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Bestsellerautorin Marion Zimmer Bradley ("Die Nebel von Avalon") hat mit dem opulenten Darkover-Zyklus eine einzigartige Romanreihe geschaffen: Die fesselnde Geschichte einer geheimnisvollen fremden Welt und ihrer Bewohner ist Kult! Kurz vor ihrem Tod vollendete Marion Zimmer Bradley diesen grandiosen Roman: Ein letztes Mal müssen die willensstarke Marguerida Alton und ihr Mann Mikhail gegen eine Vielzahl verschlagener Feinde antreten. Regis Hasturs plötzlicher Tod stürzt den Comyn-Rat auf Darkover in helle Aufregung. Denn Mikhail Hastur wird nicht so ohne weiteres als Nachfolger akzeptiert. Diese Schwäche der Comyn will Lyle Belfontaine, der ehrgeizige Chef des terranischen Hauptquartiers, eigenmächtig ausnutzen. Er will Darkover zwingen, Vollmitglied der Föderation zu werden, um endlich die Bodenschätze wie die riesigen Wälder rücksichtslos ausbeuten zu können. Seine Pläne bleiben allerdings nicht geheim, und die Comyn, angeführt von Mikhail und Marguerida, entwickeln verzweifelt Gegenpläne. Doch diese Pläne werden von einem Verräter in den eigenen Reihen preisgegeben ...
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Seitenzahl: 968
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Marion Zimmer Bradley Der Sohn des Verräters
Ein Darkover Roman
Ins Deutsche übertragen von Fred Kinzel
Copyright dieser Ausgabe © 2014 by Edel eBooks, einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg. Copyright © 1999 by Marion Zimmer Bradley Copyright First german Edition © by Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München. Die Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel "Traitor's Sun" Ins Deutsche übertragen von Fred Kinzel
Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München
Konvertierung: Datagrafix
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
ISBN: 978-3-95530-605-2
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Inhalt
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
Herm Aldaran schreckte jäh aus dem Schlaf, sein Herz schlug heftig, und sein Oberkörper war schweißgebadet. Er rang keuchend nach Luft und strampelte mühsam die Bettdecke zur Seite; seine Schläfen pochten. Dann setzte er sich auf, blinzelte in das schwache Licht, das aus dem Gemeinschaftsraum der kleinen Wohnung kam, und schluckte schwer. Sein Mund war völlig ausgetrocknet, und er verspürte einen Geschmack wie nach Eisenspänen, und seine Füße fühlten sich fremd an, als gehörten sie nicht zu ihm. Sein Nachtgewand war um die breite Brust herum zwar völlig durchnässt, aber der Ärmel war teilweise noch trocken, sodass er sich das Gesicht damit abwischen konnte. Als Herm aufstand, begann sich das Zimmer um ihn zu drehen, und er hätte sich beinahe wieder hingesetzt.
Schließlich hörte er auf zu zittern, und sein Herzschlag verlangsamte sich zu einem normaleren Rhythmus. Er blickte auf Katherine, die seit mehr als zehn Jahren seine Frau war; seine Unruhe hatte sie noch nicht geweckt. Im Dämmerlicht sah Herm, wie sich ihr dunkles Haar über das Kissen ausbreitete, er konnte auch die Wölbung ihrer Stirn und die Linie ihres Mundes unter der kräftigen Nase erkennen. Zum wiederholten Male fragte er sich, wie eine so schöne Frau einen unscheinbaren Kerl wie ihn hatte heiraten können. Es war ihm ein Rätsel, aber gewiss lag es nicht an seinem Reichtum – er war nicht reich – oder an der zweifelhaften Ehre, dass er der Senator von Cottman IV war, wie die Terranische Föderation seinen Heimatplaneten Darkover bezeichnete. Er musterte seine Gattin, ließ die Gedanken ein wenig schweifen und spürte, wie eine relative Ruhe über ihn kam.
Herm wusste, er würde so bald nicht wieder einschlafen können, deshalb stand er auf und schlich so leise und vorsichtig wie möglich aus dem Schlafzimmer, um Katherine nicht zu stören. Er spähte hinter die dünne Trennwand zwischen ihrem Schlafbereich und dem ihrer beiden Kinder und stellte fest, dass sie ebenfalls noch schliefen. Dann tappte er über die schäbigen Fliesen in die kleine Nahrungszubereitungszone und öffnete den Kühlschrank. Die Saftkaraffe war kalt, als er sie berührte, und er hatte das Verlangen, sie sich direkt an den Mund zu setzen. Erst als er sie in der Hand hielt, bemerkte er, dass er noch immer leicht zitterte. Er zwang sich, ein Glas zu suchen, und goss etwas von der gelben Flüssigkeit hinein. Dann trank er das Glas auf einen Zug halb leer und spülte mit dem säuerlichen Aroma des Saftes den hässlichen Geschmack von seiner Zunge. Die kalte Flüssigkeit traf seinen Magen wie ein Faustschlag, und für einen Augenblick hatte er das Gefühl, Säure geschluckt zu haben. Dann war diese fürchterliche Empfindung vorbei, auch wenn sein Magen noch eine kleine Weile protestierte. Er wusste, es war nur Einbildung, aber er vermeinte zu spüren, wie der Zucker im Saft in seinen Blutkreislauf eindrang. Während er tief ein- und ausatmete, zitterte er am ganzen Leib, ab gekühlt nun, nachdem er kurz zuvor noch vor Hitze geglüht hatte.
Herm sank auf einen der Hocker an der langen Theke, die als Essplatz diente, stellte das Glas ab, bevor er es fallen ließ, und zwang sich, den Kopf frei zu bekommen. Ein Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmte, zerrte an seinen Nerven wie die dissonanten Töne einer klassischen Industriesymphonie. Dieser Musikstil hatte während seiner ersten Jahre in der gesetzgebenden Abgeordnetenkammer der Föderation eine Wiederbelebung erfahren, und man hatte ihn in einige Konzerte geschleift. Sehr zu seinem Verdruss war ihm die Musik im Gedächtnis geblieben, denn er hielt sie eigentlich gar nicht für Musik, sondern eher für Lärm, und einen ausgesprochen unangenehmen dazu. Er hasste sie, so wie er den Hocker hasste, den kleinen Raum, in dem er saß, und die Beengtheit des Quartiers, das man ihm als dem Senator Darkovers bei der Föderation zugewiesen hatte.
Als Lew Alton noch Senator gewesen war, hatte er über ein etwas größeres Quartier verfügt und außerdem über ein Haus auf Thetis. Aber diese Zeiten waren vorbei, und so gut wie kein Mitglied der gesetzgebenden Körperschaft besaß einen Wohnsitz auf anderen Planeten, es sei denn, es hatte ihn geerbt. Das Finanzministerium hatte vor einigen Jahren strikte Reisebeschränkungen erlassen, welche die Bewegungsfreiheit der Gesandten einengten. Sie durften alle fünf terranischen Jahre zu Wahlen auf ihre Heimatwelten reisen, Herm war jedoch nie nach Darkover zurückgekehrt. Er war nicht gewählt, sondern vor dreiundzwanzig Jahren von Regis Hastur ernannt worden, einem Mann, dem er nie persönlich begegnet war. Acht Jahre lang hatte er in der Abgeordnetenkammer gewirkt, und als Lew Alton den Senatorensitz räumte, hatte er dessen Platz eingenommen.
Die vom Finanzministerium veranlassten politischen Kursänderungen und zahlreiche andere diktatorische Bestimmungen hatten die Legislative im Lauf der Jahre endgültig zu Gefangenen der Launen von Premier Sandra Nagy und ihren Busenfreunden von den Expansionisten gemacht. Trotz ihres Namens waren die Expansionisten ein Haufen knauseriger Autokraten, und Jahr für Jahr war es zu weiteren Einschränkungen gekommen, von denen nur die privilegiertesten Mitglieder der Partei ausgenommen waren. Wie Herm einmal zu seiner Frau sagte, als er einigermaßen sicher annahm, dass keine Abhörgeräte in der Nähe waren: »Die Expansionisten behaupten, die Mittel der Föderation seien begrenzt – und samt und sonders das rechtmäßige Eigentum ihrer Partei!« Sie hatte nicht einmal gelacht.
Die Drei-Zimmer-Wohnung war ein besseres Zuhause, als es die meisten gewöhnlichen Terraner besaßen, aber Herm war auf Burg Aldaran aufgewachsen, wo ihn steinerne Mauern umgaben und große, prasselnde Feuerstellen ihre duftgeschwängerte, rußige und heiße Luft verströmten. Seltsam, dass er sie nach mehr als zwei Jahrzehnten noch immer vermisste. Aber in der geruchlosen, stickigen Atmosphäre der Wohnung, die wegen der zentralen Regulierung des Gebäudes das ganze Jahr über warm war, kam er sich noch immer wie ein gefangenes Tier vor. Acht Milliarden Menschen lebten auf dem Planten, und jedes Jahr wurden es mehr. Er sehnte sich sehr nach Weite, nach langen Reihen von Koniferen und dem Geruch des Bergbalsams, nach dem Schrei der Falken in den Hellers und dem leuchtenden, rostbraunen Gefieder der Vögel am Himmel, der von einer roten Sonne beschienen wurde.
