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Freundschaft, Stallgeflüster und ein verrücktes Sommerabenteuer. Ilona Einwohlts mitreißender neuer Pferderoman erzählt voller Witz und Einfühlungsvermögen über den Gefühlsgalopp der Pubertät. In Miris Leben herrscht Chaos. Mit ihren Freundinnen gibt es Zoff, ihre Eltern lassen sich scheiden, und noch dazu soll sie sich um das ehemalige Zirkuspony Ketchup kümmern. Über Pferdemädchen hat sich Miri bisher immer lustig gemacht, besonders über ihre Klassenkameradin Lilly, die lieber Pferdeäpfel von der Koppel sammelt, anstatt shoppen zu gehen. Und ausgerechnet auf dem Waldhof von Lillys Familie ist Ketchup untergebracht. Das kann ja nur peinlich werden! Doch auf dem Hof lernt Miri den gleichaltrigen Jaspal kennen. Scheinbar schwerelos voltigiert er auf dem Pferderücken und bringt auch Miris Herz dazu, Saltos zu schlagen. Genauso besonders ist Jaspals Hengst Shivo, dessen Ohren gebogen sind wie zwei Sichelmonde. Sogar Lillys Pferdeliebe wirkt ansteckend. Immer öfter ertappt sich Miri dabei, dass sie den Nachmittagen im Stall entgegenfiebert, auch wenn sie dafür in ihrer Clique blöde Sprüche erntet. Als Lilly und Jaspal einen verrückten Plan aushecken, um Ketchups alte Truppe von Zirkustieren aus verwahrloster Haltung zu retten, muss sich Miri entscheiden: Hält sie an ihren Vorurteilen fest, oder lässt sie sich auf das Pferdeabenteuer ein - und gewinnt dabei vielleicht eine echte Herzensfreundin? Eine starke neue Heldin, ein Wiedersehen mit bekannten Figuren und jede Menge liebenswerte Pferdecharaktere: "Herzensfreundinnen" ist nach "Goldschwestern" der zweite Roman rund um den Waldhof von Erfolgsautorin Ilona Einwohlt. Mit stimmungsvollen Illustrationen von Laura Rosendorfer. Weitere Bücher von Ilona Einwohlt im Arena Verlag: Goldschwestern Wild und wunderbar (1). Zwei Freundinnen gegen den Rest der Welt Wild und Wunderbar (2). Gegensätze halten zusammen (oder?) Wild und Wunderbar (3). Freundinnen sind die besseren Schwestern Erdbeersommer (1) Erdbeersommer (2). Unterm Sternenhimmel Erdbeersommer (3). Galopp in die Freiheit Uncovered. Dein Selfie zeigt alles Schmetterlingsflügel für dich. Das Coachingbuch für starke und selbstbewusste Mädchen (mit Christina Arras)
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Seitenzahl: 255
Weitere Bücher von Ilona Einwohlt im Arena Verlag:
Goldschwestern
Wild und wunderbar. Zwei Freundinnen gegen den Rest der Welt
Wild und Wunderbar. Gegensätze halten zusammen (oder?)
Wild und Wunderbar. Freundinnen sind die besseren Schwestern
Erdbeersommer
Erdbeersommer. Unterm Sternenhimmel
Erdbeersommer. Galopp in die Freiheit
Uncovered. Dein Selfie zeigt alles
Schmetterlingsflügel für dich. Das Coachingbuch für starke und selbstbewusste Mädchen (mit Christina Arras)
Ilona Einwohlt
wollte eigentlich Ernährungswissenschaftlerin werden. Aber dann las sie mitten in der Chemievorlesung Simone de Beauvoir, Julio Cortázar und Thomas Mann – und widmete sich fortan der Literatur. Längst ist aus der Germanistikstudentin eine erfolgreiche Autorin insbesondere für Kinder und Jugendliche geworden. In ihren Romanen geht es immer um aktuelle Themen mitten aus dem Leben, denn mit Interesse, Kritik und Leidenschaft verfolgt sie die gesellschaftlichen Entwicklungen der Zeit. Ilona Einwohlt, Jahrgang 1968, lebt mit ihrer Familie in Darmstadt.
www.ilonaeinwohlt.de | Instagram: @ilona_einwohlt
Laura Rosendorfer
lebt mit ihrem Mann, ihren beiden Töchtern und einem schwarzen Kater in einem kleinen blauen Haus bei München. Einen Garten hat sie auch, leider ohne Pferd, aber mit vielen Eichhörnchen. Wenn der Trubel zu groß und der Computerbildschirm zu hell wird, flüchtet sie nach draußen zu den Blumenbeeten. Da sitzt sie dann am liebsten mittendrin und zeichnet.
Ein Hinweis zur geschlechtergerechten Sprache:
Der Autorin und dem Verlag war es wichtig, im Roman diskriminierungsfrei zu formulieren und gleichzeitig den Anforderungen des literarischen Schreibens gerecht zu werden. Aus einer Vielzahl von Möglichkeiten, Texte geschlechtergerecht zu gestalten, haben wir uns für eine Herangehensweise entschieden. Wir bedanken uns bei allen, die uns dabei unterstützt haben. Da sich gerade im Bereich der diskriminierungsfreien Sprache in kurzer Zeit viel ändern kann, sind wir auch weiterhin für Rückmeldungen und Anregungen offen.
