen in ein Handtuch gewickelten Kompass hervorzuziehen.

Bevor er hinausbalancierte, verschloss er wieder den Sack und tastete, sich vergewissernd, nach seinem übrigen Gepäck.

An Deck die gleiche Situation wie vorher, abgesehen davon, dass inzwischen das Schanzkleid an der Backbordseite von der See zertrümmert worden war. Hatte der Sturm zugelegt oder gedreht? Wo war Land, wo Nord, Süd, Ost, West?

Der Kapitän stand noch bei seiner Kajüte. Den demonstrativ vorgewiesenen Kompass registrierte er mit einem Nicken, und erst nach den Fragen von Mauch nahm er die Signalpfeife aus dem struppig umwucherten Mund.

„Es bläst konstant, scheint's - einer dieser verdammten Southeasters. Wir kreuzen dagegen an, so gut es geht, aber wenn du drinnen bei mir den Kurs ablesen könntest ...“

Drinnen bei ihm, also in seiner Kajüte, war es dunkel und nass, und nachdem Mauch vergeblich versucht hatte, die Lampe anzuzünden, griff er kurzentschlossen zu einem ihm wohlbekannten, festgeschraubten Behältnis.

Kurz darauf rief er den beim Glimmen einer holländischen Zigarre von seinem Taschenkompass abgelesenen Kurs dem Kapitän zu.

Da war es abends halb zehn, und der Southeaster, der genaugenommen aus Ost-Süd-Ost kam, schwoll an zum Orkan.

Erst dreieinhalb Tage später, am Morgen des 15. Januar 1865, überquerte die „Leeuwenhoek” die Barre an der Einfahrt zum Hafen von Durban. Sie wurde geschleppt von einem kleinen, wendigen Bugsierdampfer, wie ihn jedes Segelschiff hier benötigte, aber bei ihrem Zustand wirkte diese Hilfe wie ein letzter Dienst an einem Wrack. Überstanden drei Tage und vier Nächte bei tobendem, sich verschnaufendem, wieder losbrüllendem Sturm. Unübersehbar die Schäden an Takelage und Schiffsrumpf, die Erschöpfung in den Gesichtern der Mannschaft, die eigene Müdigkeit, und doch fühlte sich Mauch hochgestimmt.

Er hielt sich auch heute an Deck auf, bereits bekleidet mit seiner besseren Kluft, einem Anzug aus derbem Manchester. Dazu trug er eisenbeschlagene Stiefel, die ihm schon während seiner Streifzüge in Europa gedient hatten, und einen gleichfalls nicht mehr neuen, abenteuerlich-breitkrempigen Hut.

„Oho!”, hatte der Bootsmann bei seinem Erscheinen gekrächzt. „Schon landfein gemacht?”

„So ist es, Willem, so ist es. Schließlich möchte man ja den Mädchen gefallen.”

Schmunzeln und Gelächter, gutmütig, wohlmeinend. - Mauch musste an die abschätzigen Blicke denken, mit denen er zu Beginn der Reise gemustert worden war. Fast tat es ihm leid, dass die Fahrt für ihn zu Ende ging, und wenn er sich vorzustellen versuchte, was ihn erwartete, wurde ihm der heranrückende Abschied erst recht nicht leicht.

Das Schiff hatte mittlerweile die Dünung der Barre durchschnitten und die schmale Hafeneinfahrt passiert. Vorbei jener Berg mit dem Wrack zwischen den jetzt klar erkennbaren rotbraunen Klippen: ringsum ein geräumiges, von Höhenzügen gesäumtes, vor Stürmen geschütztes Becken.

„Geschafft!” Der Kapitän war neben Mauch an die Reling getreten und schaute gleichfalls hinüber zur Anlegestelle, wo jene Schiffe, die sie von Reede her kannten, bereits festgemacht hatten. „Jetzt stimmt deine Bemerkung von neulich.”

Mauch nickte und runzelte die Stirn. „Geschafft, aber wie sieht die gute ‘Leeuwenhoek’ aus! Glaubst du, dass du sie bald wieder seetüchtig kriegen wirst?”

„Ich hoff's, Karl, ich hoff's.” Van Rijk wies zu ein paar Baracken auf dem Gelände hinter der Landungsbrücke. „Dort ist eine Werft. In drei, vier Wochen, schätze ich, segeln wir weiter, hoch zur Mündung des Sambesi und von da aus endlich nach holländisch Indien.”

Es war das Fernziel der ‘Leeuwenhoek': die Großen Sundainseln im Malaiischen Archipel. In den fünfundsiebzig Tagen seit dem Ablegen in Rotterdam hatte das Schiff ein halbes Dutzend Häfen angelaufen, und wenigstens noch einmal soviel lagen vor ihm bis zum Scheitelpunkt der Reise, und doch hatte van Rijk, nach außen hin ein kühler, nüchterner Mann, während der Fahrt immer wieder von jenem Ziel geschwärmt: holländisch Indien, Batavia und Surabaja auf Java.

Dort an Land gehn, nach der Schinderei, der Beschränkung an einem volkreichen Strand flanieren! Die Luft früh, wenn der Monsun noch mild ist, die Düfte, die Farben und - Mann! - die Mädchen!

