Das Testament des Dr. Balsamo - Bruno H. Weder - E-Book

Das Testament des Dr. Balsamo E-Book

Bruno H. Weder

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Beschreibung

Giuseppe Balsamo, auch bekannt als Alessandro Graf von Cagliostro, war ein italienischer Okkultist, Alchemist und Abenteurer. Als begabtem Hochstapler, Quacksalber und Scharlatan gelang es ihm immer wieder, das Vertrauen einflussreicher Zeitgenossen zu erlangen und auszunutzen. Und er hat ein Testament hinterlassen, das für einen späteren genialen Musiker von lebenswichtiger Bedeutung gewesen ist: Otto Jägermeier. Schon früh wurde sein Genie im Knabeninternat entdeckt und von den Patres schamlos ausgebeutet. Dennoch konnte er seine Karriere systematisch auf- und ausbauen. Kompositionen wie Der physiologische Schwachsinn des Weibes, Psychosen, Titanenschlacht, Meerestiefe, Im Urwald und Das sterbende Schwein, um nur einige zu nennen, sind legendär. 1936, drei Jahre nach seinem Tod, wurde der gesamte Nachlass dem Kölner Stadtarchiv übergeben. Durch den Einsturz des Archivs am 3. März 2009 sind leider alle Unterlagen und Dokumente unwiderbringlich verloren gegangen. Diese Geschichten werden durch ein einzigartiges Trio vermittelt, das nach dem Verzehr von gemüsebedecktem Rindfleisch bei einem Glas Tokaji Aszúeszencia (Jahrgang 1889) in der Bibliothek der Wiener Hofburg sitzt: SM Kaiser Franz-Joseph und seine Geliebte Katharina Schratt, Hofburgschauspielerin, zusammen mit Alexander Girardi, dem sehr beliebten Schauspieler in der Operette Cagliostro in Wien von Johann Strauss.

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„Wenn der Rausch das Hirn durchsauset/ Jubel durch die Lüfte brauset/ Dann umarmen sich begeistert/ Bürger, Fürst und Edelmann!»

Hrabaneks Vision

„Cagliostro ist der Mann, der solch Wunder wirken kann, aber glauben, aber glauben, aber glauben muss man dran“

Johann Strauß: Cagliostro in Wien

Dem Andenken meines Freunds Herbert Rosendorfer gewidmet

Inhaltsverzeichnis

1. Siegel Cagliostro in Wien

Ouvertüre

Das Testament

Die Stunde der Wahrheit

Die eine Geburt

Könnt ich mit Ihnen fliegen

Die andere Geburt

2. Siegel Lehr- und Wanderjahre

Die Rose erblüht

Im Stift

Bitte schön

Zwischen Tradition und Moderne

Cagliostro ist der Mann

3. Siegel Der physiologische Schwachsinn des Weibes

Die Leiden unter der Herrschaft

4. Siegel Titanenschlacht

Ich bin dieser Niemand

5. Siegel Psychosen

Wie schon Freud sagte…

Das Ableben an der Zugspitze

6. Siegel Ab in den Urwald

Meeresstille und glückliche Fahrt

In den Tiefen des Meeres

Am Ziel

Lemuren

Wenn immer nur möglich…

Das andere Duettgezwitscher

7. Siegel De septem sigillis

Die Krankheit zum Tode

Nachlaß zu Lebzeiten

Das große Finale

Anmerkungen

Quellenverzeichnis

Biogramm

1. Siegel Cagliostro in Wien

Ouvertüre

In Wien gibt es viele Geheimnisse. Eines davon rankt sich um die Erfindung des Rostbratens. Dieser soll auf Alexander Girardi zurückgehen. Der in ganz Österreich beliebte Schauspieler und Operettensänger, dessen Denkmal am Esperantopark vor dem Café Museum fast nicht beachtet wird, war bekannt als Gemüseliebhaber. Als er einmal von seiner früheren Verlobten und Kollegin Katharina Schratt zum Essen eingeladen war, wies sie die Köchin an, das Rindfleisch, das ihr Freund, S.M. Franz Joseph I., über alle Maßen liebte, mit Gemüse zu bedecken. Und fertig war der Girardi-Rostbraten. So hatte die Schratt also zwei Vorlieben unter einen (Girardi-)Hut gebracht.