Ein Verlag in der Westermann Gruppe
1. Auflage 2023
© 2023 Arena Verlag GmbH
Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag und Innenillustrationen: Laura Rosendorfer
E-book ISBN 978-3-401-81041-6
Besuche uns auf:
www.arena-verlag.de
@arena_verlag
@arena_verlag_kids
Hey!
Ich bin die Erzählerin, vor der euch eure Eltern gewarnt haben. Miri Birkensteg, dreizehndreiviertel Jahre alt, und auf den folgenden Seiten werdet ihr Zeug:innen einer total verrückten Geschichte.
Spoiler 1:
Es gibt ein Happy End (in guten Büchern gibt es immer ein Happy End).
Spoiler 2:
Kann sein, dass nicht alles der Wahrheit entspricht (das ist in allen guten Büchern so, denn Geschichten folgen anderen Regeln als die Realität).
Spoiler 3:
Ich verliebe mich (es geht in jedem guten Buch um Liebe).
Und jetzt: Habt Spaß und lest, lest, lest!
Wo ist Ketchup?«
»Probier’s mal mit Mayo«, ruft mir Lilly aus Zoras Box entgegen.
»Haha, deine Witze waren auch schon mal besser!« Völlig aufgelöst renne ich durch den Stall und durchsuche jede Ecke, auch die mit den Spinnenweben. Mein Pony ist schon wieder ausgebüxt. Ja, es heißt Ketchup wie die Tomatensoße. Oder Ketchup wie das
Kreativste
Entdeckungsfreudigste
Trickreichste
Chaotischste
Hyperaktivste
Untypischste
Pony
aller Zeiten.
Ich kann nur hoffen, dass ich Ketchup diesmal auf der Weide finde. Und nicht in der Futterkammer, wo er die eingeweichten Rübenschnitzel aus den Eimern klaut. Oder in der Führanlage, wo er den anderen Pferden vor der Nase herumspaziert und alles durcheinanderbringt. Oder noch schlimmer zwischen den Anfänger:innen in der Halle, wo er hin- und hergaloppiert und Frieda in den Wahnsinn treibt. Die Stallmeisterin und Reitlehrerin bringt so schnell nichts aus der Fassung, aber wenn Ketchup ihre Reitschüler:innen gefährdet, versteht sie keinen Spaß.
»Wie wär’s mal mit Fußfesseln?«, meint Lilly, halb im Ernst, halb im Spaß. »Echt jetzt, Miri. Langsam ist es nicht mehr lustig, sondern teuer … wer soll denn all das bezahlen, was Ketchup kaputt macht?«
»Krieg dich wieder ein«, ätze ich zurück. Typisch Lilly. Eigentlich ist sie ganz cool und die Pferdeliebe in Person. Sie und Zora sind unzertrennlich. Nie im Leben würde die edle Stute einfach abhauen! Aber Lillys Vater gehört der Waldhof und als Tochter des Stallbesitzers spielt sie sich manchmal ganz schön auf.
»Ich kann ja auch nichts dafür«, füge ich leise hinzu und lehne mich an die Gitterstäbe.
Zum tausendsten Mal verfluche ich den Tag, an dem mir Papa die beiden Ponys geschenkt hat. Ketchup und Bob, zwei ehemalige Zirkusponys, die nur Unsinn im Sinn haben. Alles nur, um sein Gewissen zu beruhigen, weil er einen Managerauftrag angenommen hat und die kommenden Monate in San Francisco leben wird. Jetzt muss ich Ponyfee spielen, obwohl ich Pferde blöd finde und lieber zum Modern Dance ginge oder mit Sanne und Gizem zum Shoppen. Da sich meine ehemals besten Freundinnen mir gegenüber in letzter Zeit sowieso komisch verhalten, ist es aber auch egal.
»Na komm, gehen wir ihn suchen. Sicher steht er bei Bob und Pünktchen auf der Weide, weil er Sehnsucht nach seiner Familie hat«, lenkt Lilly versöhnlich ein. Sie tätschelt Zora den Hals und lehnt für einen Moment den Kopf gegen ihre Stute. Dabei vermischen sich ihre langen blonden Locken mit Zoras roter Mähne zu einem wunderschönen Vorhang, der die beiden umhüllt. Im Sonnenlicht schimmert das wie ein sanftes Feuer, warm und hell, so liebevoll. Schnell drehe ich mich weg, damit Lilly meine Tränen nicht bemerkt.
Seit Papa in Amerika lebt, bin ich merkwürdig nah am Wasser gebaut. Ich vermisse ihn sehr! Früher haben wir so viel Zeit wie möglich miteinander verbracht. Papa war immer für mich da. Und niemand konnte so toll trösten wie er. Jetzt macht er Karriere und hat nur noch seine Kalkulationen im Kopf. Für mich interessiert er sich nicht mehr.
Okay, Zora ist ein Pferd. Aber sie bedeutet Lilly alles und die beiden sind wie beste Freundinnen.
