Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Bestsellerautorin Marion Zimmer Bradley ("Die Nebel von Avalon") hat mit dem opulenten Darkover-Zyklus eine einzigartige Romanreihe geschaffen: Die fesselnde Geschichte einer geheimnisvollen fremden Welt und ihrer Bewohner ist Kult! Seit jeher wird Darkover vom Waldläuferfieber geplagt – einer Krankheit, die von den Waldläufern, die auf Darkover mit den Menschen zusammen leben, übertragen wird. Daher sendet man Dr. Jason Allison in das entlegene Gebiet der Waldläufer, um ein Serum aus dem Blut der anderen Rasse, die gegen das Fieber immun ist, zu entwickeln. Dr. Allison wurde jedoch nicht ohne Grund ausgewählt: Nach einem tragischen Unfall in seiner Kindheit, bei dem die Eltern ums Leben kamen, wuchs er bei den Waldläufern auf und kennt diese besser als irgendjemand sonst. Allerdings hat Dr. Allison seine Erinnerungen verdrängt – und dennoch ist er der Schlüssel zu den Verhandlungen mit den geheimnisvollen Waldläufern...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 274
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Marion Zimmer Bradley
Das Schwert des Aldones
Ein Darkover Roman
Copyright dieser Ausgabe © 2014 by Edel eBooks, einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg. Copyright © 1962 by Marion Zimmer Bradley Copyright First german Edition © by Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München. Die Originalausgabe erschien 1962 unter dem Titel "The Sword of Aldones" Ins Deutsche übertragen von Rosemarie Hundertmarck Trotz intensiver Recherche war es dem Verlag nicht möglich, den Rechteinhaber der Übersetzung zu identifizieren bzw. einen Kontakt herzustellen. Wie bitten den Übersetzer bzw. seinen Nachfolger, sich ggf. beim Verlag zu melden.
Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München
Konvertierung: Datagrafix
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
ISBN: 978-3-95530-587-1
edel.com
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Wir überholten die Nacht.
Die Southern Cross war um Mitternacht auf Darkover gelandet. Dort hatte ich das terranische Flugzeug bestiegen, mit dem ich den halben Planeten umrunden würde. Erst eine Stunde war vergangen, und schon zeigte die dünne Luft die ersten Spuren der Morgenröte. Der Boden unter meinen Füßen kippte leicht, als die große Maschine sich auf den Westrand der Hellers niedersenkte. Gipfel auf Gipfel verschwand hinter uns. Wir durchflogen die spärlichen Wolken oberhalb der Schneegrenze. Schon begann ich, nach Landmarken Ausschau zu halten, obwohl ich wußte, daß wir zu hoch waren.
Sechs Jahre lang hatte ich mich in einem halben Dutzend Sternensystemen herumgetrieben, und nun kam ich wieder nach Hause. Aber ich empfand nichts. Kein Heimweh. Keine Aufregung. Nicht einmal Groll. Ich hatte Darkover nicht Wiedersehen wollen. Andererseits war mir Darkover so gleichgültig geworden, daß es mir nicht der Mühe wert gewesen war, mich zu weigern.
Vor sechs Jahren hatte ich den Planeten mit der Absicht verlassen, nie mehr zurückzukehren. Die dringende Botschaft des Regenten war mir von Terra nach Samarra und von da nach Vainwal gefolgt. Es kostet eine Menge Geld, eine Nachricht an eine Privatperson durch den Raum zu schicken, auch über das terranische Relais-System, und der alte Hastur – Regent des Comyn, Herr der Sieben Domänen – hatte keine Wörter für Erklärungen verschwendet. Es war einfach ein Befehl gewesen. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, warum sie mich zurückhaben wollten. Sie waren alle froh gewesen, mich los zu sein, als ich ging.
Ich wandte mich von dem heller werdenden Fenster ab, schloß die Augen und preßte meine gute Hand an die Schläfe. Die interstellare Reise war wie immer unter schweren Sedativen erfolgt. Die Wirkung des Medikaments, das der Schiffsarzt mir gespritzt hatte, ließ jetzt langsam nach; die Müdigkeit schwächte meine Barrieren, und ein quälendes telepathisches Gemurmel drang in meinen Geist ein.
Ich fühlte förmlich, wie die anderen Fluggäste mich heimlich anstarrten – wegen meines narbenbedeckten Gesichts, wegen meines Arms, der am Handgelenk in einem umgeschlagenen Ärmel endete, aber hauptsächlich deswegen, was und wer ich bin. Ein Telepath. Eine Abnormität. Ein Alton, Angehöriger einer der Sieben Familien des Comyn, der erblichen Autarchie, die Darkover schon regierte, lange bevor unsere Sonne zu Rot verblaßte.
Und doch dieser Kaste nicht ganz zugehörig. Mein Vater Kennard Alton – jedes Kind auf Darkover konnte die Geschichte erzählen – hatte etwas Schockierendes, beinahe Schimpfliches getan. Er hatte mit einer ehrenhaften Laran-Heirat eine Terranerin zur Frau genommen, verwandt mit den verhaßten Imperiumsleuten, die die zivilisierte Galaxis überrannt haben.
