Mein Pickel und ich - Ilona Einwohlt - E-Book

Mein Pickel und ich E-Book

Ilona Einwohlt

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Beschreibung

Als Sina eines Tages ihren ersten Pickel entdeckt, ahnt sie das Schlimmste: P wie Pubertät ist angesagt! Und es kommt bald noch übler. Nach den Pickeln tauchen auch die ersten Busenknubbel auf und die Periode kündigt sich an! P wie Panik? Keine Spur! Mit viel Witz erzählt Sina von ihrem hormonverwirbelten Leben und von den kleinen und großen Katastrophen in dieser spannenden Zeit.

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Seitenzahl: 218

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Mein Pickel und ich

ILONA EINWOHLT

 

 

 

 

 

Das gleichnamige Hörbuch ist bei Arena audio erschienen.

 

 

 

 

Ilona Einwohlt, geboren 1968, hat sich mit ihren Mädchenratgebern längst einen Namen gemacht – nicht zuletzt deshalb, weil sie mit ihrem locker-einfühlsamen Ton über Themen schreibt, die Mädchen wirklich interessieren. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Darmstadt. Mehr über die Autorin unter www.ilonaeinwohlt.de

 

 

 

FÜR M., I. & J.

1. Auflage als Arena-Taschenbuch 2012 © 2008 Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Gesamtgestaltung und Innenillustrationen: knaus. büro für konzeptionelle und visuelle identitäten, Würzburg Einbandillustration: Constanze Guhr Sachillustrationen: Birthe Kipker ISSN 0518-4002 ISBN 978-3-401-80043-1

www.arena-verlag.de Mitreden unter forum.arena-verlag.de

Inhalt

Erstes Kapitel, in dem Sina Pickelforscherin wird

Im Pickel war der Anfang

Wimmerl, Wimmern, Wundern

Voodoo-Wunder

Porentiefe Verstopfung der Gefühle

Zweites Kapitel, in dem Sinas Hormone ins Schwitzen geraten

Voll fettige Haare

Schäm dich nicht

Hänki Pänki mit Stinkepanks

Drittes Kapitel, in dem aus Sinas Rosenmüllerknospen ein richtiger Busen wächst

Ein Knubbel kommt selten allein

Von Melonen, Birnen und Apfelsinen

Husch, husch ins Körbchen

Viertes Kapitel, in dem Sina ihre Erdbeerwochen mit Himbeertee feiert

Rhythmus-Zyklus

Ebbe oder Flut?

PS: PMS und SMS

ERSTES KAPITEL, IN DEM SINA PICKELFORSCHERIN WIRD

Im Pickel war der Anfang

Im Pickel war der Anfang. Rot, hügelig und eitrig leuchtete er plötzlich auf meiner Stirn und signalisierte allen, die es wissen wollten oder nicht: Sina ist in der Pubertät! Schreck, Kotz, Krise! Ehrlich gesagt und unter uns: Ich fühle mich mit elfeinhalb noch viel zu jung dazu! Ich weiß ja nicht, wie es dir so geht, aber Pickel sind doch was für Mädchen mit Busen, die über Jungs tuscheln und heimlich während des Unterrichts Briefchen schreiben. Klar schreibe ich auch Briefchen, aber höchstens mal mit meiner besten Freundin Kleo-Dorothea, weshalb uns unsere Klassenlehrerin Frau Tuszynski schon tausendmal ermahnt und seit Neuestem sogar auseinander gesetzt hat. Und so Makro-Knubbel habe ich auch, aber die zählen nicht, auch wenn ich wegen ihnen am Strand ein süßes Blümchenbikinioberteil trage (schließlich bin ich kein Baby mehr, das nur mit Höschen rumläuft). Aber Pickel habe ich noch nie gehabt! Und ich will auch keine haben! Denn als aufgeklärtes Mädchen des 21. Jahrhunderts weiß ich, dass es garantiert nicht bei dem einen bleibt.

Außer Briefchen an Kleo schreibe ich auch fleißig Tagebuch und ab sofort werde ich sehr ehrlich und ausführlich über jeden Pickel persönlich berichten. Denn eins ist so sicher wie Mamas Vorliebe für Leons Sabberküsschen: Mit Pickeln hat man zwar nicht die Pest, ist aber ähnlich gestraft, weil ab sofort alle klar die Zeichen deuten: DIESES Mädchen ist in der Pubertät!

