Das Zauberschwert - Marion Zimmer Bradley - E-Book

Das Zauberschwert E-Book

Marion Zimmer Bradley

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Beschreibung

Bestsellerautorin Marion Zimmer Bradley ("Die Nebel von Avalon") hat mit dem opulenten Darkover-Zyklus eine einzigartige Romanreihe geschaffen: Die fesselnde Geschichte einer geheimnisvollen fremden Welt und ihrer Bewohner ist Kult! In der Geschichte von Darkover haben Zauberschwerter stets eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Und keine Klinge war mächtiger als die des alten Haudegens Dom Esteban. Doch dieser konnte zuletzt die Klinge nicht mehr führen. Da kommt diesem Schwert plötzlich eine neue, besondere Bedeutung zu: Der Terraner Andrew Car muss, ganz auf sich gestellt, den harten Realitäten von Darkover ins Auge blicken. Dom Estebans Zauberklinge und ein blutjunges Mädchen, das ihm als Phantombild erscheint, werden sein weiteres Leben entscheidend prägen...

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Marion Zimmer Bradley – Der “Darkover”-Romanzyklus bei Edel eBooks:

ISBN 978-3-95530-591-8Die LandungISBN 978-3-95530-598-7Herrin der StürmeISBN 978-3-95530-597-0Herrin der FalkenISBN 978-3-95530-609-0Der Untergang von NeskayaISBN 978-3-95530-608-3Zandrus SchmiedeISBN 978-3-95530-607-6Die Flamme von HaliISBN 978-3-95530-594-9Die Zeit der hundert KönigreicheISBN 978-3-95530-592-5Die Erben von HammerfellISBN 978-3-95530-593-2Die zerbrochene KetteISBN 978-3-95530-603-8Gildenhaus ThendaraISBN 978-3-95530-595-6Die schwarze SchwesternschaftISBN 978-3-95530-596-3An den Feuern von HasturISBN 978-3-95530-588-8Das ZauberschwertISBN 978-3-95530-599-4Der verbotene TurmISBN 978-3-95530-589-5Die Kräfte der ComynISBN 978-3-95530-586-4Die Winde von DarkoverISBN 978-3-95530-601-4Die blutige SonneISBN 978-3-95530-602-1Hasturs ErbeISBN 978-3-95530-585-7Retter des PlanetenISBN 978-3-95530-587-1Das Schwert des AldonesISBN 978-3-95530-600-7Sharras ExilISBN 978-3-95530-590-1Die WeltenzerstörerISBN 978-3-95530-604-5Asharas RückkehrISBN 978-3-95530-606-9Die SchattenmatrixISBN 978-3-95530-605-2Der Sohn des Verräters

Marion Zimmer Bradley

Das Zauberschwert

Ein Darkover Roman

Ins Deutsche übertragen von Rosemarie Hundertmarck

Copyright dieser Ausgabe © 2014 by Edel eBooks, einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg. Copyright © 1974 by Marion Zimmer Bradley Copyright First german Edition © 2001 by Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München. Die Originalausgabe erschien 1978 unter dem Titel "The Spell Sword" Ins Deutsche übertragen von Rosemarie Hundertmarck Trotz intensiver Recherche war es dem Verlag nicht möglich, den Rechteinhaber der Übersetzung zu identifizieren bzw. einen Kontakt herzustellen. Wie bitten den Übersetzer bzw. seinen Nachfolger, sich ggf. beim Verlag zu melden.

Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-95530-588-8

edel.com

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Ein Darkover-Roman

»Weit entfernt in der Galaxis ungefähr 4000 Jahre in der Zukunft gibt es einen Planeten mit einer großen roten Sonne und vier Monden. Willst Du nicht mitkommen

1

Er war einem Traum gefolgt, und der Traum hatte ihn zum Sterben hierher gebracht. Nur halb bei Bewusstsein, lag er auf den Steinen und dem dünnen Moos der Klippe, und in seinem benommenen Zustand meinte er, das Mädchen aus seinem Traum stünde vor ihm. Lach ruhig, sagte er zu ihrem Phantasiegesicht. Wärst du nicht gewesen, wäre ich jetzt eine halbe Galaxis weiter.

Ich läge nicht halb tot hier auf einem gefrorenen Dreckklumpen am Rand des Nirgendwo.

Aber sie lachte nicht. Sie schien an der Kante des Abgrunds zu stehen. Der schneidende Bergwind blies die dünnen blauen Draperien um ihren schlanken Körper, das lange rote Haar schimmerte um ihre zarten Züge. Sie sah ganz so aus, wie er sie in seinem Traum gesehen hatte, aber sie lachte nicht. Ihr Gesicht war blass und ernst.

Und es war, als spreche sie, obwohl der sterbende Mann wusste – wusste –, ihre Stimme konnte nichts anderes sein als das Echo des Windes in seinem fiebernden Gehirn.

»Fremder, Fremder, ich wollte dir nichts Böses. Nicht mein Ruf, nicht mein Tun hat dich auf diesen Pass gebracht! Es ist wahr, ich habe dich gerufen – oder vielmehr habe ich einen Ruf hinausgesandt an jeden, der mich zu hören vermochte, und das warst du. Doch die über uns wissen, dass ich dich damit nicht in Gefahr bringen wollte! Das Wetter, die Stürme folgen meinen Geboten nicht. Ich will tun, was ich kann, um dich zu retten, aber ich habe keine Macht in diesen Bergen.«

Andrew Carr antwortete ihr zornig. Ich bin verrückt oder vielleicht schon tot, dachte er, dass ich hier liege und Beleidigungen mit einem Geistermädchen tausche.