Er war damit durchgekommen, weil er stark war. Man hatte meinen Vater im Comyn-Rat gebraucht. Nach dem alten Hastur war er der mächtigste Mann im Comyn gewesen. Es war ihm sogar gelungen, dem Comyn meine Wenigkeit in den Hals zu stopfen. Aber sie waren alle froh gewesen, als ich Darkover verließ. Und jetzt war ich wieder da.
Auf den Sitzen vor mir saßen zwei professorenhaft wirkende Erdmänner, wahrscheinlich Forscher, die auf Urlaub von ihrer Vermessungs- und Erkundungsarbeit waren. Sie diskutierten die bärtige Frage des Ursprungs. Der eine verteidigte stur die Theorie der Parallel-Evolution, der andere die Lehre, irgendein alter Planet – vorzugsweise die Erde selbst – habe die ganze Galaxis vor einer Million Jahren kolonisiert. Ich konzentrierte mich auf ihr Gespräch und versuchte, von den neugierigen Blicken rings um mich keine Notiz zu nehmen. Telepathen fühlen sich in Menschenmengen nie wohl.
Der Anhänger der Verbreitungslehre brachte all die alten Argumente für ein vergessenes Zeitalter der Sternenreisen vor, und der andere Mann führte die nichtmenschlichen Rassen und die unterschiedlichen Kulturniveaus auf jedem beliebigen Planeten ins Treffen.
»Darkover zum Beispiel«, dozierte er. »Der Planet befindet sich immer noch im frühen Stadium einer feudalen Kultur und versucht, den Zusammenstoß mit dem Terranischen Imperium zu verkraften ...«
Ich verlor das Interesse. Man konnte nur darüber staunen, wie viele Terraner Darkover immer noch für einen feudalen oder barbarischen Planeten hielten. Und das nur, weil wir gegen importierte terranische Maschinen und Waffen nicht etwa Widerstand leisten, sondern einfach gleichgültig sind. Wir ziehen es vor, auf Pferden und Maultieren zu reiten, statt Zeit auf den Straßenbau zu verwenden. Und die Darkovaner, gebunden durch einen in alter Zeit abgeschlossenen Vertrag, wollen das Risiko nicht eingehen, daß die Tage der Kriege und des Massenmordes mit Feiglingswaffen zurückkehren. So lautet das Gesetz auf allen Planeten der Darkovanischen Liga und allen zivilisierten Welten außerhalb derselben. Wer töten will, muß sich selbst in Lebengefahr begeben. Auf Terra hatte ich gehört, daß man herabsetzend über den Duell-Kodex und das feudale System sprach. Ja, ist es nicht zivilisierter, einen persönlichen Feind im Nahkampf mit einem Schwert oder Messer zu töten, als tausend Fremde aus sicherer Entfernung umzubringen?
Die Bevölkerung Darkovers hat sich weniger als die meisten anderen von dem Glanz des Terranischen Imperiums blenden lassen. Ich bin auf fremden Planeten gewesen, und ich habe gesehen, was aus den Welten wurde, sobald die Erdmänner kamen und die Verlockungen einer sternenumspannenden Zivilisation mitbrachten. Sie unterwerfen sich neue Welten nicht mit Waffengewalt. Der Erdmann kann es sich leisten, ruhig abzuwarten, bis die einheimische Kultur unter dem Impakt zusammenbricht. Sie warten, bis der Planet inständig darum bittet, in das Imperium aufgenommen zu werden. Und früher oder später tut der Planet das auch – und wird ein weiteres Glied in der riesigen, überzentralisierten Monstrosität, die Welt nach Welt verschluckt.
Hier war das noch nicht geschehen.
Von einem der vordersten Sitze im Abteil erhob sich ein Mann und kam zu mir. Ohne um Erlaubnis zu fragen, schwang er sich auf den leeren Platz neben mir.
»Comyn?« Doch es war keine Frage.
Der Mann war hochgewachsen und schmal, ein Berg-Darkovaner, ein Cahuenga aus den Hellers. Sein Blick verweilte einen Augenblick länger, als es höflich gewesen wäre, auf den Narben und dem leeren Ärmel. Dann nickte er.
»Dachte ich’s mir doch. Ihr seid der Junge, der in die Sharra-Sache verwickelt war.«
Ich fühlte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg. Sechs Jahre lang hatte ich mich bemüht, die Sharra-Rebellion zu vergessen – und Marjorie Scott. Die Narben trug ich für immer. Verdammt noch mal, wer war dieser Mann, daß er es wagte, mir das alles ins Gedächtnis zurückzurufen?
»Was ich auch war«, entgegnete ich kurz, »ich bin es nicht mehr. Und ich erinnere mich nicht an Euch.«
»Ihr wollt ein Alton sein?« spöttelte er.
»Ungeachtet aller Horrorgeschichten«, erklärte ich, »laufen Altons nicht herum und lesen so ganz nebenbei Gedanken. Erstens ist das schwere Arbeit. Zweitens sind die Gedanken der meisten Menschen zu voll von Schmutz. Und drittens«, setzte ich hinzu, »sind sie uns einfach gleichgültig.«
Er lachte. »Ich habe auch nicht erwartet, daß Ihr mich erkennt. Als ich Euch zuletzt sah, wart Ihr betäubt und deliriertet. Ich sagte Eurem Vater, diese Hand werde letzten Endes doch amputiert werden müssen. Es tut mir leid, daß ich damit recht hatte.« Es klang nicht so, als ob es ihm leid tue. »Ich bin Dyan Ardais.«
Jetzt erinnerte ich mich halbwegs wieder an ihn. Er war ein Berglord aus dem hintersten Winkel der Hellers. Die Altons und die Männer von Ardais haben nie viel Sympathie aneinander verschwendet, auch im Comyn nicht.
