Das stählerne Monster - Jörg Kastner - E-Book

Das stählerne Monster E-Book

Jörg Kastner

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Beschreibung

Die Schwierigkeiten reißen auch in der 18. Folge von Jörg Kastners »Amerika«-Saga nicht ab: Während der Hai von Frisco Irene Sommer und ihren Sohn in seine Gewalt gebracht hat, wurde Jacob Adler schanghait und als Matrose auf den Walfänger LUCIFER verkauft. Dort bekommt er die ganze Härte des brutalen Regiments zu spüren, das der fanatische Kapitän John Raven an Bord führt. Jacob wird erbarmungslos ausgepeitscht. Aber das ist noch nicht alles: Kapitän Raven hat es keineswegs auf Waltran und Fischbein abgesehen. Er hetzt ein ganz anderes Untier, das schon seit längerer Zeit die Küste Kaliforniens unsicher macht und es auf Kriegs- und Handelsschiffe der Nordstaaten abgesehen hat. Die Männer an Bord der LUCIFER jagen das »stählerne Monster«. Jörg Kastners große »Amerika«-Saga begleitet die beiden Auswanderer Jacob Adler und Irene Sommer in die Neue Welt. Mit ihnen suchen zahllose Menschen – Verarmte, Verbitterte, Verfemte – eine neue Heimat jenseits des Atlantiks. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten warten auf die Auswanderer viele unbekannte Gefahren: Naturkatastrophen, wilde Tiere, Banditen und Indianer. Zudem tobt in Amerika ein erbarmungslos geführter Bürgerkrieg. Doch trotz aller Bedrohungen durchqueren Jacob und Irene den riesigen Kontinent und begegnen dabei so manch berühmter Persönlichkeit. Jede Mühsal und jedes Abenteuer nehmen die beiden auf sich für ihre neue Heimat – Amerika.

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Jörg Kastner

Das stählerne Monster

Folge 18 der großen SagaAmerika – Abenteuer in der Neuen Welt

Roman

Was davor geschah

Als der junge Zimmermann Jacob Adler nach dreijähriger Wanderschaft in seinen Heimatort Elbstedt zurückkehrt, ist dort nichts mehr wie vorher. Seine Mutter ist tot, der Vater und die Geschwister sind angeblich nach Amerika ausgewandert, und seine Verlobte ist mit dem Bierbrauersohn Bertram Arning verheiratet. Von Arning fälschlicherweise des Mordversuchs beschuldigt, verlässt Jacob seine Heimat und schifft sich nach Amerika ein, um nach seiner Familie zu suchen. Aber auch in der Neuen Welt lauern Gefahren auf Jacob und seine Reisebekanntschaft Irene Sommer, die dort den Vater ihres kleinen Sohns Jamie zu finden hofft. Jacob, der Irene insgeheim liebt, begleitet sie auf dem Weg nach Kalifornien, wo sich der von Irene gesuchte Carl Dilger aufhalten soll. Nach einer gefährlichen Seereise kaum in San Francisco angekommen, geraten Jacob und Irene in die Fänge eines geheimnisvollen Mannes, den alle nur den »Hai von Frisco« nennen.

Kapitel 1 Die letzte Fahrt der CORA SUE

Der Pazifik vor der kalifornischen Küste, im April 1863.

Ruhig und majestätisch durchschnitt der gedrungene, wannenförmige Rumpf der CORA SUE auf ihrer Fahrt nach Norden den stahlblauen Ozean. An Bord herrschte eine gelöste, fast heitere Stimmung. Offiziere und Mannschaften waren zufrieden mit dem Ergebnis der Fahrt.

Vor der spitzen Landzunge Niederkaliforniens, in der Bahía Magdalena und der Laguna San Ignacio, waren die Männer auf solche Massen von Grauwalen gestoßen, dass es ein wahres Fest gewesen war. Ein blutiges Fest, aber das war der Alltag der Seeleute. Immer wieder bohrten sich die Harpunenspitzen der Fangbootbesatzungen in die mächtigen Körper der Meerestiere. Die Leute an Bord des Dreimasters waren mit dem Abspecken und Trankochen kaum nachgekommen. Jetzt füllten Fässer der unterschiedlichsten Größen, randvoll mit ausgekochtem Walöl, die CORA SUE fast bis zum letzten Winkel.

