Das Model und ich - Ilona Einwohlt - E-Book

Das Model und ich E-Book

Ilona Einwohlt

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Beschreibung

Seit die erfolgreichen Modelzwillinge bei ihr in der Klasse sind, weiß Sina es genau: Sie will Model werden! Von der stylishen Vesna erfährt sie jede Menge wertvolle Insider-Tipps, doch deren Schwester Dunja steht der Sache zunehmend kritisch gegenüber. Wem kann Sina glauben? Da erhält sie die Chance ihres Lebens: Sie wird nach Málaga eingeladen - in eine echte Model-WG ...

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Seitenzahl: 220

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Das Model und ich

ILONA EINWOHLT

Ebenfalls von der Autorin im Arena Verlag erschienen: Mein Pickel und ichDie Schule und ichMein Knutschfleck und ich Die Jungs und ich Meine Clique und ich Mein Schutzengel und ichDie Welt und ichDie Liebe und ich Meine Ökokrise und ich Mein Leben und ich AllerBesteFreundinnenZeiten und ich

In der Reihe Alicia: Alicia. Unverhofft nervt oft Alicia. Wer zuerst küsst, küsst am besten Alicia. Liebe gut, alles gut

In der Reihe Felis Überlebenstipps. Zettelkram und Kopfsalat: Neue Schule, neues Glück Freundschaftskribbeln im Bauch Familienkrach und Herzenstrost

Beste Freundinnen gegen den Rest der Welt (Geschichten-Sammelband zusammen mit Margot Berger, Stefanie Dörr und Alice Pantermüller)

Drillingsküsse. Wen lieb ich, und wenn ja, wie viele?

Schmetterlingsflügel für dich

Nonstop online? Grenzenlos digital unterwegs

 

Ilona Einwohlt,geboren 1968, hat sich mit ihren Mädchenbüchern längst einen Namen gemacht – nicht zuletzt deshalb, weil sie mit ihrem locker-einfühlsamen Ton über Themen schreibt, die Mädchen wirklich interessieren. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Darmstadt. Mehr über die Autorin unter www.ilonaeinwohlt.de.

FÜR J.

 

 

Handlung, Personen und Orte der folgenden Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig. Die Durchführung der im Buch beschriebenen Rezepte erfolgt auf eigene Verantwortung.

Mit besonderem Dank an Christina Arras für all ihre Impulse.

1. Auflage als Arena-Taschenbuch 2017 © Arena Verlag GmbH, Würzburg 2011 Alle Rechte vorbehalten Innengestaltung und -illustration: designhoelle Einbandillustration: Constanze Guhr Einbandgestaltung: knaus. büro für kozeptionelle und visuelle identitäten, Würzburg Umschlagtypografie: KCS GmbH · Verlagsservice & Medien produktion, Stelle/Hamburg ISSN 0518-4002 ISBN 978-3-401-80648-8

Besuche uns unter: www.arena-verlag.dewww.twitter.com/arenaverlagwww.facebook.com/arenaverlagfans

Inhalt

Erstes Kapitel, in dem Sina Model werden will

Doppelt schön

No business like showbusiness

Ich will Model werden!

Zweites Kapitel, in dem Sina konsumgeil wird

Shoppen bis zum Umfallen

Weil ich ein Mädchen bin

Spieglein, Spieglein

Drittes Kapitel, in dem Sina Beauty-Queen wird

Test your best

Wahre Schönheit kommt von innen …

…aber auch von außen

Viertes Kapitel, in dem für Sina ein Traum wahr wird

Casting-King

Bella, Balla, Model-Villa

18 Eintel Sina

ERSTES KAPITEL, IN DEM SINA MODEL WERDEN WILL

Doppelt schön

Ich liege lässig auf der Schwimmbadwiese und beobachte unauffällig durch meine Sonnenbrille hindurch die sonnengebräunten Menschen um mich herum. Es ist einer dieser letzten heißen Augusttage und es scheint, als ob von Baby bis Best Ager noch einmal alle die Resthitze des Sommers in sich aufsaugen wollen.

Oder sie wollen nur mit ihrer Ferien-Mittelmeerbräune angeben!

Seitdem wir zwei Models bei uns neu in der Klasse haben, sind meine Freundinnen wie all die anderen auch vom Model-Virus befallen. Folglich kennen sie nur ein Thema: Wer ist die Schönste im ganzen Land? Gnadenlos checken sie jeden Body, lästern über jeden, der an uns vorüberläuft, egal ob rosa Minizicke, Badehosenmacho, fette Pommes-Tussi oder alter Opi, sie haben für jeden einen Spruch. So auch jetzt, als eine attraktive Blonde Richtung Dusche marschiert.