Der Strand gegenüber, immerhin die Eintrittspforte zu weiten Teilen eines Kontinents, wirkte eher menschenleer und verschlafen, und die Luft war jetzt, am frühen Morgen, unter den ziehenden Wolken des südafrikanischen Sommers im Hafenkessel schweißtreibend schwül. An Farben kaum mehr als das rötliche Gelb nackter Felsen und im Grün der Hänge ab und an der helle Fleck eines Landsitzes. Vor dieser Kulisse stiegen links vom Werftgelände Rauchfäden auf - wie Mauch vermutete: die Kochfeuer Eingeborener, die dort bei einer Zuckerrohrplantage ihre Hütten hatten. Van Rijk bestätigte es und zeigte nach kurzer Pause auf ein Gebäude aus Stein, das sich rechts vom Hafen auf einer Landzunge erhob. „Das Zollhaus”, erklärte er und fügte hinzu: „Sie nehmen's ziemlich genau. Besonders mit Waffen.”

„Ach! Und weshalb?”

„Na , weshalb schon? Weil sie den Eingeborenen nicht über den Weg trauen. Auch nicht unseren Vettern, den Buren, mit denen sie ja noch nie einen guten Faden gesponnen haben.”

Mauch wiegte den Kopf. Gewiss, Aufstände oder ein Krieg waren das letzte, was er gebrauchen konnte bei seiner Suche nach Ophir, aber musste man tatsächlich damit rechnen? Hatten die Zulu, das stärkste Volk dieser Gegend, nicht schon vor einem Vierteljahrhundert die Waffen gestreckt, und waren die Buren, die dickfelligen Nachfahren vorwiegend holländischer Einwanderer, nicht Hunderte Meilen landeinwärts getreckt, fort von der Kapkolonie, raus aus Natal, um in ihrem Oranjefreistaat und in Transvaal von den Briten und von aller Welt in Ruhe gelassen zu werden?

„Sollen sie meinetwegen schnüffeln”, sagte Mauch. „Bei mir gibt's sowieso nichts zu verzollen.”

„Hm”, erwiderte der Kapitän. „Kannst du nicht trotzdem an Bord bleiben? Für ordentliche Heuer!”

„Weiter mitfahren?” Mauch lachte. „Wohl bis Surabaja?”

„Nicht unbedingt, obwohl du für einen ehemaligen Schulmeister mittlerweile ganz ordentlich kochst. Nein, aber vielleicht bis Timbwe oder bis Quelimane. Wenn ich ins Landesinnere wollte, ins unerforschte Afrika, würde ich mich an den Sambesi halten.”

Mauch dachte an das Fieber in den Niederungen tropischer Flüsse, an Geld, das ihm für eine Expedition stromaufwärts, ja einstweilen für jede wissenschaftliche Reise fehlte, dachte auch an andere Forscher, die das Land beiderseits des Sambesi bereits erkundet hatten, und an einen Brief, den er in Durban vorzufinden hoffte.

Das Tuten des Schleppdampfers unterbrach die Gedanken, und der Kapitän schlug Mauch auf die Schulter. „Na, überleg's dir! Zwei Pfund pro Monat; mehr kann ich nicht bieten. Hast du überhaupt was auf der hohen Kante?”

„Nicht einen Penny”, gab Mauch zu. „Nichts außer Schulden, daheim.”

Der Kapitän griff in die Tasche, drückte ihm einen Schein in die Hand. „Hals- und Beinbruch, falls du nicht bleiben willst und mich die Formalitäten dann zu sehr in Anspruch nehmen!” Ehe Mauch sich bedanken konnte, hatte van Rijk sich abgewandt.

Auf der hölzernen Landungsbrücke drängten sich Afrikaner, gut zwei Dutzend dunkelhäutiger Männer und Burschen, die gestikulierend und einander übertrumpfend ihre Dienste anboten. Sie benutzten dabei ein Gemisch aus Zulu und Englisch, und Mauch, der die Zulusprache nur aus einem Wörterbuch kannte, hatte Mühe, den Sinn der Rufe zu erfassen.

Es tat seiner Zuversicht keinen Abbruch. Die Verständigung würde schon klappen. Hauptsache, er verlor keine Zeit mehr, nun, da er nach Jahren der Vorbereitung, des Sparens und Darbens endlich vor Ort war.

Der Schleppdampfer hatte die ‘Leeuwenhoek’ an einen Anlegeplatz bugsiert, und eben waren zwei britische Hafenbeamte von Bord gegangen.

Das Schiff vertäut und einklariert. Während der Kapitän mit einem Zimmermann die Schäden besah, ein Teil der Mannschaft sich an den Ladeluken zu schaffen machte und achtern die einzigen Passagiere, ein holländischer Plantagenverwalter und seine Familie, noch bleich von der Seekrankheit, an Deck erschienen – währenddessen huckte Mauch den Schnappsack auf, nahm seine übrigen Siebensachen und betrat den federnden Steg.

Zwei, drei Zulu griffen nach dem Gepäck. Mauch wehrte lachend ab. „Das schleppe ich selber - ngimi, myself!”

Ein Weißer - sein eigener Träger? Die Zulu wollten's offenbar nicht glauben. Sie folgten Mauch, verfolgten ihn schreiend und einander unterbietend bis zum Ende der Landungsbrücke und weiter, vorbei an einem Fahnenmast mit britischer Flagge, auf einem sandigen, ausgetretenen Pfad.

Gott, dachte er betroffen, was haben sie aus euch gemacht! Söhne und Enkel der stolzen Krieger von Tschaka ...

