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Bestsellerautorin Marion Zimmer Bradley ("Die Nebel von Avalon") hat mit dem opulenten Darkover-Zyklus eine einzigartige Romanreihe geschaffen: Die fesselnde Geschichte einer geheimnisvollen fremden Welt und ihrer Bewohner ist Kult! Darkover im Zeitalter der Hundert Königreiche: Die Fürstenhäuser sind in endlose Fehden verstrickt und bekriegen sich mit Hilfe von Laran, der magischen PSI-Kraft. Als der junge Corin, ein talentierter Laran-Kämpfer, unter den Einfluss des heimtückischen Rumail gerät, ahnt er nichts von dessen gefährlichen Plänen: Ein in sein Unterbewusstsein implantierter geheimer Befehl soll zum Untergang der Hastur-Dynastie führen. Doch Corin bleibt standhaft – nicht zuletzt aus Liebe zu einer Prinzessin aus dem Hause Hastur ...
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Seitenzahl: 826
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Marion Zimmer Bradley mit Deborah J. RossDer Untergang von Neskaya
Ein Darkover Roman
Copyright dieser Ausgabe © 2014 by Edel eBooks, einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg. Copyright © 2001 by The Marion Zimmer Bradley Literary Works Trust Copyright First german Edition © 2002 by Blanvalet Verlag in der Verlagsgruppe Randomhouse GmbH, München. Die Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel "The Fall of Neskaya: Book One of the Clingfire Triology" Ins Deutsche übertragen von Michael Nagula
Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München
Konvertierung: Datagrafix
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
ISBN: 978-3-95530-609-0
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Dem aufmerksamen Leser werden möglicherweise bei einigen Details Unterschiede zu neueren Erzählungen auffallen. Das ist ohne Zweifel auf die fragmentarische Geschichtsschreibung zurückzuführen, die bis zum heutigen Tage anhält. In den Jahren nach der Zeit des Chaos und der Hundert Königreiche gingen viele Zeugnisse verloren, andere wurden durch die mündliche Weitergabe entstellt.
Marion Zimmer Bradley ging mit »ihrer besonderen Welt« Darkover immer sehr großzügig um, und sie ermutigte für ihr Leben gern junge Schriftstellerinnen. Wir waren schon Freundinnen, als sie ihre Anthologien über DARKOVER und die SCHWESTERN-Reihe herauszugeben begann. Meine natürliche literarische »Stimme« und das, wonach sie suchte, passten ungewöhnlich gut zueinander. Sie las immer gern, was ich mit so viel Freude schrieb, und bezeichnete »Brendan Ensolares Tod« (FOUR MOONS OF DARKOVER, USA 1988, dt. DIE VIER MONDE) oft als eine ihrer Lieblingsgeschichten.
Als Marions Gesundheitszustand sich verschlechterte, lud sie mich ein, mit ihr an einem oder mehreren Darkover-Romanen zu arbeiten. Wir beschlossen, dass wir, statt die Geschichte des »modernen« Darkover fortzuschreiben, besser in die Zeit des Chaos zurückkehrten. Marion schwebte eine Trilogie vor, die mit dem Hastur-Aufstand und dem Untergang von Neskaya beginnen und über die anhaltende Freundschaft zwischen Varzil dem Guten und Carolin Hastur bis zu dem Feuerbombardement auf Hali und der Ratifizierung des Vertrags führen sollte. Während ich mir so schnell wie möglich Notizen machte, lehnte sie sich zurück, richtete den Blick nach oben und begann die Geschichte mit den Worten: »Also, die Hastur versuchten, die schlimmsten Auswüchse der Laran-Waffen in den Griff zu bekommen, aber ständig wurden neue entwickelt …« Oder sie sagte: »Varzil und Carolin waren natürlich mit den Geschichten von den unglücklichen Liebenden vertraut, die bei der Zerstörung von Neskaya ihr Leben verloren …«
Das hier ist ihre Geschichte
Coryn Leynier erwachte aus einem Traum mit Feuersbrünsten, die von den Höhen herabfegten. Der Traum hatte ganz friedlich begonnen, wenn auch mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit, wie so viele seiner Träume, seit sein Körper sich in der Jugend zu verändern begonnen hatte. Anfangs schwebte sein Gleiter unter Darkovers großer Blutiger Sonne dahin, die seidigen Segel weit über zerbrechliche Holzleisten gespannt. Im vergangenen Sommer hatte sein ältester Bruder Eddard, der Erbe der bergigen Verdanta-Ländereien, ihm beigebracht, wie man für kurze Entfernungen auf Luftströmungen reiten konnte. In seinem Traum flog Coryn frei umher. Er verspürte keine Angst vor der Höhe, lediglich Vergnügen an dem grenzenlosen Himmel.
Ein Sommergewitter blitzte in der Ferne auf, über den Hellers. Die Luft knisterte vor Energie. Rauch kräuselte sich von einem Hain mit Harzbäumen himmelwärts. In Coryn wuchs die Spannung. Solange er zurückdenken konnte, hatten seine Brüder und er stets nach Waldbränden Ausschau gehalten und manchmal sogar darin gewetteifert, als Erster Alarm auszulösen.
In seinem Traum bemühte sich Coryn, den Gleiter zu wenden, um mit den Neuigkeiten nach Burg Verdanta zurückzukehren. Doch der Apparat aus Holz und Leder reagierte nicht. Er kämpfte wie ein Lebewesen dagegen an, krümmte und wand sich in seinem Griff.
Coryn bemerkte den Sternenstein, einen funkelnden Fleck, der in die Querstreben geschlagen war. Er sah aus wie jeder andere Sternenstein auch, den man einem Kind nach alter Familientradition beim Mittwinterfest im Anschluss an seinen zwölften Geburtstag schenkte, doch dieser, so wusste er, war sein eigener. Als er ihn ansah, flammte blaues Licht darin auf, als würde er ihn erkennen. Er hatte gehört, dass ein ausgebildeter Laranzu mit einem solchen Stein einen Gleiter überallhin schicken konnte, wohin er wollte, nicht nur dorthin, wohin die unsteten Winde ihn trugen. Diese Vorstellung berührte ihn seltsam, erweckte eine sprachlose Sehnsucht in ihm.
Dorthin fliegen, wohin man will, nicht dorthin, wohin der Zufall einen trägt …
Coryn starrte den Sternenstein an und stellte sich vor, wie der Gleiter auf sein Geheiß nach Hause zurückkehrte. Ein blaues Feuer flackerte in der Tiefe. Seine Nerven kribbelten, und sein Magen verkrampfte sich, ebenso rebellisch wie der Gleiter. Doch er hielt den Blick unverwandt auf den Sternenstein gerichtet und versuchte tiefer vorzudringen, immer tiefer.
Das Feuer änderte seinen Lauf, wogte die Berghänge hinab, setzte über die Feuergräben hinweg, die durch Nachlässigkeit seltsam überwuchert waren. Im Nu hüllte es Sträucher und Dickicht ein, sprang über alles hinweg, was ihm im Weg stand. Gras verglühte zu Rauchwolken. Harzbäume loderten auf. Als die Taschen voll entflammbaren Saftes sich entzündeten, explodierten die Bäume einer nach dem anderen und verstreuten lebendige Asche in alle Richtungen. Rauch, dicht und ätzend, stieg aus dem Wald auf.
Weit entfernt erklangen Alarmglocken, immer und immer wieder, als jeder Besitz in den Hellers, von Aldaran bis zum Fluss Kadarin, geweckt wurde.
Beim nächsten Herzschlag saß er aufrecht in seinem Bett in Burg Verdanta und fröstelte, als wäre es tiefster Winter und nicht Hochsommer, während der Alarm in seinen Ohren gellte.
Coryn stieg in seine Stiefel und stürmte geradewegs die Treppe hinunter. Tessa, seine älteste Schwester, eilte mit einem Tablett voll kalter Fleischklöpse durch den Korridor. Sie trug ein altes graues Kleid, mehrere Zentimeter zu kurz und aus den Fetzen noch älterer Gewänder zusammengeflickt. Sie hatte sich ein weißes Kopftuch um das Haar geschlungen, das sie mehr wie eine Küchenmagd aussehen ließ und nicht wie die älteste Tochter des Lords. Coryn schnappte sich einen Klops und stopfte ihn sich in den Mund, während er sich das Hemd überstreifte. Ausnahmsweise erhob sie keinerlei Einwände.
Draußen im Hof warf der Morgendämmer schummrige Schatten auf das frisch gerechte Erdreich. Eine jähe Brise trug die ersten Anzeichen der Tageshitze heran.
Im Hof herrschte rege Betriebsamkeit. Wer alt genug war zum Gehen, hatte sich eingefunden, und alle eilten in unterschiedliche Richtungen, trugen Schaufeln und Mistgabeln, Harken, Säcke und Kübel, zusammengelegte Decken und zerschlissenes Leinen als Verbandszeug. Federvieh gackerte, flatterte und wirbelte noch mehr Staub auf. Einer der Hunde der Burg tollte kläffend vorbei. Die Menschen bemühten sich, Schaufeln und Harken an den Sätteln der Pack-Chervines zu befestigen. Padraic, der Burg-Coridom, stand am Rand des größten Wassertrogs und brüllte Befehle.
Coryn blieb mit klopfendem Herzen auf der Schwelle stehen. Einen schrecklichen Augenblick lang schien der Hof seitwärts zu kippen. Er schluckte, schmeckte Galle und schwankte auf den Beinen.