»Wenn ich mal so alt bin, will ich auch so aussehen«, seufzt Julia neben mir und deutet auf die kleine blonde Frau, die im schwarzen Badeanzug an uns vorbeigeht.

»Wie, du willst deine Haare färben?«, lästert Jolina und zupft Julia an ihren braunen Fransen. »Oder hättest du gerne dieses gebärfreudige Becken mit dem Bauchansatz samt Dellen im Bein …?« Sie grinst mit ihren wasserfest geschminkten Lippen von einem Ohr zum anderen, während Julia ihr zur Antwort in den Oberschenkel kneift.

Was ist schön?! Schönheitsideale verändern sich und unterliegen kulturellen wie gesellschaftlichen Schwankungen, das zeigt ein Blick in die Geschichte: In der Altsteinzeit waren dralle Frauen beliebt, wie die Venus von Willendorf beweist. Die Ägypter bevorzugten eine schlanke Taille, die Römer dagegen waren wieder wohlbeleibt, das Ideal im Mittelalter war gertenschlank, während in der Renaissance die Üppigkeit geliebt wurde … bis zur heutigen Zeit wechselten sich dünne und dicke Körperideale ab: Zu Hungerszeiten waren korpulente Körper Ausdruck von Reichtum, in Wohlstandszeiten ist es andersherum.

Derzeit ist das Idealmodell von Frauen geprägt durch volle Brüste (signalisiert Weiblichkeit) und schmale Hüften (signalisiert Mädchenhaftigkeit) – ein Ideal, das der Natur der Frau widerspricht und dem Barbie-Kult zu verdanken ist. Denn tatsächlich ist es so: Wenn eine Frau Fett anlagert, um üppigere Brüste zu bekommen, dann verteilt sich dieses nicht nur dort, sondern auch an Po, Hüfte und Oberschenkeln. Und Barbies überproportional schlanke Taille (99 – 48 – 84) würde sie in Lebensgröße bei ihrem üppigen Busen glatt in der Mitte abbrechen lassen, es sei denn, sie hätte Schuhgröße 50, um die Statik auszugleichen…

»Du bist fies«, fällt ihr Kleo ins Wort, »die sieht doch völlig normal aus. Und der Frauenkörper ist nun mal zum Kinderkriegen gemacht.«

Ich gucke meine ehemals beste Freundin überrascht an. Ausgerechnet diese Worte von Kleo? Sie ist selbst seit einiger Zeit nur noch ein Strich in der Landschaft, was sie aber gerne durch das Tragen weiter Schlabberkleidung verdeckt. Auch heute, wo sie ausnahmsweise mit ins Schwimmbad gekommen ist, trägt sie eine schwarze Tunika, unter der ihre spitzen Knie herauslugen. Ich an ihrer Stelle würde mich totschwitzen.

»Stimmt doch«, macht sie jetzt weiter und guckt Julia provozierend an. »Da kannst du so viel hungern, wie du willst, die Natur hat das nun mal so eingerichtet, dass die Haut sich dehnen kann und ein Baby genügend Platz in deinem Bauch hat.«

»Ja, aber es liegt an dir, diesen ›Platz‹ wieder zurückzufordern«, mischt sich jetzt Milli ein und deutet auf eine deutlich in die Breite gegangene Frau, die sich jetzt mit ihren beiden Kindern und jeweils einer Tüte Nasches in der Hand zwei Handtücher neben uns hinpflanzt. »Von nichts kommt nichts.« Wie nebenbei streicht sie sich über ihren flachen Bauch, an dem nicht ein Gramm Fett ist. Kein Wunder, Milli ist die Sportskanone schlechthin, ob Tennis, Joggen, Reiten oder Basketball, sie ist immer in Action. Dabei frisst sie wie ein Scheunendrescher, würde Mama sagen.

»Du hast gut reden bei deiner Figur. Kann ja nicht jeder aussehen wie ein Model«, schnaubt Julia und streckt ihr genervt die Zunge raus. »Das ist auch Veranlagung! Ich brauche Schokolade nur anzugucken und schon werde ich fett davon!«

»Ach, komm schon, ist doch egal!« Jolina knufft sie freundschaftlich in die Seite. »Gehen wir ’ne Runde schwimmen. Und danach holen wir uns alle einen Matschburger.« Sie springt auf und zupft sich ihren Badeanzug zurecht. Es ist ein extrem ausgeschnittenes Teil im Leopardenlook und natürlich zieht unser Screamgirl damit alle Blicke auf sich. Doch Jolina ist selbstbewusst genug, um das auszuhalten. Es scheint ihr auch nichts auszumachen, dass ihr Ausschnitt überquillt.