Kurz vor dem Zollhaus verstummten die Zulu. Zwei kehrten um, gingen zurück; einer verharrte, als wage er sich nicht näher, als habe er Angst vor den Weißen dort.

Es waren dies zwei uniformierte Zöllner und ein dürftig gekleideter Zivilist Ende Dreißig. Die drei schienen miteinander vertraut zu sein. Grinsend schauten sie Mauch, dem Mann mit der merkwürdigen Kopfbedeckung, entgegen.

Der grüßte, und einer der Zöllner, offenbar der Ranghöhere, bat ihn, einzutreten, und fragte nach dem Wohin.

„Erst mal nach Durban, Sir.“

„Erst mal? Und danach?“ Der Mann war offensichtlich mit den knappen Antworten nicht zufrieden.

„Dann, Sir, über die Drakensberge und zum Limpopo.”

„Nach Transvaal, zu den Buren?”

Mauch zuckte die Schultern und übergab seinen Pass. „Ich bin Forschungsreisender, Naturwissenschaftler, Geologe. Mich interessieren hauptsächlich Bodenstrukturen und Steine, ein wenig auch die Tier- und die Pflanzenwelt.”

Unklar, wie der Zöllner diese Erklärung aufnahm. Die Miene verschlossen, wies er zu einem niedrigen Tisch. „Bitte auspacken!” Mauch legte die Gepäckstücke ab: eine doppelläufige Flinte samt Ersatzlauf in einer Schutzhülle, einen überdimensionalen Regenschirm, eine zusammengerollte Wolldecke ... Als er den Schnappsack öffnete, verließ der andere Zöllner mit dem Gewehr und dem Ersatzlauf den Raum.

„Zum Stempeln”, sagte der Chefzöllner.

Mauch nickte, obwohl er nicht recht verstand.

An der Eingangstür - der Zivilist, der gelangweilt vor sich hin sah. Und dann hatte Mauch auch den Inhalt des Sackes ausgebreitet: den Kompass, einen Taschen-Sextanten und ein Thermometer, Wäsche, Schuhe und ein paar Kleidungsstücke, einen Blechkasten voller Medikamente, ein Jagdmesser, Munition, Schreibutensilien, drei Bücher, eine Karte des südlichen Teils von Afrika und ein halbes Dutzend wasserdicht verpackter Quarthefte.

„Ist das alles?”

Er bestätigte die Frage.

„Und damit wollen Sie bis zum Limpopo?”

„Ich will es versuchen, Sir, will unterwegs arbeiten, die nötigen Mittel verdienen. Ich bin nicht anspruchsvoll, bin mein eigener Koch, mein eigener Träger.“

Der Chefzöllner sah ihn aus grauen Augen aufmerksam an, entfaltete die Karte, betrachtete sie interessiert, legte sie zurück und griff zum obersten der Quarthefte, um darin zu blättern, da und dort zu lesen.

Notizen in kleinen, eckigen Schriftzügen, Eintragungen in der Reihenfolge der Tage, ab und an eine Abkürzung, ein O.

„Was bedeutet das?”, erkundigte er sich.

„Ophir, Sir”, gab Mauch zur Antwort, und erklärend fügte er hinzu: „Das ist ein Ort oder ein größeres Gebiet, das Land, wo König Salomo und andere Herrscher Gold holen ließen.”

„Salomo, der jüdische König der Bibel?”

„Eben der, Sir.”

Der Zöllner forschte im breitflächigen, bärtigen Gesicht von Mauch, und der bemerkte, dass ihn auch der Zivilist abwägend musterte. Nebenan -und das die ganze Zeit schon - Schläge auf Metall. Dann kam von dort der andere Zöllner zurück und verlangte drei Pfund Sterling.

„Drei Pfund?” Mauch schaute ihn ungläubig an. „Und wofür das?” Der Zöllner wies auf die Nummern, die er eingehämmert hatte und die er nun in einer Kladde notierte. „Für jeden Gewehrlauf, der eingeführt wird, muss laut Stempelgesetz der Kronkolonie Natal eine Gebühr von einem Pfund Sterling erhoben werden. Macht bei Ihnen, Sir, drei Pfund, zwei für die doppelläufige Flinte, eine für den Ersatzlauf.”

Der Chefzöllner bestätigte es achselzuckend, wenngleich nicht ohne Bedauern, und während er den Pass abstempelte, zog Mauch seufzend einen Brustbeutel aus dem Lederjackett.

Drei Pfund, mehr als die Hälfte seiner gesamten Barschaft, jener nachträglich bewilligten Heuer, die ihm vorhin wie ein Almosen zugesteckt worden war.

Er fühlte sich neben den ausgebreiteten Habseligkeiten und mit der Beutelschnur um den Hals wie nackt, und plötzlich begegnete er dem Blick jenes Zivilisten. Der zwinkerte ihm zu.

Zweites Kapitel: TOR ZUM KONTINENT

Durban, die Stadt, lag, wie Mauch auf dem Weg dorthin erfuhr, in einem sandigen Becken, das früher Meeresboden gewesen sei. Zwischen dem Ort, der etwa sechstausend Einwohner zähle, und dem Hafen erstrecke sich ein Wall aus ehemaligen Dünen, ein Höhenzug, der die Bucht umfasse und, wie man sehen könne, bis an den Ozean reiche. „Der kürzeste Weg, knapp vier Kilometer lang, führt darüber hinweg.”

Der dies erklärte, nannte sich Sulzer und war jener Zivilist. „Sulzer- Franz aus Augsburg” - so hatte er sich vorgestellt. „Und du bist sicher a Schwab?”