Ich habe niemanden. Nur diese beiden durchgeknallten Ponys. Bob ist eine Stute und spielt Amme für Pünktchen, ein schwarzes Fohlen, das gleich nach der Geburt von seiner Mutter verstoßen wurde. Und Ketchup … nun, Ketchup ist ein Clown auf vier Beinen. Ein Schimmel mit rotbraunen Sprenkeln – als ob genau über ihm eine Ketchupflasche explodiert wäre. Er ist völlig unberechenbar und nutzt jede Gelegenheit, um abzuhauen. Weder Riegel noch Schranke noch das flattrigste Flatterband können ihn abschrecken. Wenn Ketchup sich etwas in den Kopf gesetzt hat, zieht er es durch und macht vor nichts und niemandem halt.
»Keine Ahnung, wo er steckt, ich hab schon überall gesucht. Immerhin hat er nicht wieder für einen Kurzschluss in der Führanlage gesorgt.« Zerknirscht zucke ich mit den Schultern. Wenn Papa wüsste, welche Kosten seine Haftpflichtversicherung gerade zu wuppen hat, würde er mir glatt das Taschengeld kürzen. Doch das brauche ich, um die Stallkinder zu bezahlen, damit sie Fotos von meinen Ponys machen und Geschichten dazu erfinden, die ich dann in unsere Familiengruppe schicken kann: Ketchup und Bob galoppieren auf der Weide, Ketchup beim Grasen, Bob im Sonnenuntergang … ich weiß doch, was Papa sehen will! Zwischendurch ein paar Bilder von mir, wie ich glücklich lächelnd (haha) Bob die Mähne kraule und hingebungsvoll mit Ketchup schmuse (wenn’s denn wahr wäre). Nur haben die Stallkinder mittlerweile keine Lust mehr auf Ketchup, weil der beim Putzen nie stillhält. Erst recht nicht, wenn sie ihm Zöpfe flechten oder die Hufe lackieren wollen. Deswegen muss ich mich wohl oder übel selbst kümmern und zusehen, wie ich sein dreckverkrustetes Fell sauber kriege. Vielleicht ist er einfach nur megakitzelig. Schrubb dir doch mal mit der Wurzelbürste den Bauch!
»Komm, ich glaube, ich weiß, wo er ist!« Lilly zieht mich einfach mit sich. »Matayo hat hinten auf der Weide den Pool für uns aufgestellt. Bestimmt findet er das megainteressant und leistet ihm Gesellschaft.«
»Wie, im Pool?« Während ich eilig hinter Lilly herstapfe, versuche ich, mir auszumalen, wie Ketchup gemeinsam mit dem Pferdepfleger vom Waldhof auf der Luftmatratze chillt. Zuzutrauen wäre ihm das. Doch das Spektakel übertrifft dann sogar meine kreativsten Träume.
»Kneif mich mal! Dem fehlen nur noch Flossen, Schnorchel und Schwimmflügel!« Lilly kriegt sich vor Lachen nicht mehr ein.
Ketchup hat es geschafft, den kompletten Poolaufbau zu ruinieren. Sämtliche Rohre sind verbogen, die Plane ist zerrissen und die Filterpumpe fliegt durch die Gegend. Er selbst steht im Wasser und hat seine helle Freude daran, immer wieder mit den Vorderhufen hineinzupatschen, dass die Tropfen nur so sprühen. Jedes Mal wiehert Ketchup laut vor Freude. Sein ohnehin rot gesprenkeltes Fell wirkt noch getupfter als sonst.
»Wie ein kleines Kind«, murmele ich und weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Wieder eine Rechnung vom Waldhof. Ob sie uns bald rausschmeißen werden? Dann hätten Ketchups Streiche wenigstens einen Sinn gehabt. Für mich.
»Dein Pony ist der Knaller. Oder ’ne Katastrophe, wie man’s nimmt.« Matayo grinst breit. »Ich habe Ewigkeiten für den Aufbau gebraucht … und jetzt? Den Pool kannst du vergessen, den kriegen wir nie im Leben wieder repariert. Von dem vielen Wasser, das jetzt futsch ist, ganz zu schweigen.« Plötzlich guckt er ganz ernst.
»Zweitausend Liter, oder?« Auch Lilly ist das Lachen im Hals stecken geblieben. »Zehn Badewannen voll … und das bei diesem trockenen Sommer.«
Ich schlucke. Lilly hat recht, seit Wochen warten wir auf Regen, das ganze Land hängt wie unter einer Käseglocke und schwitzt vor sich hin.
»Und warum hast du ihn dann nicht daran gehindert?«, frage ich und komme mir gleichzeitig unglaublich feige vor. Ketchup ist so außer Rand und Band, dass ich mich selbst nicht traue, sein Halfter zu greifen.
»Warum passt du nicht besser auf dein Pony auf? Ich bin Pferdepfleger, kein Babysitter«, giftet Matayo zurück. »Der ist völlig durchgeknallt, das müsstest du doch endlich kapiert haben. Kaum drehst du dich um, stellt er irgendwas an.«
»Kann ich doch nichts dafür«, murmele ich und beiße mir auf die Lippen. Zum Glück hat Matayo mittlerweile mit einem energischen Griff Ketchups Halfter gepackt. Jedes Pferd auf dem Waldhof folgt ihm. Ein Blick, ein Fingerschnipp, eine Geste genügen. Normalerweise.