Die Fettmenge im Körper hängt von Größe und Anzahl seiner Fettzellen ab. Diese werden bereits während der Kindheit festgelegt und sind abhängig von Veranlagung und Ernährung. Zeitlebens ist dann der Stoffwechsel darauf eingestellt, die einmal festgelegte Zahl (ca. 30.000 – 40.000) an Fettzellen zu behalten. Sie verändert sich selbst bei einer Gewichtszunahme oder -abnahme nicht, Fettzellen blähen sich nur auf oder schrumpfen zusammen und dies wiederum lässt sich durch bewusste Ernährung ausgleichen. Man kann also sagen: Aus dicken Kindern werden später auch dicke Erwachsene.

»Gute Idee!« Milli steht ebenfalls auf, reicht Julia die Hand und zieht sie hoch. »Tausend Meter?!«

»Du bist doof!«, antwortet Julia, immer noch beleidigt, und streicht ihren Tankini glatt. Aber dann geht sie brav mit und schwimmt mit Milli um die Wette.

»Was ist mit dir, Sina?« Kleo guckt mich fragend an. Sie selbst geht natürlich nicht ins Wasser, sondern holt sich ein Buch aus ihrer Tasche, irgendeinen Fantasy-Schmöker.

»Zu faul«, antworte ich wahrheitsgemäß und gähne. »Außerdem warte ich noch auf Yannis, der müsste jeden Moment kommen.« Yannis ist mein Freund und bester Kumpel seit Kindheitstagen, wir sind zusammen in unserer Reihenhaussiedlung aufgewachsen und gelten als unzertrennlich. Seit über achtzehn Monaten sind wir jetzt ein Paar … bald ist es zwei Jahre her, dass er mir auf meiner Geburtstagsparty diesen fetten Knutschfleck verpasst hat.

»Auf Yannis?« Kleo guckt mich erstaunt an. »Hoffentlich wartest du da nicht vergeblich. Ich … ich habe ihn vorhin mit Dunja und Vesna Garling bei Antonio im Eiscafé gesehen.«

»Was???« Fassungslos schüttele ich den Kopf. »Sag das noch mal: Yannis hat ein Date mit den Model-Zwillingen?« Seufzend lass ich mich auf meine Decke zurücksinken und schließe die Augen. Seit Beginn des Winterhalbjahres haben wir, wie gesagt, zwei neue Mädchen in der Klasse, zweieiige Zwillinge, superhübsch und superintelligent. Alle Welt liegt ihnen zu Füßen, jeder von uns will mit ihnen befreundet sein – aber sie reden nicht mit jedem. Kein Wunder, schließlich haben sie schon mehr von der Welt gesehen als wir alle zusammen und verdienen ihr eigenes Geld. Und das mit gerade mal sechzehn Jahren! Garantiert können sie jeden Jungen haben, den sie wollen. Warum also nicht auch meinen süßen Yannis, DEN Mädchenschwarm der Schule, der mit seinen dunkelbraunen Haaren und noch dunkleren Augen einfach umwerfend gut aussieht? Und ausgerechnet mit ihm löffeln sie jetzt einen Baci-Baci-Schokobecher!

Ich bin supereifersüchtig!!!

»Mach dir keine Sorgen, Sina«, höre ich Kleo sagen. Ich spüre ihre Hand auf meinem Arm. »Yannis liebt nur dich, er wird dich schon nicht betrügen. Er ist nicht der Typ, der auf gestylte Tussen abfährt. Und außerdem hat sein Bruder Malte längst ein Auge auf sie geworfen …«

»Das sind nicht irgendwelche Tussen«, fauche ich. »Das sind erfolgreiche Models!« So ganz geheuer ist mir die Sache nicht. Dunja und Vesna haben schon als Säuglinge in die Kamera gelächelt, ihre Gesichter für namhafte Arzneimittelprodukte hergezeigt und sogar in New York als Kindermodels Karriere gemacht. Wer von uns kennt nicht die süßen breiverschmierten Babys auf den Kinderpuddings? Wer erinnert sich nicht an die Autowerbung, in der sie dem Verkäufer à la »Doppeltes Lottchen« einen Streich spielen? Und vor Kurzem gab es mit den beiden diese tolle Kampagne von C&A, weshalb wir alle einen ganzen Sommer lang nur Ringelshirts getragen haben. Es ist, als kenne ich Dunja und Vesna persönlich, weil mich ihre Gesichter all die Jahre begleitet haben.