»Du sagst, du hast mich gerufen? Und was ist mit den anderen in meinem Flugzeug? Hast du sie etwa auch gerufen? Und hergelockt, dass sie hier in den Wirbelstürmen der Hellers umkommen? Macht dir ein Massensterben Spaß, du Ghoul-Mädchen?«

»Das ist ungerecht!« Die Worte, die zu hören er sich einbildete, waren wie ein qualvoller Aufschrei. Ihr Geistergesicht zuckte, als wolle sie anfangen zu weinen. »Ich habe sie nicht gerufen; sie folgten dem Weg, den ihre Arbeit und ihr Geschick sie führten. Nur du hattest die Wahl, meinem Ruf zu folgen oder nicht. Du entschiedest dich, zu kommen und das Schicksal zu teilen, das die Vorsehung für sie bereithielt. Ich will dich retten, wenn ich kann. Die Zeit der anderen ist zu Ende, und mit ihrem Los habe ich nie etwas zu schaffen gehabt. Dich kann ich retten, wenn du auf mich hörst, aber du musst aufstehen. Steh auf!«, rief sie in wilder Verzweiflung. »Du wirst sterben, wenn du länger hier liegen bleibst! Steh auf und suche dir einen Unterschlupf, denn der Sturm gehorcht mir nicht ...«

Andrew Carr öffnete die Augen und blinzelte. Wie ihm die ganze Zeit klar gewesen war, lag er allein und verletzt auf dem Felssims in den Trümmern des Kartografierungsflugzeugs. Das Mädchen war verschwunden – wenn es überhaupt da gewesen war.

Steh auf und suche dir einen Unterschlupf, denn der Sturm gehorcht mir nicht. Das war natürlich eine verdammt gute Idee, sofern er es fertig brachte. Unterschlupf. Der Ort, wo er unter einem Fragment der zerschmetterten Flugzeugkabine lag, war nicht der richtige für die bitterkalte Nacht auf diesem seltsamen Planeten. Bei seinem Eintreffen auf Cottman IV war vor dem Wetter hier gewarnt worden – nur ein Wahnsinniger würde in der Jahreszeit der Stürme nachts im Freien bleiben.

Andrew machte eine letzte verzweifelte Anstrengung, seinen Knöchel zu befreien, der wie das Bein eines gefangenen Tieres von verdrehtem Metall festgehalten wurde. Diesmal fühlte er das Metall ein bisschen nachgeben, und obwohl der Schmerz stärker wurde und Haut und Fleisch zerrissen, zerrte er im Dunkeln entschlossen an dem eingeklemmten Fuß. Nun konnte er sich vorbeugen und das Bein mit den Händen anheben. Zerfetzte Kleidung und aufgerissenes Fleisch waren schlüpfrig von dem Blut, das in der eisigen Kälte bereits gefror. Als er das zackige Metall mit den bloßen Händen berührte, brannten sie wie Feuer. Aber es gelang ihm, das verletzte Bein an den schlimmsten Kanten vorbeizuleiten. Er stieß einen Seufzer aus, in dem sich Qual und Erleichterung mischten. Der Fuß war frei. Er war von Blut bedeckt, Stiefel und Kleidung waren zerfetzt, das Fleisch bis auf den Knochen aufgerissen, aber er war frei, saß nicht länger in der Falle. Andrew kämpfte sich auf die Füße, und sofort warf ihn ein eisiger, graupelgeladener Windstoß, der um eine Ecke des Felssimses fegte, wieder auf die Knie.

Kriechend, um dem Wind weniger Körperoberfläche auszusetzen, wand er sich in die Kabine des Kartografierungsflugzeuges. Sie schwankte gefährlich in den heftigen Böen, und sofort gab er jeden Gedanken daran auf, hier Zuflucht zu suchen. Wenn der Sturm noch ein bisschen schlimmer wurde, stürzte das Ding mindestens tausend Fuß tief in das unsichtbare Tal. Ein Teil war dort schon beim Absturz verschwunden, dachte er. Doch da er selbst gegen alle Erwartungen immer noch lebte, wollte er sich vergewissern, ob es keine anderen Überlebenden gab.

Stanforth war natürlich tot. Er musste gleich beim Aufprall gestorben sein; niemand konnte mit einem solchen klaffenden Loch in der Stirn überleben. Andrew schloss die Augen vor dem grauenhaften Anblick; das gefrorene Gehirn des Mannes war über sein ganzes Gesicht verteilt. Die beiden Kartografen – einer hieß Mattingly, den Namen des anderen hatte er nie erfahren – lagen verkrümmt auf dem Fußboden. Vorsichtig kroch Andrew durch die gefährlich schaukelnde Kabine, um festzustellen, ob in einem von ihnen noch ein Lebensfunke glühte, aber die Leichen waren bereits kalt und starr. Von dem Piloten gab es keine Spur. Sicher war er mit der Nase des Flugzeugs in den schrecklichen Abgrund gestürzt.