Mauch bestätigte es, und damit war er offenbar in eine Rolle gedrängt: Sulzer begrüßte ihn, mit den Zöllnern als Publikum, wie auf einer Vorstadtbühne.

„Aus der Gegend von Stuttgart; mich trifft der Schlag! Geht in Südafrika an Land, und wem läuft er in die Arme? Einem Augsburger, einem Bayern!”

„Wenn das kein Zufall ist ...”, erwiderte Mauch belustigt, und Sulzer bestätigte in einer Färbung, die tatsächlich entfernt an Bayerisch erinnert: „A Zufall, und ob!”

„Tja, so klein ist die Welt.”

„So klein. Nit zu glauben!”

Die Zöllner hatten sich inzwischen abgewandt, und Mauch, unschlüssig, was er von Sulzer halten sollte, erkundigte sich, wie es ihn hierher verschlagen habe.

„Das ist eine lange Geschichte. Vielleicht erzähl ich sie dir unterwegs oder später mal.”

„Willst du etwa mitkommen?”

„Wenn du nichts dagegen hast ...”

War das ebenfalls „Zufall”? Weshalb hängte sich dieser Kerl, wie immer er heißen und woher er stammen mochte, an Mauch?

„Ich hab auf die ‘Natal’ gewartet”, erzählte er und schloss die Vermutung an, der Liniendampfer sei wegen des Sturmes in Kapstadt oder in Port Elizabeth liegengeblieben. „Und weshalb gewartet, worauf?”, erkundigte sich Mauch. „Etwa auf Waren?”

„Auch”, gab Sulzer zur Antwort, „aber hauptsächlich auf Passagiere, auf Gäste, die sich die Stadt ansehen wollen.”

„Demnach bist du Fremdenführer?”

„Ja, so kann man sagen.”

Sie hatten die Landzunge mit dem Zollhaus verlassen und stiegen den baumbestandenen, buschbewachsenen Wall hinauf. Der Weg vor ihnen war kaum mehr als eine breite, frisch gerodete Schneise: Sand, in dem die Stiefel knöcheltief versanken, zwischen Dickicht, in das man da und dort einen Pfad, den Durchschlupf zu einer Bananenpflanzung oder zu einem Kraal, gehauen hatte.

Mein erster Weg in Afrika, ging es Mauch durch den Kopf, und plötzlich erfasste ihn unbändige Freude. Pfeif auf die drei Pfund Stempelgebühr! dachte er. Vielleicht liegt in Durban ein Vorschuss aus Gotha, und wenn nicht, bleibt mir immer noch ein Paar kräftiger Hände. „Bringt die Fremdenführerei eigentlich genug ein?”, wandte er sich an Sulzer, der gerade die geografische Lage von Stadt und Hafen erklärte. Er brach ab, blieb stehen, und auch Mauch warf einen Blick von einem Hügel des Dünenwalles zurück.

„Genug einbringen!” Missmutig wies Sulzer zur Landungsbrücke, wo bei der „Leeuwenhoek” mäßiges Treiben herrschte, und zum Hafenbecken, das er vorhin mit einem aufgeschnittenen Flaschenkürbis verglichen hatte: die schmale Einfahrt - der Hals an einer bauchigen Flasche.

„Wenn du willst”, sagte er mit einiger Bitterkeit, „kannst du Port Natal auch mit einer Falle vergleichen: Wer hier erst mal angespült worden ist, kommt so leicht nicht wieder weg.”

„Und anheuern, auf irgendeinem dieser Schiffe?”, fragte Mauch.

„Und danach?” entgegnete Sulzer. „Für eine Reederei schuften oder heimgehn, zurück nach Augsburg oder in irgendein Nest in irgendeinem dieser muffigen deutschen Staaten?”

Das traf. Er weckte Erinnerungen an Bittgesuche, an „gnädige Bewilligungen”, Erinnerungen an die Schuldverschreibung, die Mauch beim Ausscheiden aus dem Schuldienst eingegangen war.

„Hast recht”, sagte er. „Auch mich zieht's nicht heim, egal, was mich hier erwartet.“

Sulzer nickte, und im nächsten Moment knuffte er Mauch an die Brust. „Vielleicht erwarten dich goldene Berge in deinem - wie heißt es gleich? - Ophir?”

War es der Ton, der anklang, der rasche Wechsel, der Blick? Mauch zuckte die Schultern. „Goldene Berge ...”

„Also lockt dich Ruhm”, folgerte Sulzer lauernd.

Mauch lachte, gab aber zu: „Kann sein, obwohl Ruhm ein gewaltiges Wort ist. Eigentlich will ich bloß nicht versauern, aus meinem Leben was machen, der Menschheit in meinen Grenzen ein wenig weiterhelfen.”

„Da warst du wohl Lehrer, Dorfschulmeister?”

„Wie hast du denn das erraten?”

„Kunststück.” Sulzer grinste. „Wer so arm ist wie du und solche Flausen hat, kann nur Schulmeister sein.”

Mauch lachte mit, wenngleich etwas gezwungen, und Sulzer wechselte erneut den Ton. „Nimm's nicht krumm! Guck mich an! Ich bin noch ärmer als du, hab meine Ideale längst aufgegeben, und trotzdem lebe ich, frei wie - na, wie der Vogel dort.”