Dabei weiß ich eigentlich nichts von ihnen …

Jetzt sind die beiden also in unserer Klasse gelandet und sollen ordentlich was lernen – sie haben in den letzten Jahren zu viel Stoff versäumt.

»Mach dir keine Sorgen«, wiederholt Kleo. »Yannis liebt nur dich. Der ist halt einfach neugierig und will vor Malte und seinen Kumpels angeben, wetten?« Sie lächelt mir aufmunternd zu. »Komm schon, gönn ihm den Spaß!«

»Na, hoffentlich hast du recht«, seufze ich, schließe die Augen und stöpsele mir den iPod ins Ohr, obwohl ich am liebsten aufspringen und zu Antonio rasen würde. Doch dann lasse ich mir von der Musik meine Zweifel wegrocken, während mir die Sonne zarte Bräune auf die Haut zaubert …

Wie sich herausstellt, hat sich Kleo getäuscht. Denn als ich später nach Dusche und Après-Lotion zu Yannis rübergehe, um ihn zur Rede zur stellen, ist der gerade damit beschäftigt, im Internet nach Model-Agenturen zu googeln. Hochkonzentriert und mit einem Glitzer in den Augen, den ich bei ihm sonst nur sehe, wenn wir entweder ausgiebig knutschen oder er mir von seiner neuen Blinkersammlung vorschwärmt. »Die meinen, ich hätte echt ’ne Chance, weil ich ein schöner Typ wäre!«, murmelt er statt einer Begrüßung und starrt auf den Bildschirm.

Auch männliche Models unterliegen einem Kriterienkatalog wie Körpergröße, Brustumfang, Gewicht und natürlich Alter. Das Schönheitsideal der Männer schwankt zwischen Mann und Jüngling, zwischen Kraftprotz und Asket, ist aber lange nicht so vielen Diskussionen und Modeströmungen ausgesetzt wie das Schönheitsideal von Frauen.

»Was?« Yannis will Model werden? Das ist ja der Knaller der Woche! Er hat Dunja und Vesna gerade mal ein paar Stunden alleine getroffen und schon hat ihn wie all die anderen der Model-Virus gepackt. Verblüfft fällt mir alles aus dem Gesicht. Oder liegt es an der halb nackten Achtzehnjährigen, die sich vor uns auf dem Bildschirm im Baumwolltanga auf einer Steppdecke zum Fremdschämen peinlich herumrekelt?

»Auf welcher Website bist du denn da gelandet?«

»Teeniemodel Dani«, antwortet er grinsend und klickt schnell weiter. Doch die Aufnahmen werden nicht besser. Dann ruft er die Homepage einer offensichtlich renommierten Model-Agentur auf. Lauter hübsche Gesichter, ohne Frage. Gebannt verfolge ich, wie Yannis von Bild zu Bild, von Model zu Model klickt.

»Willst du dich wirklich ernsthaft bewerben?«, hake ich nach und quetsche mich neben Yannis auf den Stuhl. »Meinst du, gegen die hast du eine Chance?« Ich deute auf einen lässig-coolen Typen mit knallblauen Augen und blonden Haaren, dessen unverschämt gutes Aussehen mir glatt die Sprache verschlägt.

»Nee, ich will nur mal schauen.« Yannis drückt mir einen Kuss auf die Wange, aber ich kenne meinen Freund gut genug, um zu wissen: Der meint es ernst. Nachdenklich schaue ich ihn an. Yannis hat ein schönes Profil, eine fast pickellose Haut und lange geschwungene Wimpern. Und wenn ich es richtig rieche, ist er frisch geduscht und eingecremt. Ein Hauch von Aftershave umschwebt ihn außerdem … Bei seiner Größe und seinem Aussehen wäre er bestimmt ein gefragter Typ. Eine Weile hocken wir nebeneinander, surfen quer durch etliche Model-Agentur-Websites und schauen uns die Bilder an.