Es war nicht einfach nur eine Sehnsucht nach glitzernden, jungfräulichen Schneeflächen, die ihn umtrieb. Vielmehr blieb ihm auch nach zwei Jahrzehnten noch ein Unbehagen mit seiner Lage – er fühlte sich fremd. Herm hatte sich nach einer Schalldusche nie völlig sauber gefühlt, auch wenn sie alle abgestorbenen Hautpartikel und Öle von seinem Körper entfernte. Wie alles andere auch, war das Wasser rationiert und mit Steuern belegt, und er verspürte ein tiefes Verlangen danach, sich in einer Wanne voll dampfendem, nach Lavendelöl duftendem Wasser zu aalen. Ein festes Baumwollhandtuch aus den Trockenstädten zum Abreiben und ein Gewand aus gefilzter Wolle zum Überziehen vervollständigten seine Träumereien. Nicht diese klamme Synthetik auf der Haut ...
Das Herz tat ihm weh, wenn er an all diese Dinge dachte, und er wunderte sich über sich selbst. Fast sein halbes Leben hatte er nicht auf Darkover verbracht, und er fand, er sollte sich inzwischen daran gewöhnt haben. Aber sein Heimweh war eher immer schlimmer geworden. Er dachte einen Augenblick daran, wie er als junger Mann – ein Bauerntrampel nach den Maßstäben der Föderation – hier angekommen war, um seine Welt in der niedrigeren der beiden Kammern zu vertreten. Die riesigen Gebäude hatten ihn eingeschüchtert, die Bienenstöcke und Wolkenkratzer, die Allgegenwart einer Technologie, die man sich auf seiner fernen Welt nicht einmal vorstellen konnte. Obwohl er mit verschiedenen Terranern aufgewachsen war, die auf Burg Aldaran ein und aus gingen, und obwohl seine Mutter Terra als ihren Geburtsplaneten bezeichnete, hatte er schnell gemerkt, wie unglaublich wenig er wusste. An seine Mutter erinnerte er sich kaum, denn sie war gestorben, als er drei war. Aber mit Sicherheit hatte sie ihm nie etwas erzählt, das ihn auf die Realität vorbereitet hätte, die ihn in seinem ersten Jahr in der Abgeordnetenkammer einholte. Sie hatte ihm einen merkwürdigen, für Darkover untypischen Namen vermacht – einen altertümlichen und selbst nach terranischen Maßstäben ungewöhnlichen, wie er inzwischen wusste –, eine Neigung zur Kahlheit und darüber hinaus nur undeutliche, bruchstückhafte Erinnerungen. Alle drei Ehefrauen von Dom Damon Aldaran waren verstorben – sein Vater hatte tragisches Pech gehabt.
Zu Herms Glück war Lew Alton da gewesen, um ihm durch jene ersten Jahre zu helfen. Er hatte fast auf Anhieb gelernt, mit der Technologie umzugehen, per Computer an Informationen zu gelangen und mit Leuten zu kommunizieren. Noch wichtiger war, dass Lew ihn dazu angehalten hatte, die Literatur und Philosophie von hundert Planeten sowie die komplizierte Geschichte der Föderation zu studieren. Zunächst war ihm der Zweck dieser Anstrengungen nicht recht klar gewesen, und er hatte die Texte nur gelesen, um dem Älteren eine Freude zu machen. Doch allmählich hatte er begriffen, wie wenig gebildet er für die Aufgabe war, für die man ihn ausgewählt hatte. Nach großen Anlaufschwierigkeiten hatte er schließlich die Denkweise der Föderation verstanden, ihr Wurzeln in uralten Ideen, die auf Darkover nie Fuß gefasst hatten – darunter einige sehr gute Ideen.
Aber er wusste, dass man nun im Begriff stand, diese Ideale aufzugeben, und dass die Föderation auf eine Ära der militärischen Dominanz und Unterdrückung zusteuerte. Das war in der menschlichen Geschichte auch schon früher passiert, aber er wünschte, es würde nicht gerade zu seinen Lebzeiten eintreten. Und er konnte nicht offen darüber sprechen, wie es bei seiner Ankunft von Darkover noch möglich gewesen war. Wie jede andere Person auf dem Planeten war er ständiger Überwachung ausgesetzt, und er konnte nichts dagegen ausrichten, denn es galt als schweres Vergehen, die Augen und Ohren der Spitzel außer Betrieb zu setzen. Er fragte sich, was die Durchschnittsbürger darüber dachten und ob sie überhaupt dachten. Wahrscheinlich nicht, hypnotisiert von Medienberieselung und Videodramen, wie sie waren.
Aber Herm wusste, dass die Lage schlecht war und immer schlimmer wurde. Mittel in Billionenhöhe wurden alljährlich für neue Technologien ausgegeben. Gleichzeitig wandte man extrem wenig für die einfachen Leute auf, deren tägliches Leben immer härter wurde. Er hatte sich bemüht, dieses Phänomen zu verstehen, aber es ergab immer noch keinen Sinn für ihn, und wie die meisten seiner Kollegen in der Kammer war er buchstäblich machtlos dagegen.
Aber das waren morbide Gedanken. Daran waren wohl die Anstrengungen der letzten Zeit schuld. Regis Hastur hatte Herms ursprünglichen Platz in der Abgeordnetenkammer nach seinem Ausscheiden nicht wieder besetzt, und so war Herm seit sechzehn Jahren keinem gebürtigen Darkovaner mehr begegnet. Das machte ihm selten zu schaffen, aber nun war er so müde, dass es ihm wie eine schwere Last erschien.
Neuerdings war Schlaf ein seltenes Vergnügen geworden, da die Versammlungen, sowohl die öffentlichen wie die nichtöffentlichen, in beiden Kammern der Legislative bis weit in die Nacht dauerten – oder was man auf diesem fürchterlichen Planeten unter Nacht verstand. Herm hätte jede einzelne von Zandrus eisigen Höllen vorgezogen. Der Senat, in dem er nun seit nahezu sechzehn Jahren schuftete, war ein Hornissennest, in das die Expansionisten gestochen hatten, und in der Abgeordnetenkammer war es kaum besser. Aber er war auch schon früher mit politischen Krisen fertig geworden, ohne dass er mitten in der Nacht aufwachte und das Gefühl hatte, das Herz müsse ihm jeden Moment aus dem Leib springen.
Sosehr Herm es hasste, in der Föderation zu leben, sosehr genoss er im Grunde den ständigen Aufruhr des Politikerdaseins. Jedenfalls hatte er ihn bis vor wenigen Monaten genossen, bis die Partei der Expansionisten schließlich eine hauchdünne Mehrheit in beiden Häusern erreichte und eine Politik zu machen begann, die er ablehnte. Sie hatten für alle Mitgliedsplaneten der Föderation neue Steuern erlassen, um eine Flotte von schweren Kampfschiffen zu bauen, obwohl es gar keinen Feind gab, gegen den man sich verteidigen musste. Ein paar Welten hatten protestiert und sogar zu rebellieren versucht; dorthin hatte man Kampftruppen gesandt, um »die Ordnung aufrechtzuerhalten«. Das war kein Spiel mehr, in dem Herm mit seinem natürlichen Talent für Wortgefechte und seiner Listigkeit brillieren konnte, die immer seine Hauptstützen gewesen waren. Es war zu einem täglichen Albtraum geworden, aus dem er nie mehr zu erwachen drohte.
In jüngster Zeit hatten die sich überstürzenden Ereignisse selbst einige der gemäßigteren Senatoren in der expansionistischen Partei aufgeschreckt. Mit bemerkenswertem Mut, wie Herm fand, hatten diese Männer und Frauen bei einem umstrittenen Verteidigungsgesetz gegen die eigene Mehrheit gestimmt, es wirksam vereitelt und Senat wie Kammer in eine verfahrene Situation gebracht. Es hatte Druck gegeben, Überredungsversuche, doch alles ohne Erfolg. Abgesehen von endlosen Konferenzen und langatmigen Reden war seit fast sechs Wochen keine richtige Arbeit mehr erledigt worden, und es sah auch nicht so aus, als sollte sich das in naher Zukunft ändern. Die Führer der Expansionisten wurden zunehmend verzweifelter, und das einzig Gute an dem ganzen Durcheinander war, dass seither keine neuen Steuern erlassen wurden. Doch auf lange Sicht war von einem lahm gelegten Parlament kein Nutzen zu erwarten. Eine handlungsunfähige Regierung konnte unbeabsichtigt mehr Schaden anrichten, als Gutes tun.
