Peter Altenbergs Grabennymphen - Bruno H. Weder - E-Book

Peter Altenbergs Grabennymphen E-Book

Bruno H. Weder

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Beschreibung

Peter Altenberg (eigentlich Richard Engländer) ist eine eigenartige Dichterperson in Wien im beginnenden 20. Jahrhundert. 2018 war sein 100. Todestag (8. Jänner) und sein 160. Geburtstag (9. März). Anlaß genug, einigen Episoden um den sonderbaren Menschen, der auch DER SCHNORRER genannt wurde, auf den Grund zu gehen. Dies ist unmittelbar verbunden mit großen Namen wie Arthur Schnitzler, Gustav Klimt, Egon Schiele, Adolf Loos, Otto Wagner, Karl Kraus, Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Alban Berg, Sigmund Freud, um nur die wichtigsten zu nennen. Und mit einer Unzahl bekannter und unbekannter Frauen wie Alma Mahler, Lina Loos, Smaragda Berg, Wally Neuzil und die vielen Grabennymphen und süßen Mädels, die jeweils applaudierten, wenn Altenberg seine seltsamen Flugversuche startete. Der vorliegende Band basiert auf dem Sachbuch ALABASTERLEIB UND SCHWARZE TRÄNEN (2018 erschienen) von Bruno H. Weder.

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Pro Daninku

Du hast Sorgen, sei es diese, sei es jene - - - ins Kaffeehaus!

Peter Altenberg

Inhaltsverzeichnis

Editorial

Ouvertüre

Am Anfang stand der Tod

Pas de deux Kathi Schratt

Entr’acte 1 Am Thalhof

Pas de trois Xandl

Schaup oder Der Flitzer im Stadtpark

Entr’acte 2 Anni Kálmár

Des Spazierstocks neuer Kopf

Pas de six Für dich leben! Almschi

Entr’acte 3 Lina Loos

Dr.A.S.

Entr’acte 4 Arthur Schnitzler

Der Spülwasser-Ausguß

Entr’acte 5 Adele Sandrock

Verklärte Nacht

Das Wort

Entr’acte 6 H.N.

In der Pause Hygieia

Pas de deux Smaragda Berg

Ashantee

Entr’acte 7 Mahler vs. Mahler

Pas de trois Lou

Entr’acte 8 Ein neuer Stern am Himmel

Peripetie Semmering: Klara Panhans

Entr’acte 9 Paula Schweitzer

Ostara Bertha von Suttner

Am Steinhof

Entr’acte 10 Alma zum dritten

Watschenkonzert

Am Lido: Tango mit Bessie Bruce

Abgesang Beauté est vertue!

«Sag zum Abschied leise Servus!» Can Can

Das große Finale Grete Wiesenthal

Spanische Grippe Evelyn Landing

Der Rest ist Schweigen! Der Sturz in den Tod

Postludium

Zur vorliegenden Ausgabe

Biographie Peter Altenberg

Anmerkungen

Quellenverzeichnis

Biogramm

Editorial

Karl Kraus kündigt eine Veranstaltung an.

«Was heißt das, Erröthet wird nicht!!, was da auf dem Programmzettel steht?», wagte Peter Altenberg seinen Freund Karl Kraus zu fragen, als sie an einem diesigen Dienstag Anfang Oktober im Café Griensteidl saßen und zusammen mit Arthur Schnitzler beim dritten Glas Wein auf einen postfaktischen Anlaß anstießen.

«Du siehst es ja, wenn du lesen kannst. Es werden Texte deklamiert.»

«Du als Vorleser -?»

«Genau. Ich als Vorleser.»

«Aber du hast nicht auf Peters Frage geantwortet», warf Schnitzler ein.

«Bewußt nicht, weil der Schnorrer sonst erneut widerspräche.»

«Ich verspreche dir, nicht zu widersprechen, bei allem, was mir heilig ist.»

«Gibt’s etwas, was dir heilig ist?»

«Kommt’s Freunde, wir wollen uns net streiten, sondern unser Projekt diskutieren. Wir treffen uns hier regelmäßig. Warum wollen wir einander nicht die Geschichten erzählen und sie auf die Tauglichkeit für die Öffentlichkeit überprüfen?»

Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen und reichlich mit Wein begossen.