Nicht bei Ketchup. Der stemmt beide Vorderhufe mit voller Kraft in die Wiese, wobei er im Matsch beinahe das Gleichgewicht verliert und herumschlingert wie ich mit Inlinern. Ein Ruck, ein Schritt zur Seite, schon ist er wieder frei.
»Echt jetzt? Come on, Ketchup, was soll die Show?« Matayo rollt genervt die Augen und ich würde am liebsten im Erdboden versinken. »Okay, dann halt nicht … Sieh zu, wie du das Paul erklärst, Miri, ich bin raus.« Matayo nickt mir noch einmal zu, dann schnappt er sein Werkzeug und marschiert Richtung Stallungen. Ich schaue ihm ratlos nach. Jetzt habe ich es mir auch noch mit dem sonst so gutmütigen Matayo verscherzt!
Vor einigen Jahren kam er aus dem Sudan nach Deutschland und hat sich seitdem auf dem Waldhof unentbehrlich gemacht. Paul ist für ihn wie ein Ziehvater, der ihn bei allem unterstützt, und Lilly seine beste Freundin. Zudem sieht Matayo umwerfend gut aus und ist der Schwarm aller Mädchen im Stall. Allerdings hat er sein Herz an Eve verloren, Lillys große Schwester. Die macht gerade ein Praktikum als Contentmanagerin für ein Naturkosmetik-Start-up in Barcelona – was sie wiederum Lilly zu verdanken hat. Kurz vor den Sommerferien haben die beiden die Rollen getauscht und für Furore gesorgt: Eve ist auf Zora zum Turniersieg geritten, weil Lilly verletzt war. Und Lilly hat an Eves Stelle deren YouTube-Kanal mit einem sensationellen Beautytutorial bespielt, weshalb Eve dieses Megaangebot bekam. Ganz schön verrückte Geschichte! Aber sie hat dazu geführt, dass Zora nicht verkauft werden musste und wieder mehr Reiter:innen ihre Pferde auf dem Waldhof einstellen. Und dass Eve in Spanien gerade den Traum ihres Lebens lebt, auch wenn sie dafür meilenweit von uns und ihrem Freund Matayo entfernt ist.
»Und jetzt?« Zerknirscht schaue ich Lilly an. Sie mag mich nicht besonders und ich sie eigentlich auch nicht. In der Schule habe ich eine Zeit lang gemeinsam mit Sanne und Gizem fiese Dinge über sie verbreitet. Doch meine Freundinnen sind seit den Sommerferien total verändert und stehen plötzlich auf Tierschutz, Nachhaltigkeit, Tofu und Hafermilch. Weshalb sie den Turnierbetrieb vom Waldhof erst recht im Visier haben und bei jeder Gelegenheit über Lilly lästern. Früher habe ich fleißig mitgemacht. Seit ich selbst zwei Ponys besitze, halte ich mich lieber zurück. Bisher weiß das nämlich niemand. Alle denken, ich fände Pferde blöd. Wenn Lilly den anderen verrät, dass ich auf dem Waldhof ein und aus gehe, würden mir Sanne und Gizem das Leben zur Hölle machen. Also bin ich lieber nett zu ihr.
»Jetzt wird es höchste Zeit, dass du mit Ketchup eine Beziehung aufbaust«, meint sie nur. Dann dreht auch sie sich um und lässt mich einfach stehen.
»Beziehung?«, rufe ich ihr hinterher. »Ketchup ist doch nur ein Pferd!«
Als ob mein Pony mich verstanden hätte, hält er in seiner Wasserspielspaßparty inne und guckt mich für einen Moment mit seinen blauen Augen an. Dann zwinkert er mir zu, ich schwöre. Zur Antwort strecke ich ihm die Zunge raus und marschiere davon. Mir doch egal, dass der Pool verwüstet ist. Mir ist in diesem Moment alles egal. Lilly hat einen wunden Punkt getroffen und mich schon wieder zum Weinen gebracht.
Wütend stapfe ich über die Weide. Niemand versteht mich! Und alle geben mir die Schuld daran, dass Ketchup so ein furchtbar unerzogenes Pony ist.
Ich überlege gerade, wie er sich wohl als Salami machen würde, da schubst mich jemand von hinten. So doll, dass ich der Länge nach hinknalle.
»Du blödes Viech! Kannst du mich nicht endlich in Ruhe lassen! Ich will dich nicht. Niemand will dich!« Vor Wut trommele ich mit den Fäusten auf die Wiese. Eine schlechte Idee. Der Boden ist so hart, dass ich mir die Haut dabei aufschürfe.
Langsam richte ich mich auf. Ein warmes Pferdemaul macht sich jetzt an meinen Haaren zu schaffen. Beinahe zärtlich schnuppelt es an meinem Kopf herum und fängt behutsam an, Strähne für Strähne aus meinem Zopf zu zupfen. Sein warmer Atem lässt mir eine Gänsehaut den Rücken hinunterrieseln. Für einen Moment schließe ich die Augen, spüre die Sonnenwärme in meinem Gesicht und merke, wie mein Mund sich zu einem Lächeln verzieht.