Also war er allein. Andrew manövrierte sich aus der Kabine, dann nahm er sich zusammen und betrat sie von neuem. Es waren Lebensmittel in dem Flugzeug – nicht viel, die Rationen für einen Tag, Lunchpakete, Mattinglys Schatz an Süßigkeiten und Bonbons, die er so großzügig ringsherum anzubieten pflegte und die sie alle lachend abgelehnt hatten. Notausrüstungen in einem gekennzeichneten Fach hinter der Tür. Andrew zerrte alles hinaus, und dann machte er sich, zitternd vor Grauen, daran, Mattinglys steif werdender Leiche den Mantel auszuziehen. Der Magen drehte sich ihm dabei um – einen Toten zu berauben! –, aber Mattinglys Mantel, ein voluminöser, teurer Pelz, war seinem Eigentümer nicht mehr von Nutzen und mochte für Andrew in der schrecklichen hereinbrechenden Nacht den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.

Als er sich das letzte Mal aus der Angst erregend schwankenden Kabine stahl, bebte er, und es war ihm übel. Aus seinem aufgerissenen Bein war die gnädige Taubheit verschwunden, und der Schmerz begann mit Klauen an ihm zu reißen. Vorsichtig drückte er sich an den Innenrand des Simses und stapelte seine kostbaren, mit Mühe beschafften Vorräte an der Felswand auf.

Ihm schoss durch den Kopf, dass er einen letzten Vorstoß ins Innere des Flugzeugs machen sollte. Mattingly und der namenlose andere Mann hatten Identifikationsplaketten vom Zivildienst des Terranischen Imperiums getragen. Falls er am Leben blieb, falls er jemals wieder den Raumhafen erreichte, würden sie als Beweis für ihren Tod dienen und von Bedeutung für ihre Verwandten sein. Müde schleppte er sich voran.

Und da war es wieder, das Mädchen, der Geist, der Ghoul, der ihn hergebracht hatte. Bleich vor Entsetzen stellte sie sich ihm in den Weg. Ihr Mund verzerrte sich im Schrei.

»Nein! Nein!«

Unwillkürlich trat er zurück. Er wusste, sie war nicht da, er wusste, sie war nichts als Luft, aber er trat zurück, und sein gelähmter Fuß knickte unter ihm zusammen. Ein Windstoß traf ihn und schleuderte ihn gegen die Klippe. Das Mädchen war fort, war nirgendwo, doch bevor er sich wieder aufrappeln konnte, mischte sich in das Getöse des Sturms, das wie das Heulen einer verdammten Seele klang, ein donnernder Krach. Mit einem letzten Klappern und Klirren riss sich die Kabine des abgestürzten Flugzeugs von ihrem Ruheplatz los, verlor das Gleichgewicht, kippte, rutschte die Felsen hinunter und verschwand im Abgrund. Ein Brüllen war zu hören wie das einer Lawine, wie das Ende der Welt. Andrew klammerte sich keuchend an die Felswand. Seine Finger versuchten, mit dem Stein zu verschmelzen.

Dann war es still bis auf das Sausen des Sturms und des Schneegestöbers. Andrew hüllte sich in Mattinglys Pelzmantel und wartete darauf, dass sein Herzschlag sich normalisierte.

Wieder hatte ihn das Mädchen gerettet. Sie hatte ihn davor bewahrt, dies letzte Mal in die Kabine zu gehen.

Unsinn, dachte er. Im Unterbewusstsein muss mir klar gewesen sein, dass das Ding gleich abstürzen würde.

Er verschob den Gedanken auf später. Im Augenblick war er durch das Zweite in einer Reihe von Wundern entkommen, aber er war noch längst nicht in Sicherheit.

Wenn dieser Wind ein Flugzeug von einer Klippe blasen konnte, würde es ihm mit einem Menschen auch gelingen, sagte sich Andrew. Er musste einen besseren Platz zum Ausruhen finden.

Sich immer an der Wand haltend, mühte er sich voran. Zehn Fuß weiter in der einen Richtung verengte sich der Sims zu nichts und endete in einem dunklen Steinschlag, rutschig von dem fallenden Schneematsch. Unter vielen Schmerzen kehrte Andrew wieder um. Die Dunkelheit verdichtete sich, und der Schneematsch verwandelte sich in weißen, weichen, dicken Schnee. Andrew wünschte sich nichts weiter, als sich hinzulegen, sich in den Pelz zu wickeln und zu schlafen. Er widerstand der Versuchung und schleppte sich in die andere Richtung, wobei er die verbeulten Metallteile umgehen musste, in die er eingeklemmt gewesen war. Einmal stieß er mit dem gesunden Schienbein gegen einen verborgenen Stein. Er krümmte sich und stöhnte vor Schmerz.

Endlich hatte er die ganze Länge des Simses hinter sich gebracht, und am anderen Ende stellte er fest, dass der Pfad breiter wurde und aufwärts zu einer ebenen Stelle führte, wo dichte Büsche fest verwurzelt waren. Andrew blickte hinauf in die zunehmende Finsternis und nickte. Das dichte, verfilzte Blattwerk würde dem Wind widerstehen – offensichtlich standen die Sträucher hier schon seit Jahren. Alles, was hier wuchs, musste im Stande sein, den Stürmen zu trotzen. Wenn es sein lahmer Fuß ihm jetzt gestattete, die Anhöhe zu gewinnen ...