»Ihr reist allein? Wo ist Euer Vater, junger Alton?«
»Mein Vater ist auf Vainwal gestorben«, antwortete ich kurz.
Seine Stimme hörte sich wie ein Schnurren an. »Dann seid willkommen, Comyn Alton!« Der zeremonielle Titel traf mich wie ein Schock, als er ihn aussprach. Er blickte zum Fenster.
»Gleich landen wir in Thendara. Wollt Ihr mit mir reisen?«
»Ich rechne damit, abgeholt zu werden.« Das tat ich nicht, aber ich hatte keine Lust, diese Zufallsbekanntschaft fortzusetzen. »Dann treffen wir uns im Rat«, sagte er und setzte mit lässiger Eleganz hinzu: »Oh, und gebt gut acht auf Eure Habseligkeiten, Comyn Alton. Zweifellos gibt es solche, die die Sharra-Matrix gern wieder an sich brächten.«
Er machte kehrt und ging, und ich blieb sprachlos vor Schreck zurück. Verdammt! Hatte er meine Gedanken durchforscht? Woher sollte er es sonst wissen? Der dreckige Cahuenga! Da ich immer noch unter Prokalamin-Einfluß stand, konnte er meine telepathischen Barrieren überwinden und sich wieder zurückziehen, bevor ich etwas davon merkte. Aber würde sich einer vom Comyn so weit erniedrigen?
In meiner Wut wollte ich hinter ihm herlaufen, wurde jedoch mit einem Ruck auf meinen Sitz zurückgeschleudert. Wir verloren schnell an Höhe. Das Zeichen, die Sicherheitsgurte anzulegen, leuchtete auf. Ich fummelte mit meinem herum, völlig außer mir.
Er hatte mich gezwungen, mich zu erinnern, warum ich Darkover vor sechs Jahren verlassen hatte, narbenbedeckt und gebrochen und fürs Leben verkrüppelt. Er hatte Wunden, die zu heilen begannen, wieder aufgerissen. Und er hatte den Namen Sharra ausgesprochen.
Ich, ein Halbblut, ein Bastard, Comyn nur gnadenhalber, weil mein Vater keine darkovanischen Söhne hatte, war leichte Beute für die Rebellen und Unzufriedenen gewesen, die mit dem Schlachtruf Sharra ausschwärmten. Sharra – die Legende nannte sie eine Göttin, die zum Dämon geworden war, gefesselt mit goldenen Ketten, herbeizurufen durch Feuer. Ich hatte vor einem solchen Feuer gestanden und meine telepathischen Gaben benutzt, die Macht Sharras heraufzubeschwören.
Mittelpunkt der Rebellion waren die Aldarans gewesen, die Comyn-Familie, die wegen ihrer Bündelei mit den Terranern ausgestoßen worden war. Ich war ein Verwandter Beltrans, des Lords von Aldaran.
Gesichter, die ich hatte vergessen wollen, zogen erbarmungslos vorbei, um mich zu quälen. Der Mann, der sich Kadarin nannte und mich überredet hatte, mich den Rebellen um Sharra anzuschließen. Der Säufer Zeb Scott, der die Talisman-Matrix Sharras gefunden hatte, und seine Kinder. Der kleine Rafe, der mir als seinem Helden auf Schritt und Tritt nachlief, Thyra mit dem Gesicht eines Mädchens und den Augen eines wilden Tieres – und Marjorie ...
Marjorie! Ich war wieder in der Vergangenheit. Ein verängstigtes Mädchen mit weichem braunem Haar und goldgefleckten Bernsteinaugen stahl sich in dem seltsamen Feuerlicht an meine Seite. Lachend wanderte sie durch die Straßen einer Stadt, die jetzt Schutt und Asche war, eine Girlande aus goldenen Blumen in der Hand ...
Ich verbannte die Erinnerungen. Das tat mir nicht gut. Das Donnern der bremsenden Düsen schmerzte mir in den Ohren. Durch das Fenster erkannte ich die gedrungenen Türme von Thendara, rosig im ersten Sonnenlicht, ein heller Fleck auf der dunklen, mit Wäldern und niedrigen Hügeln besetzten Ebene. Wir kamen tiefer und tiefer. Ich sah die Seen wie Silberspiegel aufblitzen, dann raste der Wolkenkratzer des terranischen Hauptquartiers am Fenster vorbei, das viele Weiß des Raumhafens gleißte, die Maschine setzte holpernd auf, und wir waren unten. Ich zog an meinem Gurt. Jetzt wollte ich mir Dyan kaufen ...
Aber ich verfehlte ihn. Das Raumhafenfeld war ein Durcheinander aus Menschen von dreißig Planeten, die in hundert Sprachen babbelten, und als ich mich durch die Menge drängte, stieß ich mit einem dünnen, weißgekleideten Mädchen zusammen.