Ich, ganz cool, tue so, als ob das alles nichts wäre, dabei bin ich seit gestern völlig durch den Wind. Ich, Sina Rosenmüller, die kleine, etwas pummelige, zahnspangentragende Sina mit den großen Füßen und der besonderen Vorliebe für Zahlen und Mathematik, habe einen Pickel! Meine Mutter hat beim Frühstück nichts gesagt, aber an ihrem mitleidigen Blick habe ich gemerkt, dass sie mir am liebsten ihr Camouflage-Make-up ausgeliehen hätte. Danke, Mama, so schlimm ist es nun auch wieder nicht! Zum Glück war sie sofort wieder abgelenkt, weil mein kleiner Bruder Leon einen rot blühenden Hautausschlag im Gesicht hatte. Ob ich ihr sagen soll, dass er heimlich ihre Anti-Age-Creme benutzt hat? Leon ist zwar erst vier, aber scheinbar will er forever young an Mamas Rockzipfel hängen. Schadenfroh grinsend habe ich mein Morgenmüsli in mich reingemampft, Leon ist immer für Überraschungen gut. Seit er auf der Welt ist, habe ich glücklicherweise meine Ruhe vor Mamas Behütungsanfällen, dafür werde ich ihm ewig dankbar sein und deshalb darf er auch als Einziger meine Gummibärchensammlung anschauen, natürlich ohne probieren, darauf steht Höchststrafe. Aber Leon ist ein Nervmonster der mutierten Art, und wie er jetzt lauthals rumkräht „Sina hat einen Pickel, Sina hat einen Pickel“, wünsche ich ihm für die Zukunft eine Akne fiesus longus eiterus explosivus.

In der Schule war dann mein Pickel Gesprächsthema Nummer eins zwischen uns Mädchen, Kleo war sogar ein bisschen neidisch. Ich weiß nicht, was es da zu beneiden gibt, wenn einem mitten auf der Stirn so ein Dings prangt und leuchtet wie Rudolphs Rotnase. Aber Kleo ist sowieso ein bisschen weichgespült und in allem, was sie tut, äußerst langsam. Sicher hat sie Angst davor, dass ihre Pickel erst mit fünfundzwanzig sprießen, wo sie in diesem Alter doch als strahlende Braut vor dem Altar stehen will. Das wäre dann sehr unpassend. Meine andere Freundin Julia dagegen hat mir gleich lauter Pickel-Horror-Geschichten von ihrer großen Schwester Ashley erzählt. Milli, mit der ich auch in einer Basketballmannschaft spiele, meinte lapidar, das gehöre halt zur Pubertät dazu und würde irgendwann von selbst vorbeigehen. Und Jolina, die ein Jahr älter ist als wir alle und gerne mit ihren Erfahrungen angibt, hat mich mit schlauen Pflegetipps vollgesülzt, von denen ich nur Crème fraîche und Tütelü verstanden habe. Nichts also, was mir wirklich weiterhilft! Fazit: Wer einen Pickel hat, braucht keine anderen Sorgen! Willkommen in der Pubertät!

Auch heute, am Tag zwei der Pickel-Katastrophe, hatte ich in der Schule wieder das Gefühl, alle würden mich anstarren, als hätte ich die Extrem-Pest, dabei haben einige in unserer Klasse schon eine richtige Streuselkuchenoptik. Außerdem ist der rote Hügel auf meiner Stirn bereits ein winziges Stückchen geschrumpft, auch wenn die Eiterbeule größer geworden ist. Ich habe mir ihn heute Morgen extra ganz genau unter Mamas Vergrößerungsspiegel angeschaut. Eigentlich ein Prachtexemplar, sanft erhaben, gerötet, mit einer Eiterkuppe. So sieht er etwa aus:

Wie ist er überhaupt entstanden? Und wie kriege ich ihn wieder weg? Eiter ist ja eigentlich kein gutes Zeichen, das weiß ich, weil ich mal eine schrecklich vereiterte Knieverletzung hatte. Letztes Jahr, beim Outdoor-Basketballtraining, bin ich volle Lotte aufs Knie geflogen. Beim Verpflastern haben wir scheinbar einige Steinchen übersehen, zumindest dauerte es nicht lange, bis alles schick entzündet war – und heftig vereitert. Mein Vater hat mich sofort zu Doktor Gottstein geschleift und der hat Ewigkeiten daran herumgedoktert, bis der Eiter weg war und das Knie wieder so aussah wie vorher. Zu Doktor Gottstein gehe ich also wegen des Eiterpickels schon mal nicht, so viel ist klar! Aber wieso ist das Megateil jetzt so entzündet?