»Und?«, frage ich. »Worauf wartest du noch? Soll ich ein Foto von dir machen, damit du dich bewerben kannst?«

»Bäh!« Yannis streckt mir die Zunge raus, verlässt das Internetportal und fährt den Computer runter. »Vesna hat gemeint, ich solle erst mal mit ihrer Mutter sprechen, die kenne ein paar Agenturleute persönlich.« Verlegen grinst er mich an, als ob er mir ein heimliches Date gestanden hätte.

Das ist ja schlimmer als befürchtet!

Aber wie mich Yannis jetzt süß angrinst und anfängt, zärtliche Küsschen in meine Halsbeuge zu hauchen, schmelze ich dahin und verzeihe ihm alles.

Erst recht, als er mir ins Ohr flüstert, dass wir ja gemeinsam DAS Topmodel-Paar aller Zeiten werden könnten und er nirgends ohne mich hinginge. Zur Antwort knuffe ich ihm liebevoll in die Seite, was er wiederum als Anlass nimmt, mich durchzukitzeln. Aber ich lasse ihm keine Chance, fix entwinde ich mich seinem Klammergriff, drehe ihm die Hände auf den Rücken – und küsse ihn so schön und lang und ausführlich, wie ich nur kann …

Am nächsten Tag gibt es in der Schule nur ein Thema: Yannis’ Date mit den Zwillingen, das sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen hat, weil seine Kumpels Juri und Marco »zufällig« bei Antonio vorm Fenster herumlungerten. Maltes Lästereien über seinen »süßen, kleinen, unschuldigen« Bruder tun ihr Übriges.

Schon im Pausenhof ernte ich von allen Seiten mitleidige Blicke, nach dem Motto »Gegen Supermodel-Schönheiten wie Dunja und Vesna hat so ein Normalo-Mädchen wie Sina Rosenmüller mit den großen Füßen ja eh keine Chance«. Der Zufall will es, dass Yannis ausgerechnet heute Morgen eine Zahn-OP hat und nicht in der Schule ist. Weil Vesna ebenfalls nicht zum Unterricht erscheint, kursieren alsbald die wildesten Spekulationen von wegen sie seien gemeinsam durchgebrannt oder hätten einen Nackt-Shoot für Dolce & Gabana.

»Wirst du Yannis verzeihen?«, fragt mich Julia lauernd, als wir nebeneinander die Treppen zum Physiksaal hochlaufen. »Also, wenn er das mit mir machen würde, ich weiß nicht…«

»Danke auch, mach mich fertig«, antworte ich und spiele das Spiel mit. Sie muss ja nicht wissen, dass Yannis und ich gestern Abend nach unserem Ausflug in die Model-Welt noch ganz versöhnlich-gemütlich in der Hollywood-Schaukel gechillt haben und ich ihm für sein Zahnarzt-Date heute Mut zusprechen musste.

»Als ob du noch nie Yannis angegraben hättest und bei ihm abgeblitzt wärest. Weil er nun mal, so ärgerlich das für dich ist, TREU bleibt …«, zischt Milli ihr im Vorübergehen zu. »Lass dir bloß nichts einreden, Sina.« Kopfschüttelnd hält sie uns die Tür auf und ich suche mir schnellstmöglich einen Platz in der hintersten Reihe. Kurz bevor Herr Asselmeyer erscheint, huscht Dunja auf den letzten Drücker herein und setzt sich neben mich. Ausgerechnet.

»Hast du die Hausaufgaben?«, flüstert sie mir zu. Hektisch kramt sie nach ihrem Collegeblock und Mäppchen.

Ich zögere einen Moment, doch dann siegt meine Gutmütigkeit. »Klar«, ich nicke und schiebe ihr so unauffällig wie möglich meine Unterlagen zu. »Hier, die ganze rechte Seite.«

»Uff, so viel?« Aber dann pinselt Dunja mit einer affenartigen Geschwindigkeit sämtliche Formeln und Vektordiagramme zur Impulserhaltung von mir ab. Keine Sekunde zu spät wird sie damit fertig, denn prompt ruft sie der Asselmeyer nach vorne, wo sie souverän erklärt, warum 13% der mechanischen Energie verloren gehen, und dafür eine glatte Eins kassiert. Als ob nichts wäre, kehrt sie auf ihren Platz zurück, in den Reihen vor uns wird wieder einmal eifrig getuschelt und gekichert.

Ich will schon sauer sein, da spüre ich unter dem Tisch ihre Hand auf meinem Oberschenkel. »Danke«, wispert sie mir zu, »wir reden in der Pause, ja?«

Und so kommt es, dass Dunja und ich unter den neugierigen Blicken der anderen Seite an Seite über den Schulhof schlendern, während sie mir, sofern es in der kurzen Zeit möglich ist, von ihrer verkorksten Schullaufbahn erzählt.

