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Ende November 1899 treffen sich im Hotel Post in Bad Ischl vier langjährige Freunde zur Bridge-Runde: Arthur Schnitzler (der eben mit seinem Theaterstück «Der Reigen» für einen veritablen Skandal gesorgt hatte), der sich kürzlich von der berühmten Schauspielerin Adele Sandrock getrennt hat, um sie seinem Kumpel Felix Salten (der berühmte Autor von Bambi und mutmaßlich der Biographie der Mutzenbacherin, der Wiener Edelprostituierten) zu überlassen; zudem der scharfzüngige Karl Kraus (der Herausgeber der Zeitschrift «Die Fackel» und spätere Autor des Theaterstücks «Die letzten Tage der Menschheit» über den Ersten Weltkrieg), zusammen mit dem herausragenden Volksschauspieler Alexander «Xandl» Girardi (Erfinder des Girardi-Huts und des Girardi-Stocks, der Paraderollen mit Katharina Schratt, der zeitweiligen Maitresse von Kaiser Franz Joseph, auf der Bühne verkörpert). Dabei geht es um ein Treffen diverser Komponisten, die teilweise miteinander im Kurtheater von Bad Ischl auftreten: Camille Saint-Saëns, der zusammen mit Giacomo Puccini als Pianist in seinem zu Lebzeiten nie veröffentlichten Stück «Carnaval des animaux» spielt, Franz Lehár, der gerade seine furiose Karriere als Operetten-Komponist («Wiener Frauen» mit Girardi in einer der Hauptrollen) startet und alsbald eine Villa in Bad Ischl sein Eigen nennt; Gustav Mahler (der spätere Direktor der Wiener Hofoper, geplagt von Hämorrhoiden), der das Konzert dirigiert. Letztlich endet das Buch mit der Unterzeichnung der Kriegserklärung an Serbien durch Kaiser Franz Joseph in seinem Arbeitszimmer in der Kaiservilla in Bad Ischl.
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Seitenzahl: 97
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„In Ischl habe ich immer die besten Ideen“
Franz Lehár
Arnold Schönberg über Richard Strauss:
„Künstlerisch interessiert er mich heute gar nicht, und was ich seinerzeit von ihm gelernt hatte, habe ich, Gottseidank, missverstanden…“
Johannes Brahms
„Bruckner ist ein armer, verrückter Mensch, den die Pfaffen von St. Florian auf dem Gewissen haben.“
Camille Saint-Saens über Max Reger:
„Das fängt nicht an, das hört nicht auf, das dauert nur.“
Pro Daninku
00 Dramatis personae
01 Was ist ein Leibhusar?
02 Ein neuer Gast im Hotel Post
03 Camille Saint-Saëns
04 Vorbereitungen zum Jahreswechsel
05 Franz Lehár
06 Giacomo Puccini
07 Gustav Mahler
08 Jahrhundertwechsel 1900
09 Zwei Klaviere
10 Das Konzert zum Jahreswechsel 1900
11 Antonín Dvořák
12 Ab nach Schruns
13 Wiener und andere Frauen
14 Leoš Janáček
15 Der Rastelbinder
16 Armida statt Rusalka
17 Der Kaiser stolpert durchs Gartentor
18 Die Symphonie der Tausend
19 Der Himmel färbt sich schwarz
20 Nationalismus und Rassismus
21 Unter Donner und Blitz
22 Anmerkungen und Biogramme
Damit die Übersicht gewahrt werden kann, empfehle ich, die folgende Liste vor und während der Lektüre gelegentlich zu Rate zu ziehen!
Die Bridge-Runde: Sie wird bestritten durch ein reines Männerquartett im Hotel Post in Bad Ischl:
Arthur Schnitzlerwar Arzt und Schriftsteller, Dramatiker, hatte Verbindungen nicht nur zu Theaterkreisen, sondern auch zur Psychiatrie (Sigmund Freud, Lou Andreas-Salomé) und konnte auf ein weites Netzwerk einflußreicher Leute zurückgreifen, u.a. Berta Zuckerkandl, der Mitbegründerin der Salzburger Festspiele.
Karl Krauswar Schriftsteller, Dramatiker (Die letzten Tage der Menschheit) und Herausgeber der satirischen Zeitschrift Die Fackel. Seine Beziehungen reichten weit über alle Kultur- und Bildungskreise hinaus.