Es war ein roter Prachtweber, wie Mauch aus einem ornithologischen Handbuch wusste. Sulzer bestätigte es, und nicht nur das; er kannte auch den lateinischen Namen des Vogels, Pyromelana Oryx, ja, er erwies sich, während er neben Mauch durch den Sand stapfte, in der Pflanzen- wie in der Tierwelt des Landes erstaunlich beschlagen. „Schon was von Niesholz gehört?”

„Nicht gehört, aber gelesen”, antwortete Mauch, und wie ein Schüler, der sein Wissen unter Beweis stellen muss, erzählte er von einer immergrünen Baumart, deren Stämme in Höhe und Durchmesser Schwarzwälder Tannen ähneln. „Wird das Holz bearbeitet, üben die frischen Späne auf die Nasennerven einen Reiz wie Schnupftabak aus; daher der Name.”

„Gut, Mauch. Und kennt er auch Laurus bullata?”

„Das, Herr Lehrer, ist sogenanntes Stinkholz. Obwohl es bei der Bearbeitung mit Säge oder Hobel einen unangenehmen Geruch verbreitet, wird es zur Fabrikation von Möbeln und von Wagenrädern genutzt.”

„Richtig, aber ich wollte wissen, ob er Stink Wood kennt. Wie sieht es aus?”

„Tja, wie?”

Sulzer dirigierte Mauch über die zerstampfte Schneise. Vor einem Baum mit ledrigen, lorbeerähnlichen Blättern blieben sie stehen, und Sulzer verkündete: „Laurus bullata!” Er brach einen Zweig ab, schnupperte an der Bruchstelle, hielt sie Mauch unter die Nase.

„Wie Morchel”, sagte der und fügte hinzu: „Es gibt üblere Gerüche.” Eine Bewegung seitab ließ ihn aufmerken und genauer hinsehen. Dort hockte im Gestrüpp eine laubgrüne, handlange Echse mit vorstehenden Augen, die sich unabhängig voneinander bewegten. Plötzlich schoss aus dem Maul wie ein Peitschenriemen die Zunge vor.

„Ein Chamäleon”, sagte Sulzer. „Von dem kannst du lernen.“

Und du, dachte Mauch, hast offenbar schon von ihm gelernt.

Der Augsburger war ihm immer noch weitgehend ein Rätsel, doch bedauerte er nicht mehr, ihm begegnet zu sein, im Gegenteil: So ein Begleiter und Führer war Gold wert, mochte er insgeheim auch sonstwelche Ziele verfolgen.

Inzwischen hatten sie die Dünen überquert. Das Dickicht beiderseits des Weges war lichterem Bewuchs gewichen, und nach einer Biegung standen sie unvermittelt vor einem Schienenstrang. Dahinter erhoben sich an einer ungepflasterten, sandigen Straße überraschend stattliche Gebäude. „Und nun?”, fragte Sulzer. „Wohin zuerst?” „Zum Postamt”, sagte Mauch.

Knapp anderthalb Jahre vorher, im August 1863, hatte Mauch all seinen Mut zusammengerafft und sich in einem Brief an Dr. Petermann gewandt. Dr. Petermann - Herausgeber der später in der Kurzform nach ihm benannten „Geographischen Mitteilungen”, die in der Gothaer Karthographischen Anstalt von Justus Perthes erschienen und in ganz Europa als bedeutende Fachzeitschrift galten; wer darin publizierte und von Dr. Petermann gefördert wurde, befand sich auf dem besten Weg zu wissenschaftlichem Ruhm.

Karl Mauch war damals noch Lehrer, „Hofmeister” in einem Ort namens Unter-Drauburg in Kärnten. Von dort aus schrieb er nach Gotha in Thüringen:

Euer Wohlgeboren werden entschuldigen, dass ich mich mit einem Anliegen an Sie wende, wo Sie allein mir Rat und Hilfe geben können und welches meine ganze Zukunft betrifft.

Einziger Zweck meines Strebens ist es, bei der Erweiterung der Kenntnisse der geografischen Gegebenheiten Afrikas nach Kräften mitzuwirken und Reste des Goldlandes Ophir zu entdecken. Diesen Gedanken verfolge ich seit meinem 15. Lebensjahr, d. h. seit elf Jahren. Von meinen ziemlich unbemittelten Eltern zum Lehrfach bestimmt, war es mir leider nicht möglich, an die in Ludwigsburg bei Stuttgart in der Real- und Oberrealschule erworbenen Kenntnisse Universitäts-Studien zu knüpfen, so dass ich mich gezwungen sah, zwei Jahre in einer Volksschullehrer-Bildungsanstalt zuzubringen, um sodann als spärlich besoldeter Lehrgehilfe tätig zu sein. Dabei sorgte ich jedoch dafür, die anderthalb Jahre dieser Stellung durch das Studium der Botanik und der lateinischen Sprache sowie durch Vervollkommnung im Französischen zu nutzen und danach zu trachten, die erstbeste Gelegenheit zu ergreifen, eine bessere Stellung zu erlangen. Ich bewarb mich um eine ausgeschriebene Hofmeisterstelle in Österreich, erhielt dieselbe und verblieb darin vom Juni 1859 bis jetzt.

Die letzten zwei Jahre verbrachte ich im steirischen Marburg. Hier benutzte ich die Bibliothek, das physikalische und das naturhistorische Kabinett des Gymnasiums und besuchte während der Ferienzeit die Sammlungen und den Botanischen Garten in Steiermarks Hauptstadt Graz, legte Insekten-Sammlungen, ein Herbarium und eine Mineralien-Sammlung an. Ärztliche Kenntnisse suchte ich zu bekommen durch den Umgang mit Ärzten und durch das Studium geeigneter medizinischer Werke.