Herm versuchte die düstere Stimmung abzuschütteln, die seine Gedanken trübte, und fand sich bei der Erinnerung an eine der letzten Unterhaltungen mit Lew Alton wieder, bevor dieser sein Amt aufgegeben hatte und nach Darkover zurückgekehrt war. Der Glückliche. Lew musste jetzt nicht auf einem armseligen Hocker balancieren und versuchen aus einer Hysterie schlau zu werden, die in den letzten zehn Jahren immer größer geworden war. Was hatte er damals gesagt? Ach ja: »Es könnte eine Zeit kommen, Hermes, in der die Föderation kollektiv den Verstand verliert, und falls das tatsächlich eintritt, weiß ich im Grunde nicht, was ich dir raten soll. Aber wenn es so weit ist, wirst du es in deinem Innersten spüren. Und dann musst du dich entscheiden, ob du bleiben und kämpfen willst oder ob du vor dem ganzen Tumult fliehst. Und glaub mir, dein Verstand wird dir eine eindeutige Antwort geben. Verlass dich auf deinen Instinkt, junger Mann.«
Guter Rat und immer noch brauchbar. Aber die Dinge hatten sich seit Lew Altons Zeit als Senator von Darkover geändert. Damals war Herm noch nicht verheiratet gewesen – was für eine einzigartige Dummheit, eine Witwe von Renney mit einem kleinen Sohn namens Amaury zu heiraten! Aber er war hoffnungslos verliebt gewesen. Inzwischen hatten sie auch ein eigenes Kind, ihre Tochter Terése, ein fröhliches Mädchen von fast zehn Jahren. Die Familie war das Licht in seinem Leben, und Herm wusste, dass er ohne den Halt durch Kate und die Kinder noch viel unglücklicher wäre. Allerdings war ihm auch klar, dass er die Angelegenheit nicht gründlich durchdacht hatte, als er seine Frau kennen lernte, sich unsterblich verliebte und sie einen Monat später heiratete. Zweifellos hatte er nicht die Probleme bedacht, die sich ergeben, wenn ein halb-darkovanisches Kind ein Alter erreicht, in dem die Schwellenkrankheit auftritt und das Laran einsetzt. Und er hatte Katherine nie von den angeborenen paranormalen Gaben seines Volkes erzählt, auch wenn er es sich immer vorgenommen hatte ... eines Tages. Irgendwie war nie der passende Moment dafür gekommen. Und wie sollte er es ihr auch beibringen? »Ach, übrigens, Kate, was ich dir schon immer sagen wollte – ich kann die Gedanken anderer Leute lesen.«
Herm schauderte, wenn er sich die Szene vorstellte, die darauf unweigerlich folgen würde. Nein, er hatte ihr die Wahrheit nicht gesagt, ganz der alte Schlaumeier. Er hatte einfach weitergemacht mit seinen politischen Tricksereien, hatte Darkover vor räuberischen Elementen in der Föderation bewahrt und die Sache vor sich hergeschoben. Reue und Schuldbewusstsein brandeten in ihm auf, und in seinem Magen schienen wütende Insekten zu rumoren.
Nach dem Tod seiner Mutter war er ein in sich gekehrtes Kind gewesen und zu einem heimlichtuerischen Erwachsenen herangewachsen, eine Lebensweise, die ihm während seiner Jahre in der Föderation zustatten kam. Sogar die Wände hatten hier Augen und Ohren, selbst in diesem armseligen Ersatz für eine Küche, der so genannten NZ-Zone. Zwei Arbeitsflächen, eine winzige Spüle, ein Kühlkasten und ein Heizfeld waren kein Vergleich zu einem geräumigen Steinsaal mit einem bienenkorbförmigen Ofen in einer Ecke, ein, zwei großen Kaminen und einem langen Tisch, an dem die Dienerschaft sitzen, essen und schwatzen konnte. Die alte Köchin auf Burg Aldaran, die inzwischen vermutlich tot war, hatte eine wundervolle Art, Schwimmvögel mit Gemüse zuzubereiten; das Wasser lief ihm im Mund zusammen, wenn er nur daran dachte. Er hatte kein frisches Fleisch mehr gekostet, seit er vor neun Jahren mit Katherine auf Renney gewesen war. Proteine aus der Retorte hatten kein Aroma, auch wenn sie seinen Körper nährten.
Er verbannte die angenehme Vorstellung an das feiste Geflügel, aus dem Fett und rosa Saft tropften, aus seinem Kopf und versuchte sich auf sein abruptes Aufwachen zu konzentrieren. Was hatte ihn nur aus der dringend benötigten Ruhe geschreckt? Er hatte keine Erinnerung an einen Traum, es musste also etwas anderes gewesen sein. Obwohl es warm im Raum war, zitterte Herm noch immer am ganzen Leib, und er sah, wie sich auf seinen Unterarmen eine Gänsehaut bildete. Er hatte nicht geträumt. Nein, ziemlich sicher machte sich gerade seine Aldaran-Gabe bemerkbar und ermöglichte ihm einen Blick in die Zukunft, auf den er wahrscheinlich gern verzichten würde, sobald ihm wieder einfiel, worum es ging. Sein Laran war bescheiden, es reichte gerade, um gelegentlich einen Gedanken der Männer und Frauen aufzuschnappen, mit denen er tagtäglich zu tun hatte, und er achtete sorgsam darauf, diesen Vorteil weder zur Schau zu stellen noch zu missbrauchen. Er verließ sich weit mehr auf seine natürliche Schläue als auf seine telepathischen Fähigkeiten – eine zuverlässigere Gabe und moralisch weniger zweifelhaft.
Außerdem war er Diplomat und kein Spion, und nur weil die Föderation jeden seiner Schritte überwachte, musste er es ihr nicht gleichtun. Er fragte sich allerdings, was die unsichtbaren Zuhörer wohl von seinen Liebesbegegnungen mit Kate hielten. Wahrscheinlich nichts, da sie Nacht für Nacht Millionen solcher Ereignisse aufzeichnen mussten. Dennoch vermisste er die echte Ungestörtheit schmerzlich, umso mehr, als er überzeugt war, auch in diesem Augenblick beobachtet zu werden. Er konnte immer wieder aufs Neue darüber staunen, was Menschen im Namen der Ordnung alles anstellten.
Nun musste ihm nur noch einfallen, was ihn geweckt hatte, dann konnte wieder schlafen gehen. Irgendetwas war mit Sicherheit im Busch, aber dieses Gefühl verfolgte ihn seit Wochen. Er hatte gelegentlich die Gedanken seiner Abgeordnetenkollegen aufgefangen – sie waren zutiefst beunruhigt. Das beschränkte sich nicht allein auf die Opposition, denn er hatte auch bei einer ganzen Reihe von expansionistischen Senatoren bemerkt, wie sie sich im Geiste krümmten, wobei ihre Gedanken die Worte aus ihrem Mund Lügen straften. Da er nicht über ein ausgeprägtes Laran verfügte, das seinem Vorgänger einen großen Vorteil verschafft hatte, behalf sich Herm mit Fetzen ungeschützter Gedanken, und was er zu hören bekam, war meistens eher banal und ichbezogen als nützlich.
In den Fluren und Konferenzzimmern des Senatsgebäudes machte sich in diesen Tagen Angst breit, und Herm hatte beobachtet, wie sich langjährige Verbündete nun misstrauisch beäugten. Man fürchtete sich aus gutem Grund. Opposition gegen die Pläne der Expansionisten war gefährlich, und so mancher Senator hatte in den letzten Jahren einen unerklärlichen Unfall erlitten oder war von einer plötzlichen Krankheit heimgesucht worden. Vertrauen und die Fähigkeit zu vernünftigen Kompromissen, die Grundpfeiler einer repräsentativen Regierung, waren so gut wie verschwunden, an ihre Stelle waren Vorsicht und Paranoia getreten, die Herm frösteln ließen, wenn er sie in den ungeschützten Gedanken seiner Kollegen wahrnahm. Durch diese Umstände erschien das Handeln von Leuten wie der Senatorin Ilmurit ungemein tapfer. Sie hatte zusammen mit sieben anderen Gemäßigten die Seiten gewechselt und damit die knappe Mehrheit zunichte gemacht, welche die Expansionisten unter so gewaltigen Anstrengungen und mit nicht geringer Hinterlist gewonnen hatten.
Seine Augen brannten heftig, und seine Muskeln zuckten. Es war zum Verrücktwerden, zumal er wusste, dass er normalerweise nicht aus irgendeinem nichtigen Anlass eine Vision hatte. So selten sich sein Laran auch manifestierte, es war stets wichtig. Zweimal in seiner Zeit als Senator von Darkover hatte es ihm schon geholfen, politische Fallen und Verrat zu umgehen.
Er schloss die Augen, wobei spürte, wie die Erschöpfung an ihm zehrte, und versuchte sich die Warnung ins Gedächtnis zu rufen, die ihn geweckt hatte. Sie war unklar, eine Ansammlung von Stimmen, Schmerzensrufen und Worten, die er kaum verstand. Er musste sich einige Minuten angestrengt konzentrieren, bis ihm klar wurde, dass es sich nicht um eine Sache handelte, sondern um zwei ineinander verwobene Ereignisse, so dass sich das eine schwer vom andern unterscheiden ließ.
Zwei Frauen? Ja, richtig. Wer waren sie? Keine der beiden war seine Kate, und die Stimmen gehörten auch keiner der Senatorinnen und weiblichen Abgeordneten, die er kannte. Dann hörte er die äußerst vertraute Stimme von Sandra Nagy heraus, der gegenwärtigen Premierministerin der Föderation. Er hatte sie nicht gleich zuordnen können, weil er an ihren meistens angenehmen Alt gewöhnt war, mit dem sie die in alle Winkel der Terranischen Föderation übertragenen Reden hielt, in denen sie neue Steuern erklärte oder den Einsatz von Kampftruppen gegen Zivilisten.
Herm begriff plötzlich, dass er keine Vision gehabt hatte und auch keinen Traum, sondern die Erfahrung der Hellhörigkeit, der seltensten Manifestation der Aldaran-Gabe. Er hatte in die Zukunft gehört – wenn er sich doch nur an die verdammten Worte erinnern könnte! Heftig massierte er sich die Stirn und versuchte mit reiner Willenskraft sein Gedächtnis dazu zu bewegen, dass es ein wenig Klarheit und Sinn in seine Gedanken brachte. Konzentriere dich auf Nagy, befahl er sich, und lass die anderen Geräusche beiseite.