»Hey, Shivo, lass das!« Eine Jungsstimme platzt in den friedlichen Moment.
»Shivo?« Erschrocken springe ich auf – und knalle mit dem Kopf gegen etwas Hartes. Sehr hartes. Prompt sinke ich wieder zu Boden, diesmal tanzen Sternchen vor meinen Augen. Ich höre Pferdehufe davongaloppieren, eine Staubwolke legt sich über mich.
»Bist du tot?«
»Kann sein.« Zur Antwort zeige ich ihm den Stinkefinger. Meine Ohren dröhnen und mein Kopf kreiselt, ich fühle mich alles andere als lebendig.
»Dann ist ja gut.« Die Jungsstimme kichert. »Ich geh jetzt mal mein Pferd suchen …« Schritte entfernen sich und ich liege immer noch da. Wusste gar nicht, dass wir ein Pferd namens Shivo im Stall haben, muss wohl neu sein. Na super, noch einer mehr, der mich auf dem Kieker hat, das hat mir gerade noch gefehlt. Dann kann ich auch hier liegen bleiben.
Ich werde wach, weil mich jemand küsst. Echt jetzt.
»Bin nicht Dornröschen«, murmele ich schlaftrunken. Mühsam öffne ich die Augen und kriege einen Schock. Direkt über mir steht Ketchup und pustet mir seinen warmen Ponyatem ins Gesicht. Bäh! Der könnte sich auch mal wieder die Zähne putzen! Als ob mir nicht schon knalleheiß genug wäre! Vermutlich habe ich einen Sonnenstich, wer weiß, wie lange ich hier schon auf der Wiese liege.
»Das versteht man also unter Beziehung aufbauen«, murmele ich halb entsetzt, halb amüsiert. »Komm, lass gut sein, ich stehe nicht auf so Gefühlsduseleien.« Energisch versuche ich, Ketchup von mir wegzuschieben und mich aufzurichten. Kein leichtes Unterfangen, wenn man wie ein Käfer auf dem Rücken liegt. Ich muss aussehen wie ein Regenwurm auf dem Trocknen, wie ich mühsam versuche, mich unter seinem Kopf und Körper herauszuwinden. Ketchup denkt nicht im Traum daran, auch nur einen Schritt zur Seite zu gehen. Endlich habe ich es geschafft und stehe wieder auf meinen eigenen zwei Beinen.
»Na komm«, locke ich, greife nach seinem Halfter und, o Wunder, diesmal lässt sich Ketchup ohne Weiteres von mir die Weide entlangführen.
»Du bist ein braves Pony, kriegst auch gleich deine Belohnung.« Ich tätschele ihm lobend den Hals und schnalze mit der Zunge, weil alle Pferdemenschen immer mit der Zunge schnalzen, wenn sie mit ihren Pferden sprechen.
Ein Fehler. Ein großer Fehler.
Denn sofort reißt sich Ketchup los, steigt fröhlich wiehernd auf die Hinterbeine – und galoppiert durch die Staubwolken auf und davon. Super, das war’s dann mit Beziehungsaufbau. Wusste ich’s doch, ich bin dafür nicht gemacht, ich verbocke es immer. Das ist bei meinen Eltern so. War bei Sanne und Gizem so. Und mit meinem Pony klappt es erst recht nicht.
»Hey, warte!« So schnell ich kann, flitze ich ihm hinterher. Seit ich Ketchup besitze, hat sich meine Bestzeit im Sprinten eindeutig verbessert. Dabei habe ich es nicht mit Leichtathletik, sondern bin eher der Typ Primaballerina. Auch wenn ich auf den ersten Blick nicht so aussehe, kann ich mich drehen und verbiegen wie ein Zweiglein im Wind, grazil und anmutig bis in die Fußspitzen, ich tanze für mein Leben gern. Leider war mein Ballettlehrer Giuseppe da ganz anderer Meinung und hat meinen Eltern geraten, mich lieber fürs Töpfern anzumelden. Was zur Folge hatte, dass ich mittlerweile gar keinen Sport mehr mache. Und jetzt zwei Ponys besitze, wovon eines zu meinem Personal Trainer geworden ist …
Diesmal trabt Ketchup in die andere Richtung zur Wiese mit dem Elektrozaun, wo die edlen Turnierpferde zur Erholung grasen dürfen. Ich sehe ihn schon die Herde aufmischen, doch als ich näher komme, traue ich meinen Augen kaum: Wie auch immer es Ketchup über oder unter den Elektrozaun geschafft hat, er steht steif und starr wie ein Pferdedenkmal auf der Weide.
Was hat er vor?, überlege ich, während sich mein Atem langsam wieder beruhigt.
Da entdecke ich, was Ketchups Aufmerksamkeit auf sich zieht, genauer gesagt: wer.
Mitten auf der Weide steht ein safrangelbes Pferd und leuchtet wie die Sonne.
Ich verstehe nicht viel von Pferden. Aber dieses Tier ist etwas Besonderes, das kapiere ich sofort. Es hat eine unbeschreiblich vornehme Ausstrahlung, ganz aristokratisch, als würde es in Bridgerton mitspielen. Und sieht gleichzeitig zum Piepen aus, denn es hat die ulkigsten Ohren, die man sich vorstellen kann. Wie zwei zueinandergedrehte Mondsicheln sehen sie aus. Okay, Ausnahmen kommen in den besten Familien vor, selbst der attraktivste Mensch hat irgendeine Macke und wenn’s der krumme Fußzeh ist.