Ursache für Pickel sind verstopfte Poren, was an der vermehrten Talgproduktion während der Pubertät liegt. Das wiederum liegt an den Androgenen (männliche Hormone, die auch bei Mädchen vorkommen und unter anderem für stabilen Knochenbau und straffes Bindegewebe sorgen) und ist je nach Veranlagung unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Haut erscheint fettig und glänzend, es bilden sich Pickel und Mitesser. Um den Fettpfropfen in der Pore abzustoßen, holt sich die Haut Bakterien zu Hilfe, die das umliegende Gewebe weich machen: Es bildet sich Eiter bzw. ein Eiterpickel – der ganze Mist eitert und flutscht raus! So können aus harmlosen Pickelchen dicke, fette Eiterpusteln entstehen. Dabei gibt es drei Ausprägungen:

1. Talgüberproduktion: Die Haut glänzt stark.

2. Talgüberproduktion mit Verhornungsstörung: Die Haut glänzt stark und hat schwarze und weiße Mitesser.

3. Talgüberproduktion mit Verhornungsstörung und Entzündung: Stark glänzende Haut, Mitesser und entzündete Pickel

Hier gibt’s eine vermehrte Talgausschüttung in den Talgdrüsen.

Ein weißer Mitesser entsteht, wenn die Talgdrüsen durch eine übermäßige Produktion von Hornzellen verstopfen.

Ein schwarzer Mitesser entsteht, wenn der Talg durch die Luft oxidiert.

Verstopfte Pore, dass ich nicht lache! Dann mache ich sie eben wieder frei und schon ist er weg, der Pickel. Aber wie? Was ist, wenn ich eine Verhornungsstörung habe? Und was hilft gegen die Entzündung außer Doktor Gottstein? Mir bleibt nichts anderes übrig – ich muss mich wohl selber kümmern und Pickelforscherin werden. Es ist nun mal meine Art, den Dingen gründlich auf die Schliche zu kommen, und deshalb werde ich auch mein Porenproblem bereinigen, im wahrsten Sinne des Wortes. Nur leider, leider muss ich jetzt erst mal ein ordentliches Mittagessen über mich ergehen lassen, bevor ich mich in Ruhe meinem Studium widmen kann. Meine Mutter besteht darauf, dass wir alle nach der Schule gemeinsam am Tisch sitzen, und so gut wie nie verzichtet sie auf ihr Tischlein-Ritual.

„Piep, piep, piep, recht guten Appetit“, kräht Leon und mampft begeistert seine Mini-Pizza, die Mama extra für ihn mit seiner Lieblings-Salami belegt hat. Ich dagegen säbele vorsichtig ein

Stück ab und betrachte angeekelt die Käsefäden, die sich an meiner Gabel entlangziehen.

„Nur zu, Sina!“, ermuntert mich meine Mutter. „Hast du gar keinen Hunger?“ Garantiert hat sie den ganzen Morgen über in der Küche gestanden und diese Mini-Dinger extra liebevoll geknetet und platt gewalzt.

„Mmh, schon …“, antworte ich. „Es ist nur …“ Ob ich ihr sagen kann, dass mich der luftige Hubbel vom Pizzateig an meinen Pickel erinnert? Und der Käse an meine verstopfte Pore? Wohl kaum! Also schlucke ich meinen Ekel runter und beiße tapfer in meine Pickelpizza.