Nicht schon wieder!, tobte er innerlich. Er wollte nicht, dass ihm übel wurde, das durfte nicht geschehen. Nicht jetzt, wo jedes gesunde männliche Wesen über zehn Jahren, ob Familienangehöriger, Bediensteter oder Gast, zur Bekämpfung des Feuers gebraucht wurde.
»Du begleitest mich zu den Feuerschneisen, mein Junge.« Eddard trat auf den Hof hinaus und bedeutete Coryn ihm zu folgen. »Mach die Pferde bereit!« Eddard war für den Ritt in eine geschmeidige Lederhose und entsprechende Stiefel gekleidet und trug zwei Pergamentrollen, die in geölte Seide eingeschlagen waren. »Petro!«
Coryns älterer Bruder Petro hatte sich schon auf den schlanken Rappen aus der Armida-Zucht geschwungen, das schnellste Pferd in den Ställen. Sein Gesicht war rot angelaufen, und sein schwarzes Haar stand, ganz anders als Coryns heller Kupferschopf, in alle Richtungen ab und verlieh ihm ein Furcht erregendes Aussehen, ließ ihn aber auch aufgeregt erscheinen.
Eddard drückte Petro eine der Pergamentrollen in die ausgestreckte Rechte. »Die hier ist für Lord Lanil Storn, eine unverhohlene Bitte um Hilfe.«
»Hilfe?«, fragte Petro ungläubig. »Von Storn? Ist unsere Lage schon so verzweifelt?«
»Wir berufen uns dabei auf Feuer-Waffenruhe. Es scheint das schlimmste Feuer seit Menschengedenken zu werden«, sagte Eddard mit sichtlichem Unbehagen. »Nur ein Narr würde zulassen, dass das Haus seines Nachbarn abbrennt, und sich selber sicher wähnen.«
Feuer-Waffenruhe, wiederholte Coryn bei sich. Würde sie denn halten? Verdanta und Kinnally überfielen die Ländereien des jeweils anderen schon seit so vielen Jahren, dass sich kaum noch jemand an die Ursache des Streits erinnerte. Er glaubte ja, dass es mit dem Besitz eines Nussbaum-Hains zusammengehangen hatte, der längst an Wurzelfäule zu Grunde gegangen war, weil die Luftwagen aus Isoldir versehentlich Keime über die Berge getragen hatten.
»Außerdem bittet dich Vater, zum Turm von Tramontana weiterzureiten. Wenn Lord Storn dich ziehen lässt«, sagte Eddard und verzog dabei den Mund, was deutlich machte, wie unwahrscheinlich ihm das erschien, »solltest du dieses zweite Pergament dem Bewahrer Kieran übergeben. Richte ihm auch verwandtschaftliche Grüße aus, denn er ist ein Aillard und mit der Familie deiner Großmutter verwandt.«
Petro schob die Pergamentrollen grimmigen Blicks unter seinen Gürtel. »Wenn Dom Lanil der Meinung ist, er könnte einen Vorteil über uns erlangen, indem er abwartet, während wir unsere Kräfte auf dieses Feuer konzentrieren, oder indem er Tramontanas Hilfe vereitelt, dann wird ihn auch eine bloße Pergamentrolle nicht umstimmen.«
»Vergiss nicht, deine Zunge im Zaum zu halten«, sagte Eddard mit scharfem Unterton, »und wiederhole nur, was man dir aufgetragen hat, ohne eine deiner endlosen Reden zu halten. Deine Aufgabe besteht darin, den Mann um Hilfe zu bitten, du solltest ihn nicht in den Bosheiten der modernen Gesellschaft unterweisen.«
Petro lenkte ein. »Ich werde mein Bestes geben. Schließlich sagt Vater immer, wenn man einen Mann so behandelt, als wäre er ehrenhaft, steige die Wahrscheinlichkeit, dass er sich auch entsprechend verhält.«
»Dann gutes Gelingen, mein Junge, und möge Aldones deine Zunge ebenso segnen wie die Hufe deines Pferdes.«
Petro nickte und gab seinem Rappen die Sporen, sodass er mit halsbrecherischer Geschwindigkeit, bei der Erdreich aufwirbelte, durch die Tore preschte.
Eddard deutete auf jemanden, der sich inmitten des Hofes mit dem Geschirr an einem Chervine abmühte. »Nein! Nicht so!«
Lord Leyniers Hengst, massig genug, um selbst einen legendären Hünen tragen zu können, wieherte und tänzelte zur Seite, rammte den Stallburschen, der an seinem Zaumzeug hing, mit der Schulter. Der Bursche landete der Länge nach im Dreck, während der Hengst sich aufbäumte und mit den Vorderläufen die Luft peitschte.
Coryn griff nach den Zügeln, bevor das Tier den Jungen zertrampeln konnte. Die Augen des Hengstes waren weit aufgerissen, der Geruch von Furcht entströmte seinem Leib. Er legte ihm eine Hand auf die Schnauze und zog den Kopf herunter. »Ruhig, ganz ruhig«, murmelte er. Das Pferd schnaubte, und seine Augen blickten weniger wild.
»Gib her.« Lord Beltran Leynier, hoch gewachsen und grauhaarig, doch noch immer mit breiten Schultern, nahm Coryn die Zügel ab und schwang sich in den Sattel. »Erste Gruppe zu mir!« Er galoppierte in Richtung Straße, dicht gefolgt von Reitern und Packtieren.
Als Coryn einen Schritt zurückwich, rempelte er einen Küchenjungen. Die Mütze des Jungen fiel herunter und entblößte hellrotes Haar, das zu groben Zöpfen geflochten einen Dutt bildete. Bei Aldones! Es war seine kleine Schwester Kristlin, in die abgelegten Sachen eines Dieners gekleidet. Sie war erst acht, noch zu jung, um etwas Wichtigeres übertragen zu bekommen als das Aufrollen von Verbandszeug oder das Schneiden von Zwiebeln. Dem Blick nach, den sie ihm zuwarf, würde er Spinnen in seinem Bett vorfinden, wenn er jemandem auch nur ein Sterbenswörtchen sagte.
»Coryn! Wohin wollen diese Gäule?«, brüllte Eddard von der anderen Seite des Hofes.
In der staubigen Enge der Ställe stampften und wieherten die übrigen Pferde. Der Pfleger hatte gerade den Sattelgurt an Eddards klappriger grauer Mähre festgezurrt. Coryn überprüfte sorgfältig Gurt, Brustplatte und Kruppriemen seines Braunen, der auf den Namen Tänzer hörte; der Ritt würde über unebenes Gelände gehen, und ein Sturz aus dem Sattel konnte tödlich enden.
»Nehmt euch in Acht da draußen, junger Herr«, sagte der Pferdepfleger. »So ein Feuer habe ich nicht mehr gesehen, seit Durramans Esel ein Fohlen warf.«
Coryn schwang sich im Hof auf Tänzers Rücken und nahm von Padraic die Führungsleine der Pack-Chervines entgegen. Eddard und er preschten auf der Straße in den heller werdenden Morgen.
Eine Rauchwolke stieg von den bewaldeten Hügeln auf, noch viele Meilen entfernt. Coryn spürte den beißenden Geruch des Blitzes, den schmierigen Rauch aus halb verbrannten Specksträuchern, die Asche auf dem Gesicht.
Die Welt geriet ins Wanken, Himmel und grün-goldene Hügel verschwammen … verschmolzen … Säure biss in der Kehle. Er schwankte im Sattel und würgte.
Eine Faust um die sandfarbene Mähne gekrampft, die andere um den Sattelknauf gekrallt, versuchte Coryn sich auf dem Pferd zu halten. Eddard, der vor ihm ritt, hatte nichts bemerkt. Die Benommenheit verging und hinterließ einen bitteren Nachgeschmack in Coryns Mund.
Coryns Hand fuhr an seinen Hals, wo in einem Beutel aus dicker Seide, den er selbst genäht hatte, sein Sternenstein lag. Er spürte dessen inneres Licht wie eine Hitzewoge, die zwischen seinen Fingern hervordrang.
Er fühlte sich elend. Wenn er gewusst hätte, wie man Sternensteine und Gleiter benutzte – und davon hatte er immer geträumt –, dann wäre es nicht nötig gewesen, Petro im Eiltempo nach Tramontana zu schicken und der Gnade von High Kinnally zu überlassen. Er, Coryn, hätte sich in die Lüfte geschwungen und die kostbaren, durch Laran geschaffenen Chemikalien geradewegs auf die Feuersbrunst abgeworfen.
Bei dieser Vorstellung presste er die Lippen aufeinander, grub die Fersen in Tänzers Flanken und galoppierte weiter.
Coryn bahnte sich mit seinem Bruder Eddard und drei Kleinbauern aus dem zerklüfteten Grenzland entlang der Anhöhen den ganzen Tag lang mühsam einen Weg durch die bestehenden Feuerschneisen und schlug neue. Die Feuer des letzten Sommers waren spärlicher gewesen als sonst, doch der Winter war mild ausgefallen. Dicht belaubtes Unterholz, größtenteils leicht brennbarer Speckstrauch, überwucherte jeden freien Fleck und jede Senke.
Am nächsten Morgen wurde deutlich, dass es zu wenige, zu weit verstreute Menschen gab und das Land zu groß war, um alles Brennbare durch Schneisen zur Eindämmung des Feuers zu schützen. Eine Antwort von High Kinnally stand noch aus. Vielleicht war es einfach zu früh.
Eddard brachte sie zu einer südlichen Anhöhe über dem Feuer, um sich seinen Verlauf anzusehen. Timas, der älteste Kleinbauer, prüfte den Wind, die Dürre des Unterholzes, die Schräge der Kuppel. Er hatte von Kindheit an dafür gekämpft, dass kein Feuer auf Verdanta Übergriff.