Ihre hochgeschätzten „Mitteilungen” lieferten mir das beste Material, in geografischer Hinsicht auf dem laufenden zu bleiben. Ich befleißigte mich des Englischen und des Arabischen sowie der Zulu-Sprache.

So glaube ich in geistiger Hinsicht getan zu haben, was mit meinen geringen Mitteln zustandegebracht werden konnte. Aber auch der Körper erheischt zu solchem Unternehmen seine Vorbereitung. Ich suchte ihn zu stählen durch Fußreisen von sechs Meilen und mehr pro Tag, in jeder Jahreszeit, bei jeder Witterung, in jede Gegend, oft ohne Speise und Trank. Dabei vernachlässigte ich das Turnen und die Übung im Schießen nicht. Von Natur aus bin ich groß, kräftig gebaut und von unverwüstlicher Gesundheit.

Nach dem Vorstehenden glaube ich mich für befähigt halten zu dürfen, an einer Expedition im gedachten Sinne, wenn auch nicht in hervorragender Stellung, teilnehmen zu können. Leider fehlt es mir an den nötigen Geldmitteln, so dass ich mich gezwungen sehe, statt dem Ziel direkt entgegenzusteuern, den einen oder den anderen Umweg zu benutzen.

Mein Aufenthalt ist hier nur noch von kurzer Dauer. In einer Woche, am 15. oder 16. des Monats, werde ich voraussichtlich nach Triest abreisen, wo ich mich jedoch auch nur kurz verweilen dürfte.

Gedanken an diesen Brief hatten Mauch seither begleitet. Sie waren in einer Zeit, die er seine „dunkle” nannte, Halt und Hoffnungsschimmer gewesen, und vielleicht hatte er sich ein Antwortschreiben, falls es eins gab, an keinen der Orte, wo er gewesen war, nachsenden lassen, um jenen Hoffnungsfunken so lange wie möglich vor dem Verglimmen zu bewahren. Erst von London aus schrieb er nach Triest, man möge Post für ihn nach Durban schicken.

Das war vor einem halben Jahr, als er wieder einmal erwog, auch den Kompass, das Herzstück seiner Ausrüstung, ins Leihhaus zu bringen, um weiter, wie schon seit Monaten, im Britischen Museum, im zoologischen und im botanischen Garten und in der Universitätsbibliothek Studien treiben zu können.

Bald darauf nahm Mauch Arbeit im Hafen auf. Er schleppte Säcke, löste den Sextanten aus, zahlte die seit Wochen fällige Miete für das Loch, das er in East-End bewohnte, kaufte Medikamente und ein Siedethermometer und erwarb sogar - ein zwielichtiger Gelegenheitskauf - jene Flinte samt Ersatzlauf und Munition.

Ein Schiff nach Südafrika bei freier Fahrt für jedwede Arbeit an Bord fand sich hingegen nicht in London, doch ein Tramp riet Mauch, sein Glück in Rotterdam zu versuchen, und so gelangte der auf die „Leeuwenhoek”, den Dreimastschoner, den er heute vormittag verlassen hatte.

Jetzt ging es auf drei am Nachmittag, und die breite, von Rädern gefurchte, von Hufen zerstampfte Hauptstraße von Durban war erstaunlich belebt. Da und dort standen Ochsenwagen oder -karren, die be- oder entladen wurden; Reiter trabten vorbei, und im Schatten breitkroniger Akazien hockten und palaverten oder hasteten Menschen der verschiedensten Farbschattierungen.

„Wo kommen bloß die vielen Inder her?”, erkundigte sich Mauch. „Das sind Kulis”, erklärte Sulzer.

Er sprach weiter, doch Mauch war in Gedanken schon wieder bei jenem Brief. Gewiss, er hatte bei seinem Aufenthalt in Triest auf dem Postamt vorgesprochen und einem älteren, väterlich wirkenden Schalterbeamten einen Brief aus dem Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha ans Herz gelegt, aber wäre es nicht mehr als Zufall, hätte dieser Beamte einen solchen Brief in die Hände gekriegt, ihn fast ein Jahr lang aufbewahrt und ihn dann auf eine Bitte aus London hin nach Durban geschickt?

„Hier ist es”, sagte Sulzer nach dem Abbiegen in eine Seitenstraße, wo die Gebäude weniger prächtig wirkten. Er wies dabei zu einem einstöckigen Haus, bei dessen Anblick Mauch spürte, wie Skepsis die letzte Hoffnung verdrängte.

In diesem Bau ein Brief, der um den halben Erdball gereist war?

Die Tür flog auf, und ein Eingeborener eilte heraus, ein Bursche, vermutlich ein Zulu, in merkwürdiger Kleidung: Zu einem Schurz aus Fellstreifen trug er einen weißen Zylinderhut und um den Hals einen Stehkragen aus Glanzpapier. Womöglich noch verblüffender - der Stock, den er wie eine Fackel hochhielt, mit dem Brief, der in einem Spalt am oberen Ende stak.

„Du schüttelst den Kopf?”, bemerkte Sulzer. „Wundert dich der Eilbriefträger?”