»Ich kann nicht zulassen, dass die Arbeit der föderalen Regierung noch länger stillsteht«, vernahm Herm schließlich. »Da die Opposition offenkundig entschlossen ist, die Legislative zur Geißel ihrer unerklärlichen und egoistischen Ziele zu machen, habe ich keine andere Wahl, als sowohl den Senat wie auch die Abgeordnetenkammer aufzulösen, und zwar so lange, bis Neuwahlen abgehalten und die Ordnung wiederhergestellt werden können.«
Einen Augenblick lang war Herm wie betäubt. Wann sollte das passieren? Die Aldaran-Gabe war nie sehr genau und hatte selten so nützliche Details wie Datum und Uhrzeit zu bieten. Er zweifelte jedoch nicht an dem, was er vorausgehört hatte, und konnte nur überlegen, was es für Darkover bedeuten würde.
Völlig überraschend kam es nicht, denn nach der Verfassung der Föderation bestand diese Möglichkeit eigentlich immer. Seit mehr als hundert Jahren, seit die Terraner nach Darkover gekommen waren, hatte kein Premier mehr die Regierung aufgelöst, aber Herm hatte von solchen Ereignissen gelesen. Was er wusste, war nicht ermutigend. Sehr oft handelte es sich um einen ersten Schritt in Richtung Tyrannei, Unterdrückung und Leid. Mit ihrer Überwachung noch des bescheidensten Zuhauses war die Regierung schon ein gutes Stück auf diesem Weg gegangen. Und das alles im Namen der Sicherheit. Die Angst vor einer Rebellion war allgegenwärtig, und sie war im letzten Jahrzehnt ständig gewachsen, bis sie alles überschattete. Selbst die vernünftigen Männer und Frauen unter den Senatoren schienen sich angesteckt zu haben. Was die Mitglieder der expansionistischen Partei anging, ließen sie sich die imaginären Erwiderungen solcher Revolten wie einen guten Wein schmecken und berauschten sich an Rachevisionen. Manchmal glaubte Herm, sie genossen ihre Fieberträume einer galaktischen Apokalypse.
Lew Alton hatte seinerzeit Recht gehabt – die Föderation ging langsam, aber sicher zu Grunde. Erstaunlich war nur, dass es so lange gedauert hatte. Aber was sollte er jetzt tun? Und was war mit der anderen, nicht so deutlichen Stimme, der unbekannten Frau, die in seinem Geist gerufen hatte?
Flieh!
Das einzelne Wort schallte wie eine gewaltige Glocke in seinem Kopf und übertönte für einen Moment alle anderen Überlegungen. Hermes-Gabriel Aldaran hatte Angst, und er schämte sich nicht, es sich einzugestehen. Halb erhob er sich von dem unbequemen Hocker, um sogleich wieder niederzusinken. Fremde Augen beobachteten ihn, und auch wenn es Tage oder gar Wochen dauern konnte, bis menschliche Augen die Aufzeichnung dieses besonderen Augenblicks betrachteten, musste er aufpassen, dass sein Verhalten keine Aufmerksamkeit erregte. Er musste an Kate und die Kinder denken.
Er rief sich die erinnerten Worte noch einmal ins Gedächtnis, und seine Frustration wuchs. Wann würde Nagy diese niederschmetternde Ankündigung machen? Was nützte ihm sein Vorherwissen, wenn er keinerlei Hinweise darauf hatte, ob die vorausgesehenen Ereignisse morgen oder in der nächsten Woche eintreten würden! Herm zwang sich, die augenblickliche Situation so ruhig und objektiv wie möglich zu betrachten. In einer Hand voll Welten brodelte es am Rande eines Aufstands, und wenn die Premierministerin die gesetzgebende Körperschaft auflöste, würde mindestens eine der Welten dies als Vorwand benutzen, um einen Bruch mit der Föderation zu versuchen. Für ihn war das klar, aber er konnte sich nicht sicher sein, ob Nagy es ebenfalls durchschaute. Ihr Beraterstab bestand fast ausschließlich aus den extremeren Stimmen in der Partei, aus Leuten, die allen Ernstes glaubten, sie verstünden es besser, das Leben auf den einzelnen Planeten der Föderation zu regeln, als die Bewohner selbst.
Und welche Bedeutung hätte die Auflösung der Legislative für die Gouverneure, Könige und anderen Regierungsorgane auf den Mitgliedsplaneten? Ohne eine Vertretung würden sie ihrer Stimme vollkommen verlustig gehen. Würde Nagy die Verfassung außer Kraft setzen und das Kriegsrecht einführen? Herm rieb sich nachdenklich den kurzen Bart. Nein, so weit würde sie nicht gehen – jedenfalls nicht sofort. Stattdessen würden sie und ihre Kumpane warten, bis irgendein Planet rebellierte, und das als Vorwand benutzen, den Notstand auszurufen. Das war der logische Verlauf.
Hatte man bereits Truppen zu jenen Planeten geschickt, die für gefährlich oder potenziell abtrünnig gehalten wurden? Herm wusste es nicht, und er konnte sich unmöglich Zugang zu Dateien mit jenen Informationen verschaffen, ohne augenblicklich Verdacht zu erregen. Er sollte aber vorsichtshalber davon ausgehen, dass Teile der Flotte an Ort und Stelle oder auf dem Weg waren. War nicht von Manövern im Sektor Castor die Rede gewesen? Er kratzte sich am Kopf und zermarterte sein müdes Hirn. Doch, Castor war richtig. Dort gab es zwei Welten, auf die er sich konzentrieren würde, wenn er ein Stratege der Expansionisten und auf Streit aus wäre.
Herm gab sich für den Augenblick zufrieden mit den theoretischen Überlegungen, die er ohne echte Informationen angestellt hatte, und versuchte seine eigene Lage zu analysieren. Wo stand er? Er war der unabhängige Senator eines geschützten Planeten und stellte für niemanden eine offene Gefahr dar. Er hatte sorgsam eine nicht bedrohlich wirkende Persönlichkeit kultiviert und war damit all die Jahre gut gefahren. Aber Herm war mit den Grundzügen des expansionistischen Denkens ausreichend vertraut, um zu wissen, dass sie jeden als ihren Feind betrachteten, der nicht ihr Verbündeter war. Er hatte erlebt, wie einige seiner Freunde im Senat durch Skandale zu Fall gebracht wurden, von denen er wusste, dass sie frei erfunden waren, und er hatte nicht vor, abzuwarten, ob er das jüngste Opfer werden sollte. Das war zwar unwahrscheinlich, weil Darkover kein bedeutender Planet war. Aber zum Schutz seiner Familie war Vorsorge gewiss nicht verkehrt. Denn war der Senat erst einmal aufgelöst, genossen er und seine Lieben nicht länger die Immunität seines Amtes. Dann konnte man ihn verhaften, wenn nicht noch schlimmer. Wenn er doch nur nicht so müde wäre und klar denken könnte. Stattdessen hatte er einfach nur Angst und kämpfte gegen den Impuls zu fliehen an.
Herm beschloss, dass er herausfinden musste, wann Sandra Nagy ihre politische Bombe nun tatsächlich platzen lassen wollte, bevor er irgendetwas unternahm. Er stand von dem Hocker auf und tappte zu seinem Haushaltsterminal. Zumindest würde diese Handlung den Spionen in den Wänden nicht ungewöhnlich erscheinen. Herm hatte nämlich die Angewohnheit, sich mehrmals täglich in die Nachrichtenzufuhr einzuklinken, selbst nachts, wenn er, so wie jetzt, nicht schlafen konnte. Tatsächlich war es so typisch für ihn, dass es einen Verdacht eher zerstreuen konnte als erregen.
Er presste die Hand auf die Glasoberfläche des ComLink und wartete. Sekundenlang passierte nichts, und sein Herz begann ein wenig schneller zu schlagen. Er befürchtete, er könne schon zu spät dran sein, die Ereignisse seien ihm bereits entglitten, man würde ihm den Zugang verweigern, und bald klopfe ein Schlägertrupp der Expansionisten an seine Tür. Doch dann tadelte er sich im Stillen. Das System war seit Wochen so langsam, schuld daran waren Stromausfälle, die gelegentlich den halben Kontinent stundenlang in Dunkelheit tauchten.
Alles auf dem Planeten, von den Wahlen bis zur Essensbestellung, war von diesen elektronischen Verbindungen abhängig. Aber in ihrer Kurzsichtigkeit hatten die Expansionisten die Mittel für Verbesserungen gestrichen, und nun begann das System zusammenzubrechen. Es war symptomatisch für alles, was schief lief in der Föderation. Die Infrastruktur zerfiel, und niemand brachte ein Gesetz durch, mit dem sich etwas dagegen unternehmen ließ. Die Bevölkerungszahl stieg weiter an, aber die Dienste zur Versorgung der Menschen wurden zunehmend schlechter, weil die benötigten Mittel für Waffen, den Bau von Kriegsschiffen und die Ausbildung von Truppen ausgegeben wurden. Es war Irrsinn, und Herm war nicht der Einzige, dem dies bewusst war. Unglücklicherweise wollte aber niemand auf seine oder andere Stimmen hören, die darauf hinwiesen, es sei untragbar, Geld für Verteidigung statt für grundlegende Bedürfnisse zu verwenden.
Er dachte an seine geschichtlichen Studien. So widerstrebend er sie auch begonnen hatte, inzwischen waren sie fast zu einer Obsession geworden. Seine Begeisterung für Geschichte war eine der wenigen Freuden, die er außer seiner Familie hatte, eine Flucht aus der bedrückenden Gegenwart, die er durchlebte. Aus irgendeinem Grund musste er an die Geschichte eines großen Reiches denken, das kurz vor dem Zeitalter der Raumfahrt auf Terra existiert hatte, eines Landes, das den größten Teil dessen abdeckte, was man damals Asien und Europa nannte. Ein halbes Jahrhundert lang hatte es sich der Vorbereitung auf einen Krieg gewidmet, der nie ausbrach, und schließlich war es in lauter Einzelteile zerbrochen, Bankrott gegangen an seiner eigenen Furcht. Vielleicht würde die Bewegung der Expansionisten denselben Verlauf nehmen. Der Gedanke war ein schwacher Trost.