**********

Ouverture

Extrapost, Wien 27. November 1899, S.1

Hübscher, schlanker Mann, mit gewöhnlichem Kopfe, gewöhnlichen Augen, gewöhnlicher Stirn, gewöhnlichen Manieren. Daß er seinen starken Schnurrbart melancholisch herunterhängen läßt, stets in einer schottischen Reisemütze herumstolziert und ohne langen Überzieher nicht mehr gedacht werden kann, das liegt vielleicht in der literarischen Richtung, die er repräsentiert. Das ist das einzige Auffallende an seinem Äußern. Dem Menschen thut man häufig unrecht, wenn man ihn nicht gesprochen hat. Wer nämlich Altenberg gelesen hat und mit ihm dann spricht, der glaubt, daß der Dichter seine Werke von anderen schreiben läßt. Klare Auffassung, kernige, gesunde Anschauung. Phrasenfeindschaft und tiefmoralische Intention fesseln im Gespräche; die Schreibweise vermag bekanntlich diesen mehrseitigen Zauber nicht auszuüben. Das kommt davon, dass in Altenberg zwei Seelen um den Vorrang kämpfen; die durchaus einfache, normale, etwas sinnlich angelegte Menschennatur und der Drang, der Menschheit etwas Neues, Originelles, noch nicht Gesagtes zu verkünden. Er will gesteinigt sein, als Arzt, der den jetzigen Menschen Giftpillen eingibt, damit ihre Nachkommen gesünder werden. Neben dieser kleinen Eigenthümlichkeit bleibt noch genug Gesundes und Originelles an dem Dichter. Er hat tiefe, sinnige Gedanken; wenn ihn nur Gott weiß wer nicht gelehrt hätte, dass man ein Kunstwerk nicht verstehen darf. So schreibt er seine klarsten und sittlich höchststehenden Gedanken zumeist so unverständlich auf, dass falsche Urtheile über ihn begreiflich sind. Er will es so; ohne Steinwürfe fühlt er sich nicht wohl. Heute wie vor 1899 und 3/4 Jahren hält man die Apostel der Wahrheit für Verrückte oder Verbrecher; ein Glück, dass die Zeitungskritiken weniger gesundheitsschädlich sind, als es das Kreuzigen ist. Die einfache, anspruchslose Natur Altenbergs setzt ihn über alles Ungemach der Gegenwart hinweg; die Goldkörnchen. die er unter der Spreu moderner Stilistik verstreut, gehen nicht verloren. Solche Dichter, die nur ihren Ideen leben, schenken der Welt immer etwas, auch unter Gedankenstrichen, Fragezeichen und Rufzeichen... (Extrapost, Wien, 27. November 1899, S.1)

Peter Altenberg stand am Dienstag, dem 28. November, erst gegen Mittag auf (wie es bei ihm üblich war) und ging, nachdem er sich bei der Oper eine Extrapost gekauft hatte, zielstrebig ins Café Museum. Er hoffte, dort Adolf Loos oder Karl Kraus zu treffen, und war erstaunt, Arnold Schönberg vorzufinden, in eine seiner Partituren vertieft. Also machte er kehrt, ohne vom Komponisten der zwölf Töne gesehen zu werden, was den exzentrischen Telegrammstil-Literaten erleichterte. Er ging deshalb, eine Wagnermelodie summend, ins Café Casa Piccola, das am äußeren Rand des Glacis’ lag.

Dort saß Egon Friedmann (später, 1916, ließ er seinen jüdisch klingenden Namen offiziell ändern in Friedell; denn er konvertierte bereits als Schüler zum evangelischen Glauben), der sich lebhaft mit dem Cafetier Carl Obertimpfler unterhielt, der hinter dem Tresen hantierte.

«So früh schon auf?» wunderte sich der sitzende Gast.

«So früh schon im Café? Keine Vorlesung an der Alma Mater?» entgegnete Altenberg.

«Man soll nie eine Frage mit einer Gegenfrage beantworten.»

«Und wieso soll man net a Gegenfrage stellen dürfen?»

Alle drei lachten lauthals, und Friedmann erklärte, daß er einen Vortrag für ein Seminar vorbereite, was ihm bei einem Verlängerten halt leichter falle.

Noch während er dies sagte, kam Bewegung in die Gästeschar; denn am Eingang versuchte eine junge Dame ihren triefenden Regenschirm zu deponieren, was ihr aber mangels Ablagegelegenheit nicht zu gelingen schien.