Es war nicht leicht, bepackt, wie er war, mit dem Mantel und den Lebensmittelvorräten, mit dem aufgerissenen, blutenden Fuß. Aber bevor es völlig dunkel geworden war, hatte er sich und seine wenigen Besitztümer hinaufgeschafft – zuletzt auf beiden Händen und einem Knie kriechend – und war im Schutz der Büsche zusammengebrochen. Immerhin toste der wahnsinnig machende Wind hier ein bisschen weniger heftig; seine Kraft wurde durch die Zweige gebrochen. Bei der Notausrüstung war eine kleine, batteriebetriebene Lampe, und in ihrem matten Schein fand er Konzentratnahrung, eine dünne Decke nach Raumfahrerart, die seine Körperwärme festhalten würde, und Brennstoff-Tabletten.

Andrew baute sich mit der Decke und seinem eigenen Mantel, die er über die dicksten gekreuzten Äste hängte, ein kleines Zelt. Dann lag er in einer Kuhle zwischen Baumwurzeln, wo ihn nur gelegentlich ein Schneeschauer erreichte. Er wollte nichts anderes mehr als still liegen, aber bevor die letzte Kraft ihn verließ, schnitt er entschlossen den gefrorenen Hosenstoff und die Überreste seines Stiefels von dem verletzten Bein. Er trug das Antiseptikum aus der Erste-Hilfe-Tasche auf und legte einen Verband an, und der Schmerz dabei war stärker, als er sich je einen Schmerz hatte vorstellen können. Irgendwie brachte er es fertig, obwohl er sich stöhnen hörte wie ein wildes Tier. Endlich ließ er sich völlig erschöpft in seinem Bau niedersinken und streckte nur noch einmal die Hand nach einem von Mattinglys Bonbons aus. Er zwang sich, ihn zu kauen, denn der Zucker würde seinen zitternden Körper erwärmen. Noch während er schluckte, schlief er ein.

Lange Zeit war sein Schlaf wie der der Toten, dunkel und ohne Träume, ein völliges Auslöschen von Geist und Wille. Und dann war er sich lange Zeit trübe des Fiebers und der Schmerzen und des draußen tobenden Sturms bewusst. Als das Geräusch nachließ, erwachte er, immer noch benommen vom Fieber, vor wahnsinnigem Durst. Er kroch hinaus, brach Eiszapfen vom Rand seines Obdachs, an denen er lutschen konnte, und taumelte ein Stück weiter, um sich zu erleichtern. Wieder im Zelt, nahm er ein bisschen Nahrung zu sich und fiel von neuem in Schmerz durchfluteten Schlaf.

Das nächste Mal, als er erwachte, war es Morgen, sein Kopf war klar, er sah helles Licht und hörte nichts als ein leises Murmeln des Windes auf den Höhen. Der Sturm war vorbei. Fuß und Bein taten noch weh, doch es war erträglich. Andrew setzte sich auf, um den Verband zu wechseln, und sah, dass die Wunde sauber war und sich nicht infiziert hatte. Die große blutrote Sonne von Cottman IV hing niedrig am Himmel und stieg langsam höher. Er kroch an die Kante und blickte in das Tal hinab, das in Nebel gehüllt unter ihm lag. Es war ein wildes, einsames Land und schien von menschlichen Händen unberührt zu sein.

Trotzdem war dies eine bewohnte Welt, bevölkert von Menschen, die, soviel er wusste, von Terranern nicht zu unterscheiden waren. Irgendwie hatte er den Absturz des Kartografierungs- und Erkundungsflugzeugs überlebt. Es sollte nicht ganz unmöglich sein, den Weg zurück zum Raumhafen zu finden. Vielleicht waren die Eingeborenen freundlich und halfen ihm, wenn er sich auch eingestehen musste, dass das nicht sehr wahrscheinlich war.

Doch solange noch Leben ist, ist auch Hoffnung ... und er lebte noch. Auch früher schon waren Männer in den wilden, unerforschten Gebieten fremder Welten verloren gegangen, hatten es überstanden und später in der Imperiumszentrale auf der Erde davon erzählt. Seine erste Aufgabe war deshalb, sein Bein so hinzukriegen, dass er laufen konnte, seine zweite, aus diesen Bergen hinauszugelangen. Die Hellers. Ein guter Name für sie. Höllisch waren sie, das stimmte. Wirbelwinde, Aufwinde, Abwinde, Stürme, die aus dem Nichts losbrachen – das Flugzeug war noch nicht gebaut, das bei schlechtem Wetter unbeschadet hindurchfliegen konnte. Andrew fragte sich, wie die Eingeborenen die Hellers überquerten. Packmaultiere oder ihr hiesiges Gegenstück, dachte er. Jedenfalls gab es Pässe, Straßen, Wege.

Die Sonne stieg höher, der Nebel löste sich auf, und Andrew konnte in das Tal hinabsehen. Die meisten Hänge waren von Bäumen bestanden, aber weit unten war ein Fluss, und über ihn führte ein dunkles Gebilde, das nichts anderes als eine Brücke sein konnte. In einem völlig unbewohnten Land befand er sich also doch nicht. Flecke mochten gepflügte Äcker, umzäunte Felder, Gärten darstellen, eine angenehme und friedliche Gegend, mit Häusern, aus deren Kaminen Rauch aufstieg – nur sehr weit weg, und zwischen dem kultivierten Land und dem Fels, auf dem Andrew lag, dehnten sich endlose Meilen voller Abgründe und Vorgebirge und Klippen.