„Na, siehst du“, meint meine Mutter glücklich, um dann selbst, nachdem Leon sich wieder seinem Playmobil-Flugzeug zugewandt hat, seine Pizza-Reste aufzufuttern. Eine Weile essen wir schweigend vor uns hin. „Sina, ich …“ Sie legt energisch ihre Gabel zur Seite, also will sie mir etwas Wichtiges mitteilen. Vielleicht will sie endlich wieder arbeiten gehen und erwartet von mir, dass ich in Zukunft Leon hüte? Seit mein kleiner Bruder auf der Welt ist, gibt sie die Nur-Hausfrau und nervt uns alle damit, weil sie von morgens bis abends ständig am Aufräumen, Einkaufen, Waschen und Kochen ist und keine anderen Themen kennt als Leon, Leon und Leon. Von daher wäre es ein Segen, wenn sie wie andere Mütter endlich wieder arbeiten ginge. „Ich gehe nachher in den Drogerie-Markt“, höre ich sie sagen. „Willst du mit?“ Äh, Drogerie-Markt? Meine Mutter ist Zahnarzthelferin, was will sie denn in einem Drogerie-Markt? „Ich dachte, da können wir mal nach so einer Pickelcreme gucken“, schlägt sie vor und senkt verlegen den Blick, als ob sie mir vorgeschlagen hätte, Spitzenunterwäsche zu kaufen. Daher weht der Wind! Ich höre immer nur Pickel!

„Nicht, dass du so schlimm Akne bekommst wie Paul.“

Von Acne vulgaris [= (all)gemeine Akne] spricht man, wenn zu entzündeten Pickeln auch noch Papeln, Knoten und Pusteln hinzukommen. Da hilft dann der Hautarzt mit speziellen Cremes und Medikamenten. Außerdem gibt es bestimmte Antibaby-Pillen, die zur Behandlung der Akne besonders geeignet sind. Falls du also feststellst, dass deine Pickel mit „normalen“ Anti-Pickel-Cremes nicht verschwinden, lohnt sich ein Besuch beim Haut- oder Frauenarzt, der dich ausführlich berät und dir ein für dich passendes Produkt verschreiben kann.

Paul ist mein großer Bruder, der schon fast volljährig ist und eine Zeit lang ganz fette, fiese Pickel hatte, die sogar vom Hautarzt behandelt werden mussten. Mama hat totalen Stress gemacht deswegen und einen Experten nach dem anderen befragt. Dann ist Paul zum Leidwesen meiner Mutter aus unserem Reihenendhaus zu seinem „echten“ Vater gezogen und sie konnte weder ihn noch seine Akne mehr bemuttern. Jetzt lebt Paul in einer Musiker-WG, trägt nur noch schwarze Klamotten – und hat inzwischen keine Pickel mehr.

Ich nicke ergeben. „Keine schlechte Idee“, sage ich und überlege, ob ich auch nicht lieber in eine WG ziehen soll. „Ist noch von der leckeren Mousse au Chocolat da?“

„An deiner Stelle würde ich jetzt mit Zucker ein bisschen aufpassen“, meint meine Mutter, stellt mir aber die Schüssel hin.

Hä? Was meint sie denn damit? Hat sie etwa Angst, dass ich eines Tages auch so runde Hüften bekomme wie sie? Ich finde, das ist noch lange kein Grund, auf so leckeres Schoko-Zeugs zu verzichten.

„Zucker nährt die Pickel sozusagen“, erklärt sie, während sie das Geschirr in die Spülmaschine sortiert. Wenn sie nicht immer meckern würde, dass ich die Teller falsch einräume, würde ich ihr natürlich auch gerne dabei helfen. Aber gerade habe ich keine Lust auf Anranze und lass es lieber bleiben.

„Von jetzt an solltest du ausgewogener essen. Ich werde mich mal erkundigen und deine Ernährung entsprechend umstellen.“

Oh Mama, lass gut sein! Jetzt mach doch wegen eines Pickels nicht so ein Theater! Aus Trotz löffle ich die ganze Schüssel leer.

Meine Mutter ist echt der Hit! Ein Pickel macht noch keine Pubertät, sagt sie im Auto glatt zu mir, die blöde Kuh, schleppt mich aber prompt in den nächstbesten Drogerie-Markt, um mir eine Anti-Pickel-Creme zu verpassen. In Wahrheit hat sie doch nur Angst vor einer pubertierenden Tochter und will eigentlich einen Anti-Pubertät-Stift, man kennt doch die Geschichten!