Der Altherren-Club schwieg und männiglich starrte zur Türe, wo Carolina Obertimpfler, die Tochter des Gastwirts, den Regenschirm in der Hand, im Windfang stand und lächelte.

«Wie Madonna unterm Baldachin», entfuhr es Friedell.

«Treten S’ ein und nähern sich uns. Wir beißen net, auch wenn wir jemanden zum Fressen gern haben.»

«Sie sind mir einer, Herr Peter!»

Mit diesen Worten - ein schelmisches Lächeln umspielte ihren Schmollmund mit den Grübchen in den Wangen – trat sie ein, ging hinter den Tresen, wo sie den triefenden Schirm in die Spüle stellte, und setzte sich zu den Herren, nachdem sie sich des Mantels entledigt hatte.

«Ich habe jetzt grad in der Fledermaus vorgesprochen, und stellen Sie sich vor: Sie wollen mich dort nehmen!»

«Großartig! Pyramidal! Das muß ein gelungener Text gewesen sein, wenn Sie angenommen wurden. Oder war’s der Charme der holden Weiblichkeit?» frotzelte Friedell.

«Aber doch nicht unter meinem Namen -?» warf der Vater ein.

«Nein, Lina Vetter ist mein Name dort. Der Text war von – dreimal dürfen S’ raten – »

«Von unserem Herrn Peter!»

Peter Altenbergs Mondgesicht errötete bis auf die Glatze. Doch er schwieg.

**********

Am Anfang stand der Tod

Alicen’s Kasten: Beschriftete Photo von PA

Lange starrte er auf die Photographie, und immer deutlicher wurden die Konturen: Unten rechts stand zu lesen: Alicen’s Kasten. Dies hatte er selbst vor wenigen Minuten auf die Karte gekritzelt. Und darüber war der Kasten mit den geöffneten gestemmten Türen. Nicht so sehr der Inhalt des Kastens war der Grund der Betrübnis, sondern die Tatsache, daß er, Peter Altenberg, diese Photo von der Familie Popper erhalten hatte, die er gleich mit dem Schriftzug mit dem sächsischen Genitiv versehen hatte. Als ob der Kasten gestorben wäre. Er rutschte unruhig auf der Bettkante hin und her, ließ das Kinn in die linke Hand gleiten und grochste leicht.

Die Erinnerungen kamen hoch: Frau Dr. P. hatte ihn im Café abgeholt, und eine Stunde lang durfte er mit den beiden Mädchen, Alice und Gusti, Hand in Hand spazieren gehen. Wann war dies gewesen? Er wußte es nicht mehr. Aber es kam ihm in den Sinn, daß er einen Brief geschrieben hatte, einen Liebesbrief an Ännie Holitscher, worin er die Schwärmerei für kleine Mädchen thematisierte (am 7. November 1893 hieß es Hand in Hand mit den beiden lieben Mäderln). Aber noch am 11. Oktober hatte er seinem Bruder Georg Engländer geschrieben, daß er Ännie vielleicht hätte heiraten sollen. Dabei hatte er sich, wie so oft, nur lustig gemacht, hatte ihr noch vom Hotel Kammer am Attersee einen Brief geschrieben, worin er von ihr zu träumen gedachte.

Ich übernachte jetzt in Kammer im Hôtel Kammer und wenn ich diesem Brief d. Unterschrift u. dem Couvert die Überschrift gegeben haben werde, wird keine Viertelstunde vergangen sein, daß ich von meinem lieben süßen Mädchen träumen werde.

Doch schon am andern Tag hatte er dies widerrufen, hatte sich darüber lustig gemacht. Mein liebes Aennchen: Ich habe nicht von Ihnen geträumt; ich träume nur von Dingen, an die ich lange nicht gedacht habe; Nachts, um 12 Uhr, war aber ein Erdbeben und mein Hemdkragen fiel auf den Boden herab; da ich den Untergang der Welt erwartete, nahm ich mir nicht die Mühe, ihn wieder aufzuheben.

