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Richard Strauss schaute aus dem Fenster seines Hauses in Garmisch, das er sich aus dem Honorar seiner Skandal-Oper Salome hatte leisten können. Erfolgreich hatte er eben die Symphonische Dichtung Also sprach Zarathustra, frei nach Friedrich Nietzsche, beendet und war auf der Suche nach einem neuen Stoff. Und er schien fündig geworden zu sein: Die tragische Geschichte einer unerfüllten Liebe zwischen Lydia Welti-Escher, der Tochter und Millionenerbin des Schweizer Eisenbahnkönigs Alfred Escher, und Karl Stauffer, dem Berner Kunstmaler und Hobby-Bergsteiger. Obwohl Alfred Escher seiner Tochter Lydia von der Verbindung mit dem Bundesratssohn Friedrich Emil Welti abgeraten hatte, trotzte sie ihm das Einverständnis zur Ehe ab, wurde aber bald sehr unglücklich und frönte dem schöpferischen Genius. Doch das Ganze scheiterte am skandalösen Machtgehabe eines Bundesrats, Emil Welti, auf dessen Geheiss polizeiliche Festnahmen und sehr fragwürdige psychiatrische Gutachten erfolgten, somit die Affaire gewaltsam beendet wurde. Was folgte, war der Tod zweier Liebender, kein Heldenleben. Erzählt wird das Ganze in Form von Bridge-Runden (u.a. mit den Überschriften der Alpensymphonie, die einzelne Lebensstationen des Liebespaars Lydia Welti-Escher und Karl Stauffer-Bern spiegeln) durch das Karten spielende Quartett Alexander Girardi, Schauspieler und Sänger (selbst Opfer eines Psychiatrie-Skandals, was in der Lex Girardi den Niederschlag fand), Arthur Schnitzler, Arzt und Schriftsteller, Karl Kraus, Schriftsteller und Herausgeber der Zeitschrift Die Fackel, und Peter Altenberg, Schriftsteller (selbst mehrmals in psychiatrischen Kliniken interniert) vorab im Café Central in Wien, wo Richard Strauss als Hofoperndirektor wirkte.
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Seitenzahl: 93
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„Ich hab’ einmal komponieren wollen, wie die Kuh Milch gibt.“
Richard Strauss zur Alpensymphonie
Die Sonne blitzt, ein Distelfeld Belebt die stille Mittagswelt; Im starrgezackten Blättermeer Glühn purpurlockig kreuz und quer Die Blütenköpfe.Richard Dehmel: Der Stieglitz