Schneewittchen-Konflikt ist ein Begriff aus der Psychoanalyse, nicht aus dem Märchen. Damit gemeint ist der Neid der Mutter auf die heranwachsende, erblühende Tochter, in der sie die Vergänglichkeit ihrer eigenen Schönheit gespiegelt sieht: Spieglein, Spieglein an der Wand … Mit anderen Worten: Deine Mutter merkt anhand deiner Pubertät, wie alt sie tatsächlich ist! Auch wenn es dir schwerfällt, versuche bei all dem Trouble, den ihr habt, auch ein bisschen ihre Position zu verstehen. Du bist jetzt nicht mehr ihr kleines Mädchen …

Mir ist die Lust am Pickelforschen gründlich vergangen, maulend schlurfe ich ihr durch den Laden hinterher, Leon natürlich wie immer im Schlepptau. Ich wäre viel lieber mit Kleo und den anderen zum Outdoor-Training gegangen, wenn ich Glück habe, sind nachher noch ein paar aus meiner Basketballmannschaft da. Außerdem ist mir das ganze Pickelgedöns grässlich peinlich, zumal Mama jetzt mit der blondierten Kassiererin tuschelt. Das hat mir gerade noch gefehlt! Diese intimen Mutter-zu-Mutter-Gespräche über den aktuellen Entwicklungsstand ihrer Töchter! Als ob sie nichts Besseres zu tun hätten, als sich über das Hormonchaos ihrer Kinder auszutauschen! Schwärmt deine schon für Jungs? Sieht man schon was? Hat deine schon ihre Tage? NEIN, aber einen fiesen Pickel! Vor mich hin grummelnd schlendere ich durch den Markt. Plötzlich bleibt mir die Luft weg. Fasziniert starre ich auf das Regal mit den Hautpflegeprodukten, genauer gesagt, auf die bunten Etiketten, die auf den vielen bunten Flaschen und Tuben prangen: Silber mit orange-gestreift auf grüner Tube, rot-weiß-oval auf blauer Flasche, winzige, silbrig glänzende Abdeckstifte, rosa Tiegel mit Zickzack-Etikett – einfach toll!!!

Vielleicht sollte ich ab sofort Kosmetiketiketten sammeln und nicht mehr Gummibären! Bin mir sicher, Kleo würde sich tierisch freuen, wenn ich ihr meine 133 Gläschen vererben würde. Ich besitze nämlich Gummibären in den verschiedensten Formen und Farben: Flugzeuge, Herzen, Dinos, Autos, Kirschen … mein wertvollstes Gummiteilchen ist eine rosa Rose, die mir mein Onkel Ösi aus Wien mitgebracht hat.

„Na, hast du schon etwas Passendes gefunden?“ Meine Mutter hat sich heimlich angeschlichen und lunst mir über die Schulter. „Wie wäre es denn hiermit?“ Sie hält eine dunkelblaue Flasche hoch. „Pickel-Picker“, liest sie vor und kriegt sich gar nicht mehr ein vor Lachen. Wirklich sehr lustig, Mama! Über deine Q10-Age-Control-Creme mit satiniertem Algenextrakt lästert doch auch keiner, oder?

In diesem Moment höre ich ein lautes Geschrei, das meine geübten Große-Schwester-Ohren sofort als Leons Schmerzgejaule identifizieren. Meine Mutter sprintet bereits Richtung Kinderspielecke, wo mein kleiner Bruder heulend neben dem Holzpferd sitzt und sich die blutende Nase reibt. Natürlich ist der Drogeriebesuch damit gelaufen. Auch gut, dann komme ich eben allein wieder, beschließe ich, und schaue mich dann in Ruhe um – ohne Mamas blödes Gewieher und Leons ohrenbetäubendes Geheule.

 

Wimmerl, Wimmern, Wundern

„Kommst du heute Nachmittag nach dem Training noch mit zu mir?“, will Kleo am nächsten Morgen wissen, als wir unsere Fahrräder wie immer zusammenschließen.