Irgendwie würde er es schaffen, hinunter ins Tal und dann zurück zum Raumhafen zu gelangen. Und dann, verdammt noch mal, weg von diesem scheußlich unwirtlichen Planeten, den er am besten gar nicht erst betreten oder, da er nun einmal hier war, innerhalb von achtundvierzig Stunden wieder hätte verlassen sollen. Nun, jetzt würde er ihn verlassen.

Und was war mit dem Mädchen?

Zum Teufel mit dem Mädchen. Es gab sie gar nicht. Sie war ein Fiebertraum, ein Geist, ein Symbol seiner eigenen Einsamkeit ...

Einsam. Ich bin immer einsam gewesen, auf einem Dutzend Welten.

Wahrscheinlich träumt jeder einsame Mensch davon, eines Tages eine Welt zu erreichen, wo jemand auf ihn wartet, jemand, der ihm eine Hand entgegenstreckt und sagt: »Ich bin hier. Wir sind zusammen ...«

Natürlich hatte es Frauen gegeben. Frauen in jedem Hafen – wie lautete die alte Redensart, die von den Seeleuten auf die Raumfahrer übertragen worden war? In jedem Hafen eine Neue. Und manche Männer hielten, wie er wusste, dies Leben für beneidenswert.

Aber keine der Frauen war die Richtige gewesen, und er kannte alles auswendig, was man ihm in der Psychologischen Abteilung gesagt hatte. Die Leute mussten es schließlich wissen. Sie suchen nach Vollkommenheit bei einer Frau, um sich gegen eine echte Beziehung zu schützen. Sie nehmen Zuflucht zu Phantasien, weil sie die harten Realitäten des Lebens nicht sehen wollen. Und so weiter und so fort. Ihm war sogar schon gesagt worden, im Unterbewusstsein sei er homosexuell und finde normale sexuelle Beziehungen unbefriedigend, weil er im Grunde gar keine Frau wolle und es sich nur nicht eingestehe. Er hatte es hundert Mal gehört, und doch war der Traum geblieben.

Nicht einfach eine Frau fürs Bett, sondern eine für sein Herz und seine trostlose Einsamkeit ...

Vielleicht war es das, worauf die alte Wahrsagerin in der Altstadt angespielt hatte. Vielleicht hatten so viele Männer den gleichen romantischen Traum, dass sie jedem das Gleiche erzählte, wie die Psi-Quacksalber auf der Erde romantischen Teenagern von einem großen dunklen Fremden vorfaseln, der ihnen bestimmt eines Tages begegne.

Nein. Es war ein wirkliches Mädchen. Ich habe sie gesehen, und sie – sie hat mich gerufen.

Na gut. Denke darüber nach. Bringe alles in die richtige Ordnung ...

Er hatte, zu einem neuen Posten unterwegs, auf Cottman IV eine Zwischenlandung gemacht, und der Planet war für ihn nichts weiter als eine der Umsteigestationen im weiten Netzwerk des Terranischen Imperiums gewesen. Der Raumhafen war groß, ebenso die Handelsstadt, die ihn umgab und das Personal versorgte, aber es war keine Imperiumswelt mit etablierten Geschäftsverbindungen, Touren, Besichtigungen. Es war eine bewohnte Welt, aber die meisten Gebiete waren für Erdmenschen verboten. Andrew wusste nicht einmal, wie die Eingeborenen sie nannten. Der Name auf den Karten des Imperiums, Cottman IV, genügte ihm. Er hatte nicht die Absicht gehabt, länger als achtundvierzig Stunden zu bleiben, gerade lange genug, um den Weiterflug zu seinem endgültigen Bestimmungsort zu arrangieren.

Und dann war er mit drei anderen vom Raumdienst in die Altstadt gegangen. Die Schiffskost hatte er satt; immer schmeckte sie nach Maschinen, und die scharfen Gewürze sollten die Schalheit des wieder aufbereiteten Wassers und der Kohlenwasserstoffe übertünchen. Das Essen in der Altstadt war wenigstens natürlich, gut gegrilltes Fleisch, wie er es seit seinem letzten Planetenaufenthalt nicht mehr bekommen hatte, und frisches, aromatisches Obst. Dazu gab es süßen klaren goldfarbenen Wein. Seit Monaten hatte er keine Mahlzeit mehr so genossen. Und dann waren er und seine Kollegen aus reiner Neugier über den Marktplatz geschlendert, hatten Andenken gekauft, seltsame Stoffe von rauer Textur und weiche Pelze befühlt. Schließlich war er an die Bude der Wahrsagerin geraten, und amüsiert war er bei ihren Worten stehen geblieben.

»Jemand wartet auf Euch. Ich kann Euch das Gesicht Eures Schicksals zeigen, Fremder. Möchtet Ihr das Gesicht derjenigen sehen, die auf Euch wartet?«

Er hatte mit nicht mehr als dem üblichen Hokuspokus für ein paar Münzen gerechnet. Lachend gab er der runzligen alten Frau das Geld, das sie verlangte, und folgte ihr in ihre kleine, mit einer Zeltplane abgedeckte Bude. Drinnen blickte sie in ihren Kristall – merkwürdig, dass Wahrsager auf jeder Welt, die er kennen gelernt hatte, vorgaben, mit Hilfe einer Kristallkugel in die Ferne sehen zu können –, und dann schob sie ihm wortlos die Kugel zu. Immer noch halb lachend, halb abgestoßen, zum Fortgehen geneigt, beugte sich Andrew vor und sah das hübsche Gesicht, das leuchtende rote Haar. Anreißerei für ein erstklassiges Callgirl, dachte er und wollte schon fragen, was die alte Madame heute für das Mädchen berechne und ob sie für Erdleute Sonderpreise mache. Doch das Mädchen in dem Kristall schlug die Augen auf und begegnete Andrews Blick und ...