»Da«, er deutete die Anhöhe hinauf, »und da. Seht Ihr, Mylord? Das Land ist so gegliedert, dass die Flammen aufwärts getrieben werden, dem Wäldchen zu.«
Coryn, ein Nussbrot in der Hand, das mit Chervine-Butter bestrichen war, folgte kauend der Geste des alten Mannes. Der Wind wehte unbeständig. Wenn er die Richtung beibehielt, sagte sich Timas, würde das Feuer dem steileren Pfad zu einem geschützten Tal folgen, in dem dicht gedrängt Harzbäume und Feuerzapfenpinien standen. Aber wenn er die Richtung änderte …
Auf dem anderen Weg, der seichten, bedächtigen Schräge, gab es nichts als Gras. Nackte Felsen trennten die beiden Pfade voneinander.
Coryns Blick verschwamm, und er konnte die gespenstischen Feuerströme regelrecht spüren. Bilder brandeten auf ihn ein – wie der Wind auffrischte und umschlug. Schmale Flammen züngelten im wogenden Gras auf; es fing Feuer, und das Feuer schoss schneller dahin als ein galoppierendes Pferd. Funken stoben aus winzigen Scheiten, die zerplatzten, und flogen dem eigentlichen Feuer voraus. Er sah, wie sie auf dem kahlen Fels landeten und sogleich erloschen. Das Feuer ließ eine schwarze Kruste zurück, als es die leichte Schräge hinaufzog.
Coryns Blickfeld weitete sich mit dem Feuer aus. Noch mehr Scheite landeten auf der felsigen Trennlinie. Dahinter, für ihn nicht sichtbar, wurde die Felszunge schmaler, war durch den Wechsel von Sommerhitze und Winterkälte mürbe geworden. In einem Spinnennetz winziger Risse wurzelten Windkraut und andere rasch wachsende Gräser, die im Frühlingsregen sprossen und ebenso schnell wieder in der Hitze verdorrten. Ein Funke sprang über – er spürte, wie das Gras Feuer fing, wie die verdorrten Windkrautranken aufloderten. Einen Herzschlag später brannte das Feuer zu beiden Seiten der Grenze und züngelte auf die Harzbäume zu.
Wenn die Harzbäume in Flammen auf gehen, verlieren wir die ganze Bergflanke …
Coryn blinzelte und erkannte, dass viel Zeit vergangen war.
»… aber es wird noch schlimmer, wenn das Feuer erst nach Süden zieht«, sagte Eddard. »Wir dürfen die Bäume nicht in Gefahr bringen.«
Der Alte schüttelte den Kopf, schlug die Augen vor dem Erben seines Lords nieder. »Man kann dem Gras nicht vertrauen«, sagte er hartnäckig.
»Timas hat Recht«, sagte Coryn, ein wenig erstaunt, wie gelassen seine Stimme klang. »Das Feuer – es beginnt beim Gras, doch dabei bleibt es nicht. Da oben bei den kahlen Stellen …« Rasch beschrieb er, was er gesehen hatte. Die anderen verstummten und lauschten ihm.
»Aye, so ist es gewöhnlich«, sagte der Alte nickend. »Ich habe Funken gesehen, die drei Meter und mehr übersprangen. Über Felsen, Flüsse und Feuerschneisen. Doch Ihr, junger Herr, woher wusstet Ihr das?«
»Ich – ich habe es gesehen. Es ist genauso geschehen, wie du gesagt hast.«
»Nein, mein Junge, ich habe nur gesagt, welchen Weg das Feuer einschlagen könnte. Diesen oder jenen, je nach Richtung des Windes.«
Coryn hob das Kinn und wandte sich seinem älteren Bruder zu. »Es wird diesen Weg nehmen. Ich hab’s gesehen.«
»Du glaubst es gesehen zu haben, Chiyu.« Eddard strich sich das dunkelrote Haar zurück, ohne dass es danach weniger struppig wirkte. »Aber wenn wir uns falsch entscheiden und die Harzbäume ungeschützt lassen …«
»Lord Eddard!« Einer der Männer, der den halben Weg hinunter auf das Feuer zugegangen war, deutete aufgeregt und rief: »Der Wind!«
»Zandrus Fluch!«, spie Eddard. Der Wind war umgeschlagen und fauchte die Flammen zu kleinen Feuersbrünsten an, die sogar noch heißer und rascher loderten als zuvor.
Auf den grasbedeckten Hang zu.
»Überlasst ihm ruhig das Gras!.«, rief Eddard und schwang sich aufs Pferd. »Hangabwärts, dorthin, wo Coryn gesehen hat, wie es über den Felsen sprang! Mit etwas Glück treffen wir noch rechtzeitig ein!«
Coryn konnte sich nicht erinnern, schon einmal so benommen vor Erschöpfung gewesen zu sein, so ausgelaugt an Leib und Seele, wie in der dritten Nacht des Feuers, als er und der alte Timas in das provisorische Lager taumelten. Sie hatten die ganze Nacht und den nächsten Tag ununterbrochen gearbeitet, neue, breitere Feuerschneisen geschlagen und Gras und Gestrüpp zur Seite geräumt.
Die Harzbäume hatten sie retten können, nur um zwei weitere Bergflanken und einen Teil des Nussbaum-Wäldchens zu verlieren. Coryn sah die Angst in den Augen der Kleinbauern, die auf das, was ihre Kinder in den Wäldern sammeln konnten, angewiesen waren, um ihre Familien während der schlechten Jahreszeiten durchzubringen. Die nächsten Winter würden hart werden, bis die Nussbäume, die nicht zu stark verbrannt waren, wieder Früchte trugen.
Lord Leynier war ein großzügiger Mensch. In Zeiten der Not pflegte man auf der Burg Vieh zu schlachten, die älteren und schwächeren Tiere, um das Fleisch zu verteilen und den Bedarf an Futterweizen zu verringern.
Nun, gegen Ende des dritten Tages, brachte ein junger Mann auf einem Pony Kunde von Lord Leynier, dass die Leute, die mit den ersten Gruppen ausgezogen waren, sich ausruhen sollten. Von den kleinen Besitztümern im Süden und Osten war eine Hand voll Helfer gekommen. Doch auf Hilfe von High Kinnally durften sie nicht hoffen. Lord Land Storm hatte den Männern und Petro das freie Geleit nach Tramontana verwehrt.
Bei dieser Kunde erhob sich ein Aufschrei der Entrüstung unter den Kleinbauern. Von weißer Asche verschmierte Gesichter wurden noch blasser.
»Vai dom«, sagte ein Mann, »wie ist es möglich, dass sie uns gegen – gegen Feuer nicht beistehen wollen?«
Eddards Kiefer spannten sich, und einen Moment lang sah Coryn, wie die Augen des Vaters seinen Bruder anfunkelten. »Ich weiß nicht, ob ihm daran gelegen ist, dass wir unsere Kräfte auf das Feuer konzentrieren und er dann, wenn wir schwach genug sind, zuschlagen will, oder ob er ein solcher Tor ist zu glauben, dass das Feuer sich auf unsere Ländereien beschränken wird.«
Coryn dachte an das alte Sprichwort: Feuer folgt seinen eigenen Gesetzen. Dann fiel ihm ein, dass Kieran, der Bewahrer von Tramontana, ein entfernter Vetter der Aillards war. Blutsbande waren in den Hellers stark ausgeprägt. »Vielleicht«, sagte er in einem dieser quecksilbrigen Gedankensprünge, die mittlerweile viel zu oft auftraten, »befürchtet er ja, dass der Turm uns außer Chemikalien zur Brandbekämpfung noch anderes überlässt.«
»Du meinst Waffen?« Eddard blickte grimmig drein. »Wenn sie es doch nur täten! Das heißt, sofern nach dem Feuer noch etwas von uns übrig ist.«
Eddard wandte sich den wartenden Pferden zu, doch Coryn blieb noch für einen Moment bei Timas. Dem alten Mann standen Tränen in den Augen, als striche nach wie vor der Rauch über sie hinweg.
»Das ist ein hartes Geschäft«, platzte Coryn heraus, sich seiner Unbeholfenheit bewusst. Er wollte nur irgendetwas sagen, um die unausgesprochene Not des anderen zu lindern.
»Aye, mein Junge, das ist es.« Timas’ Stimme war heiser vom Rauch, doch Coryn spürte den gefühlsmäßigen Widerhall zwischen den Worten. »Doch Feuer zu bekämpfen ist nicht wie Krieg. Da streichen die Lords allen Ruhm ein, und wir, das arme Volk, müssen dafür bezahlen.«
»Aber«, sagte Coryn und wiederholte Worte, die er von seinem Vater gehört hatte, »würdet ihr unter einem ungerechten Herrscher denn nicht viel mehr leiden? Nicht jeder Lord kümmert sich so sehr um sein Volk wie mein Vater. Nach allem, was ich hörte, würde Storn eure Kinder verhungern lassen, während er in seiner Burg sitzt und Feste feiert. Ist es nicht wert, dafür zu kämpfen?«
Seufzend schüttelte Timas den Kopf. »Wie wenig Ihr doch wisst, mein Junge.«
»Iss, so viel du kannst, und leg dich dann schlafen«, sagte Eddard, als sie ihre stampfenden Pferde in das provisorische Hauptquartier lenkten. Das Lager befand sich auf ebenem, mit Fels durchsetztem Grund an einer Bergflanke, die ein Dutzend Jahreszeiten vorher gebrannt hatte, sodass hier nur Gestrüpp und Schösslinge wuchsen. Eine Quelle lieferte Wasser zum Kochen und zur Behandlung von Verbrennungen.