Sie schwankte und fiel, und ich bückte mich, um ihr aufzuhelfen. »Entschuldigen Sie«, bat ich auf Standard, »ich hätte auf meinen Weg achten sollen ...« und dann erst sah ich ihr Gesicht.
»Linnell!« rief ich freudig. »Wie herrlich!« Unbeholfen umarmte ich sie. »Wolltest du mich abholen? Was bist du gewachsen, Cousinchen!«
»Verzeihung?« Die Stimme des Mädchens klirrte vor Eis. Verblüfft stellte ich sie auf die Füße. Sie sprach jetzt Darkovanisch, aber noch nie hat ein darkovanisches Mädchen einen solchen Akzent gehabt. Ich starrte sie an.
»Es tut mir leid«, brachte ich schließlich heraus. »Ich dachte ...« und starrte weiter. Sie war ein hochgewachsenes Mädchen, sehr hell, mit einem herzförmigen Gesicht, weichem dunkelbraunem Haar und sanften grauen Augen. Nur jetzt waren sie nicht sanft; sie flammten vor Zorn.
»Nun?«
»Es tut mir leid«, wiederholte ich tölpelhaft, »ich hielt Sie für eine meiner Cousinen.«
Sie zuckte kühl die Schultern, murmelte etwas und ging weiter. Ich folgte ihr mit den Augen. Die Ähnlichkeit war phantastisch. Es war nicht nur eine oberflächliche Übereinstimmung von Farben und Größe. Das Mädchen war das Spiegelbild meiner Cousine Linnell Aillard. Sogar ihre Stimme klang wie die Linnells.
Eine leichte Hand berührte meine Schulter, und eine fröhliche Stimme rief: »Pfui, Lew! Was mußt du die arme Linnell in Verlegenheit gebracht haben! Sie ist eben ohne ein Wort an mir vorbeigerannt. Bist du so lange weggewesen, daß du deine guten Manieren ganz vergessen hast?«
»Dio Ridenow!« stellte ich überrascht fest.
Das Mädchen, das vor mir stand, war klein und keck. Flachsblondes Haar flatterte ihr um die Schultern, und in ihren graugrünen Augen saß der Schalk. »Ich dachte, du wärst auf Vainwal!« stotterte ich.
»Und als du mir dort Lebewohl sagtest, dachtest du, ich würde dableiben und mir die Augen ausweinen«, entgegnete sie schnippisch. »Ich nicht! Der Raum steht den Frauen ebenso offen wie den Männern, Lew Alton, und auch ich habe einen Sitz im Comyn-Rat, wenn ich Lust habe, ihn einzunehmen. Warum sollte ich dort bleiben und allein schlafen?« Sie kicherte. »O Lew, wenn du dein Gesicht sehen könntest! Was ist denn los?«
»Es war nicht Linnell«, erklärte ich, und Dio riß die Augen auf.
»Wer dann?« Sie sah sich um, aber das Mädchen, das wie Linnell aussah, war in der Menge verschwunden. »Und wo ist mein Onkel? Hast du wieder mit deinem Vater gestritten, Lew?«
»Nein.« Meine Stimme war rauh. »Er ist auf Vainwal gestorben.« Wußte das auf Darkover noch niemand? »Glaubst du, eine geringere Ursache hätte mich nach hier zurückgebracht?«
Die Fröhlichkeit verschwand aus Dios Gesicht. »O Lew! Das tut mir leid! Ich hatte ja keine Ahnung!«
Wieder berührte sie meinen Arm. Ich zuckte vor ihrem Mitgefühl zurück. Was mich betraf, war Dio Ridenow Dynamit. Auf Vainwal war das alles in Ordnung gewesen. Aber von uns beiden wußte zumindest ich, wie schnell aus der alten Affäre wieder Leidenschaft werden konnte. Und ich hatte schon ohne das genug Probleme.
Von neuem war es mir mißlungen, meine Gedanken abzuschirmen. Dios helles Gesicht lief blutrot an. Sie biß sich auf die Unterlippe, drehte sich um und rannte fast auf die Raumhafenschranken zu.
»Dio!« schrie ich ihr nach, doch in diesem Augenblick hörte ich meinen Namen. Und da machte ich meinen ersten Fehler. Ich folgte ihr nicht – fragte mich nicht, warum. Zum zweiten Mal wurde mein Name gerufen.
»Lew! Lew Alton!«
Und im nächsten Augenblick lächelte ein schlanker, dunkelhaariger Junge in terranischer Kleidung zu mir hoch.
»Lew! Willkommen daheim!«
Und ich konnte mich nicht um mein Leben an seinen Namen erinnern.
Er war mir bestimmt nicht fremd. Er kannte mich, und ich kannte ihn. Trotzdem wartete ich vorsichtig ab, denn schließlich hatte ich auch Linnell erkannt. Der Junge lachte.
»Kennst du mich nicht mehr?«
»Ich bin zu lange weggewesen, um mir noch bei irgend jemandem sicher zu sein«, sagte ich. Ich wollte einen telepathischen Kontakt herstellen, aber die Droge verwirrte immer noch mein Gehirn, und ich spürte nur eine vage Vertrautheit. Kopfschüttelnd betrachtete ich den Jungen. Er mußte noch ein Kind gewesen sein, als ich Darkover verließ; er war so jung, daß er sich wohl kaum schon rasierte.