Er erniedrigte sie, wußte nicht, daß sein Freund Arthur Schnitzler sie ebenfalls verehrte, hatte dieser doch in seinen Tagebüchern vermerkt: Anny (…) die sich im Laufe des vergangnen Faschings, wie ich auf Bällen zu beobachten Gelegenheit hatte, für diesen Richard auffallend interessirt hatte. Heuer sah man ihn nirgends; dagegen wandte Anny H. ein auffallendes Interesse mir zu, und auch ich fand an dem liebenswürdigen Geschöpf ein ausnehmendes Gefallen. (Arthur Schnitzler im Tagebuch am 13. April 1886)

Und idealisierte gleichzeitig Alice mehr denn je, wie er über der Photo brütete. Wie kam er nur dazu, Ännie von Alice zu schreiben? War dies seine Art, eine erwachsene Frau zu lieben, indem er sie demütigte? Möglicherweise konnte sein labiles Gemüt auf diese Weise eine Form von Macht ausüben, eine Macht, die er sonst nur gegenüber minderjährigen Geschöpfen anzuwenden wußte.

Altenberg schwitzte, obwohl es ihn fröstelte. Er stand auf, holte eine angebrochene Flasche Slibowitz aus dem Kasten und füllte ein Becherglas damit. Erst nippte er nur daran, fuhr mit seinen fahrigen Fingern wieder und wieder über die Photo, indem er sich erneut auf die Bettkante setzte.

Das war doch Unsinn, was er seinem Bruder Georg geschrieben hatte wegen der Ehe. Niemals hätte die Familie Holitscher eine solche zugelassen. Zum einen ließ es seine berufliche Situation nicht zu; denn er verfügte über kein regelmäßiges Einkommen, ließ sogar die Wäscherechnung durch die eigene Mutter bezahlen; zum andern bestand auch eine Art Parallel-Beziehung von Charlotte Holitscher, Ännies Mutter, zum jungen Mann.

Er schaute tiefer ins Glas, stand wieder auf, nahm die Photo und pinnte sie an die Wand zu andern Karten und Scherenschnitten. Unruhig ging er auf der kleinen Fläche hin und her, überlegte, was er tun sollte, setzte sich wieder auf die Bettkante, erhob sich aber unmittelbar wieder und riß das Fenster auf. Der Lärm der Gasse drang herauf. Ohne Freude und ohne Gier trank er den Becher leer.

Mit dem höheren Alkoholpegel sank langsam die wiederholte Angst vor einer Nervenkrankheit; denn diese begleitete ihn bereits seit einiger Zeit. Er hatte dabei festgestellt, daß der Alkohol ein hervorragendes Anxiolyticum darstellte, wenn auch sein Freund Arthur Schnitzler ihn davor gewarnt hatte; denn alles ließe sich damit nicht lösen, vor allem nicht die veritablen Existenzängste, die ihn in solch depressiven Phasen immer wieder krampfartig überfielen. Essentieller Tremor.

Sein Blick fiel erneut auf die gepinnte Karte, und er fragte sich, was Alice wohl in all den Schachteln gehortet hatte.

**********

Pas de deux

Kathi Schratt, Hofburg-Schauspielerin

Katharina Schratt in: Die kleine Mama

Es heißt scharf ausschreiten, will man mit Frau Schratt im Tempo bleiben, Sie ist die geübte Bergsteigerin, der Entfernung kein Hinderniß ist, schreibt am 25.Oktober 1903 der Delegierte A. D.-G. im Neuen Wiener Journal zum 10-jährigen Jubiläum der Postille.

„Hast du da nicht mitschreiten können, wenn du in der Fackel so heftig gegen die Schratt polemisierst?“ fragte Arthur Schnitzler seinen Freund Kraus, als sie im Café Central auf Altenberg warteten.

„Hätt‘ ich schon, aber ich war ja nicht geladen.“

„Also purer Neid. Oder war’s dir zu früh am Morgen?“ stichelte er weiter.

„Nein, aber das Ganze eignet sich für unser Vorhaben zum Vorlesen.“

„So, wie du’s geschrieben hast?“

„Genau so.“

„Also, lies es mir vor“, bettelte Altenberg, der mittlerweile das Lokal betreten hatte und auch einen Wein bestellte.

»Und das Theater ging Ihnen nie ab?«

»Jessas die Frag! Ja, sag'n S'mir amal, möchten denn Sie schreiben und poträtieren, wenn Sie in die Welt reisen könnten, wohin S'wollen?« Frau Schratt wird immer ungeduldiger, immer deutlicher:

»Sie werd'n net schlecht fluchen, daß der Weg gar kan End nimmt, aber das is scho' mei Promenad« ...