Doch bevor es weitergeht, muß noch einiges – sozusagen als Ouvertüre zur ganzen Operette – geklärt werden. Dieses Dreigestirn hatte es in sich; denn das gute Einvernehmen der Troika ging unter anderem auf folgende Geschehnisse zurück.

Alexander Girardi war eine Zeitlang mit Kathi Schratt liiert gewesen, bevor sie einen Bürger von Wien kennen gelernt hatte, der sie verwöhnte, sie zum Frühstück bat und jeweils nach ihren ausgiebigen Spaziergängen durch einen kaiserlichen Wagen abholen ließ. So konnte sie sich suhlen im Erfolg beim Bühnen-Spiel als Maria Theresia.

Die Liebe zur schönsten und verführerischsten Frau Wiens, Helene Odilon, wurde Xandl Girardi zum Verhängnis; denn nach kurzer Ehe betrog sie ihn aufs schmählichste mit Albert Rothschild, zog nach diversen Eifersuchtsszenen aus der gemeinsamen Wohnung aus und im Hotel Sacher ein. Sie ließ ihn, um einfacher zur Scheidung zu kommen, für verrückt erklären. Das dazugehörige Gutachten war schnell besorgt: Professor Julius Wagner-Jauregg, ein damals schon berühmter Psychiater (und späterer Nobelpreisträger und Obernazi), ging mit Girardis Hausarzt Dr. Joseph Hoffmann zur Wohnung des „Patienten“, den sie aber nicht antrafen, so daß sie ihn, ohne ihn gesehen zu haben, polizeilich zur Fahndung ausschreiben ließen, da er vom Cocainwahn befallen, irrsinnig und gemeingefährlich, deshalb sofort in die Irrenanstalt Svetlin einzuliefern sei. Polizeipräsident Franz Ritter von Stejskal erließ den Fahndungsbefehl, Alexander Girardi wegen Gemeingefährlichkeit festzunehmen, wo immer er angetroffen werde.

Xandl selbst war von Freunden gewarnt worden und tauchte unter (er muß wohl ungern auf seinen nach ihm benannten Hut und Stock verzichtet haben, um weniger auffällig zu wirken). Auf jeden Fall fuhr eine durch Polizei verstärkte Ambulanz vor Girardis Haus vor, aus dem gerade ein mit Girardi-Hut und -Stock bestückter Herr heraustrat und alsogleich festgenommen, in den Krankenwagen gezerrt und in die Anstalt Svetlin eingeliefert wurde. Dort wurde aber schnell klar, daß es sich um einen höheren Beamten zu Hofe handelte, der schnell wieder auf freien Fuß gesetzt werden mußte.

Girardi selbst hatte sich zu seiner früheren Verlobten Kathy geflüchtet, die unmittelbar SM Franz Joseph darüber in Kenntnis setzte, der allerdings für den Moment nicht viel ausrichten konnte. Er ordnete die sofortige Einsetzung einer ärztlichen Kommission an, die bereits am Folgetag unter der Leitung von Dr. Hinterstoißer, einem Psychiater, ein ärztliches Consilium abhielt, das zum Schluß kam, Girardi sei völlig normal und deshalb nicht weiter zu verfolgen.

Da der Schauspieler Girardi nicht nur in Wien, sondern in ganz Österreich sehr beliebt war, schadete die Affäre der schönsten und verführerischsten Frau Wiens, Helene Odilon, mehr, als es ihr nützte; die Beziehung mit Rothschild ging in Brüche, sie wurde geächtet und verkam in völliger Armut, während Girardi nach der erfolgten Scheidung mit der Adoptivtochter Leonie des Bösendorfer Klavierunternehmers eine zwanzigjährige glückliche Ehe einging. Derweil erließ SM eine Verordnung, daß das Entmündigungsverfahren neu geregelt wurde, was – neben Hut, Stock und Rostbraten – als Lex Girardi bis heute Gültigkeit hat.

Aber davon soll nicht die Rede sein, sondern von einer Episode, die Xandl Girardi zum Besten gab, als die drei Illustren nach dem Verzehr von Rindfleisch und bedeckendem Gemüsebouquet in den Salon wechselten, wo sie beim wärmenden Kaminfeuer das obligate Glas Tokaji Aszúeszencia kredenzten.