Felix Saltenhieß eigentlich Siegmund Salzmann, war Schriftsteller, Satiriker und Schöpfer u.a. der Mutzenbacherin (heute umstrittene Urheberschaft) und von Bambi. Er war Jude wie Schnitzler und Kraus, die er im Griensteidl kennengelernt hatte. Als Vertreter von Jung-Wien war er auch mit Hermann Bahr und Hugo von Hofmannsthal befreundet.
Alexander Girardi (auch Xandl genannt)war einer der beliebtesten Volksschauspieler Wiens (und Österreichs) und begnadeter (Operetten-)Tenor. Sein Netzwerk bestand nicht nur in der Theaterwelt, sondern durch eine frühe Beziehung zur Hofschauspielerin Katharina Schratt, der Freundin von SM Kaiser Franz Joseph, hatte er Zugang zu und Protektion von allerhöchsten Kreisen. Wegen eines skandalösen psychiatrischen Gutachtens durch den späteren Nobelpreisträger und Obernazi Julius Wagner-Jauregg wäre er beinahe in der psychiatrischen Versenkung gelandet (nach ihm ist die Lex Girardi benannt).
Franz Lehárist ein in Ungarn geborener Komponist, der für seine Operettenerfolge (“Wiener Frauen“ und “Der Rastelbinder“) erst Girardi begeistern konnte, driftete aber zusehends in immer radikalere Muster, die im Dritten Reich sogar zu Verrätereien an seinen jüdischen Librettisten führten. Girardi warf ihm sogar vor, nur noch „seelenlose Hüpfoperetten“ zu komponieren („Die lustige Witwe“). Leoš Janáček war ein in Mähren geborener Musiker, der sich in Brno mit der Aufführung der Komposition „Die Moldau“ (Teil aus den sechs Zyklen „Ma Vlast“, „Mein Vaterland“) von Bedřich Smetana. Er frönte einem Panslawismus, deutlich in der Oper Jenůfa und in der Glagolitischen Messe.
Gustav Mahlerist ein jüdischer Komponist, späterer Hofoperndirektor in Wien (Dank der Intervention von der Bratschistin Natalie Bauer-Lechner nach dessen Taufe ermöglicht). Später verheiratet mit Alma Mahler.
Antonín Dvořákist einer der bekanntesten böhmischen Komponisten (seine 9. Symphonie «Aus der neuen Welt» eines der meist gespielten Werke neben seinen slawischen Tänzen). Neuerdings erfährt er mit seiner Oper «Rusalka» viele Aufführungen, obwohl einige andere Werke (etwa die «Teufelskäthe» (Čert a Káča) und seine letzte Oper «Armida») in den Hintergrund gerückt sind.
Giacomo Pucciniwar seinerzeit als Musiker Domorganist in Milano, bis er sich mit seinen Opern (u.a. «Tosca» und «La Bohème») ein komfortables Leben leisten konnte (Mit Jachten mit Bordklavier, Rennautos, Motorrädern usw.). Als starker Raucher erlag er einem Krebsleiden.
Camille Saint Saënswar einer der führenden französischen Komponisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Nach seiner Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 war er stark am nationalen Charakter der Musik (Gründung mit César Franck der «Société nationale de Musique»). Nach dem Tod seiner beiden Söhne und der Trennung von seiner Frau lebte er ohne festen Wohnsitz.
«Wißt ihr denn, was ein Leibhusar ist?» fragte Arthur Schnitzler die Freunde, als sie sich zu einer Bridge-Partie im Hotel Post in Bad Ischl getroffen hatten.
«Was wird’s schon sein?» murrte Alexander Girardi, der gerne ins Hotel Post in Bad Ischl auswich, weil ihn sein im August geborener Sohn Anton Maria mit seinem Geplärre nervte. Zudem hatte er sich erfolgreich als Diener Blasoni in der Operette Cagliostro in Wien von Johann Strauß betätigt. «Ich hab’ ja schon an anderer Stelle mal gesagt, daß auf einem Hausiererkasten der Spruch gestanden hat A fir a Lepschi mit dem Leibhusar, was soviel bedeutet –«
«Du brauchst uns diese Geschichte mit deiner Verflossenen Helene Odilon und dem Dr. Hinterstojßer und seinen Geburten nicht mehr feilzuhalten», resümierte Karl Kraus und fügte hinzu: «Fakt ist, daß ein Lepschi der Liebe nachgeht. Und der Leibhusar –«
«Der Leibhusar ist in Preußen je nach Regiment mit unterschiedlichen Uniformfarben eingekleidet, später schwarz, mit silbernem Totenkopf an der Pelzmütze», ergänzte Felix Salten.