Schließlich sprang das Terminal mit einem Blinken an. Rasch überflog er die jüngsten Nachrichten und hielt nach Hinweisen Ausschau, die ihm verraten konnten, wie viel Zeit ihm noch blieb. Er überging Berichte über Lebensmittelknappheiten, einen weiteren Tumult um Wasser auf den indonesischen Inseln, die Ankunft des Gouverneurs von Tau Ceti III zu einem Staatsbesuch und verschiedene andere Schlagzeilen. Da, eine knappe Meldung, am Ende der neuesten Nachrichten. Die Premierministerin hatte für drei Tage später eine wichtige Rede vor beiden Häusern angekündigt. So viel Zeit blieb ihm also, um möglichst weit zu kommen. Nicht viel, aber genug. Er hatte tief im Innern das Gefühl, das Richtige zu tun, genau wie Lew es prophezeit hatte. Und schlau, wie er war, hatte er sich immer einen Fluchtweg offen gehalten.
Im ersten Augenblick konnte er einzig daran denken, dass er endlich nach Darkover heimkehren würde – und zwar unverzüglich. Eine Woge der Erleichterung ließ ihn in den blinkenden Schirm grinsen. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach würde er nicht hierher zurückkommen, und das schuf eine Reihe neuer Probleme. Er musste Katherine und die Kinder mitnehmen. Das war weiter nicht schwierig, außer dass Kate Fragen stellen würde, warum sie ihr Zuhause verließen. Und er konnte ihr schlecht die Wahrheit sagen, denn das würde die Überwacher in den Wänden auf den Plan rufen.
Hermes seufzte. Das Leben als Junggeselle war sehr viel einfacher gewesen, aber auch weniger befriedigend. Kate war eine intelligente Frau; sie würde ihm einfach trauen müssen, weil sie wusste, dass er nur ihr Bestes im Sinn hatte. Einen Moment lang machte er sich sinnlos Sorgen, weil er die Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung reißen würde, dann verbannte er den Gedanken. Sie waren noch jung und anpassungsfähig, und Schaden von ihnen abzuwenden war wichtiger als alle anderen Überlegungen. Später, wenn sie außer Reichweite der Dauerüberwachung waren, würde er ihnen alles erklären. Darauf freute er sich nicht gerade. Kate würde ihm das Fell über die Ohren ziehen, weil er nicht früher einen Weg gefunden hatte, ihr alles zu erzählen, und wahrscheinlich hatte er es nicht besser verdient.
Während er leise vor sich hin brummte, rief er ein Programm im ComLink auf, das Jahre zuvor dort angelegt worden war. Auf dem Schirm erschien eine Nachricht mit allen korrekten Codes, in der er aufgefordert wurde, unverzüglich nach Darkover zurückzukehren. Er unterdrückte ein Grinsen, weil er wusste, dass es sich nur um ein raffiniertes Betrugsmanöver handelte, und hoffte, die Informationsschnüffler hatten es nicht entdeckt. Die Nachricht sah jedenfalls ganz offiziell aus, und wenn niemand sie genauer prüfte, sollte sie ihm ermöglichen, sich und seine Familie außer Gefahr zu bringen.
Herm starrte auf den Bildschirm und bemühte sich, überrascht auszusehen, er kratzte sich verärgert am Kopf und murmelte vor sich hin. Dann rief er ein anderes Programm auf, wobei er seine Freude nur mit Mühe verhehlen konnte. Es gab wieder eine Verzögerung, und seine Achsenhöhlen wurden feucht vor Schweiß. Dann fand er wie von Zauberhand ein freies Ticket für eine Reise durch den Raum der Föderation, völlig korrekt auf das erste abgehende Schiff gebucht. Es erlaubte ihm, dank seiner privilegierten Stellung die erste verfügbare Kabine erster Klasse auf einem großen Raumkreuzer in Anspruch zu nehmen.
Die Benutzung dieses Hintertürchens verschaffte ihm ein grimmiges Vergnügen. Heutzutage, bei all den Beschränkungen durch die Expansionisten, dauerte es manchmal Monate, eine Überfahrt zu buchen, wenn man keine Freunde an der richtigen Stelle sitzen hatte. Aber als Senator konnte er immer noch seinen Rang ausspielen, auch wenn er damit höchstwahrscheinlich die Reisepläne eines völlig Fremden durcheinander brachte. Er beruhigte sein Gewissen jedoch mit der Überlegung, dass er vermutlich einem Parteigänger der Expansionisten Unannehmlichkeiten bereitete, denn diese Leute zählten zu den wenigen, denen überhaupt noch Reisen gestattet wurden.
Das Programm rief ein Verzeichnis ab, und der Computer gab ein schwaches, nicht unangenehmes Geräusch von sich, während er arbeitete. Nach mehreren Minuten öffnete sich ein Fenster, ein Reiseplan mit einer Umsteigemöglichkeit auf Vainwal. Das System akzeptierte seine Daten ohne Rückfrage, und er ließ die Buchung vornehmen. Sie hatten sechs Stunden Zeit, um zu packen und zum Raumhafen zu fahren. Das war nicht lange, und er betete darum, dass Katherine nicht allzu sehr widersprach.
Erschöpft von der Anstrengung, ließ er die Schultern ein wenig sinken. Sobald er sich entspannt hatte, kehrten die Stimmen aus dem Traum zurück, und Herm fiel ein, dass er noch nicht über die zweite nachgedacht hatte, die unbekannte, leisere Stimme. Frustriert bemühte er sich, sie noch einmal zu hören. Er zwang sich, ein paarmal tief Luft zu holen und ein wenig Geduld aufzubringen, obwohl es ihn vor allem nach Taten verlangte. Schließlich hatte er erst das halbe Rätsel entschlüsselt, und die zweite Stimme war wahrscheinlich ebenso wichtig wie die erste. Er durfte nicht übereilt handeln. Aber es war schwer. Seit jeher fiel es ihm nicht leicht, sich zu konzentrieren, vor allem, wenn er müde war. Er schloss die Augen, ballte die Fäuste und versuchte mit Willenskraft, die schwachen, weit entfernten Worte zurückzuholen. Zunächst kam nichts, doch dann tanzte eine Flut von Bildern vor seinem geistigen Auge vorbei. Er sah mehrere Blätter Papier mit ordentlichen Zeilen darauf, und dann fiel ein Tintenglas um und ergoss sich über die Seiten. Regis ist etwas zugestoßen!
Die Worte ließen ihn zittern. Herm zwang sich, eine Minute lang sitzen zu bleiben und sich zu beruhigen, so gut es ging. Vielleicht enthielt seine gefälschte Nachricht von Darkover mehr Wahrheit, als er gedacht hatte. Er hatte noch immer keine Ahnung, wessen Stimme da über unermessliche Lichtjahre durch Raum und Zeit drang, um ihn im Traum zu finden und zu wecken, damit er handelte. Er fröstelte bis ins Mark, und kalter Schweiß bedeckte seine Brust.
Vorübergehend schien ihn Trägheit zu lähmen, seine Gedanken drehten sich in nutzlosen Spekulationen im Kreis. Dann befahl er sich aufzustehen, auch wenn seine Beine ihm nicht recht gehorchen wollten, und den Gemeinschaftsraum zu durchqueren. Er goss sich noch ein halbes Glas Saft ein, dann stellte er den Behälter in die Kühlbox zurück. Das leere Glas räumte er in den Sterilisator, bevor er tief Luft holte und sich darauf vorbereitete, Katherine zu wecken. Er würde sie antreiben müssen, durfte ihr keine Zeit lassen, nachzudenken und Fragen zu stellen – oder er musste sie und die Kinder im Stich lassen, und das war unvorstellbar. Wenn er doch nur nicht so müde gewesen wäre!
Marguerida Alton-Hastur saß an ihrem Schreibtisch und sah aus dem Fenster. Sie war unruhig, hätte jedoch keinen Grund dafür nennen können. Ein prächtiger, frühherbstlicher Himmel mit verschiedenen interessanten Wolkengebilden füllte die schmale Öffnung. Sie fand, dass eines an ein Kamel erinnerte, ein Tier, das auf Darkover nie existiert hatte und jetzt nur noch in einigen Wildreservaten lebte. Marguerida dachte daran, wie viel Spaß sie immer gehabt hatten, als die Kinder noch klein waren und zu bestimmen versuchten, wonach die Wolken aussahen. Einmal hatten mehrere Wolken in ihren Augen wie ein Schwarm Delfine ausgesehen, die in den Meeren von Thetis herumtollten, dem Planeten, auf dem sie aufgewachsen war. Sie hatte damals weder ihre plötzliche Tränenflut erklären können noch die Natur ihrer Fantasiebilder. Ihre Kinder hatten das Meer nie gesehen und erst recht nicht darin gebadet, sie konnten ihr schmerzliches Verlangen nach warmen Ozeanen und milden Seewinden nicht nachvollziehen. Komisch – sie hatte seit einer Ewigkeit nicht an jenen Tag gedacht. Sie wurde wohl langsam alt und fing an, in Erinnerungen zu schwelgen.