Und es geschah. Es gab keine Worte dafür. Er stand in gebückter Haltung unbeweglich vor der Kristallkugel, so lange, dass er plötzlich einen Muskelkrampf im Hals hatte.

Sie war sehr jung, und sie schien sowohl Angst als auch Schmerz zu leiden. Es war, als rufe sie ihn und bitte um Hilfe, die nur er ihr bringen konnte, und als spiele sie bewusst auf etwas Geheimes an, das nur ihnen beiden bekannt war. Später konnte er sich jedoch nicht besinnen, was das gewesen war, nur dass sie ihn gerufen hatte, dass sie ihn dringend brauchte ...

Ihr Gesicht verschwand, und sein Kopf schmerzte. Zitternd hielt er sich an der Tischkante fest und versuchte verzweifelt sie zurückzurufen. »Wo ist sie? Wer ist sie?«, fragte er. Die alte Frau sah stirnrunzelnd zu ihm auf. »Wie soll ich denn wissen, was Ihr gesehen habt, Außenweltler? Ich habe nichts und niemanden gesehen, und es warten andere. Ihr müsst jetzt gehen.«

Er stolperte hinaus, krank vor Verzweiflung.

Sie hat mich gerufen. Sie braucht mich. Sie ist hier.

Und ich reise in sechs Stunden ab.

Es war nicht gerade leicht gewesen, seinen Vertrag aufzulösen und zu bleiben, aber auch nicht allzu schwierig. Stellen auf der Welt, zu der er unterwegs gewesen war, waren sehr begehrt, und es würde nicht länger als drei Tage dauern, um seinen Posten neu zu besetzen. Er musste es in Kauf nehmen, dass er um zwei Dienstgrade zurückgestuft wurde, aber das kümmerte ihn nicht. Andererseits, so teilte die Personalabteilung ihm mit, waren Freiwillige für Cottman IV nicht leicht zu finden. Das Klima war schlecht, es gab fast keinen Handel, und obwohl die Bezahlung gut war, hatte kein Mann, dem etwas an seiner Karriere lag, den Wunsch, sich selbst an den Rand des Imperiums auf einen Planeten zu verbannen, der sich hartnäckig weigerte, abgesehen von der Verpachtung des Raumhafens selbst, irgendetwas mit den Terranern zu tun zu haben. Man stellte ihm frei, im Computer-Zentrum oder in der Abteilung Kartografierung und Erkundung zu arbeiten, und für Letzteres gab es Gefahrenzulage. Aus irgendeinem Grund hatten die Eingeborenen ihre Welt niemals verlassen, und das Terranische Imperium vertrat den Standpunkt es könne die Beziehung zu den Bewohnern von Cottman IV fördern, wenn man ihnen fertige Karten lieferte, die ihre eigene Technologie nicht herstellen konnte oder wollte.

Andrew entschied sich für Kartografierung und Erkundung. Er wusste bereits – in der ersten Woche hatte er jedes Mädchen und jede Frau im Raumhafen gesehen –, dass sie nicht in der Medizinischen oder Personal- oder Abfertigungsabteilung arbeitete. Die Leute von Kartografierung und Erkundung erfreuten sich bestimmter Privilegien, aufgrund deren sie das streng begrenzte Imperiumsreservat verlassen durften. Irgendwo, irgendwie wartete sie da draußen ...

Es war eine Besessenheit, das war ihm klar, aber er konnte den Zauber nicht brechen, und er wollte es nicht einmal.

Beim dritten Mal, als er mit dem Kartografierungsflugzeug hinausgeflogen war, passierte der Absturz ... und hier war er seinem Traummädchen nicht näher als zuvor. Wenn sie überhaupt je existiert hatte, was er bezweifelte.

Erschöpft von der Anstrengung seines Gedächtnisses kroch Andrew zurück in sein Zelt, um sich auszuruhen. Morgen war Zeit genug, einen Plan auszuarbeiten, wie er von dem Felsen hinunterkommen konnte. Er aß Notrationen, lutschte Eis, fiel in unruhigen Schlaf ...

Sie war wieder da, stand vor ihm, gleichzeitig in und nicht ganz in dem kleinen Zelt, ein Geist, ein Traum, eine dunkle Blume, eine Flamme in seinem Herzen ...

Ich weiß nicht, warum du derjenige bist, den ich berührt habe, Fremder. Ich suchte nach meinen Verwandten, nach Menschen, die mich lieben und mir helfen könnten ...

Eine Dame in Not, dachte Andrew, darauf will ich wetten. Was willst du von mir?

Nur ein schmerzlicher Blick und ein trauriges Verziehen des Gesichts.

Wer bist du? Ich kann dich nicht immer »du Geistermädchen« nennen.

Callista.

Jetzt weiß ich, dass ich ausgeflippt bin, sagte Andrew zu sich selbst. Das ist ein Erdenname.

Ich bin keine Erdenzauberin, meine Kräfte sind die der Luft und des Feuers ...

Das ergab keinen Sinn. Was willst du von mir?

Im Augenblick will ich dir nur das Leben retten, das ich unabsichtlich in Gefahr gebracht habe. Und ich sage dir: Meide das verdunkelte Land.