»Zandrus Höllen«, entfuhr es mir, »du kannst doch nicht Marius sein?«
»Kann ich das nicht?«
Ich vermochte es immer noch nicht zu glauben. Mein Bruder Marius, der jüngere Bruder, der unsere terranische Mutter das Leben gekostet hatte – war es möglich, daß ich meinen eigenen Bruder nicht wiedererkannte?
Er grinste schüchtern zu mir hoch, und mein Argwohn legte sich. »Es tut mir leid, Marius. Du warst noch so jung, und du hast dich so sehr verändert. Nun ...«
»Wir können uns später unterhalten«, fiel er rasch ein. »Du mußt durch den Zoll und so weiter, aber ich wollte dich vorher begrüßen. Was ist los, Lew? Du siehst komisch aus. Krank?«
Ich stützte mich minutenlang auf seinen Arm, bis der Schwindel verging. »Prokalamin«, sagte ich kläglich, und als er mich verständnislos ansah, erläuterte ich: »Ein Sedativ, das Passagiere auf Sternenschiffen gespritzt bekommen, damit sie den Hyperantrieb aushalten, ohne daß ihnen der Kopf platzt. Es dauert eine Weile, bis die Wirkung nachläßt, und ich bin außerdem gegen das Zeug allergisch.«
Er musterte mich aus dem Augenwinkel, und mein Gesicht verhärtete sich. »Bin ich so abschreckend? Schon gut, du hast mich nicht gesehen, seit ich meine Hand verlor und mir das Gesicht zerschnitten wurde. Sieh es dir nur genau an.«
Er wandte die Augen ab, und ich legte ihm den Arm um die Schultern.
»Es macht mir nichts aus, wenn du mich anstarrst«, sagte ich freundlicher. »Aber, verdammt noch mal, schiele nicht nach mir hin, wenn du meinst, ich merkte es nicht, denn ich merke es immer. Verstanden?«
Er entspannte sich und betrachtete mich eine Minute lang ohne Scheu. Dann grinste er. »Nicht hübsch, aber du bist nie eine Schönheit gewesen, soviel ich mich erinnere. Gehen wir.«
Ich sah zu dem Wolkenkratzer des HQ und den hohen Gebäuden der Handelsstadt hinüber. Jenseits davon erhoben sich die gesplitterten Zähne der Berge, und hoch über der Ebene thronte die Comyn-Burg, auf der sich der Turm der Bewahrerin in den Himmel reckte.
»Haben sich die Comyn schon in Thendara versammelt?«
Marius schüttelte den Kopf. Ich hatte mich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnt, daß dies mein Bruder war. Er gab mir einfach nicht das richtige Gefühl. »Nein«, antwortete er, »sie – wir treffen uns draußen in der Verborgenen Stadt. Lew, hast du irgendwelche Schußwaffen von Terra mitgebracht?«
»Hölle, nein. Was tue ich mit Schußwaffen? Und die Einfuhr ist sowieso verboten.«
»Dann bist du überhaupt nicht bewaffnet?«
»Nein. Auf den meisten Planeten des Imperiums ist es nicht erlaubt, Handwaffen zu tragen, und so habe ich die Gewohnheit abgelegt. Warum?«
Er blickte finster. »Ich habe mir voriges Jahr eine Pistole besorgt. Ich habe dafür viermal soviel bezahlt, wie sie wert ist, und sie trägt die Schmuggelmarke. Ich dachte – halt, da wird dein Name aufgerufen.«
So war es. Langsam ging ich auf das niedrige weiße Zollgebäude zu, und Marius folgte mir. Er ging mit einer verneinenden Kopfbewegung an dem diensttuenden Beamten vorbei. Mein Gepäck war auf das Förderband gelegt worden, und der Beamte sah mich ohne viel Interesse an.
»Lewis Alton-Kennard-Montray-Alton? Mit der Southern Cross auf Port Chicago gelandet? Matrix-Techniker?«
Ich gestand das alles ein und schob ihm die Plastikmarke zu, die mich als lizenzierten Matrix-Mechaniker auswies.
»Das müssen wir anhand des Hauptspeichers überprüfen«, sagte der Terraner. »Es wird eine oder zwei Stunden dauern. Wir setzen uns mit Ihnen in Verbindung.«
Sein Blick wanderte über die Zeile eines Vordrucks. »Erklären – Sie – daß – Sie – nach – bestem – Wissen – und – Gewissen – keine – Energie- – oder – Projektilwaffen – in – Ihrem – Besitz – haben – Pistolen – Desintegratoren – oder – Blaster – atomare – Isotope – Narkotika – Drogen – Rauschmittel – oder – Brandstoffe?«
Ich unterschrieb. Er hielt mein Gepäck unter das Prüfgerät. Der Schirm blieb leer, wie ich ihm gleich hätte sagen können. Die genannten Artikel waren alle terranische Fabrikate, und ein feierlicher Vertrag mit den Hasturs verpflichtet das Imperium, nicht zuzulassen, daß sie in die darkovanische Zone oder sonstwohin außerhalb der Handelsstädte gebracht werden. Solche Gegenstände, Schmuggelware auf unserem Planeten, werden vor ihrer Verschiffung nach Darkover mit einem Tupfen aus einer radioaktiven Substanz versehen, harmlos, aber nicht wieder zu entfernen.