Inzwischen waren die Kinder alle viel zu groß für Wolkengucken, selbst Yllana, die Jüngste mit ihren elf Jahren, und Marguerida vermisste das harmlose Spiel sehr. Letzten Mittsommer war Domenic, ihr Ältester, zum designierten Erben seines Vaters ernannt worden, trotz der lautstarken Proteste von Javanne Hastur, ihrer schwierigen Schwiegermutter. Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergangen war. Nicht mehr lange, und sie könnte selbst Schwiegermutter werden, und dann Großmutter! Hoffentlich würde sie ihrer noch unbekannten Schwiegertochter mehr Sympathie entgegenbringen als Javanne ihr, und hoffentlich würde sie freundlicher oder wenigstens höflicher zu ihr sein. Aber noch nicht so bald, flüsterte sie vor sich hin. Auch wenn das Elterndasein durchaus nicht immer leicht gewesen war, sie hatte es nicht eilig damit, dass ihre Kinder sie verließen.
Sie sah sich in dem kleinen Arbeitszimmer um, das sie sich in ihrer Suite auf Burg Comyn eingerichtet hatte. Das Feuer im Kamin loderte, und der behagliche Raum duftete nach brennendem Balsamholz. Die verkleideten Wände reflektierten das zuckende Licht des Feuers, und die Farben im Muster des Teppichs auf dem Steinboden erfreuten ihr Auge. Der Geschmack des Herbstes drang selbst durch die dicken Mauern von Burg Comyn, ein frischer Geruch, der ihren Geist stets belebte. Es hatte lange gedauert, bis sie sich an das Wetter auf Darkover gewöhnt hatte, denn auf Thetis war der Sommer mehr oder weniger endlos gewesen. Aber inzwischen freute sie sich richtig auf den Wechsel der Jahreszeiten und die Feste, die ihn unterstrichen.
Aus dem angrenzenden Raum hörte sie das fröhliche Klimpern eines Klaviers; dort gab Ida Davidson Yllana ihre Musikstunden. Marguerida lächelte bei dem Klang. Es handelte sich um kein E-Piano, wie es Ida gespielt hatte, als Marguerida während ihrer Universitätszeit bei ihr wohnte. Ein solches Instrument war auf Darkover verboten, da es die fortgeschrittene Technik der Föderation benutzte. Stattdessen handelte es sich bei diesem hier um eine anständige Imitation der noblen Vorfahren jenes Instruments, es war gänzlich aus einheimischem Holz und den raren Metallen Darkovers gefertigt, nach Entwürfen, die Marguerida unter großen Schwierigkeiten aus den Archiven der Universität erhalten hatte. Vorher hatte kein Tasteninstrument dieser Art auf Darkover existiert, aber nun, nach allen Mühen beim Bau des ersten, gab es sechs Stück davon in Thendara. Einige Mitglieder der Musikergilde schrieben spezielle Musik dafür. Yllana spielte jedoch keine dieser heimischen Kompositionen, sondern eine der Klieg-Variationen aus dem vierundzwanzigsten Jahrhundert – methodisch streng, strukturiert und eine echte Herausforderung für zehn kleine Finger.
Wie ihr ein rascher mentaler Überblick über Burg Comyn zeigte, gab es absolut nichts, was die Heiterkeit des Augenblicks stören konnte. Ihr Laran, eine Quelle des bitteren Zorns, als sie es an sich entdeckte, hatte durchaus seine nützlichen Seiten offenbart; eine davon war die Fähigkeit, ihre Umgebung abzusuchen. Vielleicht war sie völlig grundlos so nervös. Es war ein schwieriges Jahr gewesen, mit einem Sommer, der so heiß gewesen war wie schon lange nicht. Die Bauern hatten sich wegen einer Dürre Sorgen gemacht, und die Waldbrandgefahr in den Bergen war sehr groß gewesen. Auch Störungen anderer Art hatte es gegeben – einige kleinere Unruhen auf den Märkten von Thendara und Berichte von einem Aufstand in Shainsa in den Trockenstädten. Aber schließlich war vom Westen Regen gekommen, die milden, an zwanzig Grad heranreichenden Temperaturen waren vergangen, und es waren keine größeren Brände ausgebrochen.
Sie musste sich nun wirklich an die Arbeit machen! Mit dieser Verträumtheit vergeudete sie nur Zeit, und die war im Augenblick sehr kostbar. Marguerida blickte auf den Stapel Papiere vor sich. Es waren Personalbögen, bedeckt mit Noten und begleitenden Texten. Nach fast zwei Jahrzehnten des Zweifelns und Zögerns hatte sie schließlich ihrer großen, geheimen Leidenschaft nachgegeben und eine Oper geschrieben. Es hatte all ihren Mut und viel gutes Zureden von Ida gekostet, damit sie überhaupt anfing. Aber nachdem sie einmal begonnen hatte, konnte sie fast nicht mehr aufhören. Mikhail Hastur, ihr geliebter Gefährte und Ehemann seit nahezu sechzehn Jahren, hatte sich schon beschwert, dass ihre Tätigkeit als Komponistin ein größerer Rivale war, als es ein Mann aus Fleisch und Blut je sein könnte, und Marguerida wusste, er meinte es nur halb im Scherz.
Das Komponieren an sich war ihr ziemlich leicht gefallen, aber die Zeit – Ruhe und Frieden – dafür zu finden, war schwierig gewesen. Als Ehefrau des designierten Erben von Regis Hastur und Mutter von drei Kindern hatte sie viele Pflichten. Etwas widerstrebend hatte Marguerida auch einen Teil der Haushaltsführung von Burg Comyn aus der Hand von Lady Linnea Storn-Lanart, der Gemahlin Regis’, übernommen. Sie hatte in den Jahren ihrer Ehe mit Mikhail Hastur vieles getan, was sie sich nicht hätte träumen lassen, als sie noch jung war und eine akademische Karriere anstrebte. An vorderster Stelle hierbei stand, dass sie unter Anleitung der Bewahrerin Istvana Ridenow gelernt hatte, wie sie mit ihren einzigartigen und potenziell gefährlichen Laran-Gaben umgehen musste. Ihre Freundin und Vertraute war gleich nach der Hochzeit von Neskaya nach Thendara gekommen, um sie und Mikhail mit auszubilden und zu unterrichten. Istvana war elf Jahre lang in der Stadt geblieben, und es waren wundervolle Jahre für Marguerida gewesen. Doch nun war Istvana wieder in ihrem eigenen Turm und folgte ihrer eigenen Berufung, und Marguerida fiel es immer noch schwer, sie nicht zu vermissen.
Sie blickte kurz auf die vergangenen Jahre zurück und kam zu dem Schluss, dass sie deren Herausforderungen gar nicht so übel gemeistert hatte. Oft hatte sie in der einen Hand alte Lesetexte in Darkovers rundem Alphabet gehalten und mit der anderen ein Kind an ihrer Brust gewiegt. Sie hatte gelernt, Sitzungen des Rats der Comyn ohne ihre furchteinflößenden Wutausbrüche durchzuhalten, selbst in Gegenwart ihrer Schwiegermutter, Javanne Hastur, die ein dauerhafter Stachel in ihrem Fleisch blieb. Die Schattenmatrix, die in ihre linke Hand eingebrannt war, jenes Ding, das sie aus einem Turm in der Oberwelt gerissen hatte, blieb ein gewisses Rätsel, aber sie hatte Wege gefunden, es zu beherrschen, sodass sie sich nicht mehr vor ihr fürchtete. Die Matrix überstieg nach wie vor das beträchtliche Wissen, das die Leroni Darkovers im Laufe der Jahrhunderte angehäuft hatten, ein Ding, das wirklich und unwirklich zugleich war. Marguerida konnte damit heilen, aber genauso gut töten, und beide Extreme in den Griff zu bekommen, war sehr schwer gewesen. Es waren anstrengende Jahre gewesen, aber sie hatte Dinge zu Wege gebracht, die sie sich nie hätte träumen lassen, und das verschaffte ihr ein tiefes Gefühl der Befriedigung.
Während jener Jahre des Lernens und der Mutterschaft war ihr jedoch keine Zeit für die Musik geblieben, die einst ihr Leben bestimmt hatte und immer noch ihre beherrschende Leidenschaft war. Stattdessen hatte sie ihre beachtlichen Energien in weniger persönliche Aktivitäten gelenkt. Mit Hilfe des Gildenhauses von Thendara, dem Zentrum der Entsagenden in der Stadt, hatte sie eine kleine Druckerei und mehrere Schulen für die Kinder von Händlern und Handwerkern gegründet. Und sie hatte der Musikergilde geholfen, die Erlaubnis zum Bau eines neuen Aufführungssaales zu bekommen, der wesentlich größer war als alle bisherigen und die Erhaltung der vorzüglichen Musiktradition Darkovers in jeder erdenklichen Weise unterstützte.
Marguerida hatte die Projekte allerdings weder selbstlos noch leichtfertig ausgewählt. Als sie vor über sechzehn Jahren auf ihren Geburtsplaneten zurückkehrte, war dort alles, was mit der Terranischen Föderation zu tun hatte, groß in Mode gewesen, ein Zustand, der nicht nur die konservativeren Herrscher einiger Domänen beunruhigte, sondern auch die Handwerker und Händler. Sie befürchteten, ihre Lebensart könnte in einer Flut terranischer Technologie untergehen, und hatten sich sogar mit der Bitte an Regis Hastur gewandt, den Rat der Comyn wieder einzurichten, der zwei Jahrzehnte zuvor aufgelöst worden war. Ihre Forderung war in der Geschichte Darkovers ohne Beispiel, und Regis hatte sich ihre Argumente angehört und den Rat tatsächlich wieder eingesetzt. Damit blieb Darkover auf einem Kurs, der die Mehrzahl seiner Bewohner zufrieden stellte.