Null Runde
0 An Stelle einer Einleitung
1 Dramatis personae
1. Runde: Richard Strauß schaut aus dem Fenster und liest Nietzsche
0 Sturm im Café Central
1 Richard Strauß schaut aus dem Fenster
2. Runde: Nacht
0 Lou
1 Der Antichrist
2 Der Aufbruch
3 Im Haus des Freunds
3. Runde: Der Anstieg
0 Mahler und die Hämorrhoiden
1 Erste Anzeichen
4. Runde: Sonnenaufgang
0 Schlagobers
1 Die Pläne
5. Runde: Am Wasserfall
0 Der Rosenverkäufer und die Dynamiden
1 Die Schlucht: Auf zu neuen Ufern!
6. Runde: Erscheinung
0 Alma Mahler freut sich – doch worauf?
1 Die Erscheinung
7. Runde: Auf blumigen Wiesen
0 Strauß feiert Erfolg in Wien
1 Idylle auf der Bank
8. Runde: Durch Dickicht und Gestrüpp auf Irrwegen
0 Die Gretchenfrage
1 Nietzsche meldet sich zurück
9. Runde: Gefahrvolle Augenblicke
0 Urlaub in Italien und Mißerfolg in London
1 Auch ich in Arkadien!
10. Runde: Vision
0 Altenberg hat Depressionen
1 Die Schaffenskraft läßt nach
11. Runde: Nebel steigen auf
0 Dichtung und Wahrheit
1 Die Regie gerät aus den Fugen
12. Runde: Die Sonne verdüstert sich allmählich
0 Vergiß die Peitsche nicht!
1 Ein Gewitter kündigt sich an
13. Runde: Elegie
0 Punctus contra punctum
1 Arbeit über Arbeit
14. Runde: Stille vor dem Sturm
0 Im Café Central wird gemischt
1 Die Stäbe des Kerkers
15. Runde: Gewitter und Sturm
0 Die Bridge-Runde fällt aus
1 Der Blitz schlägt ein
16. Runde: Der Abstieg
0 Betretenes Schweigen
1 Die Stäbe des Kerkers 2
17. Runde: Sonnenuntergang
0 Alpensymphonie und Don Juan
1 Richard Strauß seufzt
18. Runde: Ausklang
0 Also alles in bester Ordnung
1 Die Hoffnung stirbt zuletzt
19. Runde: Nacht
0 Geht die Runde nun verloren?
1 Der Bürger als Edelmann
20. Runde: Tod und Verklärung
0 (K)ein Heldenleben
1 Todtenklage des weiblichen Themas
Anmerkungen
Quellenverzeichnis
Biogramm
Im folgenden Szenenreigen geht es darum, zu zeigen, warum Richard Strauß letztlich keine Möglichkeit gesehen hatte, seine musikalische Künstler-Biographie über Karl Stauffer-Bern in Form einer Symphonischen Dichtung, die in vielen Skizzen bereits umfangreiche Dimensionen angenommen hatte, zur Vollendung zu bringen.
Immer wieder andere, neue Möglichkeiten haben sich ihm aufgetan, insbesondere in Wien, wo er an der Arbeit an seinem Rosenkavalier die unterbrochene Arbeit an der Alpensymphonie 1911 wieder aufgenommen hatte. Dort wurde auch entschieden, das Werk eigenständig, ohne die Bezüge zu Stauffer-Bern zu vollenden und 1915 zur Aufführung freizugeben. Die Erklärung dazu muß ausbleiben, kann nur gemutmaßt werden. Wahrscheinlich war anderes wirklich für die Karriere wichtiger. Vieles in den ausufernden Quellen deuten darauf hin.
Die Beziehung zwischen Lydia Welti-Escher und Welti Junior, wie sie Friedrich Emil im Beisein Stauffers zu nennen pflegte, ist mit der Zeit von zunehmendem Abstand gezeichnet. Immer mehr wird klar, daß die Weltis es auf den immensen Reichtum Lydias abgesehen hatten. Nur sie will dies erst nicht sehen, gerät aber selber in einen ernsthaften Konflikt; denn sie frönt zunehmend dem schöpferischen Genius, merkt zugleich nicht, daß Welti sie in die Enge treibt, indem er den schöpferischen Genius immer mehr manipuliert und so zu Handlungen zwingt, sich seinen Plänen anzudienen.
Ebenso bleibt vieles unklar, was die Beziehung bzw. den reuigen Abbruch der Beziehung zwischen Lydia und Karl betrifft. Auch hier nur Mutmaßungen. Äußerungen Lydias in den Briefen an Otto Brahm deuten einiges an, ohne konkret zu werden. Auch hat sie ihre Briefe an Karl zerstört, ihre Position wird nur indirekt durch die Antworten Karls an sie ersichtlich.
Vieles hat Josef Jung in seinen wunderbaren und hervorragend recherchierten Werken über die Familie Escher dargelegt, insbesondere in der Biographie Lydias. Historische Analyse par excellence!
Damit die Übersicht gewahrt werden kann, empfehle ich, die folgende Liste vor und während der Lektüre gelegentlich zu Rate zu ziehen!
Die Bridge-Runde: Sie wird bestritten durch ein reines Männerquartett im Café Central in Wien:
Arthur Schnitzlerwar Arzt und Schriftsteller, Dramatiker, hatte Verbindungen nicht nur zu Theaterkreisen, sondern auch zur Psychiatrie (Sigmund Freud, Lou Andreas-Salomé) und konnte auf ein weites Netzwerk einflußreicher Leute zurückgreifen, u.a. Berta Zuckerkandl, der Mitbegründerin der Salzburger Festspiele.
Karl Krauswar Schriftsteller, Dramatiker (Die letzten Tage der Menschheit) und Herausgeber der satirischen Zeitschrift Die Fackel. Seine Beziehungen reichten weit über alle Kultur- und Bildungskreise hinaus. Peter Altenberg (auch genannt Herr Peter) hieß eigentlich Richard Engländer, war Schriftsteller, Satiriker und Schöpfer diverser Curiositäten (u.a. das PA-Collier). Er war Jude wie Schnitzler und Kraus (mit ihm zusammen ließ er sich allerdings, konvertiert zum Christentum, durch den Paten Adolf Loos taufen). Wegen eines frühen Nervenleidens konnte er keine Ausbildung abschließen und war mehrmals in psychiatrischer Behandlung bzw. in psychiatrischen Anstalten interniert (Inzersdorf, Steinhof).