Die Frauen und kleineren Kinder der Burg hatten Zäune gezogen und eine Küche im Freien sowie ein paar Zelte errichtet. Tessa und ihre nächstjüngere Schwester Margarida bewegten sich flink zwischen den Zelten umher, trugen Bandagen und Salben gegen Verbrennungen, Schüsseln mit Waschwasser und Packungen für Muskelzerrungen. Da ihre Mutter bei Kristlins Geburt gestorben war, nahm Tessa in Abwesenheit von Lady Leynier die Aufsichtspflichten über das Gesinde wahr und verteilte an, alle auf dem Besitz Kräuterarzneien. In schlichtem Kleid und Schürze, die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, gab sie unablässig Anweisungen, wie die Verletzten zu versorgen seien. Margarida folgte ihr auf Schritt und Tritt wie ein Schatten mit weit aufgerissenen Augen.
Schon früher eingetroffene Männer hingen, die Gesichter und Kleidung voll Asche, über Schalen mit Haferbrei und ein paar Brocken Fleisch oder lagen erschöpft, alle viere von sich gestreckt, auf Decken.
Coryn ließ sich zu Boden gleiten und reichte Tänzers Zügel dankbar einem der Burgleute. Der Essensgeruch schickte eine Welle der Übelkeit durch seinen Bauch. Er folgte Eddard zu dem groben Tisch, an dem Lord Leynier mit seinem Coridom über Landkarten saß und grübelte. Links von ihm stand ein Fremder und beobachtete ihn schweigend. Die Kapuze seines dunkelgrauen Mantels verbarg seine Züge.
»Wir haben das Feuer entlang dieser Linien eingegrenzt«, sagte Padraic und zog diese auf der Karte nach. »Aber wir können nicht die gesamte Front bewachen, selbst wenn wir rechtzeitig dort einträfen. Wenn wir die Sache weiterverfolgen, wenn wir diesen Teil des Waldes zu retten versuchen, dann besteht die Gefahr, dass wir an anderen Stellen noch mehr Gelände verlieren.«
Müde Männer sind achtlos. Coryn wiederholte bei sich, was sein Vater so viele Male gesagt hatte. Und Feuer kennt keine Gnade.
»Wenn wir darauf warten, dass das Feuer von selbst erlischt«, sagte sein Vater elend, »wer weiß, wie viel es vorher noch verzehrt? Dann wird es in den nächsten Jahren im Winter noch mehr Hunger und Kälte geben.«
Coryn empfand jähen Stolz auf seinen Vater und darauf, wie er für Land und Leute sorgte, die seiner Verantwortung unterstanden.
»Die Turmbewohner werden rechtzeitig eintreffen, um Euren Wald zu retten«, sagte der Fremde.
»Vater«, warf Eddard stirnrunzelnd ein. »Wir haben gehört, dass Petro nicht nach Tramontana durchkommen konnte. Wenn ich richtig verstanden habe, können wir von dieser Seite ebenso wenig Hilfe erwarten wie von dem sechsfach gezeugten Ombredin in High Kinnally.«
»Wir können von Glück reden, dass Dom Rumail so bald hier eintraf«, sagte Leynier mit einer Ehrerbietung, die Coryn erstaunte. »Und dass er die Fähigkeit besitzt, über seinen Sternenstein mit dem Turm Verbindung aufzunehmen.«
»Ich tue nur meine Pflicht.« Der Fremde streifte die Kapuze seines Mantels nach hinten und enthüllte ein Gesicht, so lang und runzlig, dass es aus Leder hätte bestehen können. Coryn fand, dass er nie einen freundlicheren Menschen gesehen hatte, auch wenn die grauen Augen in den tiefen Höhlen von einem inneren Feuer brannten.
»Es liegt im Interesse meines Bruders, die Ländereien seiner künftigen Schwiegertochter zu schützen«, sagte Dom Rumail.
Ein Laranzu! Coryn erspähte das Funkeln eines Sternensteins am Hals des Mannes. Er war noch nie einem Zauberer mit Laran-Gaben begegnet und starrte ihn ganz verzückt an.
»Komm schon, Kleiner.« Eddard legte seinen Arm um Coryns Schultern. »Wir verhungern noch, wenn wir hier länger herumstehen. Lass uns etwas essen!«
Coryn ließ sich auf der zusammengelegten Decke zwischen zwei Schlafenden, seinem Bruder Petro und einem der Stallburschen, nieder und nahm von Kristlin, die noch immer die abgelegte Reithose eines Jungen trug, eine Schale mit Eintopf und getrocknetem Obst entgegen.
Beim ersten zögerlichen Bissen überfiel Coryn ein mörderischer Hunger. Er schlang die ganze Portion hinunter. Jemand brachte ihm einen weiteren Teller und obendrein noch einen Krug verdünntes Ale. Er spürte kaum, wie ihm der Kopf nach vorn sank, man nahm ihm Geschirr und Becher aus den Händen, dann spürte er gar nichts mehr.
Rufe weckten ihn, und einen verwirrten Augenblick lang fragte er sich, ob die letzten drei Tage nicht auch wieder ein Traum gewesen waren. Mühsam richtete er sich auf und blinzelte in den wolkenlosen anbrechenden Tag hinein. Ein anderer Mann, nicht Petro, schnarchte neben ihm, doch das restliche Lager war schon hellwach.
»Sie sind da!« Margarida, Coryns mittlere Schwester, lief rufend umher. »Tramontana ist gekommen!«
Coryn warf den Kopf zurück und suchte die Stelle, auf die sie deutete. Vier – nein, sechs Gleiter zogen flink und lautlos wie Falken am klaren, leeren Himmel dahin. Die Umrisse der Gestalten vor dem schmerzhaft hellen Blau wirkten regelrecht aufgedunsen durch die Säcke mit Chemikalien zur Brandbekämpfung, die sie trugen.
Im Lager stand der Fremde in der grauen Robe etwas abseits von den anderen. Die Lippen bewegten sich, obwohl kein Laut aus seinem Mund drang. Etwas an seiner Haltung zog Coryn an, lockte ihn näher. Die Hände des Mannes umschlossen etwas hellblau Schimmerndes. Er starrte es mit einer Eindringlichkeit an, die den Jungen gleichermaßen faszinierte und abstieß. Am Himmel trennte sich das Geschwader der Gleiter, und einige strebten den beiden Feuerlinien zu, die am heftigsten bedrängt wurden.
»Schon in Ordnung, ich fresse keine Kinder.« Dom Rumail blickte auf. Ein flüchtiges Lächeln erhellte seine Züge. Er hob die Hand, die den Sternenstein hielt. »Und das hier fügt dir auch kein Leid zu. Es ist kein Hexenwerk, weißt du?«
»J-ja, das weiß ich«, sagte Coryn, auf einmal schüchtern. »Ich habe auch einen. Bis auf Kristlin, die noch zu jung ist, haben wir alle in unserem zwölften Lebensjahr beim Mittwinterfest einen Sternenstein bekommen.«
»Darf ich ihn sehen?«
Coryn wusste nicht, weshalb er sich weigern sollte, und doch zog er den Sternenstein nur widerstrebend aus dem Seidenbeutel um seinen Hals und hielt ihn dem Fremden hin. Zu seiner Erleichterung machte der Laranzu keinerlei Anstalten, ihn zu berühren, sondern beugte sich lediglich über das leicht flackernde Juwel, um es zu betrachten.
»Ja, du bist darauf geeicht, wenn auch nur grob. Wer hat dir das beigebracht?«
»N-niemand. Vater war zu beschäftigt. Und Eddard –«
»Eddard!«, schnaubte Dom Rumail, ein Geräusch, das Coryn von seinem Pferd her kannte. »Und die Hülle – warst du das auch?«
Coryn errötete. Seine älteren Brüder und Schwestern trugen ihre Sternensteine alle auf der bloßen Haut, wenn sie sie überhaupt trugen. Margarida behauptete, ihr Stein verursache ihr einen Ausschlag, und hatte ihn in einen Fetzen Samt aus dem Mittwinter-Gewand der verstorbenen Lady Leynier gewickelt. Coryn war einmal zu seiner Schwester gegangen und hatte sie um Rat gefragt, als er einige Wochen nach seinem Geburtstag aus Albträumen erwacht war. Er hatte geträumt, dass schattenhafte Gestalten seine Brust mit einem Schwert aus geschmolzenem blauem Stahl durchbohrten. Als er es mit dem Samt versuchte, wurden seine Albträume noch schlimmer. Die Ringe unter ihren Augen zeigten, dass es auch ihr nicht geholfen hatte. Es war seine Idee gewesen, es einmal mit Seide zu versuchen, obwohl Margarida die Flicken stibitzt hatte, die vom Hochzeitskleid ihrer Großmutter stammten und eigentlich für eine Steppdecke bestimmt gewesen waren.
»Deine Stiche verraten dich, mein Junge«, sagte Dom Rumail mit weniger barscher Stimme. »Leg ihn einstweilen zur Seite und sorg dafür, dass niemand ihn berührt. Von nun an dürfen nur du und dein Bewahrer damit hantieren. Ich muss mit deinem Vater sprechen.«
Erleichtert begab Coryn sich wieder an die Arbeit. Die Gleiter von Tramontana waren verschwunden, nachdem jeder seine Säcke mit Chemikalien abgeladen hatte. Der Rauch hatte schon seine Farbe geändert. Coryn ging zu einigen jüngeren Leuten, darunter seinem Bruder Petro, die sich ein wenig hangaufwärts über dem Lager eingefunden hatten. Von hier aus konnte er sehen, wie rostfarbene Schwaden durch die kohlschwarzen Wolken zogen.