Doch eine völlige Rückkehr zu Prä-Föderations-Tagen war unmöglich, auch wenn einige Mitglieder im Rat ernsthaft anderer Meinung waren. Javanne, zum Beispiel, schien besessen von der Vorstellung, alle Leute müssten nur tun, was sie wollte, und sich richtig anstrengen, dann würde der Glanz früherer Zeiten irgendwie neu erstrahlen, und die Föderation würde sie nicht länger beunruhigen. Dom Francisco Ridenow, das Oberhaupt der Domäne Ridenow, war nicht viel besser.
Marguerida verstand beides, die merkwürdige Sehnsucht ihrer Schwiegermutter nach einer Zeit, die sie eigentlich gar nicht gekannt hatte – denn die Terraner waren vierzig Jahre vor Javannes Geburt nach Darkover gekommen –, und ihre beinahe atavistische Angst vor Veränderung. Die junge Frau begriff auch, dass es für eine Umkehr viel zu spät war und dass Darkover vermehrtes Wissen und nicht analphabetische Unwissenheit brauchte, wenn es gedeihen wollte. Die Föderation würde nicht abziehen, nur weil Javanne Hastur es wünschte; es schien allerdings unmöglich, der Frau diesen Umstand begreiflich zu machen.
Die Weltraummanie, die noch eine Generation zuvor die jungen Menschen beherrscht hatte, war jedoch wieder abgeklungen, und die große Masse der Leute war zu ihren normalen Beschäftigungen zurückgekehrt – mit einem stillen Seufzer der Erleichterung, wie Marguerida wusste. Die Zahl junger Männer und Frauen, welche die komplizierte Technologie der Föderation erlernen wollten, war ebenfalls zurückgegangen. Es gab zwar immer ein Aufgebot junger Leute, die unbedingt eine Beschäftigung im Hauptquartier der Föderation anstrebten, aber dabei handelte es sich überwiegend um Abkömmlinge von Föderationsleuten, die Darkovaner geheiratet hatten.
Dafür war die Föderation selbst verantwortlich. Die politische Körperschaft, die Marguerida aus ihrer Universitätszeit kannte, gab es nicht mehr, an ihre Stelle war ein Gewirr von bürokratischen Gremien getreten, die alle eifersüchtig über ihre Privilegien wachten und nicht gewillt waren, Neuankömmlinge in ihren Reihen aufzunehmen. Diese Neuorganisation hatte vor zwölf Jahren stattgefunden und ihnen Lyle Belfontaine als Stützpunktleiter im Hauptquartier beschert. Marguerida hatte ihn nie persönlich kennen gelernt, ihr Vater hingegen schon, und der hatte ihr einen ziemlich armseligen Eindruck von dem Mann vermittelt. Belfontaine hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Darkovaner für rückständig und unbrauchbar hielt. Die organisatorische Verschiebung in der Föderation hatte ihn zum mächtigsten Terraner auf dem Planeten gemacht und selbst über dem Planetarischen Verwalter angesiedelt, der zwar seinen Posten behielt, aber in wesentlichen Dingen nichts mehr zu sagen hatte. Belfontaine hatte das alte John-Reade-Waisenhaus aus Verärgerung über eine Entscheidung von Regis geschlossen und das Medizinische Zentrum außer für die Angestellten der Föderation gleich ebenfalls dichtgemacht.
Die meisten dieser Ereignisse hatten sich bis vor kurzem unbemerkt von Marguerida abgespielt. Sie war viel zu sehr mit der Erziehung ihrer drei Kinder und den Studien mit Istvana beschäftigt gewesen. Beide Tätigkeiten hatten sie auf unerwartete Art befriedigt, größere Angelegenheiten hatte sie mit Freuden ihrem Vater, Regis oder Mikhail überlassen. Zusammen mit ihren anderen, öffentlicheren Aktivitäten hatte es ihr gereicht. Doch nun, da sie herausgefunden hatte, dass sie mit ebendieser Hand, die ihr Fluch und ihr Segen war, auch Musik komponieren konnte, hatte sie einen Quell der Freude entdeckt, den ihr nichts anderes bieten konnte.
Sie hatte nie an der Verwaltung von Burg Comyn teilhaben wollen, aber Lady Linnea überzeugte sie schließlich, dass sie keine andere Wahl hatte. Eines unbestimmten Tages, wenn Regis Hastur sich zur Ruhe setzte oder seine Gemahlin zu alt dafür war, würde ihr diese Aufgabe ohnehin zufallen. Die Vorstellung behielt etwas Unwirkliches für Marguerida, als könnte sie den Gedanken an das unvermeidliche Ende der beiden nicht ertragen.
Sie hatte ihre neuen Pflichten in Angriff gekommen wie alles andere in ihrem Leben auch – indem sie möglichst vieles in möglichst kurzer Zeit lernte. Es war von Nutzen gewesen, dass sie ihren längst verstorbenen Mentor Ivor Davidson zehn Jahre lang als Assistentin auf seinen Reisen in die hintersten Winkel der Föderation begleitet hatte, wo sie nach einheimischen Musiktraditionen forschten. Darüber hinaus genoss Marguerida den Vorteil, Burg Comyn auf eine Weise zu kennen wie niemand sonst. In ihr Gedächtnis waren uralte Erinnerungen an das Gebäude eingebrannt, ein Überbleibsel von der Überschattung durch die seit langem tote Bewahrerin Ashara Alton. Diese uralten Erinnerungen waren als immer wiederkehrende Albträume der Fluch ihrer Kindheit und Jugend gewesen. Erst die Rückkehr auf ihren Geburtsplaneten hatte sie von der Qual durch unerklärliche Gedanken und Bilder befreit, obwohl damit für eine Weile mehr Schwierigkeiten verbunden waren, als sie sich vorstellen konnte. Beinahe wäre sie am Einsetzen der Schwellenkrankheit im Erwachsenenalter gestorben – eine Erfahrung, die sie gnädigerweise fast schon vergessen hatte.
Ashara war beim Bau von Burg Comyn dabei gewesen, und nach ihrem Tod war ihr Schatten im mittlerweile zerstörten Alten Turm an einer Seite der Burg gegenwärtig geblieben. So gab es also vergessene Seitenwege, Räume und Durchgänge, die Marguerida ebenso vertraut waren wie die Linien ihrer Hand. Dieses Wissen war beunruhigend, und sie musste es sorgfältig verbergen, denn es machte die Dienerschaft nervös. Der Umgang mit dem Personal war eine echte Herausforderung gewesen, da Marguerida mehr daran gewöhnt war, Dinge selbst zu erledigen, als sie zu befehlen. Und die Verwaltung von Burg Comyn war ein wesentlich größeres Unterfangen, als Reisepapiere und Gepäck in Ordnung zu halten. In vielerlei Hinsicht war das Gebäude wie eine autarke Stadt, mit eigener Brauerei, Bäckerei und selbst einer kleinen Weberei. Es war ständig mit Vorräten wie für eine Belagerung versorgt, und zu Margueridas Aufgaben hatte es gehört, das Haus gegen alle erdenklichen Notlagen zu wappnen.
Auch wenn Marguerida vor zweiundvierzig Jahren auf Darkover zur Welt gekommen war, hatte sie ihr halbes Leben auf anderen Planeten verbracht, und ein Teil von ihr fühlte sich immer noch als Eindringling. Ihr Vater sagte, ihm gehe es oft genauso, und es tröstete sie, dieses Gefühl der Fremdheit mit ihm zu teilen. Während ihrer gesamten Universitätszeit war sie von ihm entfremdet gewesen, aber als sie sich bald nach ihrer Rückkehr nach Darkover wieder begegnet waren, hatte sie ihn verändert vorgefunden. Nun konnte sie sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen – seinen ironischen Humor, seine tiefen Einsichten und, vor allem, seine gleich bleibende Zuneigung zu ihr, Mikhail und allen seinen Enkeln. Er war nicht mehr der betrunkene, gepeinigte Mann, der nachts tobte, und selbst der Tod seiner Frau Diotima Ridenow vor zehn Jahren hatte ihn erstaunlicherweise nicht wieder in diesen früheren Zustand gebracht.
Doch trotz der verständnisvollen Gegenwart ihres Vaters war Margueridas Gefühl des Fremdseins nie ganz verschwunden. Unter anderem war das die Folge ihrer schwierigen Beziehung zu Javanne Hastur. Mikhails Mutter hatte sie nie ganz als Familienmitglied akzeptiert, auch wenn sein Vater, Dom Gabriel, den Widerstand schließlich aufgab und sie mit aufrichtiger Zuneigung willkommen hieß. Javanne hatte es stets verstanden, Marguerida das Gefühl zu vermitteln, etwas stimme nicht mit ihr und mit Domenic, ihrem Ältesten, den sie unter so ungewöhnlichen Umständen empfangen hatte – nämlich während der Rückreise durch die Zeit aus dem Zeitalter des Chaos. Möglicherweise hatte ihre Schwiegermutter sogar Recht, was Domenic anging, obwohl sich Marguerida eher die Zunge abgebissen hätte, als das zuzugeben. Er war ein seltsamer Bursche, der älter wirkte, als er war, zurückhaltend und distanziert. Aber der Unterschied reichte noch tiefer, und Marguerida wusste es. Ihr ältestes Kind hatte einen leicht unheimlichen Zug an sich, eine gewisse Stille, die den Eindruck erweckte, als lauschte er auf eine ferne Stimme. Und vielleicht tat er es tatsächlich, oder er war, wie Dom Danilo Syrtis-Ardais einmal halb im Scherz gemeint hatte, die Reinkarnation von Varzil Ridenow. Das wollte Marguerida nicht hoffen, denn nach ihrem einzigen Zusammentreffen mit dem längst toten Laranzu verspürte sie nicht das geringste Verlangen, ihm in anderer Form noch einmal zu begegnen, am allerwenigsten in der ihres Sohnes.