Alexander Girardi (auch Xandl genannt)war einer der beliebtesten Volksschauspieler Wiens (und Österreichs) und begnadeter (Operetten-)Tenor. Sein Netzwerk bestand nicht nur in der Theaterwelt, sondern durch eine frühe Beziehung zur Hofschauspielerin Katharina Schratt, der Freundin von SM Kaiser Franz Joseph, hatte er Zugang zu und Protektion von allerhöchsten Kreisen. Wegen eines skandalösen psychiatrischen Gutachtens durch den späteren Nobelpreisträger und Obernazi Julius Wagner-Jauregg wäre er beinahe in der psychiatrischen Versenkung gelandet (nach ihm ist die Lex Girardi benannt).
Die Hauptaktanden der übrigen Geschichten:
Richard Strauß:Der erfolgreiche Komponist, der mit dem Erfolg der Oper Salome sein Haus in Garmisch finanzieren konnte, befaßte sich neben seinem musikdramatischen Werken mit dem Genre der Symphonischen Dichtung. Beeinflußt durch das Werk von Friedrich Nietzsche (Also sprach Zarathustra, Der Antichrist) hatte er eine Vertonung einer künstlerischen Biographie von Otto Brahm (s.u.) über Karl Stauffer-Bern im Sinn, die er allerdings nicht vollendete, die er aber umwandelte in seine Alpensymphonie (Uraufführung 1915).
Alfred Escherwar einer der mächtigsten Männer der Schweiz, Eisenbahnkönig (u.a. Nordost-Bahn, Gotthard-Bahn), Gründer der Schweizerischen Kreditanstalt (heute CS), Gründer des Eidgenössischen Polytechnikums (ETH) und der Schweizerischen Lebensversicherungs- und Rentenanstalt usw. und Vater von Lydia Welti-Escher: Trotz aller Warnungen ihres Vaters rang sie ihm auf dem Totenbett die Erlaubnis ab, den Sohn von Bundesrat Emil Welti, Friedrich Emil Welti, zu heiraten. Als eine der reichsten Frauen der Schweiz bereute sie es bald, als sie sich auf ihrem Wohnsitz Belvoir zu langweilen begann und dann dem schöpferischen Genius frönte. Mit Karl Stauffer-Bern ging sie eine folgenschwere Liaison ein, die vehement, unter Einsatz aller politischen Macht, bekämpft wurde durch
Emil Welti:Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft und ursprünglich Mitkämpfer von Escher. Er setzte alle Hebel, auch fragwürdige, zum Teil skandalöse, in Bewegung, um eine Auflösung der Ehe seines Sohns zu verhindern. Handlanger in dieser Sache war
Simeon Bavier,ehemaliger Bundesrat und späterer Gesandter in Rom, wo er den Sohn seines Freunds Emil,
Friedrich Emil Weltimit allen (auch kriminellen) Mitteln vor der Scheidung mit Lydia bewahren sollte. Otto Brahm war Theaterintendant (Lessingtheater und Deutsches Theater) in Berlin. Er wurde von Lydia mit den Briefen Stauffers an sie (die eigenen hatte sie vernichtet) von Champel-Genève aus beliefert, nachdem sie sich nach psychiatrischen Einlieferungen (wider ihren Willen) Stauffer verweigert hatte, damit er eine Biographie des Künstlers verfasse, was er – trotz Verbotsanstrengungen von Seiten Weltis und der Schweizerischen Eidgenossenschaft – ausführte (zuerst veröffentlicht in der Frankfurter Zeitung).
Karl Stauffer-Bernwar ein Jugendfreund von Friedrich Emil Welti, erfolgreicher Portraitist, Radierer und Photograph in Berlin, und wurde von diesem engagiert, um dessen Frau Lydia zu portraitieren und den Sitz Belvoir mit Skulpturen auszustatten. Nach diversen Kabalen und Liebschaften, die ihn u.a. von Berlin nach Zürich, Rom und Florenz führten, wurde er unter skandalösen Umständen inhaftiert. Sein Bruder Eduard Stauffer, Advokat, holte ihn in die Schweiz zurück, wo er das Zeitliche segnete. Briefe, Gedichte und Erzählungen gab Otto Brahm in Buchform heraus.