Und zum Schluß des seltsamen Interviews heißt es wörtlich:

»So ist denn Ungestörtheit eine Sache, die Frau Schratt besonders liebt« ...

Ein Freund, der plötzlich auftaucht, befreit sie von dem Sadisten.

»Ich verabschiede mich ... Länger aber klingt mir das helle Lachen nach, das für kurze Momente die ersterbende Allerseelenlandschaft in bessere Stimmung hebt.« ...

Noch nie hat vielleicht ein Interviewer die innersten Gefühle des Interviewten besser herausgeholt und mit größerer Selbstlosigkeit preisgegeben!

[Ein Interview empfindet heute zwar noch der Betroffene] Fackel Nr. 146, 22

„Können wir nun etwas vom Original hören?“

„Natürlich, ich hab‘ die Postille mitgebracht.“

Frau Schratt erzählt von ihrer Tageseintheilung: Ganz frühe am Morgen Promenade, dann Frühstück und wieder Promenade. Wenn sie Rollen lernt, geschieht das rasch und ohne Anstrengung, die Maria Theresia war beispielsweise in sehr rascher Zeit erledigt, Lectüre und Besuche. Die Besuche machen ihr keine Freude, es sei denn eine ganz auserlesene Gesellschaft. Ihre Bilder, ihre Hunde, ihre Nippes geben ihr zu schaffen und dann auch die Wirthschaft, »der Speisezettel«.

„Darauf kommen wir gleich zu sprechen!“ warf Schnitzler ein; denn er hatte von Adele Sandrock eine hübsche Geschichte mitbekommen.

Mit dem Antritt ihres Gastspiels am Volkstheater hat Frau Schratt ein großes Opfer gebracht.

»Denken S' Ihnen nur,« sagt sie, »jetzt is in Köln eine Auction von Bildern und Antiquitäten und i muß da in Wien sitzen und die Maria Theresia spielen, da könnt' ma' ja narrisch werd'n!«

Und oft und oft hat sie dem armen Tewele während der Proben zugerufen:

»Du, wann's schief geht, schau' Dich an! Jch könnt' jetzt so schön in Italien sitzen!«

„Mir kommen gleich die Tränen!“ monierte Altenberg.

„Es folgt ja jetzt der Schluß. Hört es euch an:

“Wir sind auf einer kleinen Anhöhe, da wird der Wagen sichtbar, der Frau Schratt entgegengesandt wurde von einem Wiener Bürger, als dessen Gast sie zum Frühstück gebeten wurde.

„Bürger nannte sich auch der französische König in der Revolution.“

„Wo du recht hast, hast du recht“, entgegnete Kraus. „Bedenke aber, unser Wiener Bürger ist kein König, sondern Kaiser.“

“Und Revolution gibt’s a net bei uns.”

**********

Entr’acte 1 Am Thalhof

1899 ✟ gestorben im 33. Lebensjahr Olga Waißnix

Der Blick aber wurde abgelenkt auf eine Karte nebenan, eingerahmt und von ihm eigenhändig beschriftet: 1899; gestorben im 33. Lebensjahr. Beide Angaben sind falsch; denn die Tochter eines bekannten Wiener Restaurateurs war zu ihrem effektiven Todeszeitpunkt am 4. November 1897 35 Jahre und einen Tag alt. Und darunter, leicht nach links ein Herz, gezeichnet und an der Herzspitze versehen mit der Jahreszahl 1883. Rechts unten in der Ecke der Profil-Portrait-Photo diagonal die eigenhändige Unterschrift der angebeteten Dame vom Hotel Thalhof: Olga Waißnix.

«Der Thalhof-Wirt hat dich also nicht erschossen, wenn du noch neben mir sitzt und Wein trinkst», stichelte Schnitzler seinen Sitznachbarn.

«Wie kommst denn drauf?» fragte Altenberg, den Unwissenden spielend.

Der Gatte soll, so vermerkte der spätere (wohl sehr eifersüchtige) Arthur Schnitzler in seinen Tagebuchnotizen Jugend in Wien, geäußert haben, er werde den jungen Mann erschießen, wenn er sich noch einmal im Thalhof blicken lasse. Umgesetzt hatte der Wirt die Tat dann doch nicht; denn Peter Altenberg kehrte wieder, zuletzt etwa 1915.