Ein doppelter Grund zur Freude. Zum einen kehrte das Schiff früher als beabsichtigt nach San Francisco zurück, zum anderen sicherte der reiche Fang den Seeleuten eine fette Provision. Wie alle Männer an Bord eines Walfängers erhielten sie keine Heuer, sondern waren am Gewinn beteiligt.

Jetzt, wo es nicht mehr viel zu tun gab, waren einige der Seeleute schon damit beschäftigt, ihren Profit beim Würfel- und Kartenspiel umzuverteilen, bevor sie ihn überhaupt in Händen hielten.

John Raven, zu vierzig Prozent Eigner der CORA SUE und ihr Erster Steuermann, stand mit seinem Bruder Charles und seiner Schwägerin Cora Sue auf der Brücke und genoss die leichte Brise frischer Seeluft. Trotz der vielen Wochen und Monate auf See schmeckte ihm die Salzwasserluft wieder, jetzt, wo die baldige Heimkehr und der Erfolg der Fangfahrt feststanden.

John Raven, der das Steuerrad hielt, warf den beiden anderen, von diesen unbemerkt, neidische Blicke zu. Er selbst wäre gern Cora Sues Mann geworden.

Beide Brüder hatten die hübsche Kaufmannstochter aus Monterey umworben. Äußerlich war der große, schlanke John Raven der stattlichere Mann. Aber die kleine, fast zierliche Frau mit dem rabenschwarzen Haar, das ihre spanischen Vorfahren verriet, hatte dem reiferen, ruhigeren Bruder den Vorzug gegeben. Außerdem war Charles Raven zu sechzig Prozent Eigner und Kapitän der CORA SUE, wie er das Schiff nach der Heirat getauft hatte.

Die junge Liebe war so groß, dass Cora Sue ihren Mann auf allen Fahrten begleitete.

Einerseits war John Raven froh darüber; er liebte die Frau noch immer und genoss jeden Augenblick ihrer Nähe.

Andererseits schmerzte ihn Cora Sues Anblick, gerade weil er sie liebte. Sie so nah vor sich zu sehen und doch unerreichbar zu wissen, tat seinem Herzen so weh, als würde es von einer Harpune durchbohrt werden.

»Wal, da bläst er!«, hallte auf einmal der kehlige Ruf des Ausgucks über das ganze Schiff. »Wal voraus!«

Aber nur ein paar Männer machten sich die Mühe, an die Reling zu laufen, um nach dem gemeldeten Tier auszuspähen. Die Leute waren abgekämpft und wussten, dass kein einziges Fass Walöl mehr an Bord der Bark Platz hatte.

Charles Raven drehte sich zu seinem jüngeren Bruder um und sagte grinsend: »So eine Fahrt habe ich noch nie erlebt, John. Die Wale drängen sich uns regelrecht auf. Als fühlten sie in sich einen natürlichen Trieb, sich an Bord der CORA SUE zu Öl verkochen zu lassen.«

»Trotzdem seltsam, dass so weit im Norden ein Grauwal schwimmen soll«, erwiderte John Raven und kniff die Augen zusammen, um das Tier zu erspähen.

»Vielleicht ist es kein Grauer, sondern ein anderes Tier«, meinte der Kapitän.

»Bloß was für eins, ich kann nichts entdecken.«

Auch Charles Raven spähte aufs offene Meer hinaus. Über sein Gesicht hielt er die flache Hand, um die Augen gegen die leuchtende Frühlingssonne abzuschirmen, die hoch am azurnen Himmel stand.