„Mich”, erwiderte Mauch, „wundert bald überhaupt nichts mehr.” Dann aber strafte er diese seine Worte Lügen, und auch Sulzer fiel aus der Rolle gleichmütiger Gelassenheit.

Sie hatten die Schalterhalle betreten, ein Kabuff, wo ein einziger bleichgesichtiger Beamter Dienst tat. Der Mann hörte Mauch an, bat ihn, sich auszuweisen, ging zu einem Regal und brachte einen versiegelten, mit verschiedenen Tinten beschrifteten Brief.

„Einen Shilling, Sixpence, bitte!”

Mauch wusste nicht, was ihn mehr überraschte: dass ein Schreiben für ihn tatsächlich hierhergelangt war oder die Gebühr. Er zahlte, nahm den versiegelten, fleckigen Brief, dankte und verließ, von Sulzer gefolgt, das Postamt.

Herrn Karl Mauch/poste restante/Triest/Österreich ... Der Name der Stadt und der des Landes durchgestrichen und ersetzt durch die Worte Durban/Kronkolonie Natal/ via Kapstadt/ Südafrika ... Als Absender: Dr. August Petermann/Gotha ...

„Na, mach schon auf!”, drängte Sulzer.

Mauch zögerte. Gewiss, der Augsburger hatte ihn begleitet und geführt, ihm sogar die Deckenrolle und die Flinte getragen, ihm deshalb aber Einblick gewähren in diesen Brief, in eine derart wichtige und persönliche Sache?

„Das eilt nicht”, erwiderte Mauch, und nach kurzer Überwindung drückte er die Münzen, die der Postbeamte ihm herausgegeben hatte, Sulzer in die Hand. „Für deine Mühe.”

Der Augsburger gab das Geld zurück und schüttelte heftig den Kopf. „Kommt nicht in Frage. So arm bin ich nun auch wieder nicht, und wenn du mir kein Vertrauen schenkst ...“

Da nahm Mauch das Jagdmesser vom Gürtel, an dem er es befestigt hatte, und öffnete vorsichtig den Brief.

Wir bestätigen den Empfang Ihrer Zeilen, hatte Dr. Petermann Anfang Oktober 1863 geschrieben, danken für das Vertrauen, das Sie uns entgegenbringen, und wünschen Ihnen Glück sowie Gottes Segen auf dem Weg, den Sie, Ihrem Schreiben zufolge, einzuschlagen gedenken.

Es erscheint immer lobenswert, wenn sich ein junger Mann ein hohes Ziel setzt, doch erlebt man nicht selten, dass dies ohne umfassende Kenntnis der Möglichkeiten und Gegebenheiten geschieht. Zudem ist es bis zur Stunde, wenigstens für deutsche Forscher, eine äußerst missliche Aufgabe, geografische Forschungen erfolgreich durchzuführen, da uns mehr als anderen Nationen die nötigen Mittel fehlen, zumal unsere Regierungen und wissenschaftlichen Korporationen in der Regel kein Geld zur Unterstützung derselben übrig haben.

Auch in Ihrem Fall, lieber Herr Mauch, halten wir es deshalb für unsere Schuldigkeit, darauf aufmerksam zu machen, mit welchen Schwierigkeiten die Erreichung Ihres Zieles verknüpft sein dürfte und wie wenig Aussicht, Ihr Unternehmen zu unterstützen, vorhanden ist, um so mehr, als zur Zeit die Expeditionen der Herren v. Heuglin und v. Beurmann, die uns mancherlei Verpflichtungen auferlegen, noch in vollem Gange sind.

„Die Herren von ...” Sulzer, der mitgelesen hatte, lachte bitter. Mauch überflog den Schluss.

Dennoch wären wir interessiert, gelegentlich wieder von Ihnen zu hören, und so wünschen wir Ihnen nochmals ...

Floskeln, dachte er und sagte: „Heuglin und Beurmann sind nicht die Schlechtesten.”

„Kunststück”, versetzte Sulzer, und merkwürdig: Mauch hatte den Eindruck, sein Begleiter sei betroffen, wütend und niedergeschlagen - mehr als er selbst.

Woran lag das? Was hatte sich Sulzer erhofft, und weshalb war er, Mauch, zu seiner eigenen Überraschung nicht sonderlich enttäuscht? Weil er mit diesem Bescheid gerechnet, kaum eine andere Antwort erwartet hatte?

Er verstaute den Brief - immerhin ein Handschreiben von Dr. Petermann persönlich! - bei seinen wasserdicht verpackten Papieren, und erst nach Rückkehr auf die belebte Hauptstraße wurde ihm wieder bewusst, wie es um seine Finanzen stand. Von der Heuer, die van Rijk ihm gegeben hatte, besaß er noch ein Pfund, zehn Shilling und sechs Pence, im Übrigen seit Rotterdam einen Gulden als eiserne Reserve. Das war zwar mehr als zu mancher anderen Zeit, aber für einen Forschungsreisenden, der seine Ausrüstung vervollständigen muss, nichts als ein läppisch-armseliger Betrag.

Mauch blieb vor einem Laden stehen und betrachtete die Auslagen. Einen Kochtopf brauchte er unbedingt, möglichst auch einen Revolver - für alle Fälle.

„Wenn du was kaufen willst”, sagte Sulzer, „weiß ich einen billigeren Store.” Und beiläufig fügte er hinzu: „Die Provision würden wir uns teilen.”

„Provision?”

„Ich kriege ein paar Pennys für Kunden, die ich vermittelt habe, und darf manchmal im Lager schlafen.”