»Sonst etwas zu deklarieren?«
»Ich habe ein auf der Erde hergestelltes Fernglas, eine terranische Kamera und eine halbe Flasche Firi von Vainwal«, informierte ich ihn.
»Zeigen Sie her.«
Er öffnete die Koffer, und ich verkrampfte mich. Das war der Augenblick, den ich gefürchtet hatte.
Ich hätte versuchen sollen, ihn zu bestechen. Aber wenn ich an einen ehrlichen Mann geriet, hätte mir das eine Geldstrafe eingetragen und meinen Namen auf die schwarze Liste gebracht. Das wollte ich nicht riskieren.
Er warf einen Blick auf die Kamera und das Fernglas. Terranische Linsen sind ein Luxusartikel, auf denen ein hoher Zoll liegt.
»Zehn Reis«, sagte er und schob Kleidungsstücke beiseite. »Wenn in der Firi-Flasche weniger als zehn Unzen sind, ist sie zollfrei. Was ist das?«
Ich fürchtete, meine Zunge durchzubeißen, als seine Hand danach griff. Mir war, als quetsche eine Faust mein Herz zusammen.
»Fassen Sie das nicht an!« zwängte es sich aus meiner wie zugeschnürten Kehle.
»Was im ...« Er zog es heraus, und ich hatte das Gefühl, ein Nagel kratze an einem Nerv entlang. Er fing an, es auszuwickeln. »Eine geschmuggelte Waffe, he? Sie – Teufel, das ist ein Schwert!«
Ich konnte nicht atmen. Die blauen Kristalle im Griff blinzelten zu mir hoch, und seine Hand, die den Griff umfaßt hielt, war eine unerträgliche Qual.
»Das ist ein – ein Erbstück meiner Familie.«
Er sah mich merkwürdig an. »Nun, ich beschädige es ja nicht. Wollte mich nur vergewissern, daß es kein Blaster oder so etwas ist.« Er wickelte es wieder in das seidene Tuch, und ich erinnerte mich, wie man atmet. Dann nahm er die halbleere Flasche mit dem teuren Vainwal-Likör und maß den Inhalt mit den Augen. »Etwa sieben Unzen. Unterschreiben Sie eine Erklärung, daß Sie das zum eigenen Verbrauch und nicht zum Weiterverkauf mitbringen, und es ist zollfrei.«
Ich unterschrieb. Er ließ das Kofferschloß zuschnappen, und ich entfernte mich mit schwankenden Schritten von der Zollschranke.
Eine Hürde genommen. Und ich hatte es fertiggebracht, am Leben zu bleiben – diesmal.
Ich holte Marius ein und winkte ein Lufttaxi heran.
Das Sky-Harbor-Hotel war eine Neppbude, und es gefiel mir gar nicht. Aber hier würde ich wahrscheinlich keinem anderen Comyn begegnen, und das war die Hauptsache. Man wies uns zwei der Zellen zu, die die Terraner Zimmer nennen. Ich hatte mich auf Terra und Vainwal an die Enge gewöhnt, und sie störte mich nicht mehr. Doch als ich die Tür schloß, wandte ich mich bestürzt Marius zu.
»Zandrus Höllen, das hatte ich vergessen! Macht es dir etwas aus?«
Ich wußte, welche verheerende Wirkung Türen, Wände und Schlösser auf einen Darkovaner haben können. Dies schreckliche Gefühl, ersticken zu müssen, hatte ich in meinen ersten Jahren auf der Erde gründlich kennengelernt. Mehr als alles andere unterscheidet das den Darkovaner vom Terraner; darkovanische Räume haben durchscheinende Wände und sind mit dünnen Paneelen oder Vorhängen oder Lichtschranken unterteilt.
Marius schien sich jedoch ganz wohl zu fühlen. Er rekelte sich auf einem so modernistischen Möbelstück, daß ich nicht sagen konnte, ob es ein Bett oder ein Sessel war. Ich zuckte die Schultern. Wenn ich es gelernt hatte, mit der Klaustrophobie fertigzuwerden, dann er vermutlich auch.
Ich badete, rasierte mich und knäulte die terranische Kleidung, die ich auf dem Sternenschiff getragen hatte, achtlos zusammen. So bequem die Sachen waren, ich konnte darin nicht im Comyn-Rat erscheinen. Deshalb zog ich eine wildlederne Hose und knöchelhohe Stiefel an. Beim Zuschnüren der roten Weste stellte ich meine Geschicklichkeit mit einer Hand absichtlich zur Schau; ich war in dem Punkt immer noch zu empfindlich. Der kurze Mantel in den Alton-Farben verbarg die Hand, die nicht mehr da war. Ich fühlte mich, als hätte ich die Haut gewechselt.
Marius streifte ruhelos im Zimmer umher. Er kam mir immer noch fremd vor. Seine Stimme und sein Benehmen waren mir vage vertraut, und trotzdem fehlte die Verbundenheit, die zwischen Telepathen in einer Comyn-Familie normal ist. Ich fragte mich, ob auch er es spürte. Vielleicht lag es an der Droge.
Ich legte mich hin, schloß die Augen und versuchte zu schlafen. Es ging nicht. Nach acht Tagen im Raum, wo das unablässige Dröhnen des Antriebs auch durch den Drogenschleier wahrnehmbar ist, störte mich die Stille. Schließlich setzte ich mich auf und zog ein kleineres Gepäckstück an mich heran.