Sie versuchte zu akzeptieren und damit fertig zu werden, dass ihre Schwiegermutter sie nicht mochte. Immerhin war diese Regis’ ältere Schwester und gehörte zur Familie. Ein wenig tröstete sie die Tatsache, dass Javanne Gisela Aldaran, die inzwischen die Frau von Mikhails älterem Bruder Rafael war, sogar noch unhöflicher behandelte. Das war so ziemlich das Einzige, was sie und ihre Schwägerin gemeinsam hatten, denn Marguerida hatte sich nie mit ihr anfreunden können, und deren ständige Anwesenheit auf Burg Comyn konnte mitunter eine echte Prüfung sein. Sie hatte sich redlich Mühe gegeben, sich mit ihrer Schwägerin zu versöhnen, hatte an Giselas Ahnenforschung in den Domänenfamilien Interesse gezeigt und auch am Schachspiel. Einmal zu Mittwinter war es ihr sogar gelungen, ein dreidimensionales Schachspiel als Geschenk für Gisela zu besorgen, die daraufhin vorübergehend auftaute.
Doch ansonsten blieb Gisela eine reservierte und störende Erscheinung auf Burg Comyn, die bereits genügend eigenwillige Persönlichkeiten beherbergte. Teilweise konnte Marguerida Giselas Melancholie und schwelende Wut verstehen. Die Frau hatte bereits als junges Mädchen ein Auge auf Mikhail geworfen und ihr Ziel nicht erreicht. Das war schon schlimm genug. Obendrein wohnten sie und Rafael aber auch noch in der Burg und bekamen Mikhail und Marguerida fast täglich zu Gesicht. Gisela war eine Art Edelgeisel, damit sich die Domäne Aldaran anständig benahm. Regis hatte Dom Damon Aldaran nie ganz getraut, und so anstrengend es auch war, Gisela ständig um sich zu haben, besaß er damit einen Hebel, den Alten in Schach zu halten. Es gelang Marguerida, ihrer schwierigen Verwandten deren schlechte Laune großteils zu vergeben, sie erkannte schließlich die Intelligenz und den Ehrgeiz darin und hätte sie nur so alle zehn Tage am liebsten erwürgt.
Mit ihrer Schwiegermutter verhielt es sich dagegen ganz anders, und obwohl Javanne nicht sehr häufig in der Burg weilte, entfachte der Gedanke an sie jedes Mal Margueridas Wut. Javanne war vernarrt in Rhodri und Yllana, die jüngeren Sprösslinge von Marguerida und Mikhail, Domenic hingegen behandelte sie, als wäre er Luft oder, schlimmer noch, als würde er schlecht riechen. Und dabei war er so ein guter Junge, so ernst und nachdenklich, ganz anders als Rhodri, der nichts als Unfug im Sinn hatte. Yllana war noch nicht voll ausgereift, aber sie war einigermaßen intelligent, geschickt mit den Händen, scharfzüngig wie ihre Mutter und vorsichtig wie Mikhail.
Grimmig schob Marguerida diese ablenkenden Gedanken beiseite. Es war an der Zeit, dass sie mit einer Reinschrift des gesamten Manuskripts begann. Diese Aufgabe hätte sie zwar auch an ein Mitglied der Musikergilde vergeben können, aber sie wollte es selbst tun. Ihre übliche Morgenarbeit hatte sie rasch erledigen können – den Speiseplan für das Abendessen, mit Gerichten, die Regis’ mittlerweile sensiblen Magen nicht in Aufruhr versetzten, das Eindringen von Mäusen in einen der Mehlbehälter im Küchenbereich und mehrere andere Kleinigkeiten. Es war ein ganz normaler Tag, voller belangloser Probleme.
Die Kinder waren für den Augenblick beschäftigt, obwohl immer die Gefahr bestand, dass Alanna Alar, ihre schwierige Pflegetochter, sie störte. Domenic, ihr heimlicher Liebling, leistete seinen Wachdienst, und Rhodri schrubbte eine Mauer, die er vor ein paar Tagen mit Kreide und Farbe verziert hatte. Es war eigentlich ein hübsches Wandbild, und es tat ihr Leid, dass sie ihm befehlen musste, es zu entfernen, aber sie konnte ihrem anstrengenden Zweitältesten nun einmal nicht gestatten, gewohnheitsmäßig Wände zu verunstalteten. Es war schlimm genug, dass er sich an stibitzten Torten aus der Küche überfraß und offenbar Anstalten machte, Diebstahl als seine Vollzeitbeschäftigung anzusehen. Marguerida überlegte, ob sich ein Teil dieser kolossalen Energie nicht in künstlerische Bahnen lenken ließe, wozu Rhodri durchaus talentiert zu sein schien. Aber der Gedanke war müßig, denn in wenigen Monaten würde er zu seiner ersten Ausbildung nach Arilinn gehen, und danach warteten die Kadetten auf ihn. Sein Leben war bereits verplant, sofern das bei der unsicheren Lage der Dinge überhaupt möglich war.
Margueridas Jahre auf Darkover waren nicht störungsfrei verlaufen, und daran war größtenteils die Terranische Föderation schuld gewesen. In den beiden vergangenen Dekaden hatte die Föderation den Druck auf den Planeten erhöht, seinen geschützten Status aufzugeben und Vollmitglied zu werden. Das hätte bedeutet, Steuern in die Kassen der zunehmend räuberischen Terraner zu zahlen, und es hätte außerdem drastische Änderungen in der Art und Weise, wie Darkover regiert wurde, zur Folge gehabt. Wenn ein Planet Teil der Föderation wurde, unterwarf er sich ihr und verlor im Wesentlichen die Autonomie über seine eigenen Ressourcen und seine Regierungsform. Aus diesem Grund hatte Lew energisch davon abgeraten, den geschützten Status aufzugeben, eine Entscheidung, die ihn zum Verbündeten von Javanne machte. Es hatte Javanne nicht sonderlich gefreut, dass Lew ihre Meinung teilte, da ihre noch aus der Jugendzeit stammende Abneigung gegen ihn sich mittlerweile zu etwas verhärtet hatte, das fanatischem Hass nahe kam, aber wenigstens fanden ihre erbitterten Auseinandersetzungen im Rat der Comyn damit ein Ende. Die »Debatten« bei den Ratssitzungen waren häufig emotional aufgeheizt und von Rachsucht geprägt und ließen bei Marguerida ein tiefes Verlangen nach Ruhe und Frieden entstehen. Doch wie ihr Lew ruhig darlegte, konnte es keinen Frieden auf Darkover geben, denn es wäre unnatürlich gewesen, wenn alle einer Meinung wären.
Anstatt mit ihrer Arbeit zu beginnen, wanderten Margueridas Gedanken zu den Problemen, welche die Föderation Darkover unaufhörlich bereitete. Es war wirklich sehr ärgerlich, dass sie sich nicht konzentrieren konnte. Dann hielt sie inne, sah stirnrunzelnd auf die Notenzeilen und schließlich zum Kaminfeuer. Sie war im Laufe ihrer Studien mit Istvana Ridenow äußerst diszipliniert geworden, und es war ungewöhnlich, dass ihre Gedanken so abschweiften. Vielleicht gab es doch einen Grund für ihre innere Unruhe.
Marguerida war hinsichtlich der sich verschlechternden Beziehungen zwischen Darkover und der Föderation stets auf dem Laufenden, auch wenn sie versuchte, möglichst im Hintergrund zu bleiben. Javanne missfiel an ihr unter anderem, dass Marguerida aufgrund ihrer Position die Ansichten ihres Mannes, ihres Vaters und einiger anderer auf Burg Comyn beeinflussen konnte. Javanne ging davon aus, dass sich ihre Schwiegertochter einmischte, denn das würde sie selbst schließlich auch tun, wenn sie die Gelegenheit dazu bekäme. Um diesem Misstrauen entgegenzuwirken, hatte Marguerida nach Kräften versucht, sich als richtige darkovanische Frau zu geben, die sich nur für häusliche Dinge und nicht für Staatsangelegenheiten interessierte. Wie sie bereitwillig zugab, war ihr das nicht sehr gut gelungen. Sie war viel zu energisch, um während der Ratssitzungen einfach nur still zu sitzen, auch wenn sie sich das jedes Mal wieder gelobte.
Es war wirklich komisch. Sie und Javanne waren sehr ähnlich veranlagt, und während Marguerida den Vorteil einer in der Föderation erworbenen Bildung besaß, kannte dafür ihre Schwiegermutter Darkover wie ihre Westentasche. So waren sie in fast allen Dingen uneins, und das oft auf schmerzliche Weise. Javanne konnte einfach nicht begreifen, dass man sich mit der Föderation auseinander setzen musste; sie ließ sich weder wegwünschen noch fortschicken.