Schließlich schüttelte er den Kopf und brummte: »Hol’s der Klabautermann, ich sehe nur Wasser, aber keinen Wal.« Er hob den Kopf in Richtung Krähennest, legte die Hände trichterförmig vor den Mund und schrie: »He, Matrose, wo steckt der Wal?«

»Unter Wasser, Käpten. Hatte ihn kaum erspäht, da ist er auch schon wieder abgetau…« Mitten im Satz brach der Ausguck ab und riss die Augen vor Schreck auf. Seine Stimme überschlug sich, als er schrie: »Da … da ist er, direkt vor dem Bug. Er greift das Schiff an!«

Kaum hatte er ausgesprochen, da ging eine gewaltige Erschütterung durch den Schiffsrumpf. Das Krachen des Zusammenpralls und das Splittern hölzerner Planken vermischten sich mit aufgeregten Schreien. Die CORA SUE wurde am Bug angehoben, als sei der Wal darunter geschwommen und plötzlich aufgetaucht.

Die sonst so standfesten Seeleute purzelten durcheinander wie eingefleischte Landratten auf ihrer ersten Schiffsreise. Der Ausguck konnte sich nur mit Mühe im Krähennest halten.

Eine ganze Reihe der auf Deck stehenden Walölfässer stürzte um. Die Fässer rollten übers Deck, prallten gegen Masten und Aufbauten. Ein paar Behälter zersprangen, und das Öl ergoss sich über die hölzernen Planken. Andere Fässer zerschmetterten die Knochen unglücklicher Seeleute. Binnen Sekunden hatte sich die ruhige Heimfahrt der CORA SUE in eine Hölle verwandelt.

Eins der herumrollenden Fässer erwischte den Kapitän und riss ihn von den Beinen.

»Charles!«, schrie Cora Sue Raven auf und wollte ihrem Mann zu Hilfe eilen.

In diesem Augenblick senkte sich die Back des Seglers wieder. Dadurch verlor die Frau das Gleichgewicht, taumelte zurück und fiel über die Reling ins Wasser.

John Raven zögerte kaum eine Sekunde. Dann hatte er sich entschieden, seine Pflicht gegenüber dem Schiff zu vernachlässigen, um der geliebten Frau zu helfen. Er sprang ins Meer, um Cora Sue zu helfen.

Das rettete ihm wohl das Leben. Kaum war er aus den über ihm zusammenschlagenden Wogen wieder aufgetaucht, da dröhnte eine Explosion in seinen Ohren. Der Bug der CORA SUE platzte auseinander wie ein aufgeschlagenes Ei.

Schlimmer war noch, dass sich die Bark innerhalb von Sekunden in ein gigantisches Flammenmeer verwandelte. Das ausgelaufene Walöl fing Feuer, und das Feuer verwandelte die Seeleute in lebendige Fackeln.

Nur wenigen gelang es, ins Wasser zu springen. Die meisten verbrannten vorher.

John Raven spürte einen heißen, stechenden Schmerz im linken Auge. Ein brennender Holzsplitter hatte sich in die Augenhöhle gebohrt.

Der Schmerz überwältigte ihn. Er vergaß das Schwimmen und tauchte unter. Das Wasser tat gut, löschte das Brennen und brachte ihn wieder zu Bewusstsein.

Mit zwei schnellen Stößen gelangte er an die Wasseroberfläche und spürte die Hitzewelle der verbrennenden Bark. Um ihn herum stürzten flammende Trümmer ins Meer wie ein Schwarm vom Himmel fallender Kometen.

Endlich entdeckte er in dem Chaos die geliebte Frau. Er konzentrierte seinen Blick auf sie und missachtete, dass es nur noch ein halber Blick war.

Auch Cora Sue hatte ihn gesehen und schwamm auf ihn zu. Er rief ihren Namen. Sie antwortete etwas. Was, das ging im Inferno des auseinanderbrechenden Walfängers unter.

Der brennende Fockmast knickte um und schleuderte den Ausguck aus dem Krähennest. Das schwere Holz stürzte auf die schwimmende Frau und begrub sie unter sich.