»Neben so einer Schönheit kannst du nur verblassen, Ketchup. Vergiss es, der interessiert sich nicht für dich. Du bist ein Schimmel mit lauter roten Flecken. Superschmutzig und ohne Manieren! So ein Edelpferd wird nie dein Freund. Mach dir nichts draus, dafür hast du gerade Ohren«, rufe ich. Doch mein Pony hört mich nicht, wie angewurzelt steht es da und beobachtet das fremde Pferd. Ich auch. Gebannt schaue ich zu, wie Ketchup jetzt den Kopf in die Luft hebt, sein Maul öffnet und die Zunge nach oben streckt. Dann lässt er ihn wieder sinken und schüttelt dabei seine Mähne – als lache er sich kaputt.
»Du hast sie echt nicht mehr alle! Das gehört sich nicht! Jeder ist anders!« Ich pruste los.
»Mach dich nicht lustig, das soll so sein«, erklärt mir die Jungsstimme von vorhin.
»Du musst es ja wissen«, schnaube ich und drehe mich zu ihm um. Da haut es mir zum zweiten Mal an diesem Tag den Boden unter den Füßen weg.
Trainingsziel: dieses Trainingstagebuch schreiben
Moodtracker: Kein Bock. Aber so was von.
Essen: Burger, Chicken und Omis Linsencurry
Extraportion: Apfel
Sleep: 4 hrs
Highlight: 4 in Mathe
Shit happens: mobile Daten aufgebraucht
Pferd: Tiger ist ein Sofa! Love him so much!
Note of the day: Von nichts kommt nichts, sagt Omi immer und da musste ich ihr ausnahmsweise recht geben. Die neue Voltigiertrainerin vom Waldhof, Rika, hat mir den Floh ins Ohr gesetzt, mich für das Nachwuchskader zu bewerben und am Eignungstest für Voltigieren teilzunehmen. Schließlich trainiere ich in der Leistungsgruppe auf dem Waldhof. Auf Tiger, Fuchswallach und bestes Voltipferd aller Zeiten: Eins-a-Charakter, Eins-a-Galoppade, nicht zu groß und nicht zu klein.
Das bedeutet in den nächsten Wochen und Monaten neben dem üblichen Leistungsdruck eiserne Disziplin, was Fitness, Essen und Trainingseinheiten betrifft. Und dieses Tagebuch schreiben. Ich soll meine Erfolge dokumentieren, damit sie mich motivieren. Könnte auch eine von Omis indischen Weisheiten sein. Hat nicht Buddha auch immer solche Motivationssprüche gebracht? Oder war das Konfuzius?
Als ob ich ständig aufschreiben würde, was ich wann wie tue und wann wie zu mir nehme. Bin doch nicht mein Bruder. Der hat eine Fitnessapp, die jeden Pups und jede Bewegung samt Kalorienverbrauch misst, alles von seiner Uhr am Handgelenk aus. Sie piept, wenn Josha mit zu hohem Puls trainiert, sie piept, wenn er zu wenige Schritte geht, sie piept, wenn er trinken muss … sie piept immer und bei ihm piepts auch.
Ich weiß auch ohne Piep und Tagebuch, dass ich fit sein muss, wenn ich leichtfüßig aufs Pferd springen und meine Kür absolvieren will. Zum Glück sehe ich nicht aus wie Buddha – Speckröllchen sind mir bei den Sit-ups noch nie im Weg gewesen. Außerdem ist mein Gewicht aktuell meine geringste Sorge. Denn ab heute muss ich mich nicht nur um meine Sportkarriere kümmern, sondern um Shivo. Alles nur, weil Omi meint, zu einem richtigen indischen Jungen gehöre auch ein indisches Pferd. Ein Marwari. Was sonst?! Zudem stellt sich mir die Frage: Was ist ein richtiger Junge?
Sonnenstrahlen quetschen sich durch die Schlitze der Jalousie und lassen die Staubkörner in meinem Zimmer funkeln. Während draußen das schönste Sommerwetter vom Himmel scheint, sitze ich wie Kaspar Hauser im Dunkeln und muss das Licht anschalten, weil der Rollladen kaputt ist. Und weil ich mal wieder Hausarrest habe, denn ich bin eine Stunde zu spät zum Abendessen erschienen. Echt jetzt. Mama ist so was von oldschool. Da wäre ich ja fast noch lieber im Stall bei meinem durchgeknallten Pony, dort gibt es wenigstens etwas zu lachen. Was für eine Energieverschwendung, mitten am Tag die volle Beleuchtung zu haben! Das kann ich echt keinem erklären, meiner exbesten Freundin Sanne erst recht nicht. Die ist jetzt Bestie mit Gizem und Klimaaktivistin, fehlt bei keiner Fridays-for-Future-Demo und macht mir jedes Mal die Hölle heiß, wenn meine Mutter mich mit dem SUV zur Schule bringt. Überhaupt ist sie auf meine Eltern nicht gut zu sprechen, aber da sind wir schon zu zweit.