„Äh … ich kann leider nicht“, antworte ich. „Tante Irene und Onkel Ösi kommen nachher.“ Dass ich heute noch mal heimlich und alleine in den Drogerie-Markt will, muss ich ihr jetzt nicht auf die Nase binden. Weil Kleo weiß, wie lieb ich meine Tante und ihren österreichischen Mann habe, glaubt sie mir meine Lügerei unbesehen. Überhaupt ist Kleo eine durch und durch gefühlvolle Seele. Wir kennen uns erst seit der neuen Schule, aber es war Freundschaft auf den ersten Blick. Trotzdem bringe ich es einfach nicht, ihr zu erzählen, dass ich wegen meiner Pickelsorgen heute Nachmittag einfach keine Zeit habe, mit ihr und ihrem Meerschweinchen zu spielen. Ich hatte ja auch mal eins, aber leider ist King Kong letztes Jahr auf unserer Fahrt an die Nordsee ins Armaturenbrett gekrabbelt und nicht mehr herausgekommen. Dazu muss man wissen, dass Papas neuer Family-Van so konstruiert ist, dass nur Original-Werkstattmechaniker das Ding mit Originalwerkzeug auseinanderschrauben können. Und finde mal am Samstagnachmittag in der Ödnis Ostfrieslands eine Vertragswerkstatt! Als sie King Kong endlich rausgefischt haben, war er schon ganz vertrocknet und noch nicht mal mit Nordseewasser wieder zu beleben. Ich muss dir nichts erzählen, die Ferien waren für mich gelaufen. Also, Meerschwein hin oder her – heute muss Kleo alleine die Schweinehüterin machen.

Während des Unterrichts bin ich superunkonzentriert und hibbelig, weil ich die ganze Zeit über an die Pickel-Etiketten denken muss. Blöderweise sind diese Pflegeflaschen so teuer, dass ich mir eine Sammlung glatt abschminken kann. Ob ich mich in meiner Klasse als Etikettensammlerin oute und leere Flaschen von den anderen schnorre? Möglichst unauffällig schaue ich während der Deutschstunde durch die Reihen, wer von meinen lieben Klassenkameraden eventuell bereits solche Pflegeprodukte benutzen könnte.

Meine Freundin Kleo kommt schon mal nicht infrage, die schmiert sich höchstens Nivea ins Gesicht. Ihre Haut ist zart wie einst Leons Babypopo und Marco und Yannis nennen sie manchmal Babybel. Milli, die wie keine andere meine Pässe beim Basketball pariert, interessiert sich mehr für Sport und Pferde. Sie ist so ein richtiges Naturmädel wie aus der Werbung, absolut liebenswert, einfach unkompliziert, da hat sie auch eine unkomplizierte Haut. Julia wäre vielleicht eine gute Adresse, auch wenn sie selbst noch keine Pickel hat. Aber ihre große Schwester ist ein Schmink- und Pickelwunder mit großem Kosmetikverbrauch, da kommen im Monat garantiert einige Etiketten zusammen.

Ich habe gelesen, in Deutschland geben Frauen im Jahr mehr als zwölf Milliarden Euro für Kosmetikprodukte aus! In Ziffern: 12.000.000.000 Euro. Weißt du, wie viele Barbies, Diddls oder ganz einfach nur wie viel Schoko-Eis man davon kaufen kann?! Und: Wie viele Etiketten ungesammelt auf der Müllhalde verenden!?

Auch Jolina hat garantiert eine große Kosmetiksammlung zu Hause, aber die Kuh spreche ich bestimmt nicht an, da verätze ich mir ja meine Zunge! Jolina hat superviele kleine Pickelchen, die unter ihrer dicken Make-up-Schicht kaum auffallen. Sicher hat sie jeden Morgen tierischen Stress, alles zuzukleistern, aber ich finde, das geschieht ihr nur recht. Wer so tussig drauf ist wie sie, darf ruhig jede Menge Pickel haben, da habe ich gar kein Mitleid. Unsere Streberin Melanie brauche ich gar nicht erst zu fragen, die kennt sich bei ihrer üppigen Oberweite sicher nur mit BH-Größen aus. Und Friederike auch nicht, die hat Neurodermitis und ist eher ein wandelndes Medizinlexikon. Na, und dass ich die Jungs deswegen nicht anspreche, ist ja wohl klar! Einige von ihnen sind bereits im Stimmbruch und Marco, Juri und Sebastian haben auch schon einige Pickel auf dem Kinn. Vielleicht sollte ich Anton Killer fragen. Er hat DAS Pickelface in unserer Klasse und kennt sich mit Sicherheit aus. Aber ich kann mit dem doch nicht über Kosmetik oder so was reden! Einzig bei Yannis würde ich mich trauen. Wir sind seit Ewigkeiten Nachbarn, und weil unsere Mütter gut miteinander befreundet sind, treffen wir uns manchmal auf Grillpartys. Wenn ich ihn alleine sehe, ist er ganz nett, aber in der Schule, wenn andere Jungs dabei sind, ärgert er uns Mädchen, wo er nur kann – außer er hat seine Nase mal wieder in so einen Fantasy-Schmöker versenkt.