»Das ist total ätzend«, sagt sie mit ihrer glockenhellen Stimme, »kaum hast du in einer Klasse Fuß gefasst und dich mit dem Unterrichtsstoff vertraut gemacht, kommt ein Shooting dazwischen und du fängst danach wieder von vorne an. Aber diesmal ziehen wir die Schule bis zum Abi durch, das hat Grace versprochen.«

»Grace?«, hake ich nach.

»Unsere Mutter.« Dunja verzieht das Gesicht. »Nur heute musste Vesna dringend zu einem Stammkunden für Katalogaufnahmen …«

Ich schweige und denke mir meinen Teil. Offensichtlich ist nicht alles so toll in dieser tollen Model-Welt, wie Julia und die anderen schwärmerisch glauben. Dunja scheint ganz nett zu sein, vorhin schon im Unterricht habe ich sie unauffällig von der Seite gemustert und neidvoll anerkennen müssen, dass sie wirklich sehr hübsch ist. Sie hat ein fein geschnittenes Gesicht, volle Lippen und große Augen. Im Gegensatz zu ihrer Schwester, die ihre langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hat, trägt sie kinnlange dunkelbraune Locken auf dem Kopf.

Weiblichkeit gleich Schönheit: Weiche Gesichtskonturen, runde, sanfte, symmetrische Züge ohne Ecken und Kanten, haarloser Körper, das sind weibliche Attribute. Forscher haben herausgefunden, dass wir (aus verschiedenen Gründen) auf Übertreibungen reagieren und auf Dinge stehen, die es gar nicht gibt. Das erklärt, warum wir wider besseren Wissens falschen Idealen hinterherlaufen – und den Erfolg von Barbie: weit auseinanderstehende Kulleraugen, hohe Stirn, kleines Kinn, aber hohe Wangenknochen, die bei allem Kindchenschema ein hohes Maß an Weiblichkeit suggerieren. Das Barbie-Gesicht gilt weithin als unerreichbares Schönheitsideal für viele Mädchen und Frauen.

Völlig ergriffen davon, dass ein Mensch so schön und so nett sein kann, schwappert eine warme Sympathiewelle durch meinen Bauch. Und deshalb frage ich sie einfach, ob sie heute Nachmittag Lust hat, mit mir gemeinsam ins Schwimmbad zu gehen. Sollen doch Julia und Milli weiterlästern.

»Gerne!«, strahlt Dunja mich an. »Ich würde schrecklich gerne einfach ganz normale Dinge tun. Irgendwie stresst es mich total, dauernd nur schön sein zu müssen.«

Diesen Satz verstehe ich zwar nicht so ganz, aber ich freue mich trotzdem, dass sie bereit ist, mit mir Normalo-Sina etwas zu unternehmen.

Schönheit ist ein Geschenk – aber für die Beschenkten auch mitunter eine schwere Last. Oft unterstellen wir ihnen Arroganz, Eitelkeit und Egoismus und sind in Wahrheit nur fürchterlich eifersüchtig. Deswegen lernen superschöne Menschen, sich von klein auf abzuschotten, weshalb ihnen dann wieder ein gewisses Image der Unnahbarkeit innewohnt. Ganz schön kompliziert, oder? Ein guter Grund, sich einfach darüber zu freuen, ein ganz normales, hübsches Mädchen zu sein.

 

No business like showbusiness

Aus dem Schwimmbadbesuch mit Dunja wird nichts, weil ich Yannis` Händchen halten soll. Der Arme liegt mit dick geschwollener Wange wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa in Dietrichs Wohnzimmer und tut sich mächtig leid. »Wer schön sein will, muss leiden«, hat seine Mutter Stefanie nur gemurmelt und darauf angespielt, dass Yannis bald das strahlendste Lächeln aller Zeiten haben wird. Auch ich tröste ihn mit der Aussicht auf Zahnpastawerbung, aber keine Chance, mein Freund ist im Jammertal versunken. Nach zwei Stunden halte ich das nicht mehr aus und mache die Fliege. Fürs Schwimmbad ist es jetzt zu spät, aber vielleicht hat Dunja Lust, mit mir ein bisschen auf meinem Lieblingsplatz am Main abzuhängen. Kurz entschlossen mache ich mich auf den Weg zu ihr und klingele keine fünfzehn Minuten später an der Haustür einer schicken Altbauwohnung. Eine hochgewachsene Frau mit blonden Haaren öffnet mir. Sie sieht aus wie frisch einem Modemagazin entsprungen, sorgfältig geschminkt, weiße Tunika, schlichter Silberschmuck. Wie sie jetzt lächelnd im Türrahmen steht, weiß ich nicht: Ist die immer so oder wartet sie auf das Blitzlichtgewitter?!