Ich habe auch ein gigantisches Problem damit, dass Papa nie zu Hause ist und sein ökologischer Fußabdruck deshalb ins Unendliche wächst, weil er ständig zwischen Amerika und Deutschland hin und her fliegt. Und ich habe am helllichten Tag meine Schreibtischlampe an und quäle mich durch die Deutschhausaufgaben.
Der Gottschalk hat sich in das Thema »Tagebuch« verliebt, er schwärmt pausenlos von der Autobiografie seines Namensvetters. Gruselig. Als ob sich jemand für einen alten Mann interessiert, dessen Witze niemanden zum Lachen bringen. Wegen ihm sitze ich jetzt hier und soll autobiografische Notizen über mein Leben machen. Hey, bin ich mit dreizehndreiviertel nicht zu jung dafür? Laut Definition ist eine Autobiografie die Darstellung des eigenen Lebens im fortgeschrittenen Alter. Ich habe vielleicht fortgeschrittene Kilos, aber das war’s dann schon. Und den Gottschalk gehen meine Gefühle und Gedanken überhaupt nichts an, schließlich sind sie privat und geheim. Außerdem steht mein Leben gerade Kopf und ich tappe völlig im Dunkeln – haha –, was meine Zukunft betrifft. Wie soll ich da irgendetwas Geordnetes zu Papier bringen? Um eine Autobiografie zu schreiben, müsste ich erst mal ein geordnetes Leben führen.
Früher war das alles nicht so kompliziert. Habe ich gerade »früher« geschrieben? Vielleicht bin ich doch schon alt, senil und weise … also, vor der Sache mit dem Rollladen war alles anders, da schien die Sonne in mein Zimmer und in mein Leben und auch Sanne meinte, da könnte man glatt neidisch werden, so was wäre ja wohl nicht selbstverständlich, dass die Eltern nicht geschieden sind. Klamotten, so viele ich wollte, Sneaker dazu und natürlich ein eigenes Zimmer mit allem Pipapo samt Laptop, Handy und In-Ears. Sanne hat vier Geschwister, davon zwei mit Stief-Bindestrich, und ist verflucht, alles zu teilen. Zum Glück ist sie die Älteste und muss wenigstens nicht die Kleider der anderen auftragen.
Ich habe nicht verstanden, was Sanne meint. Bis letzte Woche, als der Rollladen sprichwörtlich runtergekracht ist und jetzt repariert werden muss. Am selben Tag hat Papa meiner Mutter eröffnet, dass er für seine Firma in San Francisco einen Managerauftrag durchführt und die nächsten Monate dort leben wird. Ich habe gleich mal geschaut, das ist fast neuntausend Kilometer weit weg, also tausendmal weiter, als Flugzeuge hoch fliegen. Mama hat einen mittleren Nervenzusammenbruch bekommen. Einen mittleren nur, weil sie seit Neuestem Yoga macht und ständig OMMM brummt. Da können schlechte Nachrichten gar nicht erst in Resonanz gehen, sie verflüchtigen sich sofort im Raum und reisen auf der Energiewelle in den Orkus.
Ich bin immer noch total geschockt und möchte mich am liebsten bis in alle Ewigkeit in meinem dunklen Zimmer vergraben. Papa ist weg, das muss ich erst mal verdauen. Okay, in letzter Zeit habe ich ihn sowieso kaum gesehen. Mal am Wochenende beim Frühstück oder abends müde auf dem Sofa. Während Sanne erzählt, dass ihr Vater und sie jede freie Minute gemeinsam verbringen und auf Fridays-for-Future-Demos gehen, bin ich es seit einigen Jahren gewöhnt, ohne Papa zu sein. Ihn interessiert nur, dass mein Handy den günstigsten Vertrag hat, ob meine Englischnote »Sehr gut« ist und ich nicht mit irgendwelchen Pennern abhänge (echt, das hat er so gesagt). Deswegen hat er vor ein paar Wochen, ohne mich zu fragen, die Ponys gekauft, damit er weiß, dass ich meine Freizeit sinnvoll verbringe.
Andere Mädchen in meinem Alter würden vor Freude herumtanzen.
Ich hätte lieber einen Vater, der bei mir zu Hause wohnt, statt Bob und Ketchup im Stall. Und eine Mutter, die sich nicht die Birne mit Räucherstäbchen vernebelt, sondern einen klaren Blick auf die Dinge hat. Mama benimmt sich total unemanzipiert, sie hat noch nicht einmal einen Teilzeitjob. Lohnt sich alles nicht, sagt sie. Neulich hat sie mir vorgerechnet, wie viel Steuern sie sonst zahlen müsste, und aufgezählt, wie viele Stunden sie täglich mit Care-arbeit verbringt. Als ich klein war, hat sie viel mit mir gespielt, wir haben gebacken und gebastelt und ich durfte ihre Schminksachen ausprobieren. Da fand ich es toll, dass sie nur für mich da war und immer Zeit für mich hatte. Zwei Mal in der Woche hat sie mich zum Ballettunterricht gebracht, mir beim Umziehen geholfen und bei jeder noch so missglückten Aufführung Beifall geklatscht. Jetzt ist sie da und doch nicht da. Denn Mama hat Yoga für sich entdeckt.