John Raven schwamm mit aller Kraft auf die Stelle zu, wo er zuletzt Cora Sues schönes, aber verängstigtes Gesicht gesehen hatte. Aber er kam nicht an die geliebte Frau heran. Die Trümmer des Fockmastes standen in hellen Flammen.

Er versuchte es unter Wasser, immer und immer wieder. Vergebens. Cora Sue blieb verschwunden.

Meer und Feuer hatten sie gefressen wie das nach ihr benannte Schiff.

Kapitel 2 Gefangen

San Francisco, elf Monate später, am 2. März 1864.

Als die geschlossene Kutsche mit der berittenen Eskorte auf dem Kai vorfuhr, wusste Piet Hansen schon, dass sie ihn abholen kamen. So wie gestern, als sie ihn zum Verhör in die hiesige Kommandantur der US-Navy gebracht hatten. Schon gestern hatte es ihn nicht verwundert. Gewundert hatte er sich aber, als er abends auf sein Schiff zurückkehren durfte.

Andererseits – fliehen konnte er kaum. Ständig befand sich eine Wache von acht Soldaten unter dem Kommando eines Lieutenants an Bord der ALBANY.

Und wenn der Kapitän fliehen wollte, dann höchstens in die überfüllten Straßen der Stadt. Er hatte kaum noch genug Männer, um die Bark auf See zu bringen. Die verlockende Nähe der kalifornischen Goldfelder hatte mehr als zwei Drittel seiner Mannschaft von Bord geholt.

Als ein herausgeputzter Offizier, ein junger Lieutenant, an Bord des Seglers kam, trat Hansen ihm schon entgegen und fragte: »Verhör oder Verhaftung?«

»Erst einmal Verhör«, erwiderte der Yankee-Offizier in der blau glänzenden Uniform sachlich kühl. »Alles andere wird danach entschieden.«

»Alles andere?«, wiederholte der alte Seebär. »Was meinen Sie damit?«

»Ich weiß nichts Genaues. Besprechen Sie das mit Commodore Lewis.«

Commodore Morgan H. Lewis von der US-Navy war der Mann, der Piet Hansen schon am gestrigen Tag eingehend vernommen hatte. Ein schlanker, fast schmächtig wirkender Offizier, dessen Diensteifer trotz der Tatsache, dass er hoch in den Fünfzigern stand, nicht nachgelassen hatte und ständig auf der Schwelle zur chronischen Nervosität stand.

So auch an diesem Morgen, als Piet Hansen sein geräumiges, aber etwas düsteres Büro in der Marinekommandantur betrat. Der grauhaarige Offizier zündete sich gerade eine Zigarre an, so ungeschickt, dass er sich die Finger verbrannte und fast noch seinen graubraunen buschigen Backenbart angekokelt hätte. Mit einem Seemannsfluch schleuderte er das fast gänzlich abgebrannte Zündholz in einen gläsernen Aschenbecher, der die grobe Form eines Ruderbootes hatte.

Diese äußere Ungeschicktheit täuschte, wie Hansen vom Vortag nur zu gut in Erinnerung hatte. Im Verhör hatte sich Lewis als scharfsinnig und gut informiert erwiesen. Hansen hatte sich zwar längst entschlossen, alles zuzugeben, aber er hätte diesem Mann gegenüber auch nichts leugnen können.

Er hatte alles gestanden: die ganze Geschichte mit dem Schmuggel der Kanonen, die er auf der ALBANY von Hamburg an die mexikanische Küste transportieren sollte, von wo aus sie über Land zu den konföderierten Truppen in Texas gebracht werden sollten.

Der Commodore bot Hansen und einem jüngeren Offizier, einem Captain Driscoll, Zigarren aus einer mit feinen Schnitzereien verzierten Elfenbeinschatulle an. Driscoll griff zu, aber Hansen lehnte ab. Er rauchte gern und oft, aber jetzt war ihm nicht danach zumute.

Zwar wusste der Kapitän der ALBANY nicht genau, was dieses zweite Verhör zu bedeuten hatte, aber ihm war klar, dass er an der Schwelle des Todes stand. Auch wenn er Deutscher war, konnten die Nordstaatler ihn zum Tod verurteilen. Nach dem Gesetz war er wohl so etwas wie ein Saboteur oder Agent der Konföderierten.