Es würde noch viel Arbeit geben, zermürbend und lang, wenn sie mühsam die Asche durchsuchten, um sicherzugehen, dass keine glimmenden Scheite mehr übrig waren, die wieder zum Leben erwachen konnten. Aber die eigentliche Schlacht war geschlagen.
Als die Asche endlich durchkämmt und jedes noch glimmende Scheit gelöscht war, als jene, die so hart gegen das Feuer vorgegangen waren, Zeit fanden, sich auszuruhen und ihre Verbrennungen und Prellungen zu versorgen, hielt Lord Beltran Leynier ein Freudenfest ab. Er lud nicht nur seinen Haushalt, sondern jeden Mann und jede Frau auf seinem Grund und Boden ein und jeden Kleinbauern mit seiner Familie, eine ungewöhnliche Geste des Edelmuts.
An diesem Abend erstrahlte die große Halle der Burg im Kerzenschein. Tessa und Margarida hatten sie mit Gewinden aus Spätsommerlilien und Girlanden in Braun und Blau geschmückt, den Farben der Leyniers. Der Coridom Padraic hatte alle verfügbaren Tische der Burg zu einem »T« mit langem Stamm angeordnet, an dessen Kopfende, wie es sich gehörte, Lord Leynier saß und Rumail zu seiner Linken auf dem Ehrenplatz.
Coryn saß einige Plätze entfernt, zwischen Eddard und dessen junger Frau einerseits und Margarida andererseits. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, als ihm ein leckeres Gericht nach dem anderen aufgetragen wurde: das unter leichter Flamme geröstete Bullenkalb, der mit Nüssen und Äpfeln gefüllte Truthahn, die frisch gebackenen Brotlaibe, die nach Rosmarin und Knoblauch rochen, und die mit Honig glasierten letzten Winterkürbisse. Er hatte ja nicht gewusst, dass Speisen so gut schmecken konnten. Außer der zermürbenden körperlichen Arbeit der letzten Woche lag auch seine Übelkeit hinter ihm, sodass er jetzt einen Heißhunger hatte.
Als die Tabletts mit den Fleischgerichten abgeräumt und von den Honigkuchen nur noch Krümel übrig waren, ließ Lord Leynier eine weitere Runde Wein für jeden Gast auftragen, sogar für die Kinder. In der erwartungsvollen Stille stand er auf und hob seinen Kelch.
»In dieser Zeit des Frohsinns entbieten wir unserem verehrten Besucher unsere Gastfreundschaft und unseren tief empfundenen Dank. Rumail von Neskaya, Eure Anwesenheit hier und Eure Taten im Kampf gegen das schlimmste Feuer seit Menschengedenken verleihen dem Sprichwort S’dia shaya neue Bedeutung. Ihr habt uns große Gunst erwiesen.«
Rumail nickte und erwiderte förmlich: »S’dei par servu. Ich für meinen Teil schätze mich glücklich, nach Kräften geholfen zu haben. Mein Bruder Damian Deslucido, der die Kronen von Ambervale und Linn trägt, ist der Ansicht, dass mit großer Macht noch größere Verantwortung kommt. In einer solchen Zeit der Not konnte ich nichts Geringeres tun, als meine volle Unterstützung anzubieten. Wie mein Bruder glaube auch ich, dass die Gabe des Laran bestimmte Verpflichtungen mit sich bringt. Manche behaupten sogar, es werde eine Zeit kommen, in der die Turmbewohner ihre Talente allein dem Frieden und nie mehr dem Krieg widmen werden.«
»Der Krieg ist schon schrecklich genug, wenn er nur mit Schwert und Pfeilen ausgetragen wird«, sagte Beltran Leynier grimmig. »Aber kein Mensch kann sich gegen diese Teufelswaffen behaupten, es sei denn, er befehligt sie selbst.«
Padraic hatte Coryn die Geschichte erzählt, wie sein ältester Bruder, der Erbe von Verdanta werden sollte, in der letzten Schlacht gegen die Storns von Callarma getötet worden war. Seine Onkel, die beiden überlebenden Brüder Beltrans, waren in einem Hinterhalt umgekommen, als sie Waffenstillstandsverhandlungen führen wollten. Sein Vater hatte Recht, so sicher, wie der nächste Winterschnee kam. Weder Callarma noch High Kinnally noch sonst jemand würde es wagen, Verdanta im Angesicht der überlegenen Laran-Waffen herauszufordern.
Nach einer kaum merklichen Pause setzte Rumail seine Rede fort, wobei seine Stimme zu einem formellen, honigsüßen Tonfall wechselte: »Im Namen von Damian Deslucido dem Unbesiegbaren, König von Ambervale und Linn, übermittle ich Euch die herzlichsten Grüße und Ehrenbezeigungen. Er schickt Euch diese Geschenke als Zeichen seiner hohen Wertschätzung.«
Padraic in seiner Rolle als Coridom reichte Rumail ein Päckchen von der Länge eines Männerarms und etwa halb so dick, in ein tiefblau gefärbtes Tuch eingeschlagen, das den Glanz von teurer Spinnenseide aufwies. Rumail nahm das Päckchen entgegen, sodass der schillernde Stoff herunterglitt und ein Kästchen aus gehämmertem Kupfer enthüllte. Gemurmel erhob sich am Tisch angesichts solcher Reichtümer, denn Kupfer war das kostbarste unter allen seltenen Metallen auf Darkover.
Mit einer einzigen raschen Bewegung öffnete Rumail das Kästchen und ließ in einer Kaskade alles herausfallen: Päckchen mit Gewürzen, Ballen mit bestickter Spitze aus Dalereuth, Perlenketten aus Temora und ein prächtiges Stück polierter Bernstein, in der Form eines Wolkenleoparden geschnitzt. Margarida, die schöne Dinge liebte, klatschte entzückt in die Hände, genau wie Eddards Frau.
Lord Leynier stattete sichtlich erstaunt in ebenso formeller Rede seinen Dank ab. Rumail fuhr fort, indem er den eigentlichen Grund seiner Mission darlegte, den jedermann an der Tafel schon kannte: den Heiratsantrag von König Damians Erben Prinz Belisar an eine Leynier-Tochter. Was er nicht laut sagte, aber ebenfalls schon jeder wusste, war, dass die Vermählung von der Fähigkeit des Mädchens abhing, Kinder dieser Art mit besonders starkem Laran zu gebären. Beim ersten Antrag dieser Art war Tessa, die einzige Tochter im heiratsfähigen Alter, sehr empört gewesen.
»Ich werde nicht für die verfluchten Zuchtpläne eines Mannes die Barragana spielen!«, hatte sie in einem ungewöhnlichen Temperamentsausbruch erklärt, denn sonst war sie immer das sittsamste unter den Mädchen.
»Es handelt sich um eine achtbare Ehe Di Catenas«, hatte ihr Vater sie berichtigt, »und nicht um einen ungerechten Handel.« Obwohl er mächtig genug war, die Vermählung zu erzwingen, setzte er seine Autorität nur selten ein, wenn seine Kinder anderer Auffassung waren. »Du würdest das, was du zur königlichen Blutlinie beiträgst, gegen ein Leben in Luxus und relativer Sicherheit eintauschen.«
Eddards Frau, die vor weniger als einem Jahr eingeheiratet hatte und mittlerweile sichtlich schwanger war, hatte ein sanftes Gemüt und als Mitgift erstklassiges Ackerland in die Ehe eingebracht. Ihr Zustand hatte verhindert, dass sie das Lager der Feuerkämpfer aufsuchte, doch es war lediglich eine Frage der Zeit, bis sie die Rolle der Lady von Verdanta übernahm. Tessa würde irgendwann heiraten müssen, um einen eigenen Hausstand zu gründen.
»Du wärest Königin«, erinnerte Coryn sie. Das klang nach einer großartigen Sache.
»Dich hat niemand gefragt, du …« Tessa unterbrach sich und errötete heftig.
»Wir heiraten aus Überlegung, nicht aus Wunsch«, sagte Beltran. »Liebe zwischen einem Mann und seiner Frau kommt später oder gar nicht, wie die Götter es wollen. Inzwischen tut ein jeder für die Familie, was er kann, denn nichts ist stärker als die Blutsbande.« Er ließ den Gedanken, der allen durch den Kopf ging, unausgesprochen, dass Bündnisse, die nicht von fruchtbarer Vermählung getragen werden, sich nur zu oft als wertlos erweisen. Der Wert einer solchen Verbindung sprach für sich selber, im Namen der kleineren Besitztümer, die König Damian schon Treue geschworen hatten.
Letzten Endes erklärte Tessa, als sie sich Luft verschafft hatte, dass sie diesen Belisar heiraten werde, wie es ihre Pflicht sei. Allerdings nur, beharrte sie, wenn er freundlich und einigermaßen ansehnlich sei.
