Extreme! - Bruno H. Weder - E-Book

Extreme! E-Book

Bruno H. Weder

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Beschreibung

Drei gewichtige Erzählungen sind in diesem Band vereint: Rosa Loui: Eine berühmte Lawine im Berner Oberland hat einen Namen dank dem Berner Pfarrer und Schriftsteller Kurt Marti. Rosenlaui ist das kleinste Dorf der Schweiz, das man durch eine abenteuerliche Postauto-Fahrt erreicht und voll von extremen Wundern ist: Es gibt dort das schönste Hotel, wo in der Nähe die Reichenbach-Fälle sind, wo einst Sherlock Holmes im Kampf mit Professor Moriarty den Tod gefunden haben soll. Und den Gauli-Gletscher, wo sich am 19. November 1946 ein Flugzeugabsturz der besonderen Art ereignet hat. Amir und Maria: Islamistischer und christlicher Fundamentalismus treffen aufeinander; anhand von zwei wahren Begebenheiten werden Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede einander gegenübergestellt. Zum einen der Attentäter Amir (Breitscheidplatz Berlin), zum andern Maria, die sich zur gleichen Zeit des Attentats in der Gedächtniskirche in Berlin befindet und der Welt entsagt. Streaming: Eine hochpolitische Analyse eines Attentats der besonderen Art: In der Nordsee werden Gas-Pipelines gesprengt! Wie es tatsächlich hätte sein können und was dazu geführt haben könnte. War es die «Andromeda», eine Segeljacht, auf der Spuren von Sprengstoff gefunden worden sind?

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Vattr im himu häb zu diim imitsch soorg üüs wäärs scho rächcht wett azz ruedr chäämsch und alls nach diim gringng giengng im himel obe-n-und hie bi üüs

Walter Vogt, der das auf Berndeutsch übersetzt hat für Kurt Marti, der gesagt hat, dies gehe nicht.

Pro Daninku

Inhaltsverzeichnis

Rosaloui

Streaming

Amir und Maria

Anmerkungen

Quellenverzeichnis

Biogramm

Rosaloui

Rosa loui so rosa wie du rosa isch kei loui süsch

o rosa loui rosa lou i wett so rosa wär ig ou

Kurt Marti

Rosenlauigletscher um 1870/80 Radierung von Heinrich Müller

Schweißnaß bin ich heute aufgewacht. Ein Traum, ein fürchterlicher Traum, extrem gefährlich auch. Sonst schlafe ich ja gut, und seit ich die dunkelgrünen Prostaplant einnehme, in der Regel auch die Nacht durch. Aber dieses Mal war alles anders.

Dabei hatte alles friedlich und malerisch angefangen. Ich bin in Meiringen ausgestiegen, nachdem ich im Zug ein frugales Mahl (ohne Meringues!) zu mir genommen hatte. Das Postauto, das mich nach Rosenlaui bringen sollte, wartete schon auf die wenigen Fahrgäste, die die abenteuerliche Fahrt zum Hotel Rosenlaui auf sich nahmen. Ich erinnerte mich dabei an den Spruch des Pariser Geflügelhändlers Boulanger, der die Leute mit der Inschrift über der Türe seines Lokals köderte: Venite ad me omnes qui stomacho laboratis et ego restaurabo. Bekanntlich ist aus restaurabo seit 1765 der Begriff des Restaurants als abgeschliffene Bezeichnung weltweit salonfähig geworden.

Mit millimetergenauem Fahren hatte ich an der Amalfi-Küste Bekanntschaft gemacht, als ich auf dem Trittbrett des übervollen Busses in die Abgründe blicken konnte. Und die Unfähigkeit der Automobilisten, die mit ihren SUVs, die nicht einmal mehr rückwärtsfahren können (geschweige denn vorwärts, weshalb sie beim Parken immer zwei Plätze beanspruchen), war auch dort offenkundig, blieben sie meist erstarrt stehen und ließen die Chauffeure waghalsige Manöver durchführen. Aber was der Postauto-Chauffeur auf dieser Strecke nach Rosenlaui alles mitmachen mußte: Es schweigt des Sängers Höflichkeit.