»Äh, ist Dunja da?«, frage ich. »Ich bin Sina aus ihrer neuen Klasse«, füge ich dann noch rasch hinzu. Verlegen zupfe ich mein Shirt zurecht, irgendein olles Normalo-Pimkie-Teil, ich habe mir keine Gedanken über mein Outfit gemacht und fühle mich plötzlich völlig pupsig und spießig.

Das war schon mal anders! Meine Clique und ich, sag ich nur …

»Hallo Sina, schön, dich kennenzulernen, Dunja hat schon viel von dir erzählt«, antwortet sie höflich und reicht mir die Hand. »Ich bin Grace. Komm rein, meine Mädels machen gerade eine Handpackung.«

Eine was?!, liegt es mir auf der Zunge, doch die Bemerkung kann ich mir gerade noch verkneifen. Ich streife fix die Sneakers von meinen Füßen, dann folge ich der feingliedrigen Frau in eine sehr geräumige Wohnküche, wo Dunja und Vesna mit eingewickelten Händen am langen Holztisch sitzen.

»Hi, Sina«, feixt Dunja und wedelt mit den Armen. »Wer schön sein will, muss leiden.«

Den Satz habe ich heute doch schon mal irgendwo gehört? »Wenn’s weiter nichts ist«, antworte ich grinsend und setze mich neben Vesna, die mir kaum merklich zugelächelt hat. Sie sieht aus, als habe sie geweint.

»Soll ich dir auch eine Maniküre machen?«, fragt mich jetzt Grace freundlich. Eine Reihe perlenweißer Zähne strahlt mich an. Gleichzeitig schiebt sie mir ein Schälchen mit Seifenlauge hin.

»Lass gut sein, Mama«, mischt sich Dunja ein. »Sina will sicher nicht so lange bleiben, oder?« Sie guckt mich bedeutungsvoll an, nach dem Motto »Lass uns lieber woanders hingehen«. Aber zu spät. Grace begutachtet bereits meine Hände.

»Die sind schön feingliedrig«, stellt sie fest. »Die Form deiner Fingernägel ist außergewöhnlich ebenmäßig. Du solltest jedoch besser auf die Nagelhaut achtgeben und sie regelmäßig zurückschieben …«

»Mama!« Dunja rollt genervt mit den Augen. »Es reicht schon, dass wir morgen Nachmittag zu diesem Shooting müssen, obwohl du uns eigentlich eine Pause versprochen hast. Da musst du Sina nicht auch noch mit reinziehen.«

»Ach was, ein bisschen Schönheitspflege macht jedem Mädchen Spaß, nicht wahr, Sina?« Grace guckt mich erwartungsvoll an. Touché. Natürlich macht es mir Spaß. Und natürlich schmeichelt sie mir mit ihrer Bemerkung.

»Was ist das für ein Shooting?«, frage ich neugierig und bade meine Hände in der warmen Seifenlauge, die angenehm zitronig duftet und sich cremig anfühlt.

»Für Tiffany«, antwortet Vesna leichthin. »Wir präsentieren Rings, Bracelets und Charms aus der Paloma Picasso Collection.«

»Aber das ist voll der öde Job!«, mault Dunja. »Ich habe keine Lust, meine Hände stundenlang still zu halten …«

»Was? Für Tiffany?« Unsereins kann sich gerade mal ein Bettelarmband mit pupsigen Zirkoniasteinen von Esprit leisten und die beiden modeln für Anhänger aus 18 Karat Gold mit Diamanten.