Später auf dem Weg in den Drogerie-Markt habe ich ein schlechtes Gewissen: Zum ersten Mal seit wir uns kennen, habe ich Kleo angelogen. Warum, weiß ich auch nicht so richtig. Irgendwie will ich dieses Pickelproblem allein lösen. Das muss eine Freundschaft mal aushalten, beruhige ich mich. Immerhin kann ich Kleo dann tausend Tipps geben, wenn sie wider Erwarten doch mal Pickel kriegen sollte. Auch Mama habe ich verschwiegen, dass ich zur Drogerie fahre. Mütter müssen ja nicht alles wissen …

Dann stehe ich vor dem Hautpflegeregal – und kriege die Krise! Schöne Etiketten hin oder her, wofür soll ich mich denn entscheiden? Mal abgesehen davon, dass ich nicht weiß, ob ich ein Waschgel, ein Peeling oder eine Waschemulsion brauche: Welchen Hauttyp habe ich überhaupt? Mischhaut? Trockene Haut? Empfindliche? Brauche ich für einen Pickel gleich tausend Produkte? Also, wenn es nach mir geht: Ich bin ja sehr empfindsam veranlagt, aber so viel Tütelü brauche ich nun auch wieder nicht. Neidisch schau ich einer stark duftenden, gut entwickelten Tussi hinterher, die mit sicherem Griff ein Fläschchen aus dem Regal nimmt und zur Kasse geht. Die kennt ihren Hauttyp … Instinktiv taste ich nach meinem Hubbel, der sich heute viel kleiner anfühlt als gestern. Ich streiche mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, da fühle ich – ALARM! – einen neuen Pickel! Ich hechte zum Spiegel, tatsächlich, da prangt er, genauso rot, hubbelig und eitrig wie mein erster, das erkenne ich selbst im fahlen Neonlicht. Schluck. Also doch die komplette Pflegeserie inklusive Abdeckstift. Fieberhaft studiere ich die Etiketten …

Antibakterielles Waschgel, antibakterielle Waschcreme, antibakterielles Waschpeeling, antibakterielle Reinigungspads – ich versteh nur antibakteriell. Okay, Bakterien sind für Entzündungen und Eiter verantwortlich, also muss man was dagegen tun, logo. Weiter: Klärendes Gesichtswasser für porentiefe Reinigung, tiefenwirksames Anti-Hautunreinheiten-Nacht-Gel, Anti-Nachfettungs-Feuchtigkeitspflege, ausgleichende Creme für Mischhaut. Mal ehrlich: Wüsstest du, was da für dich infrage kommt? Wozu braucht man das alles?

Ein kleiner Pickel gehtmir auf den Nickel, ärgertmich grässlich, fühl mich hässlich, fühl mich klein, steck dich ein!

Und wer kann sich das bloß alles leisten? Mein Taschengeld reicht höchstens für ein Produkt, auf keinen Fall für eine ganze Serie, sprich Waschgel, Gesichtswasser und Pickelcreme. Ich strecke den Zeigefinger aus – und zähle ab.

Mein Finger zeigt auf eine orange-grüne Tube. Soft & Pure, lese ich, reinigt und verfeinert die Poren mit Fruchtsäure. Also, das Etikett sieht schon mal gut aus. Heimlich öffne ich den Klickverschluss. Hmmm, riecht nach Zitrone mit Pfirsich! Wusste gar nicht, dass Porenverfeinern so gut duften kann! Was brauche ich da noch Creme zum Wiederzuschmieren! Wenn verstopfte Poren für Pickel verantwortlich sind, dann müssen sie frei sein! Und eine kleine, süße, verfeinerte Pore kann fast nicht verstopfen, oder? Genialer Trick! Und erschwinglich ist es mit 1,95 Euro auch noch. Zufrieden lasse ich den Verschluss wieder zuschnappen und marschiere Richtung Kasse, wo mich die blondierte Verkäuferin von gestern verschwörerisch angrinst, sich aber glücklicherweise jeden Kommentar verkneift.