Im Hotel (professionell betriebene Website) wurde ich von Frau K. mit derselben Liebenswürdigkeit empfangen, mit der sie mich mit Mail-Nachrichten bedient hatte. Gibt es irgendwo auf der Welt noch eine derart umtriebige Hotelmanagerin, die ihre Kunden so liebevoll betreut? Dabei ist, laut Wikipedia, Rosenlaui die kleinste Ortschaft der Schweiz. Dort werden sogar heute noch das Belle-Epoque-Kurhaus und die gesamte Rosenlaui-Schlucht seit 1898 mit eigenem Strom versorgt.

Als ich das wunderbare Zimmer bezogen hatte, beschloß ich, mich von den Ereignissen der Fahrt mit einer Siesta zu erholen, stellte meinen kleinen Reisekoffer in die Ecke und legte mich auf das Bett, wo ich sofort eingeschlafen sein mußte; denn ich überhörte das Klopfen an der Zimmertüre, wie Frau K. mir später mitteilte, weil sie sich wegen des Nachtessens erkundigen wollte, ob ich mit allen vier Gängen einverstanden sei, was keine Frage war; denn das erlesene Abendmahl ließ keine Wünsche offen.

Kurz vor dem Einschlafen hatte ich noch einen Blick auf die Radierung an der Wand geworfen, die das linke Zungenende des Rosenlaui-Gletschers abbildete (nach dem Aufwachen habe ich bemerkt, daß es sich um eine Radierung Johann Heinrich Müllers von 1870/80 handelte). Irgendwie mußte ich diese Abbildung mit einer feuchten Vulva in Verbindung gebracht haben; denn sie war der Anfang einer Traumserie an diesem Abend und in dieser Nacht, was sämtliche bisherigen Erlebnisse sprengte.

Es begann damit, daß grün-orange Trapeze erst langsam, dann in immer schnellerem Tempo zu rotieren begannen. Diese wurden allmählich überlappt von aggressiv blauen Dreiecken, die mit ihren trapezumrandeten Spitzen, die wie in einem gleißenden Spiralnebel aufleuchteten, die Vorgänger – untermalt mit lauten Metallic-Beats – sozusagen ausstachen und entfernten, immer mehr von nebelgrauen Dunstwolken umgeben. Dazu vermehrten sich diese weiß-bläulich-gletschergrün gefärbten Vulven, wurden dreidimensional und zerhackten die ursprünglichen Trapeze, bis diese Trümmerteile sich in Hochgebirgsgletscher überhöhten und in grau-weißen Massen wie ein immenser Wasserfall auf meinen Kopf einhämmerten.

Das Erwachen war schrecklich, aber erlösend. Und ich freute mich darauf, in dem Speisesaal des Hotels in der Anonymität aufgehen zu können (ein Einzeltisch in der hinteren Ecke behagte mir sehr) und die vier Gänge, die Frau K. servierte, einnehmen zu dürfen (weder Eis- noch Eischnee zum Nachtisch, sondern wunderbarer Cheesecake!). Meine Gedanken begannen sich in bewährteren Gefilden zu bewegen, während ich den Klängen des Pianisten nachhing, der allerdings nur über ein begrenztes Repertoire zu verfügen schien. Nach der dritten Reprise einzelner Anfangstakte einer Chopin-Polonaise, die immer dann endete, wenn es eigentlich virtuos zugehen sollte, zog ich mich auf mein Zimmer zurück, genau wissend, weder Internet- noch Handy-Empfang zu haben.

Natürlich hoffte ich, nicht mehr von solchen Chimären verfolgt zu werden, warf nochmals einen ausgiebigen Augen-Blick auf die Müllersche Radierung, um mich der naturnahen Verarbeitung der furiosen Landschaft zu versichern. Ich konnte also beruhigt sein, daß es sich in keinem Fall um ein Vexierbild handelte.

Ich notierte noch diverse Gedankensplitter auf meinem Laptop, um dann unter den Leintüchern Schutz zu suchen und auf einen wunderbaren Schlaf in aller Ruhe bei offenem Fenster zu hoffen; denn zu Hause war dies so eine Sache geworden: Die Autos verursachten einen Dauerlärmpegel, der einen am Einschlafen hinderte.