„AAhhh!“ ließ sich Girardi vernehmen, „kein Abgang, wie es sein soll.“

„Es ist ein 1889er. Ich habe grad gestern dem kranken Kaiser von Japan zwölf Flaschen davon zukommen lassen.“

„Weiß er dies zu schätzen?“ wagte Kathi Schratt zu fragen.

„Warum meinst Du?“

„I hab’ mir sagen lassen, die Asiaten vertragen keinen Alkohol…“.

„Ach was,“ entgegnete Girardi, „wenn man bedenkt, daß bereits Dr. Gerhard van Swieten, der Leibarzt von Maria Theresia, Gott hab sie selig, nicht nur der Resi ein tägliches Glas Tokaji als Medizin verschrieben hat, sondern auch deren Papagei damit behandelt haben soll…“.

„A propos Resi: Die Gute ist ja allen Scharlatanen auf den Leim gekrochen. Ich habe gehört, lieber Xandl, du feierst riesige Erfolge mit Cagliostro in Wien?»

«Na, ich sing ja darin nicht den Cagliostro, sondern nur seinen Diener, den Blasoni.»

«Ja, net so bescheiden; den Walzer eingangs habt’s Ihr dreimal wiederholen miassn.»

«Des is schon was Musikalisches: es gibt einen Vorhalt auf ais, der als erhöhte Quinte zu d deutbar ist, aber hier schon mit einem Sextakkord in e-Moll harmonisiert wird.“

„So genau wollten wir es nicht wissen. Wie heißt der Walzer?“

Girardi setzte an zu singen: Wie alles sich froh im Kreise hier schmiegt.

„Das tönt ja ganz probat. Gibt’s da noch andere Schmankerln?“

„Freilich: Heut vor hundert Jahren hier die Türken waren is a patriotischer Marsch. Und: Net zu vergessen: die Polka schnell Auf der Jagd würd dich als passionierten Jäger arg verzücken.”

„Da müßt ich mir a neue Unterwäsch’ besorgen lassen.“

„Oba wos is jetzt mit Cagliostro?“ wagte Kathi Schratt einzuwerfen.

„Die Resi hat halt eh gemeint, er sei ein Wundermann, der ihren Goldschatz etwas vergrößern würde. Seltsame Vermehrung.“

„Da hatte sie ja Erfahrung mit den vielen Kinderchen…“

„Es ist alles eine Frage des Glaubens. So heißt’s denn auch bei Strauß: Ja, Cagliostro heißt der Mann, der solch‘ Wunder wirken kann, aber glauben, aber glauben, aber glauben muß man dran.“

„Aber wieso sind wir jetzt auf Cagliostro gekommen?“

„Wegen der Resi. Wegen Tokaji.“

„Das kann’s aber nicht g’wesen sein.“

„Nein? Dann ist da noch die Sache mit dem Testament.“

„Testament?“ fragten der Bürger von Wien und seine Gespielin gleichzeitig wie aus einem Mund.

„Ja, die Sache mit dem Testament,“ antwortete Xandl Girardi „und ich als Diener Blasoni weiß es aus erster Hand,“ fügte er schmunzelnd hinzu.

„Also erzähl!“

Blasoni-Girardi ließ sich nicht zweimal bitten, und es machte ihm sichtlich Spaß, nachdem Kathy nachgeschenkt hatte.

„Immer noch kein Abgang?“

„Immer noch keiner. Also, das war so –“

Das Testament

Cagliostro war am Ende. Mit zittrigen Fingern entzündete er in seinem Cabinet einen Kerzenstummel, dessen flackernder Lichtschein lediglich die unmittelbare Umgebung leicht schummrig erleuchtete. Er wühlte in einem Stapel von zerknitterten Papieren und kramte mühsam einen Zettel hervor, den er mit schwarzer Kreide folgendermaßen bekritzelte:

Füge zur Zahl sieben noch einen Kreis und ein Dreieck als zwei hinzu, ergibt sich die geheimnisvolle Zahl drei mal drei, deren Kraft und Aufschluß nur den zwölf Untergeordneten des Elias verständlich sind und die tiefste Weisheit enthält.