Abrupt verschwanden Bild und Ton. Andrew war allein. Er blinzelte.

»Callista« bedeutet einfach »schön«, wie ich mich erinnere, dachte er. Vielleicht ist sie nichts als ein Symbol der Schönheit in meinen Gedanken. Aber was ist das verdunkelte Land? Und wie kann sie mir helfen, mein Leben zu retten? Ach, Blödsinn, schon wieder behandele ich sie, als sei sie wirklich.

Kapier es endlich. Diese Frau gibt es nicht, und wenn du von hier wegkommen willst, musst du es allein schaffen.

Und doch, als er sich ausstreckte, um zu ruhen und zu planen, ertappte er sich dabei, dass er versuchte, vor seinen Augen ihr Gesicht heraufzubeschwören ...

2

Der Blizzard tobte immer noch auf den Höhen, aber hier im Tal kam die Abendsonne durch. Nur die dicken, ambossförmigen Wolken im Westen zeigten, wo die Berggipfel im Schneesturm lagen.

Damon Ridenow ritt mit gesenktem Kopf gegen den Wind, der an seinem Reitmantel zerrte, und ihm war, als sei er auf der Flucht, fliehe vor einem sich zusammenbrauenden Unwetter. Er versuchte sich einzureden: Das Wetter liegt mir in den Knochen, ich bin eben nicht mehr ganz so jung wie früher. Er wusste jedoch, es war mehr als das. Irgendetwas machte ihn unruhig, trieb ihn vorwärts, summte in seinem Gehirn. Etwas war verkehrt. War schlecht.

Ihm wurde bewusst, dass er die Augen ständig von den niedrigen, baumbestandenen Hügeln im Osten abgewandt hielt, und um des seltsamen Unbehagens Herr zu werden, drehte er sich entschlossen im Sattel um und ließ seinen Blick die Hänge hinauf- und hinunterwandern.

Das verdunkelte Land.

Quatsch, sagte er ärgerlich zu sich selbst. Im letzten Jahr hatte es dort Krieg mit den Katzenwesen gegeben. Einige seiner Verwandten waren getötet, andere vertrieben worden, gezwungen, sich im Alton-Land rund um die Seen neu anzusiedeln. Ja, die Katzenwesen waren wild und grausam, sie mordeten und sengten und folterten und ließen für tot liegen, was sie nicht gleich töten konnten. Vielleicht plagte ihn nur die Erinnerung an all das Leiden des Krieges. Mein Geist ist offen für die Geister jener, die gelitten haben ...

Nein, es war schlimmer als das. Es ging nicht nur um die Untaten der Katzenwesen, von denen er gehört hatte.

Er spähte zurück. Die vier Schwertkämpfer der Garde, seine Eskorte, begannen, sich zusammenzudrängen und zu murmeln. Damon war klar, dass er Halt befehlen müsse, um die Pferde verschnaufen zu lassen. Einer der Männer gab seinem Tier die Sporen und ritt zu ihm heran, und Damon zog die Zügel an und wandte ihm das Gesicht zu.

»Lord Damon!« Der Gardist sprach mit der schicklichen Ehrerbietung, aber er blickte zornig drein. »Warum reiten wir, als sei uns der Feind dicht auf den Fersen? Ich habe kein Wort über einen Krieg oder einen Überfall gehört.«

Damon Ridenow zwang sich, seine Geschwindigkeit zu mäßigen. Es kostete ihn Mühe. Am liebsten hätte er sein Pferd angetrieben, bis er die Sicherheit von Armida erreicht hatte ...

Ernst antwortete er: »Ich glaube, wir werden tatsächlich verfolgt, Reidel.«

Der Gardist ließ seinen Blick wachsam von Horizont zu Horizont schweifen – es war seine Pflicht, wachsam zu sein –, verbarg jedoch nicht, dass er skeptisch war. »Hinter welchem Busch lauert der Feind Eurer Meinung nach, Lord Damon?«

»Das weiß ich ebenso wenig wie Ihr«, seufzte Damon.

Der Mann blieb hartnäckig. »Nun, Ihr seid ein Comyn-Lord, und es ist Eure Sache, wie es meine ist, Eure Befehle auszuführen. Es gibt jedoch Grenzen für das, was Mann und Pferd tun können, Lord, und falls man uns angreift, wenn wir wund vom Reiten und unsere Tiere müde sind, werden wir schlecht kämpfen.«

»Da habt Ihr wohl Recht«, gab Damon zu. »Lasst halten, wenn Ihr wollt. Hier auf freiem Feld besteht wenigstens keine Gefahr eines Überraschungsangriffs.«

Er war verkrampft und müde und froh, absteigen zu können, obwohl das alptraumhafte Gefühl der Dringlichkeit ihn weiter quälte. Der Gardist Reidel brachte ihm Essen. Er nahm es, ohne zu lächeln, und sein Dank wirkte zerstreut. Der Gardist verweilte sich mit dem Vorrecht alter Bekanntschaft.

»Riecht Ihr immer noch Gefahr hinter jedem Baum, Lord Damon?«

»Ja, aber ich kann nicht sagen, warum«, antwortete Damon. Zu Fuß war er von wenig mehr als mittlerer Größe, ein dünner, blasser Mann mit dem feuerroten Haar eines Comyn-Lords der Sieben Dämonen. Wie die meisten seines Standes war er bis auf einen Dolch unbewaffnet, und unter seinem Reitmantel trug er die leichte Jacke eines Stubenhockers, eines Gelehrten. Der Gardist sah ihn besorgt an.