»Sei froh, dass ihr zur Zeit überhaupt Aufträge bekommt. Körperteilmodel ist nicht das Schlechteste«, meint Grace und feilt jetzt an meiner rechten Hand herum. »Mit solch kleineren Shootings bleibt ihr immerhin im Geschäft. Ihr wollt doch nicht in Vergessenheit geraten, oder?«

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, als Model tätig zu sein. Die meisten denken bei »Model« an Mannequins bzw. Laufstegmodels. Das sind die extrem dünnen, Größe 34 bis 36 tragenden Mädchen, die über eine tolle Körperhaltung verfügen und mindestens 176 cm groß sein müssen. Daneben gibt es die Fotomodels, die für Mode, Schönheitspflegeprodukte und Wäsche vor der Kamera stehen. Bei ihnen spielen Ausstrahlung und Gesicht eine wichtige Rolle, in der Regel sehen sie »gesünder« aus als die Laufstegmodels, auch wenn Größe 38 und Körbchengröße C das Maximum sind. Bei den Nacktbzw. Glamourmodels dagegen kommt es auf etwas ganz anderes an: Sex-Appeal und die Lust, sich nackt fotografieren zu lassen. Körperteilmodels präsentieren ihre besonders schön geformten Hände oder Beine, ihren knackigen Po … Schließlich gibt es noch Seniormodels und Plussize-Models.

Allen gemeinsam kann ihr Status als Amateurmodel oder professionelles Model bzw. Topmodel sein: Amateurmodels modeln nur zum Spaß und haben nur kleinere Aufträge, während ein Profimodel regelmäßig für Kunden arbeitet und seinen Lebensunterhalt damit bestreitet. Topmodels zeigen Mode von berühmten Designern und verdienen deutlich mehr Geld als die anderen damit. Und dann gibt es natürlich noch die Supermodels, die nicht nur als Model erfolgreich sind, sondern als Persönlichkeit weltweit bekannt sind, ihre eigenen Parfumund Modelinien entwickelt haben und ihr gesamtes Leben als Fashion Show leben und inszenieren, wie beispielsweise Gisele Bündchen oder Heidi Klum.

Unbehaglich ruckele ich auf meinem Stuhl hin und her, zumal Dunja ein »ich hätte nichts dagegen« murmelt und Vesna schon wieder nach Heulen aussieht. Für die nächsten fünf Minuten herrscht eisige Stille. Grace beackert konzentriert meine Nägel, dann zupft, feilt und massiert sie mir zum Abschluss die Handinnenflächen.

Wenn die Situation nicht so unangenehm wäre, wäre das hier sehr angenehm!!!

»Ich dachte, ich hätte das klar gesagt: Ich habe keine Lust mehr aufs Modeln!«, sagt Dunja plötzlich unvermittelt in die Stille hinein. »Ich will mein Abi machen und Medizin studieren. Und ich kann mich nicht auf die Schule konzentrieren, wenn ich meine Nachmittage und Abende in irgendwelchen Fotostudios verbringen muss. Dass ich heute beim Asselmeyer nicht aufgeflogen bin, verdanke ich allein Sina.« Dunja versucht ein Lächeln in meine Richtung, während sie sich energisch die Baumwolltücher von den Händen wickelt.

Vesna runzelt die Stirn, sagt aber nichts.

»Bitte, Dunja, nur noch dieses eine Mal«, versucht ihre Mutter, sie zu beruhigen. »Ihr seid nun mal als Zwillinge bekannt und die wollen unbedingt vier Hände haben! Außerdem müssen sich eure Kunden erst noch an den Gedanken gewöhnen, dass ihr einzeln gebucht werden könnt.«

»Wollt!«, faucht Dunja. »Und du musst dich daran gewöhnen, dass ich nicht mehr mitmache. Heute nicht, morgen nicht und übermorgen auch nicht.« Sagt es und sitzt mit vor der Brust verschränkten Armen da. Erschrocken ziehe ich meine Hand zurück, unbehaglich schaue ich in die Runde. Grace entfährt ein tiefer Seufzer. Dann steht sie auf und geht zum Bücherregal, zieht ein dickes Buch mit schwarzem Einband heraus und setzt sich wieder zu uns an den Tisch.

»Jetzt kommt die Nummer wieder.« Dunja verzieht das Gesicht.

»Weiß nicht, ob du das hören willst, Sina. Ich auf alle Fälle kann diese alten Kamellen nicht mehr ab.« Sie springt auf, rennt aus der Küche. Kurz darauf hören wir die Haustür knallen.

»Tut mir leid, Sina«, sagt Vesna. Mir fällt auf, dass ihre Stimme genauso hell wie Dunjas klingt, nur nicht so sauer. »Ich weiß auch nicht, was mit ihr los ist, ich erkenne sie kaum wieder. Dabei ist sie meine Zwillingsschwester. Wir haben immer alles gemeinsam gemacht …« Eine Träne stiehlt sich aus ihren Augen und rollt anmutig ihre Backe hinab.