«Woher weißt Du denn sowas?» mokierte sich Schnitzler.
Salten schwieg; denn er wollte seinen Freund nicht düpieren. Schließlich hatte er seinetwegen die berühmte Schauspielerin Adele Sandrock als Geliebte genommen, damit Schnitzler sich von ihr trennen konnte. Doch davon später.
«Fakt ist», fuhr Kraus unbeirrt weiter, «daß bei uns in Kakanien Leibhusaren eigentlich in untergeordneter Position dienten, nicht zu den Prinzen gehören wollten, weshalb sie oft nicht als sehr reinlich bezeichnet werden, sprich: oft Flöhe hatten, die den Leib bevölkerten.»
«Ja, das ist der Vielvölkerstaat», seufzte Girardi.
«Du sagst es: viele Völker auf der Haut. Naja, du gibst.»
«Und damit sind wir bei den Tieren angelangt», erwiderte Schnitzler.
«Was meinst du damit?»
«Laß es uns demonstrieren, wenn wir die vielen Komponisten Revue passieren –«, aber Girardi kam nicht weiter.
«Ah, du machst eine Anspielung auf den neuen Gast im Hotel Post -?»
«Wenn ihr so wollt. Ich möchte ja noch nichts verraten, aber er soll etwas mit Tieren zu tun haben.»
«Na, sowas –.»
«Ja freilich, mit Verlaub! Mit einer ganzen Menge von Tieren sogar, die zusammen Fasching feiern wollen.»
«Karneval heißt dies», resümierte Girardi, «und des ist eben der Karneval der Tiere, Carnaval des animaux, wenn ihr’s lieber original haben wollt.»
«Wieso original?» wagte Salten die schüchterne Frage.
«Weißt», klärte ihn Girardi auf, «des hat mit Musik zu tun, und da bin ich bekanntlich vom Fach.»
«Wirklich großartig, wie du gestern wieder dieses Hobellied gesungen hast», wollte Schnitzler ausweichen, «aber die Rosa war scheint’s nicht ganz bei der Sache», fügte er hinzu.
«Naja, des erklär’ ich euch später. Der «Bürger von Wien», wie ihr Freund in den Zeitungen genannt wird, ist halt immer noch traurig über das Schicksal seiner Sisi.»
«Er hat ja letzthin erklärt, so hat es mir zumindest sein Kammerdiener letzthin vertraulich zugeflüstert, wenn er je wieder auf die Jagd gehen soll, müsse er sich neue Unterwäsch besorgen», räumte Salten süffisant ein.
«Mich erinnert das Ganze an einen Flohzirkus, meine Herren. Womit wir wieder beim Leibhusar angekommen sind», schloß Kraus die Diskussion.
«Du sagst es, und die Sisi ist eh längst tot.»
Es war ein diesiger Tag Ende November 1899, als die Postkutsche neue Gäste nach Bad Ischl brachte. Einer davon sei ein sehr bärtiger Mann, wußte jemand zu sagen. Salten ging gleich an die Réception, um sich Gewißheit zu verschaffen, wurde aber brüsk abgewiesen.
„Wir geben keine Auskunft über unsere Gäste“, meinte der galante Herr an der Réception und vertiefte sich wieder in sein kolossales Buch, das er aufgeschlagen hatte.
Salten aber ließ nicht locker, sondern verwies auf die gestapelten Koffern im Foyer, an denen sich eben der Portier zu schaffen machte.
Und eben trat der neue Gast durch die Eingangstüre und wurde warm durch den Réceptionisten begrüßt: „Ah, Monsieur Saint-Saëns! Bonjour et bienvenue chez nous!“
„Merci! Mais pas des noms, s.v.p.!“
Salten hatte genug gehört und zog sich diskret zurück, um nicht ertappt zu werden.
Der neue Gast wollte sich sofort seine Suite beziehen, doch die kakanische Bürokratie erlaubte dies natürlich nicht; denn es mußten die üblichen Formalitäten erledigt und die entsprechenden Formulare ausgefüllt werden, was besonders für Leute aus Frankreich (und erst noch eingereist aus Afrika!), seien sie noch so prominent, galt.