Die Muster der Bettdecke, die üppig auf mir lastete, prägten sich offensichtlich in meiner Hirnrinde ein, so daß sie sich zu diversen weiteren Mustern zusammenfügten, sich verkleinerten und vergößerten, je nach Seitenwechsel.

Als erstes Zeichen schien ich ein entferntes Flugzeuggeräusch auszumachen, das sich laufend verstärkte und immer lauter bemerkbar machte. Ich wollte diese Geräusche vertuschen, indem ich die Bettdecke weit über meine Ohren zog, doch die Verstärkung nahm keinesfalls ab, sondern wurde durch Wasserfallgeräusche eher vervielfacht.

Dann fiel mir der Propeller auf den Kopf.

Und die Temperaturen! Erst hatte ich geschwitzt wie verrückt, dann aber wurde alles immer kühler und kälter. Ich bedauerte, kein Pyjama (da ich mich im Berner Oberland befand, darf ich das Neutrum verwenden) mitgenommen zu haben, schlief nackt, wie üblich. Ein Flugzeug ums andere flog über meinen Kopf hin. Warum werfen die keinen Proviant ab, wir verhungern doch bald. Dann wieder winken, wenn ein anderes Flugzeug über unseren Köpfen weg brummte. Doch! Da! Es fliegt etwas herunter! Eine große Tasche! Sie saust an uns vorbei, die Gletscherspalte hinab. Da kommen wir nie hinunter! Wir verhungern!

«Wir sind jetzt über Chur und ziehen eine Schleife! Bitte melden Sie sich!»

«Ok. Wir haben Sie geortet. Woher kommen Sie?»

«Von Innsbruck! Starker bis stürmischer Wind aus Nordwest! Jetzt fliegen wir weiter in die Alpen Richtung Lyon.»

«Gut. Melden Sie sich wieder, damit wir Sie weiter orten können.»

«Es sieht nicht gut aus! Eine Gewitterwand nähert sich. Können Sie mich hören?»

«Krchchch---»

«Können Sie mich – krchchch---»

«Hakrchchch---»

«Es ist jetzt 1423 Uhr. Unsere Höhe ist etwa 3350 Meter. Geschwindigkeit 280 Km/h. Können Sie – krchchch ---!!! Hi-krchchch---»

Und wieder fiel mir der Propeller auf den Kopf.

Ein Rauschen, ein riesiges Rauschen, ein ohrenbetäubendes Rauschen. Wasserfallrauschen. Nein, Getöse. Ohren zu! Gewaltiges Getöse! Auslaugung und Subrosion, entstanden aus dem nachgestürzten Material. Einsturz-, Einbruchs- oder Auslaugungsbrekzien! Gischt mischt sich mit der ätherischen Luft, das Sonnenweib, das die Hand nach dem großen roten Drachen ausstreckt, scheint in den kolossalen gurgelnden, sich überbordenden Wassermassen unterzugehen. Wie kann ich da helfen? Wenn ich mit der Wasserorgie synchron tanze, verpasse ich die suchende Hand, auch wenn ich mich an die gewaltigen Krallen des Drachens hefte. Und über mir thront das Wetterhorn, droht zusammenzubrechen und alle Gletscher oder was von ihnen noch übrig ist, mitzureißen, einen Trichter zu füllen, dessen Ende auf den Elefantenkopf in der Gletscherschlucht gerichtet ist, um auch dem ein Ende zu bereiten.

Der Rumpf! Wir sind auf dem Rumpf gelandet-! Es kracht, schleift und krost, knackt und rauscht.

Die Wasserfälle! Holmes, wo bist du? Nein, da ist keine Gletscherspalte! Da! Ein großer Sack! Der ist aber in der Gletscherspalte! Hunger. Ich habe Hunger. Gib uns unser täglich Brot! Oder soll ich jetzt das Messer nehmen und den Generalleutnant ermorden? Woher soll ich das Feuer nehmen, um ihn zu grillen, braten? Roh ist er wohl nicht zu genießen.

Douglas C-53 Nummer 42-68846, gestartet von Tulln-Langenlebarn, nordwestlich von Wien.