Friedrich Nietzschewar Philosophieprofessor in Basel, Verfasser mehrerer radikaler Schriften wie Also sprach Zarathustra und Der Antichrist. Erfolglos buhlte er um die Hand von Lou Andreas-Salome, einer Psychiaterin.
Das war ein gewaltiger Sturm, der über die Stadt Wien hinwegfegte! Arthur Schnitzler wäre beinahe Opfer einer Schirm-Attacke geworden, als er durch die Türe ins Innere vom Café Central gehen wollte; denn gleichzeitig mit ihm drängte sein Freund Karl Kraus durch dieselbe Türe, was an sich kein Problem gewesen wäre, wenn es Schnitzlers Schirm nicht just vor dem Eintreten umgedreht und zerfetzt hätte.
«Deine Schirmherrschaft läßt heute zu wünschen übrig», mokierte sich der Fackel-Herausgeber und ließ seinem Freund den Vortritt.
«Sieh mal an, der Herr Peter ist schon da. Was ist wohl geschehen, daß er um diese Uhrzeit nicht in seiner Klause liegt?»
«Ihr seid’s zu spät, doch der lange Weg entschuldigt euer Säumen.»
«Das Zitat entbehrt nicht einer gewissen Unstimmigkeit. Aber zu Zeiten des Sturms heraußen und herinnen ist nichts anderes zu erwarten.»
«Herinnen?» fragte Kraus und fügte gleich hinzu, als sein Blick auf die Tafel beim Tresen fiel: «Ach so.»
Sturm im Weinglas - zwei Promille, stand mit weißer Kreide auf schwarzem Schiefer zu lesen.
«Die Tafel haben’s reing’nommen, nachdem sie draußen immer wieder umg’stürzt ist und der peitschende Regen alles ver- und ausg’wischt hat.»
«Aber du trinkst keinen Sturm; denn ich seh nichts Perlendes in deinem Glas.»
«Nein, mir ist die letztjährige Ernte lieber. Des setzt meinem Sturmtief ein Ende.»
«A propos Sturm», setzte Schnitzler an, nachdem er sich seines Gehrocks entledigt und sich an den Stammtisch gesetzt hatte, «habt’s ihr schon g’hört?»
«Nein, aber du wirst es uns gleich sagen.»
«Ein Sturm der Begeisterung tobte durch den Musikvereinssaal, als der Strauß seinen Auftritt hatte.»
«Aber der spielt doch im Sperl und net bei die Philharmoniker.»
«Nicht der Johann, der Richard.»
«Richard Strauß?», monierte Kraus und schaute Altenberg an.
«Ja, doch, die Smaragda Berg, ihr kennt sie auch, die Schwester vom Alban Berg, hat’s mir neulich im Café Museum erzählt.»
«Was? Und ich weiß nichts davon?»
«Das war so: Der Otto Jägermeier, dieses Wunderkind, hatte einen Auftritt mit seiner Violinsonate (ohne Opuszahl). Muß jämmerlich gewesen sein. Und der kommt doch aus München, also soll dort geboren worden sein. Aber weil er ein Wasserkopf gewesen ist, haben’s ihn vertauscht mit Odilo Hrabanek -»
«Was redest denn für wirres Zeugs?»
«Gut, das ist eine andere Geschichte. Der Richard von den Straußen kommt eben a aus München.»
«Und der war im Musikverein.»
«Und wie kommt’s dazu? Die sind dort sonst so chauvinistisch eingestellt.»
«Man munkelt etwas, daß dieser Richard als Hofoperndirektor gehandelt wird.»
«Was du nicht alles weißt. Hofoperndirektor. Ein Preuß!»
«Er kommt doch aus München, das ist in Bayern, und wir hier in Wien sollen ja abgewanderte Bayern sein, sprachlich wenigstens.»
«Na, sowas.»
«Was schreibt er denn, der Bayer?»
«Der hat doch ein Kinderballett komponiert, wenn ich mich recht erinnere.»
«Jaja, die Puppenfee