»Tust du mir einen Gefallen, Marius?«
»Klar.«
»Ich bin immer noch benommen – kann mich nicht konzentrieren. Kannst du ein Matrix-Schloß öffnen?«
»Wenn es ein einfaches ist.«
Das war es. Jeder Nichttelepath hätte sich auf das psycho-kinetische Muster einstimmen können, das der Matrix-Verschluß aussandte. »Es ist einfach, aber auf mich abgestimmt. Berühre meine Gedanken, und ich gebe dir das Muster.«
Die Bitte war in einer Telepathen-Familie nicht ungewöhnlich. Warum starrte der Junge mich wie in Panik an? Ich gab ihm den Blick erstaunt zurück; dann grinste ich. Schließlich kannte Marius mich kaum. Er war bei meiner Abreise ein kleiner Junge gewesen, und nun sah er in mir beinahe einen Fremden. »Oh, schon gut, dann berühre ich deine Gedanken.«
Ich stellte einen leichten telepathischen Kontakt her und sandte das Bild des Matrix-Musters. Sein Geist war so völlig abgeschirmt, daß er ein Fremder, sogar ein Nichttelepath hätte sein können. Es war mir peinlich; ich fühlte mich nackt und aufdringlich. Schließlich wußte ich nicht einmal, ob Marius Telepath war. Die Gabe zeigte sich erst in der Pubertät, und er war ein Kind gewesen, als ich wegging. In allem anderen hatte er die terranischen Merkmale geerbt, warum sollte er dies eine darkovanische Talent besitzen?
Er legte das geöffnete Köfferchen auf das Bett. Ich nahm eine kleine, viereckige Schachtel heraus und reichte sie ihm.
»Kein großes Geschenk«, sagte ich, »aber wenigstens habe ich daran gedacht.«
Zögernd öffnete er die Schachtel und betrachtete das Fernglas, das schimmernd und fremdartig darin lag. Merkwürdig, wie verlegen er es in die Hand nahm! Dann legte er es kommentarlos in die Schachtel zurück. Es ärgerte mich ein bißchen. Wenn ich auch nicht mit überschäumender Dankbarkeit gerechnet hatte, bedanken hätte er sich immerhin können. Er hatte auch nicht nach Vater gefragt.
»In Linsen sind die Terraner unschlagbar«, sagte er nach einer Minute.
»Aufs Linsenschleifen verstehen sie sich. Und auf den Bau von Raumschiffen. Soviel ich weiß, ist das alles, was sie fertigbringen.«
»Sie können auch Kriege führen«, stellte er fest. Ich ging nicht darauf ein. »Jetzt zeige ich dir noch die Kamera. Ich erzähle dir gar nicht erst, was ich dafür bezahlt habe – du würdest mich für verrückt halten.« Ich kramte in den Koffern herum, und Marius saß neben mir, sah sich die Dinge an und stellte schüchtern Fragen. Offensichtlich interessierte ihn das alles, aber aus irgendeinem Grund bemühte er sich, es nicht zu zeigen. Warum?
Zuletzt zog ich das lange Schwert heraus. Und als ich es berührte, fühlte ich die vertraute Mischung aus Widerwillen und Lust ...
Die ganze Zeit, die ich Darkover fern war, hat es geschlafen. Die Nähe der starken Matrix, verborgen zwischen Klinge und Griff, ließ mich erschauern. Anderswo als auf Darkover war sie ein lebloser Kristall. Jetzt hatte sie eine seltsame, lebendige Wärme.
Die meisten Matrices sind harmlos. Stückchen aus Metall, Kristall oder Stein, die auf die psychokinetischen Wellenlängen der Gedanken reagieren und sie in Energie umwandeln. Bei dem gewöhnlichen Matrix-Mechaniker – und was die Terraner auch glauben mögen, die Matrix-Mechanik ist eine Wissenschaft, die jeder erlernen kann – wird diese psychokinetische Fähigkeit unabhängig von der Telepathie entwickelt. Aber Telepathen sind besser darin, besonders bei den Matrices höherer Ebenen.
Dagegen war die Sharra-Matrix auf die telepathischen Zentren abgestimmt, auf das ganze Nervensystem, Körper und Gehirn. Der Umgang mit ihr war gefährlich. Die Tradition schrieb vor, daß Matrices dieser Art in irgendeiner Waffe verborgen werden. Sharras Matrix war die furchtbarste je erfundene Waffe. Sinnvollerweise war sie in einem Schwert versteckt. Eine Lithiumbombe wäre besser gewesen. Und am besten eine, die explodiert und die Matrix und alles übrige vernichtet ...und mich mit.
Marius’ Gesicht war von Entsetzen verzerrt. Er zitterte.
»Sharras Matrix!« flüsterte er mit steifen Lippen. »Warum, Lew? Warum?«
Mit heiserer Stimme fuhr ich ihn an: »Woher weißt du –?«
Niemand hatte es ihm gesagt. Und unser Vater wollte nicht, daß er es erfuhr. Ich stand auf, von Argwohn ergriffen. Bevor ich die Frage stellen konnte, summte der Interkom. Marius faßte an mir vorbei nach dem Apparat und lauschte. Dann hielt er mir den Hörer hin und machte seinen Platz für mich frei. »Amtlich«, flüsterte er.