Dann schenkte sie mir noch ein Strähnchen ihrer Haare

Und Samstag lag sie auf der Totenbahre

So lautet das Ende des lyrischen Texts Die Jugendzeit, worin Altenberg die Erinnerung an den Ort Reichenau, wo der Thalhof liegt, festhielt.

Es drängte ihn hinaus, er hielt es nicht mehr aus mit diesem Totenkult, den er sich selber kredenzt hatte. Hinaus, auf die Straße! Jetzt wird gelebt! Doch vorher noch zwei Schlucke aus der Flasche. Und dann hinunter, die steile Stiege wurde ihm beinah zum Verhängnis (wie so oft), aber er konnte sich noch am Geländer festhalten, schlitterte weiter in seinen Sandalen, hinaus in die finstere Nacht, in die Gassen, die noch belebt waren, vor allem von Graben-Nymphen, hin zum Kohlmarkt.

Ich muß den Weg zu den Herzen finden! redete er sich insgeheim ein. Ich verstehe die Verachteten. Wo seid ihr nur, ihr Grabennymphen? Ihr gequälten Pferde? Ihr mißhandelten Kinder? Alice, meine Alice ---?

Ungeachtet der Kälte hechelte er weiter, begann wie wild mit den Armen zu fuchteln, stürzte fast, fing sich wieder auf und kam atemlos im Paternostergäßchen an, ohne Paternosterschnur zwar, aber aufgestellt, bereit zum Freistiltanzen.

Zeig uns einen Flugversuch, du schräger Vogel! Flieg, Vogel, flieg! tönte es bereits von allen Seiten auf ihn ein; denn um ihn herum war plötzlich alles voller Publikum.

Er ließ sich nicht zweimal bitten, da war er schon im Element, breitete seine Arme aus, atmete erst schnell, dann langsam, immer tiefer; die Lunge füllte sich, der Brustkorb dehnte sich. Die Arme schrieben Kreise in die Luft, kreisten immer schneller, schneller. Und sein spindeldürrer Körper schien zu schweben, schwerelos, getragen nur von zarten Beinchen.

Schneller! Schneller! tönte es aus wirren Kehlen.

Aber plötzlich war es aus, er fiel in sich zusammen. Aus der Traum. Verhaltener Applaus.

**********

Pas de trois Xandl

Alexander Girardi im Girardi-Park (©weder)

«A propos Speisezettel der Kathi Schratt: Da fällt mir eine interessante Anekdote ein, die ich euch nicht vorenthalten möchte.»

«Erzähl schon.»

«Mach’ net so spannend.»

«Wenn man vom Café Museum Richtung Karlsplatz geht, kommt man an einem unscheinbaren Denkmal vorbei, das fest etwas verschämt zwischen den Büschen verschwindet», begann Karl Kraus seine Erzählung.

«Es ist Alexander Girardi, der berühmte Volksschauspieler und begnadete Operettentenor, der Komödiant von Wien, wie er genannt wurde», ergänzte Arthur Schnitzler und fügte hinzu: «Wir kennen dies doch zur Genüge; schließlich sind wir in der Nähe ins Gymnasium gegangen.»

«Kollege Hermann Bahr schrieb zum 50. Geburtstag am 5. Dezember 1900 über seinen Ruhm, der weit über die Grenzen des Theaters gegangen ist. Man höre heute irgendeinen Soldaten an, der seiner Köchin hofiert, oder man beobachte einen jungen Herrn der sogenannten Gesellschaft: sie intonieren alle wie Girardi, und sie haben alle seine Art, den Kopf vorzustrecken und die Finger zu bewegen. Dass seit zwanzig Jahren jeder Schauspieler, bis in die letzte Provinz, wenn er unwiderstehlich sein will, sogleich, vielleicht ohne es selbst recht zu wissen, die vulgäre und doch geheimnisvoll erregt zitternde Stimme des Girardi und seine unschuldig zynischen Gebärden annimmt, wäre noch das wenigste. Aber es gibt wirklich unter uns, oben oder unten, kaum einen jungen Menschen mehr, der mit einem Mädel anbandeln könnte, ohne ihn unwillkürlich zu kopieren.