Dabei waren den Yankees die wahrhaften Südstaaten-Agenten nicht in die Hände gefallen. Mit Unbehagen dachte Hansen an die beiden Südstaatler, Vivian Marquand und Captain Alec McCord, die mit ihrem mexikanischen Komplizen Don Emiliano Maria Hidalgo de Tardonza und mit dem verbrecherischen Geschäftsmann Arnold Schelp nächtens mit einem Ruderboot von der ALBANY geflohen waren. Wo mochten sie jetzt stecken?

Hatte das Meer sie verschluckt? Hatten sie die Küste von Niederkalifornien erreicht? Waren sie von einem Schiff aufgenommen worden?

Commodore Lewis riss Hansen aus den Gedanken, als er ein Stück Papier hochhielt und mit seiner leicht näselnden Offiziersstimme fragte: »Wissen Sie, was das ist, Kapitän Hansen?«

»Keine Ahnung, Sir. Aber Sie werden es mir sicher gleich sagen.«

Lewis’ dünne Lippen wurden noch dünner, was wohl eine Art Lächeln oder Grinsen darstellen sollte.

»Sie haben es erfasst, Kapitän. Sie sind ein kluger Mann, aber nicht klug genug. Denn sonst hätten Sie sich niemals mit den Rebellen eingelassen.«

Er streckte die schmale, ein wenig damenhaft wirkende Hand mit dem beschriebenen Papier über den Schreibtisch und fuhr fort: »Das hier, Kapitän Hansen, ist meine Empfehlung an die Militärstaatsanwaltschaft, Anklage gegen Sie zu erheben. Ersparen Sie mir das Aufzählen der einzelnen Delikte, wir haben das gestern bereits ausführlich erörtert. Nur so viel, dass ich hinsichtlich zweier Umstände keinerlei Zweifel hege: Erstens wird die Staatsanwaltschaft meiner Empfehlung folgen, und zweitens wird für Sie, wie immer Sie sich verteidigen mögen, am Ende das Todesurteil stehen!«

Es war seltsam, fand Hansen. Hätte ihm bei dieser Mitteilung nicht ein eisiger Schauer über den Rücken laufen müssen? Doch er nahm es recht gefasst hin, vielleicht deshalb, weil er mit so etwas schon gerechnet hatte. Er war mehr verwundert als erschrocken. Verwundert über die Art und Weise, wie ihm Commodore Lewis seine Entscheidung mitteilte. Erst die formelle Vorladung mit Eskorte, dann die angebotene Zigarre!

»Sie müssen über viel Zeit verfügen, Commodore«, sagte der deutsche Seemann.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Statt mich einfach arrestieren zu lassen, holen Sie mich in Ihr Büro, um mir das Todesurteil zu verkünden.«

»Es ist nicht das Todesurteil.«

»Aber doch so gut wie, wenn ich Ihre Worte richtig verstanden habe.«

Lewis nickte. »Ja, Kapitän, sobald ich meinen Namen unter dieses Stück Papier gesetzt habe. Die Tinte, die aus meiner Feder fließt, wird sich dann in das Blei verwandeln, das Sie tötet.«

»Warum haben Sie es noch nicht unterschrieben?«

»Weil ich erst Ihre Entscheidung abwarten wollte, Kapitän.«

»Meine Entscheidung?«, fragte Hansen verständnislos.

Wieder nickte der hohe Marineoffizier. »Ganz recht, Sie halten Ihr Leben in Ihrer eigenen Hand. Sie können entweder vor dem Erschießungskommando sterben oder mit uns zusammenarbeiten.«

»Ich verstehe Sie nicht, Sir«, meinte der Deutsche kopfschüttelnd. »In welcher Form soll ich mit Ihnen zusammenarbeiten?«

»Sie sollen für uns das tun, was Sie schon für die Konföderierten tun wollten. Die Kanonen an Bord Ihres Schiffes sind von der Union beschlagnahmt. Bringen Sie die Fracht für uns ums Kap Horn in den Osten. Dort werden Waffen immer benötigt.«

»Wenn ich das tue, lassen Sie die Anklage fallen?«

Ein drittes Nicken des Commodores leitete die Antwort ein.