»Das beruhigt und erdet mich«, behauptet Mama, macht ihre Mudras und verzieht sich bei jeder Gelegenheit auf ihr Meditationskissen.
Ich glaube ihr kein Wort. Durch die Wände unseres Bungalows höre ich sie nämlich aufgeregt mit ihrer Freundin telefonieren und manchmal sogar weinen. Auch jetzt wieder. Wahrscheinlich erzählt sie ihr gerade, was Papa für ein Egoistenschwein ist, der nur an sich und seine Firma denkt und seine Familie längst vergessen hat.
Mein Papa ist kein Schwein, er ist mein Papa, denke ich trotzig. Entnervt schließe ich die Augen, versuche, das Stimmengekreische von nebenan zu ignorieren und meine Aufmerksamkeit auf meine Atmung zu lenken. Achtsamkeitsübungen dieser Art kenne ich schon seit dem Kindergarten, da hatten wir so einen Kurs. Einatmen und bis dreißig zählen, aaaaaah, und den Atem wieder rauslassen, puuuuuh. Steht sogar in meinem Portfolio, das ich als leistungsgedrücktes Kind führen muss.
Tatsächlich gelingt es mir und ich komme zur Ruhe, spüre, wie die Gedanken aus der Dunkelheit ins Licht gleiten und mich die Erinnerung einholt. Ich stehe wieder auf der Weide, das safrangelbe Pferd schaut mich an, wackelt mit den Ohren und sein Besitzer lächelt mir zu wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht.
Ketchup ist schockverliebt, war ja nicht anders zu erwarten. Als ich am nächsten Tag in den Stall komme, muss ich gar nicht lange suchen: Mein Pony ist wieder auf der Koppel bei dem safrangelben Neuling und benimmt sich wie ein Musterschüler. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit galoppiert er nicht quer über die Wiese und mischt die Truppe Edelpferde auf. Stattdessen steht er einfach nur andächtig und in gebührendem Abstand vor der Pferdeschönheit unter dem schattigen Baum – und macht einen Knicks in seine Richtung, ich schwöre.
Ich habe noch nicht herausfinden können, ob es sich bei dem Sichelohrenpferd um eine Stute oder einen Wallach handelt. Eigentlich ist es egal, aber beschäftigen tut es mich trotzdem. Fran haben wir auch alle erst für einen Jungen gehalten, bis sie damit herausgerückt ist, dass sie ein Mädchen ist. Fran ist Lillys Freundin und geht auf dem Waldhof ein und aus, seit ihre Mutter ihr endlich das Reiten erlaubt hat. Bei mir ist es umgekehrt, meine Eltern zwingen mich förmlich zum Reiten. Ich wünschte, Mama und Papa wären damals über ihren Schatten gesprungen und hätten mich weiter Ballettstunden nehmen lassen. Angeblich wollten sie nur das Beste für mich, in Wahrheit haben sie sich für ihre untalentierte Tochter geschämt und sie zum Ausgleich mit Geschenken überhäuft.
Gedankenverloren schlendere ich zurück in die Stallgasse. Ketchup hat also eine neue Lieblingsbeschäftigung gefunden und zur Abwechslung muss ich mich mal nicht um ihn kümmern. Vielleicht entdecke ich ja diesen süßen Typ von gestern. Wenn sein Pferd auf der Weide ist, kann er nicht weit sein.
Möglichst unschuldig schiele ich in eine offene Box. Doch da ist nur Fran, die gerade Frodos Schweif in eine kunstvolle Flechtfrisur verwandelt.
Lilly kommt mit zwei vollen Futtereimern ums Eck. »Falls du dein verrücktes Pony suchst …«
»Schon gefunden. Er ist heute brav, keine Sorge.« Wenn ich tief Luft hole und mich auf die Zehenspitzen stelle, bin größer als sie. »Aber ich wollte auch mal wieder nach Bob sehen. Wenn ihr sie gerade als Amme entbehren könnt …«
»Hey, sie hat sich den Job immerhin selbst ausgesucht.« Lilly verzieht ihr Gesicht. »Im Ernst, ich bin froh, dass sich Pünktchen so gut mit Bob versteht. Du hättest die beiden mal vorhin am Weiher erleben sollen …« Bei dem Wort Weiher stockt sie kurz und Fran greift mitfühlend nach ihrer Hand.
Bevor es zu gefühlsduselig wird, verabschiede ich mich mit einem Winken von den beiden. Im Moment brauche ich selbst jemanden, der mich tröstet und nicht noch mehr Drama in mein Leben bringt. Dass Lillys Ponys damals im See ertrunken sind, tut mir furchtbar leid, aber wir sind nicht so eng befreundet, dass ich bei diesem Thema mitreden könnte. Eve hat seit dem Unglück einen großen Bogen um Pferde gemacht. Doch zum Glück haben sich die beiden Schwestern vor ein paar Wochen ausgesöhnt und Eve reitet sogar wieder.
Unschlüssig trödele ich weiter durch die Stallgasse und ziehe mein Handy aus der Hosentasche. Mal sehen, ob Eve ein neues Video online gestellt hat, ich liebe ihre Schminktutorials.