»Ihr habt hier mehrere Töchter«, sagte Rumail, während sein Blick von Tessa, der hinreißenden Dunkelhaarigen, die, den Dutt tief im Nacken von einer silbernen Schmetterlingsspange gehalten, gleichmütig am Tisch saß, zu Margarida mit ihren Sommersprossen und der Stupsnase wanderte, die in einen Kittel gekleidet war, den sie selber bestickt hatte, und dann für einen kurzen Moment hoch zur Galerie, wo Kristlin zusammen mit den anderen jüngeren Kindern zusah. »Mein Bruder äußert die Bitte, dass man mir erlauben möge, alle zu prüfen, um festzustellen, wie stark und geeignet das Laran des jeweiligen Mädchens ist.«
Coryn schaute rasch zu Margarida. Sie hatte die Augen niedergeschlagen, doch er sah ihre Verärgerung. Sie war erst vierzehn.
»Ich hatte angenommen, dass lediglich Tessa geprüft wird«, sagte Beltran mit krauser Stirn. »Sie ist nicht nur die Älteste, sondern auch im besten Heiratsalter.«
Rumails Miene blieb ausdruckslos, als er erwiderte: »Aber das beste Alter muss nicht unbedingt die beste Wahl sein. Lasst uns wenigstens die Frage nach dem Laran-Potenzial der Mädchen klären, bevor wir unsere Verhandlungen weiterführen.«
»Wenn es wirklich erforderlich ist, steht es Euch frei, sie auf jede erdenkliche Weise zu untersuchen, die sich für eine Maid und einen unverheirateten Mann, der nicht ihr Verwandter ist, schickt«, sagte Beltran mit einer Spur Bitterkeit in der Stimme.
»Es ist erforderlich«, sagte Rumail. »Das Laran kann schlummern oder blockiert sein oder einfach nur ein Potenzial für die nächste Generation bilden.« Coryn erkannte am veränderten Tonfall des Mannes, dass er jetzt mit der Autorität eines ausgebildeten Laranzu sprach. »Ich versichere Euch, dass ich nichts tun werde, was in irgendeiner Hinsicht die Ehre Eurer Töchter in Misskredit bringen könnte, noch werden Schmerzen damit verbunden sein. Und Ihr, Damisela Margarida, dürft Eure Amme dabeihaben, wenn Ihr das wünscht.«
Margarida hob den Blick und sagte beherzt: »Ich benötige keine Amme mehr, Vai dom.«
»Dom Beltran«, fuhr Rumail fort und beugte sich leicht vor, »es gehört nicht zu meiner Mission, Eure Söhne zu testen, doch ich hätte gern die Erlaubnis, den jungen Coryn zu untersuchen. Ich glaube, er könnte das Donas, die Gabe, ebenfalls haben.«
Beltran nickte zustimmend und bedeutete, dass die Tische abgeräumt und die abendlichen Lustbarkeiten beginnen mögen. Tessa spielte die Rryl besonders gut und hatte eine klare, liebliche Stimme. Petro, der kein Talent zum Singen besaß, begleitete sie auf der Schoßtrommel und Margarida auf einer kleinen Rohrflöte.
Als Coryn einen gepolsterten Stuhl für Tessa hinstellte, spürte er Dom Rumails Blick auf sich ruhen. Vielleicht war dieses Gespür schon eine Art Laran. Durchaus möglich, dass er eines Tages doch mit seinem Sternenstein einen Gleiter fliegen würde. Bilder des Schwabens und Segelns brachen über ihn herein, während er aus dem Blickwinkel eines Adlers auf Wald und Wiese hinabsah. Inbrünstig betete er zu Aldones, dass es wahr werden möge.
Dom Rumail wurde für seine Tests die kleine Kammer zugewiesen, die im Winter immer zum Aufhängen der Bettwäsche diente. Den ganzen nächsten Morgen untersuchte er die Mädchen, wobei er mit Tessa begann. Coryn sah sie erst an diesem Abend wieder, denn Eddard schickte ihn fort, damit er auf der Suche nach brennenden Scheiten, die sich im Erdreich eingegraben hatten, die Ränder der früheren Feuersbrunst abritt. Das Abendessen war zwanglos, wie gewöhnlich an Werktagen; es gab heiße Fleischpasteten, strengen Chervine-Milchkäse und getrocknete Obstriegel, Nussbrot und Schüsseln mit Hafergrütze und pikanter Soße, die in der Küche bereitstanden. Dort begegnete Coryn auch den beiden jüngeren Mädchen und Petro, die miteinander schwatzten.
»Es war, als ob man …« Margarida hob die Hände in einer schwingenden Geste. »… als ob man auf einer Wolke tanzt.«
»Du meinst, er hat dich eingeschläfert?«, sagte Petro mit finsterer Miene. »Was ist daran so großartig?«
»Du bist ja nur eifersüchtig, weil du nicht auch an die Reihe kommst«, sagte Coryn.
»Bin ich nicht«, sagte Petro. »Ich will gar nicht, dass ein alter Zauberer in meinem Geist herumstöbert. Wer weiß, was er tut, wenn er drin ist? Er könnte deine Gedanken lesen … all deine hässlichen kleinen Geheimnisse. Wie würde es dir gefallen, wenn alle wüssten, wie du damals Tessas Haarbürste angezündet und dann in die Latrine geworfen hast?«
Coryn schlug Petro auf die Schulter, während Kristlin kicherte. »Also das ist damit passiert. Tessa war für einen Zehntag wütend wie Durramans Esel, weil sie dachte, sie hätte die Bürste verloren.«
Bevor Kristlin fragen konnte, wie Coryn die Bürste in Brand gesetzt hatte, sagte Margarida: »Was Dom Rumail tat, war recht angenehm. Irgendwie traumhaft.«
»Also, mir hat’s nicht gefallen«, erwiderte Kristlin und schob die Unterlippe vor. Kritisch zog sie die Brauen zusammen. »Es fühlte sich an wie … ich weiß nicht, wie eine Schlange klingt, wenn sie über verdorrtes Laub kriecht.«
»Du? Was weißt du schon?« Coryn grinste. »Du hast ja noch nicht einmal einen Sternenstein. Du bist bloß ein kleines Mädchen, das in einer Jungenhose herumläuft – wem hat sie eigentlich gehört? Bruder Domenic?«, spottete er, unfähig der Versuchung zu widerstehen.
»Was geht es dich an, solange sie nicht dir gehört?«, entgegnete sie und entwand sich ihm, als er die Arme ausstreckte, um sie zu kitzeln.
Einer der Hausdiener kam herein und erklärte, wenn Master Coryn fertig gegessen habe, möge er doch bitte Dom Rumail aufsuchen. Mit vor Aufregung flauem Gefühl im Magen begab Coryn sich in den Wäscheraum. Die Luft roch schwach nach Zeder und Goldgras, die man verwendete, damit die Tücher gut rochen und um die Motten fern zu halten. Eine Hand voll Kerzen erfüllte den kleinen Raum mit sanftem Schein. Rumail saß auf einem Hocker, die Hände locker im Schoß gefaltet. Auf einem niedrigen Tisch lagen zusammengefaltete Decken und bildeten ein Kopfkissen.
»Soll ich mich hinlegen?«, fragte Coryn.
»Noch nicht, junger Herr. Ich habe ein paar Fragen an dich. Ich habe deine Abstammung schon studiert, darauf brauchen wir also nicht einzugehen. Wie lange hast du schon Anfälle von Benommenheit und Orientierungslosigkeit? Bereitet die Übelkeit dir Essprobleme? Hattest du visuelle Störungen, bei denen Dinge nicht die richtige Form oder Farbe hatten oder nicht stillhalten wollten?«
»Ich habe keine …« Coryn biss sich auf die Lippe. Er hatte geglaubt, seine Schwäche gut verborgen zu haben. Eddard hatte während der Feuersbrunst nichts bemerkt oder es jedenfalls nicht der Rede wert gefunden. »Das ist die Aufregung, mehr nicht. Es hat nichts mit, na ja, irgendwas anderem zu tun.« Aber das klang selbst in seinen Ohren wenig überzeugend.
»Es hat sehr viel mit dem Erwachen des Laran zu tun.« Nun klang in Dom Rumails Stimme eine eisige Strenge durch. Coryn spürte düster, dass etwas Mächtiges von dem Laranzu ausging. »Und es ist nichts, wofür man sich schämen müsste oder das man leicht nehmen dürfte. Es sind die Symptome der Schwellenkrankheit, die sich oft einstellt, wenn in der Pubertät die Laran-Kräfte erwachen. Je stärker die Beschwerden, desto mächtiger ist das Laran.«
»S-soll das heißen, ich habe es?«, platzte Coryn heraus. Die Ungeduld ließ seine Nerven beben. »Laran?«
»Durchaus möglich, Chiyu. Das wollen wir hier herausfinden. Sag, was geschieht, wenn du in deinen Sternenstein schaust? Hol ihn heraus und zeig es mir.«
Coryn packte den Stein aus, und sein Blick richtete sich auf das wabernde blaue Licht in der Mitte. Er hatte das eigenartige Gefühl hineinzufallen, tiefer und tiefer zu gleiten. Schon nach wenigen Momenten erfüllte ihn dieser Übelkeit erregende Schwindel, der ihm inzwischen nur zu vertraut war. Sein Magen verkrampfte sich, und kalter Schweiß brach ihm aus.
»Genug! Wende jetzt den Blick ab!«
Coryns Finger zitterten, als er den Sternenstein wieder im Seidenbeutel verstaute. Zögernd beantwortete er Rumails Fragen über die Symptome, die in der letzten Jahreszeit, wie er zugab, immer schlimmer geworden waren.