»Wie ich schon sagte, Sie sind ein kluger Mann, Kapitän.«

»Ich würde es gern tun, sofort«, sagte Hansen, und sein eben noch aufblühendes Gesicht verfinsterte sich wieder. »Aber es geht nicht. Ich habe nicht genug Leute an Bord. Die meisten sind gestern zu den Goldfeldern abgehauen.«

»Kein Problem«, kam es zwischen den dünnen Lippen hervor. »Wir beschaffen Ihnen die nötige Mannschaft. Geben Sie Captain Driscoll eine Liste, wie viele Leute Sie für welche Positionen benötigen. Wann können Sie auslaufen?«

»Das kommt drauf an, wann ich die Männer habe.«

»Hm, sagen wir, morgen Vormittag.«

»Sobald die Mannschaft vollzählig ist, mache ich die ALBANY klar zum Auslaufen. Wohin soll es eigentlich gehen?«

»Das genaue Ziel werden Sie unterwegs von Captain Driscoll erfahren. Er begleitet Sie als, äh, Beobachter.«

Jetzt grinste Piet Hansen. Es fiel ihm leicht, da der eben noch nahe Tod in weite Ferne gerückt schien.

»Ist nicht vielleicht Aufpasser der passendere Ausdruck, Commodore?«

»Beides passt.«

»Ja«, brummte Hansen. »Ich dachte mir schon, dass Ihr Vertrauen nicht so weit geht, mich ohne Eskorte lossegeln zu lassen.«

»Natürlich nicht«, erwiderte Lewis fast entrüstet. »Für wie leichtsinnig halten Sie mich?« Die Frage war nur rhetorisch. Ohne auf eine Antwort zu warten, fügte der Commodore an: »Warten Sie doch im Vorzimmer auf Captain Driscoll, Mr. Hansen. Ich habe noch etwas mit ihm zu besprechen.«

Sobald Piet Hansen das Büro verlassen hatte und die schwere Nussbaumholztür ins Schloss gefallen war, ließ Lewis das Papier achtlos fallen. Es rutschte vom Schreibtisch und segelte zu Boden, fast vor Driscolls Füße.

Der Captain bückte sich, hob es auf und reichte es seinem Vorgesetzten. »Bitte, Sir, das Dokument.«

»Dokument?« Wieder lag das dünne Lächeln auf Lewis’ Lippen, als er das Papier entgegennahm. »Es ist nur die Einkaufsliste, die ich gestern Abend mit meiner Frau erarbeitet habe, wissen Sie, für mein Geburtstagsessen am nächsten Wochenende. Ich kaufe die Zutaten aus alter Tradition persönlich ein.«

Der Commodore faltete das Papier zusammen und steckte es in eine Tasche seines blauen Uniformrocks.

»Sie scheinen sich sehr sicher gewesen zu sein, dass Hansen Ihr Angebot annimmt, Commodore«, sagte ein verblüffter Captain Driscoll.

»Er hatte keine Wahl. Außerdem glaube ich ihm. Er ist kein Rebellen-Agent aus Leidenschaft oder auch nur aus Überzeugung. Hansen ist durch unglückliche Umstände in diese Sache reingerutscht und jetzt mehr als froh, wenn er wieder herauskommt. Geben wir ihm diese Gelegenheit!«

»Ich weiß nicht recht, Sir«, erwiderte der breitschultrige junge Captain mit dem breiten, stets etwas verbissen wirkenden Gesicht zögernd. »Ich würde diesem Deutschen nicht so bedingungslos vertrauen wie Sie, mit Verlaub.«

»Das tue ich doch gar nicht, Captain. Sonst würde ich Sie nicht mit auf die Reise schicken.«