»Abteilung drei«, meldete sich eine spröde, gelangweilte Stimme, nachdem ich mich identifiziert hatte.
»Zandru!« murmelte ich. »Schon? Nein – Entschuldigung – sprechen Sie.«
»Amtliche Mitteilung«, sagte die gelangweilte Stimme. »Gegen Lewis Alton-Kennard-Montray-Alton ist die Absicht einer Tötung in fairem Kampf eingetragen worden. Der erklärte Gegner ist identifiziert als Robert Raymon Kadarin, Anschrift nicht registriert. Sie sind dem Gesetz entsprechend benachrichtigt worden; bitte bestätigen Sie den Empfang oder geben Sie einen vom Gesetz anerkannten Grund für die Empfangsverweigerung an.«
Ich schluckte schwer. »Ich bestätige den Empfang«, sagte ich schließlich und legte den Hörer hin. Ich schwitzte. Der Junge kam und setzte sich neben mich. »Was ist passiert, Lew?«
Mir tat der Kopf weh, und ich rieb ihn mit meiner guten Hand.
»Ich bin gerade über eine Tötungsabsicht informiert worden.«
»Hölle«, sagte Marius, »schon? Von wem?«
»Von niemandem, den du kennst.« Meine Narbe zuckte. Kadarin – Anführer der Sharra-Rebellen, einst mein Freund, jetzt mein geschworener, unerbittlicher Feind. Er hatte keine Zeit verloren, um mich zur Erledigung unseres alten Streits aufzufordern. Ob er überhaupt wußte, daß ich meine Hand eingebüßt hatte? Zu spät fiel mir ein – als sei das etwas, das jemand anders zugestoßen war –, daß es ein vom Gesetz anerkannter Grund für eine Empfangsverweigerung gewesen wäre. Ich versuchte, den mich anstarrenden Jungen zu beruhigen.
»Nimm es nicht so schwer, Marius. In einem fairen Kampf brauche ich keine Angst vor Kadarin zu haben. Er war nie gut mit dem Schwert. Er ...«
»Kadarin!« stammelte er. »Aber, aber Bob hat versprochen ...«
»Bob?« Meine Finger schlossen sich um seinen Arm. »Woher kennst du Kadarin?«
»Ich will es dir erklären, Lew. Ich bin nicht ...«
»Du wirst mir eine Menge zu erklären haben, Bruder«, sagte ich kalt. Und dann fing irgendwer an, entschlossen gegen die Tür zu hämmern.
»Mach nicht auf!« beschwor mich Marius.
Aber ich ging zur Tür und schob den Riegel zurück. Dio Ridenow stürzte ins Zimmer.
Sie hatte sich nach unserem Wiedersehen auf dem Raumhafen umgezogen und trug jetzt Reitkleidung für einen Mann, die ihr ein bißchen zu groß war, und sie sah aus wie ein kriegerisches Kind. Nach einem oder zwei Schritten blieb sie stehen und heftete den Blick auf den Jungen hinter mir.
»Was ...«
»Du kennst meinen Bruder«, sagte ich ungeduldig.
Dio stand wie angewurzelt da. »Deinen Bruder?« keuchte sie endlich. »Hast du den Verstand verloren? Das ist ebensowenig Marius, wie ... wie ich es bin!« Ich trat ungläubig zurück, und Dio stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Seine Augen! Lew, du Idiot, sieh dir seine Augen an!«
Mein angeblicher Bruder sprang vor und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Er warf sein ganzes Gewicht gegen uns. Dio taumelte, und ich fiel auf ein Knie nieder. Augen. Marius – jetzt fiel es mir wieder ein – hatte die Augen unserer terranischen Mutter. Dunkelbraun. Kein Darkovaner hat braune oder schwarze Augen. Und dieser – dieser Betrüger, der nicht Marius war, sah mich mit den goldgefleckten Bernsteinaugen eines Fremden an. Nur zweimal hatte ich solche Augen gesehen. Marjorie. Und ...
»Rafe Scott!«
Marjories Bruder! Kein Wunder, daß er mich erkannt hatte, kein Wunder, daß er mir irgendwie bekannt vorgekommen war. Auch an ihn erinnerte ich mich nur als kleinen Jungen!
Er versuchte, an mir vorbeizugelangen. Ich packte ihn, und wir schwankten kämpfend in einem knochenbrechenden Clinch hin und her. »Wo ist mein Bruder?« schrie ich. Ich hakte meinen Fuß hinter seinen Knöchel, und wir krachten zusammen auf den Fußboden.
Er hat nie behauptet, Marius zu sein, schoß es mir durch den Kopf. Er hat es nur nicht geleugnet, als ich ihn dafür hielt ...
Ich bekam ein Knie auf seine Brust und hielt ihn am Boden fest. »Was hast du dir dabei gedacht, Rafe? Sprich!«
»Laß mich aufstehen, verdammt! Ich kann es erklären!«
Daran zweifelte ich nicht im geringsten. Wie schlau hatte er festgestellt, daß ich unbewaffnet war! Aber ich hätte es mir denken können. Ich hätte meinem Instinkt vertrauen sollen; er vermittelte mir nicht das gleiche