»Ist sie sehr gefährlich, diese Schwellenkrankheit?«
»Sie könnte es werden, wenn sie unbehandelt bleibt«, erwiderte Dom Rumail. »Aber ich habe schon junge Leute in den Turm eintreten sehen, die erheblich schlimmere Fälle waren als du, und auch ihre Fähigkeiten haben sich zur vollen Blüte entfaltet.«
»Was – was muss ich tun?«
»Im Augenblick legst du dich einfach hin und entspannst dich, so gut du kannst. Überlass den Rest mir.«
Als Coryn sich auf die gepolsterte Bank setzte, nahm das Schwindelgefühl zu. Er schloss wie gewünscht die Augen und spürte die Berührung einer Fingerspitze zwischen den Brauen. Die Welt wurde wieder stabiler. Wenig später spürte er eine Wärme in seiner Magengrube, die das Rückgrat hinaufkroch. Seine Arme und Beine wurden schwer und dann leicht. Er schien auf einer gazeartigen, sonnenbeschienenen Wolke zu schweben. Seine Muskeln waren entspannt, als wäre er triefnass aus einer heißen Quelle wie jener gestiegen, die Eddard auf dem Wolkenkappen-Berg entdeckt hatte. Die Gedanken wogten angenehm durch seinen Geist, substanzlos wie Gespenster. Kein Wunder, dass es Margarida gefallen hatte, sie neigte ohnehin zu Tagträumereien.
Ein- oder zweimal wurde Coryn sich des Klangs von Rumails Stimme bewusst, obwohl er die Worte nicht verstehen konnte. Hin und wieder hatte er auch den Eindruck, als habe sich das Innere seines Kopfes in sein Schlafzimmer verwandelt und noch jemand anderes bewege sich darin. Ob Mann oder Frau, konnte er unter dem nebelhaften grauen Schleier nicht sagen. Er verspürte nur eine traumhafte Gleichgültigkeit und nicht das geringste Gefühl der Störung.
Der Besucher trieb durch den Raum, nahm den geschnitzten Muschelkamm von seinem Platz auf der Ablage, zog eine kupferne Strähne zwischen den Borsten hervor und steckte das Haar in eine unsichtbare Tasche. Dann bückte er sich, um die Truhe am Fußende von Coryns Bett zu öffnen.
Coryn beobachtete jetzt in günstiger Lage, mit dem Kopf auf seinem Kissen, wie der Besucher nacheinander alle Kleidungsstücke herausnahm – seine Feiertagstunika aus dem Linex der Trockenstädte, seinen besten Wintermantel aus fest gewebter blauer Wolle mit dem Besatz aus Wolkenleopardenfell, die Weste und Hose aus geschmeidigem, puterrot gefärbtem Leder, die einmal Eddard gehört hatten und ihm nicht mehr passten, einen Dolch mit abgebrochener Spitze, eine Schachtel aus Seifenholz mit seinen eingravierten Initialen, die mit kindischen Kinkerlitzchen gefüllt war – Flussopalen von erbärmlicher Qualität in einem Beutel, den Tessa ihm zum sechsten Geburtstag genäht hatte, Pferd und Reiter aus Reisig, einem Taschentuch mit eingesticktem Kirschmuster, das einmal seiner verstorbenen Mutter gehört hatte.
Der Besucher legte alle Sachen bis auf den Dolch und das Taschentuch sorgfältig wieder zusammen und verstaute es in der Truhe.
Was hatte diese Person mit ihm vor, mit den Dingen, die sie sich genommen hatte, dem Haar, dem Dolch und dem Taschentuch? Coryn konnte nur mit wachsendem Entsetzen zusehen, wie der Besucher das Taschentuch auf seiner Brust über dem Herzen ausbreitete und das zusammengerollte Haar in die Mitte des Tuches legte.
Die Gestalt griff nach oben zu ihrer Kapuze, die den Kopf verhüllte, und riss sich mit einem jähen Ruck selber ein Haar aus. Sie verflocht es mit Coryns Haar und schlug es in das Taschentuch ein.
Das war nicht richtig, konnte nicht richtig sein! Coryn wollte sich verzweifelt bewegen, den Kopf wenden, laut schreien. Dom Rumail, helft mir! Aber seine Stimme und sein Körper blieben gelähmt, wie eingefroren.
Der Gesichtslose nahm den Dolch und hielt ihn über Coryns Bauch. Licht brach sich in der Spitze, die jetzt unbeschädigt war, mit blauem Glas an Stelle des abgebrochenen Stücks, das von innen heraus gespenstisch leuchtete.
Coryn blickte sich hektisch um, in der Hoffnung auf etwas, das er zu seiner Verteidigung verwenden konnte. Gleich darauf lag er nicht mehr in seinem Schlafzimmer. Eine weite graue Leere, trostloser als alles, was er sich vorstellen konnte, erstreckte sich endlos in alle Richtungen. Er empfand weder Wärme noch Kälte und spürte keine Materie unter sich. Über ihm dehnte sich ein gleichermaßen formloser Himmel aus, von gleichmäßigem, hellerem Grau, so weit sein Blick reichte. Der Ort war bis auf ihn selbst und den Besucher im grauen Gewand leer.
Die Dolchspitze drang mit Schmerzen wie von kleinen Nadelstichen in seinen Körper ein. Er spürte, wie sie seine Haut durchdrang, seine Muskeln, bis zu seiner Wirbelsäule und noch tiefer. In diesem Moment erkannte er, dass der Fremde ihn nicht töten würde, doch jeder Nerv, jede Faser des Körpers begehrte dagegen auf. Mit seiner neuen Fähigkeit spürte er, dass hinter den Worten etwas nicht stimmte. Vor seinen Augen wurde alles weiß.
Eine Drehung, ein Reißen, dann schlitzte der Dolch seinen Bauch auf. Er konnte nichts sehen, doch er spürte, wie etwas in sein tiefstes Inneres gelegt wurde.
Das Taschentuch! Mit meinem Haar – und wessen noch? Warum? Warum?
Gedankenfetzen und Bruchstücke von Erinnerungen wirbelten um ihn herum, als wäre er in einem Schauer aus Holzscheiten von einem explodierenden Harzbaum gefangen. Etwas tief in ihm löste sich von seinen Wurzeln.
Coryn schrie lautlos auf und wollte sich krümmen, um dem Schmerz zu entgehen. Alles, alles hätte er getan, nur um fortzukommen und diese schreckliche, quälende Falschheit nicht mehr zu spüren. Er warf sich in diese und jene Richtung, blind vor Verzweiflung.
Plötzlich tauchte ein Gang vor ihm auf. Er stürmte hinein. Die Wände schlossen sich um ihn und umgaben ihn von allen Seiten. Eine weiche graue Decke legte sich auf ihn, als er mit der Materie der Wände eins wurde. Endlich war er in Sicherheit. Auch wenn er nicht hinaus konnte, so konnte doch auch nichts und niemand hinein. Nichts konnte jetzt noch in ihn hineingreifen.
Im nächsten Moment war der Dolch fort. Hände schoben die Wundränder zusammen. Unirdische Wärme umschmeichelte den Schnitt und verschmolz die Ränder. Er holte tief und bebend Luft, Da war kein Schmerz. Einen langen Augenblick nach dem anderen war da nichts außer seinem eigenen Atem. Stille und Starrheit umgaben ihn.
Schwach spürte er in der Ferne, wie die Hände sich zurückzogen. In einem Körper, der nicht länger ihm gehörte, vergingen die feurigen Ströme zu Kühle.
Die Gestalt mit der Kapuze beugte sich vor, bis ihr Atem etwas gegen seine Wange hauchte.
»Du wirst nichts davon verraten. Nichts.«
NICHTS … NICHTS …
Dann erfasste ihn wahre Finsternis.
Am nächsten Tag weckte Coryn eine strahlende Sonne. Er schlug die bleiernen Lider auf und betrachtete die schräg einfallenden Lichtbahnen. Es musste schon fast Mittag sein. Warum hatte er so lange geschlafen?
Er stemmte sich auf den Ellbogen und fragte sich einen verwirrten Moment lang, ob er mit Lungenfieber zu Bett gelegen hatte wie damals, als er sechs gewesen war. Der Ansatz eines Lächelns umspielte seine Lippen. Er war genau dort, wo er sein sollte, in seinem guten alten Schlafzimmer mit den grau-rosafarbenen, glatten Steinmauern, an denen alte Wandbehänge mit Darstellungen aus der Legende von Hastur und Cassilda hingen. Ruella, seine alte Amme, hatte immer behauptet, Großtante Ysabet habe sie gewoben, die nie geheiratet hatte und zweiundneunzig geworden war, alt genug, um eine doppelt so große Burg mit Wandbehängen auszustatten.
Er lag in seinem eigenen vertrauten Bett, in dessen Kopfbrett der laufende Hirsch, das Symbol der Leyniers, eingeschnitzt war, und trug sein eigenes Nachthemd. Und doch … er hatte keine Erinnerung daran, wie er hierher gekommen war.
Jemand hatte einen Klapptisch hereingebracht, auf dem ein Tablett mit Obst und trockenem Brot stand, eine Schale mit zwei braunen Eiern und ein Krug lauwarmes, mit belebenden Kräutern versetztes Wasser. Er nahm an, dass Tessa bei dem bitter schmeckenden Wasser die Hand im Spiel hatte. In ihren Augen war es sicher hilfreich für jemanden, der gestern Abend krank gewesen war …
Gestern Abend!
Coryns Hand huschte zu seinem Unterleib. Als er das Hemd hochzog, sah er keine Spur einer Narbe. Er berührte nur gesunde, unversehrte Haut. War alles ein Traum gewesen? Der gestaltlose graue Schmerz, der Dolch …
Er hechtete durch das Zimmer zur dunklen Holztruhe. Sich auf die Knie werfend, riss er den Deckel auf. Er zog einen vertrauten Gegenstand nach dem anderen heraus. Ja, da war der Mantel, sein Feiertagshemd. Seine Finger berührten hartes Metall – den Dolch. Die Spitze war so stumpf wie immer, eine Klinge, die man für sicher genug gehalten hatte, um sie einem Knaben zum Üben zu geben.