«Mon Piano, est-il prêt?»
«Bien sûr, Monsieur!»
Schnell unterschrieb Camille Saint-Saëns die entsprechenden Formulare, um baldmöglichst die für ihn reservierte Suite beziehen zu können.
«Et je préfère –«
«Silence, absolument, cher Monsieur.»
«D’accord.»
Und zog sich zurück.
Salten hatte alles mitgehört und begab sich sogleich ins Bridge-Zimmer, um getreulich zu berichten, wer der Neuankömmling war.
«Des ist a sicheres Piano, so hat es der an der Réception gesagt.»
«Gibt es auch unsichere?» wagte Kraus zu fragen.
«Nein, aber dies ist mein Stichwort. Ich habe euch letzthin erzählt, daß die liebe Katharina Schratt, mit der ich bekanntlich auch einmal verlobt gewesen bin –»
«Des waren noch Zeiten, als die Welt noch in Ordnung war», unterbrach ihn Salten, «komm doch zur Sache.»
«Schön, wenn ihr so wollt. Also, die Sisi hat noch vor ihrem unseligen Ableben in Genf ihren Bösendorfer-Flügel, der an der Weltausstellung von 1888 zu sehen gewesen ist, hierher transportieren lassen.»
«Nach Bad Ischl? Ins Marmorschlößl?»
«Freilich. Wohin denn sonst, sicher nicht in die Kaiservilla unter die vielen Hirsch- und Gamsgeweihe. Und kurz nach dem Geburtstag seiner Majestät, als wir, wie jedes Jahr so üblich, von Ferdinand Raimund im Theater hier seinen Verschwender spielen mußten, wollte sie alle zum Hauskonzert einladen.»
«Wie profan! Schlößl-Konzert, wolltest du sagen.»
«Genau. Aber da ist sie bekanntlich inkognito nach Genf gereist, wo sie – Gott hab sie selig! – dem meuchlerischen Attentat erlegen ist.»
«Warum aber nach Genf?» wollte Kraus wissen.
«Eine gute Frage. Ich habe aus einer sehr vertrauenswürdigen Quelle erfahren, sie habe ihre Gedichte, die sie in den Achtzigerjahren verfaßte hatte, einem Gesandten der eidgenössischen Regierung überreichen wollen.»
«Und wo waren diese Gedichte geblieben?» wollte Schnitzler wissen.
«Wo wohl? In Bayern, denke ich. Sie war ja als Elisabeth Amalie Eugenie von Wittelsbach, Herzogin in Bayern.»
«Aha. Alles klar.»
«Oder nichts ist klar. Was hat’s jetzt mit dem Piano von unserm Kleintierzoodirektor zu tun?»
«Des ist auch ein Bösendorfer-Flügel, den er sich hat in seine Suite bringen lassen.»
«Jetzt versteh’ ich auch das Ganze.»
«Also das mit den Gedichten hab’ ich nicht begriffen. Und der Mord in Genf?»
«Seid’s ihr alle deppert? Der Mord in Genf war nicht geplant. Der Gelegenheitsarbeiter Luigi Lucheni wollte einfach als Anarchist jemanden töten. Und weil die geplante Person, der Prinz von Orléans, nicht anwesend war, nahm er sich die Kaiserin von Österreich als Opfer vor.»
«O Gott, so einfach sind die Zusammenhänge.»
Camille Saint-Saëns hatte sich sehr schnell auf seine Suite zurückgezogen; denn er war etwas verärgert über die unnötige Szene an der Réception. Zudem wollte er den Flügel, der ihm zur Verfügung gestellt wurde, ausprobieren.
Allerdings war er etwas irritiert, daß es sich bei dem Instrument um einen Bösendorfer-Flügel handelte. Er hätte lieber einen von Friedrich Ehrbar gehabt, weil er glaubte, damit Gustav Mahler, den er schließlich erwartete, eine Freude zu machen, weil dieser auf einem solchen Flügel Das klagende Lied, das Saint-Saëns sehr am Herzen lag, uraufgeführt hatte. Warum es ihm am Herzen lag, bleibe dahingestellt, aber darauf ist noch zurückzukommen.
Das Palais Ehrbar im Musikzentrum Wieden in Wien war seinerzeit sehr berühmt für die entsprechenden Instrumente, weil sie nicht den weichen Klang der Bösendorfer, sondern einen härteren hatten.