»Ihr seid es nicht gewohnt, so lange zu reiten, Lord, und mit solcher Hast. War das unbedingt notwendig?«

»Ich weiß es nicht«, sagte der Comyn-Lord leise. »Meine Verwandte auf Armida schickte mir eine Botschaft, in der sie mich, ohne Einzelheiten anzugeben, flehentlich bittet, in aller Eile zu ihr zu kommen. Sie ist nicht von der ängstlichen Sorte, die vor Schatten erschrickt und nachts wach liegt, weil sie sich vor Räubern im Hof fürchtet, wenn ihr Mannsvolk nicht daheim ist. Ein dringender Hilferuf von Lady Ellemir ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, deshalb brach ich sofort auf; das musste ich. Sicher, es mag sich um eine familiäre Angelegenheit handeln, vielleicht Krankheit in ihrem Haushalt. Aber was es auch sein mag, es ist ernst, sonst würde sie allein damit fertig werden.«

Der Gardist nickte bedächtig. »Ich habe gehört, dass die Dame tapfer und geistesgegenwärtig ist. Ein Bruder von mir gehört zu ihrem Personal. Darf ich es meinen Kameraden weitererzählen, Lord? Sie werden weniger murren, wenn sie wissen, es handelt sich um wirkliche Schwierigkeiten und nicht um eine Laune von Euch.«

»Ihr könnt es ihnen gern sagen, es ist kein Geheimnis«, meinte Damon. »Ich hätte es selbst getan, wenn ich daran gedacht hätte.«

Reidel grinste. »Ich weiß, Ihr seid kein Leuteschinder, aber keiner von uns hatte Gerüchte gehört, und durch dies Land reitet ein Mann nur, wenn er muss.« Er wandte sich zum Gehen. Damon legte ihm die Hand auf den Ärmel und hielt ihn zurück.

»Ein Land, durch das ein Mann nur reist, wenn er muss – was meint Ihr damit, Reidel?«

Auf diese direkte Frage hin wurde der Gardist nervös.

»Es bringt Unglück«, stieß er hervor. »Es liegt unter einem Schatten. Man nennt es jetzt das verdunkelte Land, und kein Mann reitet oder fährt darin, wenn es nicht unbedingt erforderlich ist, und auch dann nur, falls er einen mächtigen Schutzzauber besitzt.«

»Unsinn.«

»Ihr mögt lachen, Lord, ihr Comyn werdet durch die Großen Götter geschützt.«

Damon seufzte. »Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr so abergläubisch seid, Reidel. Ihr dient seit zwanzig Jahren in der Garde, Ihr wart der Friedensmann meines Vaters. Glaubt Ihr immer noch, wir Comyn seien anders als andere Menschen?«

»Ihr seid glücklicher.« Reidel biss die Zähne zusammen. »Aber jetzt, wenn Männer in das verdunkelte Land reiten, kehren sie nicht wieder zurück, oder sie kehren mit verwirrtem Verstand zurück. Nein, Lord, lacht mich nicht aus, es ist dem Bruder meiner Mutter vor zwei Monaten so ergangen. Er ritt in das verdunkelte Land, um ein Mädchen zu besuchen, das er zu seiner zweiten Frau machen wollte. Den Brautpreis hatte er schon bezahlt, als sie erst neun war. Er kam nicht zur festgesetzten Zeit, und als man mir sagte, er sei für immer in den Schatten gegangen, habe auch ich gelacht und gemeint, zweifellos habe er es hinausgeschoben, mit dem Mädchen ins Bett zu gehen und ihr ein Kind zu machen. Dann eines Abends spät, Lord, zehn volle Tage nach Ablauf seines Urlaubs, kam er in die Wachstube zu Serré. Ich habe nicht viel Phantasie, Lord, aber sein Gesicht ... sein Gesicht ...« Er gab es auf, nach Worten zu ringen, und fuhr fort: »Er sah aus, als habe er geradewegs in Zandrus siebte Hölle geblickt. Und nichts, was er sagte, hatte Sinn, Lord. Er faselte von großen Feuern und vom Tod in den Winden und verdorrten Gärten und Hexenspeise, die einem Mann den Verstand nimmt, und von Mädchen, die mit Katzenklauen an seiner Seele zerrten. Man schickte nach der Zauberin, doch bevor sie kommen und seinen Geist heilen konnte, fiel er um und starb tobend.«

»Irgendeine Krankheit in den Bergen«, sagte Damon. Reidel schüttelte den Kopf.

»Ihr habt mich daran erinnert, Lord, dass ich seit zwanzig Jahren in diesen Bergen Gardist bin, und mein Onkel war es zweimal zwanzig Jahre. Ich kenne die Krankheiten, die Männer umwerfen, und das war keine von ihnen. Auch kenne ich keine Krankheit, die einen Mann nur in einer Richtung befällt. Ich bin selbst ein kleines Stück in das verdunkelte Land hineingeritten, Lord, und habe die verdorrten Gärten und verkommenen Obstbäume mit eigenen Augen gesehen, auch die Leute, die jetzt dort hausen. Es ist wahr, dass sie von Hexenspeise leben.«

Wieder unterbrach Damon: »Hexenspeise? So etwas wie Hexen gibt es nicht, Reidel.«