Coryn stöberte in der Truhe, bis er die Seifenholzschachtel fand. Auch das Beutelchen mit Flussopalen war da, ebenso das Reisigspielzeug, aber kein Taschentuch.
Coryns Magen wurde schwer wie ein Stein. Er begann zu zittern – ein Schaudern bis in die Knochen hinein, wie das eines Menschen, der tödlicher Kälte ausgesetzt ist.
Seine Hände bewegten sich aus eigenem Antrieb und schoben den übrigen Inhalt der Truhe zur Seite. Er nahm einen Teil vom Zaumzeug seines ersten Ponys heraus, in ein Stück Reitdecke des Tieres eingeschlagen, die Weste aus puterrotem Leder, vom Alter brüchig geworden, die Eddard an ihn weitergereicht hatte. Und da, in den hintersten Winkel gestopft, sah er etwas Weißes …
Er zog das Taschentuch mit dem kleinen aufgestickten Kirschmuster heraus und strich es glatt. Der Stoff, schon zu Beginn sehr fein, war jetzt an manchen Stellen zerschlissen und verlieh ihm das Gewicht und das Gefühl von Gaze. Was war nur in ihn gefahren, dass er es so achtlos zerknüllt hatte?
Egal, es war da. Alles war da. Der Albtraum von gestern Abend war genau das gewesen, eine Fieberfantasie, geboren aus zu viel Wein nach der Anspannung so vieler Tage mit Feuersbrünsten. Außerdem hatte er an der Schwellenkrankheit gelitten, wie Dom Rumail es nannte. Kein Wunder, dass er schlecht geträumt hatte, jetzt, da er das Taschentuch sicher in Händen hielt, ergab alles wieder einen Sinn.
An der Tür klopfte es – eher ein Mäusescharren als ein echtes Klopfen. Er verstaute das Taschentuch in der Seifenholzschachtel und rappelte sich mit wie wahnsinnig hämmerndem Herzen auf, gerade als die Tür aufschwang. Kristlin streckte den Kopf herein.
»Kannst du nicht warten, bis ich dir sage, dass du eintreten darfst!« Coryn errötete in dem Bewusstsein, dass er im Nachthemd dastand, die Beine nackt bis zu den Knien. Dann sah er ihr Gesicht und verstummte.
Kristlins Wangen waren blass wie Milch, bis auf zwei lebhafte Farbflecken und blutrote Ringe unter den verquollenen Augen. Auch heute trug sie, wie seit Ausbruch des Feuers, die Reithose eines Knaben, diesmal eine recht saubere, mit Flicken auf Knien und Gesäß, und ein Hemd, das zwei Nummern zu groß für sie war. Sie schluchzte und warf sich in Coryns Arme.
Er ließ sie auf dem Bett Platz nehmen. »Was hast du, Chiya? Was ist denn passiert?«
»Nein! Nein! Ich will nicht gehen!« Ihre Worte verwandelten sich in lautes Schluchzen. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust.
»Niemand will dich zu etwas zwingen …« Das klang sogar in seinen Ohren abgedroschen.
»Papa sagt, ich müsse – müsse – fortgehen. Nach Ambervale.« Sie entzog sich ihm, und ihre Augen funkelten wieder im alten trotzigen Glanz. »Um diesen stinkenden alten Belisar zu heiraten! Ich sagte Papa, dass ich das nie und nimmer tun werde! Nicht so jemanden!«
Coryn setzte sich verblüfft zurück. Gerade als alles wieder Sinn zu ergeben schien, stand die Welt erneut Kopf. Kristlin, seine kleine Schwester, sollte mit König Damian Deslucidos Erben vermählt werden? Das musste sie falsch verstanden haben. Bestimmt ging es um Tessa, die alt genug für die Ehe war und zweifellos schon wie eine Königin aussah, oder auch um Margarida, die sich so heftig über den Ausschlag durch ihren Sternenstein aufgeregt hatte – sicher bedeutete das, dass sie Laran besaß. Aber Kristlin?
»Das muss ein Irrtum sein. Ich ziehe mich nur an, dann rede ich mit Vater. Das kommt schon wieder in Ordnung, du wirst sehen.« Er befreite sich aus ihrer Umarmung. Als er sich erhob, wollten seine Knie unter ihm nachgeben. Er hielt sich mit einer Hand am Bettpfosten fest und vertrieb durch ein Zwinkern das irritierende Grau vor seinen Augen.
»Ich finde, du solltest erst einmal frühstücken«, sagte Kristlin in einem ihrer jähen Stimmungswechsel. Sie hatte anscheinend beschlossen, dass die Angelegenheit jetzt, da ihr Lieblingsbruder sich für sie einsetzte, geklärt war. »Du hast gestern den ganzen Tag geschlafen, du Faulpelz.«
»Ich habe was?«
»Also«, sie zählte es an den Fingern ab, »vor zwei Tagen hat Dom Rumail dich untersucht und anschließend gesagt, man solle dich ins Bett stecken, weil du einen schweren Anfall von Schwellenkrankheit hättest, und am nächsten Tag bist du nicht aufgestanden, also hat er dir Kiri … Kirian oder so was gegeben, irgendwelches Zeug, das dir helfen sollte, und nicht erlaubt, dass einer von uns es probiert, nicht einmal Margarida, und darüber war sie echt sauer, weil sie meinte, sie hätte genauso schlimme Magenbeschwerden wie du, und dann nahm Tessa die Sache in die Hand und sagte, wenn du endlich aufwachst, müsstest du etwas zu essen haben, und deshalb bin ich hier.« Sie legte die Hände im Schoß zusammen. »Wenn du keinen Hunger hast, bekomme ich dann die Eier?«
Coryn glaubte, wenn er noch mehr von ihrem Geschnatter ertragen müsste, würde er sie persönlich bei Belisar abliefern, aber zum Glück ließ sie ihn in Ruhe. Er aß das ganze Frühstück. Es schmeckte alles wunderbar, selbst der strenge Chervine-Käse.
Die Speisen beruhigten seinen Magen. Er zog seine Stiefel an, das sauberste Hemd und die sauberste Hose, die er finden konnte, und machte sich auf die Suche nach seinem Vater.
Coryn begab sich zum Ostturm, wo Lord Leynier so früh am Morgen immer mit Padraic zusammensaß, um die laufenden Ausgaben für das Anwesen und andere geschäftliche Fragen zu klären. Der Raum ähnelte mit seinen dicken Glasfenstern an der runden Außenmauer einer Sonnenliegehalle, hell noch an den stürmischsten Wintermorgen. Als kleiner Junge hatte Coryn hier gern auf dem Kiefernholzboden gesessen und brav gespielt, während sein Vater arbeitete. Das eine oder andere Mal hatte er sich sogar uneingeladen eingeschlichen, obwohl das streng verboten war, bis Petro eines Tages dabei erwischt wurde und eine Woche mit Latrinenschrubben verbrachte.
Petro hatte eine besondere Begabung, in Schwierigkeiten zu geraten, nicht so sehr wegen dem, was er anstellte, sondern weil er, wenn man ihn erwischte, immer beteuerte, dass es richtig und notwendig gewesen war. Manchmal hatte er seinen Vater sogar überzeugt oder ihn wenigstens so sehr amüsiert, dass die Strafe geringer ausfiel, was ihn nur ermutigt hatte. Wenn Coryn im Zimmer des Ostturms erwischt worden wäre, hätte er einen Monat bei den Latrinen verbracht, nicht nur eine Woche.
Coryn blieb in dem kleinen Zwischenraum stehen und hob die Hand, um an die Tür zu klopfen. Stimmen drangen zu ihm hindurch, sein Vater, der den Namen des Turms aussprach. Neskaya.
»… um der körperlichen und geistigen Gesundheit des Jungen willen«, dröhnte eine Bassstimme. Dom Rumail. »… solltet Ihr … umgehend handeln …«
Coryn stockte der Atem angesichts der folgenden Stille. Über dem Hämmern seines Herzens hörte er die ruhigen Worte seines Vaters, spürte die Furcht und Liebe darin.
»Seid ihr sicher, dass Coryn in Gefahr schwebt? Dass die einzige Hoffnung darin besteht, ihn in einen Turm zu schicken?«
»Nichts ist sicher, außer dem Tod und dem Schnee des nächsten Winters«, entgegnete der Laranzu, und seine Stimme nahm an Eindringlichkeit zu. »Aber eines kann ich Euch schwören, Vai dom. In all den Jahren habe ich noch kein Kind gesehen, das so schwer an Schwellenkrankheit leidet …« Seine Stimme wurde leiser, die Worte gedämpfter, »…ohne fachkundig versorgt zu werden. Vielleicht, wenn eine Haus-Leronis ihn von Kindesbeinen an unterrichtet hätte …«
Rumails Worte verklangen, und die Stille schien Ewigkeiten zu währen. Coryns Hand schmerzte, weil er sie die ganze Zeit zur Faust geballt hielt. Seine Gedanken überschlugen sich, schossen hierhin und dorthin – sein Versprechen an Kristlin, das vage Unbehagen gestern Abend, das sich jetzt wieder regte, und nun diese Neuigkeiten, dass auch er fortgeschickt werden müsse – dass er Laran besitze …