Als ich gut gelaunt mit meiner neuen Errungenschaft nach Hause komme, sind tatsächlich Tante Irene und Onkel Ösi da. Heimlich fühle ich nach der Tube in meiner Jackentasche. Die sollen ja nicht wagen, mich auf meinen Pickel anzusprechen! „Hallöchen“, rufe ich so normal wie möglich und will mich an ihnen vorbei in mein Zimmer schleichen. „Ich muss noch Hausaufgaben machen, sorry!“

„Hallo Sina“, ruft Tante Irene. „Willst du dich nicht zu uns setzen? Wir haben dir extra zwei Erdbeertörtchen aufgehoben!“ Falle! Was bleibt mir anderes übrig, als zu ihnen in die Küche zu gehen! Wenn ich so tun will, als sei alles normal, muss ich auch wie immer Erdbeertörtchen essen. Und ehrlich gesagt: Tante Irenes Erdbeertörtchen auszuschlagen, das bringe ich dann doch nicht. „Gerne!“, höre ich mich sagen und schon sitze ich zwischen den beiden auf der Bank. Erdbeertörtchen sind Irenes Spezialität, auch wenn es sich hierbei ausnahmsweise nicht um ein österreichisches Rezept handelt. Ich grinse sie an und nehme dankbar den üppig beladenen Teller entgegen.

„Na, host a Wimmerl“, meint Onkel Ösi dann prompt und zwickt mich neckisch in die Wange.

Das musste ja kommen! „Lass doch“, wehre ich ihn ab. Wimmerl! – Mir ist eher nach Wimmern zumute. Sonst finde ich ihn immer superwitzig, aber heute gehen mir seine Ösi-Sprüche grässlich auf den Geist.

„Mach dir nichts draus“, tröstet mich Irene,„wenn du die Pubertät überstanden hast, sind diese Pickel auch wieder verschwunden.“ Und da war es wieder, dieses P-Wort!

„Sina tut ja auch nichts dagegen“, sagt meine Mutter mit vorwurfsvollem Blick. „Sie könnte ihre Haut viel besser pflegen.“ „Ach ja?“ Wütend funkle ich sie an. Die Lust auf Erdbeertörtchen ist mir plötzlich vergangen. Da hat man mal einen Pickel und schon ist man Gesprächsthema Nummer eins beim Kaffeekränzchen! Erst macht sie mich heiß und schleppt mich in die Drogerie und dann lässt sie mich mit diesem gigantischen Berg an Pflegezeugs alleine, weil sie sich mal wieder um den kleinen, lieben, süßen Leon kümmern muss. Weiß ich, welcher Hauttyp ich bin? Weiß ich, welcher Pflegetyp ich bin? Weiß ich, wer ich überhaupt bin? Meine gute Laune von gerade eben ist futsch und ich rausche ohne ein weiteres Wort von dannen …

Später im Bad dann teste ich meinen Fruchtcocktail und verteile das Gel großzügig schäumend laut Gebrauchsanweisung auf meinem Gesicht. Ich rubbel und schrubbel und spüle sämtliche Verstopfungen mit viel lauwarmem Wasser weg. Goodbye! Dann trockne ich mein Gesicht ab – und fühle mich so sauber wie noch nie in meinem Leben. Strahlender Teint, wer sagt es denn. Meine Pickel sind davon zwar nicht verschwunden, aber ich bin mir sicher: Jeder neue Pickel wird es sich gut überlegen, ob er sprießen oder den Fruchtschrubbertod sterben will! Also, klare Sache: Das mache ich ab heute mindestens zweimal am Tag! Vor dem Einschlafen blättere ich dann noch in so einer Mädchenzeitschrift, die ich entgegen meiner Gewohnheit vorhin noch im Drogerie-Markt gekauft habe. Sonst lese ich ja immer pädagogisch wertvolle Bücher, aber die Überschrift „Welcher Pflegetyp bist du?“ hat mich dermaßen kalt erwischt, dass ich einfach nicht anders konnte. Bis ich aber zu dem entsprechenden Test komme, lese ich mich erst mal an einem Artikel über Stylingtipps fest. Pimp deine Strumpfhose!