Kurz zuvor hatte er noch seinen Diener mit Schlägen aus dem Haus gejagt, weil dieser in seinen Aufzeichnungen geschnüffelt hatte, um eventuell Papiere ausfindig zu machen, die sich für eine Erpressung eignen könnten. Erst viel später hatte dieser Diener unter Eid ausgesagt, daß sein damaliger Herr in Venedig einen Bankier um 2000 Zechinen geprellt habe, weil er ihm vorgegaukelt hatte, er könne Quecksilber in Silber verwandeln. Er habe anschließend seinen Namen abgelegt und den Titel Alessandro Graf von Cagliostro angenommen. Allerdings erinnerte er sich nicht mehr, welchen Namen er damals in Venedig geführt hatte.

Alles schien sich gegen ihn verschworen zu haben. Bevor er mit den Aufzeichnungen weiterfuhr, kritzelte er oberhalb des bereits Geschriebenen noch folgende Worte in seinem seltsamen Italienisch hinzu:

In questa potrete imaginarvi, se ho della stima per Voi. Ma nel tempo istesso v’incarico di pregare al Grande Iddio per me perche mi ritrovo circondato di nemici, e pieno di amarezzi.

Z Per sempre 1255

Statt eines Namens fügte er immer diese vier Ziffern an, deren Summe die Dreizehn ergibt. Zudem konnte er es nicht lassen, noch einen Eintrag in sein Tagebuch zu verfassen:

Den 25. Juni 0 Nacht! Auf ewig unglückliche Nacht! Warum deckst du nicht mit deinen Finsternissen ein Geheimnis, dessen Schleier nun fallen sollte! Es gebührt profanen Augen nicht, hinzuschauen. ---

Dann suchte er nach einem Pergament, das er beschriften könnte, fand aber nur etwas bereits Beschriftetes, griff deshalb nach dem Rasiermesser und kratzte die wenigen Zeilen weg. Jetzt konnte er füglich seinen Text niederschreiben.

Es werden viele Dekaden Vergangenheit sein, wenn durch meine Vorsehung ein Wunder geschehen wird. Mein ganzes geistiges Vermächtnis gilt einem Wunderkind, das die sieben weiß gewandeten Gestalten als richtungsweisend erkannt haben und durch seine Sphärenklänge erhaben Gradus ad Parnassum eingegangen sein wird. Im Namen von Helion, Melion und Telion! Es wird ein kleiner schöner Junge sein, der mir im Urwald das letzte Mal die Erde wird geöffnet haben, umschlungen von Lianen, die, lose von Affenbrotbäumen herunterhängend, spielerisch zu verzierten Linien von Lemuren gefügt und mit Schlüsseln versehen, wie ich es in Arezzo schon geweissagt habe.

Z Per sempre 1255

Die Schrift war noch nicht trocken, als die Häscher in den Raum drangen, die mitgebrachte Kette um seinen Hals legten und ihn zur Folter in die Bastille brachten, wo er wenig später unter der segensreichen Erfindung des Tierarztes Dr. Guillotin elendiglich das Zeitliche segnete.

Die Stunde der Wahrheit

«Das ist ja schön und gut, aber damit hast du uns mehr Geheimnisse aufgetischt, als daß du Fragen beantwortet hättest», monierte SM Franz Joseph und gähnte.

Und die Gastgeberin Katharina Schratt doppelte nach und schenkte allen noch etwas vom excellenten 1889er Tokaji Aszúeszencia ein.

«Also wirklich, Xandl, i bin so was von enttäuscht. Die G’schicht is zwar abenteuerlich und spannend, aber an Durchblick hab i net. Paßt eher auf die Bühne als ins wirkliche Leben.»

«Gemach, gemach. Ich bin ja net am Ende angelangt. Es beginnt ja erst mit der Geburt.» «Du redest in weiteren Rätseln.»

«Ihr kennt ja beide meine leidige Geschichte meiner Ehe mit Helene Odilon, die ja schon kurz nach unserer Heirat eine Liaison mit Albert Rothschild eingegangen ist, was – gelinde ausgedrückt – zu erheblichen Spannungen zwischen uns geführt hat. Vom Hotel Sacher