„Aha. Und wo schläfst du sonst?”

„Bei - einer Dame.” Er grinste verlegen.

Mauch schlug ihm auf die Schulter. „Komm, trinken wir was!”

Sie setzten sich in ein Gartenlokal, bestellten Steak vom Ochsen und Ale. Das Fleisch und das Bier waren für Mauch nach der eintönigen Verpflegung an Bord ein Genuss, und auch Sulzer ließ es sich schmecken; er schlang wie kurz vor dem Verhungern.

„Und nun?”, fragte er bei einem zweiten Glas. „Was wirst du tun?” „Na, arbeiten, lernen, mich akklimatisieren.”

„Und Ophir?”

Er schien zwar den Bierschaum zu studieren, doch wurde Mauch das Gefühl nicht los, belauert zu werden. Ausweichend sagte er: „Alles zu seiner Zeit. Ich muss mich gedulden, muss meinen Unterhalt verdienen, mich für den entscheidenden Vorstoß rüsten.”

„Und wenn dir jemand zuvorkommt?”

Das benannte seine geheime Sorge. So gelang ihm nur unter Mühe ein Lächeln. „Dann hätte ich eben Pech gehabt, obwohl: Weshalb sollte ausgerechnet jetzt, in den nächsten Wochen oder Monaten, glücken, was seit Jahrhunderten vergebens versucht worden ist?” „Hm ...” Sulzer sah auf. „Demnach weißt auch du nicht, ob du der richtigen Spur folgst?”

„Ich bin ziemlich zuversichtlich”, erwiderte Mauch und nahm einen Schluck.

„Und was Genaues?”, forschte Sulzer.

Diesmal grinste Mauch nur und trank aus, wobei ihm klar war, dass er bluffte. Solche Neugier aber auch! Gewiss gab es Anhaltspunkte für Ophir, Hinweise in der Bibel und in einer Vielzahl kaum bekannter Schriften, doch wer konnte mit Sicherheit sagen, wo dieses Land grauer Vorzeit, dieses Land der Legende genau gelegen hatte? Trotzdem schien Sulzer fasziniert zu sein. Er bohrte weiter, bemüht, Fakten zu Ophir in Erfahrung zu bringen, erkundigte sich nach jener Karte, und als Mauch die Bedienung rief, zahlte und sich zum Gehen wandte, geriet er sichtlich in Not. „Weshalb so eilig? Wo willst du überhaupt übernachten?”

„Keine Ahnung. Irgendwas wird sich schon finden.”

„Hör zu!” Er hielt ihn am Ärmel fest. „Es gibt da draußen eine Siedlung, ein paar Häuser bei einem Pfarrhof; ‘Neu-Deutschland’ der Name. Leider kann ich nicht mitkommen; ich wäre wahrscheinlich auch keine Empfehlung, aber wenn du bei Quenzius klopfst, oder bei Posselt, dem Pfarrer ...”

Mauch dankte für den Tipp und stiefelte davon, seinem ersten Erkundungsgang auf afrikanischem Boden entgegen.

Drittes Kapitel: NEU-DEUTSCHLAND

Sulzer hatte angekündigt, bald mal „dort draußen” aufzukreuzen, doch dauerte es Wochen, bis er sich in „Neu-Deutschland” sehen ließ, und als er schließlich überraschend da stand, schien er haargenau den richtigen Moment abgepasst zu haben.

Mauch war zu dieser Zeit drauf und dran, nach Transvaal zu marschieren, allein, auf „Teufel-komm-raus”. Die vergangenen Wochen hatten ihn ernüchtert, mehr als jener Brief aus Gotha; erst im Rückblick sollte er in der Lage sein, seine „neudeutschen Eindrücke” zu belächeln.

Allein der Name des Vorwerks! In Großbuchstaben stand er, von gemalten Blumen umrankt, auf einem lackierten Brett, das an einen Pfahl genagelt worden war - eine Art Reklametafel für drei, vier Dutzend Häuschen und ein einzelnes Gehöft.

Als Mauch die Schrift beim Schein des Mondes zum ersten Mal las, erfasste ihn Rührung. NEU-DEUTSCHLAND hier in Südafrika, zweieinhalb Wegstunden hinter Durban, der Stadt am Indischen Ozean!

Der Abend war lind nach Gewittergüssen, die Mauch gebeutelt hatten und bis auf die Haut durchnässt: die Luft voller Düfte, die Sterne über dunklen Silhouetten wie frisch poliert. In der Ferne bellte ein Hund nicht anders als daheim, und eine Weile fühlte sich Mauch wie nach einer der Wanderungen, die er im Schwabenland oder später in Kärnten unternommen hatte. Heimkommen, den Kreis des Vertrauten betreten!

Es war nach neun, und so wunderte ihn kaum, dass in den meisten Häusern und dem Gehöft alles dunkel schien; schließlich ging man auch in Deutschland zeitig schlafen. Licht brannte nur in einer Behausung seitab, und als Mauch den verwilderten Garten durchquert hatte und an die Tür pochte, rief eine Stimme krächzend; „Come in!” Ein einziger Raum, der offenbar als Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer diente, und im Schein einer rußenden Lampe ein stoppelbärtiger, hagerer Alter.

Mauch nannte seinen Namen, sagte, woher er komme, und erkundigte sich, Sulzers Worte im Ohr, ob er mit Herrn Quenzius die Ehre habe.